Edda Kramer, eine grünäugige Blondine Mitte vierzig, ist recht zufrieden mit ihrem Leben. Sie ist im Verhältnis zu ihrer Größe etwas zu mollig und liebt das Tanzen.
Ihr Gatte Adam, ein mittelgroßer, sportlicher Typ arbeitet im Außendienst einer großen Firma. Gemeinsam mit einer Katze und einem Hund leben sie in einem Reihenhaus in idyllischer Lage im Burgenland. Der Garten hinter der Terrasse zeigt sich insbesondere im Sommer mit den vielen bunten Blumen und den farbigen Ziersträucher von der schönsten Seite und wird alljährlich zur Wohnoase im Freien. Der Duft des Grillguts am Holzkohlengrill verfeinert das Leben am Land.
Hier in Siegendorf, einer Gemeinde in der Nähe von Eisenstadt leben etwa viertausend Einwohner mit einem hohen Maß an gemeinschaftlicher Geselligkeit. Rund um den Rathausplatz mit den zahlreichen Geschäften, wie Trafik, Krämerladen und Apotheke ist immer etwas los.
Zur besonderen Freude aller sind jene Feste und Großveranstaltungen, bei denen der örtliche Musikverein zum Tanz aufspielt. Edda freut sich über jedes Fest, an dem viele Gäste teilnehmen.
Das Preisfischen am Wochenende sollte zu so einem Fest werden.
Edda wollte auch dabei sein, allerdings nur als Zuseherin.
Doch es kam anders.
Edda und Adam hatten gerade eine Woche Urlaub hinter sich, den sie zu Hause verbrachten. Tagsüber gingen sie Schwimmen und abends saßen sie auf der Terrasse. Während Edda in einem Schönheitsmagazin schmökerte, bereitete Adam seine Angelausrüstung für dieses Preisfischen vor. Als Köder hatte er bereits Tage zuvor Maden im „Anglerparadies“ bestellt, die am kommenden Morgen zur Abholung bereit standen.
Dort im Anglergeschäft arbeitete eine nette Verkäuferin, die für jeden Kunden ein offenes Ohr hatte.
Während sie die bestellten Maden in eine Plastikschüssel füllte, unterhielt sich Adam angeregt mit den Fischern, die vorm Tresen standen. Jeder versuchte einige Tipps und Tricks zu erhaschen. Unter die Männertraube mischten sich auch all jene, die ihr ganzes Leben noch keinen einzigen Fisch gefangen hatten. Schon bald gesellte sich jene Sorte von männlichen Klatschtanten hinzu, die zu jedem Thema etwas sagen konnten. Innerhalb weniger Minuten hatten sie sich zu einer fröhlichen Runde zusammen geschlossen.
Wenn man manchen von ihnen zuhörte, konnte man leicht den Eindruck gewinnen, der eine oder andere übe die Fischerei als Hauptberuf aus. Edda hielt sich die Nase zu, während sie durch das Geschäft schlenderte. Sie hasste den Geruch von Fischfutter, der sich mit Zigarettenrauch vermischte und im ganzen Laden ausbreitete.
Sie langweilte sich im Anglergeschäft immer zu Tode, weil sie nur Vorliebe für modische Artikel hat und es dort keine Schuhe zu kaufen gibt; dafür jede Menge Spezialfutter für den perfekten Biss. – „Ja, ja, die Werbung verspricht viel und wir, die naiven Konsumenten lassen uns von ihr in die Irre führen“ – dachte Edda.
Die beiden verließen das Geschäft gegen sechzehn Uhr. Zu Hause wurden die Maden und sämtliches Lockfutter, welches sich Adam zusätzlich kaufte, im Kühlschrank verstaut, den er sich eigens dafür im Keller aufgestellt hatte.
Etwas später stand Adam in der Küche und mixte als Fischköder noch eine Teigmasse aus Hundekeksen, die er sich von seinem Vierbeiner ausborgte. Auch sie wurde anschließend im Kühlschrank verstaut.
Weil die Platzauslosung für das bevorstehende Preisfischen bereits für sieben Uhr morgens angesetzt war, läutete am nächsten Morgen um fünf Uhr in früh der Wecker.
Edda ist auch an den Wochenenden eine ausgesprochene Frühaufsteherin Adam hingegen zählt eher zu den Nachteulen. Er sieht gerne lang fern und schläft morgens dementsprechend länger. Adam meint immer, sie ginge mit den Hühnern schlafen und stünde mit den Hühnern wieder auf. Es gab Tage, da lag Edda bereits vor dem Abendfilm im Bett. Sie zog die Rollo des Küchenfensters hoch und blinzelte leicht verschlafen aus dem Fenster. Die Sonne ging schon über den Hügel auf. Es schien ein heißer Tag zu werden. Edda setzte Kaffee auf, als plötzlich ihr Telefon klingelte. Es war Luc, Eddas elfjähriger Neffe. Er wollte nur wissen, ob Edda schon munter sei. Luc ist der Sohn von Eddas Schwester. Er liebte es bei den Preisfischen dabei zu sein. Edda hatte ihm versprochen ihn pünktlich abzuholen. Luc wohnt mit seinen Eltern im rund zehn Kilometer entfernten Eisenstadt. Pünktlich traf sie vor dem Haus ihrer Schwester ein. Ungeduldig wartete Luc bereits vor der Türe. In der einen Hand hielt er eine violette Kappe und in der anderen einen blauen Rucksack. Die Pünktlichkeit hatte ihr Neffe von ihr geerbt, denn seine Mutter war es nie. Ganz egal welche Uhrzeit ausgemacht war, Eddas Schwester war immer zu spät.
Gemeinsam fuhren sie zurück in das Dorf und packten noch ein paar Kleinigkeiten wie Sonnencreme und Kartoffelchips in einen Rucksack. Um sieben Uhr parkten die drei am Fischteich. Es waren schon viele Teilnehmer dort, sogar von den umliegenden Gemeinden kamen sie angereist. Man könnte sagen, es war schon eine Großveranstaltung.
Die Auslosung der Angelplätze hatte bereits begonnen, als Edda zwei Männer auffielen, die ein wenig abseits der anderen standen.
Einem der Beiden fehlte ein Bein. Gestützt von zwei Krücken schien es, als habe der Dicke große Mühe sein Gewicht zu tragen. Er war mit einem dunkelgrauen, langärmligen Sweatshirt bekleidet und hatte das rechte leere Hosenbein zurückgeschlagen. – „Ob er sein Bein wohl bei einem Unfall verloren hatte?“, dachte Edda. Am Kopf trug er eine Schildkappe, die tief ins Gesicht ragte. Seine dunkelgrauen Bartstoppeln erstreckten sich von den Wangenknochen bis zum Kragen des Sweatshirts. Auch er nahm an der Platzauslosung teil. Der Mann, der ihn begleitete hatte ebenfalls eine lange, weitgeschnittene, dunkle Hose und ein langärmliges, braunes ausgewaschenes Shirt an. Er karrte einen Bauch vor sich her und es sah so aus, als hätte einen Wasserball verschluckt. Im Vergleich dazu wirkten seine Arme sehr knochig und trainiert. Edda hatte sie noch nie zuvor gesehen, aber die Stimme des Begleiters kam ihr bekannt vor. Sie schenkte den Beiden keine weitere Beachtung und wandte sich zu ihrem Neffen. Luc, der schon seit Tagen dem Preisfischen entgegenfieberte war nun endlich an der Reihe aus einem Topf eine Nummer für den Wettbewerbsstandort zu ziehen. Dazu lagen in einem großen Gefäß nummerierte Papierröllchen.
Jeder Teilnehmer durfte eines herausnehmen.
Anschließend wurde der Name, mit der jeweiligen Zahl in eine Teilnehmerliste geschrieben. Luc zog die Nummer Achtzehn. Sie warfen einen Blick auf die Teichkarte und trugen die Angelausrüstung an die zugeloste Stelle des Fischteiches. Der Platz lag in einer kleinen Bucht. Die Männer bauten die zwei Angeln auf und steckten das spitze Ende des Setzkeschers in die Erde. Edda hatte keine weitere Aufgabe, also beschloss sie, die erste Runde Getränke aus der Fischerhütte zu holen. Immerhin war es schon sieben Uhr dreißig. Luc bestellte ein Wurstbrötchen und eine Limo. Um zur Fischerhütte zu gelangen, musste Edda fast einmal um den Teich spazieren. Es machte ihr jedoch nichts aus. Sie liebte diesen Teich. Nicht wegen des Fischens, nein wegen der Abgeschiedenheit und der Idylle. Es gab nur eine Zufahrtsstraße, einen nicht asphaltierten Feldweg. Links und rechts davon wuchs jede Menge Schilf und ein paar Felder waren angelegt, welche von den hiesigen Bauern bestellt wurden.
Wenn es stark regnet, war es fast unmöglich mit dem Auto hinaus zum Teich zu fahren. Edda spazierte öfters mit ihrem Hund dort hin, um sich zu entspannen und vom Reihenhaus ist es ein Katzensprung. Während sie so dahinschlenderte, betrachtete sie die Konkurrenz. Einige Teilnehmer kannte sie, denn viele von ihnen wohnten hier im Dorf. Auch einige Mütter mit ihren Kindern waren in der Zwischenzeit eingetroffen, um deren Ehemänner anzufeuern. Manche von ihnen hatten Angeln aufgebaut, als ob sie Hochseefischen betreiben wollten. Aber in diesem Fischteich gab es nur Karpfen und etliche kleinere Fische, wie Rotfedern und Zwergwelse. Adam hatte gerade mal zwei Angelruten und zwei Kübel mit. In dem einen hatte er die Maden gefüllt und in dem anderen den Teig. Als Eddas Blick erneut entlang des Uferrandes schweifte, entdeckte sie die beiden seltsamen Männer wieder. Der Einbeinige, saß in seinem Fischerstuhl. Sein Begleiter kauerte im Gras direkt neben ihm. Er hatte überhaupt nur einen Kübel und eine Angel mit.
„Na wenigstens werden wir nicht den letzten Platz machen!“ – dachte Edda. Die Getränke geschickt unter den Arm geklemmt, marschierte sie wieder zum Platz zurück.
Nach und nach kletterte die Sonne gnadenlos hoch in den Himmel und es wurde richtig heiß. Eine brütende Hitzewelle hatte sich schon seit Tagen über das Land gelegt. Edda cremte sich und Luc ein.
Schon nach kurzer Zeit, das Preisfischen hatte noch nicht einmal begonnen, waren die Getränkevorräte auch schon wieder aufgebraucht. Doch dieses mal brauchte sie nicht noch einmal zur Fischerhütte zu gehen, da der Teichinhaber, Helmut Sieber mit einer riesigen Schubkarre, gefüllt mit kalten Getränken die Runde um den Teich machte.
Adam und Edda füllten abermals ihre Biervorräte auf. Wenig später ertönte auch schon das Signal zum Einwurf und alle Teilnehmer warfen ihre Angelleinen aus. Adam und Luc versuchte es zuerst mit seinem selbst gemixten Hundefutter.
Die zwei Bier taten das ihrige und Edda musste auf die Toilette. Sie machte sich ein zweites Mal auf den Weg zur Hütte. Da und dort musste sie zwangsläufig anhalten, um sich mit Bekannten zu unterhalten. Die Toiletten befanden sich ein gutes Stück hinter der Fischerhütte. Als sie sich gerade ihre Hände wusch, vernahm Edda ein Poltern aus der Männertoilette, die nur mittels einer dünnen Holzwand von den Frauen getrennt war.
„Oh je – der erste Betrunkene ist schon umgefallen“ dachte Edda.
Als sie die Holzstufen hinunter ging fiel ihr auf, dass sie ihre Geldtasche auf dem Spülkasten der vergessen hatte. Gerade als sie sich umdrehte, erstarrte sie vor Schreck und ihr blieb kurzfristig die Luft zum Atmen weg. Vor ihr stand plötzlich der einbeinige Mann, gestützt auf seine Krücken. Er wirkte krank und blaß. Er fragte:“ Hallo! Schon was gefangen?“. „ Nein, erwiderte Edda, und Sie?“ – „Nein, antwortete der Mann „ aber es macht mir nichts aus, denn ich bin ja nicht nur zum Fischen hier es geht mir auch um die Unterhaltung.“
Leicht irritiert ging sie die Treppen wieder hoch und holte die Geldtasche.
Als Edda zu Adam und Luc mit kalten Getränken zurückkehrte, teilten die beiden ihr mit Freude mit, dass sie bereits drei kleine Fische gefangen hatten.
Edda war recht siegessicher, bis sie die kleinen Tiere betrachtete, die im Setzkescher vor ihnen schwammen. Die kleinsten und leichtesten Fische des ganzen Teichs hatten sich an den Angelhaken verirrt. Um genau elf Uhr, zur Halbzeit ertönte eine Hupe . Alle Teilnehmer versammelten sich bei der Fischerhütte, um über ihre Fangerfolge zu berichten. Es wurde der neueste Klatsch und Tratsch beredet. Getrunken wurde während der Pause so einiges. Manche starteten schon mit den ersten harten Getränken. Möglicherweise aus Frust, weil sie noch nichts gefangen hatten. Heli, so nannten seine Freunde den Fischteichbesitzer, der das Tournier organisierte hatte selbst schon den einen oder anderen Schnaps getrunken.