Herbert Schnädelbach
Religion in der modernen Welt
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Herbert Schnädelbach studierte Germanistik, Geschichte, Musikwissenschaft, Philosophie und Soziologie in Frankfurt am Main, promovierte bei Adorno und lehrte nach der Habilitation an den Universitäten Frankfurt am Main, Hamburg und – bis zu seiner Emeritierung – an der Humboldt-Universität zu Berlin. Zahlreiche wissenschaftliche Veröffentlichungen, zuletzt »Vernunft« (2007).
© 2009 S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main
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ISBN 978-3-10-400140-1
Die Anmerkungen befinden sich am Ende des Bandes ab Seite 175
Vgl. Helmuth Plessner, Die verspätete Nation, Frankfurt am Main 1974.
Vgl. hierzu: Herbert Schnädelbach, Die Zukunft der Aufklärung. Christian-Wolff-Vorlesung Marburg 2003, jetzt in: H. S., Analytische und postanalytische Philosophie. Vorträge und Abhandlungen 4, Frankfurt am Main 2004, 66ff.
Ich lernte im Religionsunterricht, das habe auch Nietzsche getan, und deshalb sei er verrückt geworden.
G. W. F. Hegel, Werke in zwanzig Bänden (Theorie Werkausgabe), Frankfurt am Main, Band 3, 391ff.
Hegel, Band 8, 36.
Karl Marx, Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie. Einleitung, in: K. M., Die Frühschriften (hg. v. S. Landshut), Stuttgart 1953, 208.
Max Weber, Schriften 1894–1922 (hg. v. D. Kaesler), Stuttgart 2002, 510.
Ebd., 348 und 500.
Hegel, Band 12, 491ff.
Fragm. 16, 15 und 23.
Zum Folgenden vgl. Jan Assmann, Die Mosaische Unterscheidung oder der Preis des Monotheismus, München/Wien 2003, 11ff.
Vgl. Art. Polytheismus, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie, Band 7, Sp. 1087ff.
Annemarie Schimmel berichtet, dass Koranschüler in Ankara ihren Lehrer mit dem Hinweis auf seine der arabischen Grammatik nicht entsprechende Aussprache kritisierten, worauf der antwortete: »Aber der Koran ist doch nicht arabisch! Er ist doch Gottes Wort!« Vgl. Der Koran (übers. v. Max Henning; Einleitung und Anmerkungen von Annemarie Schimmel), Neuausgabe Stuttgart 1991, 7.
Kant, Die Religion innerhalb der Grenzen der Vernunft, B 229.
Ebd., B 261f.
Vgl. Friedrich Schleiermacher, Der christliche Glaube nach den Grundsätzen der Evangelischen Kirche im Zusammenhange dargestellt (1821/22).
Vgl. hierzu Fn. 1, insbes. 71ff.
A 481.
Ebd.
Kant, Was heißt: sich im Denken orientieren?, A 329.
Zit. nach: Ehrhard Bahr (Hg.), Was ist Aufklärung? Thesen und Definitionen, Neuausgabe Stuttgart 1996, 20.
Immanuel Kant, Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung?, A 481.
Ebd., A 493.
A 482f.
Schiller, Don Carlos III, 10.
Kant, A 493.
Max Weber, a. a. O., 224.
Kant, Beantwortung … , A 491.
Kant, Kritik der reinen Vernunft, A XI.
Platon: Kriton 46 b.
René Descartes, Abhandlung über die Methode, (dt. v. A. Buchenau), Hamburg 1957, 13.
Arnold Gehlen, Moral und Hypermoral, Frankfurt am Main/Bonn 1969, 7.
Vgl. meinen Artikel ›Kultur‹, in: Martens/Schnädelbach (Hg.), Philosophie. Ein Grundkurs, Reinbek 1991/2003, 517f.
Vgl. Jan Assmann, a.a. O., 154ff. und (im Anschluss an Sigmund Freud) 119ff.
Vgl. ebd., 27f.
Vgl. Hermann Lübbe, Religion nach der Aufklärung, Graz/Wien/Köln 1986, 10ff.
Nietzsche, Die fröhliche Wissenschaft, § 357.
Vgl. Klaus-Peter Jörns, Die neuen Gesichter Gottes. Was die Menschen heute wirklich glauben, München 1997/99.
Kurt Flasch, Die Vernunft ist keine Jacke, in: Berliner Zeitung vom 22. 09. 2006, 31.
Vgl. Benedikt XVI., Glaube und Vernunft. Die Regensburger Vorlesung, Freiburg i. Br./Basel/Wien 2006.
Zum Folgenden vgl.: Herbert Schnädelbach, Vernunft. Grundwissen Philosophie, Stuttgart 2007.
Zitiert nach Stefan Gosepath, Aufgeklärtes Eigeninteresse. Eine Theorie theoretischer und praktischer Rationalität, Frankfurt am Main 1992, 3.
Immanuel Kant, Anthropologie in pragmatischer Hinsicht, A 315.
Nikomachische Ethik 1139 b 15ff. (Übersetzung von Ursula Wolf).
Vgl. Francis Bacon, Neues Organon (hg. v. M. Buhr), Berlin 1962, 7ff.
Vgl. Apel/Kettner (Hg.), Die eine Vernunft und die vielen Rationalitäten, Frankfurt am Main 1996.
Vgl. Benedikt X V I., a. a. O., 18.
Papst Johannes Paul II., Enzyklika Glaube und Vernunft (Fides et ratio) [Enz], Stein am Rhein 1998, 55.
Vgl. Platon, V II. Brief, 342 a ff.
G. W. F. Hegel, Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften, § 1.
Vgl. Fußn. 10.
Enz, S. 14.
Die Enz spricht davon, dass die »Erkenntnis der menschlichen Vernunft … auf Grund ihrer Natur den Schöpfer zu erreichen vermag« (14); somit gilt hier Kants Kritik der Gottesbeweise als widerlegt.
Ebd.
Vgl. Martin Heidegger, Sein und Zeit, Tübingen 1927, S. 33ff.
Vgl. Kant, Anthropologie … , BA 34.
Vgl. Enz, S. 20f.
Wolfgang Huber, »Glaube und Vernunft. Ein Plädoyer für ihre Verbindung in evangelischer Perspektive«, in: Knut Wenzel (Hg.), Die Religionen und die Vernunft. Die Debatte um die Regensburger Vorlesung des Papstes, Freiburg /Basel/Wien 2007, 60.
Enz, S. 15.
1. Kor. 15, 5–8.
Vgl. Jürgen Habermas, Ein Bewusstsein von dem, was fehlt, in: Neue Zürcher Zeitung vom 10. 2. 2007, passim.
Vgl. Kant, Kritik der reinen Vernunft, B 850.
Vgl. Joh 20, 24ff.
V. 25.
Vgl. Wolfgang Klausnitzer, Glaube und Wissen, Lehrbuch der Fundamentaltheologie, Regensburg 1999, 150.
Enz 14.
Aristoteles, Politik 1253 a 9f.
Vgl. Enz, S. 17f.
Hubert Windisch, in: zur debatte 38 (2008), 23.
Dies ist der Titel der deutschen Übersetzung von Richard Dawkins: The God Delusion, Berlin 2007.
Robert Spaemann, Der letzte Gottesbeweis, München 2007, 20.
Jürgen Habermas, Glauben und Wissen. Friedenspreis des Deutschen Buchhandels 2001, Frankfurt am Main 2001, 12ff.
Eberhard Jüngel, Untergang oder Renaissance der Religion? Überlegungen zu einer schiefen Alternative, in: Erwin Teufel (Hg.), Was hält die Gesellschaft zusammen?, Frankfurt am Main 1977, 182f.
Vgl. Platon, Euthphron 10e ff.
Zit. nach Windisch, in: zur debatte 5 (2008), 23.
Friedrich D. E. Schleiermacher, Der christliche Glaube … (1820/21) § 36.
G. W. F. Hegel, Werke in zwanzig Bänden, Frankfurt am Main 1969f., Band 7, 14.
Wilhelm Gräb, Religion und die Bildung ihrer Theorie: Reflexionsperspektiven, in: Weyel/Gräb (Hg.), Religion in der modernen Lebenswelt. Erscheinungsformen und Reflexionsperspektiven, Göttingen 2006, 194.
A. a. O., 197.
Ebd., 198.
Ebd., 205.
Ebd., 206f.
Ebd., 207.
Ebd., 203.
Ebd., 199.
Ebd.
Vgl. Artikel ›Religiosität, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie, Basel/ Darmstadt 1971ff., Band 8, Sp. 774ff.
Vgl. dazu auch Wilhelm Gräb, a. a. O., 204.
Vgl. zum Folgenden Herbert Schnädelbach, ›Sinn‹ in der Geschichte? – Über Grenzen des Historismus, in: H. S., Philosophie in der modernen Kultur. Vorträge und Abhandlungen 3, Frankfurt am Main 2000, 127ff.
Ludwig Wittgenstein, Tractatus, 6.521.
Theodor W. Adorno, Negative Dialektik, Frankfurt am Main 1966, 367.
Gräb, a. a. O., 205.
205.
Volker Gerhardt, Individuum und Religion, in: Weyel/Gräb (Hg.) [im Folgenden: WG ], a. a. O., 45.
V. G., Die Vernunft des Glaubens. Zur Atheismusdebatte, in: Magnus Striet (Hg.) [im Folgenden: MS ], Wiederkehr des Atheismus. Fluch oder Segen für die Philosophie?, Freiburg/Basel/Wien 2008, 139ff.
WG, a. a. O., 44.
Ebd.
MS, 148.
Ebd.
WG, 33.
MS, 148.
WG, 33.
MS, 149.
MS, 148.
Markus 9, 24.
WG 32.
MS 149.
Dietrich Bonhoeffer, Widerstand und Ergebung, 2. Aufl. München 1977, 355ff.
Wilhelm Gräb, a. a. O., 199.
Robert Spaemann, Der letzte Gottesbeweis, München 2007, 7.
Ebd., 7.
Ebd., 12.
Vgl. ebd., 10.
Ebd., 12.
Ebd., 13.
Ebd., 19.
Georg W. F. Hegel, Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften, § 1.
Spaemann, 28f.
Kant, Kritik der reinen Vernunft, B 82.
Vgl. Kant, a. a. O., B 850.
Spaemann 12.
Ebd., 22.
Vgl. Martin Heidegger, Sein und Zeit, Tübingen 1927, 33.
Spaemann, 30.
31.
32.
Ebd.
Vgl. Rolf Schönberger, Gott denken, in: Robert Spaemann, a. a. O., 121.
Venanz Schubert, »Zum Phänomen des Atheismus. Einführung«, in: Ders. (Hg.), Welt ohne Gott? Theoretischer und praktischer Atheismus, St. Ottilien 1999, 7 und 8f.
Ernst Bloch, Spuren, Neuausgabe Frankfurt am Main 1959, 82.
Ebd., 81.
Vgl. dazu: Horst Groschopp, Ostdeutscher Atheismus – die dritte Konfession?, in: Faber/Lanwerd (Hg.), Atheismus: Ideologie, Philosophie oder Mentalität?, Würzburg 2006, 209ff.
Georg Chr. Lichtenberg, Aphorismen, (hg.v. Max Rychner), Zürich 1947, 213.
Heinrich Heine, Deutschland. Ein Wintermärchen, I.
Friedrich Nietzsche, Die fröhliche Wissenschaft, § 357.
Vgl. Horst Groschopp, a.a. O., 220.
Vgl. ebd., 210f.
Art. Atheismus, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie, Basel/Darmstadt 1971ff., Band 1, Sp. 595ff.
Alasdair MacIntyre/Paul Ricœur, Die religiöse Kraft des Atheismus (dt. v. R. Ansén) Freiburg i. Br./München 2002, 67.
Otto Waalkes sagt: »Ich habe eine Glaubenskrise: Ich glaube, ich muss noch einen trinken … «
Immanuel Kant, Kritik der reinen Vernunft, B 850.
Deutsch: Der Wille zum Glauben, in: Ekkehard Martens (Hg.), Texte der Philosophie des Pragmatismus, Stuttgart 1975, 128ff., insbes. 138.
Markus 9, 24.
Vgl. die erste Frage des Heidelberger Katechismus.
Der christliche Glaube nach den Grundsätzen der evangelischen Kirche im Zusammenhange dargestellt (1821–22).
Ausgehend von Jan Assmann, Moses der Ägypter, München 1998; im folgenden Text beziehen sich die Seitenzahlen stets auf Assmann, Die Mosaische Unterscheidung oder der Preis des Monotheismus, München 2003.
So der Titel von Assmann 2003.
Der Ausdruck wurde 1580 geprägt von Jean Bodin (vgl. Historisches Wörterbuch der Philosophie, Basel/Darmstadt 1971ff., Bd. 7, Sp. 1088).
Vgl. z.B. Norbert Lohfink, »Gewalt u. Monotheismus. Beispiel Altes Testament«, in: Düringer, Hermann (Hg.), Monotheismus – eine Quelle der Gewalt?, Frankfurt am Main 2004, 60ff., und Eckhard Nordhofen, »Die Zukunft des Monotheismus«, in: Merkur 53 (1999), 828–846.
Assmann schließt sich hier Werner Jäger an (vgl. 24).
Fragm. 5 (übers. v. Wilhelm Capelle) in: Wilhelm Capelle, Die Vorsokratiker. Die Fragmente und Quellenberichte übersetzt und eingeleitet von W. C., Stuttgart 1968, 165.
Vgl. Martin Heidegger, Sein und Zeit, Halle 1927, 33.
Vgl. Heidegger, Sein und Zeit, 33f., und die Kritik von Ernst Tugendhat, der zeigte, dass es sich bei der alétheia um eine bloße Wahrheitsbedingung handelt (vgl. Ernst Tugendhat, Der Wahrheitsbegriff bei Husserl und Heidegger, Berlin 1967/31983; vgl. auch: Ders., »Heideggers Idee von Wahrheit« (1969), in: Gunnar Skirbekk (Hg.), Wahrheitstheorien, Frankfurt am Main 1977); dieses Argument hat Heidegger später ausdrücklich akzeptiert.
Nach Kant ist Glauben »das Für-wahr-Halten aus einem Grunde, der zwar objektiv unzureichend, aber subjektiv zureichend ist« (Immanuel Kants Logik, hg. v. G. B. Jäsche, Leipzig 1904, Einleitung, I X); er definiert damit in klassischer Weise den neuzeitlichen kognitiven Glaubensbegriff, der schwächer ist als der Wissensbegriff, weil im Wissen der Grund des Für-wahr-Haltens auch objektiv zureichend ist; im Englischen entspricht dem ›belief‹. Das deutsche Wort ›Glauben‹ fungiert aber auch als Übersetzung von ›pístis‹ bzw. ›fides‹ (engl. ›faith‹) und bedeutet dann ein nicht bloß kognitives, sondern lebenspraktisches Vertrauen oder Sichverlassen auf das Geglaubte. In diesem Sinn haben die Patristik und die Scholastik den Glauben immer für etwas Höheres als das Wissen gehalten, das korrigierbar und fehlbar ist; David Hume und die deutsche »Glaubensphilosophie« der Romantiker um J. G. Hamann und J. H. Jacobi versuchten gegen Kant, diesen Glaubensbegriff zu rehabilitieren und ihn auch in säkularer Form als Grundlage unseres gesamten Wissens zu erweisen. (Vgl. Historisches Wörterbuch der Philosophie, Basel/Darmstadt 1971ff., Bd. 3, Sp. 627 ff.). Insofern mag es irreführend sein, von »Glaubenswahrheiten« zu sprechen, weil es sich bei dem so verstandenen Glauben um Evidenzen handelt. Keinesfalls sollte man sie mit den »metaphysischen« Wahrheiten in eine Reihe stellen (vgl. Assmann, 28), denn die Metaphysik verstand sich seit ihren Anfängen immer als wissenschaftliches, d. h. begründbares Wissen; dem modernen Sprachgebrauch von ›metaphysisch‹ im Sinne von etwas »Höherem« und Nebulösem sollten wir nicht folgen.
Die Begriffsgeschichte von ›religio‹ ist die einer fortschreitenden Subjektivierung. Während Cicero diesen Ausdruck für das System der traditionellen Kultvorschriften und die Praxis ihrer gewissenhaften Beachtung reserviert, steht am Ende eines Weges über viele Zwischenstufen Schleiermachers »Gefühl der schlechthinnigen Abhängigkeit« und damit das moderne subjektivistische Religionsverständnis (vgl. Historisches Wörterbuch der Philosophie, Basel/Darmstadt 1971ff., Bd. 8, Sp. 632). Wenn wir heute von Religion in objektiver Hinsicht sprechen, gebrauchen wir in der Regel den Plural und meinen dann ›Religionen‹ als kulturelle Großgegenstände – Judentum, Christentum, Islam etc. –, über die wir in quasi-ethnologischer Perspektive Feststellungen treffen; welche von ihnen objektiv ist im Sinne der Verbindlichkeit ihrer Richtigkeiten für uns, überlassen wir der persönlichen Entscheidung. Cicero, Thomas oder Luther wäre das nicht in den Sinn gekommen; sie waren keine bloßen Religionswissenschaftler.
Ludwig Wittgenstein, Philosophische Untersuchungen, Frankfurt am Main 152003, § 202.
Eine reichhaltige Liste von möglichen und wirklichen Funktionen von Religion findet sich bei: Dieter Stoodt, »Religiöse Sozialisation und emanzipiertes Ich«, in: Dahm/Luhmann/Stoodt (Hg.), Religion – System und Sozialisation, Darmstadt/Neuwied 1972, 231.
Zu den Problemen der traditionellen Funktionstheorie der Religion, die vor allem durch die Existenz funktionaler Erklärungsalternativen entstehen, vgl. Niklas Luhmann, Funktion der Religion, Frankfurt am Main 1977, 9ff., und Hermann Lübbe, Religion nach der Aufklärung, Graz/ Wien/Köln 1986, 219ff.
Dies ist nach Hermann Lübbe die Funktion von Religion, für die »nach der Aufklärung« kein funktionales Äquivalent existiert; in dieser Hinsicht ist die Religion in der Moderne durch nichts zu ersetzen: Vgl. Lübbe, 237.
Freud vergleicht die Religion mit einer kollektiven Zwangsneurose und sagt dazu: » … durch gewaltsame Fixierung eines psychischen Infantilismus und Einbeziehung in einen Massenwahn gelingt es der Religion, vielen Menschen die individuelle Neurose zu ersparen.« (Sigmund Freud, Die Zukunft einer Illusion [1927], jetzt in: Ders.: Werkausgabe in zwei Bänden (hg. v. Anna Freud und Ilse Grubrich-Simitis), Frankfurt am Main 1978, Band 2, 382; vgl. auch 357 f.).
Vgl. dazu die Geschichte von Paulus in Ephesus in Apg. 19, 23; beim Aufstand des Demetrius gegen die Bedrohung des Dianakults durch die christliche Predigt ging es aber wohl primär um die Profite des Devotionalienhandels.
Vgl. Carl Schmitt, Der Begriff des Politischen (1932), Berlin 1963/1979, 26.
Vgl. Lübbe, 75ff.
Vgl. Odo Marquard, »Lob des Polytheismus. Über Monomythie und Polymythie«, in: Ders., Abschied vom Prinzipiellen. Philosophische Studien, Stuttgart 1981.
Vgl. Richard Ziegert, »Wohin entwickelt sich der Protestantismus?«, in: Pfälzisches Pfarrerblatt, 94. Jg. (2004), 332ff.
Zur politischen Neutralisierung religiöser Wahrheitsansprüche vgl. Hermann Lübbe, Religion nach der Aufklärung, Graz/Wien/Köln 1986, 10f. und 75ff.
Vgl. Carl Schmitt, Politische Theologie. Vier Kapitel von der Souveränität, Berlin 31979 [im folgenden Text: PT].
Zur Begriffsgeschichte von ›Politische Theologie‹ seitdem vgl. Jan Assmann, Herrschaft und Heil. Politische Theologie in Altägypten, Israel und Europa, Frankfurt am Main 2002 [im folgenden Text: HH], 23ff.
Vgl. dazu auch: Reinhard Mehring, Carl Schmitt zur Einführung, Hamburg 2001, 9f.; auch: HH, 23f. – Die geradezu monumentale Rekonstruktion durch Heinrich Meier, Die Lehre Carl Schmitts. Vier Kapitel zur Unterscheidung Politischer Theologie und Politischer Philosophie, Stuttgart 1994/2004, stützt sich weitgehend auf verstreute Bemerkungen sowie auf biographisches Material und den umfangreichen Briefwechsel. Hier entsteht das eindrucksvolle Bild einer politisch-theologischen Gesamtkonzeption, deren tatsächliche Existenz bei Carl Schmitt von der neueren, auf den Nachlass sich konzentrierenden Forschung immer stärker in Frage gestellt wird: Vgl. dazu die kritische Rezension von Reinhard Mehring, in: Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie 81 (1995), 593–597.
So behandelt die erste große Monographie über Carl Schmitt von 1964 ihn ausschließlich als politischen Philosophen, vgl. Hasso Hofmann, Legitimität gegen Legalität. Der Weg der politischen Philosophie Carl Schmitts, Berlin 21992; vgl. auch Henning Ottmann, »Carl Schmitt«, in: Graf Ballestrem/Ottmann (Hg.), Politische Philosophie des 20. Jahrhunderts, München 1990, 32–71. – Zu einer rechtstheoretischen Interpretation der Schrift Politische Theologie vgl. Reinhard Mehring, »Macht im Recht. Carl Schmitts Rechtsbegriff in seiner Entwicklung«, in: Der Staat 43 (2004), 1–22.
Ebd., 37ff.; auch 59.
Vgl. Markus 12, 17.
Was im Umkreis des Jahrbuchs Politische Theologie (4 Bände seit 1996) unter politischer Theologie verstanden wird, bezieht sich auf die Konzeptionen von Johann Baptist Metz, Jürgen Moltmann, Dorothee Sölle u.a., denen es darum geht, die Theologie aus der Enge der privatisierten Religion herauszuführen und ihre sozialen und politischen Implikationen darzulegen. Auch die südamerikanische Befreiungstheologie ist damit gemeint. Ein direkter Bezug zum politisch-theologischen Diskurs im Sinne Carl Schmitts besteht nicht.
Dieser Ausdruck stammt von Max Scheler.
Vgl. Reinhard Mehring, a. a. O., S. 60ff.
Vgl. hierzu: Hermann Lübbe, »Dezisionismus – eine kompromittierte politische Theorie«, in: Ders., Praxis der Philosophie. Praktische Philosophie, Geschichtsprozesse, Stuttgart 1978, 61ff.
Zum Folgenden vgl. Jan Assmann, HH 11ff.
Der fundamentale Irrtum Jacques Derridas in seiner Grammatologie (dt. Ausg. Frankfurt am Main 1983) war es, die altgriechische Kultur und Philosophie als »phonozentrisch« zu behaupten (vgl. dort 23 ff.), während sie in Wahrheit »fotozentrisch«, d. h. fast ausschließlich am Gesichtssinn orientiert war. Daher stammt die Vielzahl optischer Metaphern in unserer klassischen Terminologie: Anschauung, Einsicht, Evidenz, Licht der Vernunft, Aufklärung etc.
Assmann spricht hier von »Ikonoklasmus als politischer Theologie« (HH 257).
Assmann macht deutlich, dass das, was man gemeinhin als den ägyptischen Polytheismus bezeichnet, in Wahrheit Kosmotheismus ist, d. h. eine alles umfassende Weltfrömmigkeit und -beheimatung: Vgl. ders., Die mosaische Unterscheidung … , a. a. O., 62.
Vgl. dazu meine Argumentation in »Monotheistische Offenbarungsreligionen als Quelle von Intoleranz und Gewalt? Bemerkungen zur Assmann-Debatte«, in: Besier/Lübbe (Hg.), Politische Religion und Religionspolitik. Zwischen Totalitarismus und Bürgerfreiheit, Göttingen 2005, 297–308, inbes. 301ff., in diesem Band 86–99, insbes. 110.
Vgl. hier vor allem: Johannes Paul II., die Enzyklika Fides et ratio, dt. Ausgabe Stein am Rhein 1998.
Thomas Hobbes, Leviathan, Kap. XXVI.
Das Goldene Kalb bedeutete demnach den Rückfall von der Präsentation zur Repräsentation des Göttlichen; vgl. dazu Jan Assmann, »Monotheismus«, in: Jürgen Manemann (Hg.), Monotheismus. Jahrbuch Politische Theologie 4, Münster 22005, 127.
Vgl. dazu: HH 272ff.; bei John Toland (Origines Judaicae 1720) erscheint Mose als Staatsmann und Gesetzgeber, der einen göttlichen Gesetzgeber erfindet, um seinem Gesetzeswerk Nachdruck zu verleihen. – Demselben Entlarvungsmotiv folgt Voltaires Drama Le Fanatisme ou Mahomet le prophète (1742). Goethe übertrug es ins Deutsche und ließ es 1802 unter dem Titel Mahomet nach Voltaire bei Cotta in Tübingen erscheinen.
Es erstreckt sich im Alten Testament von Deuteronomium 6 bis einschließlich 2. Könige.
Dies gegen HH 48.
Vgl.: Off 11, 15ff.; auch Kap. 19ff.
Vgl.: Mehring 68ff.; auch ausführlicher: Heinrich Meier, a.a. O., 231ff.
Hier handelt es sich in Wahrheit um eine tendenziöse Interpretation Schmitts der Weimarer Verfassung, die keinesfalls der allgemeinen Lehrmeinung entsprach. Tatsächlich war hier nicht vorgesehen, dass der Reichspräsident befugt sei, im Fall von Artikel 48 die Verfassung als Ganze – insbesondere die Schutzrechte – außer Kraft zu setzen.
Vgl. Carl Schmitt, Der Hüter der Verfassung, Tübingen 1931; vgl. dazu auch Mehring, a. a. O., S. 50ff.
Zum Folgenden vgl. Mehring 31.
Vgl. Mehring 91.
Thomas Hobbes hat selbst betont, dass »göttliche positive Gesetze«, wie die, die Gott durch Mose dem Volk Israel hat verkünden lassen, die sich selbst legitimierende Legitimität nicht besitzen, sodass diese nur geglaubt werden kann. Ihre verpflichtende Kraft führt er gemäß Ex 20, 19 auf die Bereitschaft des Volkes zurück, dem zu gehorchen, was ihnen Mose an normativer Offenbarung überbringt. Das ist dann der Inbegriff der quasi-staatlichen Ordnung, die niemand unter Berufung auf eigene separate Offenbarungen missachten darf. Mose wird damit bei Hobbes zum Kronzeugen der Überordnung der staatlichen Gewalt über das religiöse Bekenntnis (vgl. Leviathan, Kap. 26).
»Wahnsinnig ist der nominalistische bzw. occasionalistische Willkürgott Thomas Hobbes’‹, Joseph de Maistres und last not least Carl Schmitts. Dieser mindestens so sehr an irdischen Absolutisten abgelesene wie auf sie projizierte himmlische Absolutist ist das entscheidende Wovonher oder Woraufhin jedes antimoralischen Dezisionismus, den man auch Nihilismus nennen kann bzw. muss.« (Richard Faber, »Was heißt heute eigentlich ›Monotheismus‹?«, in: Manemann (Hg.), 17.
Vgl. Carl Schmitt, Der Leviathan in der Staatslehre des Thomas Hobbes. Sinn und Fehlschlag eines politischen Symbols (1938), Neuaufl. Köln 1982.
Vgl. Thomas Hobbes, Leviathan, Einl. und Kap. XVII.
Vgl. dazu: Hans-Gerd Janßen, »Streitfall Monotheismus«, in: Manemann (Hg.), 23ff., mit Verweis auf E. Petersons Kritik an Carl Schmitt (Der Monotheismus als politisches Problem [1935]) und die Konzepte eines konkreten Monotheismus bei Jürgen Moltmann, Walter Kasper u.a. Der byzantinische Caesaro-Papismus war demgegenüber politisch-theologischer Kurzschluss. Zu Petersons Schmitt-Kritik vgl. auch H. Meier, a.a.O., 259f.
Vgl. Benedikt XVI., Glaube und Vernunft. Freiburg i. Breisgau 2006, 17ff.
Römer 9, 20.
Zum Verhältnis Carl Schmitts zum Katholizismus, dem er sich immer selbst zuordnete, vgl. A. Koenen, Der Fall Carl Schmitt, Darmstadt 1995.
Zitiert nach Wolfgang Klausnitzer, Glaube und Wissen. Lehrbuch der Fundamentaltheologie, Regensburg 1999, 49f.
Carl Schmitt beschränkt diese Analogie auf die Konzeption des Rechtsstaates (vgl. PT 49), die aber eine immanente Regelung von Souveränitätskompetenzen nicht ausschließt.
Vgl. Epikur, Von der Überwindung der Furcht. Katechismus, Lehrbriefe, Spruchsammlung, Fragmente, (übers. und eingel. von Olof Gigon) Zürich 1949/München 1983, 64.
Vgl. Hauke Brunkhorst, »Internalisierung der Transzendenz. Die wiederholte Aufhebung der alteuropäischen Tradition in den Rechtsrevolutionen Europas«, im Erscheinen.
Seitenzahlen im Text verweisen auf Jürgen Habermas/Joseph Ratzinger, Dialektik der Rationalisierung. Über Vernunft und Religion (hg. und eingel. von Florian Schuller), Freiburg/Basel/Wien 2005.
Vgl. Robert Leicht (Hg.), Geburtsfehler? Vom Fluch und Segen des Christentums. Streitbare Beiträge, Berlin (Wichern) 2001.
Dokumentiert in: Richard Schröder/Johannes Zachhuber (Hg.), Was hat uns das Christentum gebracht? … , Münster/Hamburg/London 2003.
Vgl. Arnold Angenendt, Vom Segen des Christentums – wider Schnädelbachs »Todsünden«, in: Robert Leicht (Hg.), a.a.O., 73ff.; sowie die große Monographie: Ders., Toleranz und Gewalt. Das Christentum zwischen Bibel und Schwert, 4. Auflage, Münster 2008, zu deren Entstehung mein ZEIT-Artikel offenbar beitrug: vgl. a.a.O., 5.
Vgl. z.B. Text 4.
Meinen Kritikern gewidmet
Dieser Band vereinigt Texte, die bei sehr verschiedenen Anlässen entstanden sind und deswegen auch unterschiedlichen Textsorten angehören. Was sie verbindet, ist der Versuch, angesichts der vielbeschworenen »Wiederkehr der Religion« und in dem damit verbundenen Stimmengewirr zur Klärung der Frage beizutragen, was es damit wirklich auf sich hat und wie es zu beurteilen ist. Damit stehe ich freilich nicht allein, denn zu den Leitmotiven dieser Textsammlung, wie sich nämlich Religion und Moderne, Glaube und Vernunft oder Glauben und Wissen zueinander verhalten, ist inzwischen eine Vielzahl von Publikationen erschienen mit Titeln, die sämtlich diese Problemstellungen variieren. Mit der Religion kam auch der Atheismus wieder auf die Tagesordnung, obwohl er, wie die Religion selbst, bis vor wenigen Jahren überhaupt kein lohnenswertes Thema mehr zu sein schien. Die Kompetenz, in diesem Bereich überhaupt mitzureden, wurde mir einfach zugemutet, und zwar durch das breite Echo, das meine Streitschrift Der Fluch des Christentums, die 2000 in der Wochenzeitung DIE ZEIT erschienen war (Text 13), in der Öffentlichkeit fand; dadurch wurde ich in die Rolle eines ernstzunehmenden Religionskritikers gedrängt, die auszufüllen ich gar nicht beabsichtigt hatte. Was ich in den daran anschließenden Debatten lernen konnte, bestärkte mich darin, dies zu akzeptieren und mich nach Kräften der Fragen anzunehmen, die sich mir stellten oder mir gestellt wurden.
Der Titel von Text 1 könnte auch als Buchtitel dienen; er entstand als Beitrag zu einer Konferenz der Akademie der Wissenschaften zu Turin über »Das Erbe der Aufklärung«. Damit ist Text 2 verwandt, der für eine Tagung der Evangelischen Akademie Loccum über »Die Vernunft und die Religion« geschrieben wurde, wobei es um eine Erörterung der Regensburger Vorlesung des Papstes Benedikt XVI. ging. – Die Texte 3 und 4 widmen sich der »Wiederkehr des Atheismus«, für die vor allem die Bestseller von Richard Dawkins, Christopher Hitchens oder Daniel C. Dennett stehen, und bezweifeln, dass dasjenige, was diese hitzigen Autoren bekämpfen, dem gerecht wird, was Atheismus im 21. Jahrhundert bedeutet; auch Aspekte der gegenwärtigen Atheismuskritik werden hier untersucht. Der Text 3 wurde auf einer interdisziplinären Tagung des religionswissenschaftlichen Instituts der Universität Innsbruck vorgetragen.
Seit dem 11. September 2001 ist nicht nur der Islam in den Ruf geraten, Intoleranz und Gewalttätigkeit zu erzeugen und zu schüren; auch der Monotheismus überhaupt wird inzwischen in gleicher Weise verdächtigt, und damit befasst sich der Text 5, der für eine Konferenz des Hannah-Arendt-Instituts an der Technischen Universität Dresden verfasst wurde. In analoger Weise widmet sich der Text 6 der bemerkenswerten Renaissance der Lehren von Carl Schmitt und untersucht die religionsgeschichtlichen Wurzeln seiner »Politischen Theologie«. – Dann folgen kleinere Texte (7–12), die jeweils auf konkrete Anfragen und Anlässe einzugehen und dabei auch ein breiteres Publikum außerhalb der philosophischen Expertenkultur zu erreichen versuchten.
Dieses Buch ist nicht als Ergänzung meiner wissenschaftlichen Publikationsliste gedacht. Die verschiedenen Entstehungsbedingungen der Texte sind auch der Grund, dass sich inhaltliche Wiederholungen nicht vermeiden ließen; man hat eben nicht alle Tage etwas ganz Neues zu sagen. Immer wieder werden die Philosophen aufgefordert, den »Elfenbeinturm« zu verlassen und sich unserer Tagesfragen anzunehmen. Dann aber stellen sich ihnen Kompetenzprobleme, denn die Vorstellung, dass sie zu allem und jedem etwas zu sagen hätten, ist durch das Bild, das man sich vor allem in Deutschland von der Philosophie macht, weit verbreitet. Sie ist aber auch eine Falle für die Philosophen selber und verpflichtet sie, auf die Grenzen ihrer tatsächlichen Kompetenz zu achten. So habe ich keine eigene Religionsphilosophie zu bieten, sondern nur das, was ein nachdenklicher, irreligiöser Sympathisant der Religion dazu zu sagen hat und womit er sich der Fachkritik aussetzt. Insgesamt findet er den leichtfertigen und gedankenlosen Umgang mit diesen kulturellen Beständen empörend, der sich vor allem in der modernen Funktionalisierung und Instrumentalisierung des Religiösen zeigt; vielfach wird nur noch darüber diskutiert, wozu es gut sei – als sozialer »Kitt«, als Sicherung der kulturellen Identität, als Grundlage der Moral, als Basis der »Wertevermittlung«, als Gelegenheit für bestimmte ästhetische Erlebnisse und, nicht zuletzt, als kommerziell verwertbares Warenlager; auf die Inhalte kommt es dann kaum noch an. Das aber hat vor allem das Christentum nicht verdient, denn in das, was wir in dieser Tradition heute noch vorfinden, ist jahrhundertelanges Nachdenken mit höchster intellektueller Energie und selbstkritischem Wahrheitsanspruch eingegangen, wodurch hier die Theologie selbst zu einem Motor der abendländischen Aufklärung wurde (vgl. Text 2). Die Tatsache, dass man immer weniger bereit ist, die Religion wirklich ernst zu nehmen, und sich dafür lieber an ihre jeweils verwertbaren Teilaspekte hält, kann man als Anzeichen dafür nehmen, dass wir uns nicht in einer »postsäkularen« (Habermas) Gesellschaft befinden, was eine nennenswerte »Wiederkehr der Religion« bedeutete, sondern dass sich in unseren Tagen ein postreligiöses Zeitalter ankündigt.
Hamburg, im Dezember 2008 | Herbert Schnädelbach |
Sich des Erbes der Aufklärung zu erinnern, um es lebendig zu erhalten, dazu besteht auch heute Anlass genug. Es war niemals unumstritten, und vor allem in Deutschland forderte es immer erneut Stimmen heraus, die lautstark verlangten, sich seiner zu entledigen. Hier war es lange Zeit üblich, abfällig über die Aufklärer, ihren naiven Glauben an die Vernunft und ihr plattes Nützlichkeitsdenken zu reden; das »tiefe« deutsche Wesen schienen sie gründlich verfehlt zu haben, und so gehörte die Aufklärungskritik stets zum Kernbestand der Ideologie des deutschen Sonderwegs. [1] [1]Noch in der NS-Zeit galt bei uns die Aufklärung als typisch westlich und als Ausdruck des undeutschen Geistes, den zu bekämpfen man in den Weltkriegen endlich Gelegenheit fand. Dies schien nach 1945 endgültig abgetan zu sein, aber die Sorge um die Zukunft der Aufklärung [2]regte sich erneut. In den 70er und 80er Jahren verschaffte sie sich nachdrücklich Gehör, als der kulturkonservative Widerstand gegen eine vermeintliche Kulturrevolution von links, verbunden mit undeutlichen postmodernistischen Überzeugungen und Ansätzen einer radikalen Vernunftkritik all das, wofür die Aufklärungstradition einmal gestanden hatte, endgültig in den Orkus der geschehenen Geschichte zu verabschieden versuchte. Die »Wende« um 1990 hat hier vieles verändert; die Kontrahenten von damals sind offensichtlich zusammengerückt, denn die Globalisierung hat auch den Streit um die Aufklärung erfasst: Der ist nicht länger eine Affäre innerhalb des Westens, wo die Parteien des Pro und Contra seit jeher mit völliger Selbstverständlichkeit das für sich in Anspruch nahmen, was wir alle der Aufklärungstradition an politischen und kulturellen Freiheiten verdanken. Dieses Erbe gilt heute erneut als typisch westlich, aber eben nicht mehr im innereuropäischen, sondern im globalen Maßstab. Dass der Widerstand dagegen vor allem mit religiösen Motiven artikuliert wird, sollte uns nicht dazu verleiten, sie für die wahren Ursachen dieses Konflikts zu halten; erst durch den Zusammenstoß von Tradition und Moderne in der islamischen Welt selber entstand der Islamismus, der sich zunehmend als aufklärungsresistent erweist und vehement gegen die kulturelle Modernisierung ankämpft. Ähnliches gilt für den christlichen Fundamentalismus, wenn freilich der antimodernistische Widerstand hier in der Regel im Umkreis dessen verbleibt, was im Westen in rechtlicher Hinsicht Konsens ist. So scheint sich auf den ersten Blick die europäische Situation des 17. und 18. Jahrhunderts wiederhergestellt zu haben: Die Verteidiger der Aufklärung sehen sich erneut einer Front gegenüber, die sich im Zeichen »wahrer« Religion ihrem Projekt entgegenstellt; das Thema ›Religionskritik‹ gewinnt so eine neue und zunächst ganz unerwartete Aktualität.
Wenn man fragt, wie sich Aufklärung und Religionskritik zueinander verhalten, liegt eine Anwort ziemlich nahe: »Aufklärung ist[3]