Lieblingsplätze
zum Entdecken
Armin Öhri (Hrsg.) / IG Wort
Liechtenstein. Klein, aber oho
Fantastisch, fürstlich, familiär
Kennen Sie den? Uralt, aber trotzdem gut …
Liechtenstein erklärt der Volksrepublik China den Krieg. Großspurig lässt Peking ausrichten, die Mannstärke der Volksbefreiungsarmee betrage 2,1 Millionen Soldaten. Prompt antwortet die Fürstliche Regierung: »In diesem Falle sehen wir uns gezwungen, die Kriegserklärung zurückzunehmen. Wir haben leider nicht ausreichend Platz für die Gefangenen.«
Zweifelsohne spielt unser Witz mit der Kleinheit des Landes, deshalb auch mit der Bedeutungslosigkeit desselben. Und schon wären wir beim Klischee angelangt.
Selbst wenn Liechtenstein, streicht man mit dem Finger über die Landkarte, leicht zu übersehen ist, so ist es dennoch in vielerlei Hinsicht kein Zwergstaat. In zahlreichen Bereichen tummelt sich Liechtenstein an der Weltspitze. Beinahe auf jeden Einwohner kommt ein Erwerbstätiger, wobei über 50 Prozent der Arbeitenden Pendler aus dem grenznahen Ausland sind. Viele Liechtensteiner Firmen sind in ihrem Tätigkeitsfeld Weltmarktführer – man denke dabei nur einmal an bekannte Namen wie Hilti, ThyssenKrupp Presta, Hoval oder Ivoclar Vivadent. Entgegen der weit verbreiteten Meinung, unser kleiner Alpenstaat lebe von Banken und Treuhändern, entfallen lediglich 17 Prozent der Arbeitsplätze auf den Finanzsektor. Das Fürstentum ist also ein Land mit geschäftigen Einwohnern: brave Bürger, die hauptsächlich im Dienstleistungssektor, in Industrie und Gewerbe oder in der Land- und Forstwirtschaft ihr täglich Brot verdienen.
Aber Liechtenstein ist auch ein Land der Sportler und Künstler. In der inoffiziellen Statistik der Olympischen Medaillen pro Einwohner ist das Fürstentum die mit Abstand erfolgreichste Sportlernation der Welt. Und der Umstand, dass inzwischen auf jedes Dorf im Land mindestens eine Literatin beziehungsweise ein Literat entfällt, lässt aufhorchen. Als Präsident des nationalen Autorenverbands, der IG Wort, freut mich diese literarische Vielfalt umso mehr.
Das kulturelle Leben bei uns ist geprägt von dörflichem Brauchtum und intensivem internationalem Austausch – ein Spagat also zwischen Tradition und Moderne. Wussten Sie übrigens, dass in Vaduz bedeutende Werke von Picasso, Gauguin, Klee und Beckmann zu bewundern sind? Oder dass Liechtenstein das kostbarste Fabergé-Ei der Welt beherbergt? Oder dass Herr und Frau Liechtensteiner sich nach Feierabend hauptsächlich der Musik verschrieben haben und in zahlreichen Chören singen und musizieren? Nein, das alles wussten Sie nicht? Na, dann wird es aber Zeit, dass Sie das Fürstentum für sich entdecken! Lernen Sie die Mörderburg kennen, streifen Sie durch den weißen und den schwarzen Kubus, erholen Sie sich im Ruggeller Riet …
So abwechslungsreich unser Land ist, so mannigfaltig ist auch die Auswahl der Autorinnen und Autoren, die an diesem Buch mitgearbeitet haben. Sie sind teils jung, teils alt. Teils erfahren und bekannt, teils neues Talent, das es weiter zu beachten gilt. Teils Mitglied der IG Wort, teils in Freundschaft mit dem Verein verbunden.
Es ist mir eine besondere Freude, Ihnen die lebhaften und begeisternden Texte dieser Schreibenden ans Herz zu legen. Unser Lieblingsplatzband richtet sich nicht nur an Einheimische, die den einen oder anderen Lieblingsort neu erkunden möchten, sondern auch an Besucher, die unser Land bereisen und mit einer Vielzahl an Eindrücken nach Hause kommen wollen.
Besichtigen Sie unsere Lieblingsplätze: Unternehmen Sie Spaziergänge durch die Natur, suchen Sie das eine oder andere Gasthaus auf, schwelgen Sie an historischen Orten. Und machen Sie einen Streifzug durch unsere elf sympathischen Gemeinden – vom Unterland, der alten Herrschaft Schellenberg, ins Oberland, der Grafschaft Vaduz.
Alles andere als provinziell: Unser Kleinstaat ist ganz groß!
Armin Öhri
Die Gemeinde Ruggell bildet das nördliche Ende von Liechtenstein und ist die tiefst gelegene Gemeinde des Landes. Ihre über 2.000 Einwohner leben in einem Dreiländereck an der Grenze zur Schweiz und zu Österreich. Aufgrund der ebenen Topografie gehört Ruggell zu den beliebten Spazier- und Radwegdestinationen Liechtensteins. Bekannt ist die Gemeinde aber vor allem wegen ihrer außergewöhnlichen Flora und Fauna.
Jedes Jahr im Mai pilgern Naturliebhaber in die Torflandschaft im Ruggeller Riet und erfreuen sich an den Hunderten von Blüten der Sibirischen Schwertlilie, die wie ein blaues Tuch über den Feldern liegen. In diesem Naturschutzgebiet mit Flachmooren, Weihern, Hecken, Bäumen und Streuwiesen leben und wachsen viele gefährdete Tiere und Pflanzen, die im Riet den idealen Lebensraum vorfinden.
Ruggell hat aber auch geschichtlich eine interessante Rolle gespielt. Gegen Ende des Zweiten Weltkriegs überquerten viele Flüchtlinge die Grenze, unter ihnen 500 Russen der Ersten Russischen Nationalarmee, die sich der deutschen Wehrmacht angeschlossen hatten. Sie wurden in drei Baracken interniert. Als damals der Musikverein Frohsinn sein 60-jähriges Jubiläum feierte, halfen bei der Organisation und dem Aufbau des Festes »zahlreiche Russen tatkräftig mit«, wie es in der Vereinschronik heißt. Den Musikverein gibt es heute noch, und auch einige der Russen haben für Nachfahren gesorgt.
Das Dorf hat jahrhundertelang mit dem Rhein gelebt und gelitten. Nach der letzten Überschwemmung im Jahr 1927 wurde der Fluss kanalisiert, seitdem lebt Ruggell friedlich mit seinem nassen Nachbarn, der auch die Grenze zur Schweiz bildet. Die Grenze zu Österreich liegt in einer Senke, und da es am Grenzübergang nun keine gewerbliche Abfertigung mehr gibt, haben Auto- und Radverkehr freie Fahrt.
Anita Grüneis
Tipp: Wer an alten Traditionen wie dem Torfstechen oder der Fischerei interessiert ist, findet diverse Dokumentation hierzu im Küefer-Martis-Huus (s. S. 101).
Die Pfarrkirche St. Fridolin in Ruggell.
Baufertigstellung war am 5. Januar 1900.
Gemeindeverwaltung Rathaus /// Poststraße 1 ///
9491 Ruggell /// +423 377 49 20 /// www.ruggell.li ///
Schellenberg liegt auf 626 Meter über Meer und ist flächenmäßig die kleinste Gemeinde des Landes. Bekannt ist sie vor allem für ihre Burgruine, die Obere Burg (s. S. 41), die heute unter anderem als Veranstaltungsort für das Musikspektakel The Princely Liechtenstein Tattoo dient. Einst war die Burg Wohnort der Herren von Schellenberg, die ihren Stammsitz in Oberbayern hatten. Erbaut wurde sie in der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts, die Untere Burg entstand etwas später. Beide sind seit dem 16. Jahrhundert nicht mehr bewohnt und wurden später vor allem als Steinbrüche genutzt.
Neben den Burgruinen wird der mittlere Ortsteil von zwei Gebäuden geprägt: einem Kloster und einer Kirche. Das Frauenkloster der Kongregation der Schwestern vom Kostbaren Blut entstand 1858, als Pater Franz Sales Brunner und seine Schwestern einen Standort für ein neues Kloster suchten. Die Schellenberger Bauern wollten endlich einen eigenen Geistlichen haben und erreichten durch ihre Beharrlichkeit bei der Obrigkeit die Erlaubnis für die Gründung des Klosters. Heute ist das Kloster Wohnsitz des Erzbischofs.
Avantgardistischen Kunstgeschmack bewiesen die Schellenberger in den 1960er-Jahren mit dem Neubau ihrer Pfarrkirche, die vom Architekten Eduard Ladner aus Zürich schlicht und schnörkellos konzipiert wurde. Die Eingangstür und den Altar gestaltete der Liechtensteiner Künstler Georg Malin, die bunten Glasfenster stammen von Fritz Weigner aus Zürich. Heute steht diese Kirche ihrer architektonischen Bedeutung wegen unter Denkmalschutz.
Im Ortsteil Hinterschellenberg befindet sich die Kapelle St. Georg, über deren Ursprung so gut wie nichts bekannt ist. Befunde aus der Renovierung in den Jahren 1980 und 1981 lassen darauf schließen, dass sie aus der Zeit um 1700 stammt.
Anita Grüneis
Tipp: Der historische Höhenweg Eschnerberg (Schellenberg) bietet neben einer wunderbaren Aussicht auf Wegtafeln Informationen zur Geschichte des Gebiets.
Das Frauenkloster Schellenberg im Hintergrund,
Sitz der Gemeinschaft der Schwestern vom Kostbaren Blut.
Gemeinde Schellenberg /// Dorf 49 /// 9488 Schellenberg ///
+423 399 20 30 /// www.schellenberg.li ///
Die Gemeinde Gamprin mit ihrem Weiler Bendern und den rund 1.600 Einwohnern ist die drittkleinste Gemeinde im Fürstentum und spielt doch eine wichtige Rolle. Vor allem Bendern ist für das gesamte Fürstentum von Bedeutung, denn dort, auf dem Kirchhügel (s. S. 45), befindet sich der Schwurplatz, auf dem am 16. März 1699 die Männer aus dem Unterland dem Fürsten von Liechtenstein ihre Treue schworen.
Der Hügel selbst ist vermutlich schon seit Jahrtausenden besiedelt, Reste einer merowingischen Kirche fand man unterhalb der jetzigen Pfarrkirche, die 1481 eingeweiht wurde. Gleich daneben stehen das Pfarrhaus und der Pfarrstall, auf dessen Heuboden man das berühmteste Kunstwerk der Gemeinde fand – das 400 Jahre alte Fastentuch, das nun im Landesmuseum (s. S. 61) aufbewahrt wird.
Die umgebauten Pfarrgebäude sind die Heimstatt des Liechtenstein-Instituts, einer Forschungsstelle, die aus Privatinitiative gegründet wurde und zu zwei Dritteln von Staat und Gemeinde getragen wird. Sie betreibt Liechtenstein-relevante Forschung in den Fachbereichen Geschichte, Politik, Sozialwissenschaft, Recht und Wirtschaft.
Den Römern dürfte der Anbau von Wein zu verdanken sein, der heute noch am Kirchhügel von Bendern betrieben wird. Am Fuß des Rebbergs liegt das traditionelle Gasthaus zum Deutschen Rhein, dessen Besitzer für die rund 4.400 Weinstöcke verantwortlich ist und Weine mit Namen wie Bendura oder Herrgottsacker vertreibt.
Parallel zum Straßenverlauf nach Ruggell hat die Gemeinde im Jahr 2011 an den Hängen des Eschnerbergs auf viereinhalb Hektar die gut besuchte Freizeitanlage Grossabünt (s. S. 143) geschaffen.
Im zu Gamprin gehörenden Waldstück Lotzagüetle fanden sich Spuren einer jungsteinzeitlichen Besiedlung der Pfyner Kultur (circa 4000 v. Chr.).
Anita Grüneis
Tipp: Das Gampriner Seele, der einzige auf natürliche Weise entstandenen See im Land, bietet den idealen Lebensraum für einige seltene Pflanzen- und Tierarten.
Die Marienstatue der Lourdesgrotte
auf dem Kirchhügel in Gamprin-Bendern.
Gemeindeverwaltung Gamprin /// Haldenstraße 93 ///
9487 Gamprin /// +423 375 91 00 /// www.gamprin.li ///
Die Gemeinde Eschen auf 453 Metern über dem Meer bildet mit ihrem Ortsteil Nendeln den Hauptort des Liechtensteiner Unterlandes. Mit einer Fläche von rund 10.000 Quadratkilometern und 4.300 Einwohnern ist sie die größte Gemeinde des Unterlandes. Sie liegt am Fuß des Eschnerbergs (auch Schellenberg genannt), der mit seinen bis zu 700 Metern Höhe wie ein Schiff im Tal liegt.
Dieser Inselberg gehört zu den ältesten Siedlungsplätzen im Rheintal und war bereits zur Jungsteinzeit bewohnt. Ein von der Gemeinde angelegter »Historischer Höhenweg« führt über die Hügelkuppen Malanser, Lotzagüetle und Borscht, auf denen Knochen- und Steingeräte, Keramikscherben und Spuren von Gebäuden gefunden wurden, die aus der Zeit um 4500 stammen.
Siedelten die Menschen früher aus Angst vor dem Wasser auf dem Eschnerberg, so lockt heute die sonnige Wohnlage. Zudem stehen über 4.000 Arbeitsplätze zur Verfügung. Damit liegt die Gemeinde nach Vaduz und Schaan an dritter Stelle in der Gesamtstatistik. Größter Arbeitgeber ist die Firma ThyssenKrupp Presta in Eschen, Hersteller von Lenksäulen und Lenksystemen.
In Nendeln ist der älteste Kunstgewerbe-Betrieb Liechtensteins zu Hause: die Keramik Werkstatt Schädler. Sie hat sich vor allem mit exklusiven Designformen und der Zusammenarbeit mit Künstlern einen Namen gemacht. Direkt neben der Werkstatt ist die Heimat der ersten Liechtensteiner Kunstschule. Sie bietet diverse Kurse an, darunter auch einen Vorkurs für ein Studium an einer Kunstakademie.
In einem ganz bestimmten Bereich des alpinen Brauchtums sind die Eschner führend, und zwar in der Funkenzunft. Allein in Eschen-Nendeln gibt es jährlich fünf Funkenholztürme, mit deren Abbrennen jeweils am ersten Sonntag nach Aschermittwoch der Winter ausgetrieben werden soll.
Anita Grüneis
Tipp: Der Bahnhof Nendeln ist der einzige im ganzen Fürstentum, bei dem man noch einen Fahrdienstleiter beim Öffnen der Schranken beobachten kann.
Abbrennen eines Funkens im Eschner Weiler Nendeln.
Gemeindeverwaltung Eschen /// St.-Martins-Ring 2 ///
9492 Eschen /// +423 377 50 10 /// www.eschen.li ///