Cover

Brigitte Melzer

Nicht alle Geister lieben mich

Roman

hockebooks

30

Ich saß an der Wand, darum bemüht, meine schmerzenden Schultergelenke zu ignorieren, und starrte auf die Glühbirne. Im Gegensatz zur Wäscheleine von vorhin war der Kabelbinder die reinste Pest. Er trotzte all meinen Versuchen, ihn abzustreifen oder auch nur zu lockern, und grub sich mit jeder Bewegung tiefer in meine Handgelenke, bis ich am liebsten geschrien hätte.

Der bloße Gedanke an die Apparatur, die ich im Nebenraum gesehen hatte, genügte, um mich über den Klippenrand in ein Meer aus Panik zu stoßen. In blinder Raserei zerrte ich weiter an meinen Fesseln, ignorierte den Schmerz ebenso wie die zunehmende Taubheit in meinen Armen. Lieber würde ich auf der Flucht sterben, als noch einmal auf dem Tisch dieses Monsters zu landen!

Ich ließ mich auf die Seite fallen und versuchte, die Fesseln über meine Füße nach vorn zu ziehen, blieb dabei aber immer wieder hängen. Ganz gleich, wie sehr ich mich auch anstrengte, meine Beine waren immer ein Stück zu lang und die Arme einfach zu kurz. Keuchend vor Anstrengung und mittlerweile stark schwitzend, setzte ich mich wieder auf und sah mich um. Vielleicht hatte ich etwas übersehen!

Was soll das sein, spottete ein wenig konstruktiver Teil meines Verstandes. Ein in der Ecke stehender edler Ritter, der nur darauf wartete, dass du ihn um Hilfe bittest?

»Ein scharfkantiger Mauervorsprung würde es auch schon tun«, knurrte ich mich selbst an und ließ meinen Blick weiter über die Wände wandern. Schließlich stemmte ich mich auf die Beine und schritt die Wand ab, auf der Suche nach einer Kante – meinetwegen auch nach einem Knopf, der einen verdammten Geheimgang öffnete, durch den ich entkommen konnte.

Mit jedem weiteren Schritt schwand meine Hoffnung ein Stück mehr und die Panik übernahm erneut das Kommando. Ich würde draufgehen! So einfach war das! Kein Ritter in goldener Rüstung, keine Kavallerie. Nichts. Einfach nur der nackte, viel zu frühe Tod!

Ein Geräusch auf dem Gang ließ mich zusammenfahren.

Sie kamen!

Zumindest würde ich mich nicht kampflos ergeben. Ich zog mich ein Stück in den Raum zurück, bereit, Anlauf zu nehmen und den Ersten, der mir in die Quere kam, über den Haufen zu rennen. Im Idealfall brach sich einer von uns dabei das Genick – absoluter Idealfall: wenn dieser eine nicht ich wäre.

Der Türknauf drehte sich, dann wurde die Tür geöffnet. Langsam, beinahe zögerlich. Vermutlich hatten sie Schiss, dass ich noch einmal die Glühbirne herausgedreht haben könnte und sie aus der Dunkelheit angriff. Ich hätte es gemacht, wenn ich in der Lage gewesen wäre, die verflixte Birne mit den Zähnen herauszuschrauben oder sie – ohne meine Arme zur Hilfe zu nehmen – zu zertrümmern. Beides war mir nicht gelungen.

Der Kerl an der Tür musste mittlerweile begriffen haben, dass das Licht noch an war. Trotzdem verbreiterte sich der Türspalt nur allmählich. Der konnte doch unmöglich derartige Angst vor mir haben!

Ich machte mich bereit. Vielleicht sollte ich einfach sofort losspurten und mich gegen die Tür werfen, in der Hoffnung ihm den Schädel zwischen Tür und Türstock zu zerschmettern.

Meine Beine zuckten und das Einzige, was mich davon abhielt, loszulaufen, war die Brutalität meines Vorhabens. Andererseits hatten diese Kerle vor, mich umzubringen! Sie würden sich kaum im Rahmen einer Diskussion davon abbringen lassen.

Ich nahm Maß.

Ein Gesicht erschien im Türspalt. Ein vertrautes Rüsselmonster. Mike! Mit einem raschen Blick vergewisserte er sich davon, dass ich allein war, dann schlüpfte er in den Raum. Eine Frau folgte ihm. Doch erst, als sie sich die Atemschutzmaske vom Gesicht zog, erkannte ich die Journalistin, der ich in der Bibliothek begegnet war.

»Bist du in Ordnung, Sam?« Mit zwei Schritten war Mike bei mir, während die Frau – Laura Martin – mit konzentrierter Miene neben der Tür stehen blieb. Er griff nach meinem Arm und drehte mich herum. Erst jetzt sah ich das Taschenmesser in seiner Hand, eines dieser Multifunktionsdinger, mit denen man Raumschiffe bauen, Bären erschießen und Erdbeben verhindern konnte. Zumindest wenn man der Werbung Glauben schenkte. Um einen Kabelbinder zu durchtrennen, reichte es allemal. Mit einem Ratsch lösten sich meine Fesseln. Vorsichtig bewegte ich meine Arme und rieb meine Handgelenke, ein Vorhaben, das ich zehn Sekunden später verfluchte, als das Blut schmerzhaft in meinen Händen zu pulsieren begann.

»Am besten hauen wir durchs Fenster ab.« Ich sprach mit gedämpfter Stimme. Zum einen wollte ich vermeiden, dass die Kerle mich hörten, zum anderen wollte ich nicht, dass jemand bemerkte, wie zittrig die Worte aus meinem Mund kamen.

»Wir können nicht gehen«, gab Mike ebenso leise zurück. »Jedenfalls noch nicht.«

Das konnte doch nur ein Scherz sein! Mike sah aber nicht aus, als würde er scherzen. Er hatte die Augen zusammengekniffen und starrte grimmig auf das Messer in seiner Hand, ehe er wieder mich ansah. »Sie haben den Sheriff umgebracht.«

Ein Schlag ins Gesicht hätte mich kaum überraschender treffen können.

»Adrian hat ihn sich geholt«, fuhr er fort. »Er ist wieder lebendig, Sam.«

Und er würde alles daransetzen, an der Stelle fortzufahren, an der er vor seinem letzten Tod aufgehört hatte. »Und warum ist das kein Grund, die Beine in die Hand zu nehmen und so schnell wie möglich von hier zu verschwinden?«

Es war Laura, die meine Frage beantwortete. »Er wird dieses Leben nicht behalten. Es gehört ihm nicht.« Sie klang vollkommen ruhig, doch in ihren Augen brannte ein beunruhigendes Feuer.

»Als wir uns durch die Hintertür ins Haus geschlichen haben, war sein Geist noch bei uns, dann ist er plötzlich verschwunden.«

»Das Amulett.« Ich griff nach dem Lederband, das mir der Blonde um den Hals gehängt hatte, und wollte es mir herunterreißen.

»Nicht!« Laura schoss auf mich zu und legte ihre Hand auf meine, um mich davon abzuhalten, das Band zu zerreißen. »Sie haben recht«, sagte sie. »Das ist ein Geisterbann. Aber Sie dürfen ihn nicht zerstören. Zumindest nicht so.«

Schlagartig begriff ich, warum mir diese Frau schon in der Bibliothek so bekannt vorgekommen war. Es war nicht ihr Name und auch nicht ihr Gesicht gewesen, sondern ihre Stimme. »Das ist ihr Amulett.« Laura Martin war mit den Männern im Crowley-Haus gewesen, als Nicholas gewaltsam vertrieben worden war. Ich wich zurück. »Sie gehören zu denen.«

»Was?« Mike sah irritiert von einem zum anderen. Er wirkte angespannt, als sei er bereit, sich jeden Moment auf Laura zu stürzen, wenn die eine falsche Bewegung machte, aber er unternahm vorerst nichts.

»So einfach ist das nicht«, sagte Laura. »Zumindest nicht mehr, seit George und Scott gemeinsame Sache mit Adrian machen.«

Natürlich. Sie hatte ihr Gewissen entdeckt und wollte nun die Fehler ihrer Freunde wiedergutmachen. Wer sollte diesen Mist glauben? »Das ist eine Falle, Mike. Diese Frau ist … was sind Sie überhaupt? Doch ganz bestimmt keine Journalistin, oder?«

»Ich gehöre einem Hexenzirkel an«, sagte sie. »Es war unsere Aufgabe, Adrians Bücher zu finden und fortzubringen, bevor jemand Dummheiten damit anstellen konnte.«

Da hatte sie die Rechnung ohne den Sheriff gemacht. »Mike?«

Er antwortete nicht sofort. Sein Blick ruhte auf Laura, als versuche er zu ergründen, was in ihr vorging. Schließlich schüttelte er den Kopf. »Ich glaube, sie will Ed wirklich helfen.«

»Das ist wahr.«

Ich starrte die Frau an, die mit den zerzausten Haaren, einem Bluterguss auf der Wange und den verquollenen Augen nicht mehr viel Ähnlichkeit mit der gepflegten Erscheinung hatte, der ich in der Bibliothek begegnet war. Das reichte nicht aus, um ihr zu vertrauen. Allerdings war mir bewusst, dass es mir momentan ein wenig an Möglichkeiten mangelte, aus eigener Kraft aus dieser Sache herauszukommen. Und ich begriff noch etwas: Wenn Laura bei Ed und Mike gewesen war, konnte es unmöglich ihr Schatten gewesen sein, den ich im Labor gesehen hatte. Adrian! Dass er mir so nah gewesen war, brachte meinen Puls selbst im Nachhinein noch zum Rasen.

So, wie es aussah, blieb mir gar keine andere Wahl, als mich auf eine Zusammenarbeit mit Laura einzulassen.

»Also gut«, gab ich mich geschlagen. »Wie sieht euer Plan aus?« Und ich hoffte inständig, dass sie einen hatten!

Nachdem ich meine Zustimmung signalisiert hatte, kam Laura erneut näher und griff nach dem Amulett. Die Lederschnur spannte sich um meinen Hals, als sie es anhob. Zum ersten Mal erhaschte ich einen Blick auf den Anhänger, eine flache, silbern glänzende Metallscheibe, in die kleine Zeichen und Figuren eingraviert waren. Laura streckte Mike die andere Hand entgegen. »Geben Sie mir das Taschenmesser.«

Ich konnte nicht sagen, dass es mir gefiel, sie mit einem Messer vor mir stehen zu sehen. Dass sie mir nicht die Kehle durchschnitt, sondern mit der Messerspitze die Zeichen auf dem Amulett bearbeitete, konnte mein Unbehagen nur teilweise lindern. Konzentriert kratzte sie über die silberne Oberfläche, bis die Zeichen zumindest stellenweise unleserlich waren.

»Das dürfte genügen«, meinte sie mit einem letzten prüfenden Blick. »Damit sollte es seine Wirkung verloren haben. Sie müssen es aber anbehalten, damit niemand misstrauisch wird.« Sie ließ das Lederband los, sodass der Anhänger zurück auf meine Brust fiel, und gab Mike das Messer zurück. Dann sah sie sich erwartungsvoll um.

Ich spürte die Kälte einen Augenblick, bevor das Lächeln auf Lauras Züge trat. Ein trauriges Lächeln, in das sich Erleichterung mischte. »Ed«, flüsterte sie.

»Ist er –«

»Sam!« Nicholas schoss durch die Außenmauer in den Keller. Erst unmittelbar vor mir blieb er stehen und musterte mich eingehend. »Geht es dir gut? Bist du verletzt? Ich konnte nicht zu dir, diese verdammte Kette …« Sein Blick fiel auf das Amulett an meinem Hals.

»Sie hat es unbrauchbar gemacht«, sagte ich und deutete auf Laura, die sich leise mit Ed unterhielt – oder mit einem Fetzen Luft. Ich sah die Fragen, die wie ein Gewitter durch Nicholas’ Augen zogen, und kam ihm zuvor. Mit knappen Worten erzählte ich ihm, was dem Sheriff zugestoßen war und dass Laura vorhatte, seinen Tod ungeschehen zu machen. Ihm das zu sagen fiel, mir schwer. Die Vorstellung, dass Ed sein Leben zurückbekommen sollte, während Nicholas weiterhin ein Geist bleiben würde, fand ich ungerecht. Im Gegensatz zu mir schien Nicholas es jedoch zu verstehen.

»Adrian trägt ein Leben in sich, das ihm nicht gehört«, sagte er. »Es ist nur gerecht, wenn er es zurückgeben muss.«

»Leute«, meinte Mike, »können wir vielleicht weitermachen, bevor ich mir noch mehr wie ein Trottel vorkomme, weil ich der Einzige bin, der keinen unsichtbaren Freund hat.«

Nicholas nickte. »Je eher ihr von hier verschwindet, desto besser. Ich postiere mich vor der Tür und passe auf, dass keiner kommt. Und ihr denkt euch etwas Vernünftiges aus.«

Er war noch nicht ganz durch die geschlossene Tür nach draußen verschwunden, da hatte ich die anderen bereits über sein Vorhaben aufgeklärt. »Also gut«, sagte ich dann. »Höchste Zeit für einen Schlachtplan.«

31

Laura zog sich in den Schatten eines Baumes zurück. Dicht an den Stamm gepresst, stand sie da und beobachtete, wie Mike in der Dunkelheit zwischen den Gräbern verschwand.

Trotz des Strickpullovers war ihr kalt. Sie wusste, dass sie von Geistern umgeben war, und war froh um die Atemschutzmaske, die sie vor Übergriffen schützte. Die Angst jedoch konnte ihr keine Maske der Welt nehmen.

Es hatte nicht lange gedauert, bis sie einen Plan gefasst hatten. Einen, der angesichts der knappen Zeit, die ihnen geblieben war, durchaus Hand und Fuß zu haben schien. Laura wäre lieber bei Ed im Keller geblieben, allerdings hatte Sam ihr klargemacht, dass sie die Ablenkung übernehmen musste. Andernfalls würde es ihnen womöglich nicht gelingen, Scott und George aus dem Haus zu locken – und das war für die Durchführung ihres Vorhabens von essenzieller Bedeutung.

Noch ein paar Sekunden, dann würde sie ihr Versteck verlassen und den Stein ins Rollen bringen.

Sie war erleichtert, dass sich Sam nicht nur einverstanden erklärt hatte, Ed und ihr zu helfen, sondern auch bereit war, einen wichtigen – und riskanten – Teil des Plans zu übernehmen. Laura hatte gespürt, welche Angst Sam vor Adrian hatte. Kein Wunder, bei allem, was dieser Mann ihr angetan hatte. Umso höher war es ihr anzurechnen, dass sie nicht einfach mit Mike und Laura geflohen, sondern im Keller zurückgeblieben war. Laura hatte die Entschlossenheit in Sams Augen gesehen und erkannt, dass sie beschlossen hatte, diese Sache ein für alle Mal zu beenden. Es mochte ihr dabei nicht allein um Ed gehen, sondern auch darum, Adrian endgültig das Handwerk zu legen. Letztlich waren Sams Beweggründe für Laura ohne Bedeutung, solange sie damit Ed helfen würde.

Laura und Mike waren durch das Fenster nach draußen geklettert, um nicht noch einmal riskieren zu müssen, auf dem Weg durch das Haus erwischt zu werden. Zuerst hatte Laura vorgeschlagen, nach oben zu laufen und Alarm zu schlagen, bis ihr bewusst geworden war, dass sie ihre Anwesenheit im Haus nur schwer erklären konnte. Immerhin hatte George sie im Geräteschuppen zurückgelassen.

Sie warf einen raschen Blick auf ihre Armbanduhr, deren Zeiger schwach phosphoreszierten. Die Zeit war abgelaufen. Mikes Vorsprung war groß genug, jetzt war sie an der Reihe. Sie zog sich die Schutzmaske vom Gesicht und ließ sie am Fuß des Baumes ins Gras fallen. Der Wind strich über ihre erhitzten Wangen wie eine Hand, die nach etwas tastete, was sie verloren hatte. Ohne die Maske fühlte sie sich nackt und ausgeliefert. Trotzdem musste sie sie zurücklassen, wenn sie keinen Verdacht erregen oder zeitraubende Fragen über die Herkunft des Dings provozieren wollte.

Laura zog den Kragen ihres Pullovers bis über die Nase nach oben. Ein wenig half es ihr, sich sicherer zu fühlen. Doch es war eine trügerische Sicherheit, die mit jedem Schritt, den sie sich dem Pfarrhaus näherte, weiter schwand.

Schließlich begann sie zu rennen.

Sie umrundete das Pfarrhaus, stürzte auf die Eingangstür zu und riss sie so heftig auf, dass sie gegen die Wand knallte. »George! Scott!«, schrie sie in den Flur.

Gedämpfte Stimmen waren zu vernehmen. Laura folgte ihnen und wäre beinahe mit den beiden Männern zusammengestoßen, die ihr aus dem Keller entgegenkamen.

»Zum Teufel!«, schnappte Scott. »Was hat sie hier zu suchen? Hab ich dir nicht gesagt, du sollst sie einsperren!«

George setzte zu einer Rechtfertigung an, doch Laura kam ihm zuvor. Sie machte eine wegwischende Handbewegung, als sei die Tatsache, dass er sie eingesperrt hatte, ebenso wenig von Bedeutung wie all die anderen Dinge, die die beiden ihr angetan hatten. »Willst du diskutieren, Scott, oder willst du hören, was ich zu sagen habe?«

»Dann rede!« Dieselbe Kälte, die sie in seinen Augen sah, hatte auch seine Stimme gefrieren lassen.

Scott war noch nie einfach gewesen. Er kommandierte andere gern herum, war oft barsch und interessierte sich lediglich dafür, was ihn im Zirkel weiter nach oben bringen konnte. Trotz allem hatte sie ihn noch nie so gesehen wie in den letzten Stunden. Es war, als hätte der Drang nach Adrians Wissen jede Moral in ihm ausgelöscht. Er war blind geworden für das, was er tat.

»Da draußen …« Sie musste sich nicht einmal bemühen, atemlos zu klingen. »Der Typ aus dem Diner schleicht da draußen herum. Mit einem Knüppel bewaffnet.«

Scott griff hinter sich und zog die Pistole aus dem Hosenbund. Mit einem raschen Blick vergewisserte er sich, dass sie geladen war. Laura blieb fast das Herz stehen. Sie hatte nicht daran gedacht, dass er eine Schusswaffe hatte! Jetzt war es zu spät, etwas dagegen zu unternehmen, denn bevor sie den Mund noch einmal aufmachen konnte, bedeutete er George mitzukommen und stürmte aus dem Haus.

Laura folgte den beiden.

Es fiel ihr schwer, nicht ständig auf die Pistole in Scotts Hand zu starren und sich stattdessen auf den Weg vor sich zu konzentrieren. Hoffentlich würde Mike die Waffe rechtzeitig bemerken.

Mit weit ausgreifenden Schritten rannten George und Scott vor ihr über den Friedhof, so schnell, dass Laura Mühe hatte, mitzuhalten. Scott hatte den Kiesweg längst verlassen und lief über die Wiese und zwischen den Gräbern hindurch. Grabsteine, Blumenbeete und Sträucher flogen nur so an ihr vorbei. Hin und wieder geriet Laura auf dem unebenen Boden ins Straucheln, einmal musste sie einen Sturz mit der Hand abfangen. Der Pullover über ihrem Gesicht machte ihr das Atmen schwer, schließlich zog sie ihn herunter. Bei diesem Tempo würde es ohnehin keinem Geist gelingen, sie anzugreifen.

Immer wieder streifte Scotts Blick durch die mondbeschienene Dunkelheit vor ihm, auf der Suche nach dem flüchtigen Eindringling. Der Friedhof war wesentlich weitläufiger, als sie geglaubt hatte. Waren die Gräber anfangs noch dicht an dicht nebeneinander, so lagen sie bald in größerem Abstand zueinander, immer wieder von Rasenflächen, Blumenrabatten und Wegen durchbrochen. Bald erkannte sie, dass sie immer tiefer in das Gelände hineinliefen, fort von der Stelle, an der Mike wartete. Sie musste die beiden wieder auf Kurs bringen, zuerst jedoch brauchte sie einen Augenblick, um sich selbst zu orientieren.

»Da drüben!«, rief sie, sobald sie sich einen Überblick verschafft hatte, und deutete in die Richtung, in der sie Mike wusste. »Da hat sich etwas bewegt.«

Scott hielt abrupt inne. Sein Blick folgte Lauras ausgestrecktem Arm. Da er nicht sehen konnte, was es nicht gab, halfen ihm auch die zusammengekniffenen Augen nichts. Laura befürchtete schon, er würde einfach weiterlaufen, nachdem er nichts entdeckt hatte, zu ihrer Erleichterung schlug er jedoch einen Haken und rannte in die Richtung, in der sie George und ihn haben wollte.

Wieder streifte ihr Blick die Pistole in seiner Hand. Zwei Männer, einer davon mit einer Schusswaffe, gegen einen Mann und eine Frau – beide unbewaffnet. Es bedurfte keiner höheren Mathematik, um sich ihre Chancen auszurechnen. Im Nachhinein betrachtet, hätten sie sich vielleicht mehr Zeit lassen sollen, um ihren Plan auszuarbeiten oder sich zumindest ebenfalls zu bewaffnen. Andererseits hatten sie genau diese Zeit nicht gehabt. Die Aufbauten im Labor waren fertig, das hatte Nicholas über Sam berichten lassen, entsprechend groß war die Gefahr, dass sie jeden Moment kamen, um Sam zu holen. Dann wäre es zu spät gewesen. Ihnen war gar keine andere Wahl geblieben, als sofort zu handeln. Lieber mit einem halb ausgegorenen Plan als ohne jede Hoffnung für Ed.

George und Scott liefen nun auf den Baum zu, den Mike ihr zuvor gezeigt hatte. Eine alte, knorrige Eiche mit ausladenden Ästen und einem Stamm, der dick genug war, einen Mann zu verbergen. Sie waren zu weit von dem Baum entfernt, doch Laura hatte Angst, Scotts Misstrauen zu erregen, wenn sie versuchte, ihn näher heranzudirigieren. Die Männer blieben stehen und sahen sich um. Laura kaute auf ihrer Unterlippe und überlegte, wie sie die beiden unauffällig lenken konnte, als zu ihrer Rechten ein Ast knackte.

George fuhr herum. »Da!«, zischte er und deutete auf ein Gebüsch. »Da bewegt sich was!«

Tatsächlich war das Blattwerk in Bewegung. Ob durch den Wind oder durch ein Tier, das sich darin verborgen hielt, vermochte Laura nicht zu sagen. Es war auch vollkommen gleichgültig. Alles, was zählte, war, dass ihnen das Glück im entscheidenden Moment zur Seite stand.

»Er soll uns nicht sofort bemerken.« Scott schob George vor sich auf den Baum zu und bedeutete Laura, ihnen zu folgen. Mit zwei Schritten Abstand tauchte sie nach den Männern in den Schatten der Eiche, als Mike hinter dem Stamm hervorsprang. Er hielt einen Spaten in den Händen, holte aus und schlug damit nach Georges Kopf. Dieser drehte sich geistesgegenwärtig zur Seite, sodass ihn das Schaufelblatt nur an der Schulter traf. Aus dem Gleichgewicht brachte ihn der Angriff trotzdem. Während er noch versuchte, sich wieder zu fangen, setzte Mike bereits nach. Scott hob die Pistole und legte an. Der Lauf bewegte sich, auf der Suche nach seinem Ziel, doch immer wieder geriet George in die Schusslinie.

Bevor Scott einen Schuss abgeben und dabei Mike oder George verletzen konnte, stürzte sich Laura auf ihn. Sie hatte vorgehabt, ihn von den Beinen zu reißen, prallte jedoch von ihm ab, ohne dass er auch nur ins Wanken geraten wäre. Ohne ihm die Gelegenheit zu geben, sich ihr zuzuwenden, warf sie sich ihm noch einmal entgegen. Sie wollte ihm die Waffe aus der Hand reißen, doch Scott hob den Ellbogen und zielte damit auf ihr Gesicht. Mit einer Drehung ihres Oberkörpers entging Laura dem Zusammenstoß mit seinem Ellbogen. Plötzlich befand sie sich in seinem Rücken. Sie sprang hoch, schlang ihre Beine von hinten um seine Hüften und wand ihm die Arme um den Hals, um nicht herunterzufallen. Scott versuchte sie abzuschütteln, erreichte damit aber nur, dass sie sich noch mehr festklammerte und ihm mit den Armen die Luft abdrückte. Er schlug mit der Pistole nach ihr. Laura riss den Kopf zurück, konnte aber nicht verhindern, dass der Griff der Waffe ihre Wange dort streifte, wo seine Faust sie zuvor getroffen hatte. Mit dem Schmerz kam die Wut. Statt ihren Griff zu lockern, verstärkte sie ihn und ließ sich weder von ruckartigen Bewegungen noch von Schlägen dazu bringen, von ihm abzulassen. Scott wankte und geriet immer wieder aus dem Gleichgewicht. Plötzlich bewegte er sich rückwärts, erst langsam, dann immer schneller. Als Laura begriff, was er vorhatte, war es zu spät. Scott hatte die Eiche erreicht und ließ sich mit voller Wucht nach hinten fallen. Laura krachte gegen den Baumstamm. Der Aufprall presste ihr die Luft aus den Lungen. Ihre Arme lösten sich von Scotts Hals und sie fiel wie ein Stück Fallobst ins Gras. Sie fühlte sich benommen und jeder Atemzug sandte rasenden Schmerz durch ihren Rücken. Trotzdem versuchte sie sofort wieder auf die Beine zu kommen.

Nicht weit entfernt duckte sich George unter einem weiteren Spatenangriff hindurch und schlug mit der Faust zu. Er traf Mike mitten ins Gesicht. Der Schlag riss ihn von den Beinen und warf ihn zu Boden.

Sie musste ihm helfen! Mühsam kämpfte sie sich hoch und hatte es gerade auf die Knie geschafft, als ein Tritt in die Seite sie zu Boden schleuderte.

»Du denkst wohl, du bist klüger als wir«, fuhr Scott sie an und trat noch einmal zu. »Von dir lasse ich mir keinen Strich durch die Rechnung machen! Nicht von dir und auch von niemand sonst!«

Laura drehte sich auf den Bauch und stemmte die Hände in den weichen Erdboden, um sich aufzurappeln, als sie der nächste Tritt traf und ihr den Atem raubte. Alles in ihr schrie danach, liegen zu bleiben und sich nicht mehr zu bewegen, um nicht noch weitere Angriffe auf sich zu lenken. Dann jedoch sah sie Eds Gesicht vor sich. Nicht das des vor Energie strotzenden, lebendigen Mannes, sondern das jenes Mannes, dessen Haut sich so kalt unter ihrer Berührung angefühlt hatte. Kalt und tot. Nein, sie durfte jetzt nicht aufgeben! Wenn sie es tat, wäre nicht nur Ed verloren, sondern auch Mike und Sam.

Wieder versuchte sie sich hochzustemmen. Scotts Stiefel raste auf ihr Gesicht zu und Laura riss schützend den Arm davor. Sie hörte, wie ihr Handgelenk unter dem Aufprall brach. Schmerz explodierte in ihrem Gelenk, schoss den Arm entlang und entfachte ein Feuerwerk roter und schwarzer Flecken vor ihren Augen. Ein weiterer Tritt in die Seite schickte sie zu Boden. Dieses Mal blieb sie liegen.

»Hör auf, Scott! Nicht!«

Aus dem Augenwinkel sah Laura, dass Mike nicht weit von ihr auf dem Boden lag und sich nicht mehr rührte. In einer Mischung aus Benommenheit und Dankbarkeit beobachtete sie, wie George sich zwischen Scott und sie schob, um ihn davon abzuhalten, sie noch einmal zu treten. Erst jetzt sah sie, dass Scott noch immer die Pistole in der Hand hielt. Es grenzte an ein Wunder, dass er sich mit Tritten zufriedengegeben und sie nicht einfach abgeknallt hatte.

Trotz Georges Einmischung war er nicht bereit, von ihr abzulassen. Fluchend redete er auf ihren Bruder ein und versuchte ihn zur Seite zu schieben, doch George verteidigte seinen Platz und weigerte sich, Scott vorbeizulassen. Mit wachsender Wut schrie Scott auf ihn ein, packte ihn an den Schultern und wollte ihn wegstoßen. George jedoch ließ sich nicht herumschubsen. Er griff nach Scotts Armen und hielt ihn fest. Sie begannen miteinander zu ringen, schlugen, traten und stießen sich, bis Laura kaum noch in der Lage war, dem Ganzen zu folgen. Mittlerweile waren die Männer so ineinander verkeilt, dass sie, benommen, wie sie war, kaum noch sagen konnte, wo der eine anfing und der andere aufhörte. Sie waren nur noch ein großes Knäuel aus Körpern, Armen und Beinen, von dem blanker Hass aufstieg.

Scott hatte George niedergerungen und kniete nun auf ihm, doch George wehrte sich. Er setzte eine Beinschere an, warf Scott herum und wälzte sich über ihn. Scott versuchte sich zu befreien, das Knäuel aus Leibern wurde wieder enger. Plötzlich zerriss ein Donnern die Stille. Schlagartig erstarrten die Männer in ihrer Bewegung. Für die Dauer einiger Herzschläge rührte sich keiner von ihnen. Dann rutschte George zur Seite und fiel ins Gras.

Scott sprang auf. Die Pistole in der Hand blieb er über ihm stehen. »Komm schon, Mann«, krächzte er. »Mach keinen Scheiß!«

George rührte sich nicht. Ein dünnes Rinnsal Blut lief aus seinem Mundwinkel.

»Das war doch nur ein Schlag. Stell dich nicht so an, George!«

Aber Laura sah das Blut, das das Hemd und die Jacke ihres Bruders an der Brust zu durchtränken begann. Halb kriechend, halb laufend, eilte sie an seine Seite. Ihr eigener Schmerz war vergessen. Alles, was sie noch sah, war George, dessen Brust sich mehr und mehr in feuchtem Rot färbte. Sie kniete sich neben ihn, zog seinen Kopf in ihren Schoß und strich ihm über die schweißnasse Stirn.

»Das wird wieder«, flüsterte sie. »Alles kommt in Ordnung.« Sie sah auf und brüllte Scott an: »Ruf einen verdammten Krankenwagen!«

Scott rührte sich nicht. Er schien sie nicht einmal zu bemerken, stand nur da und starrte auf die Waffe in seiner Hand, als hätte er sie noch nie gesehen.

»Scott!« Ihre Stimme brach.

George zupfte an ihrem Ärmel und lenkte ihre Aufmerksamkeit wieder auf sich. »Ich wollte nicht, dass der Sheriff stirbt«, flüsterte er. »So weit sollte es nicht kommen.«

»George …«

Er holte rasselnd Luft. »Du musst nichts –« Seine Worte gingen in einen Hustenanfall über. Er bäumte sich auf und spuckte Blut. Laura hob seinen Oberkörper ein Stück an, um ihm das Atmen zu erleichtern, doch es folgte kein Atemzug mehr. Seine Hand rutschte von ihrem Arm und fiel zu Boden. Das Leben war aus seinem Blick gewichen.

Ein Schluchzen stieg in Lauras Kehle auf, sie schluckte es herunter und hob den Kopf. Ihr Blick richtete sich auf Scott. Durch einen Tränenschleier hindurch sah sie ihn voller Hass an.

»Das habe ich nicht gewollt«, flüsterte er. Die Pistole rutschte ihm aus der Hand und fiel mit einem dumpfen Schlag ins Gras. »Oh mein Gott, das wollte ich nicht. Laura, es tut mir leid. Ich …«

»Ich habe schon einmal einen Geist beschworen.« Ihre Stimme klang eisig und sie fragte sich, woher sie die Kraft für diese Kälte nahm. »Ich kann es wieder tun. Und ich werde dafür sorgen, dass er dein Leben nimmt, als Austausch für das, das du ihm geraubt hast.«

»Vielleicht solltest du das wirklich tun«, gab Scott tonlos zurück.

Ein Schatten ragte über ihm auf. Mike! Ein Zischen durchschnitt die Luft, als er mit dem Spaten ausholte und zuschlug. Wie ein gefällter Baum ging Scott zu Boden. Mike warf den Spaten weg, hob die Pistole auf und steckte sie sich in den Hosenbund.

Seine Lippen bewegten sich, trotzdem dauerte es eine Weile, bis sie begriff, dass er mit ihr sprach, und selbst dann wollte es ihr nicht gelingen, seinen Worten einen Sinn abzuringen.

»Laura?« Er griff nach ihrer unverletzten Hand und zog sie auf die Beine. »Geht es?«

Die Frage schoss in tausend Echos durch ihren Kopf. Sie wollte antworten, wollte ihm sagen, dass alles in Ordnung war, dass nichts in Ordnung war – nie wieder sein würde. Doch sie schaffte es nicht einmal, den Kopf zu bewegen.

Hinter ihnen regte sich Scott.

Sofort fuhr Mike herum, packte ihn und zog ihn auf die Beine. Scott war noch immer halb besinnungslos und ließ sich ohne Widerstand vorwärtsschieben. Vielleicht war es auch der Schock, der ihn willenlos machte. Derselbe Schock, der Laura die Sprache geraubt hatte und sie jetzt dazu brachte, Mike wie ein Gespenst zu folgen.

Er führte Scott zur Absperrung, wuchtete ein Gitterstück weit genug zur Seite, dass sich eine Öffnung bildete, durch die er Scott auf den Parkplatz schieben konnte. Laura folgte ihnen. Sie ließ Scott nicht eine Sekunde aus den Augen, aus Angst, er könne sich befreien und abhauen. Doch Scott schien ebenso unter Schock zu stehen wie sie selbst.

Mike schob ihn zu Eds Streifenwagen, öffnete die Tür und stieß ihn auf den Rücksitz. Mit einem Schlag, der so endgültig klang wie der Schuss, warf er die Tür hinter ihm zu. »Hier kommt er erst wieder raus, wenn jemand die Tür von außen öffnet.« Er drehte sich zu Laura um, die noch immer auf Scott starrte, dessen Gesicht sich hinter der Scheibe abzeichnete – bleich und leer. Mike nahm sie bei den Schultern. Die Berührung tat weh und zwang sie, ihre Aufmerksamkeit auf ihn zu richten. »Du weißt, dass du das nicht tun kannst«, sagte er ernst. »Du kannst George nicht zurückbringen.«

Laura nickte. Sie wusste, dass sie es nicht tun durfte, das Wissen jedoch, dass sie es tun könnte, machte den Verlust zumindest für den Augenblick erträglicher.

32

Das Warten machte mich verrückt.

Wie lange war es her, dass Nicholas aus dem Keller verschwunden war? Sekunden? Minuten? Stunden? Es hätten ebenso gut Tage sein können. Tatsache war, dass mein Zeitgefühl aussetzte, sobald ich nervös war. Da half es auch nichts, mir immer wieder zu sagen, dass bestenfalls drei Minuten vergangen waren.

Er war losgezogen, um zu sehen, wo Adrian steckte. Wenn er zurückkam, war ich mit meinem Teil des Plans dran. Nur, dass es sich in meinem Fall nicht um eine Ablenkung handelte wie bei Laura und Mike. Ich durfte den Lockvogel spielen.

Wenn es nur endlich losgehen könnte!

Nichts war schlimmer, als auf etwas zu warten, was einem schon Angst machte, wenn man nur daran dachte. Ich wollte mir nicht länger ausmalen, was alles schiefgehen und auf welche Arten Adrian unsere Pläne durchkreuzen und mich umbringen konnte. Es war Zeit zu handeln!

Mit Nicholas war auch das letzte bisschen meiner Ruhe verschwunden.

Was mir beinahe ebenso viele Sorgen machte wie Adrian, war die zunehmende Kälte. Anfangs hatte ich nur einen leichten Schauder verspürt. Ein kühler Luftzug, wie Nicholas ihn damals in meinem Haus verbreitet hatte, und ich war ziemlich sicher gewesen, dass es sich dabei um Ed handelte. Mittlerweile jedoch war die Kälte durchdringender geworden und ich wurde das Gefühl nicht los, dass der eine oder andere Geist bemerkt hatte, dass das Amulett mit der Geisterabwehr nicht länger funktionierte, und jetzt einen Blick in den Keller riskierte.

Ich presste die Lippen aufeinander und legte mir die Hand über die Nase, um gar nicht erst einen Geist in Versuchung zu führen. Verflucht, ich wusste ja nicht einmal, ob der Sheriff bereits den Drang nach Atem verspürte und wie er damit zurechtkam. Die Versuchung, mir den Pulli über Mund und Nase zu ziehen, war groß. Da ich jedoch bald Adrian gegenüberstehen würde und er nicht erfahren durfte, dass der Geisterbann nicht mehr wirkte, musste ich darauf verzichten.

Nicholas schoss durch die Mauer. Mich traf fast der Schlag, als er keinen Meter vor mir aus dem Nichts auftauchte. Daran konnten weder seine erhobenen Hände noch das »Ich bin es nur« etwas ändern, mit dem er mich zu beruhigen versuchte.

»Wie sieht es aus?«

»Es ist alles aufgebaut«, sagte er. »Zumindest sieht alles so aus wie damals im Haus.« Die Nachricht hätte mich erschrecken sollen, immerhin wusste ich, wozu die Aufbauten dienten. Stattdessen verspürte ich Erleichterung. Das Warten war vorüber. Ich konnte endlich etwas tun.

Entschlossen ging ich zum Fenster und riss es so fest auf, dass es gegen die Wand krachte. Die Scheibe zitterte und zerbrach klirrend. Scherben rieselten zu Boden.

»Sam!« Nicholas’ Stimme hinter mir ließ mich herumfahren, halb rechnete ich damit, Adrian schon in der Tür zu sehen, doch da stand nur Nicholas. »Deinen Atem!«

Ich schluckte einen Fluch herunter. Die Besessenheit, endlich etwas unternehmen zu können, hatte mich tatsächlich einen wichtigen Teil unseres Plans vergessen lassen! Wie sollte ich ohne Nicholas’ Hilfe gegen Adrian bestehen? Konzentriere dich!, schalt ich mich. Mit zwei Schritten war ich bei Nicholas und hauchte ihm meinen Atem ein. Kaum spürte ich seine Arme auf meinen, hörte ich Schritte auf dem Gang. Sofort wich Nicholas in den toten Winkel hinter der Tür zurück. Ein Schlüssel wurde ins Schloss gesteckt und herumgedreht, dann wurde die Tür aufgedrückt. Adrian stand auf der Schwelle, eine alte, gebeugte Gestalt, und sah mich an.

»Du bist deine Fesseln schon wieder losgeworden.«

Ich wollte ihm eine locker flockige Erwiderung um die Ohren hauen und mich auf ihn stürzen, doch sein Anblick ließ all meine Entschlossenheit verfliegen. Wie gelähmt hielt ich mitten in der Bewegung inne. Ich starrte in sein faltiges Antlitz und sah darunter doch nur das Gesicht des anderen, jungen Adrians, der bereit gewesen war, mich kalt lächelnd umzubringen – der es immer noch war.

Dieser Augenblick des Zögerns kostete uns das Überraschungsmoment.

Obwohl Nicholas sofort hinter der Tür hervorschoss und zum Angriff überging, konnte uns das nicht mehr retten. Adrian, der seine Anwesenheit gehört oder gespürt haben musste, fuhr herum. Seine Gesichtszüge entgleisten, er wich zwei Schritte zurück, hatte sich jedoch schnell wieder unter Kontrolle.

»Wie kommst du hierher? Du kannst gar nicht …« Sein Blick schoss zu mir und fing sich an dem Amulett, das noch immer um meinen Hals hing. »Laura«, stieß er hervor. »Dieses Miststück hat uns hereingelegt.«

Er wollte noch mehr sagen, aber Nicholas stürzte sich auf ihn und erstickte damit jedes weitere Wort. Er versuchte Adrian zu fassen zu bekommen. Das war der Plan: Ihn zu packen und zum Stillhalten zu zwingen, damit Ed sich zurückholen konnte, was ihm gehörte.

Adrian wand sich und entzog sich dem Griff seines Bruders, der sofort nachsetzte. Er verpasste ihm einen Kinnhaken, der Adrian zurücktaumeln ließ, und unternahm einen erneuten Versuch, ihn festzuhalten.

Endlich erwachte ich aus meiner Erstarrung. Ich näherte mich den beiden von der Seite und suchte nach einem Weg, ebenfalls einzugreifen und Nicholas zu Hilfe zu kommen. Mit meiner Angst hatte ich es versaut! Hätte ich nicht die Kontrolle verloren und Adrian stattdessen angegriffen, sobald er den Raum betrat, hätte Nicholas ihn längst in seiner Gewalt.

Langsam umkreiste ich die beiden. Endlich bekam Nicholas seinen Bruder zu fassen. Er drehte Adrian den Arm auf den Rücken, bis dieser vor Schmerz aufheulte. Ein Ruck und eine halbe Drehung, dann hatte Nicholas ihn unter Kontrolle. Als ich näher kam, schüttelte er den Kopf. Ich blieb stehen und wartete darauf, dass Ed sich den Atem nahm.

Tatsächlich zuckte Adrian plötzlich zusammen und riss den Kopf zurück. Nicholas verstärkte seinen Griff, dann veränderte sich etwas in seinem Blick. Schrecken mischte sich unter die Sicherheit, die gerade noch darin gelegen hatte.

»Was –« Ich erkannte das Problem, noch bevor ich die Frage ausgesprochen hatte: Ich hatte ihm nicht genug Leben eingehaucht. Er wurde durchlässig! Seine Finger versanken in Adrians Arm, was dieser mit einem Lachen quittierte.

Nicht genug, dass ich uns das Überraschungsmoment versaut hatte, nein, ich hatte auch versäumt, Nicholas meinen Atem zu geben, bevor ich Adrian auf mich aufmerksam machte. Was ich ihm danach noch geben konnte, war nicht genug gewesen. Ich hätte heulen können vor Wut und Entsetzen.

Bemüht, meinen Fehler wiedergutzumachen, suchte ich nach einem Weg an Adrian vorbei. Es würde jedoch nicht genügen, zu Nicholas zu gelangen. Wir mussten ein paar Sekunden gewinnen, in denen ich ihm – von Adrian unbehelligt – meinen Atem einhauchen konnte.

»Komm nicht näher«, warnte Nicholas und verlor das letzte bisschen Stofflichkeit, mit der er Adrian noch gehalten hatte. »Sieh zu, dass du hier rauskommst. Ich nehme mir deinen Atem auf dem Gang.«

Seiner Aufforderung folgend, fuhr ich herum und lief auf die Tür zu.

»Hier geblieben!« Eine Hand schloss sich um meinen Arm und riss mich zurück.

Ich versuchte den Griff abzustreifen, doch die Finger gruben sich nur noch fester in mein Fleisch. Für einen alten Mann war Adrian erschreckend kräftig. Deutlich kräftiger, als ich ihn vor einigen Wochen im Herrenhaus erlebt hatte. Es musste mit Eds Lebenskraft zu tun haben, die er nun in sich trug.

Ich trat nach ihm und versuchte mich ihm zu entwinden. Tatsächlich verschwand der Klammergriff an meinem Arm, doch ich war noch lange nicht frei. Stattdessen packte er mich an den Haaren und zerrte mich hinter sich her auf den Gang.

»Genug gespielt«, zischte er. »Mit dir verschwende ich keine Zeit mehr.«

»Lass mich raten …« Keuchend griff ich nach meinen Haaren und versuchte zumindest ein wenig Spannung von meiner protestierenden Kopfhaut zu nehmen. »Dir geht die Kraft aus.«

Als er nicht antwortete, wusste ich, dass ich recht hatte. Eds Atem hatte ihn ins Leben zurückgeholt und ihm für eine Weile eine gewisse Stärke verliehen. Das Leben würde ihm bleiben, doch schon bald wäre er wieder der gebrechliche alte Mann, der er laut allen Naturgesetzen auch sein sollte. Dann käme er nicht einmal mehr gegen mich an. Und das wollte er verhindern.

Er zerrte mich den Gang entlang auf die offene Labortür zu. »Mit dir werde ich auch ohne die Hilfe dieser beiden Trottel fertig.«

Ob Lauras Begleiter wussten, dass sie bei ihm nicht sonderlich hoch im Kurs standen?

Mit jedem Schritt, mit dem das Labor näher kam, wuchs meine Panik. Auf eigenen Beinen dorthin gebracht zu werden, statt auf Adrians Seziertisch zu mir zu kommen, machte es nicht besser.

Adrian überquerte die Schwelle und zog mich hinter sich her. Als jedoch der Türstock in Reichweite kam, klammerte ich mich daran fest und sperrte mich dagegen, mich in den Raum schleifen zu lassen. Es gab einen heftigen Ruck, ein Gefühl, als würde mir die Schädeldecke weggerissen. Dann war ich frei von seinem Griff. Adrian, der nur noch ein abgerissenes Büschel meiner Haare zwischen den Fingern hielt, fuhr herum und versuchte, mich wieder zu fassen zu bekommen. Ich holte aus und rammte ihm ein Knie zwischen die Beine. Keuchend krümmte er sich zusammen. Ohne abzuwarten, ob er zu Boden ging oder sich wieder fing, machte ich kehrt und stürmte auf die Treppe zu.

Ich spürte Kälte um mich herum und hoffte, dass es Ed war, der mir folgte, und nicht eine Horde anderer Geister, die nach meinem Atem gierte.

Auf halbem Weg zur Treppe hing eine Glühbirne an einem langen Kabel von der Decke. Einer Eingebung folgend, streckte ich den Arm aus und verpasste ihr im Vorüberlaufen einen kräftigen Stoß. Die Glühbirne knallte gegen die Decke und zersprang. Dunkelheit breitete sich aus, lediglich aufgeweicht von dem bisschen Licht, das aus dem Labor hinter mir auf den Gang sickerte.

Ich hatte die Treppe erreicht. Als ich den Fuß auf die erste Stufe setzte, fragte ich mich, ob das ein Fehler war und ob es nicht besser wäre, in den Kellerraum zurückzulaufen, um sicherzugehen, dass Ed auch wirklich da war. Doch abgesehen davon, dass mich keine zehn Pferde dazu gebracht hätten, mich freiwillig in diese Falle zu begeben, wäre Adrian sicher misstrauisch geworden, wenn ich es getan hätte. Alles andere als der direkte Fluchtweg war nicht nur undenkbar, sondern auch unglaubwürdig.

Ich lief etwas mehr als die Hälfte der langen Treppe nach oben, bis mich das Licht aus dem Labor nicht mehr erreichte. Vorsichtig tastete ich mich durch die Schwärze voran, als Nicholas vor mir auftauchte. Ohne das schwache Leuchten, das seine geisterhafte Erscheinung im Dunkeln umgab, hätte ich ihn nicht bemerkt.

»Deinen Atem«, verlangte er und drückte noch im selben Moment seine Lippen auf meine, drängend und ohne jede Zärtlichkeit.

Ich atmete mehrfach aus, presste so viel Luft aus meinen Lungen, wie ich nur konnte, und flößte sie ihm selbst dann noch ein, als ich längst seine Arme um mich herum spürte. Erst, als meine Knie nachgaben, ließ er von mir ab. Mit jedem Stück, das er an Substanz gewann, war das Leuchten verschwunden, das ihn für meine Augen aus der Dunkelheit hervorgehoben hatte. Ich konnte kaum mehr als die schemenhaften Umrisse seiner Gestalt erahnen. Er schob mich sanft zur Seite und ich lief die letzten Stufen bis zum Ende der Treppe nach oben. Vor der Tür hielt ich inne. Ich musste einfach wissen, was passierte.

Adrian erschien am Fuß der Treppe. In das dünne Licht getaucht, das von hinten auf ihn fiel, wirkte sein Gesicht wie das des Toten, der er war. Die bleiche Haut spannte über die Knochen, die tief liegenden Augen waren von dunklen Schatten umgeben und seine Lippen nicht mehr als zwei aufeinandergepresste Striche. Die ersten sieben oder acht Stufen lagen hinter ihm, als Nicholas aus den Schatten trat und sich ihm – deutlich sichtbar in den letzten Ausläufern des Lichts – in den Weg stellte.

»Du!« Adrian hielt abrupt inne. »Wann wirst du begreifen, dass es sinnlos ist, mir in die Quere zu kommen?« Er mochte fest und entschlossen klingen, trotzdem wich er eine Stufe zurück.

Nicholas folgte ihm, erst eine Stufe, dann noch eine. Als er unmittelbar vor Adrian aufragte, versetzte er ihm einen Stoß vor die Brust. Adrian geriet ins Straucheln. Er versuchte sich abzufangen, verfehlte das Treppengeländer jedoch und griff ins Leere. Wie in Zeitlupe kippte er rückwärts, überschlug sich einmal, stürzte die letzten Stufen hinab und blieb liegen.

Ich ging in die Hocke, um den unteren Teil der Treppe besser überblicken zu können. Nicholas setzte seinem Bruder sofort nach, packte ihn am Kragen und zog ihn auf die Beine.

Adrian lachte wild. »Du willst es wohl noch einmal versuchen, was? Offensichtlich hat dich mein Atem schon beim letzten Mal nicht lebendig machen können. Vielleicht solltest du einfach aufgeben?« Er wirbelte herum und verpasste Nicholas einen Fausthieb, der ihn wanken ließ. Wieder lachte er. »Alles, was ich tun muss, ist, dich so lange zu beschäftigen, bis die Wirkung ihres Atmens nachlässt. Dann hole ich mir deine Süße.« Irrsinn schwang in seiner Stimme mit. Als er sich vorbeugte und mich direkt ansah, wurde mir ganz anders.

Auch Nicholas sah jetzt zu mir hoch. »Verschwinde, Sam!«

Adrian nutzte den Moment der Ablenkung. Mit einer ruckartigen Drehung befreite er sich aus Nicholas’ Griff, wirbelte herum und schlug erneut zu. Nicholas konnte gerade noch seinen Arm in die Luft reißen, um den Schlag abzufangen. Statt zurückzuschlagen, warf er sich nach vorn. Sein Angriff brachte Adrian aus dem Gleichgewicht. Nicholas ließ sich einfach fallen, riss seinen Bruder mit sich zu Boden und begrub ihn unter sich.

Für den Moment hatte Adrian die Kontrolle über den Kampf verloren. Ein Moment, der Nicholas genügte, seinen Bruder auf den Bauch zu rollen, ihm das Knie ins Kreuz zu stemmen und die Arme auf den Rücken zu drehen. Adrian keuchte und wand sich in seinem Griff, konnte sich jedoch nicht befreien – nicht, wenn er nicht riskieren wollte, dass Nicholas ihm den Arm ausrenkte oder gar brach.

»Na los«, keuchte er. »Nimm dir, was du haben willst. Töte mich!«

»Ich werde dich nicht umbringen.« In Nicholas’ Stimme schwang so viel Wut mit, dass mir ganz kalt wurde.

Adrian hingegen hatte dafür nur erneutes Gelächter übrig. »Dann warten wir doch einfach, bis dein Griff an meinem Arm verschwindet und ich dich nicht mehr sehen kann, Bruderherz.«

»Dass ich dich nicht umbringen werde, bedeutet nicht, dass du am Leben bleibst.« Nicholas stand auf und zog Adrian mit sich auf die Beine, ohne seinen schraubstockartigen Griff zu lockern.

»Was denn? Soll das etwa deine Hexe erledigen?«

Nicholas drehte ihn herum, bis sein Gesicht dem Gang zugewandt war. »Sheriff!«

Ich wusste, dass Ed da war, als Adrian zurückzuweichen versuchte. Nicholas’ Griff ließ ihm jedoch keinen Spielraum. Unglauben breitete sich auf seinen Züge aus, gefolgt von Entsetzen. Sein Mund war aufgerissen, doch kein Schrei kam über seine Lippen. Adrians Augen wurden riesig, quollen vor Panik fast aus den Höhlen, als der Sheriff plötzlich vor ihm sichtbar wurde. Während Ed an Substanz gewann, packte er Adrian am Kinn und zwang ihn, still zu halten. Seine Finger krallten sich in Adrians Fleisch, wo sie tiefe Abdrücke hinterließen. Adrian zappelte und versuchte vergebens, seinen Kopf fortzureißen und sich Nicholas zu entwinden. Seine Gegenwehr wurde von Sekunde zu Sekunde schwächer, doch Ed ließ nicht von ihm ab. Auch dann nicht, als er in Nicholas’ Griff zusammensackte. Ein Schemen, etwas, was aussah wie ein durchscheinendes Ebenbild des Sheriffs, glitt durch die Wand auf Ed zu und schien mit ihm zu verschmelzen. Ich hätte wetten mögen, dass Eds Leichnam nicht länger auf dem Friedhof lag.

Adrians Atem erstarb. Als auch das Leben aus seinen Augen wich, gab Ed ihn frei und trat zurück.

Nicholas ließ den Leichnam seines Bruders fallen.

Verwundert blickte der Sheriff an sich herab, hielt seine Hände in die Höhe und betrachtete sie, nur um die Handflächen gleich darauf gegen die Wand zu drücken. Als sie nicht im Mauerwerk einsanken, lächelte er.

Es hatte funktioniert.

Meine Knie zitterten vor Erleichterung, als ich die Treppe nach unten lief. Neben Nicholas blieb ich stehen, schob meine Hand in seine und sah Ed an. »Alles in Ordnung?«

Ed nickte.

Mein Blick fiel auf Adrians Leichnam. Im Tod hatte er jeden Schrecken für mich verloren. Alles, was von ihm geblieben war, war der kraftlose Körper eines alten Mannes, dessen Zeit abgelaufen war. Ein Mann, den ich nicht länger zu fürchten brauchte. Und genau so wollte ich ihn in Erinnerung behalten. »Wie sollen wir den Behörden erklären, dass er hier liegt?«

»Gar nicht«, sagte Ed. »Wir packen ihn wieder da hin, woher er gekommen ist – in die Gruft. Aber erst muss ich wissen, ob Laura in Ordnung ist.«

Er war so schnell an mir vorbei, auf dem Weg nach oben, dass ich mich fragte, ob er aus dem Totenreich eine übermenschliche Schnelligkeit mitgebracht hatte.

Nicholas und ich blieben allein im Keller zurück. Zum zweiten Mal innerhalb kürzester Zeit hatte er seinen Bruder sterben sehen. Und zum zweiten Mal hatte er einen Beitrag zu seinem Tod geleistet. Im Gegensatz zum letzten Mal trug nun ein anderer Adrians Leben in sich – auch wenn es nur geliehen gewesen war.

»Geht es dir gut?«

Nicholas sah mich an und zu meinem Erstaunen lächelte er. »Wir haben es geschafft.«

Das beantwortete meine Frage nicht wirklich. Ich wollte wissen, wie er sich dabei fühlte, drängte ihn aber nicht weiter. Stattdessen nickte ich. »Und dieses Mal war es auch gar nicht so schwer.«

Tatsächlich war es überraschend einfach gewesen, mit Adrian fertig zu werden. Fast schon zu einfach. Der Gedanke löste sich jedoch in Luft auf, als mir bewusst wurde, dass uns der schwierigste Teil noch bevorstand. Adrian Crowley mochte tot sein, doch da draußen war immer noch ein Heer von Geistern unterwegs, das gebannt werden musste.

33

Nicholas und ich verließen den Keller Hand in Hand.

Vor dem Haus erwarteten uns Mike und die anderen, wobei Mike der Einzige war, der uns Beachtung schenkte. Ed hielt Laura fest umschlungen und schien nicht einmal zu bemerken, dass wir da waren.

»Mike!«, rief ich, erleichtert, ihn zu sehen. »Ist bei euch alles glatt gelaufen?«

»Leider nicht. Lauras Bruder ist tot.« Er erzählte von einem Gerangel und einem Schuss, der sich gelöst und Lauras Bruder tödlich getroffen hatte. »Den anderen habe ich hinten in den Streifenwagen gesperrt«, schloss er seinen knappen Bericht.

Mein Blick wanderte zu Laura. Erst jetzt fiel mir auf, dass sie weinte und Ed ihr immer wieder tröstend über den Rücken strich. Ihr Bruder mochte auf der falschen Seite gestanden haben, trotzdem tat es mir leid, dass es so für ihn geendet hatte.

»Was machen wir jetzt?«, wollte Mike wissen.

Ich spürte die Kälte, die sich um mich herum zusammenzog, und konnte nicht verhindern, dass es mich schüttelte. »Lasst uns erst einmal von hier verschwinden, fort aus der Reichweite der Geister.«

Da wir mit Nicholas nicht in mein geistersicheres Haus konnten, zogen wir uns erst einmal auf die andere Seite des Absperrgitters auf den Parkplatz zurück. Ed und Laura folgten uns, eine Hand hielt sie eng an den Körper gepresst. Mittlerweile hatte sie sich die Tränen abgewischt und unter die Trauer um ihren Bruder, die ihr deutlich anzusehen war, mischte sich etwas anderes – die Erleichterung, dass zumindest Ed am Leben war.

»Bleiben noch die Geister«, fasste Mike unser Problem zusammen.

Ed sah mich an. »Haben Sie einen Bann gefunden?«

Ich war noch nicht bereit, Nicholas aufzugeben. Solange ich nicht alle anderen Möglichkeiten ausgeschlossen hatte, würde ich für mich behalten, was wir gefunden hatten. Unglücklicherweise lag diese Entscheidung nicht allein in meiner Hand. Ich spürte Mikes Blick auf mir. Als ich aufsah, betrachtete er mich mit einer Mischung aus Bedauern und Entschlossenheit. Es muss sein, schienen seine Augen zu sagen.

»Das haben wir«, beantwortete er Eds Frage an meiner Stelle.

musste,’––