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SHADOWRUN:

Für alle Fälle Kincaid

RUSSELL ZIMMERMAN

Pegasus Press

35000G

Übersetzung aus dem Amerikanischen:

Oliver Hoffmann

Redaktion:

Tobias Hamelmann

Umschlagillustration:

Victor Moreno

Umschlaggestaltung und Satz:

Ralf Berszuck

Lektorat und Korrektorat:

Florian Don-Schauen

Umsetzung eBook:

SiMa Design

Die Originalausgabe erschien 2015 unter dem Titel

»Shaken (No Job Too Small)« bei Catalyst Game Labs.

© 2015 Topps, Inc. Alle Rechte vorbehalten.

Shadowrun ist eine eingetragene Marke von Topps, Inc.

in Deutschland und anderen Staaten.

© der deutschen Ausgabe 2017 bei Pegasus Spiele.

Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit vorheriger Genehmigung. Alle Rechte vorbehalten.

ISBN 978-3-95789-098-6

Besuchen Sie uns im Internet: www.pegasus.de

Widmung

Ich hoffe, ihr steht drauf, Paps und Opa.

Danke, dass ihr mich mit Marlowe,

Spade und Hammer bekannt gemacht habt.

Ihr fehlt mir.

Russell

KAPITEL 1

Es regnete nicht, aber das war nur noch eine Frage der Zeit. Ausnahmsweise hatte ich den Kragen nicht aufgestellt, um den matschigen Schnee und das kalte Wasser davon abzuhalten, mir in den Nacken zu laufen, und den Hut nicht tief in die Stirn gezogen, um dem eisigen Pazifikwind zu trotzen.

Es war ein schöner Tag. In Puyallup waren schöne Tage immer vergänglich, und das gute Wetter verschlechterte meine Stimmung nur noch, denn ich musste natürlich arbeiten. Ich hatte jede Menge zu tun. Der strahlende Sonnenschein nutzte nichts, die Straße war und blieb leer. Die Leute hatten Angst.

Die Better-Than-Life-Klitsche, ein von Dealern und Brennern übernommenes Wohngebäude, wartete ein Stück die Straße hinunter auf mich. BTL-Chips, also komplexe Computerprogramme mit falschen Erinnerungen und getürkten Erfahrungen, personalisierte Entertainmentsoftware, die Sicherheitsprotokolle überschrieb, waren ein schlimmes Hobby, aber ein gutes Geschäft. Die betreffende Chiphöhle, die von einem zwielichtigen Klingenschwinger betrieben wurde, der sich Blechmann nannte, weil er einen verchromten Arm und ein verchromtes Bein hatte, war echt heruntergekommen. Der Laden hatte jetzt seit etwa sechs Wochen offen. Blechmann hatte die meisten anständigen Bewohner des Gebäudes verjagt, die Wände und die Bürger, die ihm im Weg standen, mit Vorschlaghämmern bearbeitet und eine Handvoll Wohnungen in seine persönliche kleine Einöde verwandelt. Sie waren teils Aufnahmestudio, teils Programmierzentrale für die Herstellung und Vervielfältigung von Chips und außerdem sicherer Aufenthaltsort für seine Kunden, die Ausgebrannten, die mithilfe dieser Chips der Wirklichkeit entfliehen und eine Meile in den Stiefeln eines anderen gehen wollten, abhängen und sich das Hirn braten.

Die Nutzung von BTL-Chips war gefährlich. Das wusste ich nur zu gut. Ein Chipper schaltete den Rest seines Hirns ab und saß einfach mit weit aufgerissenen, blicklosen Augen da, kostete imaginäres Essen, wirkte imaginäre Zauber, begrapschte imaginäre Frauen und führte ein imaginäres Leben. Man erlebte einen Film, statt ihn zu sehen, und das war halt nicht ungefährlichSüchtige gaben ihr wahres Leben bald auf und lebten rund um die Uhr in ihrer Fantasiewelt. Man konnte sich nicht einfach überall mit Chips wegschießen.

Blechmann war hart und furchteinflößend genug, dass niemand seine Kunden nervte, so lange sie in seinem Laden abhingen.

Na ja, fast niemand.

Vor der Tür stand ein Orkschläger, der nur aus Kunstleder und breiten Schultern zu bestehen schien, keinen nennenswerten Hals und im Kopf außer Buchsen und Gemeinheit nicht viel hatte. An der Wand lehnte in Reichweite eine Schrotflinte, und Blechmann hatte dafür gesorgt, dass die gesamte Nachbarschaft wusste, dass die Doppelläufige mit Explosivgeschossen geladen war; er machte keine halben Sachen und sparte nicht am falschen Ende. Der Straßenschläger war selbst für einen Ork groß und dumm. Die Hauptaufgabe jedes Türstehers war es, furchteinflößender auszusehen als die Tür, die er bewachte.

»Hoi, Chummer«, sagte ich, eine unangezündete Target im Mundwinkel. »Hast du mal Feuer

Natürlich griff er nicht in die Jackentasche, um mir auszuhelfen. So ein Viertel war das hier nicht, und so ein Typ war er nicht. Doch er rollte die Augen, und das war alles, was ich an Chance brauchte.

Ich riss die Linke hoch und traf ihn am warzigen Kinn, dann krachte ein weiter Schwinger meiner Rechten gegen einen gelben Stoßzahn. Eine Fußspitze erwischte ihn zwischen den Beinen, damit der Schmerz nicht nachließ und er das Gleichgewicht verlor, und während ich wieder zurücktrat, legte ich all mein Gewicht und meinen gesamten Schwung in einen weiteren rechten Haken. Er ging zu Boden. Selbst der Dickschädel eines Orks hilft nicht viel gegen einen ordentlichen Schlag, unterstützt von der Wucht der in den Knöchelbereich meiner Glückshandschuhe eingenähten Densi­plastplatten. Deshalb waren es ja Glückshandschuhe.

Ich bückte mich, schnappte mir die alte Schrotflinte, die an der Wand lehnte, und schaute, als ich mich wieder aufrichtete, bewusst direkt in die kleine Überwachungskamera.

»He, BlechiIch klappte die Schrotflinte auf, schaute nach, ob sie geladen war, und schloss sie aus dem Handgelenk wieder. »Was habe ich dir gesagt

Ich wusste, dass Blechmann und seine chipsüchtigen Kumpane in diesem Augenblick ein paar Räume weiter von ihrem Sicherheitsmann angebrüllt wurden. Sie würden alle durcheinander rennen, nach Waffen greifen, herumschreien und viel fluchen. Ich wusste, dass sie mich erkennen würden. Blechmann und seine Jungs glaubten, sie seien hinter dieser Tür in Sicherheit oder sie würde ihnen zumindest Zeit erkaufen.

Mir war auch bekannt, dass es sich immerhin um eine Sicherheitstür aus der Gatehouse-9-Serie mit aufgemotztem Dra­chen­hort-Magschloss samt Daumenabdruckscanner und RFID-Chipsensoren handelte. Ich wusste, sie konnten die Tür von innen per Knopfdruck öffnen, ebenso wie der Ork-Türsteher, aber nur, wenn der Biomonitorein ordentliches Modell, das selbst neben meiner extrem guten Corpsman-Headware nicht total abstankstabile Lebenszeichen empfing. Blechmann war sich besonders schlau vorgekommen, als er sie installiert, viel Geld hineingesteckt, die gesamte Nachbarschaft darüber ins Bild gesetzt und sie jedem dahergelaufenen Chipjunkie vorgeführt hatte, der daran vorbeimarschiert war.

Aber ich wusste auch, dass Blechmann ein Idiot war, der nicht daran gedacht hatte, den Türrahmen in dieser zerfallenden, halb toten Scheißwohnung entsprechend zu verstärken. Ich hatte mit den Junkies geredet, die Tür mit eigenen Augen gesehen und die Pläne und Installationsanweisungen auf dem Supercomputer gespeichert, der in meinem Schädel verborgen war.

Ich lehnte mich dagegen, während ich die Mündung der Schrotflinte gegenüber dem neumodischen Magschloss direkt gegen die Tür presste, an der Stelle, die, wie mir mein Headwarecomputer verriet, genau 285 Millimeter unterhalb der Türoberkante lag. Ich senkte den Kopf, zog den Hut noch tiefer in die Stirn, drückte ab und wartete, bis keine Bruchstücke der Türangel und des Türrahmens mehr durch die Gegend flogen.

»Klopf, klopfIch fing den Rückstoß ab und ging auf ein Knie, dann knallte ich die Mündung der alten Stöger-Schrotflinte genau 320 Millimeter oberhalb der Unterkante gegen die Tür. Eine Angel war noch da.

Nach dem zweiten Schuss musste ich nur ein paarmal zutreten, um eine Sicherheitstür und hochmoderne Elektronik im Wert von mehreren tausend Nuyen zu Boden zu schicken. Ich ließ die Schrotflinte fallen, zog meinen Colt aus dem Holster und folgte seiner Mündung nach drinnen.

Einer von Blechmanns Muskelmännern begrüßte mich in der Diele. Seine Ares Predator bellte und traf mich zweimal in die Brustworaufhin er mich über die eiserne Kimme meines Modells 2061 wölfisch angrinste –, ehe ich ihn mit drei Schüssen niederstreckte.

Es war wirklich nicht seine Schuld. Er hatte seine Schüsse besser platziert als viele andere, aber woher hätte er wissen sollen, dass ich schummelte? Meine Geisterverbündete, Ariana, schwebte unmittelbar über unseren Köpfen und wachte von der anderen Seite der Wirklichkeit aus über mich. Sie hüpfte und schwebte auf der Astralebene umher, an mich gebunden durch eine Handvoll Schutzzauber, Rüstungs- und Lebenskrafthüter: dauerhafte Verzauberungen, die meine Kraft und Schnelligkeit erhöhten. Sie hätte sich mir gerne angeschlossen, aber ich hatte ihr das Versprechen abgenommen zu bleiben, wo sie war, und mir von der anderen Seite aus zu helfen. Für eine magische Freundin war sie echt klasse. Ich stellte hier etwas klar, beglich eine Rechnung mit Blut und Kugeln, nicht mit magischen Kräften; aber deshalb war ich mir noch lange nicht zu schade, ein bisschen Mojo einzusetzen, um das Blatt zu meinen Gunsten zu wenden.

Ich jagte dem Klingenträger noch zwei Kugeln in den Körper, um ein Zeichen zu setzen, wodurch der Lärm noch zunahm, aber schließlich wollte ich sichergehen, dass das wahre Leben alle Anwesenden aus ihrem Chiprausch gerissen hatte.

»Hände hoch und Tempo, wenn ihr am Leben hängt, Chipper!«, brüllte ich im besten Lone-Star-Befehlston. »Wenn ich eine Waffe sehe, niete ich den Träger um

Dann ließ ich sie mit schussbereitem Colt an mir vorbeieilen. Der Zielpunkt meines Smartlinks glitt über eine dürre Gestalt nach der anderen. Alle waren sie zerlumpt oder trugen Billigklamotten aus Verkaufsautomaten, die meisten hatten die blutunterlaufenen Augen aus tiefen Träumen gerissener BTL-Junkies.

Ich war froh über die Farbfilter meiner handelsüblichen Cyberaugen, die dafür sorgten, dass die Junkies aussahen, als seien sie vom wahren Leben nur einen Schritt entfernt, als trenne sie nur ein Farbton von mir, Graustufenbilder, die an mir vorbeistolperten. Die genauen Einzelheiten ihrer vielen Leiden blieben mir so erspart. Der eine oder andere war übersät mit offenen, nässenden Hautstellen, nicht wenige hatten rissige Lippen und abgekaute Finger­nägel oder frische Entzündungen rings um hastig implantierte Chipbuchsen. Meine Cyberaugen nahmen all das wahr, meine Headware kategorisierte es, und die Sideways-Geninfusion, die dafür sorgte, dass ich wie in Zeitlupe lebte, stellte sicher, dass ich noch die kleinste Kleinigkeit mitbekam. Sechs, dann acht, dann ein Dutzend, alle mit geschwärzten Zähnen und dreckig, klapperdürr vor Unterernährung, nur Bündel von Knien und Ellbogen, die ängstlich davonhuschten, so schoben und drängten sie an mir vorbei, hinweg über die Leiche von Blechmanns Rausschmeißer. Selbst meine Headware konnte mir nicht sagen, wer, aber eine wage­mutige Seele war trotz der Hektik clever genug, sich die Waffe des Mannes zu schnappen, ein anderer nahm sich seinen Gürtel, und ein dritter verschwand mit seinem linken Stiefel.

Ich ging davon aus, dass der Türsteher draußen eine gründlichere Puyallup-Spezialbehandlung kriegen würde, wenn das nicht längst geschehen war.

Mit schussbereit erhobenem Colt huschte ich um die Ecke in den leeren Gang. Meine Häuserkampfausbildung bei der Schnellen Einsatztruppe war lange her, aber die Grundlagen verlernt man nie wieder, und es war ja nicht so, dass mein Leben mir gestattet hätte, in dieser Hinsicht einzurosten. Der Zielpunkt meines Smartlinks und die eiserne Kimme wiesen mir den Weg, und so umrundete ich Ecken und sicherte Räume.

Im ersten Raum fand ich nur einen Haufen dreckiger Kissen und schweißfleckiger Matratzen auf dem Boden, dazu leere Chipbehälter, Glasscherben, das Einwickelpapier von Proteinriegeln, Flecken in den Ecken und etwas Grüngraues, das an der gegenüberliegenden Wand hochwucherte. Raue Mauerreste verrieten, wo dünne Innenwände diese Wohnung einst in zwei Apartments unterteilt hatten; man hatte sich mit dem Einreißen und der Schuttbeseitigung nicht gerade die größte Mühe gegeben. So etwas war den Nutzern dieser Räumlichkeiten egalsolange sie nur etwas in der Buchse hatten. Dies war das Spielzimmer, wo die Chipsüchtigen stunden- oder gar tagelang weggetreten hocken konnten, solange die Nuyen flossen.

Man hätte die Bruchbude wahrscheinlich abfackeln können, ohne den Drecksgestank loszuwerden.

Meine genmanipulierten Neuroproteine und der Transys-Headware-Supercomputer suchten verzweifelt nach Mustern im Chaos, zählten jeden Schuttbrocken im Raum und versuchten, mir auf forensischen Spuren beruhende Hinweise auf Verhaltensmuster zu geben, gaben es aber schließlich auf. Hier gab es keine Muster, keine Logik. Die Räume, in denen Chipsüchtige sich umbrachten, mussten keinen Sinn ergeben. Mein Bauchgefühl wusste das schon, mein Kopf brauchte nur einen Moment länger, um auch auf den Trichter zu kommen.

Mein Cybergehör registrierte, wie jemand eine Waffe spannte, als ich mich umdrehte, um wieder hinaus auf den Gang zu treten, und Aris Mojo sowie mein Sideways halfen mir zurückzuzucken, unmittelbar bevor eine Pistolenkugel in den Türrahmen einschlug, wo eben noch mein Kopf gewesen war. Aris magischer Schutz hatte seine Grenzen. Ich trug eine kugelsichere Weste unter dem langen, kevlargefütterten Mantel, was mich bei dem Brusttreffer gerettet hatte, aber nur ihr Mojo schützte mein Gesicht. Ein Kopftreffer wäre ein echtes Problem gewesen.

Ich leerte den Rest meines Magazins grob in Richtung des Schützen in den Gang hinaus, und das reichte, um meinen verbesserten Ohren eine genauere Geschichte zu erzählen. Während ich ein neues Magazin aus dem Gürtel zog und einsetzte, grunzte der eine Typ, und der andere fluchte. Ich hatte gute Ohren. Ich vernahm das Scharren ihrer Schuhe über den Boden, unterschiedliche Schritte, als jemand abgeblätterten Putz in die Bodenbretter trat, das Rascheln billigen Kunstleders, das die Innenwand streifte, das gerade noch hörbare Singen der Akkus eines billigen externen Smartlinks. Klang nach zwei Typen.

»Hört zu, Jungs, das ist eine Sache zwischen mir und eurem Boss. Hier muss sonst keiner sterben. Jetzt lasst die Erbsengewehre fallen und runter auf den Boden mit euch, sonst lege ich euch um

Verstehen Sie mich nicht falsch, ich erwartete nicht, dass sie sich ergeben würden. Wer wie die beiden als sprechende Muskeln arbeitete, war ganz unten angekommen, selbst für Puyalluper Verhältnisse. Ich kannte Blechmanns Jungs und wusste, was für Typen er beschäftigte. Ich kannte sie gut. Es waren die Verbrauchten und Ausgebrannten, die Typen mit den Implantaten aus zweiter Hand, die ein oder zwei Generationen hinter dem aktuellen Modell herhinkten, die Jungs, die für einen Job und die Chance, jemandem Angst einzujagen, jedem alles antaten, die Sorte hirnverbrannter Schläger, die sich in Naturalien bezahlen ließen statt in Nuyen. Blechmann beschäftigte sie nicht, weil sie introvertiert waren und sich ständig mit philosophischen Fragen über Leben und Tod, den moralischen Implikationen ihres Jobs oder der Wahrscheinlichkeit, dabei unversehrt davonzukommen, befassten.

Er beschäftigte sie, weil sie billig zu haben waren.

Doch der unablässige Strom von Obszönitäten und Prahlereien, den sie mir den Gang entlang entgegenschleuderten, kam mir gelegen; er verriet mir, wie viele sie waren und wo sie sich befanden. Man konnte über Lone Star sagen, was man wollteund Teufel auch, ich nehme selbst kein Blatt vor den Mund, was die Jungs angeht –, aber bevor sie mich rauswarfen, hatten sie mich mit ziemlich nützlicher Headware ausgestattet.

Ich bog um die Ecke, während sie mich noch beschimpften und mir Drohungen entgegenschrien. Ich sah, wie die Munitions­anzeige meines Smartlinks sank, während ich Salve um Salve in beziehungsweise durch die Wand jagte, hinter der einer von ihnen Deckung gesucht hatte. Putz spritzte, dann Blut, dann hörte ich ihn fallen. Sekundenbruchteile später fiel auch mein zweites leeres Magazin auf den Boden. Während ich ein neues aus dem Gürtel zog, pfiff ein Schuss so dicht an meinem Kopf vorbei, dass mir die Ohren dröhnten.

Der Schläger brüllte in einem Gossendialekt, der eine hässliche Kreuzung aus Spanisch und Japanisch war, Beleidigungen gegen meine Familiemein Vokabular war ungeheuer polyglott, was Flüche und Obszönitäten angingund schoss erneut auf mich. Sein trollgroßer Ruger-Revolver wirkte absurd überdimensioniert, zum einen, weil er als Mensch Mühe hatte, ihn mit zwei Händen zu heben, zum anderen, weil jede Waffe etwas größer aussah, wenn man ihren Lauf entlangstarrte. Er feuerte erneut, doch durch den Rückstoß des ersten Schusses hatte er noch keinen sicheren Stand und zielte zu hoch.

Der Schlitten meiner Waffe raste nach vorn, geistige Befehle luden nach, und ich richtete die Zielmatrix aus, während er taumelnd versuchte, mit seiner dummen Riesenruger wieder auf mich zu zielen. Mein Schuss traf ihn in die Stirn und hinterließ eine Riesen­sauerei an der Wand hinter ihm, während er auf den fleckigen Teppich sackte.

Ich schwenkte den Colt, um mit der Mündung voran um die Ecke zu biegen, und verschob die Ebene der Zielvorrichtung und das Smartlink entsprechend. Mit einem schnellen Schuss trieb ich einen weiteren von Blechmanns Jungs zurück in einen Nebenraum auf halber Höhe des Flurs, wobei meine Zielmatrix eine so hässliche Jacke erfasste, dass selbst meine Farbfilter mir den Anblick nicht vollkommen ersparen konnten. Ein schmerzerfülltes Aufstöhnen war meine Belohnung. Ich duckte mich wieder hinter die Ecke, als er seinen Waffenarm in den Flur streckte und eine lange Salve automatischen Feuers abgab.

Er hielt den Abzug gedrückt, und ich wartete ab. Putz und Farbe spritzten durch die Gegend, solange seine klobige, kleine Maschinenpistole knatterte, und ich blieb außer Sicht, während meine Headware und mein dem Sideways entspringender Zwang die Kugeln zählten. Zweiunddreißig. Selbst Blechmanns zweitklassige Schläger waren nicht dumm genug, um mit ihrer einzigen Muni so verschwenderisch umzugehen. Also schwang ich ostentativ den Arm um die Ecke, als wolle ich mich in den Gang mit dem Schützen wagen, sobald ich hörte, wie sein leeres Magazin auf dem Boden aufschlugund zog ihn natürlich rechtzeitig wieder zurück, sobald er wieder abdrückte.

Mein Transys Avalon und mein TacWhisper, also mein Headwarecomputer und meine Cyberohren, zauberten erneut. Sobald sie weitere zweiunddreißig Einzelschüsse registriert hatten, bog ich um die Ecke und erwischte ihn diesmal, als er noch dabei war, nach seinem nächsten Magazin zu kramen. Meine Zielmatrix zentrierte sich genau auf sein Massezentrum, während ich den Gang entlangging. Ich verschob den Zielpunkt nach oben, vorbei an dem leicht leuchtenden Karomuster der hässlichsten Panzerjacke der Welt, und als er sich genau auf seinem Nasenrücken befand, betätigte ich sanft den Abzug.

Ich wurde nicht mit einem Knall und dem erwarteten Rückstoß belohnt. Der Zielpunkt meines Smartlinks löste sich in statisches Rauschen auf, vier verschiedene Anzeigen poppten auf, um mich vor Fehlfunktionen zu warnen, und mein Magazin fiel einfach unten aus dem Colt heraus.

Ach, Scheiße.

Ein geistiger Befehl schob die Warnungen aus meinem Sichtfeld, da empfing mein Audioequipment ein Kichern aus dem Bereich des Raumes, in den sich Scheißjacke geduckt hatte.

Für einen Sekundenbruchteil standen wir beide mit ungeladenen Waffen da. Ich hätte mein Messer ziehen und mein Glück versuchen können. Ich hätte zu meinem Stab greifen und auf Entfernung ausprobieren können, was ich an Kampfmojo zustande brachte, wenn ich meine alten Instinkte und die Reste von Macht, die ich noch besaß, reaktivierte. Ich hätte links an meinen Gürtel greifen und darauf hoffen können, dass ich schneller an mein letztes Ersatzmagazin kam als Scheißjacke. Stattdessen stürmte ich auf ihn zu, während er in einer Tasche seiner absurd weiten Cargoshorts kramte und versuchte, ein weiteres Magazin hervorzuholen.

Leer oder nicht, eine Schusswaffe bleibt eine Waffe oder zumindest ein Werkzeug. Der Colt 2061, die Gedenkwaffe zum hundertfünfzigsten Geburtstag der bahnbrechenden Halbautomatik, ist eine perfekt konstruierte Gewaltmaschine. Mein Exemplar hatte mir mein Vater geschenkt, als ich die Akademie abgeschlossen hatte. Es war zwar natürlich nur ein Klon der Waffe aus dem Jahre 1911, aber es war immerhin aus traditionellem, gebläutem Waffenstahl und hatte einen geschmackvollen Griff aus echtem Rosenholz, war ergonomisch schlicht, hatte ein unauffälliges internes Smartlink und teilte die Skepsis der Traditionalisten gegenüber leichten Polymeren. Mit anderen Worten, selbst ungeladen bestand das Ding aus 1,12 Kilogramm Metall und Holz, und kein vernünftiger Mensch wollte es in die Fresse kriegen.

Ich rammte die Schulter in Scheißjackes Scheißjacke, und wir gingen zu Boden, wobei er mit dem Nacken gegen den Türrahmen knallte und mein Gewicht ihm die Luft raubte. Ein langer Cybersporn brach aus seinem linken Handrücken hervorer hatte auch rechts einen Port, aber die andere Klinge musste er verkauft haben –, mit dem er unkoordiniert nach mir stach.

Ich zuckte vor seinem Hieb zurück und packte seinen Unterarm. Dann beugte ich mich vor, presste seine Klingenhand gegen seine Seite, hielt ihn mit meinem Gewicht am Boden, hob die klobige Pistole und zog sie ihm über den Schädel. Dann noch mal und noch mal und noch mal. Die paar Schläge, bei denen der Griff der Waffe hart und brutal auf menschliche Haut und Knochen knallte, reichten, um ihn erschlaffen zu lassen.

Fauchend sprang ich auf und sah aus einem Kabelknäuel unter einer Werkbank ein Paar abgestoßene Kampfstiefel hervorragen. Mit drei Schritten durchquerte ich den Raum, und dank des Mojos, das mir Ari geborgt hatte, reichte ein Tritt aus, um die Werkbank und den Dreckskerl darunter durch die Luft zu schleudern. Während er durch die Gegend segelte, sah ich ihn mir mit meiner Optik rasch an, und für einen kurzen Augenblick huschte ihr Licht über ein schimmerndes Tablet mit Touchscreen an seinem Handgelenk. Seine Finger­spitzen tanzten darüber, während er halb gegen die Wand sackte, und ich wusste, was mit meinem Smartlink passiert war.

Ruhig schob ich in einer fließenden Bewegung mein letztes Magazin in den Colt. Mit dem Daumen löste ich die Verriegelung des Schlittens, und er schob die erste Kugel in die Kammer. Ich hob die Waffe mit sicherer Hand in einem bequemen Griff und zielte über Kimme und Korn. Der Zielpunkt des Smartlinks war nirgends zu sehen. Er tippte schneller und leckte sich die rissigen Lippen.

»Nachdem du das zum ersten Mal versucht hattest, habe ich meine Drahtlosverbindung ausgeschaltetIch lächelte bei diesen Worten nicht.

Er hörte auf, auf dem schwach leuchtenden Bildschirm seines Cyberdecks herumzutippen, und hielt sich die Hand vor die Augen, als würde ich weniger wahr, wenn er mich nicht sah. Der Colt in meiner Hand ruckte, und sein Arm fiel herab. Ein Hacker weniger im Sprawl.

Ich sah mich um und bereute es sofort. Mein Gesetzeshüter­instinkt hielt sich nicht unnötig mit Details auf, Implantate hingegen schon; der Raum war wie ein 3-D-Wimmelbild. Ich befand mich in ihrer Werkstatt, wo sie die Chips brannten und massenhaft produzierten. Die Werkbank, die ich an der Wand zertrümmert hatte, war mit nunmehr zerstörten elektronischen Geräten, wirren, die Geräte verbindenden Bündeln von Kabelnvon denen die meisten zahllose Male geflickt waren, ein paar sprühten auch jetzt noch Funken –, Prozessorenbänken, Chipbrennern, Replikatoren und Simrig­terminals übersät gewesen. Hier wurden die Erinnerungen und Erlebnisse synthetisiert und programmiert, was bedeutete

Mit einem kurzen Blick fand ich heraus, wohin das dickste Kabelbündel führte, und durch das krude Loch in der Wand zum Nebenraum hörte ich das Geräusch von Stahl auf Stahl. Blechmann. Endlich.

Ich wartete und ließ meine Cyberohren ihre Arbeit tun, während ich mein Smartlink wieder hochfuhr und mit raschen geistigen Befehlen Antivirenprogramme startete. Der Nebenraum war hell erleuchtet, und man hörte das leise Surren von Aufzeichnungs­geräten. Das statische Rauschen verriet mir, dass auch das Audio­equipment lief.

»Wir hatten eine Abmachung, Blechmann

Mit erhobenem Colt ging ich über das Kabelbündel einen Schritt auf ihn zu.

»Leck mich, Kincaid

»Drei kleine Regeln, Blechmann. Drei kleine Regeln, und nicht mal an die konntest du dich halten

Um die Ecke herum zielte eine klobige, kleine Cobra-Maschinenpistole in einer verchromten Hand auf mich. Ich ging nicht in Deckung, um den Angriff auszusitzen wie den seines ebenfalls mit einer Cobra bewaffneten Schlägers im Korridor. Stattdessen jagte ich einen Doppelschuss in die Wand, sobald seine Mündung an der Ecke auftauchte, woraufhin er auf der anderen Seite der Trockenbauwand vor Schmerz aufgrunzte und die Waffe zurückzog.

»Ich sagte, keine Verkäufe an Jugendliche

Wieder schoss ich in den Putz, ein Stück neben dem Loch, genau da, wo meine Thermosicht sein Körperwärmefeld hinter der Wand anzeigte.

Ich musste an die Mutter denken, die drei Tage zuvor zu mir gekommen war und mich gebeten hatte, etwas gegen Blechmann und sein kleines Nest zu unternehmen. Sie hatte gesagt, ihr Sohn sei ein guter Jungedas sagen sie immer –, aber in schlechte Gesellschaft geratendas sagen sie auch immer. Sie hatte gesagt, er sei zu jung für so etwas, aber Blechmanns Mannschaft hätte ihm das Geld für eine Buchse geliehen und dann lächerlich hohe Zinsen verlangt, um ihn so richtig in die Scheiße zu reiten. Sie hatte gesagt, sie hätten ihn gezwungen, in der Schule Chips für sie zu verhökern, damit er seine Schulden bezahlen konnte, und als Knight Errant ihren Sohn geholt hatte, hatte es sie einen Dreck interessiert. Sie hatte mir erzählt, wie der Ork-Türsteher sie zusammengeschlagen hatte, als sie ihnen die Stirn bieten wollte. Sie war grün und blau geprügelt in mein Büro gekommen und hatte mir mit flehender Stimme Gebete und Enchiladas für meine Hilfe angeboten. Ich hätte den Laden beinahe sofort gestürmt und sie alle umgelegt.

»Ich sagte: keinen Snuff

Methodisch schoss ich erneut, direkt durch die dünne Innenwand, jagte Kugel um Kugel in ihn. Ich wusste, dass er Dermal­panzerung und wer weiß was sonst noch für Kampftech besaß.

Aber mit genügend Kugeln kriegt man alles hin.

Ich dachte an die Chips, auf die ich bei meinen Nachforschungen gestoßen war. Ich hatte sie von einer Freundin checken lassenich wollte sie nicht in meine Buchse schieben, und Skip und Trace sollten wissen, dass ich das nicht wollte –, und ich erinnerte mich noch genau, wie sie selbst dieser Kopfgeldjägerin den Magen umgedreht hatten. Trace schlug nicht so leicht etwas auf den Magen, doch schon das Skippen durch zufällig gewählte Dreißig-Sekunden-Intervalle des vierzig Minuten langen BTL-Chips bei voll aufgedrehten Sicherheitsfiltern ihres selbst gebauten Cyberdecks hatte ausgereicht, um sie sprachlos und wütend zu machen. Sie hatte mir nur zugenickt, statt ins Detail zu gehen, und ihre Freundin Skip hatte gedroht, mich zu verprügeln, weil ich sie überhaupt darum gebeten hatte.

Blechmann und seine Jungs verkauften Snuff: das Erlebnis, jemanden beim Sex zu töten, den in qualvollen Details dargestellten Rausch, jemandes Leben ein Ende zu setzen. Snuffchips waren böser Juju. Das schlechteste Karma überhaupt. Sie töteten zum Spaß Leute und verkauften den Kick dann an jeden, der sich den Chip in die Buchse schieben wollte. Ich hätte den Laden beinahe sofort gestürmt und sie alle umgelegt.

»Ich sagte auch: keine Turbo Bunny

Durch die Wand hindurch entleerte ich den Rest des Magazins in ihn, wobei ich immer noch langsam weiterging und weiterhin kontinuierlich das Spektrum meiner Cyberaugen wechselte, während der Zielpunkt meines Smartlinks über seine Körperwärmesignatur tanzte und sich die Luft mit Putzstaub füllte.

Ich dachte an meine Ex; das Mädchen, das mich vor so langer Zeit zu BTL-Chips gebracht und mir dann geholfen hatte, wieder davon loszukommen. Ich dachte daran, wie ich sie während meiner dreitägigen Observation gesehen hatte, wie ich sie hatte anschreien oder auf sie schießen wollen, mich aber stattdessen gezwungen hatte zu beobachten, wie sie kam und ging, ohne mich einzumischen. Einer Süchtigen konnte man nicht helfensie musste sich selbst helfen. Einmal war ihre schnittige Rennmaschine ganz langsam geworden, beim zweiten Mal hatte sie angehalten, und beim dritten und vierten Mal war sie rechts rangefahren, hatte den Helm abgenommen und ihr langes, prachtvolles, elfisch perfektes Haar ausgeschüttelt, und meine Cyberaugen hatten ihr Bild vergrößert und keinen Zweifel daran gelassen, dass sie es war. Sie war stehenge­blieben, aber nicht abgestiegen. Ich hatte gehört, wie sie ihr nachpfiffen, hatte gesehen, wie Blechmann, der vor der Tür stand, ihr zuwinkte, ihr Rabatte anbot und dann fluchte, als sie weiterfuhr. Es hatte sie gereizt, aber sie hatte nichts gekauft. Es versetzte mir einen Stich, dass sie mich nicht angerufen hatte. Es versetzte mir einen Stich, dass sie gewusst hatte, dass sie hierher kommen musste, und dass Blechmanns Leute alles versucht hatten, um sie wieder in ihre Krallen zu kriegen. Ich hatte sie doch gewarnt. Ich hätte den Laden beinahe sofort gestürmt und sie alle umgelegt.

»Drei kleine Regeln, Blechmann. Nur drei. Aber du hast sie alle drei gebrochen

Er kroch auf dem Bauch vor mir weg, zog die verchromten Arme durch eine Blutlache, versuchte, die Waffe zu erreichen, die er fallen gelassen hatte. Ich betrat diesen letzten Raum, ihr Aufnahme­studio, bückte mich und hob seine Cobra auf.

»Keine Jugendlichen. Keine Toten. Keine TB. Das war alles. Du hättest dich nur an diese drei Regeln halten müssen, und die Devise hätte gelautet Leben und leben lassen. Ich weiß, du hast Knight Errant bestochen. Ich weiß, du wahrst hier im Viertel den Frieden. Ich weiß, du behauptest, du ließest die Leute weitgehend in Ruhe. Ich weiß, du passt auf deine Chipper auf. Ich weiß, du sagst, du bietest den Leuten nur eine Ablenkung und dass auch Leute ohne SIN das Recht haben, von Zeit zu Zeit alles hinter sich zu lassen. Das weiß ich alles

Blechmann rollte sich ächzend auf den Rücken und sah von einem gefliesten Boden mit Abfluss in der Mitte zu mir auf. Die eine Hälfte seines Kopfes war mit Angstschweiß bedeckt, das Chrom der anderen Hälfte schimmerte im grellen Licht des Raums. Seine Metallseiteein Arm, ein Bein, eine Gesichtshälfteschabte und kratzte über die Fliesen, als er versuchte, sich von mir wegzuschieben, wobei er fast so viel Hydraulik- und Batterieflüssigkeit verlor wie Blut. Er hatte sich aufgechromt, um hart, unmenschlich, einschüchternd auszusehen. Jetzt war er nur noch eine kaputte Maschine.

Der Raum war mit Scheinwerfern und Kameras vollgestopft, manche davon hatte er im Fallen oder beim Kriechen umgerissen, andere funktionierten noch, liefen, zeichneten auf. Hier drehten sie die Filme, in dieser Klitsche von einem Studio, genau hier. Hier töteten sie zum Spaß und aus Profitgier, hier verbrachten sie ungezählte Stunden mit der Herstellung ihrer Aufnahmen, die sie dann an Jugendliche und Junkies verscheuerten und so eine neue Generation von Psychos und Chipjunkies hervorbrachten.

»Drei Regeln, und du schaffst es nicht mal einen Monat lang, sie einzuhalten

Ich richtete die klobige Cobra auf ihn.

»Puyallup hat von deiner Scheiße die Schnauze voll, Blechmann. Die Nachbarschaft will dich hier nicht, und ich damit auch nicht

Er wimmerte etwas, aber die Zeit des Zuhörens war schon lange vorbei. Zu Sicherheit leerte ich mein gesamtes Magazin in ihn.

Es war eine Botschaft.

Ich ließ alle Geräte laufen, als ich ging, fischte meine Packung Targets aus dem Mantel und steckte mir eine Kippe in den Mund­winkel, während ich über Leichen und Kabel stieg, um wieder hinaus in die Asche von Puyallup zu gelangen. Es nieselte, und ich sog den Rauch tief ein, legte den Kopf in den Nacken und sah hinauf in die aschgrauen Wolken. Meine Cyberaugen huschten von links nach rechts, betrachteten Fenster, sahen, wie Vorhänge zur Seite geschoben wurden und das Viertel wieder ein klein wenig zum Leben erwachte.

Ich lauschte dem Regen, als ich zu meinem Ford ging, den ich ein Stück die Straße hinunter geparkt hatte. Aris Zauber verloschen, das sanfte Kribbeln ihrer Verstärkungen, die mich wie ein Kokon umgeben hatten, endete, und gleich darauf schwebte sie neben mir in der Luft und bewegte die Beine, als ginge sie neben mir her. Sie war eine Kreatur aus Äther und Willen, Fantasie und Macht, beschworen von der Metaebene der elementaren Erdeweswegen sie kupferfarbene Haut, silbrig schimmerndes Haar und Augen wie Edelsteine hatte –, aber mit Kräften ausgestattet, die über die eines normalen Geistes oder Elementars hinausgingen.

Sie war wahrscheinlich auch meine beste Freundin.

Ariana drehte sich um sich selbst wie ein Schulmädchen und achtete darauf, sich ausreichend zu manifestieren, um kichernd in eine kleine Pfütze springen zu können, ehe sie weiterwirbelte.

Nur kurz nachdem die letzten Schüsse verklungen waren, erwachte die Straße nach und nach zum Leben. Es hatte nicht lange gedauert, meine leeren Magazine einzusammeln, dafür zu sorgen, dass die Niedergestreckten auch liegenblieben, und ins Freie zu schlendern, doch die Nachbarschaft hatte dennoch rasch reagiert. Jeder wusste, was in der BTL-Klitsche gelaufen war und dass das dort nicht wieder vorkommen würde.

Ein alter Ork mit einem schütteren weißen Haarkranz, der nur noch einen Hauer hatte, nickte mir von einer Treppe herunter zu. Ein flachsblondes, kleines Mädchen riss den Mund auf und winkte Ariana mit dem Plastikärmchen ihres Püppchens aus dem Second-Hand-Laden zu, zog sich dann aber scheu vom Fenster zurück. Jemand machte sein Radio wieder an und erfüllte die Straße mit Musik statt mit Schüssen. Bald darauf tauchte Mrs Ramirez auf dem Gehsteig auf, eilte durch den Regen und stellte ein Tablett mit warmem Essen auf meine Motorhaube.

Ich gestattete mir ein Lächeln, brachte ein wenig von der Lebensenergie der Straße unter meine Kontrolle und sah mit zusammengekniffenen Augen die Spitze meiner Zigarette an. Sie glühte auf, und ausnahmsweise folgte diesem kleinen Zauber nicht wie sonst eine Woge der Erschöpfung. Ari strahlte mich an. Die Straßen bedeuteten Leben. Leben bedeutete Macht. Macht bedeutete Magie.

Ich winkte Mrs Ramirez zu, nahm das Tablett mit den Enchila­das und stellte genug Essen für ein paar Tage auf den Beifahrersitz meines großen Ford. Ari glitt lautlos durch die Seitenwand des Autos auf den Rücksitz, dann fuhren wir los.

So einfach. Niemand würde wegen Blechmann und seiner Mannschaft Knight Errant rufen. Aber vielleicht würde das Bildmaterial irgendwo in der Matrix auftauchen, hochgeladen in dunkle Ecken, die den Bullen egal waren, und die richtigen Leute würden die richtigen Lehren daraus ziehen.

Puyallup war schon schlimm genug. Die Anwohner wollten hier keinen weiteren Ärger. Wer sich danebenbenahm, dem stattete Jimmy Kincaid einen Besuch ab.