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Nr. 437

 

Schirmherr der Zeit

 

Er beherrscht die Straße zwischen Zukunft und Vergangenheit – er ist ein Zweidenker

 

von H. G. EWERS

 

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Auf Terra und den anderen Planeten des Solaren Imperiums der Menschheit schreibt man Anfang April des Jahres 3434.

Nach der Testreise, die Perry Rhodan ins Südamerika des Jahres 30.000 vor der Zeitenwende führte, steht einwandfrei fest: Der neuentwickelte Dakkar-Tastresonator funktioniert zufriedenstellend, und die Generalprobe für die große Expedition in die Zeit der Cappins ist somit geglückt.

Im Wissen, dass die Menschheit diesmal eine unabwendbare Katastrophe zu erwarten hätte, sobald der Todessatellit die Sonne wieder aufzuheizen begänne, ist Perry Rhodan nicht bereit, auf die Fertigstellung des im Bau befindlichen großen Nullzeitdeformators zu warten. Er lässt das erprobte Kleingerät daher auf schnellem Wege wieder zur Fidschi-Insel Viti Levu bringen, neu ausrüsten und reisefertig machen.

Da niemand weiß, wie lange die Roboter des unangreifbaren Todessatelliten noch zur Reparatur der Sonnenvernichtungsautomatik benötigen, ist Eile geboten. Die Zeit ist knapp – selbst für Leute, die über eine funktionierende Zeitmaschine verfügen.

Der Nullzeitdeformator geht also erneut auf die Reise – und mit ihm die Mitglieder der vorangegangenen Expeditionen. Das Ziel ist diesmal das Jahr 200.000 vor der Jetztzeit.

Es ist die Ära des SCHIRMHERRN DER ZEIT!

Die Hauptpersonen des Romans

 

 

Perry Rhodan – Der Großadministrator reist in die Zeit der Cappins.

Ras Tschubai, Alaska Saedelaere und Icho Tolot – Perry Rhodans Begleiter bei der Erkundung der neuen Vergangenheitsebene.

Atlan – Der Lordadmiral flieht vor »Adlern«.

Ovaron – Der Schirmherr der Zeit.

Takvorian – Ein sprechendes Pferd.

Levtron – Ovarons persönlicher Konkurrent.

Merceile – Eine Biotransferkorrektorin.

1.

 

Die Gegensprechanlage summte.

Ich legte den Geheimbericht B-32-AC nur zögernd aus der Hand; sein Inhalt hatte in mir wieder einmal zwiespältige Gefühle hervorgerufen. Einige Sekunden lang blickte ich geistesabwesend auf die rotleuchtende Melde- und Schaltplatte des flachen Tischgeräts, dann presste ich den Mittelfinger darauf.

»Ovaron hier. Was gibt es?«

Auf dem rechteckigen Bildschirm flimmerte das Gesicht von Ilivona, meiner Sekretärin. Sie trug heute vergoldete Lider und hatte das Augenweiß silbern gefärbt. Ihr Lächeln war verheißungsvoll wie immer, und ich reagierte, wie immer, abweisend darauf. Ein Mann in meiner Stellung hat die Beziehungen zu seinen Mitarbeiterinnen auf den Dienstbereich zu beschränken. Wahrscheinlich würde ich Ilivona versetzen lassen; sie verfolgte zu beharrlich ihr Ziel, mich zu verführen.

»Der Erste Subdirektor, Tarakan, möchte Sie sprechen, Ovaron.«

Ich lächelte höflich, während meine zweite Bewusstseinsebene sich kritisch mit Tarakan beschäftigte. Mein Erster Subdirektor war zugleich mein Stellvertreter bei der Golamo, unserer Geheimpolizei im Tranat-System, während ich sowohl Chef der Golamo als auch der Raumflotte, der Streitkräfte des Planeten Lotron und der Energieversorgung war. Es hatte sich nicht vermeiden lassen, dass der ehrgeizige und hochintelligente Tarakan mein Stellvertreter bei der Geheimpolizei wurde. Dennoch konnte ich ihn nicht leiden. Tarakan war zu fanatisch, vor allem aber hatte er sich eine Ideologie zusammengebastelt, die das verabscheuenswürdige biologische Umformungsprogramm auf dem dritten Planeten der Sonne Tranat als unumgänglich notwendig hinstellte.

»Schicken Sie ihn bitte zu mir.«

Ich lehnte mich in meinem Schalensessel zurück und legte die Beine übereinander.

Kurz darauf erschien Tarakan. Er trug die übliche silberfarbene Kombination mit dem Rangabzeichen auf der linken Brustseite und als Zeichen seiner Offizierswürde einen ärmellosen, knielangen violetten Umhang, dessen lange Kragenspitzen sich im scharfen Winkel abspreizten.

Zwei Schritte vor meinem Arbeitstisch blieb er stehen, nahm Haltung an und neigte den Kopf. Ich lächelte nach außen hin, während ich gegen die Verachtung ankämpfen musste, die auf meiner zweiten Bewusstseinsebene tobte. Es war nicht in jeder Lage von Vorteil, ein so genannter Tryzom-Tänzer zu sein, obwohl nur die Edlen des Cappin-Volkes dazu auserwählt werden. Bei uns Tryzom-Tänzern befinden sich zwei atomar umgeformte Moleküle, die Tryzome, im Blutkreislauf. Sie befähigen uns, zweigleisig zu denken. Leider ermöglichen sie auch die Herausbildung gegensätzlicher Emotionen, die sich im Extremfall gegenseitig kompensieren und die betreffende Person handlungsunfähig machen können.

»Nehmen Sie bitte Platz, Tarakan!« Der Subdirektor setzte sich steif in den Besuchersessel vor meinem Arbeitstisch. Er mochte mich ebensowenig wie ich ihn, konnte jedoch seine Emotionen nicht so gut beherrschen.

»Es handelt sich um den fälligen Materialtransport von Taimon«, berichtete er. »Der Überwachungsausschuss in Havaler meldet, dass sich eine Verzögerung von drei Lotron-Tagen ergeben hat, weil der Produktionsleiter von Gammon-Pestak einen Fehler bei der Koordinierung der Zulieferungs-Planung beging. Ich bitte Sie, mich nach dem Planeten Taimon zu schicken und mir den Auftrag zu erteilen, den Schuldigen vor ein Schnellgericht zu stellen.«

Das war typisch Tarakan.

Was für den Produktionsleiter von Gammon-Pestak dabei herausspringen würde, wenn ich Tarakans Antrag stattgab, stand außer Zweifel. Im günstigsten Fall stünde dem armen Kerl eine Persönlichkeitswäsche bevor. Ich war aber der Ansicht, dass eine so harte Strafe in keinem Vergleich zu dem Fehler stand, der nur auf einem Versehen beruhen konnte. Das allerdings wäre für Tarakan kein stichhaltiges Argument gewesen und hätte nur eine Diskussion ausgelöst, zu der ich nicht die geringste Lust hatte.

»Das geht leider nicht«, antwortete ich. »Sie müssen sich für einen wichtigen Sonderauftrag zur Verfügung halten, Tarakan. Geben Sie mir den schriftlichen Bericht über den Vorfall auf Taimon, ich werde dann selbst das Nötige veranlassen.«

Diese Antwort passte Tarakan ganz und gar nicht. Ich sah es an seinem Mienenspiel. Dennoch bot sie ihm keinen Angriffspunkt, und der Hinweis auf einen Sonderauftrag schmeichelte seinem Ehrgeiz so sehr, dass er diesen Köder schließlich schluckte. Ich würde mir tatsächlich einen befriedigenden Sonderauftrag ausdenken müssen.

Als Tarakan gegangen war, erhob ich mich und trat an die wandgroße Fensterfront meines Arbeitszimmers. Die Stadt Matronis erstreckte sich bis zum Horizont. Eine gewaltige, eine schöne Stadt. Die Baumeister meines Volkes hatten auf diesem wilden, urweltlichen Kontinent Lemu eine zivilisatorische Glanzleistung vollbracht.

Ein anhaltendes Donnern ließ mich nach Süden blicken. Ich schirmte dabei meine Augen mit der Hand gegen die grelle Strahlung der gelben Sonne Tranat ab und sah gerade noch, wie ein Leichter Raumkreuzer hinter den drei beherrschenden Verwaltungstürmen des Chefdirektorats niederging.

Beim Anblick des Raumschiffes musste ich wieder an die Theorie unserer Evolutionsforscher denken. Diese Theorie besagte, dass das Tranat-System seit rund 4,7 Milliarden Lotron-Jahren bestünde und den Evolutionsgesetzen zufolge schon vor rund einer Milliarde Jahren intelligentes Leben auf dem dritten Planeten entstanden sein müsse. War das aber der Fall, dann musste bereits vor mindestens 800.000 Lotron-Jahren eine technische Hochkultur bestanden haben. Vielleicht war sie untergegangen, wie die meisten Kulturen. Mir wollte nur nicht in den Kopf, dass sie absolut spurlos untergegangen sein sollte.

Ein Wissenschaftler meines Volkes hatte sogar die Hypothese aufgestellt, die derzeit auf Lotron lebenden halbintelligenten Primaten wären die degenerierten Nachkommen ehemals hochintelligenter Lebewesen. Ich glaubte nicht daran. Keine intelligente Art konnte so weit herabsinken.

Dennoch überkam mich jedes Mal ein eigentümlich beunruhigendes Gefühl, wenn sich meine Gedanken mit den genetischen Zuchtexperimenten beschäftigten, die wir auf Lotron durchführten. Obwohl die einheimischen Primaten noch nicht einmal eine richtige Sprache besaßen und ihre Handlungen weitgehend von animalischen Trieben bestimmt wurden, besaßen sie doch Gehirne mit einem beachtlichen Entwicklungspotenzial. Möglicherweise experimentierten wir hier mit etwas, das uns eines Tages zum Verhängnis werden konnte.

Das Summen der Gegensprechanlage riss mich aus meinen Gedanken. Ich ging zum Arbeitstisch zurück und drückte die Schaltplatte nieder. Wieder meldete sich Ilivona, aber diesmal trug ihr Gesicht deutlich den Ausdruck von Unterwürfigkeit. Mir konnte das kaum gelten, also nahm ich an, dass meine Sekretärin mit einer hochgestellten Persönlichkeit konfrontiert worden war.

Ihre Worte bestätigten meine Annahme.

Lasallo, der Chefdirektor des Tranat-Systems persönlich, wollte mich über den Telekommunikator sprechen.

Ich schaltete um auf das große Gerät.

An der mir gegenüberliegenden Wand erhellte sich ein rechteckiger Ausschnitt und zeigte mir die dreidimensionale farbige Wiedergabe von Lasallos luxuriösem Privatbüro – sowie den Oberkörper des Chefdirektors selber. Lasallo saß wie ich hinter einem Arbeitstisch. Seine hellen Augen blickten gefühllos wie immer aus dem asketischen und faltigen Gesicht. Lasallo zählte nach Lotron-Zeit zweihundertdrei Jahre und war damit selbst für die Begriffe meines Volkes ein alter Mann.

»Ich grüße Sie, Ovaron!«, sagte er mit seiner leisen ausdruckslosen Stimme, die mich aber nicht über die in dem Wissenschaftler steckende Energie hinwegtäuschte.

»Ich grüße Sie, Lasallo«, antwortete ich, ohne mir anmerken zu lassen, dass ich gespannt darauf war, weshalb er mich angerufen hatte.

Lasallo faltete die knochigen Hände auf der Tischplatte.

»Ich habe für morgen eine große Jagd angesetzt, Ovaron«, teilte mir der Chefdirektor mit. »Wir müssen wieder einmal etwas Zerstreuung in unser von Pflichten belastetes Dasein bringen. Bitte, finden Sie sich morgen bei Sonnenaufgang mit Ihrer Jagdausrüstung vor dem Palast der Tanzenden Moleküle ein.«

Ich neigte den Kopf, dann blickte ich wieder auf den Bildschirm.

»Vielen Dank für die Einladung, Lasallo. Ich werde pünktlich zur Stelle sein.«

Lasallo blickte mich noch einen Moment lang unverwandt an, dann unterbrach er die Verbindung.

Ich starrte düster vor mich hin.

Lasallo hatte von einer großen Jagd gesprochen. Sie würde demnach mindestens fünf Lotron-Tage dauern, und das, obwohl wir dadurch mit unseren Arbeiten in Rückstand kommen mussten.

Nun, daran ließ sich nichts ändern. Lasallos Wort war Gesetz im Tranat-System.

Ich spürte, wie sich die Erregung in mir ausbreitete. Plötzlich freute ich mich auf die Jagd, konnte ich bei dieser Gelegenheit doch wieder mit Takvorian zusammen sein – mit meinem Reitpferd, das eigentlich gar kein Pferd war.

Unwillkürlich musste ich lachen.

Niemand außer Takvorian und mir kannte unser Geheimnis, und so sollte es auch bleiben.

Ich schaltete mein Armbandgerät ein und aktivierte die Abhörsicherung.

Dann rief ich nach Takvorian. Er meldete sich sofort.

»Hallo, mein Pferdchen«, sagte ich zu ihm. »Morgen müssen wir wieder einmal jagen. Was hältst du davon?«

»Ich freue mich, Ovaron«, antwortete Takvorian mit seiner dünnen Stimme.

»Ich auch. In einer Stunde Lotron-Zeit werde ich dort sein. Du solltest inzwischen viel Getreideschrot essen, damit du in Form bist, wenn es morgen losgeht.«

Takvorian antwortete mit einer Verwünschung. Lachend beendete ich das Gespräch.

Dann ordnete ich meine dienstlichen Angelegenheiten, warf mir meinen Umhang über und verließ das Büro. Ilivona wünschte mir viel Erfolg und Spaß bei der Jagd, aber an ihrer Miene konnte ich ablesen, dass ihr lieber gewesen wäre, ich hätte mir vorher ein Bein gebrochen.

Sie wusste schließlich, dass an der Jagd auch die Biotransferkorrektorin Merceile teilnehmen würde – ihrer Ansicht nach ihre Konkurrentin. Es wurde wirklich Zeit, dass ich Ilivona klarmachte, dass sie überhaupt nicht mit im Rennen lag. Falls ich mich eines Tages tatsächlich für eine Frau entscheiden würde, dann hieß sie wahrscheinlich Merceile.

Doch das hatte noch Zeit.

Ich schwang mich in den Antigravlift und fuhr die neunundsechzig Stockwerke bis zum Straßenniveau hinab. Der Pilot meines Gleiters wartete bereits vor dem Portal. Ich stieg ein und nannte ihm das Ziel.

Drei andere Gleiter eskortierten uns. Es störte mich nicht, denn in ihnen saßen nur die Männer meines persönlichen Begleitschutzes. Ein Mann in meiner Position musste sich mit solchen Dingen abfinden.

Ich lächelte ironisch.

Außer bei der Jagd. Dort gab es keinen Begleitschutz – nicht einmal für den mächtigen Lasallo. Wir würden zu Pferde durch die urweltliche Landschaft streifen und unser streitbares Wild nur mit Pfeil und Bogen oder mit der Lanze jagen.

»Fahren Sie schneller!«, befahl ich meinem Piloten.

 

*

 

Wir fuhren zu meinem Haus am äußersten Stadtrand von Matronis. Die beiden Wachtposten am Haupteingang des ausgedehnten Grundstücks präsentierten die Strahlgewehre, als mein Gleiter passierte. Die Gleiter meiner Leibwache blieben draußen.

Es war ein prächtiges Haus, das man mir als Dienstwohnung errichtet hatte, mitten in einem kunstvoll angelegten Park gelegen und innen mit allem Luxus ausgestattet, der einem Cappin der Oberschicht zustand.

Ich wies meinen Piloten an, vor dem langgestreckten Stallgebäude anzuhalten. Anschließend sollte er den Gleiter in die Garage bringen und sich in seine Dienstbotenwohnung zurückziehen.

Langsam ging ich auf das Stallgebäude zu, trat ein und passierte die Boxen mit den prachtvollen Pferden und den Hunden. Robotdiener verrichteten ihren Dienst, ohne sich um mich zu kümmern. Sie waren starr programmiert.

Eine Wand trennte eine Box von allen anderen ab. Über dem Zugang stand in goldenen Buchstaben der Name meines Lieblingspferdes: TAKVORIAN.

Ich betrat die Separatbox, die eigentlich ein großer Luxusstall war, und schloss die Tür hinter mir.

Ein Halbbluthengst von bezaubernder Schönheit wandte den Kopf, als ich eintrat. Sein Fell glänzte in seidigem Hellblau; Schweif, Mähne und Schopf waren von leuchtendem Ockergelb. Die gekrausten längeren Haare zwischen Huf und Fessel waren von weißgelber Färbung.

»Ho, Takvorian!«

Der Hengst blähte die Nüstern, warf den Kopf zurück und wieherte laut. Dann kam er im Schritt auf mich zu, zog die Oberlippe über die Zähne und grinste.

»Ho, Ovaron! An welche Stelle deines verdammten Cappin-Körpers soll ich dir meine Hinterhufe setzen?«

Wir lachten beide, als wäre diese Frage ein Witz gewesen. Dabei war sie alles andere als ein oberflächlicher Witz; sie besaß einen sehr düsteren Hintergrund, und Takvorian hatte tatsächlich guten Grund, die Cappins auf Lotron zu hassen.

Während ich ihm gedankenverloren die Ganasche kraulte, zogen die Erinnerungen an jene schicksalhaften Stunden vor achtzehn Lotron-Jahren an meinem geistigen Auge vorüber ...

Im Verlauf der genetischen Experimente waren alle möglichen Spielarten von Mutationen aufgetaucht. Das lag einfach daran, dass Manipulationen am genetischen Kode mit ungeheuren Schwierigkeiten verbunden waren.

Ich war zwar kein Spezialist auf dem Gebiete der Genforschung, aber soviel mir bekannt war, stritten sich die besten Cappin-Wissenschaftler noch immer darum, wie der erste genetische Kode entstanden sein könne. Manche Kapazitäten behaupten steif und fest, die ungeheuerliche Kompliziertheit der unüberschaubaren Vielfalt von genetischen Kodes ließe nur den einen Schluss zu, dass das gesamte Universum nichts anderes als ein vorprogrammierter Funktionsablauf sei, in dem schon vor der Entstehung genau festgelegt worden wäre, welche Lebewesen überhaupt entstehen und sich weiterentwickeln dürften und welche nicht. Niemand wagt allerdings eine Antwort auf die Frage, wer dann dieses Universum vorprogrammiert haben könnte.

Tatsache ist jedenfalls, dass man 1,1023 Millionen Gene entschlüsseln müsste, wollte man die genetische Formel eines erwachsenen Cappins vollständig aufzeichnen – und keine Formel gleicht der anderen. Bei den Lotron-Primaten hat man anfänglich neunhunderttausend Gene gezählt. Annähernd sechshundert Millionen Wörter müssten von einem Computer gespeichert werden, wollte er die genetische Formel eines einzigen Primaten aufnehmen. Diese »Wörter« mussten aber auch in ihrer vollen Bedeutung verstanden werden, wollte man zweckentsprechende Veränderungen vornehmen. Und man musste im voraus berechnen, welche Neben- und Spätwirkungen die Veränderungen nach sich ziehen.

Auf Lotron hatten sich meine Artgenossen ganz klar übernommen. Sie waren einfach nicht auf die geradezu unheimliche Variationsfähigkeit der Erbmasse dieser lotronischen Primaten gefasst gewesen. Ja, es hatte sogar eine Zeitspanne gegeben, in der die Experimente die Vermischungsschranke zwischen den Primaten und vereinzelten Tierarten des Planeten neutralisiert hatten.

Eine dieser unnatürlichen Kreuzungen zwischen dem humanoiden Primatentypus und einer kleinen Wildpferdrasse waren die so genannten Zentauren.

Wie ich die Experimente meiner Artgenossen deshalb verabscheue! Ja, manchmal hasse ich die Männer und Frauen des stolzen Cappin-Volkes wegen dieser verbrecherischen Manipulationen, die eigentlich gar nicht zum Charakter unseres Volkes passen.

Takvorian nun war keiner zufälligen Kreuzung entsprungen, sondern das Resultat des 193. Versuchs der Reihe CEKLA-M. Allerdings entsprach er nicht den Erwartungen der Biologen. Sein schmächtiger Oberkörper bildete eine Diskrepanz zu dem normalen Pferdeleib. Ich kam zufällig dazu, als ein Laborassistent den drei Tage alten Zentauren brutal auf den flachen Stahlpritschenwagen warf, der allen Abfall in den Konverter fuhr. Mir tat das zitternde Zentaurenbaby leid. Impulsiv nahm ich es an mich. Der Assistent musste mir Schweigen darüber versprechen, was keine Schwierigkeit bedeutete. Wenn der Chef der Golamo befiehlt, über eine Sache den Mund zu halten, dann hielt man den Mund, wenn einem das Leben lieb war.

Ich nahm das kleine Wesen mit nach Hause und pflegte es. Der Tierleib wuchs rasch heran, und ich sah, dass es ein Prachtexemplar werden würde. Der humanoide Oberkörper allerdings bestätigte das Urteil der Biologen. Er wuchs nur langsam und entwickelte sich zu einem schlauchähnlichen Gebilde mit winzigen Lungen, dünnen Ärmchen und hervorstehenden Rippen.

Eines Tages, als ich übermüdet, überreizt und noch dazu betrunken nach Hause gekommen war, hatte ich den Anblick dieses jämmerlichen Oberkörpers nicht länger ertragen können. Ich hatte den Zentauren zuerst beschimpft und dann nach der Peitsche gegriffen, um ihn zu verprügeln.