Blackwords-Verlag

Vollständige E-book Ausgabe
des im Blackwords-Verlag erschienenen Werkes
    
Für die Originalausgabe:
Copyright © 2017 Blackwords-Verlag
    
Umschlagsgestaltung : ©Adrian Daray, Stuttgart
Datenkonvertierung E-Book : ©Adrian Daray, Stuttgart
Audiobook Produktion : © Adrian Daray, Stuttgart
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 Adrian Daray

DARK

 

For my brother
In memory of Bella & Rebecca

Prolog

 

    »Ich ließ den kalten Feind hinter mir, und habe es gewagt den blutigen Pfad Gottes zu betreten, der mich in ein neues Testament zu führen schien. Ich behielt Recht!«
    
    Blake Dark
    
    Blanker, silberner Stahl durchfuhr meine linke Hand. Die Kälte dieses Metalls heftete sich an meine Haut, wie Wasser, das durch meine Poren drang.
    Immer wieder richteten sich meine Blicke auf das Blitzen und Funkeln des Eisens, wobei ich meine Hand offen hielt und mit der Rechten das sauber verarbeitete Holz fest umklammerte.
    Stärke drang durch meinen Körper, und ich konnte es mir nicht erklären, aber es erweckte Selbstvertrauen und Achtung vor mir selbst.
    Langsam fuhr ich mit meinem Daumen am Schriftzug entlang und erspürte mit geschlossenen Augen die perfekte maschinelle Gravur.
    Ich roch daran und nahm einen kräftigen Lungenzug, wobei ich mich kaum noch an den Geschmack einer Zigarette erinnern konnte, zu kraftvoll erschien mir der Geruch des Schwefels.
    Stahl und Schwefel - welch fantastische Kombination für den Geruch des Todes! Auch wenn ich das Leben weitaus höher schätzte, verspürte ich vor diesem Instrument der Gewalt große Ehrfurcht.
    Es mag seltsam klingen und meines Erachtens einen grotesken Beigeschmack haben, aber ich ging davon aus, dass der biblische Vers, welcher sich wie aus heiterem Himmel in meinen Gedanken verfangen hatte, daher rührte, dass ich mich auf der Spur einer Mordserie befand, dessen religiöser Hintergrund so sicher war, wie das Amen in der Kirche. Eben diese Gedanken richteten sich zielgenau auf meinen Colt, den ich schon eine Weile durch meine Hände gleiten ließ.
    
    ´´Und ob ich schon wanderte im finsteren Tal, so fürchte ich kein Unglück, denn Du bist bei mir!´´
    
    Mit einem letzten Blick auf die geladene Revolvertrommel verließ ich meinen Schreibtischstuhl, den Sheriffhut tief ins Gesicht gezogen, und trat hinaus in die Kälte!

Erstes Buch: Der Kalte Feind

 

Erster Tag

 

    Der erste Engel blies seine Posaune. Da fielen Hagel und Feuer, die mit Blut vermischt waren, auf das Land. Es verbrannte ein Drittel des Landes, ein Drittel der Bäume und alles grüne Gras.
    
    Offenbarung Kapitel 8 Vers 7
    
    Ich erinnere mich noch ganz genau an die Zeit meiner Versetzung. Es glich damals einer persönlichen Apokalypse, den Arsch aus meinem Bürosessel zu erheben und den hohen Posten beim FBI an den Nagel zu hängen.
    Nicht, dass mir nur dieser Job leid tat, es ging mir auch um die Stadt, die ich dadurch verlassen musste. Wenn ich nur daran dachte, wurde mir schon speiübel, und ich hätte am liebsten dem gesamten Kollegium die Faust in den Magen gerammt. Detroit, Michigan! Welch eine Stadt! Es steckte so viel Leben in ihr.
    In der letzten Zeit war ich fast jeden Abend Stammgast im ´´Walker´´. Gut, nicht unbedingt eine Kneipe von hohem Niveau, keine sauberen Toiletten und die Luft war so verraucht, dass ich jedes Mal ein Taschentuch benötigte, um mir die Tränen aus den Augen zu wischen. Aber es gab den besten Whiskey weit und breit und die Bedienung war nicht ohne. Wie hieß sie noch gleich? Jessy? Mary? Ich musste zugeben, für weibliche Vornamen hatte ich mich noch nie wirklich interessiert, eher für deren Oberweiten. Sie trug leider kurzes Haar, dennoch war sie eines der Mädchen, für die ich töten würde.
    Es ist schon eine Ironie, wenn man bedenkt, dass ich für die Aufklärung einiger Morde eingesetzt worden war, und ausgerechnet jemand wie ich sprach vom Töten. Nun ja, es ist ja auch nur so eine Redensart.
    Die letzten zehn Jahre hatte ich in Detroit verbracht, wobei ich erst vor fünf Monaten das erste Mal den Walker betreten hatte. Ich glaube, einer der Gründe war der, dass mich etwa zu dieser Zeit meine Frau verlassen hatte.
    Ja, dies war alles ein schwerer Umbruch für mich. Ich war irgendwie in einer Sackgasse gelandet. Wir hatten die ganze Ehe, die wir geführt hatten und die immerhin neun Jahre andauerte, zu lange schleifen lassen. Meist ging der Job vor, und ich habe dadurch meine Frau Cynthia sehr vernachlässigt. Sie sprach mich immer wieder darauf an, leider vergeblich. Ich fühlte mich demnach ständig unter Beobachtung und schob ihr damals die Schuld zu. Ein großer Fehler. Und als dann auch noch unsere neue Kollegin Miss Cole ihren Dienst bei uns angetreten hatte, ging es vollends bergab. Ich begann damals ein Techtelmechtel mit ihr und wir landeten im Bett. Jede Woche. Als Ausrede für meine jetzige Ex-Frau landete mein Job auf dem ersten Platz der Ausredecharts.
    Wie auch immer, lange ging das nicht gut, irgendwann kam es raus. Wenn ich recht überlege, kann ich mich überhaupt nicht mehr daran erinnern, wie es passieren konnte. Ich war immer äußerst vorsichtig. Ich meine, ich arbeite, Entschuldigung, arbeitete beim FBI, der ranghöchsten Polizeibehörde in den Vereinigten Staaten, und sollte eigentlich Bescheid wissen, worauf es bei der Vertuschung von Beweismitteln ankommt. Den ganzen verdammten Tag war ich damit beschäftigt, Indizien von Mördern und Vergewaltigern zu sichern, und schließlich kam man mir bei solch einer Lappalie auf die Schliche. Das Wort ´´Lappalie´´ hätte mir in dieser Hinsicht wirklich besser gefallen als das, das meine Ex mir damals an den Kopf geworfen hatte. Dreckschwein!
    Für sie war es wirklich alles andere als Peanuts. Die Konsequenz konnte ich mir damals schon ausrechnen.
    Mein Anwalt meinte, ich solle froh sein, dass es so glimpflich ausgegangen ist. Ich durfte das Auto behalten, wobei ich zugeben musste, dass mir das Haus weitaus lieber gewesen wäre.
    Ich gab ihm nur ein Naserümpfen als Antwort. Einen alten 67er Chevy, den man beim Anlassen nicht der Kälte aussetzen sollte. Die Heizung war schon lange defekt und die Fahrertür klemmte, so dass ich fast jedes Mal durch die Beifahrertür einsteigen musste.
    Das ganze Geld, welches ich damals verdiente, ging für unser Haus drauf, für einen neuen Wagen blieb einfach nichts übrig. Dieser fahrende Schrotthaufen erinnerte mich irgendwie an meine Frau. Nichts als Probleme. Oh Mann, schlechter hätte es damals wirklich nicht laufen können.
    Sie grinste, als der Scheidungsrichter das Urteil verkündet hatte und sie mir den Wagenschlüssel übergab. Das hängt mir heute noch nach, als sie mir den Schlüssel in die Hände fallen ließ. Das Letzte, was mir dazu noch einfällt, war das zufriedene Lächeln ihres Anwalts, während er seine Akten zusammenpackte. Dieses widerwärtige Lächeln von diesem milchgesichtigen Schlipsträger hatte sich förmlich in mein Gehirn eingebrannt.
    In meinem letzten Apartment, welches mir der Staat Michigan besorgt hatte, kam ich kaum zurecht, und es war eine extreme Umstellung für mich. Alleine schon das Bad war so eng, dass ich mich gerade mal von der Kloschüssel zum Waschbecken drehen konnte, und auch die Dusche war wohl für Kleinwüchsige erfunden worden. Eine Erfahrung war es wert, sich endlich mal wie ein solcher zu fühlen, wenn man auf den Knien duschen musste.
    Der Fahrstuhl im Haus war so oft außer Betrieb, dass die Hausverwaltung das Schild ´´Nicht Defekt´´ ins Foyer hing wenn er mich dann doch ab und zu in den zwölften Stock fuhr. Welch ein Luxus!
    Aber was hätte ich machen sollen? Das Haus wurde von meiner Ex-Frau verkauft, und ich bekam davon keinen Penny. Als ich mich damals kurz vor dem Verkauf ins Haus begab, um meine letzten Sachen zu ´´bergen´´, der Rest meiner Klamotten kam aus dem Fenster geflogen, lief sie mir noch einmal über den Weg. Ich versuchte den Blickkontakt zu meiden, doch als ein Möbelwagen die Straße zu unserem Haus, pardon, ihrem Haus hochfuhr und die Möbel mitnahm, musste ich sie einfach fragen, warum sie das Haus verkaufen würde. Ein verachtender Blick war ihre einzige Antwort, und ich denke einfach, sie verband damit zu viele schlechte Erinnerungen. Ich kann es ihr nicht einmal übel nehmen.
    Tja, und bei Miss Cole war danach ebenso Schluss. Jeder von meinen Kollegen wusste über unser Verhältnis Bescheid, und es dauerte nicht lange, bis der Commissioner davon erfuhr.
    Nur, zu dieser Zeit war der Commissioner eine Frau, und diese Neuigkeiten schienen sie alles andere als zu begeistern. Kurz darauf wurde Miss Cole versetzt, und am Ende gab sie mir auch noch die Schuld.
    In den folgenden Wochen kam es mir so vor, als würde es das ganze verdammte FBI-Hauptquartier wissen, ich fühlte mich wie ein Tier, das zur Schlachtbank geführt wird. Ich war das Hauptthema! Und als ob dies nicht schon ausreichte, wurden mir die miesesten Fälle zugeteilt, deren Aufklärung entweder unmöglich war oder die mich mit so viel Arbeit zuschütteten, dass sie mir einen Fünfzehnstunden-Tag beim FBI bescherten. Es war also auf der ganzen Linie beschissen.
    Nun, ich fühlte mich einsam und so fand man mich nach fast jedem gestressten Arbeitstag in irgendeiner Tittenbar, in der ich ein paar hart verdiente Dollar in den Slip eines der Mädchen steckte. Auch wenn ich den Anblick der Tänzerinnen genoss, konnte ich mich dabei nicht fallen lassen. Der Grund waren aber eindeutig nicht die Mädchen, die wirklich eine gute Show ablieferten, sondern die Gedanken an meine kürzliche Scheidung, die mir den Verstand raubten. Und die Kerle, die um mich herum grölten, während ihnen der Sabber aus dem Mund mit schlechten und gelben Zähnen lief, machte die Sache nicht gerade besser. Genießen war hier nicht drin. Entweder du heulst mit der Meute oder du lässt es. Das Letztere war wohl zwangsläufig der Fall. Ich ließ mich zwar noch ein paar Mal blicken, doch ich merkte schnell, dass dies nichts von Dauer war.
    Damals streifte ich abends oft durch die Straßen und ließ mich von den Großstadtlichtern verzaubern. Am schönsten war es immer, wenn es regnete und die Lichter der großen Lichtreklamen sich vermischten, wie auf einem Ölgemälde, auf dem man Wasser verschüttet hatte.
    Viele Menschen behaupten immer, der Großstadtlärm würde sie zum Wahnsinn treiben. Bei mir war das anders. Das Hupen einiger Autos, das ferne Erklingen einer Polizeisirene, das Brettern der Hochbahn durch ganz Detroit, all dies zeigte mir, dass ich noch lebte.
    Wie oft stand ich nachts am Detroit River und sah auf die Skyline, die mich jedes Mal aufs Neue verzauberte. Diese gewaltigen Hochhäuser, deren Lichter sich im Wasser widerspiegelten. So etwas muss man erlebt haben, das kann man nicht mit Worten beschreiben. Ja, meine Heimat war Detroit, obwohl mir ihr Spitzname fast besser gefiel. Rock City. Hm, woher sie den Namen wohl hatte? Vielleicht lag es am Schockrocker Alice Cooper, der in dieser Stadt geboren wurde.
    Viele mochten mich für verrückt halten, aber jedes Mal, wenn ich meinem Job nachging, musste ich am alten Fisher Building vorbei, und ich war fasziniert von dessen ´´biblischer´´ Bauweise, ähnlich dem Turm zu Babel. Es erinnerte mich zudem an ein paar alte Schwarz-Weiß-Filme mit Humphrey Bogart oder Cary Grant. Ich mochte diese Zeit und wünschte mir oft, ich könnte dorthin entfliehen. Aber in Erinnerungen schwelgen half mir natürlich auch nicht mehr weiter. Ich hatte es mir ja selbst zuzuschreiben. Verdammt!
    Doch es kam noch schlimmer. Eine Strafversetzung stand vor der Tür, und anstatt dass sie höflich anklopfte, flog gleich der ganze Rahmen mit aus den Angeln. Der Grund war diese verdammte Kneipe. Der Walker mochte eine gute Bar sein, aber den Alkohol, den sie dort ausschenkten, war wohl für keinen gut. Gerade für jemanden wie mich, den die Einsamkeit gepackt und durchgeschüttelt hatte, ohne dass ich auch nur im Geringsten in der Lage war, etwas dagegen zu tun.
    Dann geschah es! Es war einer der Abende, an dem ich die Whiskey-Gläser nicht mehr zählen konnte und ich grundlos jemanden niederschlug. Grundlos, so formulierte es wenigstens die Richterin. Im Nachhinein betrachtet hatte sie natürlich recht. Jemandem zwei Zähne auszuschlagen, nur weil er in der Jukebox ein Lied ausgewählt hatte, das nicht meinem Geschmack entsprach, war wirklich des Guten zu viel. Die Schlägerei, die darauf folgte, war auf der ganzen Linie mein Verdienst; so lautete die Aussage des zuständigen Police-Officers, dessen Schlagknüppel ich noch heute am Rücken spüre.
    Nun, dem Alkohol verdankte ich meine ´´Versetzung´´, da nach der Meinung des Commissioners ein volltrunkener FBI-Detective nichts mit einer Massenprügelei zu tun haben sollte, geschweige sie auch noch anzuzetteln.
    Damals ging einiges zu Bruch, samt der Jukebox. Sie vertrug es wohl nicht, dass ich mit einem eisernen Stuhlbein dagegen hämmerte, bis sie endlich damit aufhörte, dieses Lied zu spielen. Wie hieß es noch gleich? Ich glaube, es war ein Country Song von George Strait. Der Titel hieß ´´All my Ex´s live in Texas´´, wenn ich mich nicht irre.
    Sorry, aber in meiner Situation konnte ich nichts von Ex-Frauen hören. Da wäre wohl jeder ausgerastet, vermute ich, oder? Bei mir schlugen jedenfalls die Alarmglocken.
    Der Schaden betrug knapp fünftausend US-Dollar, dazu kam noch eine Strafanzeige wegen schwerer Körperverletzung. Aber das Schlimmste für mich war damals, dass Jack mich aus seinem Laden verbannt hatte. Lebenslang. Dies traf mich wie ein Hammer und ich dachte an die vielen Liter von Whiskey, die mir dadurch entgehen würden. Jack war der Keeper der Bar, und er lauschte gern meinen Geschichten, auch wenn ich vermutete, dass er nur ein guter Zuhörer war, wenn meine Münzen über seine Theke rollten.
    Als dann am nächsten Morgen einige Beamte der inneren Sicherheit an meine Tür klopften und mir ein Schreiben unter die Nase hielten, war mir sofort klar, dass dies alles andere als eine Einladung nach Tahiti war.
    Ich wurde vor die Wahl gestellt. Entweder würde ich suspendiert mit anschließendem Disziplinarverfahren, oder ich stimmte einer Degradierung vom Detective zum Police-Officer mit anschließender Versetzung zu.
    Dass meine Laune dadurch nicht gerade besser wurde, leuchtet wohl jedem ein. Mit Gefühlen, die einem persönlichen Weltuntergang gleich kamen, unterschrieb ich den Wisch und ließ mich auf die Versetzung ein.
    Ich könnte mich ohrfeigen, wenn ich nur daran denke! Wie konnte ich nur darauf eingehen? Lieber schlief ich unter einer Brücke, als das, was mir jetzt blühte. Ich wurde versetzt, ja, und laut Commissioner durfte ich in einem Bundesstaat der USA meinen Dienst als Officer ausführen. Ich dachte, ich würde an die Westküste versetzt und müsste mich mit diesen Cowboys herumschlagen. Dadurch würde ich endlich die Chance haben, San Francisco zu sehen um die Golden Gate Bridge in der Dämmerung zu betrachten. Ein Officer, der wie Michael Douglas in der gleichnamigen Serie durch die Straßen von San Francisco heizt, wäre nur zu schön um wahr zu sein. Ich musste zugeben, die Degradierung störte mich nicht einmal so sehr. Gut, der Dienstgrad bescherte einem nicht gerade einen vollen Geldbeutel, (nach der Liste der Gehälter waren es gerade mal fünfhundert Dollar die Woche), aber diese ewige Konfrontation mit Morden und anderen Schwerverbrechen war nicht gerade ein Zuckerschlecken, und ich sehnte mich nach einem gediegenen Job.
    Na ja, wenn mein neuer Job so ruhig werden würde, hatte ich mir geschworen, ´´einen Besen zu fressen´´. Wie hieß dieses Kaff, in das sie mich strafversetzt hatten? Crimson? Oh Mann, die hatten wohl den Arsch offen. Das war nicht mal auf irgendeiner Karte verzeichnet! Ich hoffte insgeheim, dass es dort wenigstens eine Bank gab, sonst bekäme ich nicht einmal Clint Eastwoods ´´Handvoll Dollar´´, die mir zustehen würden.
    Was sagten sie zu mir? ´´Die frische Luft tut dir mal gut, das ist genau das Richtige für dich.´´ Als ob die gewusst hätten, was das Richtige für mich wäre. Auf jeden Fall nicht dieses von Gott verlassene Kuhdorf, das sich laut meines Versetzungsschreibens nahe des Yukon Charley Rivers Reservats befinden musste, das über eine Stunde von der letzten Zivilisation entfernt lag. Keine Ahnung, ob ich Fairbanks überhaupt als Zivilisation bezeichnen konnte. Allerdings musste ich dies wohl, denn hier endete alles. Alles, was sich westlicher davon befand, wurde als das Hinterland Alaskas bezeichnet.
    Alaska! Ich konnte es kaum glauben, dass ich wirklich dorthin versetzt wurde. Darüber konnte ich nur den Kopf schütteln.
    Die Flugreise nach Fairbanks konnte man über sich ergehen lassen, aber mit meinem alten Chevy über diesen Feldweg zu fahren, (Straße konnte man dies kaum nennen), war wirklich das Letzte. Und dies sollte auch noch die Interstate 3 sein. Dass ich nicht lache! Die Highways an der Ostküste konnte man wenigstens als Straßen bezeichnen und glichen keineswegs den hiesigen einspurigen ´´Katastrophen´´.
    Nicht einmal einen Dienstwagen hatten die voraus geschickt, nein, mein alter 67er Chevy mit der nicht funktionierenden Heizung wartete bereits am Flughafen auf mich. Und das mitten in Alaska!
    Der Außentemperaturmesser am Wagen musste wohl defekt sein, oder war zumindest gerade dabei, endgültig den Geist aufzugeben. Es konnte einfach nicht sein, dass er bei minus zwölf Grad stehengeblieben war. Ich fragte mich wirklich, ob Quecksilber neuerdings stehen blieb.
    Meine Atemwolke verdeckte mir fast die Sicht und beschlug auf der Windschutzscheibe. Mit meinen Handschuhen, die ich mir schon in Fairbanks übergezogen hatte, versuchte ich die Scheibe wieder frei zu bekommen.
    Obwohl ich mich dabei ziemlich weit vorbeugen musste, gelang es mir mit Mühe und Not. Es war ein Drahtseilakt. Mit einem Fuß auf dem Gaspedal, einer Hand am Lenkrad und mit der anderen Hand an der Scheibe reibend, war ich einen Moment unachtsam, und meine Hand glitt wegen der rutschigen Wildlederhandschuhe ab. Das Fahrzeug driftete schnell nach links, kam kurzfristig ins Schleudern und es trieb mich auf die Gegenfahrbahn. So schnell konnte ich nicht reagieren, um rechtzeitig gegenzulenken. Doch kaum gelang es mir, das Lenkrad mit beiden Händen zu ergreifen, da blendeten mich bereits zwei extrem helle Scheinwerfer und ein ohrenbetäubendes Horn ertönte. Mein Adrenalinspiegel schoss in die Höhe, ich riss reflexartig das Lenkrad in die Gegenrichtung und entkam nur mit Mühe und Not dem heranrasenden Truck. Die Fanfare des Lasters, dessen Ladung wohl Benzin oder eine andere Flüssigkeit beinhaltete, ertönte erneut, während er an mir vorbeiraste.
    Ich kam zum Stehen. Mein Atem glich dem eines Marathonläufers im Stil von Dustin Hoffman, der gerade noch die Zielgerade erreicht hatte. Mein Wagen rollte ein wenig nach, da die Straße hier abschüssig verlief. Erneut trat ich in die Bremsen.
    Stille umgab mich. Ich vernahm lediglich meinen Herzschlag, der von meinem aufgeregten Atem begleitet wurde. Ich war hellwach. Die Trägheit, deren Grund kein anderer war als der, dass ich mich fühlte wie einer, dem man einen fremden Willen aufgedrückt hatte, war verflogen.
    Langsam nahm ich wieder meinen Körper wahr. Meine Hände schmerzten, so fest umklammerte ich das Lenkrad. Erst jetzt wurde mir klar, dass dies wirklich mein Ende hätte sein können. Welch ein Alptraum. Inmitten im Nirgendwo von einem Truck überrollt. Das würde sich wirklich nicht gut auf meinem Grabstein machen.
    Mein Blick in den Außenspiegel ließ mich die Rückleuchten, des bereits ziemlich weit entfernten Trucks erkennen. Ich sah ihnen lange nach, bis sie aus meinem Sichtfeld verschwunden waren.
    Ich kurbelte für einen Moment die Fensterscheibe herunter, um frische Luft zu tanken. Der eisige Wind schoss mir ins Gesicht, und ich schloss die Augen, denn die tiefe Temperatur ließ sie tränen.
    Der Motor lief noch und ich hatte auch nicht vor, ihn abzustellen. Wer weiß, ob er hier je wieder angesprungen wäre in dieser trostlosen Gegend. Ich stieg aus und sah mich um. Soweit das Auge reichte, nur gähnende Leere, bis auf die weit aufragenden, gletscherbedeckten Berge, deren Hänge allem Anschein nach mit Nadelhölzern bewachsen waren.
    Was mich am meisten daran ärgerte war, dass meine Straße genau in die Richtung dieser Riesen am Horizont führte. Wehe dem, der auf diese Idee kam, mir dies anzutun!
    Ich stieg wieder in den Wagen. In meinem Handschuhfach lag noch ein Raider, welches ich mir für die Fahrt nach Crimson an einem Automaten am Flughafen geleistet hatte. Als ich hineinbiss, brach ich mir fast einen Zahn ab. Die Kälte hatte den Riegel erstarren lassen, wie einer dieser mumifizierten Leichen, die man im Eis nach tausenden von Jahren wiedergefunden hatte. Aber da ich Hunger verspürte, blieb mir nichts anderes übrig, als ihn hinunterzuwürgen. Der Tag gehörte dem Teufel.
    Ich nahm die Fahrt wieder auf. Der Highway schien kein Ende zu nehmen. Alaska beherrschte wohl die Kunst, die Straßen endlos erscheinen zu lassen. Die hohen und dichten Nadelbäume am Rande der Straße, die in die Unendlichkeit zu führen schienen, glichen einander wie eineiige Zwillinge. Und stetig vor mir dieser hohe Berg, der keinen Deut näher heran rückte. Ich weiß nicht, aber es kam mir so vor, als sei er eine riesige Attrappe, wie bei einer der Hollywood-Produktionen, die einem vorgegaukelten, man sei in Kansas, obwohl sich die Studios in L.A. befanden.
    Ich stellte mir vor, ich befände mich in einem dieser Road Movies, in denen Dennis Hopper auf dem Motorrad als Easy Rider in die Freiheit fuhr, nur mit dem Unterschied, dass ich direkt ins Ungewisse unterwegs war.
    Die Zigarette, die ich mir vorher angezündet hatte, qualmte wie eines der Rauchzeichen der Indianer, und ich dachte mir, die Asche musste keineswegs im Wagen landen. Ich öffnete also das Fenster und ließ es einen kleinen Spalt offen. Die Straßenkarte, die ich mir auf den Beifahrersitz bereitgelegt hatte, flatterte durch den Fahrtwind. Mich fröstelte und ich zog meinen Jackenkragen näher an mich heran.
    Das monotone Geräusch des Motors, die endlose Straße und der kalte Fahrtwind, waren wohl die Gründe dafür, dass mir immer wieder dieselben Gedanken durch den Kopf gingen. Erinnerungen an meine Ex-Frau. Ich fühlte mich allein gelassen, und eine innere Wut wuchs in mir. Nicht auf Cynthia, nicht auf mich, nein es ging mir einfach darum, dass es doch noch so geschehen war, wie ich es nie beabsichtigt hatte. Alles um mich verschwamm. Wie in Trance versetzt fuhr ich den Highway entlang, und mein Unterbewusstsein gaukelte mir vor, es ginge mir gut dabei.
    Meine Blicke glitten durch meinen Chevy. Die Mühle hier mag alt sein, und kein Autohändler der Welt würde mehr als fünfzig Dollar dafür zahlen, trotzdem bemerkte ich, dass ich doch irgendwie an dem Wagen hing. Er hatte einfach das Zeug dazu, mich, trotz all den technischen Mängeln, nicht im Stich zu lassen, nicht so, wie Cynthia es getan hatte.
    Doch dann geschah es. Vor diesem Moment hatte ich mich weitaus mehr gefürchtet, als vor diesem Trip hier. Ich wollte es einfach nicht wahrhaben, dass mich jemals dieses Gefühl einholen könnte. Ich bildete mir tatsächlich ein, dass ich dafür zu stark wäre, dass mich nichts zerbrechen könnte, außer...
    Die Einsamkeit. Hier auf dem Highway, fern jeder Zivilisation, inmitten der mächtigen Nadelbäume, übermannte sie mich schließlich. Ich wusste, dass es diese Empfindung wohl gab. Wie oft sprach man darüber? In fast jeder Geschichte, die je zu Papier gebracht wurde, kam so etwas vor. Es wäre auch dilettantisch zu behaupten, dass ich davor gefeit wäre. Ich hätte nur nicht gerade jetzt damit gerechnet. Inmitten des Hinterlandes von Alaska. Dass hier die Einsamkeit beheimatet war, mochte wohl niemand bezweifeln, nein, es ging mir nicht um das Alleinsein, sondern um das Gefühl des Verlassen Werdens.
    Es schmerzte, und dieses Mal weitaus mehr, als meine Scheidung.
    Ich blies den Qualm der Zigarette durch den Spalt im Fenster und warf den Stummel hinterher. Der Tacho zeigte mir die stetigen fünfundsiebzig Meilen pro Stunde, die hier zulässig waren und die darunter liegende Zahl, den Streckenzähler, den ich in Fairbanks auf null gestellt hatte. Er zeigte mir gerade einmal siebenunddreißig Meilen an.
    Die Interstate 3 verlief hier kerzengerade, und kein Hügel versperrte einem die Sicht. Die Uhr verriet mir, dass es kurz vor halb vier am Nachmittag war, und laut der Karte, die ich im Flugzeug genauestens studiert hatte, musste sich in der Nähe eine Abzweigung befinden, die nach Norden führte, eine etwas ältere Landstraße, die mich nach Crimson bringen sollte.
    Ich versuchte, meine Blicke zu schärfen und erkannte in weiter Ferne einen Wagen, der aus der Gegenrichtung auf mich zufuhr. Ich konnte es nicht genau erkennen, aber wenn mich nicht alles täuschte, war auf dem Dach eine rote Rundumkennleuchte, wie es bei den Streifenwagen der County-Sheriffs auf dem Land üblich war.
    Ich verlangsamte meine Fahrt. Möglicherweise konnte mich einer der Cops auf die richtige Straße geleiten; vielleicht war es sogar ein Ortsansässiger.
    Ich hielt an, nachdem ich mich vergewissert hatte, dass sich niemand hinter mir auf der Fahrbahn befand, wie etwa der Truck, der mich beinahe überrollt hätte.
    Als ich ausstieg, hob ich meine Hand. Das Rotlicht auf seinem Wagen fing an zu leuchten, was mir die Bestätigung gab, dass er mich wohl nicht übersehen hatte. Ich zog mir die Jacke noch etwas fester an mich heran und nickte zum Fahrer, als sein Wagen neben mir zum Halten kam. ´´County Interstate Police´´ las ich auf der Tür des Fahrzeugs, dessen Räder und Kotflügel mit dunklem Schnee und Matsch verdreckt waren. Da der Highway doch relativ frei von Schnee war, konnte ich nur vermuten, dass der Wagen wohl durch eine wenig befahrene Straße gelenkt worden war. Es könnte sich doch möglicherweise um die Landstraße handeln, die ich suchte. Das Blatt schien sich zu wenden.
    »Entschuldigung«, rief ich zu ihm rüber, als er sein Fenster vollständig geöffnet hatte.
    »Aber ich dachte mir, Sie könnten mir vielleicht behilflich sein.« Dabei versuchte ich ein freundliches Gesicht zu machen, obgleich es mein Zähneklappern erschwerte, dies überzeugend zu bewerkstelligen.
    Als er aus dem Wagen ausstieg, setzte er sich seinen Hut auf, dessen goldener Stern auf der Vorderseite glänzte.
    »Ich bin Sheriff Teasle, Leiter der Interstate Police zwischen Fairbanks und Anchorage. Was kann ich für Sie tun, Sir?«
    Ich stockte. ´´Sir´´. In meinem ganzen Leben hatte mich noch kein Mensch mit ´´Sir´´ angesprochen. Möglich dass es einmal vorkam, wenn ich als FBI-Detective Zeugen vernommen hatte, aber als Privatperson war mir diese Anrede bislang verwehrt geblieben.
    Dieser Sheriff Teasle, dessen bereits ergrauter Oberlippenbart eine ungeheure Dichte aufwies, bewirkte es jedenfalls, dass sich meine Laune drastisch verbesserte.
    Ich nickte ihm zu und bemerkte, dass in seinem Dienstwagen leise Musik lief, deren Sound mich sofort an die zerstörte Jukebox erinnerte. Es lief zwar nicht derselbe Song, aber es handelte sich dem Anschein nach um einen Country-Radio- Sender. Jetzt bloß nicht überreagieren!
    Ich begrüßte ihn leicht lächelnd mit einem kräftigen Händeschütteln, und versuchte mit einem Nicken meinerseits recht freundlich zu wirken.
    »Mein Name ist Blake Dark und ich bin auf der Suche nach der...« Ich kam ins Grübeln. Wie hieß noch gleich die Straße? Doch bevor ich richtig nachdenken konnte, kam mir Teasle zuvor.
    »Sie meinen bestimmt die Yukon street, oder?«, sprach er in einem Ton, als wäre er sicher, dass er recht behalten würde.
    Dies löste bei mir ein breites Grinsen aus und ich nickte.
    »Ich habe mir gleich gedacht, dass Sie ein Fremder sind«, sprach er, während er in eine andere Richtung sah. Es kam mir vor, als ob er seinen Brustkorb leicht aufrichtete, so als wäre er stolz, einem Fremden sein County zu präsentieren.
    »Es kommt nicht oft vor, dass ich hier auf Fremde stoße. Sie müssen wissen, dieser Bezirk ist nicht gerade ein Urlaubsparadies.« Ich nickte erneut und presste meine Lippen zusammen.
    »Und Sir, auch wenn Sie es nicht hören wollen, ich halte rein gar nichts von diesen ganzen Touristen, die die törichten Absichten hegen, hier nach alten Schätzen zu graben!«
    Bei diesem Satz wurde mir plötzlich klar, dass mit diesem Sheriff hier kaum zu spaßen war. Auch wenn er es nicht bösartig von sich gab, einen gewissen sarkastischen Unterton konnte ich deutlich heraus hören. In gewissem Sinne verstand ich ihn, lediglich das mit den ´´Schätzen graben´´ schien mir etwas ungewöhnlich. Gab es hier doch mehr als das schwarze Gold?
    Ich schüttelte den Kopf und griff in meine Innentasche, um meinen Dienstausweis vorzuzeigen, während ich bemerkte, wie seine Hand langsam zu seinem Colt glitt, als ob er vermuten würde, dass ich eine Waffe ziehen könnte. Erst zögerte ich, beschloss aber nicht darauf einzugehen und so zu tun, als ob ich es nicht bemerkt hätte. Ja, dieser Sheriff war vorsichtig. Ich fragte mich wirklich, warum!? War die Verbrechensrate hier denn so verdammt hoch? Ich konnte es mir beim besten Willen nicht vorstellen. Oder lag es einfach daran, dass ich ein Fremder war, dessen Gesicht nicht dem glich, wie einer dieser Bauernschrate namens Teasle.
    »Nein, ich bin kein Tourist, sondern der offizielle Nachfolger von Sheriff Brauner von Crimson«, sagte ich, während er meinen Dienstausweis begutachtete. Sein erstaunter Gesichtsausdruck war deutlich zu erkennen. Leicht nickend sah ich ihn an, während er mich genauestens zu mustern schien.
    »Soso«, sprach er abwertend. »Haben die also einen Frischling von der Akademie her geschickt?«
    Meine Antwort darauf wäre ihm definitiv im falschen Hals gelandet. Erstens sprach er wohl mit sich selbst und zweitens wäre meine Antwort nicht gerade höflich gewesen. Ich entschloss mich daher zu schweigen.
    »Wie alt sind Sie, wenn ich mir diese Frage erlauben dürfte?«, fragte der Mann mit dem anscheinend lockeren Colt.
    Dieser Sheriff schien mir als absolut ungeeignet für eine intelligente Unterhaltung zu sein, und meinen Witz hätte er wohl nicht verstanden, wenn ich auf seine Frage mit ´´Jünger als Sie´´ geantwortet hätte.
    Was mir dabei absolut nicht gefiel, war der zweite Teil seiner Frage, welche so einen hochnäsigen und selbstgefälligen Beigeschmack trug. So als wäre dies nur eine Geste der Höflichkeit gegenüber einem Fremden, dessen Erlaubnis er im Grunde nicht benötigte.
    »Jahrgang siebenundfünfzig«, sprach ich rasch und gefühllos.
    Bedenklich schüttelte er den Kopf und gab mir meinen Ausweis zurück, den ich sofort wieder in meine Jackentasche schob.
    Er ging zu seinem Wagen und zog sich seine warme Dienstjacke über. Auch mich fröstelte es immer mehr, und ich zündete mir eine Zigarette an, wobei ich meinem mürrischen Gegenüber ebenfalls eine anbot. Er lehnte schweigend ab. Kann sein, dass er Nichtraucher war, ich vermutete aber eher, dass er einem ´´akademischen Touristen´´, dessen Alter nicht mal die Mitte dreißig erreichte hatte, keinesfalls über den Weg traute.
    Er lehnte sich gegen seinen Wagen und warf einen kurzen Blick in jede Richtung des Highways, vermutlich um sich zu vergewissern, dass kein Fahrzeug auf der, meiner Meinung nach, von Gott verlassenen Straße entlang fuhr.
    Als er seine Aufmerksamkeit erneut auf mich richtete, bemerkte ich in seinem Gesicht einen seltsamen Augenausdruck, der mir einen Schauder über den Rücken laufen ließ. Ich konnte keine Erklärung dafür finden. Es war so geheimnisvoll und dennoch fragend, als ob er irgendetwas zu wissen glaubte, mir aber nicht davon berichten konnte. Entweder wollte oder durfte er mir nichts sagen.
    »Warum wollten Sie ausgerechnet hierher versetzt werden?«, fragte er kopfschüttelnd. »Steve können Sie nicht ersetzen, egal wie gut Sie sind, was ich ohnehin stark bezweifeln muss.«
    Oh Mann. Nun wusste ich, wie sich Richard Dreyfuss gefühlt haben musste, als er den ´´Außerirdischen der Dritten Art´´ begegnet war. Dieser Sheriff legte es förmlich darauf an, mich zu reizen.
    Mit diesem ´´Steve´´ meinte er Sheriff Brauner. Dass sie sich kannten, wurde mir nun klar. Und wenn sie auch noch miteinander befreundet waren, worauf ich schloss, da er ihn mit dessen Vornamen anredete, konnte ich seine Unhöflichkeit gegenüber mir im Nachhinein verstehen.
    Womöglich meinte er es mit mir auch noch gut, und wenn ich die Wahl gehabt hätte, hätte ich diesem Abbild eines Seeelefanten auch noch recht gegeben, dass ich hier absolut nichts zu suchen hatte. Leider blieb mir diese Wahl verwehrt.
    Mit der Antwort auf seine Frage tat ich mich schwer. Auf gar keinen Fall wollte ich meine Strafversetzung erwähnen. Ich meine, wie käme das denn, wenn ich gleich mit der Tür ins Haus fallen würde? Welches Licht würde dies auf mich werfen? Nicht, dass es mir besonders wichtig wäre, was Teasle von mir halten würde, doch eines war sicher. Gerade in einem Bezirk, in dem sich Fuchs und Hase gute Nacht sagen, wäre es nur eine Frage von Stunden gewesen, bis jeder davon Bescheid gewusst hätte.
    Das sollte ich zu verhindern wissen. Ich mochte nicht noch einmal dasselbe erleben wie damals beim FBI Kollegium, als jeder von meiner Affäre und meiner Scheidung wusste. Nein, auf keinen Fall nochmal das gleiche, wie bei einer der typischen Seifenopern, die sich stetig wiederholten und kaum merklich voneinander unterschieden.
    »Ich hatte einfach die schlechte Luft in der Stadt satt und wollte mein Glück hier versuchen«, nuschelte ich und hoffte, dass er die Hälfte nicht verstand, da dies alles andere als der Wahrheit entsprach. Ich musste zugeben, ich mochte diese Art von Lügerei nicht mehr. Diese permanenten Ausreden, damals bei meiner Frau, lehrten mich, dass Lügen nie wasserdicht genug waren, um damit Tiefseefischen zu gehen.
    Kopfschüttelnd sah mich Mister ´´Ich Boss du Nichts´´ an, während er kurz danach schwer ausatmete, als würde er einen inneren Druck ablassen, nachdem er sich verbal an mir abreagiert hatte. Er änderte seine Miene und nickte.
    »Na dann, viel Glück Junge«, gab er ironisch von sich und klopfte mir auf die Schulter. »Steve und ich waren Freunde und kannten uns schon seit unserer Kindheit. Sein unerwarteter Tod traf mich schwer und ich muss zugeben, ich kann es eben nicht leiden, wenn er einfach ´´ersetzt´´ wird.«
    »Das kann ich verstehen, Sheriff, und ich hoffe Sie glauben mir, wenn ich Ihnen versichere, dass ich mich nicht besonders wohl dabei fühle, in Ihren Bezirk einzudringen.«
    »Mein Bezirk?«, fragte er und gab mir dabei zu verstehen, dass ich mit meiner Aussage völlig falsch lag. »Glauben Sie mir, zu diesen Siedlungen bringen mich keine zehn Pferde. Mein Bezirk ist und bleibt New-Rock.«
    New-Rock? Das sagte mir etwas. Ich versuchte, mich zu erinnern, in welchem Bezug ich diesen Namen schon einmal gehört oder gelesen hatte.
    »Steve war in Crimson stationiert und übernahm das Amt des Sheriffs der Siedlungen nördlich von New-Rock, deren Einwohner ebenso gottlos sind, wie ihr ganzer verfluchter Kontinent. Diese seltsamen Europäer«, untermalte er seine Aussage, deren bitteren Beigeschmack ich förmlich auf meiner Zunge zu spüren glaubte.
    Wie kann man nur so voller Hass und Vorurteile sein? Wenn hier alle nur halb so viel Sarkasmus besaßen, wäre die Hölle ein Paradies, in das ich nur zu gern flüchten würde. Wenigstens wusste ich nun, was es mit New-Rock auf sich hatte. Es war die Stadt, die einige Meilen vor den Siedlungen lag. Als ich die Karte im Flugzeug studiert hatte, fiel mir ein Fleck auf ihr auf, und ich vermutete zuerst, dass es sich um einen Kaffeefleck handelte, doch dann bemerkte ich darunter ein Wort, welches mit kleinen schwarzen Buchstaben aufgedruckt war. New-Rock. Es war der Name jenes Ortes, dessen Sheriff alles andere als ein geselliger Mann war.
    Mir wurde klar, dass meine Versetzung einen seltsamen Beigeschmack trug. Wenn man abergläubisch wäre, könnte man eine gewisse Verbindung herstellen, was die beiden Städte angeht. Detroit nannte man auch Rock City, und meine Reise führte mich nach New-Rock.
    Wie eine Art von Neuanfang, wobei ich dies eher als mein langsames Ende beschreiben würde. Bei dem Truck vorhin wäre es deutlich schneller gegangen.
    »Der Highway ist aber besonders leer heute«, sagte ich, um die Unterhaltung ein wenig aufzulockern. Aber das hätte ich mir sparen können. Teasle´s mürrisches Verhalten mir gegenüber blieb auf demselben Niveau. Jetzt wusste ich wenigstens, wie der Name vom Bruder des Teufels lautete.
    Der Sheriff entnahm aus dem Kofferraum seines Wagens eine Straßenkarte, welche er auf dem Dach ausbreitete.
    Er sah zu mir rüber und schwenkte mit dem Kopf, als Zeichen dafür, dass ich zu ihm kommen sollte, was ich infolgedessen auch tat, wenn auch mit einem mulmigen Gefühl in der Magengegend. Mal sehen, was für eine Boshaftigkeit er sich nun wieder ausgedacht hatte. Möglich, dass ich mich auch täuschte.
    »Der Highway ist immer wenig befahren, aber in der Nacht nimmt der Fernverkehr zu. Die Interstate verbindet Fairbanks mit Anchorage und ist ohnehin die einzige Straße im County, abgesehen von der Yukon Street, die Sie erreichen wollen.«
    Ups, was war denn jetzt passiert? ´´Mister Tunichtgut´´ sprach mich wieder mit ´´Sie´´ an. Dieser Sheriff war wirklich einer der ganz Hartgesottenen.
    Ich nickte und rieb mir in der Kälte die Hände warm.
    »Das wird hier noch viel kälter«, reagierte er rasch. »Außerdem sollten Sie sich etwas beeilen, denn in der nächsten halben Stunde, wird die Sonne untergehen, und diese schmale Straße nach New-Rock ist nicht so leicht befahrbar. Es ist dort keine Schwierigkeit, von der Straße abzukommen. Verkehrsschilder oder sonstige Fahrbahnmarkierungen suchen Sie dort vergeblich.«
    »Wird es in der Gegend denn immer so schnell dunkel?«
    Teasle nickte. »Sie haben heute sogar einen der hellen Tage erwischt. Die Sonne scheint heute besonders grell. Wohl ein Glückspilz, hm?«, grinste er, während er mit seiner dunklen Sonnenbrille gen Himmel starrte.
    Ein Glückspilz? Leicht schüttelte ich den Kopf, so dass er es nicht bemerken konnte. Ich fragte mich, was in diesem Menschen dort drüben vorging. Wie konnte er mich als ´´Glückspilz´´ bezeichnen? Gehen wir die ganze Sache doch mal logisch durch. Heute Morgen, in aller Frühe, na ja, sagen wir mal mitten in der Nacht, musste ich aus dem warmen Bett aufstehen, (wir hatten immerhin schon Ende November), meine Sachen packen, mich in einem absolut ungemütlichen Taxi zum Flughafen bringen lassen und eine billige Airline nach Fairbanks nehmen, mehr Geld stellte man mir nicht zur Verfügung. Kaum dort angekommen, musste ich mit meinem alten Chevy durch eine eiskalte und gottverlassene Gegend fahren, mich dabei fast von einem Laster überrollen lassen, durch einen viel zu kalten Schokoriegel einen Zahnarzttermin heraufbeschwören und mich dann auch noch mit einem Sheriff herumschlagen, der, wenn er mein Dad gewesen wäre, mich zum Selbstmord getrieben hätte, höchstwahrscheinlich mit einem befreiten Lächeln im Gesicht.
    Nein, so jemanden nenne ich definitiv nicht Glückspilz. Ich wage sogar zu behaupten, dass man das nicht unterschiedlich sehen konnte, sondern er hatte einfach nur Unrecht. Und wenn ich es mir recht überlege, war es mir auch völlig gleichgültig, ob er meine ganze Vorgeschichte kannte oder nicht. Ich behielt einfach Recht. Basta!
    Außerdem protestierte ich innerlich, denn wenn dieser Sheriff meinte, mir weismachen zu wollen, dass die Sonne heute grell scheine, dann sollte er dringend beim Augenarzt vorbeischauen. Denn meiner Meinung nach war es schon dunkel, als ich in Fairbanks ankam. Etwas verständlicher ausgedrückt, würde ich sagen: Es war hier noch nie hell!
    Jetzt wurde mir auch einiges klar. Diese dauerhafte Dunkelheit konnte einen ja nur depressiv werden lassen. Dies war kein Sonnenlicht. Wenn man den Himmel betrachtete, erkannte man nur einen weißen Hochnebel, der nicht einmal die Umrisse dieses hellen Sterns, der auf der ganzen Welt für Wärme und Licht sorgte, erkennen ließ. Oh ich vergaß, außer hier natürlich. Mir brannte es förmlich auf der Zunge, Teasle die Frage zu stellen, ob er überhaupt wüsste, dass unser Planet über eine Sonne verfügt, und dies einfach nur, um ihn ebenso verbal zu attackieren, wie er es mit mir ständig trieb, um mich als absoluten Volltrottel dastehen zu lassen. Doch ich wollte nicht auf seinem niederen Niveau agieren und beruhigte mich allmählich.
    Ich starrte auf seine Karte. Sie glich der, die in meinem Wagen lag. Der Sheriff sah ebenso darauf, sah sich um, starrte mich mit seiner Sonnenbrille auf seiner Nase an, brachte ein kurzes ´´Hm´´ heraus und faltete die Karte wieder zusammen.
    »Wissen Sie was?«, fragte er rhetorisch, warf die Karte in den Wagen und schwieg einen Augenblick. In seinem Radio lief plötzlich einer der Country Songs, in dem der Rock´n Roll fest verankert war. Ich glaubte zu erkennen, dass sein Kopf sich leicht im Rhythmus dazu bewegte und auch sein Fuß klopfte behutsam auf der Stelle. Es schien, so unglaubwürdig es mir auch vorkam, als ob der Sheriff seine musikalische Ader neu entdeckt hätte, die, so hoffte ich jedenfalls, seine Laune verbessern könnte.
    Ich wartete immer noch auf die Antwort auf seine rhetorische Frage, wobei ich hoffte, dass es nicht mehr allzu lange dauern würde, da ich erstens vollkommen durchgefroren war, sodass ich an der kanadischen Grenze locker als tiefgefrorenes Grill-Hähnchen durchgekommen wäre, und zweitens wanderten meine Blicke immer häufiger in die beiden Richtungen des Highways, da ich befürchtete, dass der Fernverkehr nun langsam anrollen würde, so wie es mir eben der Sheriff prophezeit hatte. Und ehrlich gesagt, von solch heranrasenden Trucks, hatte ich wohl für den Rest meines Lebens genug.
    »Fahren Sie mir hinterher. Ich zeige Ihnen den Weg nach New-Rock.«
    »Aber kamen Sie denn nicht von dort?«
    »Schon, aber den Termin in Fairbanks kann ich verschieben.«
    »Sheriff, ich bin Ihnen wirklich dankbar, aber ich möchte nicht, dass Sie meinetwegen in Verzug geraten.«
    »Blake, glauben Sie mir, wenn ich Ihnen sage, dass ich wegen Ihnen keinesfalls in Schwierigkeiten geraten werde?«
    Ich grinste. »Bestimmt!«
    »Haben Sie eine Sonnenbrille?« fragte er mich.
    »Im Gepäck, womöglich, ich weiß es nicht.«
    »Besorgen Sie sich eine. Glauben Sie mir, der Schnee macht einen auf die Dauer blind.«
    »Werde ich tun«, antwortete ich.
    Der Sheriff stieg in den Wagen, ließ den Motor an und wendete. Ich ließ nicht lange auf mich warten und joggte förmlich zu meinem Chevy, dessen Motor immer noch lief. Als sein Wagen langsam an mir vorbeifuhr, stoppte er kurz und sah zu mir rüber.
    Mit Mühe und Not kurbelte ich mein Fenster ganz herunter, da die Kälte wohl langsam diesen Wagen vollends dahinraffte und die Mechanik schon halb festgefroren war.
    »Schalten Sie Ihr Licht ein, auf dieser Straße werden Sie es brauchen. Versuchen Sie in der Spur zu bleiben, man rutscht hier so verdammt schnell und ich habe mein Abschleppseil bei den Tanners vergessen.« Dabei zog er die Augenbrauen hoch, als ob er mich zum Gehorsam erziehen wollte. Ich nickte und zeigte ihm einen schlecht geführten Militärgruß, welchen er mit einem abwertenden Kopfschütteln ablehnte.
    Dann fuhr er los und ich folgte ihm, während ich mein Fenster vollständig schloss. Der Temperaturmesser zeigte mir nun minus fünfzehn Grad und auch wenn ich es hasste zuzugeben, dass Sheriff Teasle Recht behielt, tat ich es dennoch. Denn die ankommende Dunkelheit, von der er gesprochen hatte, setzte wirklich schon ein. Ich bemerkte das von Minute zu Minute schwindende Tageslicht und den stetig dichter werdenden Dunst. Einige Schneeflocken flogen gegen meine Windschutzscheibe, als plötzlich der Wagen der Interstate County Police stark rechts abbog. Ich folgte, auch wenn mein Gefühl mich davor warnte, den einigermaßen sicheren Highway zu verlassen. Ich brachte ein leises ´´Entschuldigung´´ heraus, womit ich die Interstate 3 meinte, über die ich mich noch vor kurzem so aufgeregt hatte.
    Ein kurzes Poltern der Stoßdämpfer schüttelte mich in der Fahrerkabine durch, und ich dachte, ich wäre in einem Schlagloch stecken geblieben. Doch so schnell dies vonstattenging, so schnell verschwand es auch wieder, und vor mir zeichnete sich eine Straße ab, deren verschneite Fahrbahn sich einen Weg durch die für mich unbekannte Landschaft fraß.
    Durch einen kurzen Blick in den Rückspiegel, konnte ich noch einmal den Highway erkennen, der durch das Rot meiner Rückleuchten erhellt wurde, während ich mich immer weiter davon entfernte. Ein gut beleuchteter Truck, der in Richtung Fairbanks dahin rauschte, war das Letzte, was ich vom Highway mitbekam, während ich mich wieder auf die Straße vor mir konzentrieren musste.
    Ein Lied schoss mir plötzlich durch den Kopf, obwohl ich es bestimmt schon fünf Jahre nicht mehr vernommen hatte. Es handelte sich um einen Song der Rockgruppe AC/DC. Der Titel lautete ´´Highway to Hell´´.

Zweiter Tag

 

    Der zweite Engel blies seine Posaune. Da wurde etwas, das einem großen brennenden Berg glich, ins Meer geworfen. Ein Drittel des Meeres wurde zu Blut.
    Offenbarung Kapitel 8 Vers 8
    
    Während die Nacht das eiskalte Land vollständig umfing, versuchte ich die Rücklichter meines ´´geliebten´´ Sheriffs nicht aus den Augen zu verlieren, was sich als ziemlich schwierig erwies, da der Schneefall enorm zugenommen hatte. Es kam mir so vor, als ob ich in eine andere Welt vorgedrungen war, seit ich die Interstate verlassen hatte. Die Straße wurde holpriger, die Kälte klirrender, und meine Gedanken, die auf der Fahrt von Fairbanks zu dieser Yukon Street zuweilen mit einigen warmen Erinnerungen aufgefrischt wurden, verwandelten sich langsam aber sicher in eisige Zukunftsprophezeiungen.
    Lange schon hatte ich keine Häuser oder andere zivilisierte Behausungen gesehen. Ich fragte mich, wohin mich dieser Sheriff führen würde. Auf dieser schneebedeckten Straße, deren Kurven ebenso zahlreich waren wie ihre Schlaglöcher, empfand ich es schon als Herausforderung den Radioknopf zu betätigen. Doch es gelang mir schließlich. Wie erstaunt war ich, als ich plötzlich Musik aus den Lautsprechern vernahm, die in meiner Fahrertür integriert waren. Ich hatte fest daran geglaubt, dass hier keineswegs Empfang vorhanden wäre.
    Nun, ich musste zugeben, dass es eine meiner wenigen Spezialitäten war, fest an Dinge zu glauben, die sich negativ auf mich auswirkten. Murphys Gesetz war seit meiner Scheidung ein fester Bestandteil meines Lebens.
    Viele Sender konnte ich nicht empfangen, entweder war das Rauschen so enorm, dass ich kein Wort verstand, oder es war einer dieser typischen Sender, in denen sich die Moderatoren gerne selbst hören. So blieb mir wohl nichts anderes übrig, als diesen Country- Sender einzustellen, den Sheriff Teasle wohl ebenso hörte, so vermutete ich zumindest.
    Während ich mir eine Zigarette ansteckte, schüttelte ich den Kopf und konnte es kaum fassen, welche weiteren, verrückten Zufälle mir das Leben noch zuspielte. Der Song, der im Radio lief, lautete ´´Detroit City´´ von Johnny Cash.
    Das Dunkle schien allgegenwärtig, und wenn es nicht so ernst gewesen wäre, hätte ich lauthals losgelacht. Doch wo es Schatten gibt, existiert auch Licht, und so endete diese Fahrt nach weiteren zwanzig Meilen auf diesem von Löchern verseuchten Straßenimitat an einem Ortsschild, welches zugeschneit inmitten eines Feldes stand und mir mit seinen weißen Buchstaben New-Rock ankündigte, obgleich ich es nur erraten konnte, da ich effektiv nur ´´w-Ro´´ erkannte. Aber was sollte es sonst sein?