image

Nachbarschaft – was gilt im Konfliktfall?

MATHIAS BIRRER

Nachbarschaft –
was gilt im Konfliktfall?

Rechtliche Informationen und Tipps für
einvernehmliche Lösungen

image

Dank
Der Autor dankt Dr. Davide Pinelli und allen anderen, die ihn bei der Erarbeitung dieses Ratgebers unterstützt haben.

Beobachter-Edition

© 2017 Ringier Axel Springer Schweiz AG, Zürich

Alle Rechte vorbehalten

www.beobachter.ch

Herausgeber: Der Schweizerische Beobachter, Zürich

Lektorat: Käthi Zeugin, Zürich

Illustration: illumueller

Reihenkonzept: buchundgrafik.ch

Umschlaggestaltung und Satz: Jacqueline Roth, Zürich

e-Book: mbassador GmbH, Luzern

ISBN 978-3-03875-030-7

image

Zufrieden mit den Beobachter-Ratgebern? Bewerten Sie unsere Ratgeber-Bücher im Shop:

www.beobachter.ch/shop

Mit dem Beobachter online in Kontakt:

image www.facebook.com/beobachtermagazin

image www.twitter.com/BeobachterRat

Inhalt

Vorwort

Einleitung: die Eckpunkte des Nachbarrechts

image Worüber Nachbarn streiten

Störfaktor Garten

Die Pflanze auf Nachbars Boden

Pflanzen auf der Grenze

Wenn das Nachbargrundstück zum Wald wird

Störfaktor Tier

Bellen, kreischen, stinken – wenn Haustiere stören

Nutztiere

Störfaktor Mensch und Gesellschaft

Lärm ist nicht gleich Lärm

Grillqualm und andere Geruchsbelästigungen

Weitere Immissionen

Nachbarschaft und Bauen

Das öffentliche Baurecht – eine Kurzübersicht

Regeln für die Erschliessung

Der richtige Abstand

Wenn immissionsträchtige Technik droht

Störungen beim Bauen

Uneinigkeiten nach dem Bau

So wehren Sie sich, wenn eine Baunorm verletzt wird

image Nachbarrecht im Mehrfamilienhaus

Nachbarrecht für Stockwerkeigentümer

Die Organisation der Gemeinschaft

Streit innerhalb der Gemeinschaft

So finden Sie eine Lösung des Streits

Streit mit Nachbarn ausserhalb der Gemeinschaft

Nachbarrecht für Mieter und Mieterinnen

Ihre Rechte als Mieter oder Mieterin

Ihre Rechte als Nachbar oder Nachbarin

Streit vermeiden – aber wie?

image Konflikte bereinigen – mit und ohne Gericht

Streit beilegen ohne Gericht

Ruhig Blut verhindert Streit

Ein Gespräch bei passender Gelegenheit

Wenn das Gespräch nicht fruchtet: Mediation und andere Möglichkeiten

Wenn die Behörde oder das Gericht entscheiden muss

Die nachbarrechtliche Klage im ZGB

Die Eigentumsfreiheitsklage im ZGB

Die Klage aus Besitzesstörung im ZGB

Rechtsbehelfe des öffentlichen Rechts

Tätlichkeit, Ehrverletzung und Co. – Strafrecht für Nachbarn

image Etwas genauer, bitte – der juristische Hintergrund

Öffentliches und privates Recht

Rechtsetzung und Zuständigkeiten

Öffentliches Nachbarrecht

Privatrechtliches Nachbarrecht

Zusammenspiel von öffentlichem und privatem Recht

Das Wichtigste zum Sachenrecht

Bewegliche und unbewegliche Sachen

Besitz und Eigentum

Obligatorische und dingliche Rechte an Sachen

Die Immission und deren Übermässigkeit

Wer darf sich wehren?

Verschiedene Arten von Immissionen

Wann ist eine Immission übermässig?

So wehren Sie sich gegen übermässige Immissionen

Die verschiedenen Gerichtsverfahren

Das vereinfachte zivilrechtliche Verfahren

Das summarische Verfahren

Das verwaltungsrechtliche Verfahren

Das Baubewilligungsverfahren im Besonderen

Das Enteignungsverfahren – wenn es um öffentliche Zwecke geht

image Anhang

Die wichtigsten Fachbegriffe

Ausgewählte Gesetzesbestimmungen für Nachbarn

Nützliche Links und Adressen

Literatur

Stichwortverzeichnis

image

Vorwort

Es kann der Frömmste nicht in Frieden leben, wenn es dem bösen Nachbarn nicht gefällt. Doch was darf sich der Mitmensch auf der anderen Seite des Zaunes alles erlauben? Und wie setzt man sich nötigenfalls zur Wehr? Auseinandersetzungen unter Nachbarn sind oft schwierig zu lösen, gerade weil das Schweizer Recht kein eigentliches Nachbarrecht kennt und die wichtigen gesetzlichen Leitplanken im Zivilgesetzbuch, in kantonalen Baugesetzen und anderen Reglementen verstreut sind.

Dieser Ratgeber greift die gängigsten Probleme zwischen Nachbarn auf und beschreibt die Lösungen, die schliesslich die Gerichte gefunden haben. Doch längst nicht immer ist der juristische Weg der beste. Nachbarn, die ihren Konflikt vor Gericht austragen, bleiben in der Regel benachbart und müssen auch nach dem Gang durch einen langwierigen Prozess einen alltäglichen Umgang miteinander finden. Grund genug, in diesem Buch nicht bei den juristischen Aspekten stehen zu bleiben. Der Ratgeber vermittelt Ihnen nicht nur das nötige Wissen über die rechtlichen Spielregeln rund um die Nachbarschaft, sondern hilft Ihnen auch dabei, Lösungen ausserhalb des Gerichtssaals zu finden.

Ich wünsche Ihnen beim Lesen der Geschichten aus der facettenreichen Welt des Nachbarrechts viel Spass und einige Aha-Erlebnisse!

Mathias Birrer

Mai 2017

Einleitung: die Eckpunkte des Nachbarrechts

Von Konflikten unter Nachbarn lesen und hören Sie praktisch täglich. Das können lustige, berührende, aber auch tragische Geschichten sein – etwa die Streiterei zwischen zwei Nachbarn, die für die eine Seite tödlich endete. Und trotzdem: Ein eigenes Gesetz, das das Zusammenleben unter Nachbarn regelt, finden Sie in der Schweiz nicht.

Bevor Sie anhand von konkreten Fallbeispielen das Nachbarrecht in seiner ganzen Breite näher kennenlernen, erhalten Sie hier einen kurzen Überblick über die wichtigsten nachbarrechtlichen Begriffe und Grundsätze. Wollen Sie alles etwas detaillierter wissen, finden Sie im vierten Kapitel und im Glossar weiterführende Informationen.

Öffentliches Recht und Privatrecht, Bundesrecht und kantonales Recht

Wie gesagt – ein einheitliches Nachbarrecht gibt es in der Schweiz nicht. Die für die Beziehung zu Ihrem Nachbarn, Ihrer Nachbarin wesentlichen Vorschriften finden Sie vielmehr in einer Vielzahl von privat- und öffentlich-rechtlichen Einzelgesetzen, die zum Teil vom Bund und zum Teil von den Kantonen oder den Gemeinden erlassen wurden. Bei dieser Gesetzeslage kommt es schnell einmal zu kantonalen oder kommunalen Unterschieden – das wird Sie kaum überraschen. Die folgende Zusammenfassung vereinfacht die Navigation in dieser recht verworrenen Gesetzeslage:

image

Das öffentliche Recht regelt die Beziehung der Bürgerinnen und Bürger zum Staat, das Privatrecht die Beziehungen der Bürger untereinander. Die für das Nachbarrecht wesentlichen Bestimmungen finden Sie sowohl im Privat- als auch im öffentlichen Recht.

Die Bestimmungen zum Privatrecht sind im Bereich des Nachbarrechts meist bundesrechtlicher Natur und finden sich im Schweizerischen Zivilgesetzbuch (ZGB). Eine Ausnahme bilden die Einführungsgesetze zum ZGB, von denen jeder Kanton eines erlassen hat. Hier finden sich zum Beispiel Regelungen zu Grenzabständen für Pflanzen und Einfriedungen, zu zulässigen Höhen von Pflanzen und Ähnliches. In dieser Hinsicht gibt es also Unterschiede von Kanton zu Kanton.

Im öffentlichen Recht haben vor allem die kantonalen und kommunalen Gesetzesvorschriften Einfluss auf Ihre Rechte gegenüber dem Nachbarn. Das Eidgenössische Raumplanungsgesetz regelt nur die Grundsätze der Bebauung der Schweiz. Die konkreten Vorschriften für Ihren Neu- oder Umbau müssen Sie den kantonalen Baugesetzen und den kommunalen Bauordnungen entnehmen. Denn auch aus dem öffentlichen Recht können Sie Ansprüche für sich ableiten. Etwa, dass der Nachbar nicht höher bauen darf, als es die Bauordnung vorgibt

Was heisst «Nachbar»?

Unter einem Nachbarn versteht der Gesetzgeber nicht nur den direkt an Ihr Grundstück angrenzenden Eigentümer. Alle Personen, die ein Grundstück oder eine Wohnung in Ihrem Umfeld so nutzen, dass daraus Auswirkungen auf Ihr Zuhause entstehen, sind im Sinn des Gesetzes Ihre Nachbarn. Also zum Beispiel auch der Bund, der in der Nähe Ihres Hauses eine Autobahn bauen will.

Der Begriff Nachbar knüpft zudem nicht am Eigentum an. Auch Besitzer – also Personen, die eine Sache nur fest und dauerhaft innehaben, ohne sie ihr Eigentum nennen zu können – sind Ihre Nachbarn, etwa der Mieter der Nachbarwohnung oder die Mieterin, die zwar zwei Häuserzeilen entfernt wohnt, Sie aber immer pünktlich um 6.00 Uhr morgens mit ihren Trompetenklängen aus dem Schlaf reisst.

Zentraler Begriff: Immissionen

Immissionen sind wohl der häufigste Zankapfel unter Nachbarn. Unter einer Immission versteht das ZGB jede von einem benachbarten Grundstück ausgehende, sich bei Ihnen bemerkbar machende Einwirkung. Eine Immission kann also Lärm oder Gestank sein, aber auch der Entzug von Licht sowie Blätter, die vom Grundstück Ihres Nachbarn herübergeweht werden, und vieles mehr.

Gegen eine Immission können Sie sich nur wehren, wenn sie übermässig ist. Das ist die Immission dann, wenn sie über das hinausgeht, was auch eine durchschnittliche Drittperson am konkreten Ort für unakzeptabel halten würde.

In vielen Fällen definiert heute das öffentliche Recht, was zu- beziehungsweise unzulässig ist. Solange die im öffentlichen Recht definierten Grenzwerte eingehalten werden, liegt in aller Regel keine übermässige Immission vor. Überschreiten beispielsweise die durch den Rückkühler verursachten Geräusche des benachbarten Spitalbaus die Lärmschutzwerte nicht und lässt sich dieser Rückkühler auch vernünftigerweise nicht so platzieren, dass Sie weniger gestört werden, können Sie sich dagegen mit dem ZGB nicht zur Wehr setzen.

Direkte Einwirkungen

Im Gegensatz zu einer Immission führt eine direkte Einwirkung immer zu einem unmittelbaren Bezug zwischen Ihrem Grundstück und demjenigen Ihres Nachbarn. Eine solche direkte Einwirkung ist zum Beispiel eine vom Nachbargrundstück zu Ihnen herüberwachsende Wurzel. Die Abgrenzung zu den Immissionen ist deshalb von Bedeutung, weil für direkte Einwirkungen andere Rechtsgrundsätze gelten.

Obligatorische und dingliche Rechte

Diesen beiden Begriffen begegnen Sie immer wieder, sobald von Grundstücken die Rede ist:

Dingliche Rechte regeln die Beziehungen zwischen Sachen oder zwischen einer Sache und einer Person. Dabei handelt es sich um absolute Rechte, das heisst um Rechte, die gegenüber jedermann gelten.

Obligatorische – oder vertragliche – Rechte sind demgegenüber Rechte, die nur zwischen denjenigen Personen gelten, die sie zwischen sich vereinbart haben.

Das im Nachbarschaftsrecht wohl wichtigste dingliche Recht ist die Grunddienstbarkeit. Mit ihr wird einem Grundstück ein Recht zulasten eines anderen Grundstücks eingeräumt – zum Beispiel ein Näherbaurecht. Der Eigentümer des belasteten Grundstücks ist verpflichtet, dem Eigentümer des berechtigten Grundstücks dieses Recht zu gewähren. Ist Ihr Grundstück also mit einem Näherbaurecht belastet, müssen Sie Ihrem Nachbarn unabhängig von seiner Person das Recht gewähren, näher als gesetzlich vorgesehen an Ihre Grenze zu bauen. Weil die Grunddienstbarkeit mit dem Grundstück verbunden ist, erwerben Sie die Pflicht, das Recht zu dulden, mit dem Kauf des Grundstücks. Welches Grundstück mit welchem Recht belastet oder begünstigt ist, können Sie dem Grundbuch entnehmen. Darin sind alle dinglichen Rechte verzeichnet.

image

image

Worüber Nachbarn streiten

Die Ursachen für Streit und Uneinigkeit zwischen Nachbarn sind so vielfältig wie das Leben. Kaum etwas, das nicht zum Konflikt führen könnte. Die folgende, in Kategorien gegliederte Zusammenstellung von realen Fällen verschafft Ihnen einen Überblick. Und die in kurzen Worten wiedergegebene Rechtsprechung vermittelt Ihnen ein Gefühl dafür, wie die Gerichte in Ihrer eigenen Situation entscheiden könnten.

Störfaktor Garten

Nichts ist schöner als die wohlverdiente Ruhe im eigenen gepflegten Garten – wenn da nur der Nachbar nicht wäre. Seine Pflanzen lässt er wuchern, die Bäume in den Himmel wachsen und das Unkraut grassiert in übelster Weise. Pflanzen sind einer der häufigsten Streitpunkte zwischen Nachbarn. Was für den einen eine schöne Naturwiese darstellt, ist für die andere Wildwuchs und die pure Bedrohung für ihren englischen Rasen.

Was man darf und was man zu unterlassen hat und wie man sich wehren kann, wenns dann mit der Garten- oder Balkonbepflanzung doch einmal zu weit geht, damit beschäftigen sich die folgenden Seiten. Weil die Möglichkeiten insbesondere auch davon abhängen, wo eine Pflanze steht, orientiert sich die Darstellung an den Standorten der Störenfriede.

image ACHTUNG Auch wenn es sich bei den folgenden Urteilen um «typische Fälle» handelt, dürfen Sie diese nicht eins zu eins auf Ihre eigene Situation übertragen. Zu gross ist die Rolle, die die konkreten Details jedes einzelnen Falls bei der rechtlichen Beurteilung spielen. Hinzu kommt, dass es für Pflanzen viele kantonale Bestimmungen gibt. Und schliesslich haben die Gerichte einen grossen Ermessensspielraum. Welche vermeintliche Kleinigkeit in Ihrem Fall ausschlaggebend sein könnte, erkennt oft nur der Spezialist. Bevor Sie einen grossen Nachbarschaftsstreit vom Zaun reissen – und besonders vor dem Gang zum Gericht –, sollten Sie sich umfassend beraten lassen: beim Hauseigentümerverband, beim Hausverein, beim Schweizer Stockwerkeigentümerverband, beim Mieterinnen- und Mieterverband oder bei einer auf Nachbarrecht spezialisierten Anwältin (Adressen und Links im Anhang).

Die Pflanze auf Nachbars Boden

Selbst wenn eine Pflanze vollständig auf dem Boden Ihres Nachbarn wächst, kann sie für Sie zum grossen Ärgernis werden: Die vom Baum fallenden Früchte, Nadeln und Blätter verschmutzen Ihr Grundstück, der Baum selbst reckt seine Äste in Ihre Aussicht. Die Wurzeln des nachbarlichen Edelgewächses bringen zudem Ihre Gartenplatten in Unordnung und bedrohen Ihre Aussenwände. Wie können Sie sich wehren, wenn der liebe Nachbar kein Einsehen hat?

Laub, Nadeln, Früchte, Blüten und andere Unliebsamkeiten

Wenn Nachbarn über zu viel Laub und andere Beeinträchtigungen durch Pflanzen streiten, geht es um sogenannte Immissionen. Was dabei erlaubt ist und was nicht, regelt Artikel 684 ZGB.

image DAS HAUS AM PARK: André und Ursula E. bewohnen ein schönes Einfamilienhaus in einer ansprechenden, locker bebauten Umgebung. Nachbar Theo G. hat auf seinem Grundstück einen richtigen Park angelegt mit entsprechend hohen und mächtigen Lindenbäumen. Von diesen Lindenbäumen verfrachtet der Wind regelmässig Laub und Äste auf das Grundstück der Eheleute E., was diesen zunehmend missfällt. Weil sich Nachbar G. weigert, etwas gegen die Beeinträchtigung zu unternehmen, klagen die E.s gegen ihn. Sie verlangen, Herr G. habe so viele Linden entlang der Grenze zu entfernen, dass jede übermässige Beeinträchtigung ihrer Liegenschaft durch Laub, Äste und dergleichen unterbleibe.

Das Aargauer Obergericht weist die Klage ab. Es stellt fest, dass die durch das Laub und die Äste der Lindenbäume verursachten Immissionen zu dulden sind, weil sie dem Ortsgebrauch und der Zonenlage entsprechen und weil die Äste und das Laub dem Ehepaar E. keine Schäden verursachen. Herr und Frau E. müssen daher die durch die Linden verursachten Immissionen dulden, auch wenn sie sie als lästig empfinden (nach AGVE 1988 Nr. 4).

image DIE NADELN DER LIBANONZEDERN: Auf dem Grundstück von Sandra H. wachsen zwei Libanonzedern. Sie stehen in einem Abstand von fünf beziehungsweise acht Metern von der Grenze zum Grundstück von Marco D. Die Äste der Libanonzedern überwachsen die Grenze massiv und überdecken das Dach des Hauses von Herrn D. fast vollständig. Das ganze Jahr hindurch fallen zudem die Nadeln auf sein Grundstück, sodass der von den Zedern überdeckte Landstreifen kahl bleibt. Die harten, ledrigen Nadeln verstopfen zudem regelmässig die Dachrinnen und das Wasserabflussrohr von Herrn D. Als er Frau H. bittet, etwas gegen den massiven Nadelfall zu unternehmen, lehnt sie das mit der Begründung ab, in ihrem Wohnquartier sei ein solcher Nadelanfall normal. Weil auch alle anderen Vorstösse nichts nützen, klagt Marco D. schliesslich gegen seine Nachbarin – und bekommt recht.

Das Gericht verpflichtet Frau H., die Zedern zu fällen, falls sie die Immissionen auf das Grundstück von Herrn D. nicht in anderer Weise verhindern kann. Ein derart massiver Anfall von Zedernnadeln in einem Quartier mit städtischem Charakter ist nach Ansicht des Gerichts nicht ortskonform. Auch eine objektive Drittperson empfinde diesen Anfall als übermässig. Die Eigentümerin der Zedern behauptet zwar, in ihrem konkreten Wohnquartier würden Beeinträchtigungen, wie sie der Nadelanfall ihrer beiden Bäume verursache, als ortsüblich und nicht übermässig empfunden. Doch sie kann ihre Behauptung nicht beweisen. Das Gericht stuft die Immission deshalb als übermässig ein (nach SJZ 58 [1962] Nr. 166).

image Fallen grössere Mengen von Laub, Nadeln, Blüten, kleinen Ästen, Tannenzapfen, Früchten, Samen sowie tropfendes Harz auf Ihr Grundstück und verursachen Ihnen mehr Arbeit, müssen Sie das grundsätzlich dulden. Erst wenn ein solcher Anfall von Pflanzenbestandteilen das am Ort übliche Mass überschreitet oder wenn die Immissionen tatsächlich einen Schaden verursachen, kann Ihr Nachbar verpflichtet werden, Abhilfe zu schaffen. Artikel 684 ZGB verpflichtet Nachbarn nur, übermässige Immissionen auf umliegende Grundstück zu unterlassen. Alles nicht Übermässige ist zulässig.

Wenn Äste und Wurzeln über die Grenze wachsen – das Kapprecht

Das in Artikel 687 ZGB geregelte Kapprecht ermöglicht es einer geplagten Nachbarin, herüberragende Äste und Wurzeln abzuschneiden (zu kappen). Damit das Kapprecht aber nicht missbräuchlich gehandhabt wird und Pflanzen nicht willkürlich geschädigt werden, hat es der Gesetzgeber an mehrere Bedingungen geknüpft.

image DIE SCHWARZFÖHRE: Bernhard und Esther W. stören sich seit Jahren an der Schwarzföhre ihres Nachbarn, Ingo S. Deren Äste ragen nämlich vier bis fünf Meter über die Grenze. Alle ihre Bemühungen, Herrn S. zum Zurückschneiden der Äste zu bewegen, fruchten nicht. Schliesslich beschliessen die geplagten Eheleute, das Problem selbst in die Hand zu nehmen. Sie warten die Abwesenheit des Nachbarn ab und schneiden in dunkler Nacht alle auf ihr Grundstück herüberragenden Äste der Schwarzföhre bis zur Grundstücksgrenze zurück. Als Ingo S. von seinem Urlaub zurückkommt, trifft ihn fast der Schlag: Seine seit Jahren gehegte und gepflegte Schwarzföhre steht einseitig kahl in der Abendsonne. Er klagt gegen die Eheleute W. und bekommt recht.

Herr und Frau W. argumentieren, sie hätten nicht eigenmächtig gehandelt, wie das Herr S. behaupte, sondern bloss das ihnen zustehende Kapprecht in Anspruch genommen. Doch diese Ansicht teilt das zuständige Gericht nicht. Es bejaht zwar, dass den Eheleuten W. grundsätzlich ein Kapprecht zustehe. Sie hätten dieses Recht aber nicht ohne Androhung und ohne Fristansetzung für den Nachbarn in Anspruch nehmen dürfen, zumal nicht sichergestellt sei, dass die Schwarzföhre durch die radikale Schnittart keinen nachhaltigen Schaden erlitten habe (nach Urteil des Bundesgerichts 6S.545/2001 vom 27.11.2001).

image Kappen dürfen Sie nur Pflanzen, die vollständig auf dem Boden des Nachbarn stehen. Grenzpflanzen (siehe Seite 26) oder Topfpflanzen dürfen Sie nicht kappen. Zudem dürfen Sie nur Pflanzenteile kappen, die Sie – objektiv betrachtet – erheblich beeinträchtigen. Es gilt also dasselbe wie für Immissionen.

image

Schliesslich müssen Sie Ihren Nachbarn zunächst auffordern, die störenden Pflanzenteile selbst zurückzuschneiden. Erst wenn er Ihrer Aufforderung innerhalb vernünftiger Frist nicht nachkommt, dürfen Sie zur Säge greifen. Die Frist muss dabei so bemessen sein, dass der Nachbar genügend Zeit hat, sich selber einen Überblick über die Sachlage zu verschaffen und den Rückschnitt zu organisieren. Allenfalls müssen Sie auch auf die Jahreszeit Rücksicht nehmen, denn dem Nachbar muss es möglich sein, die Pflanze in einer Vegetationszeit zu schneiden, in der sie durch den Rückschnitt nicht Schaden nimmt. Muss eine grössere Pflanze zurückgeschnitten werden, benötigen Sie zudem eventuell eine Fällbewilligung der Behörde. Was als «grösser» gilt, ist kommunal geregelt.

image INFO Das Kapprecht darf nur vom Grundeigentümer sowie von anderen dinglich berechtigten Personen, zum Beispiel von einem Baurechtsnehmer, in Anspruch genommen werden, nicht aber von Mietern und Pächterinnen. Einige Kantone haben das Kapprecht in ihrem Einführungsgesetz zum ZGB zudem ganz oder teilweise ausgeschlossen.

image

Das Anriesrecht

Tragen Äste, die über die Grenze wachsen, Früchte, gehören diese Früchte Ihnen. Als Frucht gilt alles, was nach dem allgemeinen Sprachgebrauch und nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten unter Frucht zu verstehen ist: Kern- und Steinobst, Edelkastanien, Nüsse, Hagebutten sowie Beeren, aber auch Blüten, beispielsweise Lindenblüten. Sie dürfen die Früchte, die über Ihrem Land hängen, pflücken oder – wenn sie schon abgefallen sind – einsammeln. Mit der Trennung der Früchte von der Pflanze beziehungsweise dem Einsammeln der auf Ihrem Grundstück liegenden Früchte, erwerben Sie das Eigentum daran (Art. 687 ZGB).

Wenn Unkraut und Schädlinge die Grenze missachten

Was für den einen als Unkraut gilt, ist für den anderen eine Heilpflanze. Und die Grundlage für eine diversifizierte Tierwelt des einen ist für denanderen nichts als ein Nährboden für Schädlinge. Was gilt, wenn sich Nachbarn über die Gartenpflege streiten?

image GELIEBTE ROSEN: Peter B. liebt seine Rosen über alles. Wenn nur das Jäten nicht wäre und Rosen nicht so anfällig auf Blattläuse und Krankheiten wären. Auch Nachbar H. pflegt seinen Garten gern und intensiv. Nur hat er es etwas mehr mit der Natur. Was im Garten wächst und nicht gerade eine fremde, eingeschleppte, die schweizerische Botanik bedrohende Pflanzenart ist, lässt er gedeihen. Chemie kommt ihm nicht in den Garten, allein schon wegen seiner Katzen. Über diese Haltung ärgert sich Herr B. sehr. Wenn der H. nicht so nachlässig wäre und seinem Garten etwas Sorge tragen würde, wären die Rosen nicht jedes Jahr vom Bärlauch umwuchert, und auch die Blattläuse kämen ihnen nicht so oft zu nahe. Aber nicht nur nachlässig ist der H., sondern auch renitent, denkt Peter B., als ein weiteres Gespräch über den Gartenzaun bei Herrn H. keine Einsicht bewirkt. Er beschliesst daher, dem Nachbarn mittels Gericht auf die Sprünge zu helfen. 18 Monate später und um einige Tausend Franken leichter, muss Peter B. erkennen, dass Herrn H. auch auf diesem Weg nicht bei-zukommen ist.

Das Bezirksgericht kommt nämlich zum Schluss, dass die Pflege, die Herr H. seinem Garten zukommen lässt, nicht unüblich ist. Und dass die Auswirkungen der Absamungen und des Ungeziefers auf Herrn B.s Garten keine übermässigen Immissionen darstellen und er sie daher dulden muss.

image Erst wenn Ihr Nachbar seinen Garten in einer Weise verkommen lässt, dass der daraus entstehende Anfall von Unkraut oder Schädlingen auch objektiv betrachtet übermässig ist, können Sie dagegen vorgehen. Es dürfte daher nur in den wenigsten Fällen möglich sein, den Nachbarn rechtlich zu verpflichten, seinem Garten die von Ihnen gewünschte Pflege zukommen zu lassen. Zumal es in aller Regel auch schwer fallen dürfte, zu beweisen, dass die störenden Samen oder das Ungeziefer aus dem Nachbarsgarten stammen.

Pflanzen, die Schatten werfen und die Aussicht verdecken

Der Friede im neuen Einfamilienhausquartier am Hang mit Blick auf den See kann bald schon Geschichte sein, wenn ein Eigentümer seine Pflanzen in den Himmel und in die Breite wachsen lässt. Für die Anwohner ist es dann schnell vorbei mit der Sicht auf den See, und der zunehmende Schatten ärgert sie zusätzlich.

image

Je nach Situation können auch der Entzug der Aussicht oder der Schattenwurf von Pflanzen übermässige Immissionen darstellen. Dies selbst dann, wenn die kantonalen Vorschriften zu Grenzabstand und Höhe eingehalten sind und wenn es sich um alte Bäume handelt. Denn die Ansprüche aus dem Immissionsschutz verjähren nicht.

image FICHTEN AM HANG: Das Glück von Gerda V. ist vollkommen. Sie ist stolze Eigentümerin eines wunderschönen Hauses mit einer ebensolchen Aussicht. Zumindest bis Nachbar T. auf seinem Grundstück eine Reihe von Fichten pflanzt. Schon bald ist es für Frau V. vorbei mit dem Blick aufs Dorf im Tal und auf die umliegenden Berge. Alle ihre Bitten, die Fichten zurückzuschneiden, stossen bei Herrn T. auf taube Ohren. Gerda V. gelangt daher ans Gericht – und verliert.

Das Gericht stellt fest, dass die Fichten den vom kantonalen Recht geforderten Grenzabstand einhalten. In der ländlichen Gegend, in der Frau V. lebt, seien solche Fichten zudem nichts Ungewöhnliches. Entlang von Grundstücksgrenzen seien Fichten in Gruppen oder Zeilen häufig anzutreffen, ohne dass dies von einem Nachbarn als Nachteil empfunden werde. Die von Herrn T.s Fichten ausgehende Beeinträchtigung der Aussicht von Frau V. beurteilt das Gericht daher als nicht übermässig und weist die Klage ab (nach KGer GR in PKG 1992 Nr. 5).

image FICHTEN VOR DEM SEE: Reto O. sieht von seinem Wohnzimmer über den ganzen, im Tal liegenden See – bis die Fichtenreihe, die sein Nachbar seinerzeit zu nahe an die Grenze gepflanzt hat, so hoch und dicht gewachsen ist, dass sie seine Aussicht auf den See vollständig verdeckt. Man wähne sich auf Herrn O.s Grundstück – so die Feststellung des angerufenen Gerichts – eher an einem Waldrand als in einem Wohngebiet.

Das Gericht stellt fest, dass die Fichten zwar im Unterabstand zur Grenze von Reto O. stehen, dass aber sein sich daraus ergebender Beseitigungsanspruch längst verjährt ist. Trotzdem muss Herr O. die Fichten aber nicht dulden: Das Gericht stuft den Entzug der Aussicht an dieser Lage als besonders störend ein. Wer in einem solchen Wohngebiet Land erwerbe, müsse sich bewusst sein, dass gerade die Aussicht für die Nachbarn von hoher Priorität sei und ihnen Einschränkungen deshalb nicht leichthin zuzumuten seien. Die Klage von Herrn O. wird daher gutgeheissen und der Nachbar verpflichtet, seine Bäume zurückzuschneiden (nach AbR OW 1998/99 Nr.10).

image Verdecken Ihre Pflanzen dem Nachbarn die Aussicht oder verursachen sie auf seinem Grundstück viel Schatten, kann dieser Entzug oder der Schattenwurf eine übermässige Immission darstellen. Dann müssen Sie die Pflanze entfernen oder zumindest zurückschneiden (so auch im Bundesgerichtsurteil 5A_415/2008 vom 12.3.2008).

Pflanzen auf der Grenze

Für Grenzpflanzen gelten andere Regeln als für Pflanzen, die ganz auf dem einen oder dem anderen Grundstück stehen. Solche Grenzpflanzen stehen im Miteigentum der Nachbarinnen und Nachbarn, und diese bestimmen gemeinsam darüber.

image DIE GRENZ-EICHE: Familie K. ist der Eiche überdrüssig, die in der Ecke ihres Grundstücks steht. Am Abend stiehlt sie ihnen die Sonne, im Herbst deckt sie den Garten mit einer Unmenge Laub ein. Familie K. beschliesst, die Eiche im Rahmen des «Winterschnitts» zu fällen. Gesagt, getan. Leider ohne Rücksprache mit den Nachbarn, wie die K.s zwei Jahre später und um einige Tausend Franken ärmer reumütig feststellen müssen. Die eine Nachbarin klagt nämlich beim Bezirksgericht, und dieses verpflichtet Familie K., anstelle der gefällten Eiche einen stattlichen, neuen Baum zu pflanzen.

Was ist der Grund? Nach Vermessung des übrig gebliebenen Baumstrunks steht fest, dass die Eiche exakt in der Ecke von drei dort aneinandergrenzenden Grundstücken gestanden hat. Der Stamm tritt im Schnittpunkt der drei Grundstücke aus dem Boden. Das Gericht beurteilt die Eiche daher als Grenzpflanze, und diese steht im Miteigentum aller Nachbarn. Familie K. hätte die Eiche nur mit Zustimmung der Miteigentümer fällen dürfen.

image Als Grenzpflanze gilt jede Pflanze, die direkt auf der Grenze steht. Ein Baum ist eine Grenzpflanze, wenn er beim Heraustreten aus dem Boden von der Grenzlinie durchschnitten wird. Sträucher sind als Grenzstrauch zu qualifizieren, wenn die Äste beidseits der Grundstücksgrenze aus dem Boden spriessen. Für Grenzpflanzen wird vermutet, dass sie im Miteigentum derjenigen Grundeigentümer stehen, auf deren Grundstücken sie wachsen (Art. 670 ZGB). Deshalb sind auf sie die Bestimmungen des Immissionsschutzes sowie des Kapp- und Anriesrechts nicht anwendbar. Uneinigkeiten unter den Miteigentümern einer Grenzpflanze müssen nach den Bestimmungen des Miteigentumsrechts gelöst werden. Die Kosten für Grenzpflanzen sind von den Nachbarn im Verhältnis ihres Miteigentumsanteils zu tragen.

image

Die Vermutung, es liege Miteigentum an der Pflanze vor, kann durch jeden Nachbarn wiederlegt werden. Hätte Familie K. beispielsweise beweisen können, dass, als sie die Eiche pflanzten, die Nachbarn dazu ihre Zustimmung gaben und abgemacht wurde, die Eiche gehöre den K.s allein, dann hätten sie den Baum fällen dürfen.

Wenn das Nachbargrundstück
zum Wald wird

Friede mit dem Nachbarn ist Ihnen wichtig und Sie wollen ihn nicht wegen Kleinigkeiten aufs Spiel setzen. Gut so – dennoch sollten Sie nicht leichtfertig auf Ihre Rechte aus dem Immissionsschutz verzichten.

image DER WALD IM NACHBARGARTEN: