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Philipp Bachmann

Jurawandern

Von der Lägern bei Zürich zur Rhoneklus bei Genf

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Rotpunktverlag.

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Blick von der Rötifluh Richtung Osten über den Solothurner Jura.

Naturpunkt-Fachbeirat
Daniel Anker, Thomas Bachmann, Katharina Conradin, Lieni Roffler, Dominik Siegrist, Marco Volken

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Für Rückmeldungen, Korrekturen und Hinweise aller Art sind
wir dankbar.
Bitte schicken Sie alle festgestellten Veränderungen an:
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Umschlagbild: Herrliches Wandern über die Solothurner Jurahöhen.

© 2016 Rotpunktverlag, Zürich
www.rotpunktverlag.ch
www.wanderweb.ch

Bildbearbeitung: typopoint GbR, Ostfildern
Karten: Atelier Guido Köhler, Basel / rpv

ISBN 978-3-85869-716-5
1. Auflage 2016

Vorwort

Einmal den ganzen Jura durchwandern, von der Lägern bis nach Genf oder bis es nicht mehr weitergeht, immer nach Westen, dem Sonnenuntergang entgegen – wer hat das nicht auch schon geträumt? Und wie oft ist es doch nur beim guten Vorsatz geblieben?

Wir – zwei Familien aus dem Fricktal – haben es versucht. In mehrtägigen Etappen sind wir jeweils im Herbst ein Stück weit über den Jura gewandert. Dann wurden die Kinder älter, hatten keine Lust mehr am Wandern und so blieb das Ziel, den ganzen Jura »zu machen«, vorläufig unerreicht.

Doch dank dem Buchprojekt Jurawandern habe ich die fehlenden Wanderabschnitte später nachgeholt und ich empfehle Ihnen, die attraktive Weitwanderung über die Jurahöhen – sei es per pedes oder einfach nur lesend – ebenfalls mitzumachen. Die vorgeschlagene Route führt mäandernd durch Landschaften, Dörfer und Städte des Falten- und Tafeljuras, durch einzigartige Kulturlandschaften der deutschen und welschen Schweiz und des französischen Juras, durch kaum bekannte Regionen mit ihren alten Geschichten und liebenswürdigen Menschen, kurz: durch die ganze landschaftliche und kulturelle Vielfalt des Juras.

Das Buch soll neugierig machen, Lust wecken, die ausgetretenen Touristenpfade zu verlassen und Land und Leute, Geschichte und Geschichten eines wenig bekannten Landesteils der Schweiz kennenzulernen.

Nach vier Auflagen von Jurawandern liegt nun eine vollständig überarbeitete Neuausgabe des Jurawanderbuchs vor. Dabei wurde der Start der Wanderung von Brugg nach Dielsdorf (ZH) vorverlegt, um auch den östlichsten Kettenjuraberg – die Lägern – sowie die attraktive Stadt Baden in die Wanderroute aufzunehmen. Ab Frick verläuft die Route neu in einem großen Bogen durchs Baselbiet. Via Tiersteinberg, Farnsburg und Sissach gehts zum Belchen hinauf, wo man wieder auf die frühere Wanderroute trifft. Weitere kleinere Routenänderungen sind in der Westschweiz und im französischen Jura vorgenommen worden. Aktualisiert und aufgearbeitet wurden auch die zahlreichen Hinweise unterwegs, die Unterkunfts- und Verpflegungsmöglichkeiten und schließlich auch die Hintergrundberichte.

Allen, die zum Gelingen des Jurabuches beigetragen haben, möchte ich herzlich danken, insbesondere meiner Frau Esther, die mich auf vielen Wanderungen begleitet und unzählige Denkanstöße geliefert hat, meinem Neffen Severin Beck, der die Anreise von Zürich nach Dielsdorf optimal vorbereitet hat, meinen Töchtern Selma und Angela, die mich auf neuen Routenvarianten begleitet haben und nicht zuletzt meinen Oberdörfer Wanderkollegen Ernst Gysin und Thomas Fournier mit Baschti, dem treuherzigen und fast immer folgsamen Wanderhund.

Ein großes Dankeschön gebührt aber auch dem Team des Rotpunktverlags, insbesondere Andreas Simmen für sein aufmerksames Lektorat und Patrizia Grab für ihren professionellen Blick bei der Buchgestaltung.

Philipp Bachmann, im März 2016

Inhalt

Vorwort

Prolog

Einführung

Nützliche Hinweise

Anreise

Etappe 1 Über die Lägern

Von Dielsdorf nach Baden

Baden

Etappe 2 Zum Wasserschloss

Von Baden nach Brugg

Wasser treibt die Wirtschaft an

Etappe 3 Auf Chriesi- und Eisenwegen

Von Brugg nach Frick

Der Jurapark Aargau

Etappe 4 Weitblick über den Tafeljura

Von Frick nach Sissach

Tierstein und Farnsburg

Etappe 5 Zum Belchen hinauf

Von Sissach nach Langenbruck

Wildnis oder Kulturlandschaft?

Etappe 6 Burgen, Klusen und Ruinen

Von Langenbruck auf die Schwengimatt

Vom Römerweg zur Autobahn

Etappe 7 Eine klassische Höhenwanderung

Von der Schwengimatt zum Weissenstein

Top of Solothurn

Etappe 8 Über die Sprachgrenze

Vom Weissenstein nach Moutier

Moutier – Bern oder Jura?

Etappe 9 Durch den unbekannten Jura

Von Moutier nach Bellelay

Der Tête de Moine – Erfolgsgeschichte einer Randregion

Etappe 10 Auf den Freibergen

Von Bellelay zum Étang de la Gruère

Die Täufer – oft vertrieben, selten geliebt

Etappe 11 Im Land der Pferde

Vom Étang de la Gruère nach Les Bois

Der jüngste Kanton

Etappe 12 Durch wilde Schluchten

Von Les Bois nach La Chaux-de-Fonds

La Chaux-de-Fonds

Etappe 13 Juraweiden und Picknickplätze

Von La Chaux-de-Fonds nach Les Ponts-de-Martel

Anarchisten und Sozialisten

Etappe 14 Vom Hochmoor zum Felsenkessel

Von Les Ponts-de-Martel auf den Creux du Van

Wild und Wald

Etappe 15 Über den Hochjura

Vom Creux du Van zum Chasseron

Kulinarisches aus dem Jura

Etappe 16 Drei Gipfel und ein Dorf

Vom Chasseron zum Suchet

Verkehrspolitik im westlichen Jura

Etappe 17 Geheimnisvolle Höhlenwelt

Vom Suchet nach Le Pont

Wasser löst den Stein

Etappe 18 Im Vallée de Joux

Von Le Pont auf den Col du Marchairuz

Uhren und ihre Macher

Etappe 19 Durch den Jurassic Park

Vom Col du Marchairuz nach St-Cergue

Der Parc Jurassien Vaudois

Etappe 20 Auf dem Balkon der Schweiz

Von St-Cergue zum Col de la Faucille

Jurawetter

Etappe 21 Trekking über die höchsten Juragipfel

Vom Col de la Faucille nach Le Gralet

Natur pur und Tourismus total

Etappe 22 Höhepunkt und langer Abstieg

Von Le Gralet nach Bellegarde

Fort l’Ecluse

Wie weiter?

Der Rätsel Lösung

Prolog

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An einem Spätherbsttag auf der Dent de Vaulion, im Hintergrund (Bildmitte) der Suchet.

Es ist Oktober und schon ziemlich kühl. Wir wandern über einsame Jurahöhen. Das Wetter wird zusehends schlechter. Schon vor dem Mittag kommt Nebel auf. Es beginnt zu regnen. Parallel mit dem Barometer sinkt auch unsere Stimmung. Was wollen wir eigentlich in dieser Einsamkeit? In dieser Nässe und Kälte?

Da taucht schemenhaft ein Haus auf. An der Stange hängt eine schlappe Schweizer Fahne. Weißer Rauch dringt aus dem Kamin. Zivilisation mitten in der Wildnis. Wir sind gerettet! Durchnässt und durchfroren, treten wir in die Gaststube ein und werden freundlich willkommen geheißen. Schon bald steht eine warme Suppe auf dem Tisch, gefolgt von einer riesigen Platte mit Neuenburger Würsten, Schinken, Speck, Bohnen, Karotten und Salzkartoffeln. Wir schlemmen und genießen das Essen bis zum letzten Nachschöpfen und bis zum üppigen Dessert, das aus überdimensionierten Meringues und einem Suppenlöffel voll Rahm besteht. Noch heute, nach Jahrzehnten, leuchten unsere Augen, wenn wir von jenem sagenhaften Mittagessen in der abgelegenen Bergwirtschaft weit hinten im Jura erzählen.

Einführung

Der Jura bietet weder Schneeberge noch Gletscher, weder große Flüsse und Seen noch spektakuläre Felsengebirge, dafür weite, offene Landschaften – und viele Überraschungen wie die eingangs beschriebene. Überraschend ist auch der krasse Gegensatz, den man erlebt, wenn man vom hektisch-geschäftigen Mittelland in die stille Welt der Juraweiden und Tannenwälder heraufkommt. Natürlich gibt es auch hier Lärm, Verkehr und Gestank, doch selbst in der größten Stadt (La Chaux-de-Fonds) ist man in wenigen Minuten in der Einsamkeit der Natur.

Ein bisschen Geografie

Dem Juragebirge fehlt die imposante Größe der Alpen. Sein höchster Gipfel, der Crêt de la Neige, erreicht bloß 1718 Meter. Gelten die Alpen als klassisches Bergsteigerland, ist der Jura ein ebenso klassisches Wanderland. Keine Drei- oder Viertausender müssen bezwungen werden, sondern höchstens einmal ein Aufstieg von einigen hundert Höhenmetern. Meistens aber geht es ohne allzu große Anstrengungen wellenförmig auf und nieder.

Das in der Form eines Croissant gebogene, 350 Kilometer lange Mittelgebirge war bis zum Eingreifen des Menschen fast vollständig bewaldet. Die Kelten nannten das Gebirge »Jor«, was so viel wie »Waldland« bedeutet. Auch heute noch gehört der Jura mit etwa 40 Prozent zu den waldreichsten Regionen der Schweiz. Die in unseren Augen typische Juralandschaft ist jedoch die Wytweide, die wir von den Freibergen her kennen. Hier hat der Mensch selektiv in den Wald eingegriffen, hat die meisten Bäume gefällt und nur wenige große Wettertannen als Schatten spendende Einzelbäume stehen gelassen und damit eine wunderbare Kulturlandschaft geschaffen.

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Ein weiteres charakteristisches Merkmal des Juras ist der Kalk. Das geologisch junge Faltengebirge besteht zu zwei Dritteln aus hartem Kalkstein, der das Gerüst der Falten bildet, und zu einem Drittel aus weichem Mergel und Ton, welche als Füllmaterial zwischen den harten Gesteinsfalten dienen.

Im geologischen Zeitalter des Mesozoikums vor 230 bis 65 Millionen Jahren wurde das Gebiet der heutigen Schweiz mehrmals von einem flachen Meer namens Tethys überflutet. Während dieser langen Epoche lagerten sich Millionen von Schalentieren, Muscheln, Schnecken, Ammoniten, Seesternen, Seeigeln und anderen Tier- und Pflanzenresten auf dem Meeresboden ab. An einigen Stellen entstanden im tropisch warmen Wasser Korallenriffe. Heute können wir die mesozoische Tierwelt als Versteinerungen an den Jurafelsen bewundern. Viel später, nämlich erst vor etwa 5 bis 7 Millionen Jahren, begann die Faltung des Juras. Durch den Druck des Kontinents Afrika und das Widerlager der alten Rumpfgebirge Schwarzwald, Vogesen und Massif Central wurden die mesozoischen Gesteinspakete zusammengestaucht und aufgefaltet. Dieser Vorgang steht im Zusammenhang mit der viel mächtigeren Alpenfaltung, die schon viel früher eingesetzt hatte.

Am stärksten wurden die Jurasedimente am Innenrand des sichelförmigen Gebirges gefaltet. Hier ziehen sich die höchsten Kreten als Kettenjura von der Lägern bis zum Mont Vuâche südlich der Rhoneklus bei Genf hin. Dieser Gebirgstyp nimmt den größten Teil des schweizerischen Juras ein.

Im nordwestlichen Jura war die Faltung schwächer. Durch die Erosion wurde das Relief noch weiter eingeebnet, sodass man, beispielsweise in den Freibergen, von einer Fast-Ebene (französisch »pénéplaine«) oder gewöhnlich vom Plateaujura spricht.

Ganz im Norden des Juras blieben die Gesteinssedimente ungefaltet. Hier kam es jedoch zu Brüchen und vertikalen Verschiebungen, die zur Tafeljuralandschaft des Fricktals, des Baselbiets und des schaffhausischen Randen führten.

Am Rand der Geschichte

So klar und einheitlich die Geologie des Juras ist, so vielfältig präsentiert sich die kulturgeografische Landschaft. Aufgegliedert in zahlreiche Kompartimente und Talschaften, unterscheiden sich die Regionen des Juras ebenso stark untereinander wie zu ihren Nachbargebieten im Mittelland und in Frankreich. Während in der Frühzeit der menschlichen Besiedlung topografische Hindernisse einen intensiveren Austausch erschwerten, waren es später politische, religiöse, sprachliche und mentalitätsbedingte Grenzen. »Es gibt keine Geschichte des Juras«, schreibt Max Mittler, »denn seine Regionen lagen stets am Rande bestimmter Herrschaften oder Staaten. Regiert und entschieden wurde fast immer anderswo.«

Es gab auch nie ein Staatsgebilde, das den ganzen Jura umfasst hätte; nicht einmal Ansätze dazu waren vorhanden. Der Jura war immer eine Randregion, ein Grenzland, wo sich die »Enden« weit entfernter Machtzentren trafen. Diese Distanz zur Zentralgewalt des Staates mag auch ein Grund für die anarchistischen Bewegungen gewesen sein, die sich im 19. Jahrhundert im Berner und Neuenburger Jura gebildet hatten. Man wollte nicht einen neuen, sondern lieber gar keinen Staat.

Die einzigen beiden Staatsgebilde, die man als »jurassisch« bezeichnen könnte, waren das Fürstbistum Basel und die Freigrafschaft Burgund mit der Hauptstadt Besançon. Die Franche-Comté genoss lange Zeit eine gewisse Autonomie innerhalb des spanisch-habsburgischen Königreichs, bis sie im 17. Jahrhundert vom zentralistischen Frankreich annektiert wurde. Das Schicksal des Fürstbistums Basel war mit dem Wiener Kongress (1815) ebenfalls besiegelt. Der Kanton Bern, der das Gebiet eher widerwillig erbte, behandelte sein neues Territorium lange Zeit als zweitrangiges Randgebiet. Aber auch in den Kantonen Aargau, Solothurn, Neuenburg und Waadt liegen die politischen Machtzentren außerhalb des Juras. Ausnahmen sind nur Baselland, das sich im 19. Jahrhundert von der Stadt abgespalten hat, und der 1979 gegründete Kanton Jura. Im Gegensatz zur Alpenlobby (Stichwort »Wasserkraft«) ist auf dem politischen Parkett weit und breit keine entsprechende Juralobby auszumachen. Bezeichnenderweise schloss sich der Kanton Jura auch dem Wirtschaftsraum »Espace Mittelland« an, der 2009 wieder aufgelöst wurde.

Jurassische Eigenart?

Gibt es ein gemeinsames Bewusstsein, vielleicht gar eine jurassische Identität, die sich vom Oberfricktal bis ins Vallée de Joux und bis nach Besançon feststellen ließe? Eigentlich nicht. Es gibt zwar seit 1994 die Institution »Conférence Trans-Jurassienne« (CTJ), welche die französisch-schweizerische Zusammenarbeit im Jurabogen zum Ziel hat und seit 2008 den »Arc Jurassien suisse«, der eine engere Kooperation unter den Jurakantonen Waadt, Neuenburg, Jura und Bern anstrebt sowie eine institutionelle Zusammenarbeit mit den benachbarten französischen Distrikten der Franche-Comté, doch alle transjurassischen Bestrebungen endeten bisher an der Sprachgrenze. Neben der sprachlichen wirken auch konfessionelle und kantonale Grenzen als psychologische Barrieren. Das hatte sich auch bei der Geburt des Kantons Jura gezeigt.

Andererseits gibt es typisch jurassische Eigenheiten, die zumindest für einen Teil des Jurabogens zutreffen. Im wirtschaftlichen Bereich ist es die (ursprünglich) dezentral organisierte Uhrenindustrie, die man fast überall im Jura und an dessen Südfuß, aber selten im Mittelland antrifft. Typisch ist auch der hohe Anteil des industriellen Sektors, der sich in vielen kleineren Betrieben der Feinmechanik und Mikroelektronik zeigt.

Im politischen Bereich stellt man sehr oft ein abweichendes Abstimmungsverhalten des Jurabogens von Genf bis Basel fest. Soziale Vorlagen und solche, die für eine Öffnung der Schweiz eintreten, finden hier deutlich mehr Unterstützung als in der übrigen Schweiz. Umgekehrt werden fremdenfeindliche Initiativen höher verworfen. Gibt es im Jura somit mehr Toleranz und Offenheit gegenüber Neuem und Fremdem als anderswo? Das Erlebnis in jener gastfreundlichen Bergwirtschaft weit hinten im Jura deutet jedenfalls darauf hin. Lassen wir uns also auf unseren Jurawanderungen überraschen!

Nützliche Hinweise

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Die gelben Wanderwegweiser machen genaue Zeitangaben, allerdings ohne Zwischenpausen.

Juraweitwandern beschreibt in 22 Etappen den Weg von Dielsdorf (ZH) über den Jurabogen bis nach Bellegarde (F) südwestlich von Genf. Die meisten Tagesetappen erlauben ein genussvolles Wandern. Einzelne sind jedoch mangels Alternativen relativ lang, zum Beispiel diejenigen im Französischen Jura. Jede Etappe endet an einem Ort mit Übernachtungsmöglichkeiten (Hotel, Pension, Schlafen im Stroh oder Touristenlager in einer Bergwirtschaft). Mit Ausnahme der zweitletzten Wegstrecke im französischen Jura kann man sich an jedem Etappenort – und meist auch unterwegs – in Restaurants oder Bergwirtschaften verpflegen. Das geht zwar ans Portemonnaie, reduziert aber das Gewicht des Rucksacks auf ein buchstäblich erträgliches Maß.

Die gut dreiwöchige Weitwanderung kann auch in ein- oder mehrtägige Abschnitte unterteilt werden, da die meisten Endpunkte mit öffentlichen Verkehrsmitteln erschlossen sind. Man kann natürlich auch Rosinen picken und die interessantesten Strecken als Tages- oder Halbtagestouren durchführen. Selbstverständlich ist es auch möglich, die ganze Strecke in umgekehrter Richtung von West nach Ost zu wandern.

Markierung und Wanderzeiten

Mit wenigen Ausnahmen verläuft die Route auf gelb ausgeschilderten Wanderwegen. (Die gelb-roten Markierungen für die Jurahöhenwege wurden vor einigen Jahren von Amtes wegen eliminiert.) Im französischen Jura wechselt die Markierung auf rot-weiße Striche und seltener auf rot-gelbe oder gelbe.

Die im Buch angegebenen Wanderzeiten wurden im Allgemeinen von Wegweisern und anderen Wanderführern übernommen. Die Zeitangaben enthalten keine Pausen, das heißt, für längere Strecken und für den ganzen Tag muss mehr Zeit eingerechnet werden, als hier angegeben wird. Für Familien mit kleineren Kindern fährt man mit einer Verdoppelung der Wegweiserzeiten nicht schlecht. Gemütliche Wanderinnen und Wanderer, die auch einmal Durst verspüren, rechnen das Anderthalbfache der angegebenen Zeiten.

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Die Rinder auf dem Col de Crozet gehen dem Wanderer aus dem Weg. Bei Mutterkuhherden ist es umgekehrt.

Schwierigkeiten

Die gesamte Strecke – mit Ausnahme der letzten beiden Etappen – ist für durchschnittlich trainierte Personen, aber auch für Familien mit Kindern ab etwa sieben Jahren geeignet. Es gibt keine alpinistischen Schwierigkeiten. Einzelne kurze Felspassagen sind mit Eisenleitern oder Ketten gut gesichert. Für schwindelanfällige Personen werden beispielsweise auf der Lägern alternative Varianten vorgeschlagen. Mehr Probleme könnte der französische Schlussabschnitt verursachen, wo die Strecken länger und die Versorgungsmöglichkeiten knapper werden. Insbesondere fehlt es an Trinkwasser, aber auch an bequemen Unterkünften (Ausnahme Col de la Faucille) und an öffentlichen Verkehrsmitteln. Man sollte diesen Abschnitt, der landschaftlich einer der schönsten des ganzen Jurabogens ist, sorgfältig planen und die Route im Sinne eines Trekkings angehen, wo man Wasser, Nahrungsmittel und eventuell ein Zelt für zwei bis drei Tage mitnimmt. Für marschtüchtige Personen, aber auch für abenteuerlustige Familien mit größeren Kindern, die das Gepäckproblem nicht scheuen, ist dieser Schlussabschnitt sehr zu empfehlen.

Zur Wanderausrüstung gehören nebst Rucksack, Proviant und Kartenmaterial eine der Witterung angepasste Kleidung, Reservewäsche und gutes Schuhwerk. Im östlichen (Tafel-)Jura und in den Freibergen genügen gute Turnschuhe, im Kettenjura sind Wanderschuhe mit rutschfestem Profil empfohlen.

Welche Jahreszeit?

Als beste Jahreszeit für Jurawanderungen gilt der Herbst, wenn der Wald bunt, die Luft kühl und klar und die Alpensicht optimal ist. Aber auch der Frühling ist zu empfehlen, wenn im Fricktal und im Baselbiet die Kirschbäume blühen und in den höheren Lagen der Bergfrühling beginnt (April bis Juni), wobei auf den Jurahöhen noch bis im Mai Schnee liegen kann. Im Sommer ist das Wandern in tieferen Lagen (unter 1000 Metern) oftmals eine schweißtreibende Angelegenheit, während die Temperaturen im Hochjura angenehm kühl sind. Im französischen Jura ist der Sommer die Hauptsaison des Wanderns, denn bereits im September werden die (zwar noch offenen) Hütten nicht mehr bewartet. Man kann aber auch im Winter durch den Jura wandern, vor allem wenn wenig Schnee liegt. Die klare, kalte Luft garantiert eine gute Fernsicht in die Alpen und erst noch weniger Schweiß als im Hochsommer. Für Winterwanderungen sind Ski- oder Wanderstöcke empfehlenswert, um Stürze auf vereisten Wegen zu vermeiden.

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Links: Kirschblüten im Baselbiet. Rechts: Herbstwald am Fuß des Creux du Van.

Karten

Im Allgemeinen ist die Orientierung im Jura problemlos. Schwierigkeiten gibt es allenfalls bei Nebel sowie im südwestlichen Teil des Gebirges, wo sich die markierten Wege oftmals in den Alpweiden verlaufen.

Die Kartenausschnitte vor jeder Etappe dienen als Übersicht über das Wandergebiet und den Routenverlauf. Es empfiehlt sich allerdings, eine gute Karte auf die Wanderung mitzunehmen, um nicht unliebsame Umwege zu riskieren. Swisstopo bietet Karten im Maßstab 1:25’000 und 1:50’000 für Fr. 14.– an. Empfehlenswert sind die Landeskarten 1:50’000 der Serie T mit den eingezeichneten Wanderwegen (Fr. 22.50). Unter map.geo.admin.ch steht auch eine digitale Schweizer Karte zur Ansicht und zum kostenlosen Herunterladen zur Verfügung. Zusätzlich können im Menu »Geokatalog« verschiedene Layers – zum Beispiel »Wanderwege« – auf die Karte übertragen werden. So kann man sich eine individuelle Wanderkarte im gewünschten Maßstab selber zusammenstellen. Von Swisstopo gibt es auch eine App der Schweizer Wanderkarte im Jahresabonnement, sowie von Schweiz Mobil eine Gratis-App mit Wanderkarten bis zum Maßstab 1:25’000.

Für den französischen Jura können die IGN-Top-25-Karten im Maßstab 1:25’000 für Euro 10.90 empfohlen werden, die vom Institut Géographique National herausgegeben werden.

Unterkunft und Verpflegung

Die Weitwanderroute ist so angelegt worden, dass jeder Etappenort mindestens eine Übernachtungsgelegenheit bietet. Das Spektrum der Unterkunftsformen reicht vom luxuriösen Grand-Hôtel in La Chaux-de-Fonds für Fr. 150 pro Person bis zur Selbstversorgerhütte Le Gralet im französischen Hochjura. In vielen Fällen stehen günstige Touristenlager zur Verfügung, was budgetgeplagte Familienväter und -mütter, aber auch Kinder zu schätzen wissen. Daneben verfügen die meisten Bergwirtschaften über einige wenige Zimmer, die man allerdings im Voraus reservieren sollte. (Die entsprechenden Telefonnummern stehen im Buch.)

Der Jura gehört zu den günstigsten Tourismusregionen der Schweiz. Einfache Hotels kosten um Fr. 50 pro Person und Nacht. Für einen Schlafplatz im MassenIager bezahlt man etwa Fr. 20 (ohne Frühstück). In Frankreich sind die Preise im Allgemeinen noch tiefer. Selbst im noblen Dreisternhotel kostet ein Doppelzimmer dort kaum mehr als 100 Euro. Die im Buch angegebenen Hotelpreise beinhalten im Allgemeinen eine Übernachtung für zwei Personen mit Frühstück und werden mit dem Kürzel DZF bezeichnet. EZ bedeutet Einzelzimmer ohne Frühstück.

Die Verpflegungsmöglichkeiten sind im Schweizer Jura so zahlreich, dass man am Abend meistens mit halb vollem Rucksack am Etappenziel ankommt. Dem kann man natürlich abhelfen, indem man, statt in jede Bergbeiz abzuzweigen, an einem der zahlreichen Picknickplätze einen Cervelat brätelt. Die Bergbeizendichte dürfte ihren Höhepunkt im Solothurner Jura erreichen, wo fast jedes Haus auf dem »Berg« etwas Trinkbares anzubieten hat. Der Kanton Neuenburg steht dieser schönen Sitte nur wenig nach. Am Schluss der Beizenskala liegen die beiden »Enden« des Juras, der Aargau und der französische Hochjura, wo man eher die asketische Seite des Wanderns pflegt. Im Allgemeinen gilt jedoch: Nicht zu viel Proviant mitschleppen! Der Jura liegt nicht am Nordpol und der Rucksack ist eh schon schwer.

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Was gibt es Besseres als einen selbst gebratenen Cervelat!

Öffentlicher Verkehr

Wer die Weitwanderung unterbrechen oder einen Streckenabschnitt abkürzen will, erhält immer wieder Möglichkeiten, auf die Bahn oder das Postauto umzusteigen. Die entsprechenden Signaturen sind auf dem Übersichtskärtchen eingezeichnet und die ÖV-Anschlüsse im Serviceteil jeder Etappe aufgeführt.

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Der öffentliche Verkehr erreicht auch abgelegene Regionen des Juras: Durchfahrt der Jurabahn (TJ) bei Le Creuxdes-Biches (Etappe 11).

Der Jurahöhenweg

Schon 1905 hat der Schweizerische Juraverein eine zusammenhängende Wanderroute über den gesamten Jurabogen von Zürich nach Genf, genauer von Dielsdorf nach Nyon geschaffen. Die durchgehende, ehemals gelb-rot markierte Route verläuft über die vorderste Jurakette, eine zweite Route von Basel nach Nyon. Als Begleitmaterial diente der Wanderführer Jurahöhenwege und als Annex ein jährlich erscheinendes Büchlein über Verpflegungs- und Unterkunftsmöglichkeiten. Vor einigen Jahren wurden die gelb-roten Markierungen des Jurahöhenwegs im Zuge der Vereinheitlichung der Wanderweg-Signalisation durch gelbe – in seltenen Fällen rot-weiße – Wegzeichen ersetzt und der klassische Jurahöhenweg Dielsdorf–Nyon als Nationale Wanderroute Nr. 5 deklariert. Damit hatte der im Jahr 1898 in Olten gegründete Schweizerische Juraverein seinen Hauptzweck, die Bereitstellung der Wanderinfrastruktur im Jura, verloren. Im vergangenen Jahr wurde deshalb die Auflösung des Vereins beschlossen. Der Jurahöhenweg Nr. 5 verläuft von Dielsdorf bis Brugg und vom Creux du Van bis St-Cergue ganz oder teilweise auf derselben Route wie die in diesem Buch vorgeschlagene. Der Hauptunterschied der beiden Routen besteht darin, dass der Jurahöhenweg ausschließlich über die erste (vorderste) Kette des Jurabogens führt, während die hier beschriebene Route zwischendurch ins »Jura-Hinterland« mäandert und damit andere kulturell interessante Regionen wie das Fricktal, das Baselbiet, den Berner Jura, die Freiberge oder die Stadt La Chaux-de-Fonds berührt. Und noch ein Unterschied: Jurawandern hört nicht an der Landesgrenze auf, sondern führt in drei Tagesetappen über die höchsten französischen Juragipfel nach Bellegarde an die Rhone.
www.wanderland.ch/de/routen/route-05.html

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Die Nationale Wanderroute Nr. 5 (vormals Jurahöhenweg / Chemin des Crêtes) ist teilweise identisch mit der hier vorgestellten Weitwanderroute, beispielsweise zwischen dem Col du Marchairuz und St-Cergue (Etappe 19).

Anreise

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Die Wanderung von Zürich nach Dielsdorf führt durch große Wälder und über weite Felder. Blick von Regensberg auf Regensdorf, den Uetliberg und die Glarner Alpen.

Dort, wo der östlichste Kettenjuraberg – die Lägern – im Mittelland versinkt, liegt Dielsdorf (ZH). Hier beginnt der Nationale Wanderweg Nr. 5, besser bekannt als Jurahöhenweg, und hier beginnt auch unsere Weitwanderung über den Jurabogen bis zum französischen Städtchen Bellegarde an der Rhone.

Um nach Dielsdorf zu gelangen, wählt man sinnvollerweise ein öffentliches Verkehrsmittel, um nicht am Ende der Wanderung sein Fahrzeug am Ausgangspunkt abholen zu müssen. In unserem Fall nehmen wir die Eisenbahn, genauer die S15, die im Halbstundentakt vom Hauptbahnhof Zürich via Oberglatt nach Dielsdorf fährt und für diese Strecke rund dreißig Minuten benötigt.

Selbstverständlich kann man Dielsdorf auch zu Fuß erreichen, beispielsweise von Zürich aus. Startet man am Zürcher Bucheggplatz, der mit zahlreichen Tram- und Buslinien bestens erschlossen ist, so kann man auf ausgeschilderten Wald- und Flurwegen über den Käfer- und den Hönggerberg zum Katzensee wandern. Vorerst folgt man der Richtung Gubrist–Altberg, am Waldeingang zum Hönggerberg der Richtung Katzensee. Beim Gehöft Altburg, also noch bevor man die Furttal-Eisenbahnlinie überquert hat, liegt linker Hand, auf einem kleinen Hügel die Ruine Alt-Regensberg. Eine abschreckende Verbotstafel, welche beim genaueren Lesen das Betreten des Ruinengeländes nur zwischen 22 Uhr und 6 Uhr verbietet, zeigt uns die Richtung zum ältesten Wohnsitz der Herren von Regensberg. Die Burg wurde um das Jahr 1040 von Lütold von Affoltern erbaut, aber schon im späten 13. Jahrhundert an die Habsburger verpfändet und später verkauft. Im 15. Jahrhundert gelangte sie zuerst an einen reichen Züricher Kaufmann, dann an die Stadt Zürich, welche aber mangels sinnvoller Verwendung die Gemäuer verlottern ließ.

Zu den Katzenseen ist es nun nur noch ein Katzensprung. Am Nordufer der beiden Seelein vorbei erreichen wir den Weiler Katzenrüti, wo der Bauer Jakob Gujer (1716–1785), genannt Kleinjogg, einen Musterlandwirtschaftsbetrieb eingerichtet hatte, der bei den damaligen Agronomen und sogar bei Johann Wolfgang von Goethe auf großes Interesse stieß.

Nun gehts nordwärts durch einen Wald Richtung Oberhasli. Rund 100 Meter nach dem Verlassen des Waldes zweigt der Wanderweg nach rechts ab. Um den Umweg nach Oberhasli zu vermeiden, gehen wir geradeaus weiter, unterqueren die Bahnunterführung der ehemaligen Schwenkelbergbahn, zweigen nach links ab, stoßen nach 200 Meter auf eine Autostraße, folgen dieser 30 Meter talwärts und biegen nach links in einen Feldweg ein. Nach 70 Metern treffen wir wieder auf einen Wanderweg, dem wir nach links zum Industriegleis hinauf folgen, welches das Tanklager Niederhasli mit dem Bahnhof Niederglatt verbindet und Teil der stillgelegten Schwenkelbergbahn (Linie Baden–Bülach) ist.

Der Rest der Wanderung nach Dielsdorf ist gut signalisiert. Unterwegs treffen wir bei Nassenwil auf eine Gedenkstätte, die an den Flugzeugabsturz einer Crossair-Maschine erinnert. Beim tragischen Absturz vom 10. Januar 2000 kamen alle zehn Flugzeuginsassen ums Leben.

In einer knappen halben Stunde erreichen wir den Bahnhof von Dielsdorf und damit den Startpunkt unserer Jurawanderung. Die Wanderzeit dieser Anmarschetappe beträgt rund vier Stunden.

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Alt Regensberg beim Katzensee. Foto: Severin Beck.

Etappe 1

Über die Lägern

Von Dielsdorf nach Baden

Zum Auftakt unserer Jurawanderung bietet der scharfe Lägerngrat ein richtiges Bergerlebnis, wobei die zu überwindende Höhendifferenz durchaus im Jura-Rahmen bleibt. Am Schluss der Tour genießen wir den Blick auf die alte Bäderstadt an der Limmat.

 

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Blick vom Lägerngrat auf Wettingen.

 

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Wanderzeiten

Dielsdorf – Regensberg0 h 40
Regensberg – Hochwacht1 h
Hochwacht – Burghorn0 h 50
Burghorn – Baden1 h 30
Totale Wanderzeit4 h
Höhendifferenz 430 m, 480 m
Distanz 12 km

Sehenswertes

A Städtchen und Schloss Regensberg

B Aussicht Hochwacht und Burghorn

C Altstadt von Baden

Charakter

Attraktive Gratwanderung, zum Schluss ein ausgesetzter
Felsweg.

Varianten

Mit dem Bus von Dielsdorf nach Regensberg hinauffahren.

Im Lägernsattel nach rechts dem Jurahöhenweg Nr. 5 folgen und damit den scharfen Lägerngrat nördlich umgehen; beim Schloss Schartenfels stößt die Variante wieder auf die Normalroute.

Schwierigkeiten

Der letzte westliche Abschnitt des Lägerngrats (ab Lägernsattel) ist recht ausgesetzt (T3 auf der SAC-Skala) und für schwindelanfällige Personen nicht geeignet.

Besonderes

Thermalbäder in Baden.

Öffentlicher Verkehr

Dielsdorf: Mit der S15 von/nach Zürich-Hauptbahnhof (ev. in Oberglatt umsteigen)

Regensberg: Bus nach Dielsdorf und weiter mit dem Zug nach Zürich

Baden: Züge nach Zürich, Brugg, Aarau, Olten, Basel, Koblenz, Zurzach sowie Busse in die umliegenden Dörfer

Unterkunft und Verpflegung

Dielsdorf

Hotel-Restaurant Löwen (Restaurant Sa bis 18 Uhr und So geschl.), DZ Fr. 200, Tel. 044 855 61 61, www.loewen-dielsdorf.ch

Hotel-Restaurant Bienengarten (So–Fr ab 11 Uhr geöffnet, Sa ab 18 Uhr), DZ Fr. 140, Tel. 044 853 12 17, www.bienengarten-dielsdorf.ch

Restaurant/Lounge Türmli (nur mittags und abends geöffnet, So geschl.), Tel. 043 422 01 40

Regensberg

Gasthaus Krone, Tel. 044 855 20 20

Restaurant Löwen (Mo/Di geschl.), Tel. 043 538 20 95

Guesthouse Engelfrid, DZF ab Fr. 220, Tel. 044 853 10 13, www.rote-rose.ch

Lägern

Restaurant Hochwacht (Mo geschl., werktags ab 11 Uhr geöffnet), Tel. 044 853 11 48

Restaurant Schloss Schartenfels (Di geschl.), Tel. 056 426 19 27

Baden

9 Hotels und zahlreiche Restaurants; Infos unter: www.baden.ch

Jugendherberge, Kanalstrasse 7, Tel. 056 221 67 36, www.youthhostel.ch/baden

Information

www.zueri-unterland.ch

www.baden.ch

1:50’000
215T Baden

1:25’000
1070 Baden, 1071 Bülach

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Dielsdorf.
Am Bahnhof von Dielsdorf wartet bereits der Bus nach Regensberg. Doch wir widerstehen der Versuchung und lassen das öffentliche Fahrzeug ohne uns entschwinden. Wie an allen Schweizer Bahnhöfen steht auch hier ein gelber Wanderwegweiser. Darauf entdecken wir schon sämtliche Tagesziele bis Baden sowie eine weiße 5 auf hellgrünem Hintergrund, welche die Nationale Route des Jurahöhenwegs bezeichnet. Mit den gelben und den grünen Wegmarkierungen sind wir auf unserer ersten Etappe also doppelt gesichert. Hinzu kommt noch ein blauer Planetenweg, der sich aber nicht immer an unsere Route hält.

So nehmen wir denn die Fährte der gelben Rhomben und grünen Quadrate mit der 5 auf – die alten gelb-roten Markierungen des Jurahöhenwegs wurden vor einigen Jahren übermalt – und durchqueren den alten Dorfkern von Dielsdorf, bestaunen die sauber renovierten Riegelhäuser und verpassen beinahe die Abzweigung zum Aufstieg nach Regensberg. Vielleicht ist unser Blick auf die gelben Rhomben doch noch nicht richtig geschärft.

Ziemlich steil geht es nun hinauf zum östlichsten Kettenjuraberg. Linker Hand begleitet uns ein Rebhang, rechter Hand – hinter einer Hecke versteckt – ein tiefer Steinbruch. Hier werden Quader und Platten für den Gartenbau aus den anstehenden Kalkschichten herausgebrochen, womit der Beweis, dass wir uns geologisch im Jura befinden, erbracht wäre. Etwas weiter oben sind die Kalkbänder auch auf der linken Wegseite zu sehen, und zwar als schräg ansteigende, harte Gesteinsschichten. Parallel zu diesen Steinplatten steigen wir bergan, bis wir unverhofft am Eingangstor zum Städtchen Regensberg stehen. Vor uns das Mittelalter pur. Zwei Häuserzeilen, dazwischen ein großer Platz mit Kopfsteinpflaster, ein zwölfeckiger Brunnen, ein runder Wehrturm, eine Kirche, noch ein Brunnen mit einem Deckel und eine Kanone, die ziemlich genau auf uns zielt.

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Burg und Städtchen Regensberg.

Das Städtchen Regensberg – ein rascher Aufstieg und ein anhaltender Niedergang

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Das Städtchen Regensberg hat seinen mittelalterlichen Charme bis heute bewahrt.

Um 1240 bis 1245 erbaute Freiherr Lütold von Regensberg, dem die alte Burg am Katzensee vielleicht zu feucht oder zu schutzlos geworden war, einen runden Wehrturm auf dem östlichsten Felssporn der Lägern. Der massive Turm überstand in den folgenden Jahrhunderten jegliche feindlichen Angriffe und Großbrände. Nur das Spitzhelmdach fiel 1766 einem Blitzschlag zum Opfer.

Mit der Burg errichtete der Freiherr auch ein kleines, gut befestigtes Städtchen. Daneben besaßen die Regensberger im 13. Jahrhundert noch drei weitere Burgen und zwei Klöster im Umkreis von Zürich. Dies gefiel der aufstrebenden Stadt am Seeende allerdings gar nicht. Die Zürcher fühlten sich umzingelt. So kam ihnen ein blutiger Erbstreit unter den Regensberger Freiherrn, die mittlerweile zu Grafen aufgestiegen waren, gerade recht. Der kostspielige Bruderstreit führte zum wirtschaftlichen Niedergang des Adelsgeschlechts und zwang die Regensberger zur Verpfändung und schließlich im Jahr 1302 zum Verkauf von Stadt und Schloss an die Habsburger. Doch auch die Österreicher gerieten in Geldnot und verpfändeten die Regensberger Territorien nach und nach an die Stadt Zürich, welche schließlich Stadt und Schloss Regensberg kaufte und 1417 einen Landvogt einsetzte. Die Herrschaft der Stadt Zürich über das Zürcher Unterland blieb danach bis zum Einmarsch der Franzosen 1798 bestehen.

Im 19. und 20. Jahrhundert nahm die Bevölkerung im Talboden dank Eisenbahnbau und Industrialisierung rasch zu, während die Einwohnerzahl des pittoresken Städtchens auf dem Lägernsporn bei rund 500 stagnierte. Heute leben im vormals gleich großen Dielsdorf 6000 Menschen, in Regensberg noch 485 oder gleich viele wie im Jahr 1888. Diese ungleiche Bevölkerungsentwicklung hatte auch administrative Auswirkungen: Seit 1871 ist nicht mehr Regensberg, sondern Dielsdorf Hauptort des gleichnamigen Bezirks.

Wir gehen rasch aus der Schusslinie und schauen uns den Deckel-Brunnen genauer an. Dabei handelt es sich um einen 57 Meter tiefen Schacht, der gemäß Inschrift um 1245 in mehrjähriger Handarbeit aus dem Kalkfelsen herausgehauen, bis 1632 als Sodbrunnen genutzt, danach mit Abfall gefüllt und 1960 wieder ausgeräumt wurde. Es sei der tiefste Ziehbrunnen der Schweiz. Andere Inschriften relativieren und sprechen von einem der tiefsten Brunnen in unserem Land. Wer sich vom Ausmaß des Regensberger Sodbrunnens überzeugen möchte, darf dies allerdings nicht physikalisch mit einem hinunterfallenden Stein überprüfen – dies ist ausdrücklich verboten und wird erst noch mit einem engmaschigen Gitter verhindert – sondern nur mit eigenem Augenschein einschätzen, wozu ein Lichtschalter betätigt werden kann, der mit einem Einfränkler ausgelöst wird. Da wir unsere Frankenstücke aber für die Besteigung des Wehrturms sparen wollen, müssen wir auf den Lichtschein im Sodbrunnen verzichten.

Nachdem wir das Panorama vom runden Wehrturm auf das grüne Umland und die weiß verzierten Glarner und Innerschweizer Alpen ausgiebig gewürdigt haben, verlassen wir das mittelalterliche Städtchen auf seiner Ostseite und wandern geradeaus weiter, bis ein Wegweiser am Waldrand scharf nach rechts in den Wald hinein zeigt. Wir folgen dem ansteigenden Pfad, der bald nach Westen abdreht, zu einem breiten Waldweg wird und nach einer weit ausholenden Linksschlaufe, die man auch abkürzen könnte, schließlich auf der Hochwacht endet. Kurz vor der Bergwirtschaft stehen wir staunend vor einer riesigen Kuppel, der Radarstation Lägern von skyguide. Auf einer Informationstafel erfahren wir, dass die Kuppel Radom heißt, einen Durchmesser von 17,5 Meter aufweist und im Jahr 1959 auf einer 20 Meter hohen Säule mit 4877 Schrauben befestigt worden ist. Der Flugsicherungsradar hat einen Radius von 280 Kilometern, reicht also weit über die Landesgrenzen hinaus.

Einige Schritte weiter informiert uns eine andere Tafel, dass die Bergwirtschaft Hochwacht an Werktagen erst nach 11 Uhr geöffnet ist und bei schlechtem Wetter eventuell gar nicht. Wir haben Glück, denn es ist Sonntag und das Wetter schön. Im Gegensatz zu den Restaurants von Dielsdorf, wo es an Sonntagen vor 11 Uhr nichts zu trinken gibt, ist es auf dem Berg am Sonntag gerade umgekehrt. Und so genießen wir denn unseren wohlverdienten Frühschoppen auf der Hochwacht.

Mit der Bergwirtschaft haben wir die Höhe des Lägerngrats erreicht und zehn Minuten später auch die Burgruine Altlägern. Das mittelalterliche Bauwerk wurde um 1245 auf dem höchsten Punkt der Lägern (866 m ü. M.) errichtet. Doch außer ein paar Grundmauern ist davon nicht mehr viel zu sehen. Bereits um 1300 lag die Burg in Trümmern – wahrscheinlich als Folge des Regensberger Erbstreits im Jahr 1267. Dabei wäre es eine respektable Burganlage gewesen, deren Außenmauern ein Rechteck von 67 Metern Länge und 20 Metern Breite bildeten, was einer Fläche von 13,4 Aren entspricht.

Die Markierung des Lägern-Gratwegs wechselt nun die Farbe von gelb auf weiß-rot-weiß, das heißt: der gemütliche Wanderweg wird zum Bergweg. Dies bedeutet aber nicht, dass der Weg nun gefährlicher geworden wäre. Er wird bloß schmaler, felsiger und etwas holpriger. Gleichzeitig wird der Bergwald naturnaher und mit seinem lichten Eichenbestand auch mediterraner. Im Frühjahr trifft man hier auf Orchideen wie den blau-violetten Handwurz, im Herbst auf den Gelben Eisenhut und während des ganzen Sommerhalbjahrs auf vorwitzige Eidechsen.

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Ruhepause auf dem Burghorn (859 m).

Vom Burghorn, wo wir ungefähr die Hälfte des Lägerngrats zurückgelegt und die Kantonsgrenze Zürich–Aargau erreicht haben, genießen wir eine weite Aussicht über die Täler und Hügel des Zurzibiets und des Zürcher Unterlands mit dem dunkelblauen Band des Schwarzwalds als nördliche Begrenzung. Wer die einzelnen Dörfer, die flachen Hügel und weiten Täler benennen möchte, gerät als Nichteinheimischer allerdings schon bald ins Schwimmen. Zu ähnlich sehen die Hügelrücken und Siedlungsbilder aus. Doch halt, da gibt es doch so etwas wie einen »sicheren Wert« – die Dampffahne des AKW Leibstadt! Daran kann man sich orientieren. Ein AKW zur sicheren Orientierung – das GPS ist doch etwas billiger und letztlich einiges sicherer.

Nun geht es abwärts zum Lägernsattel, wo uns eine Wegverzweigung und eine große Warntafel erwartet. Die Abzweigung nach rechts führt auf dem Jurahöhenweg Nr. 5 gemütlich zum Schloss Schartenfels und nach Baden hinunter, der Pfeil geradeaus zeigt ebenfalls zum Schloss Schartenfels und nach Baden, ist aber weiß-rot-weiß markiert. Gleich dahinter warnt eine unübersehbare Tafel, dass der folgende Weg exponiert sei und zwingend Trittsicherheit und Schwindelfreiheit erfordere. Das tönt verlockend nach einem Kletterabenteuer. Doch vorerst sehen wir bloß einen gewöhnlichen Buchenwald und weit und breit nichts vom gefährlichen Grat. Schon beginnen wir zu spotten über übervorsichtige Wanderwegbetreuer, da wird der Weg auf einmal zum Felsgrat. Mit Balancieren und Abstützen gelangen wir aber sicher über die zerklüftete Krete. Dabei können wir die Struktur des Lägerngrats sehr gut erkennen. Auf der linken Seite steigen die hellen Malmfelsen gleichmäßig steil zum Grat hinauf, um auf der Nordseite abrupt abzubrechen. Das heißt, von der ursprünglichen Lägern-Falte ist vor allem noch die Südflanke vorhanden, während das Gewölbe vollständig wegerodiert wurde und von der Nordflanke nur noch Reste am Geissberg oberhalb Ennetbaden zu finden sind.

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Balancieren auf dem Lägerngrat.

Auch wenn das Schloss Schartenfels einen ziemlich vornehmen Eindruck macht, eine kühle Erfrischung auf der Aussichtsterrasse liegt alleweil noch drin. Wir entspannen unsere Beine von der Gratkraxelei und genießen den Blick auf das Häusermeer von Wettingen und Baden und die gegenüberliegende Ruine Stein, bevor wir den Abstieg zur Limmat in Angriff nehmen. Beim Absteigen fällt die nackte Felsplatte rechter Hand auf und wir verstehen nun, woher das Schlossrestaurant seinen Namen erhalten hat. Unten angekommen, schätzen wir uns glücklich, dass die stark befahrene Wettingerstraße eine Fußgängerunterführung hat, die zum Landvogteischloss hinüberführt, dem östlichen Brückenkopf der Stadt Baden. Auch die gedeckte Holzbrücke ist heute den Fußgängern vorbehalten ebenso wie die verkehrsfreien Gassen der Altstadt. Die Badstraße beim Bahnhof ist sogar schon seit 1972 autofrei und bildete dazumal die erste Fußgängerzone der Schweiz. Statt zum Stadtturm, dem Wahrzeichen von Baden, aufzusteigen, könnten wir auch der Limmat entlang abwärts spazieren und dann den Lift benutzen, der uns direkt zum neu gestalteten Badener Bahnhofplatz hinaufhievt.

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Blick vom Lägerngrat auf Wettingen (links) und Ennetbaden (rechts).

?1 Warum ist der Wehrturm von Regensberg rund wie die Türme der Savoyer Schlösser und nicht viereckig wie sonst in der Deutschschweiz? Des Rätsels Lösung

 

Baden

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Altstadt von Baden (AG) zwischen Limmat und Ruine Stein.

»Aquae Helveticae« nannten die Römer die warmen Quellen von Baden. Um 14 u.Z. begannen sie die Thermalquellen zu nutzen, errichteten Thermenanlagen und Badehäuser und boten den Legionären von Vindonissa ein heißes Badevergnügen. Die römischen Soldaten schätzten das 47 Grad warme Wasser, dem sie eine heilende Wirkung zuschrieben. Schon um das Jahr 25 wurden die Thermenanlagen mit einer Handwerker- und Händlersiedlung auf dem späteren BBC-Areal ergänzt. Auch auf der rechten Seite der Limmat – in Ennetbaden – entstanden um 120 römische Bauten. Erwähnenswert ist hier ein kürzlich ausgegrabener luxuriöser Terrassenbau mit Freskenmalereien, Mosaiken, marmorverkleideten Wänden und Fußbodenheizungen. Allerdings wurden die Badeanlagen während der Römerzeit auch mehrmals zerstört, aber bis ins 5. Jahrhundert immer wieder aufgebaut. Auch die warmen Quellen blieben während der Völkerwanderungszeit erhalten. Ob und wie sie im Frühmittelalter genutzt wurden, ist jedoch nicht bekannt.

Die eigentliche Blütezeit der Bäder setzte im Spätmittelalter ein, als die Stadt Baden regionale Bedeutung erlangte. Ab 1273 gehörten Stadt und Burg Stein zum Herrschaftsbereich der Habsburger. Nach der Eroberung des Aargaus durch die Eidgenossen im Jahr 1415 wurde Baden als Gemeine Herrschaft von eidgenössischen Landvögten im Zweijahresrhythmus regiert. Schon 1416 fand eine erste Tagsatzung der acht Alten Orte in Baden statt. Danach wurde die Stadt an der Limmatklus regelmäßiger Tagsatzungsort der Eidgenossenschaft. Als neutraler Ort war Baden ein idealer Platz für die oftmals zerstrittenen Eidgenossen und als Badeort verfügte es über vielfältige Zerstreuungsmöglichkeiten für die Tagsatzungsteilnehmer. Baden bekam schon bald den Ruf einer offenen und lebenslustigen Stadt, wie die folgende Schilderung aus dem Jahr 1514 zeigt:

»… die großen Bäder mit herrlichen, lustigen Höfen und Herbergen sind wie eine Stadt mit einer Mauer umzogen. Dahin kommt vom Frühling bis Martinstag jährlich groß Volk aus allen Landen; da wird nichts unterlassen, das zur Wohllust des Leibes dienen mag und wenn leibliche Wohllust und Mutwillen selig machte, so würde man an diesem Orte mehr zum Himmel haben.« Tatsächlich waren die damaligen Badener Badesitten einiges freizügiger als im zwinglianischen Zürich oder gar im viktorianischen Zeitalter des 19. Jahrhunderts:

»Im freien Bad vor dem ›Stadhof‹ hatte alles unentgeltlich Zutritt, arm und reich, gesund und krank. In dem zirka 20 m2 Bodenfläche haltenden Frauenabteil badeten bis 30 Personen. Da im Frauenabteil mehr die gemeinen Frauen badeten, seien die sittsamen zu den Männern baden gegangen. Ringsum waren an der Bassinumfassungsmauer Sitzplätze angebracht. Das Bassin St. Verenaquelle hatte 60 m2 Bodenfläche und fasste bis 80 Personen mit Geschlechtermischung.«

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Das Bäderquartier um 1900.

Im erwähnten Wasserbecken gab es einen Stein der Heiligen Verena mit einem Loch, aus welchem heisses Wasser sprudelte. Gemäß einer Beschreibung des Basler Arztes Pantaleon von 1578 bestand damals der Aberglaube, »… wenn ein unfruchtbar Weib ihren Fuß in das Loch stecke, aus dem das warme Wasser ins Badebassin rinne, so werde die Sanct Verena bei Gott fürbitten, dass sie fruchtbar werde.« Es ist anzunehmen, dass nicht nur die Fürbitten der Heiligen Verena dafür sorgten, dass einige Frauen im geschlechtergemischten Freibad fruchtbar geworden waren.

Mit der Eroberung der Stadt Baden durch die sittenstrengen reformierten Kantone im Jahr 1712 war vorläufig fertig lustig mit dem ausschweifenden Badebetrieb. Die Sieger plünderten die Stadt, zerstörten die Festung Stein und zwangen die Badener, aus dem Abbruchmaterial eine reformierte Kirche zu bauen. Die katholischen Orte wurden von der Verwaltung der Gemeinen Herrschaft ausgeschlossen, worauf sie sich weigerten, Baden weiterhin als primären Tagsatzungsort zu wählen. Zwar konnte Baden 1714 noch eine große europäische Friedenskonferenz mit Abgesandten von 39 Regierungen durchführen, darunter eine französische Delegation mit 300 Mitgliedern, doch mittelfristig ging es mit dem Badebetrieb und der Badener Wirtschaft insgesamt bergab.

Eine Renaissance erlebte der Bädertourismus erst wieder mit der Belle Époque in der zweiten Hälfte des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts, als die alten Badhäuser durch klassizistische Bauten ersetzt und großzügige Parkanlagen angelegt wurden. Mit der Eröffnung des Kursaals und des Grand Hotel im Jahr 1875 kamen auch vermehrt internationale Gäste nach Baden. Denn dank dem Eisenbahnbau war das Reisen durch Europa einfacher und bequemer geworden.