Der Bergpfarrer 112 – Was kümmern uns die Leut’?

Der Bergpfarrer –112–

Was kümmern uns die Leut’?

Ich liebe dich, auch ohne Geld

Roman von Toni Waidacher

Tobias Wallinger schreckte hoch und richtete sich in seinem Bett auf. Durch den Vorhang vor den Fenstern drang das erste Licht des Tages. Ein Blick auf den Wecker zeigte ihm, wie spät es war.

Um Himmels willen, schoß es dem jungen Bauern durch den Kopf, du hast ja verschlafen!

Er sprang aus dem Bett und eilte ins Bad. Anschließend zog er hastig Arbeitshose und Hemd an und schlüpfte in die Hausschuhe. Als er aus seiner Kammer trat, fiel ihm die Stille, die im Haus herrschte, geradezu auf.

Resl, sollte sie etwa auch verschlafen haben?

So recht mochte er es nicht glauben. Es wäre das erste Mal gewesen, daß die Magd nicht rechtzeitig aufstand.

Tobias klopfte an ihre Tür.

»Resl, bist du wach?« rief er.

Verhaltenes Stöhnen erklang aus der Kammer. Der Bauer drückte die Klinke herunter und schaute hinein.

Therese Oberleitner lag mit schmerzverzerrtem Gesicht in ihrem Bett und schaute ihn hilflos an.

»Du meine Güte, was ist denn mit dir?« fragte Tobias entsetzt.

»Ich kann net aufsteh’n«, kam es kläglich zurück. »Der ganze Rücken tut mir weh.«

Jetzt wußte Tobias, warum er verschlafen hatte. Jeden Morgen weckten ihn die Geräusche aus der Küche, wenn die Magd das Frühstück zubereitete, und zudem noch der Duft des frischgebrühten Kaffees bis in seine Kammer hinaufstieg.

Er trat an das Bett. Resl lag auf ihrem Kissen, das schlohweiße Haar, das sie sonst zu einem Kranz gebunden um den Kopf trug, war offen, und in ihrem faltigen Gesicht stand der Schmerz geschrieben, der sie peinigte.

»Ist es net besser geworden?«

Seit Tagen jammerte die Magd über die Schmerzen in ihrem Rücken. Die Hausarbeit fiel ihr schwer, weil sie sich kaum noch bücken konnte. Tobias hatte immer wieder gesagt, sie solle zum Arzt gehen, doch Resl wollte nicht auf ihn hören.

Das war jetzt die Quittung für ihre Sturheit!

Tobias drückte sie sanft zurück, als die alte Frau sich mühsam aufrichten wollte.

»Liegen bleibst’!« sagte er bestimmt. »Ich mach’ dir gleich eine Wärmflasche und dann ruf’ ich den Doktor an. Mit einem Hexenschuß kannst’ net aufsteh’n und arbeiten schon gleich gar net!«

Resl wagte keine Erwiderung. Die halbe Nacht hatte sie nicht geschlafen vor lauter Schmerzen. Jetzt war sie dankbar, daß sie nicht aufstehen mußte.

Der junge Bauer lief die Treppe hinunter. Aus dem Stall erklang das ungeduldige Muhen der Kühe. Sie hätten schon längst gemolken, gefüttert und auf die Weide gelassen werden sollen. Doch jetzt mußten sie noch warten. Tobias ging in die Küche und stellte den Wasserkessel auf. Dann suchte er die Wärmflasche. Während er darauf wartete, daß das Wasser kochte, stellte er die Kaffeemaschine an und holte Butter und Wurst aus dem Kühlschrank. Er schnitt Brot und bestrich zwei Scheiben mit Butter, Wurst und Käse darauf und legte sie auf ein Frühstücksbrett. Zwischendurch pfiff der Kessel, und der Bauer goß das heiße Wasser in die Wärmflasche. Dann nahm er einen Becher aus dem Küchenschrank, gab Zucker und Milch hinein und goß Kaffee dazu. Wenig später stand er wieder in der Kammer der Magd.

»So«, sagte er, »jetzt wird’s dir bald besser geh’n.«

Die Wärmflasche tat Resl gut, auch wenn es eine Weile gedauert hatte, bis der Bauer die Magd aufrichten und die Flasche hinter ihren Rücken stecken konnte.

»Danke, Tobias«, sagte sie mit schwacher Stimme. »Du bist ein guter Bub.«

Er lächelte über diese Bezeichnung, immerhin war er schon sechsundzwanzig Jahre alt und somit alles andere als ein Bub. Aber Resl nannte ihn schon immer so. Als Tobias geboren wurde, war sie schon auf dem Wallingerhof in Stellung, und als die Bäuerin überraschend früh verstarb, vertrat die Magd die Mutterstelle. Seit dieser Zeit hatten sie ein inniges Verhältnis, und es tat Tobias weh, sie so leiden zu sehen.

»Ich ruf’ nachher den Arzt an«, versprach er. »Jetzt muß ich mich erstmal um die Viecher kümmern.«

Er lächelte ihr aufmunternd zu und lief nach unten. Die Kühe muhten inzwischen noch lauter, sie waren ungeduldig geworden.

Der Bauer verrichtete alle anfallenden Arbeiten und setzte sich erst zwei Stunden später in die Küche, um selber zu frühstücken. Allerdings wollte es ihm an diesem Morgen nicht schmecken, die Sorge um die Magd schlug ihm auf den Magen. Erschreckt dachte er daran, wie es sein würde, wenn Resl nicht mehr auf dem Hof war. In letzter Zeit war ihm häufiger dieser Gedanke gekommen; seit sie immer wieder über diese und jene Beschwerden geklagt hatte, konnte Tobias sich der Tatsache nicht mehr verschließen, daß die Magd inzwischen weit über sechzig war und eigentlich längst in Rente hätte gehen sollen.

Natürlich wollte Resl davon nichts wissen. Bis zum Umfallen wolle sie arbeiten, hatte sie immer wieder gesagt, und nun war es geschehen.

Der Bauer schaute auf die Uhr. Zeit in der Praxis anzurufen. Christel Burger, die den Anruf entgegennahm, versprach, den Doktor herauszuschicken, es könne aber dauern. Erst am frühen Nachmittag kam Dr. Wiesinger auf den Wallingerhof gefahren, bis dahin hatten Resls Schmerzen nicht wesentlich nachgelassen.

Tobias wartete ungeduldig in der Diele, während der Arzt die Magd untersuchte. Toni Wiesinger machte ein ernstes Gesicht, als er die Treppe herunterkam.

»Was ist mit Resl?« fragte der Bauer besorgt.

»Es schaut net gut aus«, erwiderte der Arzt. »Sie muß ins Krankenhaus. Am besten sofort. Es ist kein Hexenschuß, sondern die Bandscheibe, und damit ist net zu spaßen.«

Tobias war kreidebleich geworden.

»Um Himmels willen«, entfuhr es ihm.

»Ich ruf’ gleich einen Krankenwagen«, erklärte Dr. Wiesinger. »Pack’ inzwischen ein paar Sachen zusammen.«

Tobias lief in Resls Kammer. Die Magd glich einem Häufchen Elend.

»Bub, wenn ich net wiederkomm’...«, sagte sie mit matter Stimme.

»Red’ keinen Unsinn!« unterbrach der Bauer sie bestimmt. »Natürlich kommst’ wieder.«

»Ich mein’ ja nur, für den Fall..., also meine Ersparnisse, die sollst du bekommen.«

Tobias spürte, wie ihm die Tränen in die Augen stiegen. Er setzte sich vorsichtig auf den Rand des Bettes und nahm die Hände der alten Frau.

»Jeden Tag komm’ ich dich besuchen«, versprach er. »Und in ein paar Wochen bist’ wieder zu Haus’.«

*

Indes war es nicht so einfach, dieses Versprechen zu halten. Das merkte Tobias Wallinger schon am zweiten Tag. Die Arbeit war für einen einfach zuviel. Mit Resl auf dem Hof hatte es immer wunderbar geklappt, doch jetzt merkte der Bauer, daß die Magd an allen Ecken und Enden fehlte.

»Du mußt jemanden einstellen«, sagte Pfarrer Trenker, der aus St. Johann heraufgekommen war, nachdem er von Resls Krankenhausaufenthalt erfahren hatte. »Es geht gar net anders. Der Doktor sagt, es kann bis zu einem Vierteljahr dauern, bis Resl wieder ganz gesund ist. Und auch dann wird sie net mehr so können wie früher. Du darfst net vergessen, daß sie net mehr die Jüngste ist.«

Mit dem Gedanken, eine andere Magd einzustellen, konnte sich Tobias überhaupt nicht anfreunden, er sah allerdings ein, daß Hochwürden recht hatte. Nicht mehr lange, und die Erntezeit begann, dann würde er den ganzen Tag draußen auf den Feldern sein. Irgend jemand mußte sich dann um Haus und Hof kümmern. Schließlich hatte er nur zwei Hände und konnte sich nicht zerreißen.

Seufzend ging er in die Wohnstube, nachdem der Geistliche gegangen war, und suchte nach dem Telefonbuch. Als er die Nummer des Arbeitsamtes wählte, hatte er beschlossen, erst einmal nach einer Aushilfe zu fragen, angestellt für drei Monate. Dann wollte er weitersehen.

»Ich glaube, ich hab’ da jemanden für Sie«, sagte der Sachbearbeiter, mit dem der Bauer sprach. »Die Anfrage kommt aus Passau, ein junges Madel sucht Arbeit.«

»Ein Madel?« fragte Tobias skeptisch.

Eine ältere, erfahrene Magd wäre ihm lieber gewesen.

»Die Frau Sonnenleitner hat auf dem Hof ihres Vaters gearbeitet«, erklärte der Mann am Telefon. »Sie besitzt genügend Erfahrung und kann alles, was man können muß, um als Magd zu arbeiten.«

»Na schön«, stimmte Tobias zu, »dann schicken S’ sie mir mal her.«

»In spätestens zwei Tagen ist sie bei Ihnen«, beendete der Sachbearbeiter das Gespräch.

Tobias legte den Hörer auf und zog sich um. Gestern hatte er Resl noch am Abend besucht. Sie war gleich nach der Einlieferung operiert worden. Der Bauer hatte mit blassem Gesicht an ihrem Bett gesessen und ihre Hand gehalten. Er wartete, bis sie aus der Narkose aufgewacht.

»Da bist’ ja, Bub«, hatte sie mit matter Stimme gesagt, aber immerhin ein Lächeln zustande gebracht.

Der Arzt hatte ihm gesagt, daß Resl die Operation gut überstanden hätte, man aber erst einmal abwarten müsse. Als Tobias ihr es jetzt erzählte, zeichnete sich ein düsterer Schatten auf ihrem Gesicht ab.

»Was willst’ denn bloß anfangen, ohne mich?« fragte sie.

Tobias hatte sie aufmunternd angelächelt und erwidert, daß ihm schon etwas einfallen werde.

Als er sie jetzt besuchte, strahlte die alte Magd schon wieder.

»Hast’ noch Schmerzen?« fragte Tobias besorgt.

Resl schüttelte den Kopf.

»Net der Rede wert. Wie geht’s auf dem Hof?«

»Alles in bester Ordnung, bloß der Willi sucht immer nach dir.«

Willi war der Hofhund, dem Resl hin und wieder einen Knochen oder anderen Leckerbissen außer der Reihe zukommen ließ.

Die Magd freute sich über den Blumenstrauß, den Tobias ihr mitgebracht hatte. Er stammte aus dem Garten, den Resl mit Hingabe hegte und pflegte.

»Der Arzt meint, es wird schon noch eine Weile dauern, bis du wieder auf den Beinen bist«, sagte der Bauer, nachdem er die Blumen in eine Vase gestellt hatte.

Resl nickte bekümmert.

»Wirst’ denn das alles alleine schaffen?« fragte sie. »Wo doch jetzt die Ernte vor der Tür steht.«

»Darüber wollt’ ich mit dir sprechen«, antwortete er. »Morgen kommt eine Aushilfe, die solang’ bleibt, bist du wieder fit bist.«

»Eine Aushilfe? Wer ist sie denn?«

Der Bauer zuckte die Schultern.

»Ich kenn’ sie noch net. Eine Frau Sonnenleitner, ich hab’ sie über das Arbeitsamt bekommen.«

»Ach, das ist gut«, sagte die Magd beruhigt. »Übrigens, in der Kühltruhe, da sind noch Suppen und Braten eingefroren. Bestimmt hast in den letzten zwei Tagen nix rechtes gegessen, wie ich dich kenne. Mach’ dir was davon warm. Wenn die Frau Sonnenleitner erstmal da ist, wird sie das Kochen schon übernehmen.«

Tobias lächelte. Resl kannte ihn wirklich durch und durch; seit gestern hatte er tatsächlich nur von Broten und Kaffee gelebt.

Sie unterhielten sich darüber, was die neue Magd alles beachten müsse, wenn sie Resls Vertretung übernahm, und der Bauer hatte Mühe, sich all die Anweisungen zu merken. Vor allem den Garten sollte die Frau Sonnenleitner in Schuß halten. Äpfel waren reif und mußten gepflückt und eingelagert werden, und nicht mehr lange, dann waren auch die Zwetschgen soweit.

Tobias versprach, auf alles zu achten. Als er sich verabschiedete, hielt Resl seine Hand einen Moment fest.

»Es wird Zeit, daß du dir eine Frau suchst, Bub«, sagte sie. »Du hast ja geseh’n, wie schnell es geh’n kann. Und wenn ich erstmal ganz vom Hof bin, dann brauchst’ eine Frau an deiner Seite.«

»Himmel, jetzt red’ net so einen Unsinn!« schimpfte der Bauer, halb belustig, halb verärgert. »Du wirst hundert Jahre alt.«

Er gab ihr einen Kuß auf die Wange und ging zur Tür. Dort drehte er sich noch einmal um.

»Und das mit der Frau«, grinste er, »das überleg’ ich mir noch mal. Pfüat di’, Resl.«

»Die Katja, die wär’ die Richtige für dich«, rief sie ihm noch hinterher.

*

Die junge Frau warf einen letzten, wehmütigen Blick auf den Bauernhof. Es war kein leichter Abschied, immerhin hatte Burgl hier dreiundzwanzig Jahre ihres Lebens verbracht und nun würde sie ihre Heimat verlassen und vielleicht nie wieder zurückkehren.

Seufzend stieg sie in ihren Wagen. Auf der Rückbank lagen Koffer und Kartons; alles was sie, außer dem Auto, noch besaß – ihr einzig Hab und Gut.

Burgl kämpfte die Tränen nieder, die in ihr aufsteigen wollten, und ließ den Motor an. Während sie von dem Weg abbog, der zum Sonnenleitnerhof führte, dachte sie daran, was ihr die Zukunft wohl bringen würde. Lange Zeit hatte es so ausgesehen, als wenn sie nie wieder auf die Beine käme, vielleicht sogar Sozialhilfe beantragen müßte. Der Mann auf dem Arbeitsamt hatte ihr nicht viele Hoffnungen machen können. Burgl hatte beinahe jeden Tag dort vorgesprochen, doch der Sachbearbeiter schüttelte stets bedauernd den Kopf.

»Was soll ich machen, Frau Sonnenleitner«, war sein ewiger Satz. »Eine Magd wird net gesucht, und was and’res haben S’ net gelernt. Ich weiß beim besten Willen net, was für eine Arbeit ich Ihnen anbieten könnt’.«

»Die Arbeit ist mir gleich«, antwortete die hübsche, blonde Frau dann immer. »Ich muß Geld verdienen, um die Schulden abzahlen zu können. Dafür geh’ ich auch putzen.«

Natürlich hatte der Mann auf der anderen Seite des Schreibtisches Verständnis für ihre Lage, doch so gerne er auch geholfen hätte, es gab einfach keine Arbeit.