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Lindauer Beiträge zur Psychotherapie und Psychosomatik Herausgegeben von Michael Ermann

U. T. Egle/B. Zentgraf: Psychosomatische Schmerztherapie (2014)

M. Ermann: Herz und Seele (2005)

M. Ermann: Träume und Träumen (2005/2014)

M. Ermann: Freud und die Psychoanalyse (2008)

M. Ermann: Psychoanalyse in den Jahren nach Freud (2009/2012)

M. Ermann: Psychoanalyse heute (2010/2012)

M. Ermann: Angst und Angststörungen (2012)

M. Ermann: Der Andere in der Psychoanalyse (2014)

U. Gast/P. Wabnitz: Dissoziative Störungen erkennen und behandeln (2014)

R. Gross: Der Psychotherapeut im Film (2012)

O. F. Kernberg: Hass, Wut, Gewalt und Narzissmus (2012)

J. Körner: Abwehr und Persönlichkeit (2013)

R. Kreische: Paarbeziehungen und Paartherapie (2012)

W. Machleidt: Migration, Kultur und psychische Gesundheit (2013)

L. Reddemann: Kontexte von Achtsamkeit in der Psychotherapie (2011)

A. Riehl-Emde: Wenn alte Liebe doch mal rostet (2014)

U. Streeck: Gestik und die therapeutische Beziehung (2009)

R. T. Vogel: Existenzielle Themen in der Psychotherapie (2013)

L. Wurmser: Scham und der böse Blick (2011/2014)

H. Znoj: Trauer und Trauerbewältigung (2012)

Astrid Riehl-Emde

Wenn alte Liebe doch mal rostet

Paarberatung und Paartherapie für Ältere

Verlag W. Kohlhammer

Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechts ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Dieses Buch stellt eine grundlegend überarbeitete und erweiterte Fassung der Vorlesungen dar, die die Autorin zum gleichen Thema im Rahmen der Lindauer Psychotherapiewochen 2013 gehalten hat. Unter www.auditorium-netzwerk.de ist eine Übersicht aller Aufnahmen der Lindauer Psychotherapiewochen einzusehen, die unter info@auditorium-netzwerk.de angefordert werden kann.

1. Auflage 2014

Alle Rechte vorbehalten

© W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Print:

ISBN 978-3-17-024275-3

E-Book-Formate:

pdf:     ISBN 978-3-17-024276-0

epub:   ISBN 978-3-17-024277-7

mobi:   ISBN 978-3-17-024278-4

Für den Inhalt abgedruckter oder verlinkter Websites ist ausschließlich der jeweilige Betreiber verantwortlich. Die W. Kohlhammer GmbH hat keinen Einfluss auf die verknüpften Seiten und übernimmt hierfür keinerlei Haftung.

Inhalt

  1. Vorwort
  2. Einführung
  3. Erste Vorlesung
  4. Sprechstunde für Paare im höheren Lebensalter
  5. Äußerer Rahmen/Setting/Finanzierung
  6. Welche Anliegen führen ältere Paare in Beratung und Therapie?
  7. Gemeinsam alt werden, ein historisch neues Phänomen
  8. Beispiel 1: Überlistung zum Paargespräch
  9. Aktueller Forschungsstand/Indikation
  10. Zweite Vorlesung
  11. Balance von Nähe und Distanz im Ruhestand
  12. Beispiel 2: Nähe-Distanz-Probleme im Ruhestand
  13. Erstgespräch
  14. Zum weiteren Therapieverlauf
  15. Allgemeines paartherapeutisches Konzept
  16. Entwicklungsaufgaben im Lebenszyklus
  17. Arbeit an Alltagsstrukturen/dysfunktionaler Lebensorganisation
  18. Beziehungsmuster/Umgang mit Ambivalenzen und Polaritäten
  19. Unerledigtes aus der Paargeschichte und den Herkunftsfamilien
  20. Zum therapeutischen Dreieck
  21. Entwicklungsfördernde Kontextfaktoren
  22. Dritte Vorlesung
  23. Belastung durch unbewältigte Ereignisse aus der Vergangenheit
  24. Beispiel 3: Wie Versöhnung gelingen kann
  25. Beispiel 4: Wie Versöhnung misslingen kann
  26. Verzeihen – Versöhnen – Vergeben
  27. Worin unterscheidet sich die Paartherapie für ältere von der für jüngere Paare?
  28. Voreinstellungen von Psychotherapeuten gegenüber älteren Menschen
  29. Voreinstellungen älterer Menschen gegenüber jüngeren Psychotherapeuten
  30. Was die Psychotherapie mit Älteren erleichtern kann
  31. Vierte Vorlesung
  32. Alternde Körper
  33. Beispiel 5: Krankheit und Machtkampf
  34. Erstgespräch und Vorgeschichte
  35. Therapieverlauf
  36. Fazit
  37. Beispiel 6: Eheliches Burnout und die Unauflösbarkeit der Bindung
  38. Erstgespräch mit einem »Burnout-Paar«
  39. Kommentar zum Erstgespräch und weiterer Verlauf
  40. Paartherapeutisches Konzept: Altersbezogene Modifikationen
  41. Fünfte Vorlesung
  42. Sexualität, Erotik, Liebe – schwierige Themen in der Langzeit-Ehe?
  43. Empirische Befunde zu Sexualität im Alter/in Langzeitbeziehungen
  44. Sexualberatung und -therapie
  45. Beispiel 7: Körpererleben und Sexualität
  46. Drei typische »Verläufe« der gemeinsamen Sexualität
  47. Liebe im Alter
  48. Schlusswort: Die Herausforderung annehmen
  49. Literatur
  50. Stichwortverzeichnis
  51. Personenverzeichnis

Vorwort

 

Dieses Buch entstand nach einer Reihe von fünf Vorlesungen bei den Lindauer Psychotherapiewochen im Jahre 2013. Die Vorlesungen standen unter dem Titel »Wenn alte Liebe doch mal rostet … Beratung und Therapie – warum nicht auch für ältere Paare?« und gaben anhand von Therapieprotokollen und Videoausschnitten aus Therapiesitzungen praxisnah Einblick in die Paartherapie mit Älteren.

Dementsprechend ist auch das vorliegende Buch sehr praxisnah gestaltet: Leserinnen und Leser können durch die Lektüre einen Eindruck gewinnen von typischen Konflikten, aber auch von existentiellen Herausforderungen älterer Paare, von deren Kampf um Selbstbehauptung und Anerkennung und von deren Ringen um eine liebevolle oder zumindest lebenswerte Paarbeziehung. Und sie werden von gelingender Weiterentwicklung lesen, aber auch von Stagnation – und von der therapeutischen Aufgabe, bisweilen Unveränderliches zu akzeptieren und mitzutragen.

Das Spektrum der Paarbeziehungen älterer Paare ist breit und vielfältig. Vielen Paaren gelingt es, über Jahrzehnte hinweg zusammenzubleiben. Dies ist vermutlich das größere Wunder als die Tatsache, dass heutzutage etwa ein Drittel der Ehen geschieden wird. Die Arbeit mit älteren Paaren ist interessant: Lange Beziehungsgeschichten können faszinieren, die Schicksale älterer Paare können in Therapeuten nicht nur Hilflosigkeit auslösen, sondern auch Mut machen für das eigene Älterwerden. Davon wird dieses Buch etwas vermitteln und die Neugier auf ältere Paare und ihre Paarbeziehungen wecken. Hinzukommt: Der Bedarf an Paartherapie für Ältere steigt und die klinische Erfahrung zeigt, dass sich die Arbeit lohnt.

Heidelberg, im Januar 2014                                       Astrid Riehl-Emde

Einführung

 

Der Bedarf an Beratung und Psychotherapie älterer Menschen wächst und wird in Zukunft noch weiter wachsen. Dies nicht nur, weil der Anteil der über 60-Jährigen in unserer Gesellschaft zunimmt, sondern auch weil immer mehr Menschen älter und alt werden, die bereits in jüngeren Jahren Erfahrungen mit Psychotherapie gemacht haben und diese auch im Alter beanspruchen werden. Obwohl wir in der Arbeit mit älteren Paaren keine grundlegend anderen therapeutischen Methoden benötigen als in der Arbeit mit Jüngeren, weist die Psychotherapie mit älteren Menschen einige Besonderheiten auf. Diese betreffen beispielsweise den Umgang mit den oftmals langen Beziehungsgeschichten und der begrenzten Lebensperspektive der Paare; bei der Durchführung sind Modifikationen in der Gesprächsführung zu berücksichtigen und es stellt sich die Notwendigkeit, zeitgeschichtlich zu denken.

Auch wenn Menschen nicht erst ab dem 60. Lebensjahr altern, beginnt »das Alter« gemäß einer Übereinkunft innerhalb der Alterswissenschaften mit 60 Jahren. Anstelle der statisch wirkenden Bezeichnung »Alter« wird heute die Bezeichnung »Altern« vorgezogen, um den Prozess des Altwerdens, die Lebenslauf- und Entwicklungsperspektive zu betonen. Tabelle 1 zeigt die gebräuchlichen Bezeichnungen für die Altersphasen ab dem 60. Lebensjahr. Dabei sind die Bezeichnungen für das dritte und vierte Lebensalter – »Ältere« und »Alte« – grammatikalisch nicht korrekt: Denn die Älteren sind jünger als die Alten, obwohl »älter« die Steigerungsform von »alt« darstellt. Für die Jahre ab etwa 45 bis 60 gibt es die bildhafte Bezeichnung »Grenzland«1: Man ist nicht mehr jung, aber auch noch nicht richtig alt.

Tab. 1: Wann beginnt das Alter?

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Lebensjahr Bezeichnung

Worin unterscheidet sich die Paartherapie für ältere von der für jüngere Paare? Worin liegen die Schwierigkeiten im Kontakt zwischen oft jüngeren Fachpersonen und älteren Paaren? Worin besteht das Faszinierende der Vielfältigkeit jahrzehntelanger Beziehungen? In dieser Vorlesungsreihe wird Paartherapie für Ältere praxisnah vermittelt. Die bereits genannten Themen werden in den folgenden fünf Vorlesungen behandelt, wobei die Anliegen der Paare, die inzwischen unsere Sprechstunde für Ältere aufgesucht haben, wie ein roter Faden durch die Reihe führen.

1     Tudor-Sandahl P (2003)

Erste Vorlesung

Sprechstunde für Paare im höheren Lebensalter

Die Sprechstunde für Paare im höheren Lebensalter ist ein Angebot des Instituts für Psychosomatische Kooperationsforschung und Familientherapie, eine Einrichtung des Psychosozialen Zentrums am Universitätsklinikum Heidelberg. Das Angebot richtet sich an Paare, von denen mindestens einer der Partner 60 Jahre oder älter ist. Abbildung 1 zeigt den Flyer, mit dem für die Sprechstunde geworben wird.

Inzwischen haben weit über 100 ältere Paare die Sprechstunde aufgesucht. Die behandelten Paare leben mehrheitlich in Langzeit-Beziehungen, knapp zwei Drittel in Beziehungen zwischen 31 und 51 Jahren. 80 % der Paare sind verheiratet, meist in erster Ehe. Bei gut 60 % der Paare verfügte mindestens ein Partner über einen akademischen Abschluss, bei 30 % über eine abgeschlossene Lehre. Knapp zwei Drittel der Frauen waren bzw. sind noch berufstätig. Die Paare stammen somit überwiegend aus höheren Bildungsschichten. Überwiegend ergreifen die Frauen die Initiative zur Anmeldung. Die Überweisung durch eine Fachperson (Hausarzt, Einzeltherapeut/in) oder die Empfehlung durch eigene Kinder liegt in einem knappen Viertel der Fälle vor. In etwa einem Viertel der Fälle verfügen beide Partner über Psychotherapie-Erfahrungen, zumeist im Einzelsetting, bei einem Drittel nur die Ehefrau; keine Vorerfahrungen mit Psychotherapie bestehen bei etwa einem Drittel.

In den Anfängen unserer Sprechstunde, nach der Jahrtausendwende, kamen überwiegend die in den 1930er Jahren Geborenen, dann kamen die 1940er Jahrgänge hinzu und inzwischen gehören bereits die zwischen 1950 und 1953 Geborenen zum Klientel der Sprechstunde. Zeitgeschichtlich gedacht gab es in den Anfängen der Sprechstunde also

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Abb. 1: Flyer der Sprechstunde für Paare im höheren Lebensalter

überwiegend ehemalige Kriegskinder bzw. Paare, von denen mindestens einer der Partner im Krieg geboren oder aufgewachsen war. Inzwischen meldet sich die Nachkriegsgeneration, also Menschen, die zum einen die »sexuelle Revolution« – zumindest eine weniger sexualfeindliche Einstellung als die Generation vor ihnen – erlebt haben, in deren Jugend die Pille auf den Markt kam und die zum anderen eine Psychologisierung ihrer Lebensumwelt erfahren haben, zu der auch die viel selbstverständlichere Inanspruchnahme von psychotherapeutischer Hilfe gehört.

Äußerer Rahmen/Setting/Finanzierung

In unserer Sprechstunde dauert ein Paargespräch in der Regel 90 Minuten, bei Bedarf oder wenn z. B. die Aufnahmekapazität des Paares altersbedingt eingeschränkt ist, auch kürzer, etwa 60 Minuten. Das erste Gespräch dient dem gegenseitigen Kennenlernen und der Indikationsstellung: Paar und Therapeutin entscheiden danach über die Fortsetzung. Üblicherweise wird zunächst ein weiterer Termin mit Fragezeichen vereinbart und das Paar wird gebeten, sich über das Gespräch auszutauschen und einige Tage vor dem vereinbarten Folgetermin Nachricht zu geben, ob sie diesen wahrnehmen, nochmals verschieben oder absagen wollen. Ich lasse also bewusst eine »lange Leine« und mache damit gute Erfahrungen. Kommt die zweite Sitzung zustande, wird das weitere Prozedere besprochen, wobei üblicherweise zunächst weitere drei bis fünf Sitzungen mit Standortgespräch vereinbart werden, denen dann – bei Bedarf und wenn das Paar und die Therapeutin den Eindruck haben, die Sitzungen seien hilfreich – weitere Sitzungen folgen können.

Paartherapien mit Älteren umfassen in unserer Sprechstunde etwa zehn Sitzungen, mit einer Schwankungsbreite zwischen einer bis 43 Sitzungen. Zumeist finden eine bis zwei Sitzungen pro Monat statt. Paartherapie ist offiziell keine Kassenleistung, allerdings besteht die Möglichkeit, unter Hinzuziehung eines Angehörigen 90 Minuten als Doppelstunde pro Tag abzurechnen.2 Diese Möglichkeit besteht für Partner, die nicht gleichzeitig eine kassenfinanzierte Einzeltherapie beanspruchen und deren Problematik/Symptomatik Krankheitswert hat. Indem die pro Patient möglichen fünf probatorischen Sitzungen in drei Doppelstunden »verpackt« werden, können somit ohne Antragstellung pro Paar maximal sechs Sitzungen (je drei pro Partner) über die Krankenkasse abgerechnet werden.

Welche Anliegen führen ältere Paare in Beratung und Therapie?

Über Probleme beim Übergang in den Ruhestand klagte die Hälfte der Paare, die Mehrheit davon über oft oder chronisch eskalierende Streitigkeiten, die mit emotionaler Entfremdung bzw. Nähe-Distanz-Konflikten einhergingen. Der schwierige Umgang mit der Erkrankung eines Partners wird als zweithäufigster Anmeldegrund genannt, insbesondere geht es um Depressionen, Krebserkrankungen (Prostata- oder Mamma-Ca), kardiovaskuläre Erkrankungen, chronische Schmerzerkrankungen (FMS), Zustände nach Schlaganfall oder M. Hodgkin, aber auch die Verdachtsdiagnose einer demenziellen Erkrankung. In dieser Gruppe bergen asynchrone Alterungsprozesse oder die unterschiedliche Vitalität der Partner in der Regel ein erhebliches Konfliktpotential. An dritter Stelle stehen finanzielle oder andere Konflikte mit erwachsenen Kindern und Kontaktabbruch bzw. Angst vor drohendem Kontaktabbruch seitens der Kinder, der besonders schmerzhaft erlebt wird, wenn dadurch auch der Kontakt zu den Enkeln eingeschränkt wird. Gar nicht selten kommen im Verlauf von wenigen Gesprächen auch weitere Konflikte zwischen den Generationen zur Sprache; dies gilt auch für Paare, die wegen eines anderen Anliegens in die Sprechstunde gekommen sind. Dabei handelt es sich zum Beispiel um Konflikte zwischen einem Partner und den Kindern des anderen aus einer früheren Beziehung oder um Konflikte zwischen einem oder beiden Partnern und einem hochbetagten Elternteil oder einem Geschwister.

Paare, die sich wegen einer Außenbeziehung des Mannes angemeldet hatten, befanden sich zumeist im Übergang zum Ruhestand. In unserer Sprechstunde waren es bisher ausschließlich Männer, deren manchmal über Jahre bestehende Außenbeziehung in dieser Übergangsphase bekannt wurde. Sexuelle Probleme wurden eher selten explizit als Anmeldegrund genannt, obwohl die gemeinsame Sexualität lediglich bei etwa 10 % der Fälle als sehr befriedigend, sogar als leidenschaftlich bezeichnet wurde, auch wenn sie von Dauerstreitigkeiten in Mitleidenschaft gezogen zu werden drohte. Bei Nachfrage deutet allerdings die Mehrzahl der Paare Schwierigkeiten oder Unzufriedenheit mit der gemeinsamen Sexualität an, auch wenn die Sexualität zu Beginn nicht als Anliegen erwähnt wurde und das Paar deswegen keine Fachperson konsultieren würde.

Zunehmende Belastung durch unbewältigte Ereignisse der Vergangenheit bezieht sich auf Ereignisse aus der gemeinsamen Paargeschichte, die im Ruhestand vermehrt wieder erinnert werden und sowohl das Individuum als auch die Beziehung aktuell belasten. Bisweilen besteht die Sorge, dass die Paargespräche schwierige Erinnerungen erst wecken, doch zumeist ist es umgekehrt: die Erinnerung geht der Anmeldung voraus. Die Bezeichnung »eheliches Burnout« steht für einen Zustand, in dem die positiven Gefühle füreinander erschöpft sind und beide Partner spüren, dass sie nichts mehr ertragen und auch kein Verständnis mehr füreinander aufbringen können; gleichzeitig wissen beide, der Beziehung nicht mehr entrinnen zu können. Diese Paare suchten Hilfe, um die ausweglos erscheinende Situation besser ertragen zu können.

Tab. 2: Was ältere Paare zur Paartherapie führt

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Die wichtigsten Anliegen an die Paartherapie in absteigender Häufigkeit

In den folgenden Vorlesungen wird auf die meisten Anliegen anhand von Beispielen ausführlich eingegangen.

Gemeinsam alt werden, ein historisch neues Phänomen

Die langjährige Beziehung stellt den statistischen Normalfall der Ehe im höheren Erwachsenenalter dar. Die »nachelterliche Gefährtenschaft« – die Zeit zwischen Weggang des letzten Kindes und Verwitwung – beginnt zwischen 45 und 60 Jahren, sie kann heute bis gegen das 80. Lebensjahr andauern.3 Durch die gestiegene Lebenserwartung leben mehr ältere und alte Menschen in Paarbeziehungen als früher. Immer mehr

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Abb. 2: Geschiedene Ehen 2011 nach dem Alter der Ehegatten4

Eheleute haben die Chance, als Paar hochbetagt zu werden – eine Chance, die gleichzeitig eine große Herausforderung darstellt: Laut Scheidungsstatistik gibt es einen zweiten Scheidungsgipfel – eine Zunahme an Scheidungen – bei Paaren zu Beginn der nachelterlichen Gefährtenschaft (»Soll das alles gewesen sein?«), bei einer Ehedauer ab 20 Jahren; die Frauen sind 40 bis 60, die Männer 45 bis 60 Jahre alt. In der Scheidungsstatistik wird bei einer 1- bis 25-jährigen Ehedauer die Anzahl der rechtskräftigen Scheidungen pro Ehejahr aufgeführt; danach folgt lediglich die globale Kategorie »Ehedauer 26 Jahre und mehr«. Im letzten Jahrzehnt sind in dieser Kategorie zwar Zuwächse zu verzeichnen, doch diese könnten allein auf die gestiegene Lebenserwartung zurückgehen. Bisher liegt leider keine Maßzahl vor, mit der die absolute Anzahl der Scheidungen im Verhältnis zur Bevölkerungszahl erfasst wird. Abbildung 2 zeigt, dass rechtskräftige Scheidungen älterer und alter Menschen vorkommen, insgesamt allerdings viel seltener als bei Jüngeren.

Die Chance, als Paar zusammen hochbetagt zu werden, stellt ein historisch neues Phänomen dar, für das es lange Zeit kaum Vorbilder gab, allenfalls idealisierte Paare aus der klassischen Antike wie Philemon und Baucis oder Streitpaare wie Zeus und Hera. Deswegen entstehen innere Bilder und Phantasien über das alternde Paar, in denen sich bevorzugt die Furcht- oder die Wunschseite ausdrückt: einerseits die Furcht, in Lieblosigkeit, Öde und Sprachlosigkeit zu verfallen, krank oder in einer Streit-Beziehung gefangen zu sein – andererseits der Wunsch nach einem ruhigen, kontemplativen Altern in einer Liebesbeziehung, die ein gewisses erotisches Potential behält und auch im Altern neue Erfahrungen ermöglicht. Individuelle Altersbilder beruhen sowohl auf persönlichen Erfahrungen und sind mitbeeinflusst vom kulturellen Hintergrund, d. h. von kollektiven Altersbildern des öffentlichen Diskurses.

In den letzten Jahren wird in den Medien vermehrt über ältere und alte Paare berichtet, wie zum Beispiel über Loki und Helmut Schmidt oder über Inge und Walter Jens. Recht aktuell ist die Thematik des erweiterten Suizids älterer Paare, dargestellt in Filmen wie »Satte Farben vor Schwarz« (Regie: Sophie Heldmann) aus dem Jahr 2010 oder »Liebe« von Michael Haneke aus dem Jahre 20125; dargestellt auch in der Literatur wie »Eine exklusive Liebe«67