Märchen

 

Wie sich der Christoph und das Bärbel immer aneinander vorbeigewünscht haben

Das mag nun schon geraume Zeit her sein, dass einmal der liebe Gott – wie er es oft zu tun pflegte – sagte: »Du, Gabriel, mach einmal die Luke auf und 'guck runter! Ich glaube, es weint was!« Der Gabriel tat, wie ihm der liebe Gott befohlen, hielt sich die Hand vor die Augen, weil's blendete, sah überall umher und sagte endlich: »Da unten ist eine lange grüne Wiese; an dem einen Ende sitzt das Bärbel und hütet die Gänse und am andern der Christoph und hütet die Schweine, und weinen tun sie alle beide, dass einem das Herz im Leibe weh tut.« – »So?« sagte der liebe Gott; »geh weg, Langer, damit ich selbst zusehen kann.« (Dass der Engel Gabriel sehr lang ist, weiß jeder.)

Wie er nun selbst zugesehen hat, fand er es geradeso, wie es der Engel Gabriel gesagt.

Dass aber der Christoph und das Bärbel beide so kläglich weinten, hat sich so zugetragen: Der Christoph und das Bärbel hatten sich beide sehr lieb; denn eins hütete die Gänse, das andere die Schweine, und sie passten also gut zusammen, weil nämlich der Stand kein Hindernis machte. Sie nahmen sich denn vor, sie wollten sich heiraten, und meinten, dazu wär's gerade genug, dass sie sich so liebhätten. Aber die Herrschaft war anderer Meinung. So mussten sie sich denn mit dem Brautstande zufriedengeben. Weil aber Ordnung zu allen Dingen nützt und das Küssen bei Brautleuten eine gar wichtige Sache ist, waren sie übereingekommen, dass sieben Küsse morgens und sieben Küsse abends eine gute Zahl wären.

Eine Zeitlang ist es denn auch ganz gut gegangen, und immer waren zur rechten Zeit die sieben richtig voll. Am Morgen aber des Tages, wo diese Geschichte sich zugetragen hat, eben da es zum siebenten Kusse kommen sollte, waren dem Bärbel seine Lieblingsgans und dem Christoph sein Lieblingsferkel wegen des Frühstücks uneinig geworden, also, dass sie sich gar hart anließen und beinahe schon zu Tätlichkeiten übergingen. Da mussten sie es, um den Streit zu schlichten, bei der falschen Zahl lassen. Wie nun beide nachher so einsam und weit voneinander am Wiesenrande saßen, fiel ihnen ein, dass es doch sehr schlimm sei, und fingen an zu weinen, und weinten immer noch, als der liebe Gott selbst zusah.

Der liebe Gott meinte anfangs, ihr Leid würde sich mit der Zeit wohl von selbst geben; als aber das Weinen immer ärger wurde und dem Christoph sein Lieblingsferkel und dem Bärbel seine Lieblingsgans auch schon begannen schier traurig zu werden und ganz sauertöpfische Gesichter zu machen, sprach er: »Ich will ihnen helfen! Was sie sich am heutigen Tage nur immer wünschen mögen, soll in Erfüllung gehen.«

Die zwei hatten aber nur einen Gedanken; denn wie so eins nach dem andern schaute und konnten sich doch nicht sehen, denn die Wies war lang und in der Mitte ein Busch, dachte der Christoph: Wenn ich doch drüben bei den Gänsen wäre! und das Bärbel seufzte: Ach, wäre ich doch bei den Schweinen!

Auf einmal nun saß der Christoph wirklich bei den Gänsen und das Bärbel bei den Schweinen; und doch waren sie wieder nicht beieinander, und die falsche Zahl konnte immer noch nicht richtig gemacht werden.

Da dachte der Christoph: Das Bärbel wird mich wohl haben besuchen wollen. Und das Bärbel dachte: Was gilt's, der Christoph ist andersrum zu mir 'rübergegangen! – Ach, wär' ich doch bei meinen Gänsen! – Ach, wär' ich doch bei meinen Schweinen!

Da saß nun wieder das Bärbel bei den Gänsen und der Christoph bei den Schweinen, und so ist es den ganzen Tag über immer umschichtig fortgegangen, weil sich die beiden stets aneinander vorbeigewünscht haben. So fehlt denn der siebente Morgenkuss des Tages heute noch. Der Christoph wollte ihn zwar selbigen Abends, als sie beide, todmüde gewünscht, nach Hause kamen, nachholen, aber das Bärbel meinte, es helfe nun doch nichts mehr, und die Unordnung sei nimmer wieder gutzumachen. –

Als aber der liebe Gott sah, dass sich die beiden immer so aneinander vorbeiwünschten, sprach er: »Da habe ich etwas Gutes angerichtet. Aber, was ich gesagt habe, habe ich gesagt! Dagegen kann nun weiter nichts helfen!« So hat er sich dann vorgenommen, nie wieder Liebesleuten ihre Wünsche so ohne weiteres in Erfüllung gehen zu lassen, sondern sich immer erst zu erkundigen, was sie denn eigentlich haben wollten. Später aber soll er einmal im Vertrauen zum Gabriel gesagt haben: es wäre doch recht schade, dass ihre Wünsche so gar selten von der Art wären, dass er sie gewähren dürfe; und als ich mich vor langer, langer Zeit einmal in ähnlichen Angelegenheiten an ihn wandte, tat er gar nicht, als wenn er es hörte. Nachher erzählte mir der Gabriel diese Geschichte; da konnte ich mich freilich nicht mehr wundern.

Eine Kindergeschichte

Der Kirchhof, auf dem die zwei kleinen Kinder spielten, von denen ich heute erzählen will, lag hoch oben auf dem grünen Bergeshange. Das Dörfchen, zu dem er gehörte, lag schon hoch genug über dem waldigen Tal, so dass die Wolken es oft verdeckten, wenn man unten auf dem blauen Flusse vorüberfuhr. Doch der Kirchhof lag noch höher über dem Dorf, so dass seine vielen schwarzen Kreuze recht in den blauen Himmel hineinragten. Es war ziemlich mühsam für die Leute, ihre Verstorbenen aus dem Dorfe nach dem Kirchhof zu tragen, denn der Weg war steil und steinig, bis man zu der grünen Matte kam, auf der der Kirchhof lag; doch sie taten es gern. Denn die Bergbewohner können es nicht im Tal aushalten; da wird es ihnen so dumpf und ängstlich zumut, wie uns in einem tiefen Keller – und ihre Toten noch weniger. Hoch oben auf dem Berge müssen sie begraben sein, so dass sie weit hinaus in das Land sehen können und hinunter ins Tal, wo die Schiffe fahren.

Ganz in der Ecke des Kirchhofes war ein verlassenes Grab. Es wuchs nur Gras auf ihm und in dem Grase ganz versteckt ein paar wilde weiße oder blaue Blümchen, die niemand gepflanzt hatte. Denn in dem Grabe lag ein alter Hagestolz, der weder Weib noch Kind noch sonst irgendjemand hinterlassen hatte, der sich um ihn bekümmerte. Aus fremdem Lande war er gekommen, woher, das wusste keiner. Er war jeden Morgen auf die Kuppe des Berges gestiegen und hatte dort stundenlang gesessen. Aber bald war er gestorben, und man hatte ihn begraben. Einen Namen hatte er ja sicher gehabt; wie er aber lautete, wusste ebenfalls niemand, nicht einmal der Totengräber. Im Kirchenbuche standen nur drei Kreuze und dahinter »ein alter fremder Hagestolz, gestorben am soundso vielten, im Jahre des Herrn soundso«. –

Das ist nun freilich sehr wenig; aber die zwei kleinen Kinder des Totengräbers, von denen ich eben erzählen wollte, hatten das alte, verlassene Grab in der Kirchhofsecke ganz besonders gern; denn es war ihnen erlaubt, auf ihm zu spielen und herumzutrampeln, soviel sie Lust hatten, während sie die anderen Gräber nicht anrühren durften. Diese waren alle sehr sorgfältig imstand gehalten; das Gras war frisch geschoren und dicht wie Samt, auch blühten allerhand Blumen auf ihnen, die der Totengräber täglich mit großer Sorgfalt begoss, wozu er sich das Wasser mühsam aus dem Dorfbrunnen heraufschleppen musste. Auf vielen lagen auch Kränze und bunte Bänder.

»Trinchen«, sagte der kleine Knabe, der vor dem verlassenen Grabe kniete, indem er sich wohlgefällig das Loch besah, welches er in die Seitenwand des Grabes mit seinen kleinen Händen hineingegraben hatte, »Trinchen, unser Haus ist fertig. Ich habe es mit bunten Steinen ausgepflastert und Blumenblätter darauf gestreut. Ich bin der Vater und du bist die Mutter. – Guten Morgen, Mutter, was machen unsere Kinder?«

»Hans«, entgegnete die Kleine, »du musst nicht so rasch spielen. Ich habe noch keine Kinder, aber ich werde gleich welche bekommen.« Darauf lief sie zwischen den Gräbern und Büschen umher und kam, beide Hände mit Schnecken gefüllt, wieder:

»Höre, Vater, ich habe schon sieben Kinder, sieben wunderschöne Schneckenkinder!«

»Dann wollen wir sie gleich zu Bett bringen, denn es ist schon spät.«

Sie pflückten grüne Blätter ab, legten sie in das Loch, die bunten Schneckenhäuser darauf, und deckten jedes wieder mit einem grünen Blatte zu.

»Jetzt sei einmal still, Hänschen«, rief das kleine Mädchen, »ich muss ich ganz allein machen. Der Vater singt nie mit. Du kannst unterdessen noch auf die Arbeit gehen.«

Und Hänschen lief fort, und Trinchen sang mit ganz feiner Stimme:

»Schlaft mir allzusammen ein,
Meine sieben Kinderlein
In euren weichen Betten.
Schlummert süß und schlafet aus,
Steckt mir keins die Beinchen ’raus
Unter eurer Decke!«

Aber das eine Blatt begann sich zu bewegen, und eine von den Schnecken steckte unter demselben ihren Kopf mit den feinen Hörnern hervor. Da tippte die Kleine sie mit dem Finger auf den Kopf und sagte: »Warte, Gustl, du bist immer die Unartigste! Heute früh hast du dich schon nicht wollen kämmen lassen. Willst du gleich wieder ins Bett!« Und sie sang noch einmal:

»Schlummert süß und schlafet aus,
Steckt mir keins die Beinchen ’raus
Unter eurer Decke!

Seid ihr dann geschlafen ein,
Fliegt ein Engel ins Zimmer ’rein,
Besieht sich alle sieben:
Deine Kinder sind alle weiß und rot,
Ein‘ schönen Gruß vom lieben Gott,
Ob sie auch fromm geblieben?

Meine Kinder sind alle fromm,
Sie woll‘n gern in den Himmel komm‘n,
Schön‘ Dank für Milch und Wecken.
Bring wieder einen Gruß nach Haus:
Es stecke auch keins die Beinchen ’raus
Mehr unter seiner Decke.«

Als sie ausgesungen hatte, waren die sieben Schnecken wirklich alle eingeschlafen, wenigstens lagen sie alle still, und da Hänschen immer noch nicht zurückkehrte, lief die Kleine noch einmal im Kirchhof umher und suchte neue Schnecken. Sie sammelte eine große Zahl in ihrer Schürze und kehrte mit ihnen zum Grabe zurück. Da saß Hänschen und wartete.

»Vater«, rief sie ihm entgegen, »ich habe noch hundert Kinder gekriegt!«

»Höre Frau«, erwiderte der Kleine, »hundert Kinder sind sehr viel. Wir haben bloß einen Puppenteller und zwei Puppengabeln. Womit sollen die Kinder essen? Hundert Kinder hat auch gar keine Mutter. Es gibt auch nicht hundert Namen. Wie sollen wir unsere Kinder taufen? Trag sie wieder fort!«

»Nein, Hänschen«, sagte das kleine Mädchen, »hundert Kinder sind sehr hübsch. Ich brauche sie alle.« –

Indes kam die junge Frau des Totengräbers mit zwei großen Butterbroten, denn die Vesperstunde hatte geschlagen. Sie küsste die beiden Kinder, hob sie auf, setzte sie auf das Grab und sagte: »nehmt eure neuen Schürzen hübsch in acht.« – Da saßen sie nun stumm wie die Spatzen und aßen. –

Aber der alte Hagestolz in seinem einsamen Grabe hatte alles vernommen; denn die Toten hören alles sehr genau, was man an ihrem Grabe spricht. Er dachte an die Zeit, wo er noch ein kleiner Knabe gewesen war. Da hatte er auch ein kleines Mädchen gekannt, und sie hatten zusammen gespielt, hatten Häuser gebaut und waren Mann und Frau gewesen. Und dann dachte er an die spätere Zeit, wo er das kleine Mädchen noch einmal gesehen hatte, wie es schon erwachsen war. Nachher hatte er nie wieder etwas von ihm gehört, denn er war seine eigenen Wege gegangen, und die mussten wohl nicht sehr schön gewesen sein, denn je mehr er daran dachte, und je mehr oben auf seinem Grabe die Kinder schwatzten, um so trauriger wurde er. Er fing an zu weinen und weinte immer mehr. Und als die Totengräberfrau die Kinder auf sein Grab setzte und sie ihm nun gerade auf der Brust saßen, weinte er noch viel mehr. er versuchte seine Arme auszustrecken, denn es war ihm so, als müsse er die Kinder an sein Herz drücken. Aber es ging nicht; denn auf ihm lagen sechs Fuß Erde, und sechs Fuß Erde wiegen schwer, sehr schwer. Da weinte er noch mehr; und er weinte immer noch, als die Totengräberfrau längst die Kinder geholt und zu Bett gebracht hatte.

Als aber der Totengräber am nächsten Morgen durch den Kirchhof ging, da war aus dem alten verlassenen Grabe eine Quelle entsprungen. Das waren die Tränen, die der alte Hagestolz geweint hatte. Sie rieselte hell aus dem Grabhügel hervor und kam gerade aus dem Loche, wo die beiden Kinder ihr kleines Häuschen hineingegraben hatten. Da freute sich der Totengräber, denn nun brauchte er das Wasser zum Begießen der Blumen nicht mehr aus dem Dorfe den steilen Weg hinaufzutragen. Er machte für die Quelle eine ordentliche Leitung und fasste sie mit großen Steinen ein. Von jetzt an begoss er mit dem Wasser der neuen Quelle alle Gräber auf dem Kirchhofe, und die Blumen auf ihnen blühten nun schöner wie je zuvor. Nur das Grab, worin der alte Hagestolz lag, begoss er nicht, denn es war ja ein altes, verlassenes Grab, nach dem niemand fragte. Trotzdem wuchsen aber auf ihm die wilden Bergblumen üppiger wie an jedem anderen Orte, und die beiden Kinder saßen oft an der Quelle, bauten Mühlen und ließen Papierkähnchen auf ihr schwimmen.

Die Traumbuche

Hundert Jahre oder mehr ist's wohl her, dass der Blitz in sie einschlug und sie von oben bis unten auseinanderspellte, und ebenso lange schon geht der Pflug über die Stätte; früher aber stand einige hundert Schritte vor dem ersten Hause des Dorfes auf dem grünen Rasenhügel eine alte mächtige Buche; so ein Baum, wie jetzt gar keine mehr wachsen, weil Tiere und Menschen, Pflanzen und Bäume immer kleiner und erbärmlicher werden. Die Bauern sagten, sie stamme noch aus der Heidenzeit und ein heiliger Apostel sei unter ihr von den falschen Heiden erschlagen worden. Da hätten die Wurzeln des Baumes Apostelblut getrunken, und wie es ihm in den Stamm und in die Äste gefahren, sei er davon so groß und kräftig geworden. Wer weiß, ob's wahr ist? Eine eigene Bewandtnis aber hatte es mit dem Baum; das wusste jeder, klein und groß im Dorf. Wer unter ihm einschlief und träumte, des Traum ging unabweislich in Erfüllung. Deshalb hieß er schon seit undenklichen Zeiten die Traumbuche, und niemand nannte ihn anders. Eine besondere Bedingung war jedoch dabei: wer sich zum Schlaf legte unter die Traumbuche, durfte nicht daran denken, was er wohl träumen würde. Tat er es doch, so träumte er nichts wie Krimskrams und verworrenes Zeug, aus dem kein vernünftiger Mensch klug werden konnte. Das war nun allerdings eine sehr schwere Bedingung, weil die meisten Menschen viel zu neugierig sind, und so misslang es denn auch den allermeisten, die es versuchten; und zu der Zeit, wo die folgende Geschichte sich zutrug, war im Dorf wohl kein einziger, weder Mann noch Weib, dem's auch nur ein einziges Mal gelungen wäre. Aber seine Richtigkeit hatte es mit der Traumbuche, das war sicher. –

Eines heißen Sommertages also, da kein Lüftchen sich regte, kam auch einmal ein armer Handwerksbursche die Straße daher gewandert, dem war es in der Fremde viele Jahre hindurch weh und übel gegangen. Als er vor dem Dorfe anlangte, drehte er zum Überfluss noch einmal alle seine Taschen um, doch sie waren sämtlich leer. Was fängst du an? dachte er bei sich. Todmüde bist du; umsonst nimmt dich kein Wirt auf, und das Fechten ist ein beschwerliches Handwerk. Da erblickte er die herrliche Buche mit dem grünen Rasenhügel davor; und da sie nur wenige Schritte abseits vom Wege stand, legte er sich unter sie ins Gras, um etwas auszuruhen. Doch der Baum hatte ein seltsames Rauschen, und wie er seine Zweige leise bewegte, ließ er bald hier, bald da einen feinen glitzernden Sonnenstrahl durchfallen und bald hier, bald da ein Stückchen blauen Himmel durchscheinen: da fielen ihm die Augen zu, und er schlief ein.

Als er eingeschlafen war, warf die Buche einen Zweig mit drei Blättern herab, der fiel ihm gerade auf die Brust. Da träumte er, er säße in einer gar heimlichen Stube am Tisch, und der Tisch wäre sein, und die Stube auch, und ebenso das Haus. Und vor dem Tisch stände eine junge Frau, stützte sich mit beiden Händen auf den Tisch und sähe ihn gar freundlich an, und das wäre seine Frau. Und auf seinen Knien säße ein Kind, dem fütterte er seinen Brei, und weil er zu heiß wäre, bliese er immer auf den Löffel. Und da sagte die Frau: »Was du doch für eine gute Kindermuhme bist, Schatz!« und lachte darüber. In der Stube aber spränge noch ein anderes Kind herum, ein dicker, pausbäckiger Junge, und er hätte an eine große Mohrrübe einen Bindfaden gebunden und zöge sie hinter sich her und riefe immer hü und hott, als wär's der beste Fuchs. Und alle beide Kinder wären ebenfalls sein. So träumte er; und der Traum musste ihm wohl sehr gefallen, denn er lachte im Schlaf übers ganze Gesicht.

Als er aufwachte, war es schon fast Abend geworden, und vor ihm stand der Schäfer mit seinen Schafen und strickte. Da sprang er erquickt auf, dehnte und reckte sich und sagte: »Lieber Himmel, wem's so wüchse! Es ist aber doch hübsch, dass man nun wenigstens weiß, wie's ist.« Da trat der Schäfer an ihn heran und fragte ihn, woher er käme und wohin er wollte und ob er schon etwas von dem Baume gehört habe. Nachdem er sich überzeugt, dass er so unschuldig war wie ein neugeborenes Kind, rief er aus: »Ihr seid ein Glückspilz! Denn dass Ihr etwas Gutes geträumt habt, war ja doch auf Euerem Gesicht zu lesen; habe ich Euch doch schon lange betrachtet, wie Ihr so dalagt!« Darauf erzählte er ihm, was es für eine Bewandtnis mit dem Baume habe: »Was Ihr geträumt habt, geht in Erfüllung; das ist so sicher als wie, dass das hier ein Schaf und das dort ein Bock ist. Fragt nur die Leute im Dorf, ob ich nicht recht habe! Nun sagt aber auch einmal, was Ihr geträumt habt!« »Alterchen«, erwiderte der Handwerksbursche schmunzelnd, »so fragt man die Bauern aus. Meinen schönen Traum behalte ich für mich; das könnt Ihr mir nun schon gar nicht verdenken. Aber daraus werden tut doch nichts!« Und das sagte er nicht bloß so, sondern es war sein Ernst; denn als er nun auf das Dorf zuging, sprach er vor sich hin: »Papperlapapp, Schäferschnack! Möchte wohl wissen, wo der Baum die Wissenschaft herhaben sollte.«

Als er in das Dorf kam, ragte am dritten Haus vom Giebel eine lange Stange heraus, an der hing eine goldene Krone, und unten vor der Haustüre stand der Kronenwirt. Der war gerade sehr guter Laune, denn er hatte schon zur Nacht gegessen und war rundherum satt, und das war sein beste Stunde. Da zog er höflich den Hut und fragte, ob er ihn nicht um einen Gotteslohn zur Nacht behalten wolle. Der Kronenwirt besah sich den schmucken Burschen in seinen staubigen, abgerissenen Kleidern von oben bis unten. Dann nickte er freundlich und sagte: »Setz dich nur gleich hier in die Laube neben die Tür; es wird wohl noch ein Stück Brot und ein Krug Wein übriggeblieben sein. Unterdessen können sie dir eine Streu machen.« Darauf ging er hinein und schickte seine Tochter, die brachte Brot und Wein, setzte sich zu ihm und ließ sich erzählen, wie es in der Fremde aussähe. Dann erzählte sie ihm auch wieder alles, was sie dass des Nachbars Frau Zwillinge bekommen hätte, und wann das nächste Mal in der Krone zu Tanz gespielt würde.

Auf einmal aber stand sie auf, bog sich zu dem Handwerksburschen über den Tisch hinüber und sagte: »Was hast du denn da für drei Blätter am Latz?« Da sah der Handwerksbursche hin und fand den Zweig mit den drei Blättern, der während des Schlafes auf ihn herabgefallen war. Er stak ihm gerade im Latz. »Die müssen von der großen Buche dicht vorm Dorfe sein«, erwiderte er, »unter der ich einen kleinen Nick gemacht habe.«