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Mia Mazur

Halbmondschatten

Historischer Liebesroman


Ich widme dieses Buch all jenen, die sich für die Vergangenheit, die Gegenwart, wie auch die Zukunft interessieren. Seit Jahrhunderten werden Kriege im Namen Gottes geführt. Auf beiden Seiten werden Waffen und Kriegsmaschinerien gesegnet, und es wird um Gottes Beistand und Segen gebeten. Nicht anders war es auch während des Krieges der 2. Türkenbelagerung. Mit dieser Geschichte möchte ich diese paradoxe Situation hervorheben und zum Nachdenken animieren.


BookRix GmbH & Co. KG
80331 München

Kapitel 1 - 11. Juli 1683

Hainburg, Österreich

 

Der Rauch der brennenden Hainburg verdunkelte den Himmel.

Kara Mustafa Pascha blickte zufrieden zur Hainburg empor, deren Mauern nun endlich, nach stundenlangem Kampf, nicht mehr standhalten konnten und einstürzten. Allah musste sehr zufrieden sein mit seinem heiligen Werk. Seine tapferen osmanischen Krieger führten Allahs Willen aus und schlugen diese gottlosen Christen ohne Gnade nieder. Sicher führten sie ihre Krummsäbel gegen die hysterische Menschenmasse.

Kara Mustafa blickte gen Himmel und dankte Allah für den Erfolg. Nicht mehr lange und dieser Heilige Krieg würde seinen Höhepunkt erreichen, wenn al-Qahhār, der Alles-Bezwinger, ihm den Sieg über die Christenstadt Wien schenkte. War die Stadt erst unter Kontrolle der Anhänger des Islams, würden auch diese Ungläubigen Allahs Macht erkennen müssen. Zufrieden wandte sich der Großwesir von der Schlacht ab und begab sich zurück zu seinem Zelt.

 

***

 

Thomas hatte Angst. Seine Lungen brannten und er bekam kaum noch Luft. Das metallene Geräusch sich kreuzender Klingen und verzweifelte Hilfeschreie hallten von den alten Mauern wider.

„Lauf schneller, Thomas!“, trieb ihn seine Schwester vorwärts.

Das Fischertor, welches zur Donau und den rettenden Booten in die Freiheit führte, schien in greifbarer Nähe. Thomas wusste, dass das Tor ihre einzige Rettung war. Dort konnten sie mit ein wenig Glück in einem der Fischerboote den Fluss überqueren und in den Auen Schutz suchen.

Er blickte angsterfüllt über seine Schulter. Unzählige verzweifelte Leiber drängten sich hinter ihm zum Eisentor.

Hinter der Menschenmasse waren bereits die ersten Osmanen mit ihren roten Hüten zu erkennen, die mit ihren Krummsäbeln erbarmungslos jeden niedermetzelten. Ob Frauen, Männer oder Kinder, ob alt oder jung - das spielte für diese Barbaren keine Rolle. Die Schreie der Menschen wurden immer verzweifelter; gnadenlos wurden sie hingerichtet.

Endlich hatten Thomas und Anna das verschlossene Tor erreicht. Mit vereinten Kräften zogen sie an der schweren Eisentür. Doch sofort drängten bereits die nächsten Bewohner der Hainburg zum Tor und die Geschwister wurden erbarmungslos gegen das Metall gedrückt. „Oh Gott, bitte hilf uns! So werden wir das Tor niemals öffnen können!“, stöhnte Anna mehr zu sich selbst.

Ein kräftiger, großer Mann schob sich zwischen die Geschwister. „Macht Platz, lasst mich es versuchen!“

Thomas erkannte den Mann als den Schmied der Hainburg. Er packte mit seinen Pranken die Stangen des Tores, platzierte seine Füße am linken Flügel und zog mit aller Kraft die er aufbringen konnte an den Eisenstangen. Dabei stemmte er seinen Rücken gegen die immer näher rückenden Leiber. Normalerweise wäre es ein Leichtes gewesen das kleine Fischertor zu öffnen, die Flügeltür ließ sich jedoch nur nach innen öffnen und die Menschen, die sich alle zum rettenden Tor drängten, machten ein Öffnen unmöglich. Sie saßen in der Falle.

Der Schmied drückte sich immer weiter gegen die panischen Leiber. Mit einem letzten Aufbäumen seiner Kraft öffnete sich das Tor ein kleines Stück.

Anna sah darin ihre einzige Chance und zwängte sich in die kleine Öffnung. Sie war zur Hälfte draußen, da erhöhte sich der Druck des Eisentores um ihre Brust. Sie dachte sie würde zerquetscht werden und betete zu Gott, er möge sie schnell sterben lassen. Plötzlich öffnete sich das Tor ein kleines Stück und sie fiel rückwärts auf den steinigen Boden.

In ihren Ohren hallte das scheppernde Geräusch des zuschlagenden Tores. Anna saß verwirrt auf dem Boden und starrte mit heftig pochendem Herz auf das Tor. Sie hatte es geschafft! Sie war frei.

Die Anspannung fiel einen kurzen Moment von ihr ab und sie fühlte sich federleicht.

Doch als ihr Blick auf ihren Bruder fiel, umklammerte sie die Angst erneut mit eiserner Faust.

Sofort sprang sie auf die Füße. „Thomas!“, schrie sie panisch.

„Anna lauf! Bring dich in Sicherheit! Flieh in die Donauauen. Geh jetzt!“

Verzweifelt umklammerte Anna die Hände ihres kleinen Bruders. Der Tod ihrer beider Eltern hatte die Geschwister zusammengeschweißt. Tränen rollten über ihre Wangen und ihr Herz schien vor Schmerz und Trauer aus ihrer Brust zu springen.

„Mädchen, hör auf deinen Bruder!“, vernahm sie die zitternde Stimme des Schmieds. Der Schweiß rann ihm über das erhitzte Gesicht, sein Hemd klebte ihm eng am Körper und Anna konnte deutlich die Angst in seinen Augen erkennen. „Bring dich in Sicherheit und lauf nach Wien. Los!“

Anna wusste, dass er Recht hatte. Sie konnte für ihren Bruder nichts mehr tun. Ein letztes Mal blickte sie in das Gesicht ihres Bruders.

Sie drückte einen innigen Kuss auf seine Hände.

„Ich liebe dich, Thomas“, hauchte sie. „Bitte verzeih mir!“ Die Tränen verschleierten ihren Blick und sie musste sich zusammenreißen, nicht lauthals los zu schluchzen. Schnell ließ sie ihn los und drehte sich zur Donau um, ehe sie es sich noch anders überlegte. „Bitte, lieber Gott, beschütze meinen Bruder“, flüsterte sie verstört, ehe sie ans Ufer zu den Booten eilte.

„Gott behüte dich, Kind!“, rief ihr der Schmied noch zu, als sie bereits aus seinem Blickfeld verschwunden war.

 

Nun konnte Thomas nicht mehr anders und ließ seinen Tränen freien Lauf. Er verbarg sein Gesicht am Tor und schluchzte verzweifelt. Er wollte noch nicht sterben, doch das schien unausweichlich. Mutlos blickte er um sich, sah den bulligen Schmied, zitternd und angsterfüllt mit dem Rücken zum Tor, dem Tode ins Auge blickend.

Er entdeckte einen Priester, nur wenige Schritte entfernt unter dem Torbogen. Er stand auf einer Kiste und hielt ein Kreuz hoch über seine verzweifelten Schäfchen.

Genauso fühlte sich Thomas. Wie ein Schaf inmitten einer Herde, die zur Schlachtbank geführt wurde.

Thomas bekam noch mit, wie der Priester mit dem Vaterunser anfing und vergeblich die Menschen zu beruhigen versuchte, als eine erneute Welle der Panik die Menge erfasste. Er spürte einen pochenden Schmerz an seiner Schläfe, ehe er bewusstlos in sich zusammenfiel.

 

***

  

Kara Mustafa fuhr sich über den braunen, buschigen Bart. Er schwitzte unter seinem weißen Turban.

Die späte Nachmittagssonne brannte erbarmungslos auf seine Truppen und die unzähligen Leichen, welche die Hainburg mit ihrem Blut tränkten. Ihm missfiel dieser Anblick. Es gab kaum Überlebende. Er tröstete sich jedoch mit dem Gedanken, dass es diese Ungläubigen nicht anders verdient hatten.

Zwei seiner Männer hoben den leblosen Körper eines Jünglings auf und waren im Begriff ihn auf den Leichenkarren zu werfen. Plötzlich schlug dieser die Augen auf und schrie aus Leibeskräften. Die Männer ließen den Jungen vor Schreck fallen und zückten ihre Schwerter, um dem Lärm ein Ende zu bereiten.

„Halt! Lasst den Jungen am Leben. Bringt ihn zu mir“, befahl Kara Mustafa.

Die beiden Soldaten packten den wild um sich schlagenden Jungen an den Schultern und schleiften ihn zu ihrem Großwesir.

„Wie heißt du, Junge?“

Dieser blickte jedoch nur verängstigt um sich und versuchte sich aus den Fängen der Soldaten zu befreien.

„Holt mir den Dragoman!“, wies Kara Mustafa die Männer an. Er betrachtete den verängstigten Jungen genauer. Seine Kleider waren zerrissen und seine Haut darunter war übersät mit blauen Flecken. Es schien so, als hätte der Bursche sehr viel Glück gehabt. Der Wesir nahm es als ein Zeichen Allahs hin. Es musste einen Grund geben, wieso ausgerechnet dieser überlebt hatte.

„Ihr habt nach mir gerufen, mein Herrscher?“, fragte der Dolmetscher höflich, als er an den Wesir herantrat.

„Daniel, mein Freund. Teile mir mit, wer dieser Junge ist und ob er mir nützlich sein könnte. Er ist ganz offensichtlich der türkischen Sprache nicht mächtig.“

„Wie Ihr wünscht, mein Herrscher.“

Daniel sah den Jungen freundlich an. „Du brauchst keine Angst zu haben. Der Wesir möchte wissen, wie du heißt und ob du einem Handwerk nachgehst.“

 

Thomas sah den stattlichen Mann, der in akzentfreiem Deutsch zu ihm gesprochen hatte, erstaunt an. Dieser war mit Sicherheit kein Türke. Der dunkelhaarige Mann trug zwar die rote Jacke wie alle Osmanen, nicht aber die merkwürdig gebauschten Hosen und den eigentümlichen Filzhut.

„Ich… Ich bin Thomas. Thomas Haydn“, stotterte er irritiert.

„Nun Thomas, es scheint, als hattest du großes Glück überlebt zu haben. Sag, wie alt bist du?“, verlangte der Mann zu wissen.

„Ich bin dreizehn, Herr. Ich war Wagnergeselle bei meinem Onkel“, antwortete er dieses Mal selbstbewusster. Gerne hätte er den Mann gefragt, was er hier unter den Feinden zu suchen hatte und wieso die Türken ihm nichts antaten. Doch ein Blick in das harte und verschlossene Gesicht des Mannes genügte, und der Mut verließ ihn.

„Ein Wagner also“, sprach der Mann zufrieden und fuhr fort: „Du hast Glück, Thomas. Das Handwerk eines Wagners kann sehr nützlich sein im Krieg. Ich werde beim Wesir ein gutes Wort für dich einlegen. Wenn er dich am Leben lässt, tu was man von dir verlangt. Hast du das verstanden?“

„Ja, Herr“, antwortete Thomas, noch unsicher, ob er diesem Mann trauen konnte. Wenn er jedoch zu überleben beabsichtigte, blieb ihm wohl nichts Anderes übrig. Vielleicht gelang ihm ja irgendwann die Flucht und er konnte sich auf die Suche nach seiner Schwester machen. Bis dahin war er wohl oder übel ein Gefangener der Osmanen.

Thomas vernahm wieder die fremden und rauen Laute der türkischen Sprache. Er nahm an, dass der merkwürdige Mann dem Wesir seine Worte übersetzte. Der Wesir, mit seinem runden wohlgenährten Bauch, behielt ihn dabei die ganze Zeit im Auge und schien angestrengt zu überlegen. Thomas wurde nervös, als der Wesir einige Worte auf Türkisch sprach und dann in Richtung seiner Häscher nickte. Diese wollten Thomas gerade bei den Schultern packen, als plötzlich ein lauter Schrei die Hainburg erfüllte.

Ein Soldat stolperte aus einem der halb verbrannten Häuser, auf den Armen hielt er eine wild um sich schlagende und laut fluchende Frau. Die zierliche Gestalt war völlig mit Ruß bedeckt.

 

Der Soldat war mit seiner Gefangenen bis zum Großwesir gelangt und versuchte mit aller Kraft eine Flucht der Frau zu verhindern.

Der Wesir betrachtete die Frau eingehend und fragte seinen Soldaten: „Was soll das? Woher kommt dieses Weib?“

„Sie hat sich in einem der Kamine versteckt, mein Herrscher.“

Kara Mustafa rümpfte die Nase und strich sich den Schweiß von der Stirn. Die junge Frau kämpfte noch immer in den Armen des Soldaten um ihre Freiheit. Sie schien recht ansehnlich zu sein, doch was sollte er mit dieser Ungläubigen anfangen? Er packte das Mädchen am Kinn und zwang sie, ihn anzusehen. Ihre strahlend grünen Augen schienen ihn verhexen zu wollen.

Sie versuchte sich aus seinem Griff zu befreien, trat in seine Richtung und spuckte ihn an.

Überrumpelt ließ er die Frau los und wischte sich ihre Spucke von der Jacke. Zornig holte er mit seiner Hand aus und schlug ihr ins Gesicht.

Das Mädchen hörte augenblicklich auf sich zu wehren und sah den Wesir mir vor Angst geweiteten Augen an.

Angewidert versuchte er den Ruß von seiner Hand an der Hose abzuwischen. Eine Zornesfalte zierte Kara Mustafas Stirn. „Du hast großes Glück, dass ich dank unserem Sieg heute in gnädiger Stimmung bin, Weib! Ich werde Gnade walten lassen und dir das Leben schenken.“ Da wandte sich der Wesir zu Daniel um und legte ihm eine Hand auf die Schulter. „Daniel, mein Freund, ich werde sie dir zum Geschenk machen. Handle mit ihr, wie immer es in deinen Augen richtig erscheint.“

Damit war für Kara Mustafa genug gesagt. Der Großwesir drehte sich um und lief zurück zum Heerlager, zu seinem Zelt. Die Sonne würde schon bald untergehen. Es war Zeit für das Abendgebet.

 

Thomas und das Mädchen hatten nichts von den Worten des Großwesirs verstanden, der Gesichtsausdruck des Dolmetschers verhieß aber nichts Gutes. Wütend blickte er über die versammelten Personen und stieß einen leisen Fluch aus.

Der Griff um Thomas` Schultern wurde fester und er geriet in Furcht.

„Wehr dich nicht, Thomas“, versuchte der Dolmetscher ihn zu beruhigen. „Sie werden dir nichts tun. Sie bringen dich zu den Unterkünften, wo du etwas zu essen und einen Platz zum Schlafen bekommst.“

Thomas gab seinen Kampf frustriert auf und folgte den Soldaten widerwillig zum Lager.

Daniel sah wieder zu der jungen Frau, welche ihn neugierig musterte. Ihr fragender Blick, als sie seine deutschen Worte verstanden hatte, war ihm nicht entgangen. Unter den Schichten von Dreck und Ruß musste sich ein hübsches Gesicht verbergen, dachte Daniel.

„Bring sie in mein Zelt“, befahl er barsch dem Soldaten, der die Frau noch immer festhielt. Dieser nickte und machte sich daran die Frau wegzuschaffen.

Daniel blickte dem Soldaten und dem wild strampelnden und fluchenden Mädchen hinterher.

Jetzt hatte er diese Frau am Hals und musste sich um sie kümmern. Eine solche Ablenkung konnte er wirklich nicht gebrauchen. Doch ein Geschenk des Großwesirs durfte man auf keinen Fall ablehnen. Er musste versuchen aus der Situation das Beste machen.

Wütend stapfte er zum Lager zurück und ließ die Hainburg mit ihren toten Bewohnern hinter sich.

 

***

 

Es war bereits dunkel, als Daniel sein Zelt betrat. Als Gesandter des Sultans hatte er das Vorrecht auf ein eigenes Zelt und besaß auch sonst viele Privilegien. Das Zelt wurde in der Mitte von einem dicken Balken gehalten. Die junge Frau kauerte auf dem Boden, ihre Hände waren hinter ihrem Rücken am Stamm gefesselt.

Erschrocken schnellte ihr Kopf nach oben, als sie ihn bemerkte. Sie folgte wachsam jeder seiner Bewegungen.

„Wie heißt du?“, fragt er barsch.

Kaum merklich zuckte sie zusammen, als er sie so schroff ansprach. „Man nennt mich Helena“, antwortete sie bange.

 

Helena war fasziniert und zugleich eingeschüchtert von der Erscheinung des Dolmetschers. Sie hätte schwören können, dass er kein Türke war. Sein braunes Haar war kurz geschnitten, ein paar Strähnen hingen ihm in die gebräunte Stirn. Er war groß und kräftig gebaut. Alles in allem sah er gefährlich aus.

Er blickte zu ihr herüber und seufzte verärgert. Helena beobachtete, wie er an einen kleinen Sekretär trat. Er sah wütend aus. Helena wäre ihm lieber aus dem Weg gegangen. Aber sie war, zu ihrem Leidwesen, noch immer an diesen Stamm gefesselt und ihm schutzlos ausgeliefert.

Der Mann griff nach einem Messer und kam auf sie zu. Sie hielt erschrocken den Atem an. Würde er ihr in seiner unerklärlichen Wut etwas antun? Er stand direkt vor ihr und ging in die Knie. Das Herz klopfte ihr bis zum Hals.

„Sieh mich an“, forderte er sie auf.

Langsam hob sie ihren Blick und sah in seine unglaublich blauen, dunklen Augen. Sie wirkten wie der Grund eines tiefen Sees, wo nur noch wenig Licht durchdrang. Auf sonderbare Weise, schienen ihr diese Augen seltsam vertraut.

„Du wirst erst gar nicht versuchen zu fliehen, verstanden? Denn wenn das Geschenk des Großwesirs plötzlich abhandenkäme, fällt seine Wut auf mich zurück“, drohte er, wobei er beim Wort „Geschenk“ spöttisch das Gesicht verzog.

Helena bekam unter seinem prüfenden Blick kein Wort hervor, sie nickte lediglich.

„Gut“, meinte er und schnitt mit einer gekonnten Handbewegung ihre Fesseln entzwei. Dabei beugte er sich nach vorne und kam ihr so nahe, dass Helenas Herz einen Takt schneller schlug.

Erleichtert massierte sie ihre schmerzenden Handgelenke und versuchte ruhiger zu atmen.

„Nun Helena, ich glaube du solltest dich waschen“, entschied er und erhob sich. Er goss Wasser in eine Waschschüssel und wrang einen Lappen darin aus. Dann deutete er ihr aufzustehen.

Der Mann überragte sie um gut einen Kopf und strahlte mit jeder Faser seines Körpers Macht und Überlegenheit aus. Er musterte sie von Kopf bis Fuß und sprach dann: „Wasch dich. Gründlich! Du hast eine halte Stunde Zeit.“

Helenas Anspannung ließ ein wenig nach, als er das Zelt verließ. Doch die Angst, er könnte jeden Moment im Eingang des Zeltes stehen, machte es unmöglich, dass sie sich völlig entspannen konnte.

Sie nahm die Seife, welche sie neben der Waschschüssel gefunden hatte und fing an sich gründlich zu schrubben. Das Wasser färbte sich dunkel vor Schmutz.

Ihr Plan hätte so schön aufgehen können, hätte dieser vermaledeite Soldat nicht ausgerechnet in dieser Hütte nach Wertgegenständen suchen müssen. Irgendwann hatte sie einfach keine Kraft mehr gehabt, sich im Kamin festzuhalten. Der herunter rieselnde Ruß hatte die Neugier des Soldaten geweckt und so hatte er sie schließlich entdeckt.

Vorsichtig fasste sich Helena an die immer noch schmerzende Wange. Eine solche Schlagkraft hätte sie dem übergewichtigen Türken nicht zugetraut. Sie hatte wohl Glück noch am Leben zu sein.

Doch ihre Zukunft schien so ungewiss in den Händen dieses faszinierenden und zugleich furchteinflößenden Mannes. Beim Gedanken an ihn bebten ihre Hände und sie beeilte sich mit dem Waschen.

Als sie glaubte, sämtlichen Ruß aus ihren Haaren bekommen zu haben, blickte sie seufzend an sich herunter. Ihr Kleid war schwarz vor Russ. Der Gedanke, nur in Unterröcken vor dem Fremden zu stehen, rief Panik in ihr hervor. Sie atmete tief ein und versuchte sich Mut zuzusprechen. Schließlich zog sie das Überkleid aus und tunkte es in die Schale. Richtig sauber würde sie ihr Gewand in dieser Brühe wohl nicht mehr bekommen, dachte sie zerknirscht.

Beschäftigt schruppte sie weiter und bemerkte nicht, dass der geheimnisvolle Mann am Eingang des Zeltes stand und sie beobachtete.

  

Daniel betrachtete fasziniert die junge Frau. Ihre dunklen Haare klebten an ihrer hellen Haut.

Als er sich räusperte, ließ das Mädchen vor Schreck die Seife fallen. Hastig hob sie diese auf und senkte ängstlich den Blick.

Er stellte einen Krug und einen Teller mit Brot auf den Tisch. „Wie ich feststelle, bist du also doch keine Mohrin“, zog er sie auf. Sein Gesichtsausdruck blieb dabei verschlossen. „Gib mir dein Kleid. Ich werde es draußen aufhängen, damit du es morgen wieder anziehen kannst.“

Gehorsam wrang sie das Gewand aus und überreichte es ihm. Sie wagte es nicht, ihm dabei in die Augen zu sehen.

Er deutete auf den Tisch mit dem Brot. „Iss. Du wirst all deine Kräfte brauchen. Wir ziehen bald weiter, Richtung Wien.“

Ruckartig hob sie den Kopf. „Nach Wien? Aber die Türken werden doch nicht etwa Wien angreifen?“

Er hob überrascht eine Augenbraue, als ihr Temperament für einen kurzem Moment zum Vorschein kam.

„Über kurz oder lang wird das wohl unausweichlich sein“, meinte er zerknirscht und seine Miene verdunkelte sich.

Er trat zu einer Truhe neben dem Bett und holte ein Hemd und eine Hose hervor. „Hier“, sagte er und streckte ihr das Bündel entgegen. „Zieh das an.“

Helena nahm zögerlich das Stoffbündel entgegen und faltete die Lagen auseinander. Unsicher stand sie auf und wusste nicht recht wie sie sich anziehen sollte, ohne dass sie plötzlich nackt vor ihm stand. Sie biss sich auf die Unterlippe und sah ihn bittend an.

Er seufzte genervt. „Ich verstehe schon“, meinte er und drehte ihr den Rücken zu.

Schnell beeilte sie sich in die viel zu großen Kleider zu kommen. Die Hose konnte sie um ihre Taille schnüren, auf diese Weise würde sie diese wenigstens nicht verlieren. Das weiße Hemd hatte vorne ein paar Schnüre zum Verschließen, welche sie so gut es ging zuzog. Sie krempelte die viel zu langen Ärmel nach oben. „Ihr könnt Euch umdrehen.“

Er musterte sie kurz, griff nach dem Krug auf dem Tisch und nahm einen kräftigen Schluck.

„Hier, trink.“ Er hielt ihr den Krug vor die Nase.

Das ließ sie sich nicht zweimal sagen. Wie eine verdurstende kippte sie den süßen Wein ihre Kehle hinunter.

„Da ich annehme, du möchtest lieber nicht auf dem Boden schlafen, wirst du wohl oder übel mit mir das Bett teilen müssen“, sagte er und packte dabei ihren Arm, während er mit der andern Hand einen Strick hervorholte.

Entsetzt starrte Helena auf das Seil in seiner Hand. „Bitte“, beschwor sie ihn. „Ich verspreche, ich werde nicht davonlaufen!“

„Ich bin kein Narr, Frau“, blaffte er sie wütend an. Er glaubte ihr kein Wort.

Sie versuchte sich verzweifelt aus seinem Griff zu winden. Daniel knurrte ärgerlich. „Halt still, Weib, wenn du nicht willst, dass ich dir weh tue!“

Augenblicklich erstarrte sie.

Daniel band ihre Handgelenke zusammen und befestigte das Seil anschließend am Kopfende des Bettes. Zufrieden betrachtete er sein Werk. Als er ihren tränenverschleierten Blick und die vor Zorn geröteten Wangen sah, wurde sein Gesicht weicher.

Er wollte nicht, dass sie seinetwegen weinte. Er würde ihr nichts tun und er wusste dass es falsch war seine Wut an ihr auszulassen. Dennoch würde sie eine ungeheure Ablenkung und Belastung sein und das machte ihn wütend.

„Schlaf jetzt“, sagte er und löschte die Öllampe. Als er seine Stiefel und sein Hemd ausgezogen hatte, legte er sich neben sie auf das Bett.

Das Mädchen gab nun Ruhe, doch er spürte die leichten Erschütterungen ihrer stummen Weinkrämpfe auf der harten Matratze.

 

 

Engelhartstetten, Österreich

 

Es war still. Anna blickte hinauf zum Hügel der Hainburg. Dunkler Rauch bedeckte den Himmel.

Die Schreie der Bewohner der Hainburg waren versiegt. Anna hatte gedacht, sie würde den Verstand verlieren, wegen der verzweifelten Todesschreie, welche weit über die Donau getragen wurden.

Die Stille, die sie nun umgab, schien aber beinahe schlimmer. Sie verkündete das Unumstößliche: Thomas war tot. Ihre Familie, ihre Freunde und Bekannten, sie alle waren fort. Sie war allein.

Noch vor wenigen Tagen hatte sie auf dem Dorffest ausgelassen getanzt und gelacht, hatte sich am Leben erfreut, wollte sich verlieben und eine Familie gründen. Niemals hätte sie gedacht, dass sich ihr Leben dermaßen drastisch ändern würde.

Verloren saß sie in diesem kleinen Fischerboot, mitten auf der Donau. Wenngleich sie ab jetzt auf sich gestellt war, aufgeben würde sie niemals! Ihr Lebenswille überwog ihre Verzweiflung bei weitem.

Anna wischte sich mit der Hand Tränen von der Wange und schluckte den Kloß in ihrer Kehle herunter. Sie musste jetzt stark sein. Entschlossen nahm sie die Ruder zur Hand und beeilte sich an das andere Ufer zu kommen. Es war später Nachmittag und es würde schon bald dunkel werden. In den Auen würde sie Schutz zwischen den Bäumen finden. Und hatte sie erst die Donauauen und die Felder dahinter überquert, würde sie bald das kleine Dorf Engelhartstetten erreichen. Von dort aus war es etwa eine Tagesreise bis nach Wien. Irgendwie würde sie es schaffen. Sie wusste nicht wie, doch Gott würde ihr beistehen und sie führen. Dessen war sie sich sicher.

 

Es war bereits dunkel, als Anna Engelhartstetten endlich erreichte. Völlig erschöpft und froh, einen hilfsbereiten Menschen gefunden zu haben, berichtete sie aufgewühlt dem Wirt der Gaststätte „Zum Eder“ das Erlebte. Der rundliche Wirt hatte ein gutes Herz und war gerne bereit dem Mädchen für die Nacht Obdach zu gewähren. 

Jetzt saß sie am hintersten Tisch der Gaststätte und beobachtete neugierig die überwiegend männlichen Gäste. Bier und Wein flossen in rauen Mengen, die Stimmung war ausgelassen und der Geräuschpegel schwoll von Minute zu Minute an.

Sie konnte das Glück dieser Menschen kaum ertragen, wo am heutigen Tag so viele ihr Leben verloren hatten.

Lustlos schob sie das Gemüse in der Suppe hin und her.

„Iss Kind, du musst bei Kräften bleiben“, forderte sie der Wirt freundlich auf.

Anna schenkte ihm ein dankbares Lächeln.

„Ich habe dir die Kammer ganz am Ende des Flurs hergerichtet. Du musst erschöpft sein. Geh früh schlafen. Ich werde dich morgen für‘s Frühstück wecken.“

„Ich danke Euch, Herr Eder! Ihr seid sehr gütig.“

Er erinnerte sie an ihren Vater. Sie schluckte die aufkommenden Tränen herunter, die den Damm ihrer Selbstbeherrschung zu brechen drohten.

Hastig biss sie ein Stück Brot ab und kaute emsig, um den Wirt zufrieden zu stellen.

Dieser lächelte Anna warmherzig an und tätschelte ihr zufrieden die Schulter, bevor er sich seinen anderen Gästen zuwandte.

Nach dem letzten Bissen erhob sich Anna von ihrem Platz und schleppte sich müde die Stiege hinauf, um endlich Erlösung im Schlaf zu finden.

 

***

 

Gerd nahm einen weiteren Schluck seines Bieres, welchem er im Verlaufe des Abends schon sehr zugesprochen hatte. Mit einem zufriedenen Grinsen ließ er den leeren Bierkrug auf den Tisch knallen.

Aufgeregt beugte er sich über den Tisch zu seinem Bruder und sprach: „Siehst du die Kleine dort drüben? Ist doch ganz süß, oder was meinst du, Hermann?“

Hermann blickte verstohlen zu dem blonden, schlanken Mädchen, das an einem Tisch im hinteren Teil der Gaststube saß. Sie schien allein zu reisen. Nicht ganz ungefährlich in den heutigen Zeiten, dachte er.

„Auf jeden Fall besser, als deine Alte zu Hause“, meinte Hermann zu seinem Bruder und lachte laut auf.

Beim Gedanken an seine Frau Martha verfinsterte sich Gerds Gesicht. Schon seit Wochen ließ ihn sein Weib nicht mehr ran und kam mit immer neuen Ausreden und Ausflüchten.

Grund genug sich endlich mal wieder Erleichterung zu verschaffen. Für die Huren hatte er kein Geld, da gab er das Wenige, das er als Landwirt erwirtschaftete, lieber für Bier und Wein aus. Das blonde Mädchen kam ihm gerade recht. Er hatte genau gehört, welche Kammer der Wirt für sie hergerichtet hatte. Beim Gedanken sich das Bett mit dieser Schönheit zu wärmen, fuhr er sich nervös mit der Zunge über die spröden Lippen.

In diesem Moment erhob sich die junge Frau von ihrem Platz und ging die Treppe hoch.

Zufrieden blickte Gerd ihr nach und ein hämisches Grinsen breitete sich auf seinem bärtigen Gesicht aus.

Die beiden Männer bestellten sich noch ein weiteres Bier und als sich ihre Krüge allmählich leerten, meinte Gerd: „Ich werde an dich denken, wenn ich sie mir heut' Nacht zu eigen mache.“

Mit diesen Worten erhob er sich von seinem Platz, musste sich aber sogleich am nächsten Stuhl festhalten. Er schwankte zur Treppe und zwinkerte seinem Bruder selbstgefällig zu, bevor er hinaufstieg.

Hermann wollte von all dem nichts wissen und nichts damit zu tun haben. Sein Bruder musste selbst wissen was er da tat und eines Tages vor Gott für seine Taten Rechenschaft ablegen. Kopfschüttelnd legte er das Geld auf den Tisch und verließ die Gaststätte.

 

***

 

Die grobe Decke kratzte auf Annas Haut und fremde Gerüche stiegen ihr in die Nase.

Viele Gedanken kreisten in ihrem Kopf. Wie sollte es weitergehen? Sie konnte unmöglich den ganzen Weg nach Wien laufen. Aber sie hatte kein Geld, somit würde ihr gar nichts anderes übrig bleiben.

Traurig dachte sie an ihren Bruder. Warum hatte nur sie überlebt? Hatte Gott noch Pläne mit ihr? Anders konnte sie es sich nicht erklären.

Tränen rollten über ihre Wangen, als sie an all die Menschen dachte, die ihr wichtig gewesen waren und ihr Sicherheit und Geborgenheit geschenkt hatten. Sie alle waren jetzt bei Gott. Ihr Bruder war wenigstens wieder mit ihren Eltern vereint. Mit diesem tröstenden Gedanken und dem Gefühl der Einsamkeit, schlief sie allmählich ein.

Nur wenig später schreckte sie allerdings von ihrem Schlaf auf. Etwas stimmte nicht, das spürte sie ganz deutlich.

Angestrengt blickte sie in die Dunkelheit, konnte jedoch nichts erkennen. Sie schalt sich selbst eine Närrin und versuchte ihr heftig schlagendes Herz zu beruhigen.

Sie legte sich wieder hin und versuchte erneut einzuschlafen, als plötzlich etwas Schweres auf sie sprang. Entsetzt schrie Anna laut auf, da legte sich eine warme Hand auf ihren Mund und erstickte ihren Schrei.

„Sei still!“, vernahm sie eine undeutliche, männliche Stimme. Sie konnte in der Dunkelheit nichts erkennen, doch der Mann war ihr so nahe, dass sie seinen nach Bier stinkenden Atem riechen konnte.

„Wir beide werden jetzt ein bisschen Spaß miteinander haben“, lallte der Mann mit schwerer Zunge.

Angst und Entsetzen breitete sich in Anna aus. Sie schlug wild um sich, doch der Mann fing ihre Schläge locker ab und packte ihre Handgelenke. Der Mann war stark und kräftig gebaut, Anna hatte keine Chance sich zu wehren. Mit seiner freien Hand packte er ihre Brust und drückte grob zu. Noch bevor Anna schreien konnte, presste er ihr seine feuchten Lippen auf den Mund und schob ihr seine widerliche, nasse Zunge in den Rachen.

Anna wurde übel und ihr liefen die Tränen über die Wangen. Sie verfluchte sich dafür, die Zimmertür nicht abgeschlossen zu haben! Als seine Hand weiterwanderte, biss sie voller Verzweiflung dem Scheusal auf die Zunge.

Er jaulte laut auf und verpasste ihr eine Ohrfeige.

Annas Kopf drohte zu explodieren, so hart hatte er zugeschlagen.

Sie schluchzte laut auf, als er ihre Beine auseinanderdrückte und sich an seiner Hose zu schaffen machte.

In diesem Moment krachte die Tür zu ihrer Kammer an die Wand und ihr Peiniger ließ erschrocken von ihr ab.

Anna nutzte den Moment und verpasste ihm mit ihrem Knie einen Schlag in sein Gemächt. Im selben Moment, wie der Vergewaltiger laut aufstöhnte, packte ihn eine dunkle Gestalt und zog ihn von Anna herunter.

Der Raum war erhellt von den Öllampen auf dem Flur und Anna sah wie eine kräftige Gestalt ihren Peiniger aus der Kammer schleifte. Dieser versuchte krampfhaft seine Hose hochzuziehen.

Die beiden Männer verschwanden aus ihrem Blickfeld und sie hörte ein lautes Poltern auf der Stiege.

„Lass dich hier nie wieder blicken!“, vernahm sie die drohende Stimme ihres Retters.

Hastig griff sie nach der Decke, um sich zu bedecken, da trat ihr Befreier in die Kammer. Er stellte eine Öllampe auf den Waschtisch neben der Tür, sodass Anna ihn das erste Mal richtig sehen konnte. Er hatte schulterlanges, helles Haar, einen leichten Dreitagebart und trug nur ein weißes Hemd und eine dunkle Hose. Ihr Blick blieb an seinen nackten Füssen hängen.

„Hat er dich verletzt? Geht es dir gut?“, erkundigte der Mann sich zögerlich nach ihrem Wohlbefinden.

Er war jung, sie schätzte ihn auf höchstens Mitte zwanzig. Er strahlte eine wunderbare Lebendigkeit und Lebensfreude aus, obwohl er die Stirn besorgt in Falten legte.

Anna konnte nicht antworten, sie schüttelte nur leicht den Kopf. Plötzlich konnte sie nicht mehr an sich halten, konnte die Tränen nicht mehr aufhalten. Sie ließ ihrer ganzen Verzweiflung freien Lauf.

Sie hörte das Knarren der Dielen, als der Mann näher an sie herantrat. „Hast du Schmerzen?“, vernahm sie seine besorgte Stimme. „Soll ich einen Arzt rufen?“

Unfähig etwas zu erwidern, zog sie die Beine enger an ihren Körper und schlang ihre Arme um sich, weinte aus der tiefen Verzweiflung ihres Herzens heraus.

Vorsichtig setzte sich der junge Mann auf den Rand des Bettes, welches ein quietschendes Geräusch von sich gab. Anna zuckte erschrocken zusammen, als er sie in seine Arme zog. Erst machte sie Anstalten sich zu wehren, doch diese Umarmung, stammte sie auch von einem Fremden, hatte etwas Beruhigendes, Tröstendes an sich. Sie ließ sich in seine Arme fallen, genoss seine Nähe und ließ ihren Tränen freien Lauf.

Ihr Verstand mahnte sie zur Vorsicht, sie kannte diesen Mann nicht, hätte er Böses mit ihr vor, wäre sie ihm schutzlos ausgeliefert.

Er fuhr ihr allerdings einfach nur beruhigend über den Rücken und sie fühlte sich alles andere als bedroht. Als sie sich einigermaßen gefangen hatte, blickte sie in sein Gesicht. Als sie in seine Augen schaute, war sie hoffnungslos verloren. Seine bernsteinfarbenen Augen zogen sie in ihren Bann.

Ihr Herz schlug erneut schneller, doch dieses Mal nicht aus Angst. Ihr Verstand verabschiedete sich komplett. Alles wurde bedeutungslos, das Einzige was zählte, war die Nähe zu diesem Fremden.

 

Ruben war wie verzaubert. Er betrachtete fasziniert die hübschen, engelsgleichen Züge des Mädchens. Ihr Gesicht war tränenüberströmt und auf ihrer linken Wange waren noch deutlich die Spuren der Misshandlung ihres Peinigers zu sehen. Am Meisten bezauberten ihn allerdings ihre hellblauen Augen. Sie waren so klar wie ein Bergsee. Im Kontrast dazu, leuchtete ein dunkler Kreis um ihre Iris.

Er wischte sanft die Tränen von ihrer Wange und ihre Schluchzer ebbten ab.

Ganz plötzlich weiteten sich ihre Augen vor Schreck und sie brachte brüsk Abstand zwischen sie beide.

Eine zarte Röte schoss in ihre Wangen und sie brachte nur ein unbeholfenes, von Schuld gezeichnetes „Bitte verzeiht!“, heraus.

„Du brauchst dich nicht zu entschuldigen“, schmunzelte er und streckte ihr seine Hand entgegen. „Ich bin Ruben.“

Peinlich berührt, stotterte sie ihren Nahmen.

„Freut mich, dich kennen zu lernen, Anna“, sagte er und mit einem verschmitzten Lächeln stand er auf.

„Es ist spät, ich denke, du solltest dich schlafen legen.“

Er wollte gehen, doch da erkannte er plötzliche Furcht in ihren Augen und brachte es nicht zustande, sie mit ihrer Angst allein zu lassen. „Möchtest du, dass ich bei dir bleibe?“

Er hörte beinahe, wie ihr ein Stein vom Herzen fiel, als sie hastig nickte.

Er schloss die Tür, legte sich zu ihr auf das breite Bett und breitete fürsorglich die Decke über sie aus. „Schlaf jetzt. Ich bleibe bei dir, es kann dir nichts passieren.“ Mit Müden Liedern bettete sie ihren Kopf auf das Kissen und schlief augenblicklich ein.