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Vorwort

Serienmörder sind zum Stoff von Mythen und Legenden geworden. Sie sind die Stützen fiktiver Kriminalgeschichten und schaffen den Sprung auf die Titelseiten, wenn sie tatsächlich aktiv werden. Sie scheinen für die Quintessenz des Bösen zu stehen und symbolisieren die dunkelsten Winkel der menschlichen Seele. Dermaßen überfrachtet, nimmt es nicht wunder, daß die Vorstellungen über jene Menschen, die wieder und wieder töten, gleichsam verzerrt sind, und daß Phantasie und Erfindung häufig verdecken, wer diese gefährlichen Mörder wirklich sind.

Viele jener Erfindungen über Serienmörder, die anstelle von gesicherten Erkenntnissen kursieren, entspringen den vielzitierten, aber schlecht recherchierten Schriften der Verhaltenswissenschaftlichen Arbeitseinheit des Federal Bureau of Investigation (FBI). Die Faszination, die Hollywood für das FBI hegt, weist den Betrachtungen der FBI-Ermittler eine Bedeutsamkeit zu, die in einem krassen Mißverhältnis zu ihrer Gültigkeit steht. Schauspieler halten sich an Drehbücher, die konfuse und sachlich falsche Meinungen ausdrücken, und in der Konsequenz glauben Zuschauer von Alaska bis Sansibar, daß wahr sein muß, was mit so viel Überzeugung und angeblicher Autorität vorgetragen wird.

Aus diesem Hollywood-Effekt – subjektiven Eindrücken und deren dramatischer Ausgestaltung wird unangebracht Gültigkeit zugeschrieben – ist eine Vielzahl von Aussagen über Serienmörder hervorgegangen, von denen wenige näherer wissenschaftlicher Betrachtung standhalten. So sollen Serienmörder zum Beispiel deutlich überdurchschnittlich intelligent sein, und es soll sich bei ihnen niemals um Amerikaner afrikanischer Abstammung handeln. Serienmord wird als ein nahezu einzigartiges amerikanisches Phänomen dargestellt, das vor dem letzten Viertel des Zwanzigsten Jahrhunderts kaum existierte. Serienmörder greifen, so wird behauptet, nur solche Opfer an, die dieselbe ethnische Zugehörigkeit haben wie sie selbst, und in ihren Taten glaubt man stets das Vorhandensein einer starken sexuellen Komponente zu erkennen. Am seltsamsten ist jedoch, daß sich die komplexen Prozesse, die seriellen Tötungsdelikten zugrunde liegen, scheinbar auf die simple, wenngleich uneindeutige Formel von den organisierten (kontrollierten) und den nicht organisierten (unkontrollierten) Tätern reduzieren lassen sollen.

Alle diese Behauptungen können einer systematischen Überprüfung nicht standhalten. Schon die einfache Zeitungslektüre verdeutlicht, daß Serienmord auf der ganzen Welt in vielen verschiedenen Formen auftritt und von den verschiedensten Menschen begangen wird. Die Behauptungen, die sich aus der FBI-»Forschung« ergeben, sind genau deshalb nicht haltbar, weil diese Forschung mit Mängeln behaftet ist. In jedem anderen Kontext wären die Ergebnisse dermaßen schlecht durchgeführter Studien nicht veröffentlicht worden. Doch die Gier der Massenmedien und Hollywoods nach allem, was mit der Bösartigkeit des Serienmordes zu tun hat, haben dazu geführt, daß die oben dargestellten Aussagen und viele ähnliche Behauptungen ein so breites Publikum gefunden haben.

Genau das ist es, was Stephan Harborts Buch so wichtig macht. Er beginnt mit den Fakten. Darüber hinaus stellt seine Betrachtung von ausschließlich deutschen Serienmördern ein lehrreiches Gegengewicht zu der US-amerikanischen Vorherrschaft in der Debatte dar.

In seiner höchst sorgfältigen Auswertung von Falldarstellungen, Gerichtsakten und Interviews mit Serienmördern kann sich Stephan Harbort sowohl auf seine Erfahrung als Kriminalist als auch auf seine Fähigkeiten als Verhaltenswissenschaftler verlassen. Er zeichnet in zuvor nicht dagewesener Weise ein einzigartiges Bild davon, wie Serienmörder wirklich sind. Dieses Bild zeigt, daß Serienmörder auf den ersten Blick keine wesentlichen Unterschiede gegenüber jenen Tätern aufweisen, die nur einmal töten. Was aus Harborts Darstellung ebenfalls deutlich wird, sind die zahlreichen Unterschiede, die zwischen den Tätern bestehen, die er befragt und deren Fälle er ausgewertet hat. Nicht ein oder selbst zwei Täterprofile werden jemals der Komplexität jener Menschen, die wieder und wieder töten, in ihrer Gänze gerecht werden können.

Dies ist kein Buch für zaghafte Gemüter. Darin finden sich brutale Rituale, geradezu an Menschenopfer erinnernde Schlachtungen und andere Handlungen, von denen man kaum sprechen kann, und die doch einem Menschen von einem anderen angetan wurden. Aber es ist wichtig, sich bewußt zu machen, daß es augenscheinlich normale Menschen waren, die diese Verbrechen verübt haben. Das zwanzigste Jahrhundert hat uns gelehrt, wie tief gerade gewöhnliche Menschen in einer scheinbar zivilisierten Gesellschaft sinken können. Serienmörder erinnern uns daran, daß solche Formen menschlicher Abscheulichkeit niemals allzu weit von der Oberfläche entfernt sind. Wenn wir ihr Hervortreten verhindern wollen, müssen wir ihre Ursachen verstehen. Dieses Verstehen ist unser bester Schutz gegen die durchdringenden Schwächen in der menschlichen Veranlagung.

Um jedoch ein wirkliches Verständnis der seelischen Untiefen solcher Täter zu erlangen, müssen wir uns gegen eine Faszination aus bloßer Neugier wappnen. Serienmörder fungieren als ein so klares Symbol für Bösartigkeit und Verkommenheit, daß es heutzutage schwierig ist, einen Romanhelden zu entwerfen, dessen Verstand und Aufrichtigkeit nicht erst im Kontrast zu einem Gegenspieler hervortreten, der immer wieder gefühllos und kaltblütig mordet. Jede authentische Darstellung von Serienmördern läuft daher Gefahr, das Thema zum Objekt der Sensationslust zu machen und dem Wunsch der Verfasser und Leser von Kriminalprosa nach einem einfachen Plot nachzugeben. Stephan Harbort vermeidet dieses Klischee und begibt sich hinter dem wohlfeilen Mythos vom Serienmörder auf die Suche. Er liefert eine eingehende und gut durchdachte Exploration der Menschen selbst, die diese Verbrechen begehen, sowie eine adäquate Darstellung der verschiedenen Erklärungsansätze für ihre sehr unterschiedlichen Taten.

Dieses Buch ist daher ein wichtiger Beitrag zum Verständnis einer hervorstechenden Herausforderung unserer Gesellschaft. Es bereitet den Weg für eine neue, hervorragend konzeptionierte Untersuchung der wohl schrecklichsten Erscheinungsform von Gewaltverbrechen, führt uns weg von Fiktion, Mythos und Legende und hin zu überaus fesselnden, wenngleich anspruchsvolleren Wirklichkeiten.

Prof. Dr. David Canter, Liverpool, im Dezember 2000

Direktor des Zentrums für Ermittlungspsychologie an der Universität Liverpool

[Das Vorwort wurde von Andreas Mokros, Schwerte, übersetzt. Die Namen der handelnden Personen sind zum Schutz ihrer Persönlichkeitsrechte geändert worden. Auch die Begleitumstände der ungeklärten Tötungsdelikte wurden verfremdet, um einen Ermittlungserfolg nicht zu gefährden.]

»Im Grunde ist jeder Mensch zu allem fähig.«
Johann Wolfgang von Goethe

»Jeder Mensch ist ein Mond und hat eine dunkle Seite, die er niemandem zeigt.«
Mark Twain

KAPITEL 1

 

Der Mörder ist immer derselbe

Polizeipräsidium Frankfurt am Main, Vernehmungszimmer der Sonderkommission »Bold«, 28. Juni 1971, 10.45 Uhr (Protokoll)

(…)

Frage: »Sie haben Frauen gewürgt. Warum haben Sie gerade diese Art gewählt und keine andere?«

Antwort: »Soweit mir bekannt, gibt es vier Schlagadern am Hals. Auf beiden Seiten des Halses eine, die anderen zwei kommen von hinten hoch. Durch die beiden vorderen Schlagadern wird das Blut dem Gehirn zugeführt; dies sind die wichtigsten. Die anderen zwei gehen ins Kleinhirn. Ich wußte, daß das Würgen äußerst qualvoll ist. Beim Würgen liegt die Hauptkraft in den Daumen und Zeigefingern. Wenn ich zudrückte, lag meine Hauptkraft im seitlichen Zudrücken und nicht auf dem Kehlkopf. Mir ist bekannt, daß der normale Würgegriff von hinten angelegt wird, und zwar die Daumen im Genick, während die Finger den Hals umfassen. Diesen Griff habe ich jedoch nicht angewandt. Ich habe immer nur von vorne gewürgt, weil ich ein Interesse daran hatte, die Qualen im Gesicht des Opfers zu sehen. Die Opfer werden erst im Gesicht blau, lila, und die Augen treten hervor. Sie zucken dann am ganzen Körper, als ob sie mit elektrischem Strom in Berührung kommen. Sie strampeln noch mit den Füßen, dann sacken sie zusammen. Ich habe mir meine Opfer nicht ausgesucht. Meistens ging ich durch die Stadt und suchte nach einer Gelegenheit. Mir war es völlig egal, wo ich sie umgebracht habe. Nach der ersten Tat merkte ich, jetzt ist es aus. Mir wurde klar, daß dies nicht das letzte Mal gewesen war, daß ich gegen diesen Drang nicht aufkommen konnte. Wenn man mich rausläßt, bin ich sicher, daß ich wieder eine Frau töten würde.«

Gerhard Bold wußte nur zu genau, wovon er sprach. Der 24jährige Gelegenheitsarbeiter hatte kurz zuvor binnen neun Wochen vier Frauen zu Tode gewürgt: Am 19. Februar eine 15jährige Schülerin in Offenbach am Main, am 25. März eine 52jährige Mitreisende in einem Abteil des »Italien-Express« kurz vor Darmstadt. Dann eine 24jährige Prostituierte auf einem Parkplatz in unmittelbarer Umgebung der Messehallen in Frankfurt, schließlich nur drei Tage später eine 48jährige Hotelangestellte in Bergen-Enkheim. Wenige Stunden nach seinem letzten Mord war er festgenommen worden.

Landgericht Frankfurt am Main, Sitzungssaal des Schwurgerichts, 16. Februar 1973

Die Staatsanwaltschaft hatte eine Verurteilung wegen vierfachen Mordes gefordert. Das Motiv: »Frauenhaß und sadistische Freude am Töten«. Doch wollte sich das Schwurgericht dieser Auffassung nicht anschließen. Die Begründung: »Gerhard Bold hat nicht schuldhaft gehandelt. Seine Persönlichkeit ist infolge des frühkindlichen Hirnschadens und der fehlgeleiteten Sozialisation hochgradig gestört. Seine charakterliche Abnormität hat in den Belastungssituationen, die jeweils unmittelbar vor den Taten aufgetreten waren, bei ihm zu Zuständen geführt, die einer krankhaften Störung der Geistestätigkeit gleichzusetzen sind. (…) Die aus dem Angeklagten herausbrechende Aggressivität, der Sturm des Vernichtungswillens überrannten gleichsam sein nur rudimentär vorhandenes Gewissen. Er war nicht mehr in der Lage, diese eruptiven Ausbrüche zu kontrollieren. (…) Er mußte deshalb wegen fehlender Schuld freigesprochen werden. (…) Die Unterbringung des Angeklagten in einer Heil- und Pflegeanstalt wird angeordnet.«

Westfälisches Zentrum für Forensische Psychiatrie Lippstadt-Eickelborn, April 1988

Gerhard Bold hatte es geschafft, jedenfalls teilweise. Er hatte 15 Jahre in psychiatrischen Einrichtungen verbracht, 17 Therapeuten hatten mit ihm, an ihm gearbeitet – mit Erfolg. Das jedenfalls nahmen diejenigen an, die sich jahrelang mit ihm befaßt hatten. Der vierfache Frauenmörder galt als »höflich, diszipliniert, kontaktfähig, intelligent«. Mehr noch: »Es hat eine erfolgreiche Therapie stattgefunden mit Stärkung des Selbstwertgefühls, Verbesserung der Impulskontrolle, Fortschritten im Wahrnehmen und Äußern von Gefühlen, Abbau aggressiver Tendenzen gegenüber Frauen, realitätsadäquater Einstellung gegenüber seiner Person und seiner Situation. (…) Weitere Tötungsdelikte durch Herrn Bold können mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden. (…) Herr Bold könnte in die Freiheit entlassen werden.« Zu dieser Auffassung war unter anderem eine Psychologie-Professorin gelangt, die ihn im November 1986 begutachtet hatte.

Doch es war anders gekommen. Die Vollstreckungskammer des Landgerichts Paderborn hatte im August 1987 seinen Antrag auf Aussetzung der Unterbringung zur Bewährung – gestützt auf ein weiteres Gutachten – abgeschmettert: »Dem Untergebrachten ist es im Laufe der Zeit gelungen, eine perfekte normative Fassade aufzubauen. Zu dieser Fassade gehört insbesondere seine Fähigkeit zu geradezu lehrbuchhaften Formulierungen seelischer Sachverhalte. Dieser Umstand verstellt psychologischen Untersuchungen weitgehend den Zugang zu der Persönlichkeit des Untergebrachten. Dessen Beteuerungen, Werte zu beachten, sind Lippenbekenntnisse, die an dem eigentlichen Problem seiner Persönlichkeitsstruktur vorbeigehen.«

Dennoch: Gerhard Bold hatte Vollzugslockerungen erreichen können, vom 14. bis zum 19. April 1988 war ihm nun schon zum wiederholten Mal Urlaub bewilligt worden – diesmal ohne Begleitung.

Bahnhofsgaststätte »Ulmenklause« in Soest, 14. April 1988, 6.45 Uhr

Sein erster Urlaubstag war angebrochen. Gerhard Bold wollte seine Eltern in Frankfurt besuchen. Er saß vor einem Glas Bacardi und rauchte, wartete auf den Zug. Zuvor hatte er einige Gläser Bier gekippt. Endlich frei, durchfuhr es ihn. Daß ihm eine »völlige Abstinenz hinsichtlich der Einnahme von Drogen, Alkohol und unverordneten Medikamenten« auferlegt worden war, kümmerte ihn nicht. Vorsichtshalber war dies in seinem Therapieplan vermerkt worden. Den hatte er dabei. Egal. Endlich frei!

Wenig später machte er sich auf den Weg, schleppte zwei Reisetaschen Richtung Bahnsteig. In einer der Taschen befand sich auch ein »Bowie-Messer«, 15 Zentimeter lang mit feststehender Klinge. Das wußte nur er. Um 7.08 Uhr bestieg Gerhard Bold den Zug.

Intercity 625 Dortmund–München, zwischen Koblenz und Mainz, etwa in Höhe Trechtinghausen, 11.15 Uhr

Als die 44jährige Johanna Schmihing die Toilette verlassen wollte, drängte Gerhard Bold die völlig verdutzte Frau gewaltsam in den Waschraum zurück. Er hatte sie längere Zeit beobachtet, ihr schließlich aufgelauert. »Halt die Schnauze!« fuhr er sie an. Johanna Schmihing fürchtete eine Vergewaltigung, Gerhard Bold dachte an Mord. Blitzschnell zog er sein Messer, stach mit großer Wucht mehrfach in den Brustkorb der sich heftig wehrenden Frau. Johanna Schmihing schrie um Hilfe, konnte weitere Stiche mit den bloßen Händen abwehren. Sie kämpfte um ihr Leben, trat nach ihrem Peiniger, kniff ihm in die Hoden. Plötzlich wurde die Toilettentür aufgerissen, zwei Mitreisende zerrten die nun stark blutende Frau aus dem Waschraum. Sie hatten ihre verzweifelten Hilferufe gehört. Die Schwerstverletzte wurde in das nächste Zugabteil gebracht, dort wenig später von zwei zufällig anwesenden Ärzten notdürftig versorgt.

Bahnhof Bingerbrück, Bahnsteig 4, 11.25 Uhr

Der Zug wurde umgehend außerplanmäßig gestoppt. Eine alarmierte Ambulanz raste mit Johanna Schmihing in das nächstgelegene Krankenhaus. Sie wurde notoperiert, überlebte.

Gerhard Bold konnte noch auf dem Bahnsteig festgenommen werden, seine blutbesudelte Kleidung hatte ihn verraten. Verraten worden waren auch seine Therapeuten, sich selbst war Gerhard Bold hingegen treu geblieben: »Wenn man mich rausläßt, bin ich sicher, daß ich wieder eine Frau töten würde.«

Gerhard Bold zählt nicht zu den Menschen, die aus Eifersucht, verschmähter Liebe, Ärger, Rache, Verzweiflung, Selbstsucht oder verletzter Familienehre töten. Ursachen und Begleitumstände dieser Tragödien sind uns wohlbekannt: Die eigene Frau wird im Affekt erwürgt, weil sie keine Intimitäten mehr will oder untreu wird; ein Freund oder Bekannter wird nach heftigem Streit im Suff erschlagen; der Kioskbesitzer von nebenan wird aus Wut und Frust erstochen, weil er rigoros seine Schulden einfordert; eine Prostituierte wird erdrosselt, weil ihr Freier sich gedemütigt fühlt; der Türsteher einer Diskothek wird erschossen, weil er den Täter zuvor schroff abgewiesen hat. Manchmal werden auch ganze Familien ausgelöscht, weil ein Elternteil keinen Ausweg mehr sieht und durchdreht. Das sind einige der gewöhnlichen Motive, derentwegen Menschen ihr Leben vertun.

Gerhard Bold zählt vielmehr zu der besonderen Spezies Mensch, die einmal tötet, ein zweites Mal, und dann immer wieder: Serienmörder. Normale Menschen schlagen sich durchs Leben, sie töten sich hindurch. Mord wird zur Routine, zu einer schlechten Angewohnheit, die sie nicht mehr loswerden können, nicht mehr loswerden wollen. Ihre Greueltaten erscheinen uns unverständlich, lassen uns schaudern. Mit schier unvorstellbarer Kaltblütigkeit und Brutalität gehen viele von ihnen ans Werk: Es wird gewürgt, gedrosselt, gefoltert, geschnitten, geschlitzt, gesägt, gekocht, gegessen. Serienmörder scheinen führerlosen Güterzügen zu gleichen, die über ihre Opfer einfach hinwegdonnern. Es gibt keine Gnade, kein Erbarmen. Und sie morden vielfach heimtückisch, manchmal sogar wahllos. Man könnte es hier mit dem Philosophen Friedrich Nietzsche halten: »Der Mensch ist das grausamste Tier.«

Warum nun dieses Buch? Sollten wir über diese unappetitlichen Trauerspiele nicht besser den Mantel des Schweigens decken? Schließlich gibt es keine Gewinner, nur Verlierer. Wird diesen Menschen, denen wir gerne verächtliche und kapriziöse Attribute wie »Bestie«, »Schlächter« oder »Monster« verpassen, so womöglich ein weiteres Forum geboten? Warum sollen wir die unsäglichen Leiden der Opfer ein weiteres Mal durchleben? Trotz alledem: Wir wissen einfach zu wenig über diese Gattung Mörder. Und wir negieren, verdrängen, entschuldigen und beschönigen beharrlich eigene Schwächen und Versäumnisse, die solche menschlichen Katastrophen begünstigen, in nicht wenigen Fällen sogar erst entstehen lassen. Ungläubiges Kopfschütteln oder verkniffenes Vorbeiblinzeln helfen da nicht weiter. Obwohl Serienmörder schon seit Menschengedenken ihren Opfern nachstellen, sind sie – zumindest in unseren Breitengraden – immer noch eine geheimnisumwitterte, angstmachende, aber scheinbar unauslöschbare Bedrohung. Nicht für jedermann, aber jeden könnte es treffen. In Deutschland reicht die Altersspanne der Opfer von drei Monaten bis zu 91 Jahren. Alle Berufsgruppen sind vertreten, von der Prostituierten bis hin zum Arzt.

Das 20. Jahrhundert hat eine Vielzahl dieser Täter generiert. Wieviele es genau waren, weiß niemand. Die Tendenz hierzulande: steigend. Wir werden davon noch hören. Serienmörder sind keine Fiktion, vielmehr ein gesellschaftlicher Alptraum. Ihre Taten haben apokalyptischen Charakter, künden vielfach von der repetitiven Wollust der Gewalt. Die Orgie der Grausamkeit entpuppt sich als wiederkehrendes Drama, an dem niemand teilnehmen möchte – bis auf den Mörder. Er partizipiert am blutigen Delirium des Verbrechens. Serienmörder setzen Zeichen, kommunizieren mit uns über ihre Taten. Sie wollen sich mitteilen. Nicht alle, aber viele von ihnen. Beharrlich schnippeln sie an unseren Moralvorstellungen herum, würgen unser Selbstverständnis, vergewaltigen unsere Glaubwürdigkeit. Und was tun wir? Wir entledigen uns dieser Menschen auf den gesellschaftlichen Müllhalden: Knast, Klapse. Unsere moralische Mitverantwortung schmeißen wir gleich hinterher. Erledigt.

Aber das Kernproblem bleibt uns erhalten. An dem Verlauf einer mörderischen Karriere sind viele Menschen beteiligt, nicht nur der Täter. Viele aus dem sozialen Umfeld der Täter tragen ihren Teil dazu bei – auf die eine oder andere Weise. Serienmörder spiegeln durch ihre Taten also nicht nur ihr eigenes Unvermögen. Auf die moralische Anklagebank gehört auch das soziale Umfeld der Täter. Solange wir Ursache und Wirkung dieses Gewaltphänomens nicht verstehen wollen, wir uns weigern, auf menschliche Unzulänglichkeiten rechtzeitig und folgerichtig zu reagieren, bringen wir uns in Gefahr – in tödliche Gefahr. Ganz nebenbei begehen wir auch noch moralisches Harakiri. Auch der grausamste Täter hat ein Recht darauf, daß Menschen da sind, die versuchen, ihn zu verstehen. Um solche Verbrechen zu begreifen, müssen wir in die dunkelsten Gefilde der menschlichen Seele vorstoßen. Das bedeutet emotionale Schwerstarbeit. Das kann nicht jeder, das möchte nicht jeder. Versuchen wir uns dennoch diesen Menschen zu nähern, ihre Taten zu deuten. Blicken wir in den Abgrund, ins Herz der Finsternis.

Ich habe vorsichtig in diesen Schlund hineingelugt, mich diesen Tätern genähert. Vor mehr als sechs Jahren begann ich mit meiner Forschung. Grundlage hierfür waren insbesondere die staatsanwaltschaftlichen Verfahrensakten sämtlicher Serientäter, die von 1945 bis 1995 in der Bundesrepublik abgeurteilt worden waren. Ich sichtete mehrere hunderttausend Seiten Material, beschränkte mich bei der Feinanalyse aber auf die wesentlichen Aktenbestandteile: Tatortbefund- und Obduktionsberichte, Vernehmungsprotokolle, psychologische und psychiatrische Gutachten, Abschlußberichte der Kriminalpolizei, Anklageschriften, Gerichtsurteile. Schlußendlich mußten mehr als 35 000 Seiten Aktenmaterial ausgewertet werden.

Das fiel mir nicht immer leicht. Es war weniger der Arbeitsumfang, der mir zu schaffen machte; vielmehr waren es die Leiden der Opfer. Insbesondere dann, wenn Kinder und Frauen grausam gefoltert, bei lebendigem Leib zerschnitten oder sonstwie malträtiert worden waren. Dann litt ich mit, wurde wütend, später mißmutig. Es war wie auf einer Achterbahn: rauf und runter. Die Täter verwandelten sich tatsächlich in »Ungeheuer«; Zorn und abgrundtiefe Verachtung beherrschten meine Gefühlswelt. Die notwendige kritische Distanz kam mir zuweilen abhanden. Es dauerte immer eine Weile, bis ich weiterarbeiten konnte. Dann wieder überfiel mich das unendliche Leid derer, die den Opfern nahe gewesen waren: Eltern, Geschwister, Verwandte, Freunde. Manchmal wurde es mir zuviel.

Irgendwann begann ich, Kontakt zu den Tätern aufzunehmen. Ich schrieb Briefe, telefonierte mit ihnen, besuchte sie. Im Knast, in psychiatrischen Anstalten. Ich beschränkte mich auf solche Fälle, in denen die Täter kein Geständnis abgelegt hatten oder das Motiv nicht vollständig herausgearbeitet worden war. Kriminalisten, Psychologen, Staatsanwälte und Richter hatten sich die »Zähne ausgebissen«, waren gescheitert. Ich bildete mir nicht ein, es besser machen zu können. Aber inzwischen waren viele Jahre vergangen. Die Täter hatten Abstand gewonnen, waren vielleicht bei ihrer Therapie vorangekommen. Würde es mir gelingen, nun ihren seelischen Panzer zu knacken? Diese Frage trieb mich an.

Als ich mit meinen Forschungen begann, hatte ich zuvor einige Fragen formuliert: Wie definiert man diesen Tätertyp? Woher stammt der Begriff »Serienmörder«? Wieviele Täter hat es nach Ende des Zweiten Weltkriegs in Deutschland gegeben? Wieviele sind es heute? Gibt es bestimmte Prototypen von Serienmördern? Was unterscheidet den Serientäter von den übrigen Mördern und Totschlägern? Und vor allem: Warum machen die das? Je mehr ich mich in die Thematik vertiefte, desto größer wurde mein Wissensdurst, die Neugier. Schließlich waren es 232 Fragen.

Widmen wir uns zunächst grundsätzlichen Aspekten, um diesem Gewaltphänomen erste Konturen zu verleihen. Der Ex-FBI-Profiler und ausgewiesene Serienmord-Experte Robert K. Ressler reklamiert für sich, in seinem von dem Journalisten Tom Shachtman geschriebenen autobiographischen Werk Ich jagte Hannibal Lecter den Terminus »Serienmörder« erfunden zu haben: »Anläßlich einer solchen Konferenz« – es handelte sich dabei um die Jahrestagung der »International Association of Forensic Sciences« in Oxford/England im Jahre 1984 – »prägte ich den heute allgemein gebräuchlichen Begriff Serienmörder. (…) Wenn ich heute an die Zeit zurückdenke, als ich auf den Namen kam, scheint es mir so, als hätte ich den Begriff schon eine Weile im Hinterkopf gehabt.«

Der Schein trügt, Mr. Ressler. Zunächst erkundigte ich mich beim Institut für deutsche Sprache und bei der Sprachberatungsstelle der Dudenredaktion nach dem Ursprung dieses Begriffes. Mir konnte allerdings nicht geholfen werden, die Fachleute zeigten sich ratlos. Schließlich begann ich selbst zu recherchieren, stöberte in verschiedenen Fachbibliotheken – und wurde fündig. Auf die früheste Erwähnung dieses Begriffes stieß ich in einem Fachaufsatz des Berliner Kriminalisten Ernst Gennat. Der Nestor der deutschen Todesermittler und Begründer der ersten Berliner »Mordinspektion« hatte von 1929 bis 1930 die Ermittlungen gegen Peter Kürten, den »Vampir von Düsseldorf«, geleitet. Seine Erfahrungen hatte er niedergeschrieben, im Jahre 1930 in seinem Aufsatz Die Düsseldorfer Sexualverbrechen schließlich publiziert. Schon damals bezeichnete Gennat den bis dato noch unbekannten Täter als »Serien-Mörder«. Ob Gennat diesen Fachausdruck tatsächlich geprägt hat, ließ sich jedoch mit letzter Gewißheit nicht klären. Ich vermute, daß dies im Zuge der sogenannten Ripper-Forschung geschehen sein könnte. Eines hingegen ist sicher: Mr. Ressler hat seinen Lesern einen »Bären aufgebunden«.

Insbesondere angloamerikanische Forscher und Autoren haben sich in den vergangenen 15 Jahren darum bemüht, dieses Fachwort zu definieren. Dies erscheint zwingend notwendig, um Forschungsarbeiten national wie international vergleichbar zu machen. Denn geht man von verschiedenen Voraussetzungen aus, gelangt man logischerweise zu unterschiedlichen Ergebnissen. Das stiftet Verwirrung und sorgt für unnötige Diskussionen und Irritationen. Es würde zu weit führen, sämtliche Definitionsversuche zu würdigen. Stellvertretend soll hier lediglich die wohl populärste und gebräuchlichste Begriffsbestimmung focussiert werden. Das Federal Bureau of Investigation (FBI) deklarierte »Serienmord« zunächst als »drei oder mehr voneinander unabhängige Ereignisse, die an unterschiedlichen Orten stattfinden und von einer emotionalen Abkühlung des Täters zwischen den Einzeltaten gekennzeichnet sind«.

Diese Definition fußt auf der irrigen und simplifizierenden Annahme, Serientäter seien ausnahmslos sogenannte Lust- beziehungsweise Sexualmörder. Also solche Täter, die – vereinfacht dargestellt – von dranghaften Spannungszuständen angetrieben werden, die ihre Opfer dehumanisieren und instrumentalisieren, um sexuelle oder emotionale Bedürfnisse ausleben zu können. Auslöser sind häufig bizarre Gewalt- und Tötungsphantasien. Tatsächlich aber wurden in Deutschland nach Ende des Zweiten Weltkriegs lediglich durch 25 Serientäter (40,1 Prozent aller verurteilten Täter) Sexualmorde verübt. Davon entsprachen sogar nur 22,9 Prozent dem stereotypen Persönlichkeits- und Verhaltensprofil des »echten« Triebtäters.

Im übrigen wirft die FBI-Version mehr Fragen auf, als sie zu beantworten vermag: Welche Verbrechenstatbestände werden von dem Begriff »Ereignis« umfaßt? Mord und Totschlag gewiß. Aber auch Raub, Vergewaltigung oder Körperverletzung mit Todesfolge? Oder Tötung auf Verlangen? Würden bereits zwei versuchte und ein vollendetes Tötungsdelikt eine Mordserie ergeben? Warum müssen serielle Morde an unterschiedlichen Tatorten verübt werden? Wie sind solche Delikte zeitlich voneinander abzugrenzen? Was genau ist unter »emotionaler Abkühlung« zu verstehen? Wie läßt sich dieser Zustand verifizieren? Welche Formen der Täterschaft werden erfaßt? Dürfen auch Anstifter oder Mordgehilfen als Serientäter bezeichnet werden? Sind schuldunfähige Täter als Serienmörder zu klassifizieren? Bei genauerer Betrachtung erweist sich diese Definition schon unter diesen Fragestellungen als wenig hilfreich, erscheint teilweise unpräzise, unverständlich, unfertig – mithin schlichtweg unbrauchbar.

Mittlerweile ist diese Definition modifiziert worden: »Drei oder mehr Morde ohne erkennbare Täter-Opfer-Beziehung, wobei die Tathandlungen durch eine Abkühlungsperiode unterbrochen werden und sadistisch-sexuelle Gewalt beinhalten.« Doch ist man auch mit dieser Version keinen Schritt vorangekommen, die genannten Unwägbarkeiten wurden im wesentlichen konserviert. Aus diesem Grund habe ich vor einiger Zeit folgende Definition vorgeschlagen: Der voll oder vermindert schuldfähige Täter (i. S. des Paragraphen 21 des Strafgesetzbuches) begeht alleinverantwortlich oder gemeinschaftlich (i. S. des Paragraphen 25 des Strafgesetzbuches) mindestens drei vollendete vorsätzliche Tötungsdelikte (i. S. der Paragraphen 211 [Mord], 212 [Totschlag], 213 [Minder schwerer Fall des Totschlags] des Strafgesetzbuches), die von einem jeweils neuen, feindseligen Tatentschluß gekennzeichnet sind. Auf diese Weise können Serienmörder zweifelsfrei von anderen Tätertypen abgegrenzt werden.

Der Mord in Serie ist kein Merkmal bestimmter Gesellschaftsformen, sondern ein globales und soziales Menetekel. Überall auf dieser Welt stellt man Serienmördern nach – und sie ihren Opfern. Allein von Anfang 1995 bis Mitte des Jahres 2000 berichteten deutschsprachige Medien über 229 Serientäter, denen 2836 Morde zugerechnet wurden. Die meisten Täter werden in den USA geschnappt. Obwohl dort so gut wie alles statistisch erfaßt wird, liegen hierzu keine exakten Zahlen vor. Allerdings zählte beispielsweise das National Center of the Analysis of Violent Crime (NCAVC) für den Zeitraum von Januar 1977 bis April 1992 insgesamt 331 Serienmörder. Seriösen Schätzungen zufolge machen aber auch in den Vereinigten Staaten Serienmorde lediglich 1 bis 2 Prozent aller Tötungsdelikte aus.

Auch hierzulande herrschte lange Zeit Unklarheit. Keine Forschungseinrichtung, keine Behörde konnte konkrete Zahlen vorlegen. Der Grund: Serientötungen werden als solche statistisch nicht erfaßt. Eigene Nachforschungen haben unter Zugrundelegung der obengenannten Definition für Deutschland (1945  2000) – ausgenommen blieb die DDR – zu folgendem Zahlenwerk geführt: Verurteilt wurden 67 Männer und acht Frauen, die für 421 Tötungsdelikte verantwortlich gemacht werden konnten. Mindestens 22 Mordserien (83 Opfer) blieben ungeklärt, in diesen Fällen konnte kein Tatverdächtiger ermittelt werden oder es erfolgte keine Verurteilung. Darüber hinaus standen 20 Männer unter dem dringenden Tatverdacht, mindestens drei Opfer getötet zu haben, konnten aber lediglich wegen höchstens zweier Morde verurteilt werden. Nicht übersehen werden dürfen weitere 91 Täter, die wegen zweifachen Raub- und/oder Sexualmordes und teilweise weiterer versuchter Tötungsdelikte abgeurteilt wurden und aufgrund ihrer vielfach pathologischen Motivations- und Persönlichkeitsstruktur, ihrer speziellen Opferauswahl (regelmäßig keine Vorbeziehung) und der gerichtlicherseits angenommenen »erheblichen Rückfallgefahr« als potentielle beziehungsweise verhinderte Serienmörder einzustufen sind. Zudem ließ das mörderische Credo der Täter keine Zweifel aufkommen: »Ich hätte weitergemacht«, »Das wäre eine Lawine geworden.« Oder: »Laßt mich bloß nicht raus!«

Nach alledem trachteten in den vergangenen 55 Jahren nachweislich mindestens 207 Täter ihren Opfern reihenweise nach dem Leben. Dabei sind allerdings solche Mörder gänzlich unberücksichtigt geblieben, die dem typischen Persönlichkeits- und Verhaltensprofil des Serientäters entsprechen, glücklicherweise aber schon nach ihrer ersten Tat dingfest gemacht werden konnten. Die nackten Zahlen spiegeln insofern nur das wider, was gemeinhin als »Serienmord« definiert wird. Es ist sicher zu kurz gegriffen, wollte man sich in diesem Zusammenhang auf das schlichte Zählen von Leichen beschränken. Vielmehr ist die Gesinnung, die hinter einem Mord steht, maßgebend und zukunftsweisend. Ungezählte Täter hätten zweifellos ihrem ersten Mord weitere folgen lassen – wenn sie nicht rechtzeitig aus dem Verkehr gezogen worden wären. Serielle(s) Tötungsbereitschaft und -verlangen sind unter unseren Mitbürgern also häufiger anzutreffen, als es uns Statistiken weismachen wollen.

Legt man das vorliegende Zahlenmaterial zugrunde, dann dürfte Deutschland zumindest in Europa in diesem Deliktsbereich einen Spitzenplatz belegen. Zudem steigen die Fallzahlen seit 1965 kontinuierlich. Allein im Zeitraum von 1986 bis 1995 ereigneten sich 62,7 Prozent mehr serielle Tötungsdelikte als in der Dekade zuvor. Von den insgesamt 1855 Sexual- und Raubmorden, die die amtlichen Zahlenkolonnen des Bundeskriminalamts für diesen Zeitraum ausweisen, gingen 8,4 Prozent auf das Konto von Serientätern.

Serienmörder lassen sich in sechs Prototypen unterscheiden. Als Serien-Sexualmörder dürfen solche Täter gelten, deren Handlungen vor, während oder nach dem Tötungsakt eine sexuelle oder sexualisierte Komponente enthalten: Vergewaltigung, sonstiger vitaler oder postmortaler Mißbrauch, Folterung, aber auch beispielsweise das Herausschneiden von Geschlechtsteilen oder ähnliche Scheußlichkeiten. Durchführung und Stellenwert der einzelnen Sexual- oder Gewaltakte können sehr individuell sein, variieren also je nach Täter und werden vielfach von sexuellen oder gewaltbezogenen Visionen und Obsessionen getragen. Die abstrusen Phantasien der Täter übersteigen bisweilen das menschliche Vorstellungsvermögen. Der Industrietischler Martin Wimmer, der in Bremen zwischen Dezember 1987 und Januar 1989 drei Prostituierte förmlich niedermetzelte, lebte in einer solchen Horror-Welt: »Ich habe mir vorgestellt, eine Schwangere zu töten und ihr den Bauch aufzuschlitzen.« So weit kann es gehen.

Den meisten Tätern geht es bei ihren Verbrechen nicht nur um Sexualität im engeren Sinne. Sie gieren vielmehr nach vollkommener Kontrolle über ihre Opfer, ergötzen sich an deren Leiden. Sexuelle Handlungen werden vielfach lediglich instrumentalisiert, sie sind die intimste Form der totalen Bemächtigung. Von solchen Phantasien wurde auch Hans Schnabel, der 1975 in Oldenburg ein 12jähriges Mädchen und nach seiner Entlassung aus der Haft in der Zeit vom 2. Mai bis zum 26. August 1985 in Bonn und Bochum eine 16jährige sowie zwei 18 und 28 Jahre alte Frauen erstach und verstümmelte, beherrscht: »Ein alleinstehendes Haus und ein im Keller gefangengehaltenes Objekt. Das Besitzen eines Objektes steigert die sexuelle Lust. Ich stoße dem Objekt das Messer ins Herz und zerschneide es mit Rasierklingen. Dann das endgültige Besitzen, der Tod.« Ohnmacht des Opfers gleich Allmacht des Täters. Das ist der Kick, der Thrill – darum geht es.

Daneben gibt es aber auch solche Täter, die von psychopathologischen und soziologischen Bedingungsfaktoren geprägt werden. Sie stammen überwiegend aus Familien mit aggressiven Verhaltensmustern und erheblich gestörten Eltern-Kind-Beziehungen: Es wird geschimpft, gedroht, geschlagen, gedemütigt. Auch in diesen Fällen geht es weniger um die Befriedigung sexueller Bedürfnisse. Die Motive sind vielschichtig: Reduktion von aufgestauten Aggressionen, Verzweiflung, Angst sowie Wut- und Haßgefühlen – insbesondere Frauen gegenüber. Das charakteropathische Profil der Täter wird geprägt von Infantilität, emotionaler Labilität, egoistisch-egozentrischen, aber auch narzißtischen Grundhaltungen und Minderwertigkeitsgefühlen. Die Ursachen der eigenen Destruktivität, die sich in allgemeiner Kontaktarmut – insbesondere zum anderen Geschlecht –, innerer Unruhe, fortschreitender Verwahrlosung und dissozialem Verhalten manifestiert, werden verdrängt und münden nach wiederholten sexuellen Versagenserlebnissen, allgemeiner Zurückweisung oder mißglückten Beziehungen in versteckte Feindseligkeit. Tatauslösend ist dann die Aktualisierung eines bereitliegenden und dauerhaften Konfliktpotentials.

Solche Täter ziehen nicht einfach los, um zu morden. Sie geraten in Konfliktsituationen, die sie nicht ertragen können, nicht ertragen wollen. Die Lösung: brachiale Gewalt, Vernichtung des Opfers. Auch Armin Nischick folgte diesem Handlungsmuster. Der 28jährige Schlachthofarbeiter erdrosselte zwischen 1983 und 1987 in Kiel und Umgebung drei Prostituierte und eine Anhalterin. Seine Erklärung: »Die Frauen tun lieb und schön zu einem, wenn sie von einem Geld erwarten können, hinter dem Rücken wird man dann von ihnen betrogen. (…) Deswegen habe ich oft eine Haßkappe geschoben. (…) Und wenn dann wieder so eine Situation kam, habe ich die Beherrschung verloren und bin ihnen an den Hals gegangen.«

In solchen Fällen ist der Tatablauf weniger ritualisiert, die Opferauswahl erscheint eher beliebig. Die Tat selber ist kein lustvoller Akt, sondern unmittelbare Folge ungebremster aggressiver Impulse. Charakteristisch ist eine fehlende Tatplanung, der Täter glaubt sich vielmehr provoziert und erniedrigt. Der Tötungsakt wird dabei regelmäßig durchdrungen von eruptiver Feindseligkeit und abgrundtiefem Haß: Es will raus. So auch bei Armin Nischick: Er explodierte förmlich, inszenierte eine Gewaltorgie. Die Obduktionsbefunde bestätigten dies: »Multiple Schlagverletzungen (…), massive stumpfe Gewalteinwirkung (…), Bißverletzung an der Brust.«

Seltener hingegen werden die Opfer getötet, um sie als »lästige Zeugen« zu beseitigen. Der Tötungsakt wird nicht als erotisierend empfunden, er ist »notwendig«. Bei allen genannten Tätertypen liegen sexuelle Störungen vor, es gibt allerdings kein einheitliches Krankheitsbild. Zu finden sind nahezu sämtliche Formen sexueller Abweichungen: von der Sodomie bis hin zum Sadismus. In den meisten Fällen (40,9 Prozent) liegen jedoch mehrere Anomalien vor, die sich ergänzen und verstärken. Dominant ist hier die Kombination von Sadismus und Fetischismus. Bedeutsam ist auch die Anzahl der sexuellen Beziehungsstörungen (77,3 Prozent). Die Täter sind generell nicht in der Lage, sexuelle Kontakte zu knüpfen (35,3 Prozent) oder innerhalb einer bestehenden Beziehung ihrer speziellen Veranlagung entsprechend sexuelle Befriedigung zu erlangen (64,7 Prozent).

Serien-Raubmörder töten ausschließlich aus Habgier. Die Opfer werden umgebracht, weil sie sich wehren, weil sie dem Täter im Wege sind, weil sie ihn später identifizieren könnten. Diese Täter morden pragmatisch, emotionslos, kaltblütig. Ihre Taten sind von grenzenlosem Egoismus geprägt. So hielt beispielsweise Mitte der achtziger Jahre ein Mörder die Bevölkerung im Großraum Stuttgart in Atem, sorgte für lähmendes Entsetzen in der schwäbischen Provinz. Nacheinander wurden drei Männer förmlich hingerichtet – alle auf abgelegenen Waldparkplätzen, jeweils durch Kopfschuß aus Nahdistanz und exakt im Abstand von sieben Monaten. Die Autos der Opfer fand man wenig später an anderen Tatorten, nachdem sie als Fluchtfahrzeuge bei Banküberfällen auf ländliche Filialen benutzt worden waren. Weil der Täter stets mit einem schweren Vorschlaghammer die Sicherheitsverglasung der Bankschalter zertrümmerte, hatte der geheimnisvolle Unbekannte alsbald einen Namen: »Hammermörder«. Schließlich führte die »Spur 3799« zum Täter, einem verheirateten Polizeibeamten aus Backnang-Strümpfelbach, nahe Ludwigsburg. Der 34jährige, als Verdächtiger bereits vernommen, sah keinen Ausweg mehr, löschte seine Familie aus und richtete danach sich selbst.

Im Regelfall handelt es sich bei diesem Tätertyp um berufs- oder arbeitslose Gewohnheitsverbrecher mit dissozialer Persönlichkeitsstruktur. Fehlende Bindungsfähigkeit, geringe Lernfähigkeit, verminderte Frustrationstoleranz, Mißachtung sozialer Normen und Verantwortungslosigkeit sind die hervorstechendsten Charakter- und Verhaltensmerkmale dieser Persönlichkeitsstörung. Ganz überwiegend kennzeichnen die verübten Tötungsdelikte den eskalierenden Endpunkt langjährigen kriminogenen (zu Verbrechen führenden) Verhaltens. Solche Täter werden vordergründig von negativen Erfahrungen im Strafvollzug geprägt; die Angst vor erneuter Bestrafung implementiert sich als negativer Verhaltensverstärker. Die gleichlautenden Selbstaussagen zeugen davon: »Ich wollte auf keinen Fall zurück in den Knast«, »Entweder die (Opfer) oder ich!« Gewissenlosigkeit wird zum Habitus, das Leben der Opfer zählt nicht mehr. Allerdings darf dabei nicht in Vergessenheit geraten, daß solche Taten hintergründig insbesondere von kindlichen Traumatisierungen, sozialer Marginalität und charakteropathischen Anomalien begünstigt werden.

Im Gegensatz zum multiplen Raubmörder tötet der Serien-Beziehungsmörder, um sich entweder durch die Taten mittelbar zu bereichern (z. B. durch Erschleichen der Lebensversicherungssumme oder einer Erbschaft), oder aus purer Lebensgier, um sich aus bestehenden Beziehungen herauszumorden. Dabei tötet er ausschließlich im Familien-, Freundes- oder Bekanntenkreis. Dieser Typ Serientäter zählt ohne Zweifel zu den gerissensten Mördern überhaupt. Zwei Beispiele: Binnen eines Jahres verschwanden in Reinbek, einem 25 000 Einwohner zählenden Vorort von Hamburg, Ende der 60er Jahre vier Frauen im Alter von 20 bis 76 Jahren spurlos. Alle waren sie mit dem Astrologen Arnold Ibach liiert oder näher bekannt gewesen. Die Kriminalpolizei Celle wurde auf das mysteriöse Verschwinden der Frauen erst aufmerksam, nachdem ein Angestellter der Kreissparkasse in Celle sich geweigert hatte, das Wertpapierdepot des letzten Opfers auf Wunsch von Arnold Ibach an eine andere Bank zu übertragen. Dem wachsamen Bankangestellten kam der Verdacht, die Frau »könne verschwunden sein«, und meldete dies der Polizei. Die Fahnder stießen dann im Dunstkreis des 40jährigen auf drei weitere »vermißte« Frauen. Leichenteile von zwei der Opfer konnte man schließlich in der Ludergrube auf einem Jagdgelände finden, dessen Pächter Arnold Ibach war. Die Frauen waren erschossen worden. Die übrigen Leichen blieben unauffindbar – bis heute. Doch in Wohnung und Ferienhaus von Arnold Ibach stieß man auf Gegenstände, die den Opfern zweifelsfrei zugeordnet werden konnten: Geld, Pelze, Möbel, Kleidung, Autos, Schmuck. Und was sich nicht bei ihm fand, das hatte er verschenkt, verkauft, verbrannt oder eingelagert.

Der »Blaubart von Reinbek« war äußerst raffiniert vorgegangen, hatte sich ausschließlich alleinstehende und vermögende Frauen als Opfer ausgesucht und nach deren Ermordung ihr Verschwinden durch fingierte Briefe als längeren Auslandsaufenthalt getarnt. Doch schließlich krachte sein Mord-Haus, in das er so bereitwillig eingezogen war, in sich zusammen. Am 24. Mai 1973 wurde er durch das Schwurgericht Lübeck nach einem aufsehenerregenden Indizienprozeß des vierfachen Mordes für schuldig befunden. Noch in seinem Schlußwort hatte der nunmehr 43jährige seine Unschuld beteuert: »Ich habe nicht getötet. Ich habe keine Leiche beseitigt. Ich habe keine Urkunde gefälscht. An diesen Händen klebt, so wahr ich Arnold Ibach heiße, kein Blut und keine Tinte.«

Einen ähnlichen Fall habe ich in besonders guter beziehungsweise schlechter Erinnerung, weil ich seinerzeit bei der Duisburger Mordkommission als junger Kommissar-Anwärter selbst an der Aufklärung dieser häßlichen Tragödie beteiligt war. Am 28. November 1991 erschien im Polizeipräsidium der Gürtler Klaus Kallweis und meldete seinen Pflegevater Hans Baumann, einen 64jährigen FDP-Ratsherrn aus Alpen am Niederrhein, als vermißt. Schnell verwickelte der 25jährige sich in Widersprüche. Er erzählte von einem Blumengebinde, das er am Tag zuvor gegen Mittag bei der Reinigung des Wagens seines Stiefvaters gesehen haben wollte. Tatsächlich aber war dieses Blumengebinde erst in den Abendstunden durch den Vermißten selbst dort abgelegt worden. Klaus Kallweis hatte sich in der Zeit ein wenig vertan: Mord mit kleinen Fehlern. Hinzu kam, daß Freunde und Bekannte des Opfers eine Selbstmordabsicht für »völlig abwegig« hielten.

Klaus Kallweis packte schließlich aus: Am 27. November bat er seinen Pflegevater, ihn zum Wagen seines Freundes und Komplizen, der angeblich an der Bundesstraße 8 bei Rees liegengeblieben war, zu fahren. Er schützte vor, von dem Tod seiner Pflegemutter, die zwei Tage zuvor einem Krebsleiden erlegen war, derart betroffen zu sein, daß er nicht in der Lage sei, selbst zu fahren. Die beiden Männer wollten den älteren Herrn dann bei einer fingierten Polizeikontrolle aus dem Wagen locken, ihn niederschlagen und auf nahe gelegene Bahngleise legen – es sollte wie ein Selbstmord aussehen. Als das Niederschlagen mißlang, tötete sein Mordkomplize, der ebenfalls 25 Jahre alte Martin Wollberg, das Opfer durch zwei Schüsse aus einem Revolver. Wollberg legte den Toten in den Kofferraum seines Citroen CX und machte sich aus dem Staub. Eine andere Tatversion gab es nicht, Wollberg schwieg nach seiner Festnahme beharrlich. Der Leichnam konnte deshalb bis heute nicht gefunden werden. Tatmotiv: Klaus Kallweis hatte »forciert erben« wollen. Der beträchtliche Nachlaß sollte unter den beiden aufgeteilt werden. Die Familie Wollberg hatte man zunächst auch im Visier gehabt, die Mordpläne dann aber wieder verworfen: zu viele Opfer. Vater, Mutter und vier Geschwister hätten beseitigt werden müssen.

Doch auch die Stiefschwester von Klaus Kallweis, die ebenfalls als Pflegekind bei der Familie Baumann gelebt hatte, war den Meuchelmördern im Weg. Kallweis und Wollberg unterbrachen im November 1990 ihren Portugal-Urlaub, den sie nur angetreten hatten, um ein Alibi vorweisen zu können, fuhren nach Karlsruhe, lockten die 30jährige dort unter einem Vorwand in ihr Auto und erdrosselten sie wenig später mit einem Springseil. Den toten Körper schleppten sie in ein Waldgelände und entkleideten den Leichnam, um einen Sexualmord vorzutäuschen. Schließlich mußte noch die 26jährige Tanja Schüler, eine Ex-Freundin von Kallweis, am 25. November 1991 unter ähnlichen Umständen sterben – Wollberg hielt die arglose Frau für ein »unkalkulierbares Sicherheitsrisiko«. Auch die Leiche der jungen Studentin konnte bis heute nicht gefunden werden. Ich erinnere mich noch sehr genau an den Kommentar meines damaligen Kommissionsleiters, nachdem Kallweis den dritten Mord gestanden hatte: »Das gibt es doch wohl nicht!«

Die Taten von multiplen Beziehungsmördern gleichen mitunter auch perfiden Befreiungsschlägen. Im September 1984 wurde vor dem Landgericht Krefeld der Fall der 68jährigen Maria Veith verhandelt. Partnerschaftliche und familiäre Probleme waren von ihr auf ganz persönliche Art und Weise gelöst worden: Innerhalb von 20 Jahren hatte sie zwei Ehemänner, ihren Vater, eine Tante und einen Lebensgefährten mit dem Pflanzenschutzgift E-605 – mal im Gemüseeintopf, mal in einem Medikament, meist aber im Blaubeerpudding – umgebracht. Diese Frau gab dem Gericht Rätsel auf. Nicht nur äußerlich wirkte sie mit ihren roten Pausbäckchen im blauen Jackenkleid mit weißer Bluse wie ein Muttchen, wie die nette Oma von nebenan. Ihren sechs Kindern war sie stets eine gute Mutter gewesen, hatte sie und ihre Enkel verwöhnt, ihnen regelmäßig Süßes und Geld zugesteckt. Nur mit dem Rest der Verwandtschaft hatte es nicht recht klappen wollen. Ihr Vater wurde zum Pflegefall, und »alles sollte nach seiner Pfeife tanzen«. Als der alte Mann an einer Lungenentzündung erkrankte und nicht ins Krankenhaus wollte, konnte sie damit »nicht mehr fertig werden«. Schließlich schüttete sie ihm E-605 ins Gemüse und fütterte ihn damit. »Ob sie keine Scheu gehabt habe?« wurde sie vom Vorsitzenden Richter gefragt. »Es war eine schwere Aufgabe. Sicher, wer hat da keine Scheu«, gab sie zur Antwort. Sieben Jahre später nahm sie wieder einen Menschen zu sich. Ihre Tante hatte nicht ins Altenheim gewollt. Nach dem dritten Schlaganfall der alten Dame wurde sie zwangsweise »von ihren Leiden erlöst«. Das paßte ganz und gar zum Persönlichkeitsbild dieser Frau. Einmal hatte sie einer Bekannten gegenüber erwähnt, es sei »ganz gut gewesen, daß bei Hitler die alten Opas und Krüppel vergast wurden«. Aus diesem Holz sind Mörder geschnitzt.

Nachdem sie ihren Ehemann vergiftet hatte, räumte Maria Veith wenig später auch ihren neuen Lebensgefährten aus dem Weg: »Der hatte so viele Fehler, konnte die Finger nicht bei sich halten, wenn er andere Frauen sah. Das war doch kein Leben!« Auch das nächste Opfer hatte sich unbeliebt gemacht: ihr zweiter Ehemann. An ihm störten sie bald »das viele Herumreisen« und seine Gläubigkeit: »Morgens, mittags und abends beten – es war nicht mehr mein Haus, sondern Gottes Haus.« Zwei Tage nach der Rückkehr von einer seiner Reisen gab sie ihm reichlich Tropfen aus der blauen E-605-Flasche: »Ich war das Herumreisen leid, wollte zu Hause bleiben.« Vor Gericht versuchte sie ihre mörderische Gesinnung zu rechtfertigen: »Ich hatte immer großes Pech im Leben, mußte viel einstecken. (…) Die sind mir dann lästig geworden, ich wollte doch meine Ruhe haben!«