Details

Voodoo

Götter, Zauber, Rituale
Edition Marbuelis, Band 12 1. Auflage überarbeitete Neuausgabe mit einem Nachwort des Autors

von: Andreas Gößling

12,99 €

Verlag: Mayamedia
Format: EPUB
Veröffentl.: 09.04.2020
ISBN/EAN: 9783944488448
Sprache: deutsch
Anzahl Seiten: 204

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Beschreibungen

"Göttliche Reiter auf tanzenden Menschenpferden": Die Essenz des Voodoo ist rituelle Besessenheit: Gottheiten des Kultes dringen in die Psyche der Anhänger ein und ergreifen vorübergehend Besitz von ihnen. Nach christlicher Anschauung kann man einzig von Satan und seinen höllischen Heerscharen besessen sein, doch diese Vorstellung ist von der Wirklichkeit des haitianischen Voodoo weit entfernt.
Andreas Gößling, Experte für mythologische und kulturgeschichtliche Themen, erklärt das religionspsychologische Phänomen der Besessenheit durch Götter und erzählt in großem Bogen die Geschichte des Voodoo: von den Anfängen im afrikanischen Vodun-Kult über die Versklavung der westafrikanischen Völker und ihre Verschleppung nach Hispaniola, die Entstehung des Voodoo und dessen Funktion bei den großen Sklavenaufständen, die schließlich zur Entmachtung der weißen Kolonialherren und zur unabhängigen Republik Haiti führten. Der Autor stellt die Loas (Götter, Engel, Dämonen) des Voodoo vor, schildert Zeremonien und Rituale des faszinierenden Kults und bietet schließlich eine kurze Einführung in die weiße und schwarze Magie des Voodoo.
Inhalt
Einführung:
Göttliche Reiter auf tanzenden Menschenpferden 8

1 Zwischen Religion und Rebellion:
eine kleine Geschichte des Voodoo 18
Von Dahome nach Hispaniola 19
Zaubern für die Freiheit:
Voodoo als revolutionäre Bewegung 34
Voodooisten auf dem Kaiserthron:
Haiti im 19. Jahrhundert 42

2 Die Götter und Geister des Voodoo 50
Dynastien und Sippen der Loas 52
Sanfte Patriarchen und zornige Krieger:
Rada- und Petro-Loas 53
Legba, Hüter des Schlüssels zur Geisterwelt 58
Schlangengott Damballah und Ayida,
die Göttin des Regenbogens 62
Simbi, Wassergott und Schatten Damballahs 65
Agwé, Patron der Schiffe und Gewässer 67
Ogu, feuriger Loa des Krieges 70
Ezilie, Göttin der Schönheit und Liebe 72
Loco und Ayizan,
oberste Ahnen-Loas und Patrone der Heilkunst 75
Azacca, Loa des Ackerbaus 78
Gèdè, der phallische Totengott 80
Diabs und andere Engelsteufel 87
Marassa, die göttlichen Zwillinge 91
Die Masken der Loas:
Katholizismus als Kulisse des Voodoo 94

3 Priester, Tempel, Rituale: Vielfalt und
Gemeinsamkeit einer Religion ohne Dogma 97
Macht und Berufung der Voodoopriester 98
Die Gehilfen des Hungan 107
Das Anfangsritual 112
Manjé-loas, die Speisung der Geister 115
Dansé-loas, der Tanz der Besessenen 121
Canzo, die rituelle Initiation 127
Mystische Hochzeit mit einem Loa 137
Der Kult um die Toten 140

4 Die Magier des Voodoo 154
Eine kleine Zauberkunde:
Was ist und wie wirkt Magie? 156
»Mit beiden Händen dienen«:
Voodoopriester zwischen Religion und Magie 158
Mit Gris-gris-bag und Makandal: weiße Magie 161
Bokor, Baka, Zombie: schwarze Magie 179

Anhang 195
Glossar 195
Literaturhinweise 200
Nachwort zur überarbeiteten Neuausgabe 201
Andreas Gößling, geboren 1958 in Gelnhausen.

Der promovierte Literatur- und Kommunikationswissenschafter beschäftigt sich seit vielen Jahren mit kultur- und mythengeschichtlichen Themen. Neben Romanen für erwachsene und junge Leser hat er zahlreiche Sachbücher publiziert und Forschungsreisen unter anderem im karibischen und südostasiatischen Raum unternommen. Andreas Gößling lebt mit seiner Frau, der Autorin und Sprachdozentin Anne Löhr-Gößling, bei Berlin.

Weitere Infos: www.andreas-goessling.de
Sehnsucht nach Guinea: die Götterwelt des Voodoo

Die Gräuelbilder vom meuchelmörderischen und sogar kannibalistischen Voodookult sind weit älter als die heutigen Zombies aus Zelluloid. Seiner Herkunft nach ist der haitianische Voodooismus eine Sklavenreligion, gefügt aus kulturellen Trümmern, aus bruchstückhafter Erinnerung an Götter, Gebete und Rituale, die mit den Sklaven aus Dahome, Kongo oder Nigeria in die Neue Welt verschleppt worden waren.
Die erste Schiffsladung Sklaven traf bereits Anfang des 16. Jahrhunderts an der Küste Haitis ein – wenige Jahre, nachdem Kolumbus Amerika »entdeckt« hatte. Nahezu industrielle Ausmaße aber nahm die Verschleppung der Afrikaner ab der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts an. Der offizielle Vorwand für dieses hunderttausendfache Unrecht lautete, dass man die Sklaven zum Christentum bekehren und mit den Segnungen der weißen Zivilisation vertraut machen müsse. Die Wirklichkeit jedoch sah anders aus: In Massentaufen wurden die Schwarzen von katholischen Priestern flüchtig mit Weihwasser besprengt und anschließend auf Zuckerplantagen und in die Goldminen getrieben. Dort kamen sie zu Zehntausenden unter der Peitsche zu Tode oder starben an Hunger, Elend, Krankheit, Unterernährung – glücklicherweise aber mit der Aussicht auf ein ewiges Leben im Jenseits des weißen Mannes.
Mit der organisierten Gewalt gegen die schwarzen Sklaven wuchs jedoch auch die Angst ihrer Peiniger vor der Rache der Entrechteten. Um ihr Gewissen zu beschwichtigen, verteufelten die christlichen Herren ihre »heidnischen« Opfer als Satansbrut, die keine bessere Behandlung verdient habe. So entstanden die ersten abergläubischen Legenden und von Hysterie genährten Gerüchte um teuflische Praktiken der Voodooisten, die beispielsweise weiße Kinder entführten und den gesottenen Leichnam rituell verzehrten.
Währenddessen versuchten die Priester und Adligen, die in beträchtlicher Zahl aus den afrikanischen Königreichen verschleppt worden waren, aus den überlieferten Bruchstücken einen religiösen Ritus zu fügen, der Bedürfnissen und Gewohnheiten aller bunt zusammengewürfelten Volksgruppen entsprach. Weit bedeutsamer als kulturelle Unterschiede in der Bezeichnung, Anrufung oder Verehrung einzelner Götter war das allen gemeinsame überwältigende Gefühl der Entwurzelung und des Verlustes. Das Paradies des Voodoo, die Sphäre der Götter, Engel und unsterblichen Ahnen, wohin jede Seele nach dem Tod zurückkehrt, ähnelt daher weder dem christlichen Jenseits noch der Hölle Satans, dem die Voodooisten angeblich huldigten. Seine Urbilder sind vielmehr die verlorene Heimat der Verschleppten, bald schon mythisch entrückte afrikanische Königreiche namens »Dahome« oder »Guinée«.

Die Insel unter dem Meer

Im folgenden Kapitel komme ich noch ausführlich auf die Geschichte des haitianischen Voodoo zu sprechen – einschließlich seiner Abgrenzung von den autochthonen Vodunkulten im heutigen Benin wie auch von den afroamerikanischen Rudimenten des Voodoo, die etwa in der Gegend von New Orleans unter dem Namen Hoodoo bekannt sind. An dieser Stelle geht es vor allem um eine erste Annäherung an das Jenseitskonzept des haitianischen Voodooismus und die Beziehungen zwischen den Welten, wie diese Religion sie lehrt und in ihren Riten umzusetzen sucht.
Das mythische »Dahome« oder »Guinée« des Voodoo, Gegenstand ritualisierter Anrufungen während der Zeremonien, hat sich von den realen afrikanischen Landschaften namens Guinea oder Dahome (im heutigen Benin) vollständig abgelöst. Gewiss trifft es zu, dass etliche der wichtigsten Gottheiten des Voodoo ursprünglich aus einstigen Königreichen Afrikas stammen, aus denen sie gleichsam in den Köpfen der Versklavten mit verschleppt wurden. Aber im Verlauf der Jahrhunderte haben auch sie sich, ebenso wie Kultur und Menschen Haitis, so sehr gewandelt, dass die Unterschiede heute in mancherlei Hinsicht schwerer wiegen als verbliebene Gemeinsamkeiten mit den alten afrikanischen Stammesgöttern. Wenn also im Voodooismus heute erklärt wird, dass »Dahome« oder »Guinée« die Heimat der Götter und Geister sei, so ist selbstverständlich allen Beteiligten klar, dass nicht das wirkliche Afrika gemeint ist. Vielmehr beziehen sich diese Anrufungen auf eine mythische Unterwasserwelt, zu der die Voodooisten durch rituelle Praktiken in Kontakt treten.

Auftritt der Götter

Im Zentrum dieser Riten steht die Besessenheit: Die angerufene Gottheit taucht aus der Unterwelt empor und manifestiert sich in der Menschenwelt, indem sie sich in einem Ritualteilnehmer verkörpert. Bevor wir uns diesem – für westliche Beobachter – spektakulärsten Teil des Ritus zuwenden, gilt es zu klären, wie genau Voodooisten sich die Kontaktaufnahme zwischen Menschen- und Geisterwelt und den Übertritt der angerufenen Gottheit in unsere Welt vorstellen.
Die Gottheiten und Geister selbst, sofern sie nicht provisorisch einen Menschen in Besitz nehmen, sind unsichtbar. Als Gesamtheit nennt man sie daher auch »les Invisibles«, ein Begriff, der von den höchsten Göttern bis zu den geringsten Geistern alle unverkörperten Wesen umschließt. Ihre Welt ist uns verborgen, für unsere Sinne nicht fassbar, und doch wissen wir, dass sie vorhanden ist, ja dass unsere Menschenwelt ohne die Sphäre der unsichtbaren Geister nicht bestünde.
Dieses Paradox löst sich für die Voodooisten im Symbol des »tiefen Spiegels« auf, einem Spiegel, dessen Oberfläche das Bild des Betrachters zurückwirft, darunter jedoch eine zweite, unendliche Welt verbirgt. Das Urbild dieses Spiegels wiederum, seiner Tiefe ebenso wie der das Auge narrenden Oberfläche, ist das Wasser, der Spiegel des Meeres: Wie so viele Mythen stellt auch die Kosmologie des Voodoo die Menschenwelt als auf dem Wasser schwimmende Insel vor. Darunter, senkrecht abwärts in unauslotbarer Tiefe, befindet sich das sagenhafte »Guinée« oder »Dahome«, die Welt der Invisibles, der Götter, Engel und verewigten Ahnen.
In der Bildlogik des Voodoo berühren sich diese beiden Welten nur an einem einzigen Punkt, dargestellt als Schnittpunkt im Zentrum eines aufrecht stehenden gleichschenkligen Kreuzes: Der horizontale Balken repräsentiert die Welt der Sterblichen, der vertikale steht für die Achse, die in unvorstellbare Tiefe reicht, bis hinüber in die jenseitige Welt.
Diese symbolische Bedeutung erklärt, weshalb dem Kreuzzeichen in jedem Voodooritual eine zentrale Rolle zukommt: Zur Anrufung der Gottheit, deren Erscheinen man erbittet, zeichnet der Hungan, der Voodoopriester, das Vèvè des betreffenden Invisible auf den Boden – das Symbolzeichen der Gottheit, dessen Grundgerüst stets aus jenem Achsenkreuz besteht. Auch das zentrale Requisit jedes Voodootempels, der Mittelpfosten oder »Poteau-mitan«, stellt nichts anderes als jene vertikale Achse dar, die den Tunnel zur Götter- und Geisterwelt bildet. In den weiß- und schwarzmagischen Praktiken im Umkreis des Voodookultes spielt dieses Diesseits-Jenseits-Konzept desgleichen eine herausragende Rolle: Um gewisse magische Wirkungen zu erreichen, legen die Zauberer präparierte Gegenstände auf Wegkreuzungen ab (siehe Kapitel 4).
Wenn jedoch immer wieder angeführt wird, die Bedeutung des Kreuzes im Voodoo beweise, dass dieser Kult dem Christentum zuinnerst eng verwandt sei, so beruht diese Annahme schlicht auf einer Mystifikation: Ikonografisch haben das Kreuz der Christen und das gleichschenklige Kreuz der Voodooisten wenig miteinander zu tun. Als Anhänger eines Kultes, der jahrhundertelang von den weißen Herren unterdrückt wurde, hatten die Voodooisten allerdings wenig Veranlassung, ihre Verfolger über diesen Irrtum aufzuklären.

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