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Für Natasha Tomic, die als Erste den Ausdruck »Rush Crush« verwendete. Du hast hinter mir gestanden, mich zum Lachen gebracht, meinen Sorgen gelauscht und mit mir zusammen mehr als ein Gläschen Wein genossen. Im Lauf des letzten Jahres hast du dich von einer hilfreichen Fanbloggerin zu einer echten Freundin entwickelt.

Prolog

Es heißt, Kinder hätten die reinsten Herzen. Sie würden keinen Hass empfinden, weil ihnen dieses Gefühl fremd sei. Sie würden schnell vergeben und vergessen.

Die Leute behaupten eine Menge Quatsch, weil sie dann nachts besser schlafen können. Rührselige Klischees dieser Art landen früher oder später als Spruch an der Wand, um diejenigen, die daran vorbeikommen, zum Lächeln zu bringen.

Ich sehe das anders. Kinder lieben leidenschaftlicher als jeder Erwachsene. So viel steht fest. Das weiß ich genau, und zwar aus eigener Erfahrung. Als Kind war ich mit Gefühlen von Hass ebenso vertraut wie mit der Liebe. Und beides verzehrte mich völlig. Veränderte mein Leben. Und machte mich allem anderen gegenüber blind.

Rückblickend wünschte ich mir, jemand hätte miterlebt, wie meine Mutter die Saat des Hasses in mir und meiner Schwester säte. Hätte uns jemand vor den Lügen und der Bitterkeit bewahren können, die sie in uns keimen ließ, dann wäre vielleicht alles ganz anders gekommen.

Dann hätte ich mich nie so idiotisch benommen. Und ich wäre nicht schuld daran, dass sich eine junge Frau ganz allein um ihre kranke Mutter kümmern musste. Ich hätte nicht verschuldet, dass ebendiese junge Frau am Grab ihrer Mutter stand und glauben musste, die letzte Person auf Erden, die sie liebte, sei tot. Und mich träfe auch keine Schuld, dass sich ein Mann zugrunde richtete, dessen Leben schließlich nur noch eine zerbrochene, leere Hülle war.

Doch niemand bewahrte mich davor.

Bewahrte uns davor.

Wir haben die Lügen geglaubt. Wir haben an unserem Hass festgehalten, und ich habe das Leben eines unschuldigen Mädchens zerstört. Ich, ganz allein.

Es heißt, man erntet, was man gesät hat. Auch das ist Unsinn. Denn dann müsste ich für meine Sünden in der Hölle schmoren und dürfte nicht jeden Morgen mit dieser schönen Frau an meiner Seite aufwachen, die mich bedingungslos liebt. Und ich dürfte meinen Sohn nicht in den Armen halten und das Leben genießen.

Doch genau das tue ich.

Denn schließlich ist doch noch jemand zu meiner Rettung gekommen. Dabei habe ich das gar nicht verdient. Wenn jemand unbedingt hätte gerettet werden müssen, dann meine Schwester! Sie hat sich nicht durch ihren Hass leiten lassen. Sie hat nicht das Leben unserer Familie manipuliert, ohne sich über die Folgen Gedanken zu machen. Aber noch immer hält ihre Bitterkeit sie in eisernem Griff, während ich davon befreit worden bin. Durch eine junge Frau …

Nein, sie ist nicht nur eine Frau. Sie ist ein Engel. Mein Engel. Ein schöner, starker, leidenschaftlicher und treuer Engel, der in einem Pick-up in mein Leben gefahren kam – mit einer Knarre im Gepäck.

1. Kapitel

Sorry, aber das hier wird jetzt keine dieser typischen bezaubernden Liebesgeschichten. Dafür ist sie leider viel zu abgefuckt. Doch vom unehelichen Sohn des legendären Drummers einer der heiß begehrtesten Rockbands der Welt erwartet man ja wohl auch nichts anderes. Erst recht nicht, wenn man wie ich dazu noch größtenteils von einer selbstsüchtigen, verwöhnten und egoistischen Mutter großgezogen wurde.

Es gibt so viele Orte, an denen ich diese Geschichte beginnen lassen könnte. In meinem Kinderzimmer, wo ich meine weinende Schwester Nan tröstend in die Arme nahm, nachdem meine Mutter ihr mal wieder irgendeine Grausamkeit an den Kopf geworfen hatte. An der Haustür, wo Nan mit verheultem Gesicht zuschaute, wie mein Vater mich übers Wochenende abholte, und sie allein zurückbleiben musste. Beides kam häufig vor und hat mich für immer geprägt. Es tat mir in der Seele weh, sie weinen zu sehen. Und doch gehörte das zu meinem Leben.

Wir teilten uns dieselbe Mutter, hatten aber verschiedene Väter. Meiner war ein berühmter Rockstar, der mich jedes zweite Wochenende und in den Sommerferien einen Monat lang zu sich in eine Welt voller »Sex, Drugs and Rock 'n' Roll« mitnahm. Er versetzte mich nie, kam nie mit irgendwelchen Ausflüchten daher. Er war immer zur Stelle. Trotz all seiner Unzulänglichkeiten kreuzte Dean Finlay zuverlässig auf und holte mich ab. Selbst wenn er nicht nüchtern war: Er kam.

Nans Vater dagegen kam nie. Wenn ich weg war, war sie allein, und auch wenn ich die Zeit mit meinem Dad sehr genoss, ließ mir der Gedanke keine Ruhe, dass sie mich eigentlich gebraucht hätte. Denn im Grunde ersetzte ich Nan die Eltern und war die einzige Person, die sich verlässlich um sie kümmerte. Ich wurde dadurch schnell erwachsen.

Wenn ich meinen Dad darum bat, sie doch auch mitzunehmen, schüttelte er nur traurig den Kopf. »So gern ich das täte, mein Sohn, es geht nicht. Das würde deine Mom nicht erlauben.«

Genauere Erklärungen ersparte er sich, und mir war sofort klar: Wenn meine Mutter es verbot, brauchte ich mir keine Hoffnungen zu machen. Zu gern hätte ich meinen Hass darüber auf jemanden gelenkt, aber wie konnte ich meine Mutter hassen? Sie war meine Mom. Und ich ein Kind.

Also suchte ich nach einer anderen Zielscheibe für meinen Hass und meine Empörung über Nans trauriges Leben. Und fand sie in dem Mann, der sie nie besuchen kam. Dem Mann, dessen Blut in ihren Adern floss und der sich nicht mal dazu aufraffen konnte, ihr zum Geburtstag wenigstens eine Karte zu schicken. Er hatte jetzt seine eigene Familie. Ein Mal war Nan dort zu Besuch gewesen.

Sie hatte Mutter gezwungen, mit ihr zu seinem Haus zu fahren. Sie wollte mit ihm sprechen und ihm dabei ins Gesicht sehen. Nan war überzeugt, dass er sie dann sofort in sein Herz schließen würde. Ich glaube, insgeheim redete sie sich ein, Mutter hätte ihrem Vater nichts von ihr erzählt und er würde zu ihr eilen und sie liebevoll in die Arme schließen, sobald er von ihrer Existenz erfuhr. Und ihr die Liebe schenken, nach der sie sich so sehnte.

Sein Haus war kleiner gewesen als unseres. Um einiges kleiner. Es lag eine siebenstündige Autofahrt entfernt in einem Kaff in Alabama. Nan erzählte, das Haus sei wunderschön gewesen. Mutter dagegen hatte es als Bruchbude abgetan. Allerdings war es nicht das Haus gewesen, das Nan nicht mehr aus dem Kopf ging. Auch nicht der kleine Lattenzaun, den sie mir ausführlich beschrieb. Oder der Basketballkorb, der draußen hing, und auch nicht die an der Garage lehnenden Fahrräder.

Nein, es war das Mädchen gewesen, das ihnen die Tür aufgemacht hatte. Es hatte lange, fast schon weißblonde Haare und hatte Nan an eine Prinzessin erinnert, allerdings eine, die dreckige Tennisschuhe trug. Nan hatte noch nie Tennisschuhe besessen oder war je auch nur in die Nähe von Dreck gekommen. Das Mädchen hatte sie angelächelt, und Nan war einen Augenblick lang völlig hingerissen gewesen. Dann hatte sie an der Wand hinter dem Mädchen die Bilder entdeckt. Bilder von einem weiteren Mädchen genau wie diesem. Und einem Mann, der beide an den Händen hielt und über das ganze Gesicht strahlte.

Er war der Vater der beiden Mädchen!

Und das hier war eine der beiden Töchter, die er liebte. Selbst aus Nans kindlichem Blickwinkel war nicht zu übersehen, dass er auf diesen Fotos glücklich wirkte. Er vermisste das Kind nicht, das er zurückgelassen hatte. Das, von dessen Existenz er wusste, wie ihr Mutter immer wieder versicherte.

Alles, was unsere Mutter ihr über die Jahre zu erzählen versucht hatte und das sie nicht hatte glauben wollen, ergab plötzlich einen Sinn. Mutter hatte tatsächlich nicht gelogen. Nans Vater hatte nichts von ihr wissen wollen, weil er dieses andere Leben führte. Mit diesen beiden hübschen, engelsgleichen Töchtern und einer Frau, die ihnen so ähnelte.

Diese Fotos an der Wand hatten Nan noch Jahre danach verfolgt. Einmal mehr hätte ich meine Mutter am liebsten dafür gehasst, dass sie Nan dort hingebracht und ihr die Wahrheit unter die Nase gerieben hatte. Zuvor hatte Nan sich zumindest noch ihren Wunschträumen hingeben können, doch damit war es nun aus und vorbei. Stattdessen wuchs der Hass auf ihren Vater und seine Familie.

Sie hatten meine kleine Schwester um das Leben gebracht, das eigentlich ihr zugestanden hätte. Um einen Vater, der sie hätte lieben können. Diese Mädchen verdienten ihn nicht mehr, als Nan es tat. Und diese Frau – die, mit der er verheiratet war – setzte ihre Schönheit und die beiden Mädchen ein, um ihn von Nan fernzuhalten. Ich hasste sie alle.

Schließlich ließ ich mich von diesem Hass leiten. Aber eigentlich beginnt die Geschichte damit, dass Blaire Wynn mit nervöser Miene und dem Gesicht eines Engels in mein Haus marschiert kam.

Mein schlimmster Albtraum …

Ich hatte Nan erklärt, dass ich an diesem Abend keine Gäste bei mir zu sehen wünsche, aber sie hatte trotzdem welche eingeladen. Für meine kleine Schwester besaß ein Nein grundsätzlich keine Verbindlichkeit. Ich lehnte mich auf der Couch zurück, streckte die Beine vor mir aus und trank einen Schluck Bier. Ich musste hier so lange ausharren, bis ich sicher sein konnte, dass die Dinge nicht aus dem Ruder liefen. Nans Freunde waren jünger als meine und randalierten ab und zu gern mal ein bisschen. Aber ich drückte ein Auge zu, weil es Nan glücklich machte.

Nans in letzter Zeit ohnehin miese Laune hatte einen neuen Tiefpunkt erreicht, als Mom sich mit ihrem neuen Ehemann, Nans noch immer desinteressiertem Vater, nach Paris aufgemacht hatte. Daher hoffte ich, die Party würde sie etwas aufmuntern können. Und wünschte mir nur, dass meine Mom wenigstens einmal in ihrem Leben nicht nur an sich gedacht hätte.

Grants Stimme riss mich aus meinen Gedanken. »Rush, darf ich dir Blaire vorstellen? Ich habe sie draußen vor der Einfahrt aufgelesen, und ich glaube, sie gehört zu dir. Sie wirkte ein wenig verloren.« Ich sah zu meinem Stiefbruder auf und warf dann einen Blick auf das Mädchen neben ihm. Holla, dieses Gesicht kannte ich doch! Es war nun älter, aber es bestand kein Zweifel.

Scheiße!

Sie war eine von ihnen. Ihre Namen hatte ich nie herausbekommen, aber ich erinnerte mich, dass es zwei davon gegeben hatte. Diese hier war also … Blaire. Ich sah mich nach Nan um und entdeckte sie mit finsterer Miene in der Nähe stehen. Verdammt, das konnte nicht gut gehen. Kapierte Grant eigentlich, wen er da im Schlepptau hatte?

»Ist dem so?« Ich zermarterte mir das Hirn, wie ich sie am besten wieder loswurde – und zwar schnell. Nan würde garantiert jede Minute ausrasten. Ich musterte das Mädchen, dessen Existenz meiner Schwester das Leben so schwer gemacht hatte. Zugegeben, sie sah zum Anbeißen aus. In ihrem herzförmigen Gesicht fielen einem als Erstes ihre großen blauen Augen mit den längsten natürlichen Wimpern auf, die ich bei einer Frau je gesehen hatte. Seidige platinblonde Locken fielen sanft auf ein Paar wirklich hübscher Titten, die sie durch ein enges Tanktop noch in Szene setzte. Verdammt! Yeah … sie musste schleunigst verschwinden! »Ganz niedlich, aber leider zu jung. Sie gehört nicht zu mir.«

Die Kleine zuckte zusammen. Hätte ich sie nicht genau beobachtet, wäre es mir entgangen. Ihre verstörte Miene ergab keinen Sinn. Schließlich musste sie beim Betreten dieses Hauses ja gewusst haben, dass sie nicht willkommen sein würde. Warum strahlte sie so eine Unschuld aus?

»O doch, ich glaube schon. Ihr Daddy hat sich mit deiner Mommy für die nächsten Wochen nach Paris abgesetzt. Also bist du jetzt für sie zuständig, würde ich sagen. Aber ich biete ihr auch gern ein Zimmer bei mir an, wenn dir das lieber ist. Vorausgesetzt, sie verspricht, ihre Knarre hübsch im Wagen zu lassen.« Grant amüsierte sich köstlich. Idiot! Der wusste doch ganz genau, wer sie war. Und genoss es, dass Blaires Gegenwart Nan aus der Fassung brachte. Grant tat alles, um Nan auf die Palme zu treiben.

»Deshalb gehört sie noch lange nicht zu mir«, erwiderte ich. Hoffentlich verstand sie den Wink und zog Leine.

Grant räusperte sich. »Du machst Witze, oder?«

Ich trank einen Schluck Bier und sah Grant dann durchdringend an. Ich hatte jetzt keinen Bock auf Grants und Nans Spielchen. Das ging zu weit. Das Mädchen musste verschwinden.

Sie sah sowieso aus, als würde sie am liebsten Reißaus nehmen. Offensichtlich hatte sie einen anderen Empfang erwartet. Meine Güte, hatte sie wirklich gedacht, ihr lieber alter Daddy würde ihr hier einen großen Bahnhof machen? Was für ein Bullshit. Sie hatte doch vierzehn Jahre ihres Lebens mit ihm verbracht. Ich kannte ihn gerade mal ein paar Jahre und wusste, was für eine Nullnummer er war.

»Heute Abend habe ich das Haus voller Gäste, und mein Bett ist leider schon belegt.« Ich sah wieder zu Grant. »Am besten sucht sie sich ein Hotel, bis ich ihren Daddy erreiche.«

Blaire griff nach dem Koffer, den Grant in der Hand hielt. »Er hat recht. Ich habe hier nichts verloren. Das war keine gute Idee«, sagte sie, und ihre Stimme versagte dabei kurz. Grant ließ den Koffer erst los, als sie fest daran zog. Ihre Augen glitzerten verdächtig, und mein Gewissen regte sich. Entging mir hier irgendetwas? Erwartete sie wirklich, dass wir sie mit offenen Armen aufnahmen?

Blaire eilte zur Haustür. Ich beobachtete, wie Nan hämisch das Gesicht verzog, als Blaire an ihr vorbeikam.

»Du gehst schon wieder?«, fragte sie Blaire. Die beachtete sie gar nicht.

»Du bist ein herzloses Arschloch! Schon klar, oder?«, knurrte Grant mich an.

Ich war nicht in der Stimmung, mich mit ihm zu streiten. Nan kam mit einem triumphierenden Grinsen zu uns. Sie genoss das Ganze sichtlich. Und ich verstand auch, warum. Für Nan war Blaire einfach nur eine Erinnerung daran, worauf sie in ihrer Kindheit alles hatte verzichten müssen.

»Sie sieht noch genauso aus, wie ich sie in Erinnerung habe. Blass und unscheinbar«, schnurrte Nan und sank neben mir auf die Couch.

Grant schnaubte. »Du bist so blind, wie du gemein bist. Du magst sie hassen, aber bei ihrem Anblick läuft einem das Wasser im Munde zusammen!«

»Lass es«, warnte ich Grant. Nan mochte glücklich wirken, aber ich wusste, ihre Stimmung konnte im Nu kippen.

»Wenn du ihr nicht hinterhergehst, tue ich es. Und bringe sie mitsamt ihrem Knackarsch in meiner Wohnung unter. Ihr beide schätzt sie völlig falsch ein. Sie hat keinen Schimmer! Dein bescheuerter Vater hat ihr angeboten hierherzukommen. Kein Mensch kann sich so gut verstellen!«, meinte Grant und warf Nan einen zornigen Blick zu.

»Dad hätte ihr doch nie im Leben vorgeschlagen, zu Rush zu fahren. Die ist doch hergekommen, um zu schnorren. Sie riecht das Geld. Habt ihr gesehen, was die angehabt hat?« Nan rümpfte angewidert die Nase.

Grant schmunzelte. »Alter, klar habe ich das! Was meinst du denn, warum ich sie unbedingt zu mir nach Hause lotsen will? Sie ist ein absolut heißer Feger, Nan. Mir ist scheißegal, was du dazu sagst. Dieses Mädchen hat nichts Böses im Sinn und weiß nicht, wohin!«

Grant wandte sich zur Tür. Er wollte ihr hinterher. Das konnte ich nicht zulassen. Er ließ sich so leicht verarschen. Ich stimmte ihm ja zu, die Kleine war wirklich nett anzuschauen, aber er dachte mal wieder mit dem Schwanz.

»Halt. Ich mache das!« Ich stand auf.

»Was?«, fragte Nan entsetzt.

Grant trat beiseite und ließ mich vorbei. Auf Nan ging ich gar nicht ein. Grant hatte recht. Ich musste sehen, ob das Ganze Show war oder Blaires dämlicher Vater sie wirklich hierher eingeladen hatte. Ganz zu schweigen davon … dass ich einen Blick auf sie werfen wollte, und zwar ohne Publikum.

2. Kapitel

Als ich aus der Haustür trat, lief Blaire gerade auf einen alten, ramponierten Pick-up zu. Ich zögerte einen Augenblick und fragte mich, ob der wohl ihr gehörte oder jemand sie hergebracht hatte. Grant hatte allerdings niemanden sonst erwähnt. Ich kniff die Augen zu, um in der Dunkelheit besser sehen zu können, doch dafür stand der Pick-up einfach zu weit weg.

Blaire riss die Fahrertür auf, hielt dann inne und holte tief Luft. Es sah fast schon bühnenreif aus, oder hätte es zumindest, wenn sie gewusst hätte, dass sie einen Zuschauer hatte. Doch wie sie so niedergeschlagen und mit hängenden Schultern in den Pick-up kletterte, machte mir klar, dass sie nichts davon ahnte.

Andererseits … vielleicht ja doch? Ich wusste nichts von dieser Frau. Wusste nur, dass ihr Vater ein alter Schmarotzer war. Er nahm, was meine Mutter und Nan ihm gaben, erwiderte ihre Liebesbekundungen jedoch grundsätzlich nicht. Der Typ war eiskalt. Das hatte ich in seinen Augen gesehen. Nan oder meine bescheuerte Mutter bedeuteten ihm rein gar nichts. Er nutzte sie beide nur aus.

Ohne Zweifel: Blaire war eine Schönheit. Doch sie war von diesem Mann großgezogen worden. Sie konnte es faustdick hinter den Ohren haben und ihr tolles Aussehen einsetzen, um zu bekommen, was sie wollte. Ohne Rücksicht auf Verluste.

Ich ging die Stufen hinunter zu dem Pick-up. Sie saß noch immer reglos drin und – wie ich nun sah – völlig allein. Dabei wollte ich, dass sie verschwunden war, bevor Grant herauskam und auf die Show hereinfiel, die sie abzog. Der würde sie doch glatt mit zu sich nach Hause nehmen. Und sie würde sich nehmen, was sie brauchte, bis sie genug von ihm hatte. Ich beschützte nicht nur meine Schwester, nein, ich beschützte auch meinen Bruder vor ihr. Grant wäre eine leichte Beute.

Sie drehte sich um und stieß einen Schrei aus, als sie mich entdeckte. Ihren rot umränderten Augen nach zu urteilen hatte sie wohl echte Tränen vergossen. Nachdem die hier draußen niemand zu sehen bekam, sah das eigentlich nicht nach einer Masche aus.

Ich wartete darauf, dass sie endlich aufhörte, mich so anzustarren, als wäre ich der Fremde hier, wo sie sich doch auf meinem Grundstück befand. Als hätte sie meine Gedanken gelesen, löste sie den Blick von mir und machte Anstalten, den Motor anzulassen.

Nichts.

Immer hektischer versuchte sie, den Pick-up zu starten, doch mehr als ein Klickgeräusch war nicht zu hören. Ich tippte, dass sich in ihrem Tank kein einziger Tropfen Benzin mehr befand. Vielleicht war sie wirklich verzweifelt. Doch ich traute ihr immer noch nicht.

Sie schlug frustriert auf das Steuer des Pick-ups ein, und ich musste unwillkürlich schmunzeln. Wenn ihr Tank komplett leer war, bekam sie ihre Karre so auch nicht wieder flott! Schließlich öffnete sie die Wagentür und blickte zu mir. Wenn dieses Mädel nicht so unschuldig war, wie sie aussah, dann musste sie eine verdammt gute Schauspielerin sein.

»Probleme?«, fragte ich.

Sie wollte nicht so recht damit rausrücken, dass sie nicht wegfahren konnte, das sah man ihr an. Wieder musste ich mir ins Gedächtnis rufen, dass sie Abe Wynns Tochter war. Die, die er großgezogen hatte. Die, für die er Nan all die Jahre im Stich gelassen hatte. Mitleid war völlig fehl am Platz.

»Das Benzin ist alle«, sagte sie mit leiser Stimme.

Was sie nicht sagte! Tja, und nun? Wenn ich sie wieder mit hineinnahm, war Ärger mit Nan vorprogrammiert. Und wenn ich es nicht tat, würde Grant ihr zu Hilfe kommen, und sie würde ihn schamlos ausnutzen.

»Wie alt bist du?«, fragte ich. Das hätte ich eigentlich schon wissen müssen, aber verdammt, ich hielt sie für älter, als sie aussah. Der verängstigte Ausdruck in ihren großen Augen ließ sie jünger erscheinen. Allein die Art, wie sie dieses Tanktop und ihre Jeans ausfüllte, zeigte an, dass sie zumindest volljährig war.

»Neunzehn«, erwiderte sie.

»Wirklich?« Keine Ahnung, ob ich ihr das abnehmen sollte.

»Ja. Wirklich.« Ihre verärgerte Miene war süß. Verflixt. Ich wollte sie nicht süß finden. Ihre Anwesenheit machte alles nur unnötig kompliziert.

»Sorry. Du siehst viel jünger aus.« Dann ließ ich den Blick an ihr hinabwandern. Sie brauchte nicht zu glauben, dass sie mir vertrauen konnte. Denn das war nicht der Fall und würde es nie sein. »Stopp, das nehme ich zurück. Jeder Teil deines Körpers ist definitiv neunzehn. Nur dein Gesicht, das wirkt so frisch und jung. Du trägst kein Make-up?«

Sie schien sich an meiner Frage nicht zu stoßen, doch ihre Miene verdüsterte sich noch mehr. Nicht die erwünschte Wirkung. »Ich habe kein Benzin mehr. Und gerade mal zwanzig Dollar in der Tasche. Mein Daddy hat sich einfach aus dem Staub gemacht, obwohl er mir Hilfe angeboten hatte. Dabei war er die LETZTE Person, die ich darum bitten wollte, das kannst du mir glauben! Nein, ich trage kein Make-up. Ich habe andere Probleme! Und? Holst du jetzt die Polizei oder doch besser den Abschleppdienst? Sollte ich die Wahl haben, dann bitte Ersteres.«

Hatte sie wirklich gerade vorgeschlagen, ich solle die Polizei verständigen? Und hörte ich aus ihrer Stimme etwa Verachtung für ihren lieben alten Dad heraus? Ich hätte schwören können, dass es so war. Vielleicht war er gar nicht der vorbildliche Vater gewesen, für den die kleine Nan ihn damals nach ihrem kurzen Besuch bei ihm zu Hause gehalten hatte. Es klang so, als wäre Abe bei Blaire unten durch.

»Ich mag deinen Vater nicht, aber dir scheint es da ähnlich zu gehen«, sagte ich und ließ den Gedanken sacken, dass sie ein weiteres Opfer Abe Wynns war. Er hatte Nan ihrem Schicksal überlassen, und es klang verdammt danach, als hätte er das mit dieser Tochter auch nicht anders gemacht. Ich war drauf und dran, etwas zu tun, das ich hinterher bereuen würde. »Ein Zimmer ist noch frei heute Abend. Mrs Henrietta, Moms Dienstmädchen, schaut immer nur einmal in der Woche zum Saubermachen vorbei, wenn Mom Urlaub macht. Du kannst es haben. Es ist zwar klein, aber es steht ein Bett drin.«

Die Ungläubigkeit und Erleichterung in ihrem Gesicht entschädigten mich fast schon dafür, dass ich nun ernsthafte Probleme mit Nan bekommen würde. Selbst wenn ich mir verflucht sicher war, dass Blaire und Nan sich in derselben Weise von ihrem Vater im Stich gelassen fühlen mussten, war mir eins klar: Nan würde das partout nicht so sehen. Sie war wild entschlossen, an jemandem ihren Hass auszulassen, und würde sich garantiert auf Blaire einschießen.

»Danke. Mir bliebe ansonsten nur der Pick-up. Da ist dein Angebot mit Sicherheit besser. Vielen Dank!«, presste Blaire hervor.

Fuck. War ich wirklich drauf und dran gewesen, dieses Mädchen in einem Pick-up übernachten zu lassen? Das war viel zu gefährlich! »Wo ist dein Koffer?« Ich wollte die Sache hinter mich bringen und mit Nan reden.

Blaire schlug die Wagentür zu und ging zur Ladefläche ihres Pick-ups. Allerdings war sie viel zu zierlich, um den schweren Koffer allein von der Ladefläche herunterzuwuchten. Ich stellte mich hinter sie und griff danach.

Sie wirbelte herum, und angesichts ihres erstaunten Gesichts musste ich schmunzeln. »Einen Koffer kann ich gerade noch tragen«, sagte ich augenzwinkernd. »So ein Unmensch bin ich nun auch wieder nicht!«

»Noch mal danke«, stammelte sie, und ihre großen, unschuldig wirkenden Augen und meine verschmolzen. Lieber Himmel, ihre Wimpern waren wirklich lang! Mädchen ohne Make-up bekam ich selten zu sehen. Blaires natürliche Schönheit war der Hammer. Ich durfte nicht vergessen, dass ich mir mit ihr nichts als Ärger einhandeln würde. Und dass ich mich lieber hübsch von ihr fernhielt, verdammt! Vielleicht wäre es ja besser gewesen, ich hätte sie ihre Reisetasche selbst tragen lassen. Wenn sie mich für ein Arschloch hielt, blieb sie mir vom Leib.

»Ah, gut, dass du sie aufgehalten hast, Rush! Fünf Minuten, mehr wollte ich dir nicht geben, bevor ich rauskomme. Nicht, dass du sie noch ganz verjagst«, riss mich Grants Stimme aus der Trance, in die mich dieses Mädchen offensichtlich versetzt hatte. Verdammte Hacke, ich musste diesem Scheiß sofort ein Ende machen!

»Bis ich ihren Vater erreiche und wir eine Lösung finden, nimmt sie Henriettas Zimmer.« Ich stieß Grant Blaires Gepäck in die Arme. »Hier, zeig du ihr das Zimmer. Ich muss mich um die Gäste kümmern!«

Weder schaute ich noch mal zu Blaire zurück, noch sah ich Grant direkt an. Ich brauchte Abstand. Und musste dringend mit Nan reden. Glücklich würde sie über diese Entwicklung nicht sein, aber um nichts in der Welt würde ich diese Frau in ihrem Pick-up schlafen lassen. So umwerfend, wie sie aussah, würde sie Aufmerksamkeit erregen und käme damit allein doch gar nicht klar. Verdammt, wieso war ich losgezogen und hatte Abe Wynn in unser Leben geholt? Ohne ihn hätte es die ganzen Probleme nicht gegeben!

Nan stand an der Tür, die Arme vor der Brust verschränkt, und sah mich wütend an. Gut, sie war stinksauer. Solange sie das war, würde sie nicht weinen. Damit konnte ich umgehen. Von klein auf hatte ich mich dafür zuständig gefühlt, ihr über ihren Kummer hinwegzuhelfen. Sobald Nan weinte, wollte ich die Sache in Ordnung bringen.

»Wieso ist sie noch da?«, zischte Nan und sah mir über die Schulter, bevor ich die Tür schließen und ihr den Blick auf Grant versperren konnte, der mit Blaire im Gefolge gerade zum Haus unterwegs war.

»Wir müssen reden.« Ich nahm Nan am Arm und zog sie von der Tür zur Treppe. »Oben. Wenn du vorhast herumzubrüllen, möchte ich nicht, dass andere das mitbekommen«, sagte ich in möglichst strengem Ton.

Nan guckte böse und stapfte dann wie eine Fünfjährige die Treppe hinauf. Ich folgte ihr und hoffte, ich hätte sie weit genug von der Haustür weggelotst, bevor diese aufging. Mit angehaltenem Atem wartete ich, bis wir uns in einem der Zimmer befanden. Nan hatte es immer bewohnt, als das noch unser Sommerhaus war. Bevor ich erwachsen geworden war und mir genommen hatte, was mir gehörte.

»Du kaufst ihr diesen Scheiß ab, oder? Grant hat dich weichgekocht! Wusste ich es doch, dass ich ihm hätte hinterhergehen sollen. Was für ein Schwachkopf! Und er tut das nur, um mich zu ärgern«, keifte sie, noch bevor ich etwas sagen konnte.

»Verdammt, Blaire übernachtet in der Kammer unter der Treppe. Es ist ja nicht so, dass ich sie hier oben einquartiere. Und sie bleibt nur, bis ich Abe erreicht habe und mir überlegen kann, was zu tun ist. Der Tank ihres Pick-ups ist leer, und sie hat kein Geld für ein Hotelzimmer. Wenn du auf jemanden sauer sein willst, schön! Sei wütend auf dieses Arschloch von Abe!« Ich hatte nicht vorgehabt, laut zu werden, aber je länger ich daran dachte, dass Abe sich mit dem Wissen nach Paris davongemacht hatte, dass seine Tochter ohne Geld in einer alten Schrottlaube auf dem Weg hierher war, umso wütender wurde ich. Was hätte Blaire da alles zustoßen können!

»Du findest sie heiß. Das merkt man doch. Ich bin ja nicht blöd. Nur darum geht’s!« Nan zog eine Schnute. »Ich kann ihren Anblick nicht ertragen, Rush. Und das weißt du auch. Sie hatte Abe vierzehn Jahre lang. Jetzt bin ich an der Reihe!«

Ungläubig schüttelte ich den Kopf. Sie dachte, sie hätte jetzt einen Vater? Im Ernst? Er war nach Paris gereist und ließ dort mit dem Geld meiner Mutter die Puppen tanzen, und doch bildete Nan sich ein, sie hätte das Rennen gemacht. »Nan, Abe ist doch der letzte Loser. Diese Blaire hat ihn vierzehn Jahre lang ertragen müssen. Du wirst ja wohl kaum behaupten wollen, dass sie damit das große Los gezogen hat. Jetzt hat er sie einfach mal herbestellt, angeblich, um ihr zu helfen. Und dann schert er sich einen Dreck darum, wie leicht sie in ihrer Arglosigkeit jemandem mit bösen Absichten ins offene Messer rennen könnte!« Ich verstummte abrupt, weil ich schon viel zu viel gesagt hatte.

Nans Augen weiteten sich. »Ach du meine Scheiße! Wehe, du gehst mit ihr ins Bett! Hörst du? Wehe! Sie verschwindet von hier, sobald du sie rauswerfen kannst. Ich will sie hier nicht sehen!«

Nan war so halsstarrig, dass ich genauso gut gegen eine Wand hätte reden können. Solche Gespräche würde ich mir in Zukunft sparen. Nan konnte Forderungen stellen, so viel sie wollte, aber dieses Haus gehörte mir. Ihre Wohnung im Übrigen auch. Wie überhaupt alles in ihrem Leben. Also war ich derjenige, der sagte, wo’s langging – nicht sie.

»Jetzt lass dich mal wieder auf deiner Party blicken. Ich geh schlafen. Lass mich nur machen, ich kriege das schon hin.« Ich wandte mich zur Tür.

»Aber du willst sie flachlegen, stimmt’s?«, fragte Nan hinter mir.

Ich wollte nicht, dass sie im Zusammenhang mit Blaire diesen Ausdruck benutzte. Denn das – zum Teufel noch mal! – brachte mich dazu, mir auszumalen, wie Blaires weißblondes Haar auf meinem Kissen ausgebreitet lag und wie sie zu mir aufsah, während sie kam. Ich gab Nan keine Antwort. Ich würde Blaire Wynn nicht flachlegen, nein, ich würde einen größtmöglichen Bogen um sie machen. Aber herumdirigieren ließ ich mich von Nan nicht. Ich entschied selbst, was ich zu tun und zu lassen hatte.

3. Kapitel

Unten wummerte laute Musik, aber ich wusste, oben in meinem Zimmer würde ich sie nicht hören. Ich hatte keinen Bock auf den ganzen Scheiß da unten. Ich hatte schon keinen darauf gehabt, bevor Blaire Wynn auf der Bildfläche erschienen war, und jetzt erst recht nicht mehr.

»Hier steckst du!«, gurrte eine weibliche Stimme, und als ich mich umdrehte, sah ich eine von Nans Freundinnen aus dem Club auf mich zukommen. Ihr Rock war so kurz, dass ihr halber Po zu sehen war. Nur deshalb hatte ich sie überhaupt bemerkt. Es fiel schließlich schwer, einen Arsch zu übersehen, der einem auf dem Präsentierteller dargeboten wurde. Ihr Name war mir allerdings entfallen.

»Verlaufen?« Dass sie hochgekommen war, gefiel mir gar nicht. Meine Regel lautete, Partys und meinen persönlichen Bereich strikt zu trennen.

Sie streckte ihre Brust heraus, biss sich auf die Unterlippe und klimperte dann mit den Wimpern. Mit langen falschen Wimpern. Kein Vergleich zu Blaires. Ja, verflixt noch mal! Wieso musste ich an Blaire denken?

»Ich bin genau da, wo ich sein will. Bei dir«, flüsterte sie heiser, drückte ihre Glocken an meinen Brustkorb, ließ die Hand hinuntergleiten und griff mir in den Schritt. »Ich habe gehört, wie gut du mit Frauen umgehen kannst. Dass du ihnen Orgasmen verschaffen kannst, die sie zum Schreien bringen, und das immer und immer wieder.« Sie drückte mich sanft. »Bring mich dazu zu kommen, Rush.«

Ich fasste ihr ins Haar und wickelte eine Strähne ihres blonden Haars um meinen Finger. Es war nicht so blond wie … nein. Verdammt noch mal, ich hatte es schon wieder getan! Verglich alles, aber auch wirklich alles an ihr mit Blaire. Ein Problem, das ich in den Griff kriegen musste – auf der Stelle! »Bitte mich darum!«, forderte ich.

»Bitte, Rush«, erwiderte sie hastig und erweckte meinen Schwanz durch ihr Streicheln zum Leben. »Ich möchte bitte, dass du mich fickst.«

Sie war gut, klang ja fast schon wie ein Pornostar. »Es geht nur um Sex, Babe. Nichts weiter. Und mehr als diese Nacht ist nicht drin«, klärte ich sie auf. So etwas stellte ich lieber von Anfang an klar. Nur wenn sie sich als echte Granate entpuppte, käme eine Wiederholung infrage.

»Hmmm, ich werde dich an deine Worte erinnern.« Sie zwinkerte mir zu, als ob sie das für einen Scherz halten würde. Entweder war sie im Bett wirklich hammermäßig drauf, oder es handelte sich um Wunschdenken ihrerseits. Auf ein zweites Mal ließ ich mich so gut wie nie ein. »Wo ist dein Zimmer?«, fragte sie und küsste mich auf die Brust.

»Ich nehme dich nicht mit auf mein Zimmer.« Ich schob sie zurück, bis sie in das Gästezimmer stolperte, das ich für Sex benutzte. In mein Zimmer ließ ich grundsätzlich keine Frau rein. Das war mein Rückzugsort, und ich wollte dort oben keine Erinnerungen an irgendwelche Schnecken.

»Oh, Mr Ungeduld!«, kicherte sie, schlängelte sich aus ihrem Rock und leckte sich die Lippen. »Ich bin Profi im Schwanzlutschen!«

Ich zog mir das Shirt über den Kopf und setzte mich auf das Bett. »Na, dann zeig mal.«

Parfümgeruch stieg mir in die Nase, und angesichts des Sonnenlichts blinzelte ich und verfluchte denjenigen, der am Abend zuvor die verflixten Vorhänge nicht zugezogen hatte, wer auch immer das war. Ich rollte mich herum, woraufhin die Nackte neben mir ein Geräusch von sich gab. Sie war die ganze Nacht geblieben. Scheiße! Die, die sich nicht vom Acker machten, konnte ich nicht ausstehen. Die klammerten nämlich, dachten, es ginge um mehr als nur einen Fick. Glaubte sie wirklich, dass sie damit punkten konnte, wenn sie auf die Knie sank und mir einen blies, ohne mir ihren Namen zu nennen?

Ich stand auf und zog mir meine Jeans an. Das Mädchen gähnte, und ich beschloss, auf mein Shirt zu verzichten und schnell zu verschwinden, solange ich noch die Zeit dazu hatte. Sie würde den Wink schon kapieren, wenn ich nirgends zu finden wäre. Vorsichtig öffnete ich die Tür, schlüpfte auf den Flur hinaus und ging zur Treppe. Wenn ich mich in mein Zimmer zurückzog, würde sie womöglich nachkommen und an meine Tür klopfen. Vielleicht sollte ich besser zum Strand runtergehen und eine Runde laufen. Erst mal brauchte ich aber einen Kaffee.

Ich bereitete mir rasch eine Tasse zu und steuerte auf die Verandatür zu. Sobald ich dort war, entdeckte ich sie. Blaire stand auf meiner Veranda und blickte aufs Meer hinaus, und ihr langes, seidiges Haar wehte in der Brise. Ich liebte den Ausblick von hier. Er war so friedlich. Aber was ging Blaire wohl durch den Kopf? Sorgte sie sich, Abe könnte nicht zurückkommen? Würde sie wirklich schnellstmöglich wieder von hier aufbrechen wollen? Oder war sie derselbe Schnorrertyp wie ihr Vater?

Nach einer Nacht voller Sex mit einer namenlosen Freundin meiner Schwester fragte ich mich, wie es wohl wäre, etwas mit Blaire laufen zu haben. Sie würde sich mir nicht an den Hals werfen, und sie würde sich auch garantiert nicht hinknien und mir einen blasen, nur weil ich es ihr befahl. Wieso zum Teufel reizte mich der Gedanke an ihre Unschuld so? Komplizierte Frage … Dabei war Kompliziertes doch gar nicht mein Fall. Einfach ignorieren konnte ich sie allerdings auch nicht. Nicht an diesem Morgen. Ich musste ihr wieder ins Gesicht sehen und mich vergewissern, dass sie immer noch so offen und ehrlich dreinschaute. War sie wütend, dass sie unter der Treppe hatte schlafen müssen? Würde sie jetzt ihre Krallen ausfahren?

»An diesem Anblick kann man sich nicht sattsehen«, sagte ich, woraufhin sie erschrocken herumfuhr und mich anstarrte. Ich fing an zu lachen, als ihr Blick an meiner nackten Brust hinabwanderte und dann an meinen Bauchmuskeln hängen blieb. Ja hallo, was war das denn …? Sie checkte mich ab! So unschuldig war sie also vielleicht gar nicht. Der Gedanke stieß mir sauer auf.

»Genießt du den Anblick?« Ich gab vor, belustigt zu sein, auch wenn ich enttäuscht war. Als würde sie aus einer Trance erwachen, zwinkerte sie heftig und sah mir wieder ins Gesicht. Sie würde sich mir doch jetzt nicht an den Hals werfen? Ich wollte nicht, dass sie so war wie die anderen. Warum auch immer. »Lass dich nicht stören. Ich genieße ihn ja selbst«, meinte ich und konnte die Verärgerung nicht ganz aus meiner Stimme heraushalten. Ich trank einen Schluck Kaffee. Und sie? Sie lief knallrot an und drehte sich schnell wieder zum Meer um. Wieso freute ich mich wie ein Schneekönig, dass sie den Blick über mich hatte wandern lassen und, dabei erwischt, am liebsten im Erdboden versunken wäre? Verdammt. Es ging nicht anders, ich musste vor Erleichterung einfach lachen.

»Ach, hier bist du! Ich habe dich schon im Bett vermisst!« Ich erkannte die Stimme von der letzten Nacht. Shit. Ich hatte Zeit verschwendet, und nun hatte sie mich entdeckt. Blaire drehte sich wieder zu mir um, und dann wanderte ihr Blick zu der Frau, die sich an mich drückte. Perfekt! Sie musste sehen, was für ein mieser Scheißkerl ich sein konnte. Doch das interessierte, ja, neidische Aufflackern in Blaires Augen, als die Frau mit einem Fingernagel über meine Brust fuhr, stellte Sachen mit mir an, die ich lieber nicht zugeben wollte.

»Es wird Zeit, dass du verschwindest.« Ich schob die Hand der Frau weg und deutete vage in Richtung Haustür.

»Was?«, fragte sie überrascht, als hätte ich ihr am Vorabend nicht deutlich zu verstehen gegeben, dass es sich um eine einmalige Sache handelte.

»Du hast bekommen, was du wolltest, Babe. Mich, zwischen deinen Schenkeln. Mehr ist nicht drin«, erinnerte ich sie.

»Das soll wohl ein Witz sein!«, fauchte sie. Vielleicht hatte sie mich am vorherigen Abend nicht ernst genommen. Ihr Pech.

Ich schüttelte den Kopf über meine eigene Blödheit und trank noch einen Schluck Kaffee. Irgendwann würde ich schon noch kapieren, dass diese Bettgeschichten inklusive Übernachtung Schwachsinn waren.

»Das kannst du mir nicht antun. Die Nacht war phantastisch. Und das weißt du!«, meinte die Namenlose in weinerlichem Ton und griff nach meinem Arm, doch ich entwand mich sofort wieder. Die »Bitte, Rush«-Zeit vor vorbei. Das hatten wir am Vorabend schon gehabt. Es hatte Spaß gemacht. Sie war öfter abgegangen, als sie zählen konnte. Ich allerdings hatte es nur mittelmäßig gefunden.

»Als du dich gestern Abend an mich rangeschmissen hast und gar nicht schnell genug aus deinen Klamotten kommen konntest, da habe ich dir klipp und klar gesagt, mehr als ein One-Night-Stand ist nicht drin. Beschwer dich also nicht!« Es nervte, dass ich sie überhaupt daran erinnern musste.

Ich blickte aufs Meer hinaus und nippte an meinem Kaffee, als wäre sie schon gegangen. Sie stampfte dramatisch mit dem Fuß auf und stürmte davon.

Als ich Blaires entsetztes Gesicht sah, hatte ich das kleine Intermezzo mit dem Ausrutscher des gestrigen Abends schon fast wieder vergessen. »Na, wie hast du jetzt letzte Nacht geschlafen?«, fragte ich sie. In der Kammer musste es verdammt eng sein, dazu die Treppe und der Lärm im Haus … Mieser ging es doch gar nicht. Jetzt hatte sie die Möglichkeit, sich zu beschweren. Ihr wahres Gesicht zu zeigen.

»Machst du das öfter so?«, fragte sie mit verärgerter Miene. Dabei sah sie zum Niederknien aus … verdammt!

»Was denn? Leute fragen, ob sie gut geschlafen haben?« Ich durfte nicht zulassen, dass sie mir mit diesem Gesicht ins Herz schlich. O nein, sie verschwand, sobald ich mit Abe gesprochen hatte! Das war sein Problem, nicht meins. Die Tatsache, dass ich sie gern anschaute, war ein Grund mehr, sie mir schleunigst vom Hals zu schaffen.

»Nein, mit Frauen schlafen und sie dann rauswerfen, als wären sie der letzte Dreck.« Kaum hatte sie es gesagt, riss sie erschrocken die Augen auf, als wäre sie über ihre eigenen Worte entsetzt.

Am liebsten hätte ich gelacht. Sie machte es einem wirklich schwer, ihr gegenüber hart zu bleiben. Ich stellte meinen Kaffeebecher ab und streckte mich dann auf einer der Liegen aus. Die beste Taktik würde wohl die sein, Blaire gegen mich aufzubringen. Damit wäre uns beiden gedient. Wenn sie mich hasste, würden wir uns ohne Weiteres aus dem Weg gehen können. »Und du? Steckst du deine Nase immer in Dinge, die dich nichts angehen?«

Eigentlich rechnete ich damit, dass in ihren Augen nun Wut aufblitzen würde, doch stattdessen entdeckte ich Zerknirschung. Ernsthaft? Ich war ein Arschloch gewesen. Da sollte sie jetzt nicht dreinschauen, als täte es ihr leid, mich deswegen zur Rede gestellt zu haben.

»Normalerweise nicht, nein. Es tut mir leid«, sagte Blaire, lächelte entschuldigend und eilte ins Haus.

Hallo …? Hatte sie sich wirklich gerade bei mir entschuldigt? Wo kam sie nur her? So wie sie benahmen sich Frauen nicht. Hatte ihr denn niemand beigebracht, dass man gegenüber Fieslingen die Zähne zeigen musste?

Ich stand auf, warf einen Blick ins Haus und entdeckte, dass sie dabei war, leere Flaschen einzusammeln und Abfall aufzuheben, der vom gestrigen Abend noch überall herumlag. Ich hasste Unordnung, versuchte aber, darüber hinwegzusehen, wenn Nan Party machen wollte.

»Das brauchst du nicht zu machen. Henrietta kommt morgen.« Ich hasste es zu sehen, dass sie aufräumte.

Sie warf die leeren Flaschen in den Abfalleimer und sah dann zu mir. »Na ja, ich dachte, ich mache mich ein bisschen nützlich.«

Ich würde ihren Vater noch an diesem Vormittag anrufen. Sie musste dringend von hier verschwinden. Bis dahin würde ich mich wie ein absolutes Ekelpaket benehmen.

»Danke, eine Haushälterin habe ich schon. Und ich bin auch nicht auf der Suche nach einer neuen, falls du das denken solltest.« Am liebsten wäre ich angesichts meines barschen Tons selbst zusammengezuckt, zwang mich jedoch, weiterhin eine gelangweilte Miene zur Schau zu stellen. Die hatte ich schon vor Jahren perfektioniert.

Ich konnte ihr allerdings nicht ins Gesicht sehen dabei.

»Nein. Schon klar. Wie gesagt, ich wollte nur helfen. Immerhin hast du mich letzte Nacht bei dir aufgenommen.« Sie sprach leise und flehend, als wollte sie unbedingt, dass ich ihr glaubte. Scheiße noch mal!

Wir mussten unbedingt ein paar Grundregeln festlegen, bevor ich noch Mist baute. »Ja, und genau darüber sollten wir uns noch einmal unterhalten.«

»Okay?«, flüsterte sie. Herrjemine, wieso schaute sie mich schon wieder so verstört an? Ich hatte doch gar nichts Schlimmes getan oder gesagt?

»Ich mag deinen Vater nicht. Er ist ein Schmarotzer. Meine Mutter lacht sich immer Männer wie ihn an. Aber ich glaube, das ist dir alles schon klar. Stellt sich nur die Frage, wieso du dir von ihm dennoch Unterstützung erhoffst?« Ich brauchte mal ein paar konkrete Antworten von ihr. Wahlweise musste ich sie bei einer Lüge ertappen. Viel länger konnte ich sie nicht hierbehalten. Ihre umwerfend langen Beine und ihre großen blauen Augen trieben mich in den Wahnsinn.

»Meine Mutter ist vor Kurzem gestorben. Sie hatte Krebs. Drei Jahre lang Behandlungen … Da kommt an Rechnungen ganz schön was zusammen! Und wir hatten nur das Haus, das meine Großmutter uns hinterlassen hatte. Ich musste es verkaufen, und alles andere von Wert auch. Seitdem Dad uns vor fünf Jahren verlassen hat, habe ich ihn praktisch nicht mehr gesehen. Aber an Familie habe ich nur noch ihn. Und niemanden sonst, den ich um Hilfe bitten könnte. Irgendwo muss ich unterkommen, bis ich einen Job gefunden und ein bisschen was angespart habe. Dann sehe ich mich nach einer eigenen Wohnung um. Ich hatte nie vor, hier länger zu bleiben. Dad würde mich auch gar nicht länger hierhaben wollen, das weiß ich.« Sie hielt inne und lachte bitter, sodass sich mir der Magen zusammenzog. »Trotzdem, ich hätte nicht damit gerechnet, dass er sich schon vor meiner Ankunft aus dem Staub macht!«

Ja verflucht noch mal! Ich würde Abe Wynn den Hals umdrehen. Der Dreckskerl hatte seine Tochter im Stich gelassen, während sie sich um ihre kranke Mutter kümmerte? Wie konnte man ihr so etwas antun? Das war doch abartig! Ich würde es nicht fertigbringen, sie vor die Tür zu setzen. Abe dagegen würde ich das Leben von nun an zur Hölle machen. So einfach kam er mir nicht davon.

Ich kochte vor Wut. »Das mit deiner Mutter tut mir leid«, brachte ich heraus. »Das muss schlimm sein. Du sagtest, sie sei drei Jahre lang krank gewesen. Seitdem du sechzehn warst also?« Da war sie ja noch ein Kind gewesen! Vom Vater verlassen und völlig auf sich gestellt.

Sie nickte einfach und beobachtete mich argwöhnisch.