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Michael Wilcke

Glutfehde

Im Schatten des Täuferkönigs

Mit einer Leseprobe aus »Die Frau des Täuferkönigs«

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Impressum

Michael Wilcke

»Glutfehde - Im Schatten des Täuferkönigs«

ISBN 978-3-8412-0771-5

Aufbau Digital ist eine Marke der Aufbau Verlag GmbH & Co. KG

Veröffentlichung: Oktober 2013

© Aufbau Verlag GmbH & Co. KG, Berlin

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Umschlaggestaltung Aufbau Verlag GmbH & Co. KG

unter Verwendung eines Motivs von Frank Warda/Bilderbuch Münster und eines Motivs von Henry Mühlpford/flickr

E-Book Erstellung: Marcus Thie, Berlin

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Inhalt

Über den Autor

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Leseprobe aus »Die Frau des Täuferkönigs«

Ich bin auf den Namen Emanuel getauft worden. Meine Mutter hat das einst so entschieden, weil dieser Name eine Bedeutung hat: Gott ist mit dir. Ich gehörte zu einer kleinen Gruppe, die mich darin unterstützte, den Bürgern mehr oder minder nützliche Reliquien zu verkaufen. Damit nun ja … verdienten wir unser Auskommen, wenn wir nicht gerade andere Pläne hatten.

Im Monat Juni des Jahres 1534 schuftete ich sechs Tage lang nahe der westfälischen Stadt Rheine in den Stallungen des Gutsherrn Everhard Clunsevoet. Während dieser sechs Tage schaufelte ich von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang Kuhmist und schob eine schwer beladene Karrette Dutzende Male zu dem riesigen Dunghaufen, der sich hinter den beiden Scheunengebäuden auftürmte. Der einzige Lohn, den ich für diese Plackerei erhielt, bestand aus zwei kargen Mahlzeiten am Tag und einem Platz zum Schlafen in der Kammer der anderen Knechte.

Es hätte mich sehr betrübt, wenn ich nur aus dem einen Grund in diese Gegend gekommen wäre, um auf Clunsevoets Gut zu arbeiten, bis mir sämtliche Knochen im Leib schmerzten. Meine Beweggründe waren freilich anderer Natur. Und ich war auch keineswegs allein nach Rheine gezogen. Vor den Toren der Stadt lagerten meine Gefährten und warteten darauf, dass ich zu ihnen zurückkehren und ihnen den Plan für einen Raubzug darlegen würde, der es uns ermöglichte, dem wohlhabenden Gutsherrn in die Schatulle zu greifen.

In den vergangenen Tagen hatte ich jede Gelegenheit genutzt, um mich mit den Gebäuden und den Menschen auf diesem Gut vertraut zu machen. Natürlich waren mir sofort die beiden großen Holzscheunen ins Auge gefallen, die sich nahe der südlichen Mauer befanden und in denen neben den Futtervorräten auch ein Großteil des Hornviehs untergebracht worden war. Es gab zudem ein Backhaus, eine Hütte, die als Unterkunft der Knechte und des Gesindes diente, sowie eine eigene kleine Kapelle, in der an jedem Sonntag die Messe gelesen wurde.

Vor allem aber war mein Interesse auf das zweistöckige Steinwerk gerichtet, das Everhard Clunsevoet mit seiner Frau bezogen hatte. Clunsevoet war mir recht häufig über den Weg gelaufen. Zumeist stolzierte der Gutsherr in seinem bestickten Hemd, dem Brusttuch, seinem Faltrock und der knielangen Schaube wie ein Fürst umher und schaute überall nach dem Rechten. Der Vorarbeiter Veit und ein Hüne namens Cort hielten sich ständig in Clunsevoets Nähe auf und klebten an ihm wie die Fliegen am Kuharsch.

Everhard Clunsevoet, der stets eine sauertöpfische Miene zu Schau trug, gab häufig mürrische Anweisungen oder schimpfte laut mit den Knechten, die seiner Meinung nach ihre Arbeiten nicht zufriedenstellend verrichteten. Auch ich war bereits in den zweifelhaften Genuss einer solchen Strafpredigt gekommen, als Clunsevoet mich wütend angeblafft hatte, weil ich mich in der Sommerhitze neben dem Stall einen Moment lang dösend in den Schatten gehockt hatte. Sein Unmut ließ mich jedoch kalt, da ich wusste, dass der Gutsherr schon bald einen triftigeren Grund haben würde, mir die Pest an den Hals zu wünschen. Dann nämlich, wenn meine Gefährten und ich sich an seiner Schatulle bereichert hatten.

Davon, dass Clunsevoets Börse prall gefüllt sein würde, konnte ich mich nun überzeugen, als ich meine Mistgabel zur Seite stellte und durch die Stalltür beobachtete, wie einige Reiter auf den Hofplatz trabten und absaßen. Diese Männer, die in den Diensten des Gutsherrn standen, waren vor drei Tagen mit einer Herde von zwanzig Rindern aufgebrochen, und kehrten nun zurück, um Clunsevoet den Erlös aus dem Verkauf des Viehs zu übergeben. Ich sah, wie der Gutsherr ihnen entgegentrat. Einer der Männer reichte Clunsevoet ein Ledersäckchen. Er wog es in der Hand, warf einen kurzen Blick hinein und klopfte dem Mann zufrieden auf die Schulter. Anscheinend war der gewünschte Preis für das Vieh erzielt worden.

Ich atmete erleichtert auf, denn auf diesen Moment hatte ich seit sechs Tagen gewartet.

Als Clunsevoet sich umdrehte und zu seinem Haus stapfte, folgte ich ihm unauffällig. Ich wartete kurz ab, bis Clunsevoet das Steinwerk betreten hatte, dann öffnete ich behutsam die Tür und spähte ins Innere. Das Gebäude besaß nur einige schmale Fensterscharten, so dass der Korridor hinter dem Eingang den ganzen Tag lang von einer Öllampe beleuchtet werden musste. In dem trüben Licht machte ich eine Treppe aus und vernahm von dort Schritte auf den knarzenden Stufen. Der Gutsherr begab sich in den ersten Stock.

Vorsichtig stieg ich die Treppe zwei weitere Stufen hinauf und konnte aus dem Halbdunkel mitverfolgen, wie Everhard Clunsevoet zwei oder drei Schritte von einer Tür entfernt einen Stein auf Kniehöhe im Mauerwerk herauszog und aus dem so entstandenen Loch in der Wand einen Schlüssel an sich nahm.

Ich konnte mein Glück kaum fassen. Clunsevoet war anscheinend ein solch misstrauischer Mensch, dass er diesen Schlüssel selbst vor seiner Ehefrau und seinen Vertrauten verbarg. Nun aber kannte ich dieses Versteck, und das würde ihm zum Verhängnis werden.