B. Bruder

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Im Bann der schwarzen Monsterdüne

Mit Illustrationen
von Zapf

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Impressum

© KERLE

in der Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2015

Alle Rechte vorbehalten

www.kerle.de

Umschlagillustration: Zapf

Abbildung Karte S. 9: didecs/Fotolia.com

E-Book-Konvertierung: le-tex publishing services GmbH, Leipzig

ISBN (E-Book) 978-3-451-80549-3

ISBN (Buch) 978-3-451-71272-2

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Inhalt:

1. Das Wüstenreich

2. Das Tor im Sand

3. Ein staubiges Wiedersehen

4. Die Suche

5. Die schwarze Düne

6. Demian

7. Im Tal der weißen Dünen

8. Die Zeit rennt

9. Der Kampf beginnt

10. Im Zentrum des Bösen

11. Das schwarze Herz

12. Wieder vereint

13. Die Rückkehr

„Zwei Jungen werden es sein – der eine so gewöhnlich wie der andere, gemeinsam aber stark. Stark genug, um Grenzen zu überwinden und sich dem Bösen zu stellen.

Seite an Seite. Hand in Hand.
Als zwei, die doch eins sind.“

1. Das Wüstenreich

Wie aus dem Nichts fegte ein heißer Windstoß über die Wüste.

An vielen Stellen wirbelte er die oberste Sandschicht auf und ließ sie wie unheimliche Schattenwesen über die Dünen huschen.

„Autsch, nicht schon wieder!“

Die einzige Gestalt, die inmitten dieser Einöde zu erkennen war, blieb auf dem Gipfel einer Düne stehen.

Es war ein Junge von etwa neun Jahren. Er trug ein eng anliegendes blaues Hemd und eine beigefarbene Hose. In seinen hellbraunen Haaren hatte sich Sand verfangen. Hustend hielt er sich einen Arm vor die Augen. So kauerte er sich zusammen, bis sich der Wind gelegt hatte.

„Ich glaube, es ist vorbei“, stieß er schließlich mit krächzender Stimme hervor und blinzelte. Seine Augen hatten beinahe dieselbe Farbe wie der goldgelbe Sand.

„Du kannst wieder herauskommen, Drechse, dieses Mal war es zum Glück nicht so schlimm!“

Aus seiner linken Armbeuge krabbelte ein grün-orange gestreiftes Wesen, das nicht größer war als eine Ratte. Es schlug ein paar Mal mit seinen Stummelflügeln, um sich den Sand vom schuppigen Körper zu schütteln. Dann nieste es laut, und eine kleine Stichflamme schoss aus seinen Nüstern.

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„Ach, Drechse, pass doch auf! Es ist auch so heiß genug hier!“, schimpfte der Junge. „Außerdem hättest du mich fast angekokelt!“

„Wiep-wiep“, machte das Tier kleinlaut und klimperte mit seinen großen blauen Kulleraugen.

Der Junge lächelte und tätschelte seinen Kopf.

„Schon gut, Kleine“, murmelte er. „Entschuldige, das war gemein von mir. Ich weiß ja, dass du mich nicht ärgern wolltest. Schließlich bis du eine Mischung aus Feuerdrachen und Wasserechse und noch dazu ziemlich jung. Du kannst nichts dafür, wenn du ab und zu etwas Feuer spuckst. Aber ehrlich gesagt, wäre mir jetzt etwas frisches Wasser lieber. Ich habe schrecklichen Durst.“

„Wiep-wiiiiep!“, fiepte da das Drachen-Echsen-Weibchen aufgeregt und stupste den ledernen Wasserbeutel an, der im Gürtel des Jungen steckte.

Der Junge schüttelte jedoch den Kopf. „Lieber nicht“, sagte er. „Er ist nur noch halb voll, und wer weiß, wann wir endlich auf eine Oase stoßen. Wir müssen sparsamer mit unseren Wasservorräten umgehen, sonst halten wir nicht mehr lange durch.“

Der Junge ließ beklommen seinen Blick über die unendliche Wüstenlandschaft schweifen. Alles hier sah gleich aus. Er wusste nicht, woran er sich orientieren sollte und ob er und seine kleine Begleiterin nicht seit Tagen im Kreis liefen.

Ihm war mulmig. Nicht nur, weil ihm diese Einöde und die Stille Angst machten. Er fürchtete sich vor allem vor dem Unbekannten.

Er hatte keine Vorstellung davon, was ihn dieses Mal auf seiner Mission erwartete. Außer, dass es wie immer etwas abgrundtief Böses, Abscheuliches sein würde. Eine schreckliche Kreatur, die bereits irgendwo in der Nähe lauerte und von Tag zu Tag stärker und mächtiger wurde.

„Warum ich?“, fragte sich der Junge zum wiederholten Mal, seit er vor einigen Wochen von seinem Zuhause, dem Wasserreich Laguna, aufgebrochen war. „Warum muss ausgerechnet ich dazu auserwählt sein, die sechs Reiche Mirfanijas aus Lasslos Macht zu befreien?“

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Eine Flut von Hilflosigkeit überschwemmte ihn. Er war müde und fühlte sich plötzlich einsam und verlassen. Ihm entfuhr ein tiefer Seufzer.

„Wiep-wiep-wiep.“ Das Drachen-Echsen-Weibchen stupste mit seiner Schnauze aufmunternd gegen die Wange des Jungen, so als könnte sie seine düsteren Gedanken lesen.

„Ich weiß, ich weiß“, sagte er. „Du hast ja recht, Drechse, eigentlich bin ich nicht allein. Du bist bei mir. Und Jonas ist genauso auserwählt wie ich. Jedenfalls sagt das die Prophezeiung. Aber … wo steckt er bloß? Seit wir hier angekommen sind, habe ich sicher schon hundertmal nach ihm gerufen, und bisher ist er einfach nicht aufgetaucht. Was, wenn er keine Lust mehr hat, nach Mirfanija zurückzukehren und mit uns gegen Lasslos böse Kreaturen zu kämpfen? Schließlich kommt er aus einer anderen Welt. Warum sollte er da helfen, unsere zu retten? Vielleicht hat er unsere Mission auch schon längst vergessen, weil er einen neuen besten Kumpel gefunden hat, mit dem er nicht ständig von Riesenwasserschlangen und Flammenfaltern bedroht wird. Weißt du was? Irgendwie würde ich sogar verstehen, wenn er uns im Stich lässt. Ich meine, …“

Dem Jungen blieben die Worte im Hals stecken. Alarmiert drehte er sich um sich selbst. „Hast du das eben gehört, Drechse?“, wisperte er. Sein Herz klopfte wild, und er spürte, wie seine Muskeln verkrampften.

Das Tier antwortete nicht, aber es machte sich klein und schmiegte sich ängstlich an den Nacken des Jungen.

Da! Wieder dieses Geräusch!

Der Junge spitzte die Ohren. Es hörte sich an wie ein sandiges Knirschen und Knistern. Aber nicht wie sonst, wenn einer dieser stechend heißen Wüstenwinde aufkam und den Boden aufwirbelte. Es klang vielmehr so, als würde jemand im Sand herumscharren. Jemand oder … etwas.

Mit einem Mal quiekte das Drachen-Echsen-Weibchen erschrocken auf.

„Drechse, was …?“ Auch der Junge starrte nun mit schreckgeweiteten Augen zum Horizont.

Etwas erhob sich aus dem Sand. Zuerst sah es aus, als würde sich eine neue Düne zwischen den anderen aus dem Boden hervorwühlen. Doch das war unmöglich. Sanddünen entstanden nicht einfach aus dem Nichts. Und außerdem: Die Farbe stimmte nicht. Das, was dort hinten immer weiter in die Höhe stieg, sah aus wie ein dunkler, unförmiger Sandberg, der die anderen Dünen zur Seite schob und sich wie ein mächtiger Riese zwischen sie drängte.

Der Junge hielt den Atem an.

Nun veränderte sich auch das leise knirschende Geräusch. Es schwoll an, je größer die schwarze Düne wurde, und wandelte sich zu einem tiefen, vibrierenden Summen. Es hörte sich an wie ein riesiger Schwarm Insekten.

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„Jonas“, flüsterte der Junge inständig. „Bitte komm und hilf mir, Kumpel! Ich fürchte, es ist so weit. Lasslo schlägt wieder zu. Ich … aaaaaah!“

Der Junge schrie vor Panik auf, als sich der dunkle Riesenhügel nun zitternd und bebend vom Boden löste und als schwarze Sandwolke in die Luft hob. Sie wirbelte einen Moment auf der Stelle umher, dann schoss sie plötzlich in rasantem Tempo auf die Düne zu, auf welcher sich der Junge und seine kleine Begleiterin befanden.

„Wir müssen weg hier!“, schrie der Junge. Er wollte sich umdrehen und die Düne abwärtsrennen, aber seine Beine spielten nicht mit. Sie schienen im Sand festzustecken.

Je näher das schwarze Ungetüm kam, desto lauter wurde das Brausen und Brummen. Jetzt kam aus seiner Richtung auch noch ein Wirbelsturm auf, der an den Haaren des Jungen und an seinen Kleidern zog und zerrte.

„Drechse, krall dich an mir fest!“, schrie der Junge. „Das Biest will uns verschlucken!“

Er stemmte sich mit aller Macht gegen den Sog, der von der Wolke ausging. Kurz meinte er sogar, darin eine schreckliche Fratze mit einem weit aufgerissenen Maul zu erkennen. Der Anblick war so grauenvoll, dass er sich abwenden musste.

„Neiiiin!“, presste er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. „Mich kriegst … du … nicht!!!!“

Endlich schaffte er es, ein paar Schritte rückwärtszulaufen. Das laute Brausen umhüllte ihn, sodass er seine eigenen Schreie kaum mehr hörte, während er hinterrücks die Düne hinabrutschte.

„Jonas! Jonaaaaaaaas …!“

2. Das Tor im Sand

Jonas! Jonas Brecht? Geht’s dir gut?“