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Die Wissenschaftliche Reihe im Archiv der Jugendkulturen
Alljährlich entstehen an Universitäten und Fachhochschulen Hunderte von wissenschaftlichen Arbeiten, die zumeist nur von zwei Gutachtern gelesen werden und dann unbeachtet in den Asservatenkammern der Hochschulen verschwinden. Dabei enthalten viele dieser Arbeiten durchaus neues Wissen, interessante Denkmodelle, genaue Feldstudien. Das Archiv der Jugendkulturen, Fachbibliothek und Forschungsinstitut zugleich zu allen Fragen rund um Jugendkulturen, hat deshalb damit begonnen, wissenschaftliche Arbeiten zum Thema Jugend zu sammeln und öffentlich zugänglich zu machen. Mehr als 500 solcher Arbeiten enthält die Präsenzbibliothek des Archivs inzwischen – für jedermann kostenlos und frei zugänglich.

In der Wissenschaftlichen Reihe publiziert das Archiv der Jugendkulturen seit 2007 zudem qualitativ herausragende wissenschaftliche Arbeiten zu jugendkulturellen Zusammenhängen. Die Arbeiten werden von fachkundigen GutachterInnen gelesen und vor der Veröffentlichung professionell lektoriert. Da pro Jahr von 20 - 25 eingereichten Arbeiten nur zwei veröffentlicht werden, kann bereits die Aufnahme in den Verlagskatalog als Auszeichnung verstanden werden. Doch für die AutorInnen lohnt sich die Veröffentlichung auch materiell. Die Archiv der Jugendkulturen Verlag KG verlangt von ihren AutorInnen keinerlei Kostenbeteiligungen! Im Gegenteil: AutorInnen, deren Arbeiten wir in unserer Wissenschaftlichen Reihe veröffentlichen, erhalten bereits für die Erstauflage ein Garantiehonorar von 2.000 Euro!

Seit 2011 wird diese Reihe durch eine elektronische Schwester ergänzt. Denn immer wieder mussten wir hervorragende Manuskripte ablehnen, da ein kleiner Verlag wie der unsrige sich nicht mehr als zwei wissenschaftliche Titel mit den gesetzten Qualitätsstandards (großformatige Hardcover, alle Bände sind reichlich illustriert, oft in Farbe) und dem bewusst sehr niedrig angesetzten Ladenpreis (um möglichst viele Menschen zu erreichen) leisten kann. Die E-Book-Reihe soll dieses Manko nun ausgleichen. Was für die Printreihe gilt, gilt auch für unsere E-Books: Sie werden ebenfalls unter der Fülle eingereichter Arbeiten sorgfältig ausgewählt und lektoriert, die AutorInnen erhalten ein kleines Garantiehonorar und werden am Umsatz beteiligt.

Das Archiv der Jugendkulturen e.V.
Das Berliner Archiv der Jugendkulturen e. V. existiert seit 1998 und sammelt – als einzige Einrichtung dieser Art in Europa – authentische Zeugnisse aus den Jugendkulturen selbst (Fanzines, Flyer, Musik etc.), aber auch wissenschaftliche Arbeiten, Medienberichte etc., und stellt diese der Öffentlichkeit in seiner Bibliothek kostenfrei zur Verfügung. Darüber hinaus betreibt das Archiv der Jugendkulturen eine umfangreiche Jugendforschung, berät Kommunen, Institutionen, Vereine etc., bietet jährlich bundesweit rund 80 Schulprojekttage und Fortbildungen für Erwachsene an und publiziert eine eigene Zeitschrift – das Journal der Jugendkulturen – sowie eine Buchreihe mit ca. sechs Titeln jährlich. Das Archiv der Jugendkulturen e. V. hat derzeit 230 Mitglieder weltweit (darunter viele Institutionen). Die Mehrzahl der Archiv-MitarbeiterInnen arbeitet ehrenamtlich.

Schon mit einem Jahresbeitrag von 48 Euro können Sie die gemeinnützige Arbeit des Archiv der Jugendkulturen unterstützen, Teil eines kreativen Netzwerkes werden und sich zugleich eine umfassende Bibliothek zum Thema Jugendkulturen aufbauen. Denn als Vereinsmitglied erhalten Sie für Ihren Beitrag zwei Bücher Ihrer Wahl aus unserer Jahresproduktion kostenlos zugesandt.

Weitere Infos unter www.jugendkulturen.de

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Katholische Fachhochschule Freiburg

Hochschule für Sozialwesen, Religionspädagogik und Pflege

Studiengang: Soziale Arbeit

Jugendsubkultur HipHop: ein Sprachrohr für Jugendliche mit

Migrationshintergrund in Deutschland?

Diplomarbeit

Zur Erlangung des akademischen Grades:

Diplom Sozialpädagoge/Diplom Sozialarbeiter (FH)

an der Katholischen Fachhochschule Freiburg

Erstkorrektor:

Prof. Dr. Nausikaa Schirilla

Zweitkorrektor:

Dipl. Soz. Päd. Stefan Brandstetter

Verfasser:

Alessandro Greco

INHALTSVERZEICHNIS

1 EINLEITUNG

1.1 PROBLEMSTELLUNG

1.2 ZIELSETZUNG UND FRAGESTELLUNG

1.3 EINGRENZUNG DER ARBEIT

1.4 AUFBAU DER ARBEIT

2 WAS SIND JUGEND(SUB)KULTUREN? BEGRIFFSDEFINITION

2.1 KULTUR- UND SUBKULTURBEGRIFF

2.2 SUBKULTURTHEORIEN

2.2.1 Die Subkulturtheorie des Centre for Contemporary Cultural Studies (CCCS)

2.2.2 Theorie der Subkultur nach Rolf Schwendter

2.2.3 Soziologie der jugendlichen Subkulturen nach Mike Brake

2.2.3.1 Der Subkulturbegriff nach Brake

2.2.3.2 Subkulturelle Stile

2.2.3.3 Subkulturen, soziale Wirklichkeit und Identität

2.2.3.4 Die vier Hauptphänomene von Jugendkulturen

2.2.3.5 Funktionen einer Subkultur nach Brake

2.3 DIE BEZIEHUNG ZWISCHEN SUBKULTUREN UND MIGRATION

2.4 DER STELLENWERT VON MUSIK BEI JUGENDLICHEN BZW. IN JUGEND(SUB)KULTUREN

2.5 DER STAND DER HIPHOP-FORSCHUNG

3 WAS IST HIPHOP?

3.1 DIE HISTORISCHE ENTWICKLUNG VON HIPHOP IN DEN USA

3.1.1 Die New Yorker Wurzeln und die „Old School

3.1.2 Die US-amerikanische „New School

3.1.3 Die „Next School“ und die Vermarktung von HipHop

3.2 DIE HISTORISCHE ENTWICKLUNG DER HIPHOP-BEWEGUNG IN DEUTSCHLAND

3.2.1 Die Anfänge und die ersten deutschsprachigen Veröffentlichungen

3.2.2 Der Konflikt zwischen „Alter“ und „Neuer Schule

3.2.3 Die weitere Entwicklung des deutschen HipHop bis Heute

3.3 DIE SUBKULTURELLEN STILE VON HIPHOP (INSBESONDERE VON RAP)

3.3.1 Die verschiedenen Stile von Rap

3.3.2 Rap-Sprache & Producing & DJing

3.3.3 Kulturelle Praxis: Äußere Symbolik & Innere Werte

4 METHODISCHES VORGEHEN

4.1 BEGRÜNDUNG DER ANGEWANDTEN METHODIK

4.2 ERSTELLUNG DES DATENMATERIALS

4.2.1 Datenerhebung

4.2.1.1 Interviews

4.2.1.2 Rap-Texte

4.2.2 Aufbereitungsverfahren (Transkription)

4.2.3 Auswertungsverfahren

5 DARSTELLUNG DES ERHOBENEN DATENMATERIALS

5.1 AUSGEWÄHLTE RAP-TEXTE

5.1.1 „Fremd im eigenen Land“/„Operation Art. 3“ (Advanced Chemistry)

5.1.2 „Ahmet Gündüz“/„Ahmet Gündüz II“ (Fresh Familee)

5.1.3 „Denkmal“ (Microphone Mafia)

5.1.4 „Dieser Song gehört uns“ (Kanak Attak)

5.2 INTERVIEWPARTNER

5.2.1 Azad (Interview I)

5.2.2 Prof. Dr. Eva Kimminich (Expertinneninterview/Interview IV)

5.2.3 Malik (Interview II)

5.2.4 Toni-L (Interview III)

5.3 AUSWERTUNG DER INTERVIEWS

5.3.1 „… ja es gehört noch zur Subkultur.“ Kategorie I: Subkulturelle Elemente im HipHop

5.3.2 „HipHop hat mich ausgewählt!“ Kategorie II: Die besondere Anziehungskraft der Jugend(sub)kultur HipHop auf jugendliche Migranten in Deutschland

5.3.3 „… das ist schon immer Gegenstand des kreativen Schaffens.“ Kategorie III: Konkreter Einfluss des Migrationshintergrundes auf die künstlerische Aktivität

5.3.4 „Hey, endlich spricht es einer aus!“ Kategorie IV: Repräsentation von Migrantengruppen, Sprachrohrfunktion

5.3.5 „Das war auf jeden Fall die Basis“ Kategorie V: Die Bedeutung von Jugendhäusern in der deutschen HipHop-Entwicklung

5.3.6 „Würde ich auf jeden Fall machen“ Kategorie VI: Projektarbeit mit Rappern in der Sozialen Arbeit

6 SCHLUSSFOLGERUNGEN

6.1 ERKENNTNISSE, DIE FÜR DIE SOZIALE ARBEIT VON BEDEUTUNG SEIN KÖNNEN

6.1.1 Die zentrale Bedeutung von Text fördert die Beziehung zur Sprache

6.1.2 Niederschwelliger Zugang zur Jugend(sub)kultur HipHop

6.1.3 „Das Jugendhaus“ als Rückrat der deutschen HipHop-Szene

6.1.4 Der Wertekanon der „Old School

6.1.5 Positive Identitätsentwicklung und Repräsentation von jugendlichen Migranten

6.2 KRITISCHE AUSEINANDERSETZUNG UND WEITERER FORSCHUNGSBEDARF

7 FAZIT

QUELLENVERZEICHNIS

ANHANG

ANHANG 1: SONGTEXT VON „FREMD IM EIGENEN LAND“, ADVANCED CHEMISTRY

ANHANG 2: SONGTEXT VON „OPERATION ART. 3“, ADVANCED CHEMISTRY

ANHANG 3: SONGTEXT VON „AHMET GÜNDÜZ “, FRESH FAMILEE

ANHANG 4: SONGTEXT VON „AHMET GÜNDÜZ II“, FRESH FAMILEE

ANHANG 5: SONGTEXT VON „DENKMAL“, MICROPHONE MAFIA

ANHANG 6: SONGTEXT VON „DIESER SONG GEHÖRT UNS“, KANAK ATTAK

ANHANG 7: SONGTEXT VON „ADRIANO (LETZTE WARNUNG)“, BROOTHERS KEEPERS

ANHANG 8: INTERVIEWLEITFADEN I (RAP-KÜNSTLER -INTERVIEW)

ANHANG 9: INTERVIEWLEITFADEN II (EXPERTENINTERVIEW)

ANHANG 10: TRANSKRIPTION INTERVIEW I (AZAD)

ANHANG 11: TRANSKRIPTION INTERVIEW II (MALIK)

ANHANG 12: TRANSKRIPTION INTERVIEW III (TONI- L)

ANHANG 13: TRANSKRIPTION INTERVIEW IV (PROF. DR. EVA KIMMINICH)

ANHANG 14: MANIFEST VON KANAK ATTAK

DANKSAGUNG

1 Einleitung

1.1 Problemstellung

Was genau HipHop ist, kann aufgrund der globalen Verbreitung und der lokalen Ausdifferenzierungen dieser Jugendbewegung schwer festgelegt werden. Aber man kann davon ausgehen, dass HipHop zu einem sehr einflussreichen gesellschaftlichen Phänomen angewachsen ist. HipHop hat nicht nur in der Musik und Medienlandschaft Veränderungen mit sich gebracht, sondern auch im Sozialwesen Spuren hinterlassen. Der gesellschaftliche und individuelle Stellenwert dieser musikzentrierten Kultur ist enorm. HipHop wird als die große „Straßenkultur“ Jugendlicher tituliert, die Mitte der 1990er Jahre ihren kommerziellen Durchbruch in Deutschland hatte. Seitdem ist HipHop, mit Hilfe der Massenmedien, einer sehr breiten Bevölkerungsschicht zugänglich geworden.

Es gibt mittlerweile mehrere deutschsprachige Magazine wie Backspin, Juice oder die BRAVO HipHop Special-Ausgaben, die mehr oder weniger über die aktuellen Ereignisse in der HipHop-Szene berichten. Darüber hinaus kann man bei unzähligen Anbietern die aktuellen Hits von Rap-Künstlern1 als Klingelton auf das eigene Handy herunterladen. Diese und andere Merkmale weisen die HipHop-Kultur als eine eindeutige Pop- und Konsumkultur aus. Es gibt jedoch eine große Anzahl von Jugendlichen, für die HipHop mehr als nur ein Produkt ist. Für sie ist HipHop ein Teil ihrer Persönlichkeit und eine Lebensphilosophie. Diese Jugendlichen „leben“ HipHop und sind selbst in irgendeiner Form in der Szene aktiv. Auffallend ist, dass sich besonders Jugendliche mit Migrationshintergrund von der HipHop-Kultur angezogen fühlen und sich darüber hinaus auch aktiv an ihr beteiligen.

Deutschland hat eine Gesamtbevölkerung von ca. 82 Mio. Menschen. Von diesen 82 Mio. haben ca. 15,1 Mio. Menschen einen Migrationshintergrund. Dieser Anteil macht gut 18 % der Gesamtbevölkerung aus. Diese 18 % der Gesamtbevölkerung setzen sich jeweils etwa zur Hälfte aus Deutschen mit Migrationshintergrund und aus Ausländern (Mitbürgern ohne deutsche Staatsangehörigkeit) zusammen (vgl. Bundesministerium des Innern 2008).2 Hinzu kommen noch schätzungsweise 500.000 bis 1.000.000 Menschen, die sich ohne Papiere dauerhaft in Deutschland aufhalten (vgl. ebd.).3 Einige der Menschen mit einem Migrationshintergrund teilen eine gemeinsame Erfahrung und Migrationsgeschichte. Erstaunlicherweise sind diese Geschichten und das Wissen darüber in der deutschen Gesellschaft so gut wie nicht präsent. Diese doch so große Bevölkerungsgruppe scheint in machen Situationen wie unsichtbar und ohne Stimme zu sein (vgl. Loh/Göngür 2002, S. 55). In diesem Zusammenhang wird der HipHop-Kultur, insbesondere dem Rap, oft eine Artikulations- und Sprachrohrfunktion zugeschrieben. Aus dieser Behauptung leiten sich die wesentlichen Fragestellungen dieser Arbeit ab, welche im nächsten Kapitel näher beschrieben werden.

1.2 Zielsetzung und Fragestellung

Eine der Fragen, welche im Rahmen dieser Arbeit beantwortet werden soll, lautet: Handelt es sich bei HipHop in Deutschland um eine jugendliche Modeerscheinung oder ist HipHop in Deutschland eher als jugendliche Subkultur zu begreifen? Oder gilt sogar beides?

Es soll untersucht werden, inwieweit Rap als Sprachrohr für Jugendliche mit Migrationshintergrund in Deutschland betrachtet werden kann. Welche Bedeutung hatte die HipHop-Kultur für Migranten in Deutschland zu Beginn dieser Bewegung? Ist HipHop bzw. Rap immer noch ein Ausdrucksmittel, um soziale Realitäten anzusprechen, um von benachteiligten Lebenssituationen oder über Diskriminierung zu berichten? Darüber hinaus sollen Fragen wie die folgenden beantwortet werden: Wieso bedienen sich gerade Migranten der Kunstform des Rap, um sich auszudrücken? Welchen Zugang haben sie zur HipHop-Kultur? Welchen Einfluss hat der Migrationshintergrund auf ihre künstlerische Entwicklung?

Aus diesen Fragestellungen sollen Konsequenzen für die Soziale Arbeit und Jugendarbeit herauskristallisiert werden. Es stehen diesbezüglich folgende Fragen zur Diskussion: Welche Bedeutung hatte die Soziale Arbeit für die Entwicklung des deutschen HipHop? Welche Ressourcen bietet Rap bzw. HipHop in Bezug auf die Arbeit mit jugendlichen Migranten? Was kann in diesem Bereich verbessert werden? Welche Kompetenzen fördert HipHop?

Mit dieser Arbeit soll vor allem Sozialarbeitern, aber auch anderen in der Jugendarbeit aktiven Personen ein theoretisches Grundgerüst zur Verfügung gestellt werden, um in der Praxis bewusster und effektiver mit dieser Jugendkultur zu arbeiten.

1.3 Eingrenzung der Arbeit

Aufgrund des vorgegebenen Umfanges und der zeitlichen Eingrenzung dieser Diplomarbeit kann sie nur einen Einblick in diese breit gefächerte Thematik bieten. Daher wurde in dieser Arbeit auf eine quantitative Befragung der HipHop-Rezipienten, welche sehr zeitintensiv gewesen wäre, verzichtet. Selbst bei der Anzahl der ausgewählten Interviewpartner und der Songtexte für die qualitative Datenerhebung musste eine strikte Eingrenzung vorgenommen werden, um im Rahmen der Arbeit zu bleiben. Auch im Bereich der untersuchten Rap-Künstler musste eine Einschränkung vorgenommen werden. Der ganze Bereich des türkischen HipHop bzw. „Oriental-HipHop“ wurde aufgrund der großen Anzahl von Vertretern dieses Genres, wie z. B. Cartel, Islamic Force, Karakan etc. nur angerissen (vgl. hierzu Loh/Verlan 2000, 34ff.; Greve/Kaya 2004, S. 161; Schmidt 1996, S. 16-17). Es wäre der aufgestellten Fragestellung nicht gerecht geworden, sich nur auf türkischstämmige Rapper zu konzentrieren.

Im Fokus dieser Arbeit stehen besonders die Vertreter der deutschen „Alten Schule“ (vgl. Kap. 3.2.1 und 3.2.2), weil diese für die Beantwortung der Fragestellung besonders geeignet erscheinen. Die aktuellen und im Moment kommerziell erfolgreichen Rap-Künstler wie z. B. Bushido oder Kool Savas wurde nicht gesondert berücksichtigt, da diese nicht explizit auf die vorgestellte Thematik eingehen und sich auch nicht als Repräsentanten von Minderheitengruppen in Deutschland verstehen (vgl. Dillman 2005, S. 16). Die Ausdrucksform Rap, welche nicht synonym mit dem Oberbegriff HipHop zu verwenden ist (vgl. Kap. 3.3.1), und deren MCs und Musikproduzenten soll im Vordergrund stehen.

1.4 Aufbau der Arbeit

Die Arbeit beginnt mit einem Einblick in die Subkultur-Diskussion. Es wird zunächst eine kurze Definition der Begriffe „Kultur“ und „Subkultur“ gegeben. Im darauf folgenden Kapitel werden die Subkulturtheorien des Centre for Contemporary Cultural Studies (CCCS) und die Theorie der Subkultur von Rolf Schwendter kurz dargestellt, um daran anschließend einen Vergleich mit der Soziologie der jugendlichen Subkulturen von Mike Brake, welche für diese Arbeit relevant ist, anzustellen. Im weiteren Verlauf dieses theoretischen Kapitels wird auf die besondere Beziehung zwischen Migration und der Entstehung von Subkulturen eingegangen. Darüber hinaus wird die besondere Bedeutung der Musik in Jugend(sub)kulturen thematisiert. Abgeschlossen wird dieser erste theoretische Teil mit einem kurzen Überblick über die aktuelle HipHop-Forschung.

Im zweiten theoretischen Teil dieser Arbeit rückt der Begriff „HipHop“ ins Zentrum des Interesses. Zunächst einmal wird die historische Entwicklung der HipHop-Kultur in den USA beschrieben. Daran anschließend wird die Entstehung der deutschen HipHop-Geschichte genauer dargestellt und ein Überblick über die verschiedenen Rap-Stile und deren musikalische Umsetzungen geboten. Im letzen Kapitel dieses theoretischen Teils wird auf die kulturelle Praxis innerhalb der HipHop-Kultur eingegangen. Hier werden die äußeren (Mode) sowie die inneren (Werte, Haltung) Merkmale dieser Subkultur herausgearbeitet.

Im darauf folgenden Methodenkapitel erhält der/die Leser/in Informationen über die in dieser Arbeit verwendete Methode der Datenerhebung. Es wurden in diesem Zusammenhang sieben ausgewählte Rap-Texte analysiert und vier Leitfadeninterviews geführt. In diesem Kapitel wird insbesondere auf die Datenerhebung, die Aufbereitung der Daten und die Datenauswertung eingegangen.

Im empirischen Kapitel werden die erhobenen Daten erläutert. In einem ersten Schritt werden die ausgewählten Rap-Texte, welche besonders in Bezug auf die Fragestellung dieser Arbeit interessant sind, in Auszügen dargestellt. Darüber hinaus werden die Verfasser der angeführten Texte vorgestellt. Im Fokus der Betrachtung stehen hierbei die multikulturelle Besetzung der Rap-Formationen und deren Absichten. In einem zweiten Schritt werden die Ergebnisse der vier geführten Leitfadeninterviews anhand der erstellten Kategorien ausgewertet. Vorab werden biografische Daten der Interviewpartner sowie allgemeine Informationen zum Verlauf der Interviews aufgeführt.

Im vorletzten Kapitel werden die beschriebenen Ergebnisse auf ihre Bedeutung und Konsequenzen hin, bezogen auf die Arbeit mit Jugendlichen mit Migrationshintergrund, betrachtet. Im weiteren Verlauf der Arbeit werden die neu gewonnenen Ergebnisse einer kritischen Diskussion unterzogen. Abgeschlossen wird die Arbeit durch ein kurzes Fazit, welches die wesentlichen Ergebnisse der gesamten Arbeit zusammenfasst, und einen Ausblick auf mögliche neu auftretende Fragen gibt.

1 Wenn im Folgenden in der Arbeit von Rappern, Künstlern und DJs bzw. von Sozialarbeitern gesprochen wird, bezieht sich dies selbstverständlich auch auf Rapperinnen, Künstlerinnen und Sozialarbeiterinnen. Aus Vereinfachungszwecken wurde in der gesamten Arbeit die Männlichkeitsform verwendet.

2 Bundesministerium des Innern: http://www.bmi.bund.de/cln_028/nn_161630/Internet/Content/Themen/
Auslaender__Fluechtlinge__Asyl__Zuwanderung/DatenundFakten/Deutsche
__Auslaender__mit__Migrationshintergrund.html
, Stand 23.09.2008.

3 Bundesministerium des Innern: Illegal aufhältige Migranten in Deutschland, S.16, http://www.emhosting.de/kunden/fluechtlingsrat-nrw.de/system/upload/download_1232.pdf., Stand 23.09.2008.

2 Was sind Jugend(sub)kulturen? Begriffsdefinition

In diesem Kapitel soll der Begriff „Jugend(sub)kultur“ bzw. Subkultur näher definiert werden. Zunächst einmal wird der Mutterbegriff „Kultur“ erklärt, mit welchem in dieser Ausführung gearbeitet werden soll. Im Anschluss dazu soll die Subkulturtheorie nach Mike Brake dargestellt werden. Darüber hinaus wird die Beziehung von Subkulturen und Migration kurz analysiert, um schließlich die besonderen Aspekte von musikzentrierten Subkulturen zu beleuchten.

2.1 Kultur- und Subkulturbegriff

Der Begriff der „Kultur“ ist von einer Vielzahl von Anthropologen, Ethnologen und Soziologen […] hinlänglich definiert worden. Kultur ist der Inbegriff alles nicht Biologischen in der menschlichen Gesellschaft. […] Kultur ist die Summe aller Institutionen, Bräuche, Werkzeuge, Normen, Wertordnungssysteme, Präferenzen, Bedürfnisse usw. in einer konkreten Gesellschaft.4

Um eine hinreichende Begriffsdefinition von Subkultur/Jugendkultur/Jugendsubkultur zu erzielen, ist eine Betrachtung des Mutterbegriffs „Kultur“ Voraussetzung. Eine eindeutige Bestimmung des Begriffs „Kultur“ ist äußerst problematisch, wenn nicht sogar unmöglich. Schon 1952 legten Kreober/Kluckhohn nahezu 300 verschiedene Definitionen des Begriffs „Kultur“ vor (vgl. Müller-Bachmann 2002, S. 21). Der Begriff der Kultur umfasst ein sehr weites Feld der unterschiedlichsten menschlichen Verhaltensweisen und Aktivitäten. Dieses weite Feld an Begrifflichkeiten nimmt seinen (sprachlichen) Ausgangspunkt beim Ackerbau der Frühgeschichte (im Sinne von „Urbarmachen“, also der Umwandlung von wilder Natur in Nutzfläche für die Landwirtschaft; von lat. cultura, „Bearbeitung“, „Pflege“, „Ackerbau) und erstreckt sich von der Bildung und Ausdifferenzierung der individuellen Lebensweise des Menschen bis hin zu der Gesamtheit der kreativen, künstlerischen und geistigen Lebensäußerungen, welche als „die Kultur“ verstanden werden (vgl. ebd.).

Aus einer Vielzahl von Kulturdefinitionen lassen sich laut Müller-Bachmann zwei prinzipielle Definitionen herauskristallisieren. Der erste und gängigste Kulturbegriff oder auch „geisteswissenschaftliche Kulturbegriff“ definiert Kultur als einen Maßstab ästhetischer Qualität (Kunst) und weist sie als normativ aus. Dieser Kulturbegriff versteht Kultur als ein auf die Geschichte rekurrierendes Überlieferungssystem. In diesem Zusammenhang wird davon ausgegangen, dass es nur eine Kultur gibt, nämlich die der gebildeten Schichten Westeuropas. Es wird bei diesem Kulturbegriff von einer ungeteilten Gesellschaft bzw. Kultur ausgegangen. Zu diesem Kulturbegriff gehört auch ein eher hierarchisch-elitärer Anspruch der Kultur (vgl. Müller-Bachmann 2002, S. 23).

Der zweite ist der anthropologisch-soziologische Kulturbegriff, welcher für diese Arbeit geeigneter ist als der geisteswissenschaftliche Kulturbegriff. Er verzichtet auf jegliche elitäre und homogene Aspekte. Diese Begriffsdefinition von Kultur umfasst alles, was der Mensch im Laufe seines Lebens erreichen und zum Ausdruck bringen kann. Kultur bedeutet in diesem Kontext eine bestimmte Lebensweise, die sich ergänzend zur Bildung und Kunst auch in Institutionen und alltäglichen Lebensstrukturen und deren gesellschaftlichen Lebenszusammenhängen ausdrückt. Zwar wird Kultur auch in diesem Ansatz als ein System von Wertvorstellungen angesehen, welches als Grundlage für die Bildung von Normen und Rollen dient. Der Unterschied zur traditionellen Auffassung von Kultur ist jedoch, dass die Wertvorstellungen zwar historische Grundlagen haben, aber auch einem ständigen Wandel unterworfen sind (vgl. ebd.).

Dieser zweite, anthropologisch-soziologische Kulturbegriff ist im Gegensatz zum geisteswissenschaftlichen Kulturbegriff flexibler und wird der (post)modernen Gesellschaft eher gerecht. Der geisteswissenschaftliche Ansatz erscheint in seinem Kulturverständnis, mit seinem Anspruch auf Homogenität, zu eingeengt und für diese Arbeit auch ungeeignet, weil er die Begriffe Subkultur bzw. Jugendsubkultur von vornherein ausblendet. Die mit der Etablierung der Massenmedien und anderen Faktoren (Industrialisierung, Emanzipation, Bildung etc.) einhergehende Pluralisierung hat die Grenzen zwischen Kultur, Gesellschaft und Ökonomie aufgebrochen. Die Vielfalt kultureller Angebote und die unendlichen Möglichkeiten der Partizipation, die immer weniger an bestimmte gesellschaftliche Bedingungen wie Alter, Geschlecht, soziale und ethnische Herkunft gekoppelt sind, lassen normative Kulturbegriffe fast überflüssig werden. In einer heterogenen, pluralisierten und sich in stetiger Bewegung befindenden industrialisierten und globalisierten Gesellschaft, welche auch die Mitglieder der Sub- bzw. Jugendsubkulturen betrifft, kann Kultur nur als etwas Prozesshaftes verstanden werden.

In Gesellschaften, die komplex verästelt sind, gibt es umso mehr Kulturen (Sub- und Klassenkulturen), welche auf ihre Art und Weise gesellschaftlich Vorgegebenes verschiedenartig bearbeiten (vgl. Brake 1981, S. 16ff.). Kultur steht in Wechselwirkung zu den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen. In solch einer ausdifferenzierten Gesellschaft gibt es nicht nur eine Kultur, sondern auch eine genauso ausdifferenzierte Anzahl an Sub-/Jugend- bzw. Jugendsubkulturen (vgl. ebd., S. 23ff.). Wenn man also von einer Gesellschaft ausgeht, welche soziale Ungleichheit impliziert, und von einem Kulturbegriff, der Kultur als prozesshafte, gelebte soziale Praxis versteht, ist es legitim, von „Kulturen“ im Plural zu sprechen (vgl. Müller-Bachmmann 2002, S. 31; Lindner 1981, S. 187). Erst in einem solchen Kontext erhalten Subkulturen ihren Sinn als Subsysteme, die in einem Zuordnungs- und Unterordnungsverhältnis zueinander stehen (vgl. Lindner 1981, S. 187).

Der Terminus bzw. das theoretische Konstrukt „Subkultur“ entstammt der angloamerikanischen Kulturanthropologie und Soziologie. Mit Hilfe dieses Begriffes beschrieb und analysierte man Handlungssysteme mit Werten, Normen, Verhaltensmustern, Ritualen, Ausdrucksformen und Symbolen, die von einer Menschengruppe mit charakteristischen Eigenschaften (z. B. Alter, Geschlecht, Religion, Ethnie usw.) praktiziert und akzeptiert werden und die von der herrschenden Kultur in gewissem Maße abweichen (vgl. Griese, 2000, S. 18).

Der Begriff „Subkultur“ ist in der wissenschaftlichen Diskussion noch immer nicht exakt bestimmt und umstritten. Es wird damit eine gesellschaftliche Teilkultur beschrieben, die sowohl Teil der vorherrschenden Kultur als auch gleichzeitig eine Abkehr von dieser ist (vgl. Thiele/Taylor 1998, S. 49).

2.2 Subkulturtheorien

In diesem Kapitel werden die Subkulturtheorien des Centre for Contemporary Cultural Studies (CCCS) und die Theorie der Subkultur nach Schwendter kurz dargestellt, um einen Vergleich zur darauf folgenden Soziologie der jugendlichen Subkulturen nach Mike Brake, welche für diese Arbeit relevant ist, zu ziehen.

2.2.1 Die Subkulturtheorie des Centre for Contemporary Cultural Studies (CCCS)

Seit Mitte der 1960er Jahre befasst sich das in Birmingham (England) gegründete Centre for Contemporary Cultural Studies intensiv mit der Subkulturanalyse unter Einbeziehung der jugendlichen Stil- und Ausdrucksmittel. Es war eines der ersten Institute, welches Jugendsubkulturen und deren Gruppenstile umfassend analysierte und vor einem gesellschafts- und kulturtheoretischen Hintergrund deutete. Ab den 1970er Jahren beschäftigten sich Vertreter des CCCS wie Dick Hebdige, Tony Jefferson, Angela McRobbie, John Clarke u. a. intensiv mit dem neuen kulturellen Phänomen der Jugendsubkultur (vgl. Müller-Bachmann 2002, S. 29). Das CCCS entwickelte ein differenziertes Analysekonzept zum kulturellen Hintergrund der in England auftretenden Subkulturen, der Mods, Teds, Rocker und Skinheads. Innerhalb der Konfigurationen der unterschiedlichen Kulturen werden Subkulturen als Subsysteme ihrer Klassenkultur – der Stamm- oder Herkunftskultur – verstanden. Mit dieser Stamm- oder Herkunftskultur besitzen Subkulturen Gemeinsamkeiten, heben sich aber auch von dieser ab. Die Subkulturtheorie des CCCS unterteilt weiterhin diese Klassenkultur in die „parent culture“, die „Stamm- oder Herkunftskultur“, und in die generationsspezifische Verarbeitung durch die ihr angehörigen Jugendlichen (vgl. ebd., S. 32).

Ein zweites Moment der Analyse des CCCS war das spannungsreiche Verhältnis der Subkulturen in Bezug zur dominanten, kapitalistischen Kultur. Subkulturen werden hier als Antwort auf klassenspezifische Lebenslagen begriffen und beziehen sich daher auf Jugendliche der „proletarischen Schicht“, der die herrschende, kapitalistische „Stammkultur“ keine passenden Lösungsmuster mehr anbieten kann. Hier werden Subkulturen als kollektive Problemlösungsstrategien verstanden, welche vorwiegend unter Jugendlichen der Arbeiterklasse entstehen (vgl. Brandstetter 2006, S. 14ff.).

Ausgehend von dieser Prämisse einer kulturellen Dialektik werden Subkulturen als „doppelt artikuliert“ verstanden. Die vom CCCS analysierten Jugendsubkulturen standen zum einen der Stammes- bzw. Herkunftskultur (parent culture) entgegen, zum anderen befanden sich die ihr angehörigen proletarischen Jugendlichen mit ihren Eltern gemeinsam in Opposition zur dominanten, kapitalistischen Kultur der Mittelklasse. Es kommen also zwei Merkmale zum Vorschein: zum einen eine Abweichung von der herrschenden Kultur und zum anderen eine Übereinstimmung mit der Herkunftskultur, deren Subsysteme sie sind. (vgl. Müller-Bachmann 2002, S. 32; Lindner 1981, S. 187).

Dies hat laut der Theorie des CCCS zur Folge, dass Jugendliche im Kollektiv der jeweiligen Subkultur auf eine Umwelt reagieren, die ihnen keine Zukunftsaussichten bietet und sie gleichzeitig aufgrund ihrer proletarischen Klassenzugehörigkeit stigmatisiert. Aufgrund dieser Situation kann es zu einer bewussten Verletzung der gesellschaftlich anerkannten Normen durch Subkulturen kommen. Alternativ dazu bilden Subkulturen, als Gegenpol zu den durch die Mittelschichtnorm limitierten Lebenschancen, eine eigene durch Normen geregelte Lebensgestaltung. Diese erfolgt mit Hilfe einer Selbstentwicklung eigener Mittel wie z. B. Rituale, Sprache oder Musik, welche die kollektive Identität stützen und stärken bzw. bilden. Für das CCCS stellen Subkulturen eine Teillösung für gelebte strukturelle Widersprüche dar. Stilbildung dient zunächst einmal dazu, die Beziehung zu der gesellschaftlichen Umwelt zu reproduzieren und nach außen hin darzustellen. Ebenso dient die Stilbildung dazu, ein kollektives Identitätsgefühl nach innen hin zu stabilisieren (vgl. Brandstetter 2006, S. 14ff.).

2.2.2 Theorie der Subkultur nach Rolf Schwendter

Rolf Schwendter verfasste 1973 sein Werk Theorie der Subkultur. In diesem Werk wird ein differenzierter Entwurf zur Unterscheidung und Typisierung von Subkulturen dargelegt (vgl. Griese 2000, S. 18). Er ging von folgendem Gesellschaftsmodell aus: Mit dem Begriff des „Establishment“ subsumiert Schwendter die großen und mittleren Kapitaleigentümer, einschließlich jener Teile des Kleinbürgertums, die fest hinter diesem „Establishment“ stehen. Zu diesem Establishment kann man höhere Angestellte bzw. Funktionäre und Beamte im Staatsapparat, in den Konzernen, im Militär, in den Medien, den Verbänden und anderen Lobbies zählen (vgl. Schwendter 1993, S. 35).

Im Gegensatz zum „Establishment“ steht, laut Schwendter, die Gesamtheit aller Personen, die diesem nicht angehören. Schwendter bezeichnet diese Personengruppe als „kompakte Majorität“. Unter diesem Begriff werden Arbeiter, Angestellte, niedere Beamte, das Lumpenproletariat sowie Teile des Kleinbürgertums subsumiert (vgl. ebd., S. 35). Da sich aber eine Vielzahl von Individuen im Allgemeinen nicht ausschließlich dem „Establishment“ oder der „kompakten Majorität“ zuordnen lassen, wird von Schwendter der Begriff der Subkultur/en eingeführt (vgl. ebd., S. 36).

Schwendter unterscheidet in seinem Modell progressive und regressive Subkulturen. Bei den progressiven Subkulturen handelt es sich um „Gegenmilieus“, welche den Status quo der Gesellschaft aufheben, weitertreiben bzw. einen neuen Zustand erreichen wollen. Im Gegensatz dazu streben die regressiven Subkulturen nach einer Wiederherstellung von Normen, die nicht mehr oder in anderer Weise in der gegenwärtigen Gesellschaft wirksam sind (vgl. Griese 2000, S. 18; Schwendter 1993, S. 37). Bei den progressiven Subkulturen gibt es zwei fundamentale Ausrichtungen: Es gibt rationale Subkulturen, welche politisiert und intellektualisiert sind. Hierzu zählt Schwendter Subkulturen wie Studenten- und Intellektuellengruppen, politisierte ethnische Minderheiten. Die zweite Ausrichtung von progressiven Subkulturen sind emotionale Subkulturen. Diese legen großen Wert auf individuelle Freiheit und individuelle Entfaltung des Bewusstseins. Hierzu zählen laut Schwendter Subkulturen wie Gammler, Hippies, Beatniks, esoterische Gruppen und die Boheme (vgl. Schwendter 1993, S. 40). Diese Diskrepanz zwischen politisch-rationalistisch-kollektiver Trends einerseits und beziehungsorientiert-individualistischaffektiver Aspekte andererseits konstituiert für Schwendter eine der Hauptparadoxien innerhalb der progressiven Subkulturen (vgl. Griese 2000, S. 18ff.).

Darüber hinaus unterscheidet er zwischen freiwilliger und unfreiwilliger Teilnahme an Subkulturen. Zu den letztgenannten zählen z. B. Gefängnisinsassen, Heimzöglinge, Obdachlose, Kriminelle oder Bewohner von Ghettos. Aufgrund dieser Unterteilung und Analyse von Schwendter ergibt sich ein mehrdimensionales theoretisches Konstrukt zur Typisierung und Differenzierung von subkulturellen Phänomenen, welches für eine pluralisierte Gesellschaft angebrachter erscheint als das oben vorgestellte CCCS-Theorem (vgl. ebd.).

2.2.3 Soziologie der jugendlichen Subkulturen nach Mike Brake

2.2.3.1 Der Subkulturbegriff nach Brake

Meine zentrale These […] ist, dass kollektiv erfahrene Schwierigkeiten, die aus Widersprüchen der zugrundeliegenden Sozialstruktur erwachsen, die Voraussetzung für die Entwicklung von Subkulturen sind, in denen sich dann kollektive Identitäten herausbilden.5

Im folgenden Kapitel soll diese These von Brake analysiert werden. Als Basis dient das 1981 in Deutschland erschienene Buch mit dem Titel Soziologie der jugendlichen Subkulturen. Strukturelle Widersprüche haben, laut Brake (1981), individuelle Konsequenzen und Auswirkungen. Es handelt sich hierbei also, so der Autor, um eine „ontologische“ Frage, also um eine Auseinandersetzung mit dem eigenen Selbst.

Fundament für Brakes Buch war der Symbolische Interaktionismus nach G. H. Mead. Diese Theorie geht davon aus, dass in Anbetracht einer unübersichtlichen, pluralisierten und differenzierten Gesellschaft ein Individuum sich eher an Personen mit besseren Zukunftsperspektiven (Idolen) orientiert, als an Personen aus dem unmittelbaren sozialen Umfeld.

Diese wichtigen Bezugspersonen umschreibt Brake mit dem Begriff der „Bedeutsamen Anderen“ (significant others). „Bedeutsame Andere“ können z. B. einzelne Personen sein wie die Eltern, Geschwister, Freund/in, Fußballspieler, Musikstars oder Gruppen wie Peergroups, Bezugsgruppen (Motorradgangs, Straßengangs, Musikbands etc.). Auch die individuelle Selbsteinschätzung ist für die Orientierung bedeutend. „Bedeutsame Andere“, egal ob sie fiktive oder reale Personen sind, können für den Einzelnen sehr wichtig sein (vgl. Brake, 1981, S. 10).

In den sozialen Schichten, in denen man geboren wird, gibt es laut Brake vielfältige Lebensweisen, welche nach Region und sozialem Umfeld modifiziert sind. Diese verschiedenen Gruppen entwickeln über soziale Kontakte Verhaltensnormen und Wertmaßstäbe, welche Individuen konditionieren und zu deren Weiterentwicklung diese wiederum beitragen. Die Kultur bzw. Subkultur dieser Gruppen besteht aus den von ihnen repräsentierten Werten und Ansichten. Der Mensch, so Brake, kann als soziales Wesen nur dann überleben, wenn er individuell oder im Kollektiv ein Netz von sozialen Kontakten aufbauen kann, wobei diese Sozialkontakte reziproke Beeinflussung voraussetzen (vgl. ebd., S. 15ff.).

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