Liebe Leserin, lieber Leser,

Danke, dass Sie sich für einen Titel von »more – Immer mit Liebe« entschieden haben.

Unsere Bücher suchen wir mit sehr viel Liebe, Leidenschaft und Begeisterung aus und hoffen, dass sie Ihnen ein Lächeln ins Gesicht zaubern und Freude im Herzen bringen.

Wir wünschen viel Vergnügen.

Ihr »more – Immer mit Liebe« –Team

Über das Buch

Sie will ihre Farm retten. Doch die Welt scheint sich gegen sie verschworen zu haben … Ein großer Liebesroman aus dem Herzen Australiens.

Endlich hat Amanda Greenfield ihren Abschluss in Agrarwissenschaften in der Tasche. Endlich kann sie alles, was sie gelernt hat, zu Hause auf Kyleena anwenden, damit die Farm wieder floriert. Doch ausgerechnet auf der Fahrt zu ihrer Abschlussfeier haben ihre Eltern einen schrecklichen Unfall, und ihre Mutter stirbt. Ihr Vater, gefangen in Schuld und Trauer, will die Farm verkaufen. Doch Amandas Mutter hat ihr die Hälfte vererbt. Amanda kämpft wie eine Löwin um Kyleena. Noch ahnt sie nicht, in welches Wechselbad der Gefühle das Schicksal sie stürzen wird.

Über Fleur McDonald

Fleur McDonald wuchs in Orroroo, etwas 300 km nödlich von Adelaide in Südaustralien auf und studierte Agrawissenschaften. 1996 kaufte sie sich dann zusammen mit ihrem Mann eine eigene Farm. Heute bewirtschaften sie über 8.000 Morgen Land. Fleur McDonald hat zwei Kinder und schreibt in ihrer Freizeit leidenschaftlich gerne Australienromane.

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Fleur McDonald

Unter den Sternen des Südens

Australien-Saga

Aus dem Englischen
von Claudia Geng

Inhaltsübersicht

Informationen zum Buch

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Anmerkung der Autorin

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

Kapitel 40

Kapitel 41

Kapitel 42

Kapitel 43

Kapitel 44

Kapitel 45

Kapitel 46

Kapitel 47

Kapitel 48

Kapitel 49

Kapitel 50

Kapitel 51

Kapitel 52

Epilog

Danksagung

Impressum

Anmerkung der Autorin

Depressionen sind weit verbreitet in unserer Gesellschaft. Ich hoffe, dass die Hinweise in Unter den Sternen des Südens Betroffene ermutigen, sich Hilfe zu suchen, beziehungsweise Außenstehende dafür sensibilisieren, dass ein Freund, Partner, Kollege oder Angehöriger Hilfe benötigt. Es ist keine Schande, an einer Depression zu leiden, denn es ist eine anerkannte Krankheit.

Das Beste am Schreiben ist, dass einer guten Geschichte nicht die Wahrheit im Weg stehen darf! Ich habe mich so weit wie möglich an die Fakten gehalten bei der Darstellung von Esperance während der Pionierzeit. Dennoch möchte ich historische oder geografische Fehler nicht ausschließen. Sie sind der Dramaturgie des Romans geschuldet. Für alle weiteren Fehler übernehme ich die Verantwortung.

Für Bev Due und Ned Woodward, Freundinnen, die an Brustkrebs erkrankten und beide starben, bevor dieses Buch fertig wurde.

Für Anthony, Rochelle und Hayden, ihr seid alles für mich.

Für Carolyn, ohne die Unter den Sternen des Südens nie begonnen worden wäre, geschweige denn vollendet.

Prolog

1940

Die Frau weinte, als würde es ihr das Herz brechen, während ihr die schulterlangen, kupferfarbenen Locken ins Gesicht fielen. In ihrer Verzweiflung schaukelte sie vor und zurück, die Arme um die Knie geschlungen.

Hier auf dieser Seite des Flusses war ihr Platz gewesen. Hier hatten sie geredet und gelacht. Im Sommer hatten sie im kühlen Fluss geplanscht oder waren zwischen den Felsen geschwommen, und sie hatten unzählige schwüle Sommerabende am Ufer nebeneinandergelegen, während die Callistemon-Sträucher sanft im Wind wogten.

In den Wintermonaten, wenn es ausgiebig regnete und der Fluss zu einem reißenden Strom anschwoll, hatten sie sich ihre Zukunft ausgemalt, ihr gemeinsames Leben auf einer Farm mit Kindern. Und es war hier, zwischen dem weichen Moos und den wilden Orchideen, wo sie sich vor ihrer Anstandsdame versteckten und er schließlich Anspruch auf sie erhob.

Die Frau war dankbar gewesen, dass dieser attraktive, dynamische, jüngere Mann um sie warb. Sie hatte befürchtet, als alte Jungfer zu enden; schließlich war sie weder besonders schön noch besonders interessant. Aber seine Liebe hatte sie zum Strahlen gebracht.

Sie verstand seinen Sinneswandel nicht – sicher log er. Aber warum? Und was für eine Zukunft erwartete sie nun?

Kapitel 1

November 2000

Brian wandte nur für einen kurzen Moment den Blick von der Straße, aber das genügte schon. Der Wagen geriet an den Fahrbahnrand, der linke Vorderreifen landete im Kies, und gleich darauf verlor Brian die Kontrolle über das Fahrzeug.

Die Schreie seiner Frau und sein erschrockenes Stöhnen verstummten abrupt, als der Wagen abhob, auf den Boden krachte und weiterschleuderte. Das Geräusch von knirschendem Metall und splitterndem Glas hallte in der Landschaft wider. Dann wurde es plötzlich ganz still, mit Ausnahme eines Reifens, der sich in der Luft drehte, und der abgeknickten Antenne, die hin und her baumelte. Die Insassen des Wagens rührten sich nicht. Über ihnen krächzte eine Krähe.

Amanda blickte aus einem der Klassenzimmer im zweiten Stock auf die Menschenmenge unten in der Aula und versuchte, ihre Eltern zu entdecken. Sie sah ihren Professor für Rechnungswesen, der sich mit dem Dekan der agrarwissenschaftlichen Fakultät und ihrem Biologiedozenten unterhielt, zwischen glücklichen Eltern, die miteinander plauderten. Sie konnte nicht glauben, dass der Tag endlich gekommen war. Nach all den Diskussionen mit ihrem Vater über den Sinn dieses Studiums, nach drei Jahren intensiven Büffelns und diversen Gelegenheitsjobs, nach der langen räumlichen Trennung von ihrer Mutter, ganz zu schweigen von ihrer Heimatfarm Kyleena, hatte Amanda es endlich geschafft.

Der Dekan hatte schon vor der Zeremonie durchblicken lassen, dass sie als Jahrgangsbeste abgeschlossen hatte. Ob mein Vater stolz auf mich sein wird?, fragte sich Amanda.

Sie lächelte, als sie Katie und Jonno entdeckte, die sich mit ihren Eltern unterhielten. Als frischgebackene Absolventen machten sie einen seriösen und erwachsenen Eindruck, der nichts von den feuchtfröhlichen Saufgelagen ahnen ließ, die sie während ihrer Studienzeit gefeiert hatten.

Amandas Blick blieb auf Jonno ruhen, und sie spürte die vertraute Sehnsucht. Er sah unheimlich gut aus in Anzug und Krawatte. Sie hatte ihn bisher nur einmal in so einer eleganten Aufmachung gesehen – bei der Beerdigung von Cory McLeod. Amanda dachte traurig an ihren gemeinsamen Freund, der jetzt nicht mitfeiern konnte. Cory war im ersten Semester bei einem Autounfall ums Leben gekommen. Sein Tod hatte die Clique tief erschüttert.

Plötzlich flog die Tür des Klassenzimmers auf. Amanda drehte sich erschrocken um und sah ihre Freundin Hannah hereinkommen. Hannah sah so anders aus in ihrem schwarzen Talar mit der blauen Schärpe, ihre wilde blonde Mähne brav hochgesteckt unter dem Doktorhut. »Warum versteckst du dich hier?«, fragte sie, und ihre Augen funkelten vor Begeisterung.

»Ich verstecke mich nicht. Ich sehe mir nur die Leute an«, erwiderte Amanda und drehte sich wieder zum Fenster um.

Hannah, die die Niedergeschlagenheit ihrer Freundin spürte, stellte sich neben sie und legte den Arm um ihre Schultern. »Sind deine Eltern hier?«, fragte sie.

»Klar! Du glaubst doch nicht, dass Mum sich meine Abschlussfeier entgehen lässt, oder? Ich kann die beiden nur nicht entdecken. Wahrscheinlich sind sie mal wieder zu spät gekommen und haben sich während der Zeremonie hereingeschlichen. Und dann hat Dad einen alten Kumpel getroffen«, sagte Amanda mit ironischem Lächeln, um ihre Besorgnis zu verbergen.

»Komm, du kannst sie nachher noch suchen, Miss Jahrgangsbeste! Jetzt brauchen wir dich für das Klassenfoto und zum Anstoßen. Ich soll dich holen.«

»Und ich dachte, du hast dir Sorgen um mich gemacht«, sagte Amanda und lächelte. Sie folgte Hannah aus dem Zimmer und schaltete das Licht aus.

Kurz darauf stellte sich der Abschlussjahrgang 2000 vor der Kamera auf und rief »Bundy!«, beobachtet von den stolzen Familienangehörigen. Zwischen den Aufnahmen hielt Amanda Ausschau nach ihren Eltern.

Sie zwang sich zu einem Lächeln, ohne das Klicken und Surren der Kamera richtig wahrzunehmen, während zunächst mehrere Fotos vom gesamten Jahrgang gemacht wurden und danach Porträts von den ausgezeichneten Studenten mit ihren Urkunden und ihren Professoren. Nachdem Amanda ein letztes Mal posiert hatte, bemerkte sie zwei Polizisten in Uniform, die mit dem Dekan sprachen. Während sein Blick durch die Menge schweifte, bestätigte sein schockierter Gesichtsausdruck Amandas ungute Vorahnung, und ihre Beine bewegten sich automatisch in seine Richtung.

Hannah folgte ihr und gab Jonno das Zeichen, sich anzuschließen. Sie standen rechts und links von Amanda, als sie die Hiobsbotschaft erfuhren, und mussten ihre Freundin stützen, die schluchzend zusammenbrach, während die Abschlussfeier völlig in Vergessenheit geriet.

Amanda saß neben ihrem Vater in der Kirche. Der Sarg ihrer Mutter war vor ihnen aufgebahrt, und ihr Onkel sprach auf der Kanzel. Obwohl die bunten Blumen auf dem Sarg die lebhafte Persönlichkeit ihrer Mutter widerspiegelten, bereitete der Anblick Amanda Schmerzen, und sie schloss die Augen. Sie konnte das Lachen ihrer Mutter hören, ihre fröhlich blitzenden Augen sehen und ihre Umarmung spüren.

Erst als jemand ihren Arm berührte, nahm Amanda wahr, dass die Sargträger bereits die Kirche verließen, hinaus zum Friedhof. Tief versunken in ihren Gedanken, hatte sie kaum ein Wort mitbekommen während der Trauermesse. Sie ging alleine nach draußen und folgte dem Sarg mit tränenverschleiertem Blick.

Die Starre ihres Vaters und sein anhaltendes Schweigen waren zermürbend. Wie gebrochen hatte er sich immer mehr zurückgezogen und es Amanda überlassen, die Trauerfeier zu organisieren.

Amanda fühlte sich, als wäre sie in den zwei Wochen seit dem Unfall um Jahre gealtert. Sie würde niemals den Anblick ihrer Mutter im Sarg vergessen, kalt und gleichgültig, die Verletzungen von ihrem Unfall geschickt überschminkt. Das Bestattungsinstitut hatte sich um die Frisur und das Make-up gekümmert, aber Amanda hatte die Kleidung ausgesucht und das silberne Armband, das sie ihrer Mutter zum vierzigsten Geburtstag geschenkt hatte, um ihr lebloses Handgelenk gebunden.

Es war schwer zu glauben, dass sie vor zwei Wochen noch voller Hoffnung und Optimismus gewesen war.

Mit einem unterdrückten Schluchzen rannte Amanda zu ihrem Wagen und raste davon.

Kapitel 2

2001

Amanda holte mit der Spitzhacke aus, die von dem harten Dung abprallte, der sich unter der Scheune festgesetzt hatte. Obwohl ein kalter Wind blies, stand auf ihrer Stirn ein dünner Schweißfilm. Sie wischte ihn mit dem Hemdzipfel ab. Sie hatte es hier mit fünfzehn Jahre altem, festgebackenem Schafdung zu tun, und ihre glorreiche Aufgabe bestand darin, diesen zu entfernen. Wegen der niedrigen Höhe konnte sie nicht aufrecht stehen, geschweige denn mit der Hacke richtig ausholen.

Gleich darauf kletterte sie auf allen vieren unter der Scheune hervor und streckte sich unter Schmerzen. Mit Blasen an den Händen hob sie schließlich die volle Schubkarre an und schob sie vorwärts, übersah jedoch ein Hindernis aus getrocknetem Kot, sodass die Karre zur Seite kippte und der Inhalt sich auf dem Boden verteilte.

»Scheiße!«, schrie Amanda, und vor Wut schossen ihr die Tränen in die Augen, während sie den Dung mit bloßen Händen aufsammelte und zurück in die Schubkarre warf. Dann wischte sie sich die Tränen ab, wobei sie den Dung im Gesicht verschmierte, und setzte mit der vollen Schubkarre ihren Weg fort zu dem Frontlader. Die Schaufel war nun voll, nachdem Amanda stundenlang geschuftet hatte. Sie kletterte auf den Fahrersitz, drehte den Zündschlüssel, rollte vorsichtig rückwärts aus dem Gehege und fuhr zu dem großen Misthaufen direkt vor dem Zaun an der Straße. Sie bediente die Steuerhebel für die Schaufel, um die Ladung auszukippen. Dann ließ sie den Kopf auf das Lenkrad sinken. Sicherlich hatte das Leben ihr mehr zu bieten, als nur Scheiße zu schaufeln.

Es waren nun vier Monate vergangen, seit Amanda nach Kyleena zurückgekehrt war, um ihren Vater zu unterstützen. Der Tod ihrer Mutter hatte nichts an ihren ursprünglichen Plänen geändert; sie wollte unbedingt zurück auf die Farm, aber sie hatte sich ihre Rückkehr ganz anders vorgestellt. Ihr Plan, für ein Austauschjahr nach England zu gehen, schien ihr von Tag zu Tag reizvoller.

Ihr Vater kapselte sich völlig ab und redete nur, um Anweisungen zu erteilen. Für die Modernisierungsvorschläge seiner Tochter brachte er nichts auf als Unverständnis und Ablehnung. Der Abend zuvor war ein gutes Beispiel dafür.

Nachdem Amanda ihren Vater überreden konnte, dass sie seinen Computer im Büro benutzen durfte, hatte sie festgestellt, dass kein Antivirenprogramm installiert war. Als Brian hereinkam, um ihr einen Tee zu bringen, hatte Amanda ihn darauf angesprochen. Es war so wichtig, persönliche Dateien auf dem Rechner zu schützen, das war eins der ersten Dinge, die sie auf der Uni gelernt hatte, wie sie ihrem Vater erklärte. Daraufhin hatte sich Brians Miene verfinstert, und er hatte die Tasse auf den Schreibtisch geknallt, sodass deren heißer Inhalt überschwappte. Anschließend hatte er wortlos das Büro verlassen. Hinterher war Amanda bewusst geworden, dass ihr Vater denken musste, sie würde seine Geschäftstüchtigkeit infrage stellen, indem sie ihn als altmodisch und stur hinstellte. Das war nie ihre Absicht gewesen.

Heute konnte sie an nichts anderes denken als daran, wie sie den Schaden wiedergutmachen konnte. Amanda war sich sicher, dass ihr Vater sie nicht mehr in sein Büro lassen würde, geschweige denn sie einbeziehen bei geschäftlichen Entscheidungen. Statt ihr betriebswirtschaftliches Wissen nutzbringend anzuwenden, reparierte sie Zäune, behandelte das Vieh gegen Parasiten oder schaufelte Schafdung wie an diesem glorreichen Tag heute.

Amanda liebte ihren Vater, aber ihre Mutter hatte schon früher häufig zwischen ihnen vermitteln müssen. Da Vater und Tochter sich sehr ähnlich waren, kam es vor, dass die Fronten sich völlig verhärteten. Am schlimmsten war es, als Amanda sich entschieden hatte zu studieren. Ihr Vater war vehement dagegen gewesen, zu ihrer großen Verwunderung, denn sie hatte sich beim selben College beworben, an dem er bereits studiert hatte. Brian behauptete jedoch steif und fest, ein Studium der Agrarwissenschaften wäre nichts für Frauen und das soziale Umfeld zu derb für seine Tochter.

Das Funkgerät erwachte knackend zum Leben.

»Bist du auf Empfang, Mandy?«, ertönte Brians schroffe Stimme.

Amanda seufzte, tastete nach dem Sprechgerät und meldete sich.

»Ich bin gerade auf Koppel eins an der Wasserstelle«, sagte Brian. »Der Pegel steht ziemlich tief, und im Schlick stecken zwei tote Schafe. Du musst kommen und sie herausziehen.«

»Warum kümmerst du dich nicht selbst darum, wenn du schon vor Ort bist?«, entgegnete Amanda, deren Ärger größer war als ihre Zurückhaltung. Darauf erntete sie nur Schweigen, bis sie schließlich den Frontlader zurück in den Schuppen fuhr, sich ein Seil schnappte, auf ihr Quad stieg und wütend losbrauste.

Als sie durch das offene Gatter auf die Koppel fuhr, sah sie ihren Vater an der Wasserstelle sitzen und auf die beiden Kadaver starren. Er machte den Eindruck, als wäre er mit seinen Gedanken ganz woanders. Amandas Blick wanderte zu den toten Schafen. Soweit sie das beurteilen konnte, hatte er keinerlei Anstalten gemacht, die Tiere aus dem Schlamm zu ziehen.

Als sie das Quad anhielt, stand Brian auf und ging ihr entgegen. Er blieb dicht vor ihr stehen und sah ihr direkt in die Augen. »Hinterfrag nie wieder meine Anweisungen über Funk! Sonst weiß bald der ganze Distrikt, was bei uns zu Hause los ist. Du tust gefälligst, was ich dir sage, und keine Widerrede, verstanden?«, blaffte er sie an.

Amanda verschränkte trotzig die Arme vor der Brust und machte ein entschlossenes Gesicht. »Dad, es wäre schneller gegangen, wenn du es selbst erledigt hättest, statt mir zu befehlen, alles stehen und liegen zu lassen und extra rauszukommen. Ein gutes Zeitmanagement ist ungemein wichtig auf einer Farm. Dass du mich hier antanzen lässt, ist unproduktiv. Zeit ist Geld. So schwer ist diese Arbeit nicht. Zwar keine angenehme Aufgabe, aber nicht anstrengend.«

Brian tat so, als hätte sie nichts gesagt. »Verstanden?«, wiederholte er.

»Ja, Dad«, antwortete sie mürrisch.

Während Amanda das Seil abrollte und am Heck des Quads befestigte, hörte sie an den Schritten im Kies, dass ihr Vater zu seinem Pick-up ging. Als er die Fahrertür zuzog, hob sie den Kopf, sah zu ihm hinüber und sagte: »Tut mir leid wegen gestern Abend, Dad.«

Eine kurze Pause entstand, in der Brian ihre Entschuldigung verarbeitete, aber dann startete er den Motor und fuhr davon, ohne noch ein weiteres Wort zu sagen.

Amanda starrte auf die toten Tiere, während ihr wieder die Tränen kamen, und plötzlich verstand sie, dass sein Schweigen und die Kadaverbeseitigung die Strafe waren für den Abend zuvor. Und immer wenn er sie ansah, konnte sie den stummen Vorwurf in seinen Augen erkennen. Er gab ihr die Schuld für den Tod ihrer Mutter. Als hätte sie nicht so schon genug Schuldgefühle! Aber schließlich waren ihre Eltern auf der Fahrt zu ihrer Abschlussfeier verunglückt.

Amanda verstand durchaus, dass ihr Vater trauerte – sie trauerte auch. Aber um zu überleben, mussten sie weitermachen. Sie wusste, dass ihr Vater sie für kalt und herzlos hielt, wenn er mit versteinertem Gesicht ihre Belehrungen hörte. Könnte er doch nur ihr Inneres sehen, ihre eigene überwältigende Trauer, dann würde er vielleicht verstehen, dass sie versuchte, diese zu bewältigen, indem sie sich auf Kyleena konzentrierte, auf ihre Zukunft. Aber ihr Vater hatte offenbar kein Interesse daran, sie zu verstehen.

Sei’s drum, sie musste die Kadaver herausziehen, bevor sie das Wasser verseuchten. Nachdem sie das freie Seilende um den Hinterlauf eines der Tiere gebunden hatte, fuhr sie vorsichtig mit dem Quad an und zog den Kadaver langsam hinter sich her. Sie lenkte zu einer Baumgruppe, wo das Schaf seine letzte Ruhe finden würde, atmete dabei durch den Mund, um den Gestank nicht einatmen zu müssen, löste das Seil und fuhr zurück an die Wasserstelle, um das andere tote Tier herauszuziehen.

Als die Sonne sich dem Horizont zuneigte, machte Amanda sich auf den Heimweg. Sie wusste, dass ihr Vater in seinem Büro sitzen, Radio hören und Bier trinken würde. Ihr aus dem Weg gehen wollte.

In ihrer Kindheit war das Haus voller Leben und Fröhlichkeit gewesen, voller Lachen und Freude. Ihre Mutter, Helena, eine begnadete Köchin und Gärtnerin, hatte nicht nur geholfen, die Farm zu bewirtschaften, sondern zudem ihren eigentlichen Beruf als Journalistin ausgeübt, indem sie hin und wieder Beiträge für die Lokalzeitung schrieb. Seit Helenas Tod verwilderte der Garten, und das Haus hatte seine Behaglichkeit verloren. Es schien zu verstehen, dass seine Bewohner sich langsam selbst zerstörten.

Als Amanda die Tür zum Arbeitszimmer ihrer Mutter öffnete, schlug ihr sofort der neue Geruch entgegen. Endlich roch es frisch und sauber, als wäre wieder Leben eingekehrt. Als Amanda sich nicht lange nach dem Unfall das erste Mal überwunden hatte, das Zimmer wieder zu betreten, roch es noch nach ihrer Mutter. Nach ihrer Körperlotion, ihrem Shampoo, ihrer Seife. Das Buch, das sie zuletzt gelesen hatte, lag auf dem Couchtisch und auf dem Schreibtisch der unvollendete Artikel, an dem sie zuletzt gearbeitet hatte.

Im Laufe der Monate war Helenas Duft jedoch verblasst, und als sich ein muffiger, abgestandener Geruch ausbreitete, wusste Amanda, dass sie reagieren musste. Sie brachte es nicht über sich, das Lieblingszimmer ihrer Mutter verwaisen zu lassen. Deshalb hatte sie vor zwei Wochen ihren Computer hier aufgebaut und das Zimmer für sich hergerichtet. Mit grimmiger Miene hatte ihr Vater beobachtet, wie sie die Vorhänge weit aufzog, Staub von den Möbeln wischte und eine Vase mit Lavendelblüten in der Lieblingsfarbe ihrer Mutter auf den Schreibtisch stellte. Er weigerte sich, auch nur einen Fuß in das Zimmer zu setzen, und schimpfte, das sei Helenas Reich, und nichts darin dürfe verändert werden.

Amanda hatte ihn ignoriert. Jetzt öffnete sie das Fenster und setzte sich auf die bequeme Couch, auf der ihre Mutter an Regentagen es sich immer mit einem Buch gemütlich gemacht hatte, die Beine angezogen, die langen, dunklen, gewellten Haare über der Rückenlehne drapiert.

Auf dem Schreibtisch stand ein Bild, das Helena, Brian und Amanda als Kind im Garten zeigte. Amanda konnte sich noch genau an den Tag erinnern, an dem die Aufnahme entstanden war. Der Regen nach der Dürre war gekommen wie aus dem Nichts. Plötzlich frischte der Wind auf und kühlte die Hitze ab, was ihre Mutter in ihrem dünnen Sommerkleid jedoch nicht beeindruckt hatte. Mit ausgebreiteten Armen, das Gesicht zum Himmel gewandt, hatte sie im Regen getanzt und vor Freude und Hoffnung gelacht. Ihr Vater war aus der Scheune gerannt und hatte ihre Mutter in den Arm genommen, und zusammen hatten sie über den Regen gejubelt, während ihr einziges Kind von der Veranda aus erstaunt zusah.

Dreiundfünfzig ist zu jung zum Sterben, dachte Amanda, und Tränen schossen ihr in die Augen. Und zweiundzwanzig ist zu jung, um seine Mutter zu verlieren. Sie vergrub das Gesicht im Kissen, in der Hoffnung, einen Hauch des verblassten Dufts ihrer Mutter zu riechen.

In der Nacht erwachte Amanda aus unruhigem Schlaf. Da sie Durst hatte, tapste sie in Richtung Küche. Plötzlich horchte sie auf, weil aus dem Zimmer ihres Vaters seltsame Geräusche drangen. Sie blieb stehen, um anzuklopfen, zögerte aber, als sie ein herzzerreißendes Schluchzen vernahm und leises Gemurmel. Vorsichtig öffnete sie die Tür einen kleinen Spalt und spähte in das Zimmer. Am Fußende des Betts stand ihr Vater, mit dem Rücken zu ihr. Seine Schultern zuckten, während er weinte. In der Hand hielt er ein Porträt von Helena, in dessen Silberrahmen das Mondlicht reflektierte, das durch die offenen Vorhänge schien.

»Warum, Helena, warum? Wie konnte das passieren, nach allem, was wir durchgestanden haben? Nachdem wir immer zusammengehalten haben? Wie konntest du mich jetzt verlassen?«

Kapitel 3

Früh am Abend wurde es bereits kühl, der Winter kündigte sich an. Amanda zog sich häufig in das Arbeitszimmer zurück, um an dem Businessplan für Kyleena zu arbeiten, an dem sie herumtüftelte, seit sie wieder zu Hause war. Wann immer es ihre Zeit erlaubte, nutzte sie jede Gelegenheit, um vor dem Sonnenuntergang Kyleena neu zu entdecken.

In den vergangenen sechs Monaten hatte sie das gesamte Grundstück inspiziert und war jeden Meter Land zu Fuß abgegangen. Sie hatte die Dämme an den Wasserstellen überprüft, die Zäune und Weiden, und nebenbei ihren Viehbestand gezählt. Sie hatte einige Ideen, wie die Einkünfte sich steigern ließen, aber keine Antwort auf die Frage, wie sie ihren Vater dazu bringen konnte, sich ihre Vorschläge anzuhören.

An den meisten Abenden übertrug sie ihre Notizen in den Computer, um ihren Businessplan zu ergänzen. Obwohl ihr Vater sich weigerte, einen Blick darauf zu werfen, hatte Amanda sich diese Aufgabe fest vorgenommen. Zuerst aktualisierte sie fleißig die Daten, je mehr sie über die Farm erfuhr. Dadurch blieb sie in Übung, und ihre Arbeit ergab einen neuen Sinn. Aber mit der Zeit ließ ihr Enthusiasmus nach, und ihre Hoffnung sank wieder.

Amanda blickte über den Monitor hinweg auf das verdorrte Gras draußen, das einmal eine Wiese war. Ihre Mutter wäre sehr enttäuscht, wenn sie den Garten in seinem jetzigen Zustand sehen würde. Sie stand auf und ging hinaus. Was konnte sie tun, damit der Garten schöner aussah? Wollte sie das überhaupt? Würde dann das nagende Bedürfnis verschwinden, der Farm für immer den Rücken zu kehren? Vielleicht.

Das Einzige, was noch blühte, waren ein paar rote Geranien und Lavendel. Amanda kniete sich vor das Blumenbeet und begann, das Unkraut auszurupfen, das über einen halben Meter hoch war. Nach zehn Minuten beugte sie den Oberkörper zurück, um ihr Werk zu begutachten. Sie hatte lediglich einen kleinen Streifen von einem Meter geschafft. Sie schüttelte den Kopf über die vergebliche Mühe und verspürte plötzlich das Bedürfnis zu fliehen. Sie sprang auf, klopfte sich die Jeans ab, holte den Autoschlüssel und ging hinüber zu ihrem VW Käfer, den sie sich zu ihrem Studium geleistet hatte. Sie konnte genauso gut in die Stadt fahren und ihr Postfach leeren.

Bei dem vertrauten Motorengeräusch des Käfers musste Amanda an Hannah und Jonno denken, die sich über ihren Wagen lustig gemacht hatten, als sie damit zum ersten Mal auf den Uniparkplatz gefahren war. Die beiden hatten draußen gestanden und einen neuen Pick-up bewundert, als Amanda langsam vorüberknatterte, auf der Suche nach einer freien Lücke zwischen all den Geländewagen mit ihren Funkantennen, Aufklebern und glänzenden Alufelgen. Jonno war ihr sofort aufgefallen – seine lange, muskulöse Gestalt und sein blonder Schopf –, und sie fand, dass er der schönste Mann war, den sie jemals gesehen hatte. Gleich darauf hatte sie eine passende Lücke entdeckt, den Käfer eingeparkt, war ausgestiegen und hatte den beiden schüchtern zugelächelt.

Jonno hatte anerkennend gepfiffen und war dann auf Amanda zugegangen, während Hannah ihm folgte. Amanda, die den Pfiff auf sich bezogen hatte, wurde rot, als sie merkte, dass er damit ihren Wagen gemeint hatte.

»Hey, hey, da haben wir wohl einen echten Oldtimer aus den Siebzigern, Han«, hatte Jonno gesagt und mit der Hand über das Wagendach des Käfers gestrichen.

Amanda hatte tief Luft geholt und sich mit funkelnden Augen vor ihm aufgebaut. »Hast du etwa ein Problem damit?«, hatte sie erwidert und Jonnos große Gestalt gemustert, seine dunklen Augen und sein schönes, sonnengebräuntes Gesicht.

»Nö. Tolles Auto. Noch ein paar Peace-Aufkleber und der Wagen ist perfekt. Starke Farbe, dieses Lila. Hast du ihn selber umlackiert?« Er grinste breit. Hinter seinem Rücken verdrehte Hannah die Augen und ließ den Zeigefinger neben dem Kopf kreisen, um zu signalisieren, dass Jonno eine Schraube locker hatte.

»Klar«, antwortete Amanda. »Und was für einen Schlitten fährst du?«

»Ah, wenn du den Pick-up sehen willst, der sämtliche Schönheitswettbewerbe in Western Australia gewinnen wird, dann bitte hier entlang, Madam«, sagte er und machte eine ausladende Geste zu dem glänzenden schwarzen Geländewagen, ein Holden, den die zwei kurz zuvor bewundert hatten. Die Heckklappe und das Heckfenster waren zugepflastert mit Aufklebern, und der Kuhfänger war in einem knalligen Pink lackiert.

Amanda hob verwundert die Augenbrauen – der hatte vielleicht Nerven, über ihren Wagen zu spotten!

»Lebt dieses Ding?«, fragte sie spitz und deutete auf den Kuhfänger. Begleitet von Hannas leisem Kichern näherte sich Amanda übertrieben vorsichtig dem Pick-up und überlegte laut: »Ja, hier noch ein paar neongrüne Streifen, und auf der Motorhaube eine große pinkfarbene Blüte, passend zum Kuhfänger …« Sie richtete sich auf und sah Jonno in die Augen. »Was meinst du?«

Hannah und Jonno hatten gelacht, bevor Jonno sich nah zu Amanda gebeugt hatte und ihr verschwörerisch zuflüsterte: »Weißt du, was das Schlimmste ist? Ich muss ihn mit ihr teilen.« Sein Daumen zeigte über seine Schulter nach hinten auf Hannah. »Den pinkfarbenen Kuhfänger habe ich nur ihr zu verdanken.«

»Ja«, hatte Hannah gesagt, »echt blöd, wenn man den Wagen mit seiner Schwester teilen muss, nicht wahr?«

»Ihr seid Geschwister?«, hatte Amanda erwidert, erstaunt und zugleich erfreut. Die beiden sahen sich überhaupt nicht ähnlich.

»Wir sind sogar Zwillinge«, hatte Hannah geantwortet und ihr die Hand entgegengestreckt. »Ich bin Hannah Mardey, und das ist mein Bruder Jonno.«

Beim ersten Händedruck von Jonno hatte Amanda innerlich gebrannt vor Verlangen. Am liebsten wäre sie ihm sofort um den Hals gefallen und hätte ihn nie wieder losgelassen. Nachdem Hannah und sie sich rasch angefreundet hatten, kam Amanda allerdings zu dem Entschluss, dass sie sich nicht in den Zwillingsbruder ihrer besten Freundin verlieben durfte. Sie wollte diese tolle Freundschaft nicht gefährden. Außerdem war sie auf dem College, um zu lernen und das Beste aus ihrer Chance zu machen. Dabei konnte sie keine Ablenkung gebrauchen – völlig egal, wie sehr sie Jonno begehrte.

Amanda spürte Erleichterung, als sie die Vororte von Esperance erreichte. Wenn sie schon unterwegs war, konnte sie sich bei Hannah melden, um Neuigkeiten auszutauschen. Das würde sie sicher aufheitern.

Brian öffnete das nächste Bier und beobachtete die Bremslichter von Amandas Wagen am Ende der Zufahrt. Ihm war bewusst, dass er Amanda ungerecht behandelte, weil er sich ihre Ideen nicht anhören wollte, aber Helenas Tod hatte ihm jegliches Interesse am Leben geraubt. Er wollte nichts von Amandas Plänen wissen. Er wollte sich nicht um die Farm kümmern. Er war sich nicht einmal sicher, ob er leben wollte.

Brian schlug die Hände vors Gesicht, weil dieser furchtbare Tag sich wieder vor seinem geistigen Auge abspielte, zum x-ten Mal …

Brian und Helena waren am frühen Morgen von Kyleena aufgebrochen, um an Amandas Abschlussfeier teilzunehmen. Helena hatte eine Thermoskanne Kaffee und Sandwiches vorbereitet für die siebenstündige Fahrt. Die meiste Zeit hatten sie sich darüber unterhalten, wie sie Kyleena vor dem Bankrott bewahren konnten. Helena hatte ihre Zweifel geäußert, ob sie es sich leisten konnten, Amanda einen Lohn zu bezahlen, und Brian hatte sich plötzlich so müde und erschöpft gefühlt, dass es ihm schwergefallen war, sich auf das Fahren zu konzentrieren.

Er hatte seiner Frau behutsam die Hand auf den Mund gelegt, um sie zum Schweigen zu bringen. Zuerst hatte sie erschrocken die Augen aufgerissen, aber dann blitzte darin der Schalk, und plötzlich hatte sie begonnen, seine Handfläche zu lecken. Er hatte gegrinst und gedacht, was für ein Glück er hatte, mit so einer Frau verheiratet zu sein. Dann hatte er mit Bedauern seine Hand zurückgezogen. Er hatte sie um einen Kaffee gebeten, und sie hatte sich losgeschnallt, um die Thermoskanne vom Rücksitz zu nehmen. Er hatte auf ihren Hintern gesehen, während sie sich zwischen den Sitzen nach hinten beugte, und die Hand gehoben, um ihr einen Klaps auf den Po zu geben. Das war das Letzte, woran er sich erinnern konnte, bis er im Krankenhaus wieder zu sich gekommen war. Bis ihm der Arzt gesagt hatte, dass Helena tot war.

Brian presste die Faust an den Mund. Hätte er doch nur auf die Straße geachtet. Hätte Amanda doch nur auf ihn gehört und nie studiert, dann wäre der Unfall nicht passiert. Hätte doch nur …

Brian ging an seinen Aktenschrank und nahm die Post heraus, die er dort seit drei Monaten sammelte. Er blätterte den Stapel durch und legte die Rechnungen und die Briefe von der Bank ungeöffnet zur Seite. Es waren sechs Briefe gekommen in drei Monaten. Außerdem hatte Malcolm Mackay, sein Finanzberater, mehrmals angerufen. Brian ignorierte das Telefon und überließ alles dem Anrufbeantworter. Unliebsame Nachrichten löschte er sofort. Ihm war klar, dass das nicht ewig so weitergehen konnte. Die Frage war nur, woher er die Energie nehmen sollte, um eine Entscheidung zu treffen. Mit Helena an seiner Seite hätte er sich einen Plan überlegen können, aber nun kümmerte es ihn nicht mehr.

Brian stemmte sich vom Schreibtisch hoch und ging hinüber zu dem Bild an der Wand. Sein Vater und seine Mutter lächelten ihn an, und Brian fragte sich nicht zum ersten Mal, was sie von seinem Leben halten würden. Frau verloren, fast bankrott und eine Tochter, die er sich vom Leib halten musste, weil sie ihn ständig bedrängte, ohne zu wissen, wann es genug war.

Er wusste, dass Amanda es kaum erwarten konnte, die Farm zu übernehmen, aber so einfach war das nicht. Brian gehörte zu einer Generation, die gelernt hatte, dass nur Söhne geeignet waren, eine Farm zu leiten. Dank Helenas Unterstützung hatte er begonnen, seine Vorbehalte zu überwinden, als sie plötzlich starb. Hass und Wut hatten alles wieder zunichtegemacht. Hinzu kam der Umstand, dass Amanda glaubte, sie wüsste schon alles, nur weil sie drei Jahre lang Theorie studiert hatte. Aber was war mit der praktischen Erfahrung? Ohne sie konnte man keine Farm bewirtschaften. Zweieinhalbtausend Hektar Land bedeuteten viele Schafe, Rinder und Felder, und man musste sich mit all dem gut auskennen, damit es rund lief. Brian liebte seine Tochter, aber Amanda hatte nicht genug Zeit auf Kyleena verbracht, um die notwendige Erfahrung zu sammeln. Er wusste, Helena hätte sich gewünscht, dass er Amanda ermutigte – Helena hatte selbst einige sehr fortschrittliche Ideen –, aber er hatte einfach nicht die Energie dazu. Er brauchte seine ganze Kraft, um jeden Morgen aufzustehen und sich dem Tag zu stellen.

Er sammelte die Briefe von der Bank ein und legte sie zurück in den Aktenschrank. Dann schloss er sein Büro ab und ging in die Küche, um zu sehen, was Amanda zum Abendessen vorbereitet hatte.

Amanda blickte auf den Umschlag in ihrer Hand. Sie war froh, dass sie nach Esperance gefahren war. Zuvor hatte sie auf einer Anhöhe vor der Stadt haltgemacht, wo sie Handyempfang hatte, und eine halbe Stunde mit Hannah geplaudert. Sie hatten sich den neuesten Klatsch erzählt über ehemalige Studienfreunde, über die Vor- und Nachteile von Hannahs Job als Saatguthändlerin diskutiert und über Amandas Schwierigkeiten mit ihrem Vater und ihre Pläne für Kyleena gesprochen. Während Amanda der Stimme ihrer besten Freundin lauschte, war ihr der Tag erträglicher vorgekommen, und sie war in wesentlich besserer Stimmung zur Post gefahren, um ihre Briefe zu holen.

Neben der üblichen Sammlung aus Fachzeitschriften und Reklame hatte sie eine Postkarte von Katie erhalten, die gerade ein Landwirtschaftspraktikum in Irland machte, und einen dicken, cremefarbenen Umschlag mit einem goldenen Emblem oben links in der Ecke, der von einer Kanzlei stammte. Ihr Name war in großen schwarzen Buchstaben gedruckt, und darüber stand in roter Schrift Persönlich & vertraulich. Amanda machte den Umschlag auf und begann den Brief zu lesen, wobei ihre Augen immer größer wurden. Dann brach sie in Tränen aus. Ihre Mutter hatte Amanda ihre Hälfte der Farm vermacht.

Kapitel 4

1934

Der zwanzigjährige Michael Greenfield schwang sich aus seinem Dodge Truck und landete mit einem dumpfen Geräusch auf dem Boden. Eine Staubwolke wirbelte hoch um seine Stiefel, und er wischte die kleinen Buschfliegen ab, die sich um seine Augen sammelten.

Dann stand er ganz still und lauschte. Ihm war gesagt worden, dass es auf diesem Stück Land einen Fluss gab und dass er ihn finden würde, indem er einfach dem Geräusch folgte, wenn er ihn hörte. Dort wollte er sein Lager aufschlagen. Aber er hörte nur ungewohnte Vogelschreie. Er ließ den Blick über die Buschlandschaft schweifen, die ihm ebenso fremd war, und machte ein paar zögernde Schritte. Das Land war dicht bewachsen mit Eukalyptusbäumen und Akaziensträuchern – er musste die einzelnen Arten erst noch lernen –, aber trotzdem war es leicht begehbar, und man konnte sehen, dass der Boden fruchtbar war. Ja, das Land hatte Potenzial.

Zuzugeben, dass er Angst hatte, wäre das Eingeständnis von Schwäche, aber seine gemischten Gefühle aus Aufregung, Ehrfurcht und Sorge führten zu einer gewissen Nervosität. Sein Berater hatte ihn vor der rauen Landschaft gewarnt.

Während Michael durch den Busch wanderte und hin und wieder stehen blieb, um nach dem Fluss zu horchen, hielt er Ausschau nach y-förmigen Ästen und einem langen, geraden Ast. Die benötigte er, um sich ein Nachtlager zu bauen.

Kurz darauf stolperte er über eine Baumwurzel, und ihm stockte der Atem, als plötzlich eine lange, dünne, schwarz-gelbe Schlange sich aufrichtete und den Kopf vorreckte, bereit zuzubeißen. Michael erstarrte. In der Stadt hatte ein neuer Bekannter von ihm behauptet, dass es auf Esperance pro Hektar mindestens eine Schlange gäbe, eine Tatsache, die Michael nicht gerne hörte. Nach einer Weile, die ihm wie Stunden vorkam, sank die Schlange wieder auf den Boden und setzte ihren Weg fort. Seine erste Lektion.

Nachdem seine Atmung und sein Puls sich wieder beruhigt hatten, vernahm er schließlich das Geräusch von Wasser. Er sah sich um, weil er sichergehen wollte, dass die Schlange verschwunden war, und folgte dann dem leisen Plätschern.

Die Zeit war seit Michaels Ankunft im Hafen von Esperance schnell verstrichen. Er wurde von einem Mister Frank O’Connor in Empfang genommen, wie sein Vater versprochen hatte. Dieser Gentleman von der Agricultural Bank hatte sich als höchst zuvorkommend erwiesen. So hatte er nicht nur den Proviant und die Ausrüstung besorgt, die Michael für die nächsten Monate brauchte, sondern ihn zudem mit vielen anderen Siedlern bekannt gemacht. Falls Mister O’Connor informiert war, warum Michael England verlassen hatte, dann ließ er das nicht erkennen.

Die Pritsche von Michaels Dodge wurde beladen mit Tee, Mehl und Zucker, alles in Fünfzigpfundsäcken, zwei Äxten, Sägen und Keil sowie einer Feile, um das Werkzeug zu schärfen. Zur Ausrüstung gehörten außerdem ein Zeltdach, eine Wagga – eine grobe Decke aus alten Leinensäcken – und eine Palliasse – ein Strohsack, der als Matratze diente. Während Mister O’Connor den Inhalt der Ladung aufzählte, wurde Michael bewusst, dass er nicht nur die Namen der australischen Flora und Fauna lernen musste, sondern eine völlig neue Sprache.

Er hatte erfahren, dass in den nächsten Tagen ein Viehtreiber mit seiner Herde vorbeikommen würde. Die Schafe, Rinder, Schweine und Hühner würden Fleisch, Milch und Eier liefern. Mister O’Connor hatte sogar daran gedacht, ihm einen guten Hund zu besorgen, nicht nur für die Arbeit, sondern auch als Weggefährte.

Nach einer Woche Aufenthalt in Esperance, in der Michael viel Nützliches von den anderen Siedlern und von Mister O’Connor erfahren hatte, verließ er widerstrebend die gemütliche Behaglichkeit seines Gästezimmers, der Bierschenke und der menschlichen Gesellschaft, um ein neues Leben in der Wildnis zu beginnen, weit weg von seiner Familie und den Bequemlichkeiten, die er gewohnt war. Er hatte sogar ein wenig Heimweh nach England – aber nein, er würde nicht an zu Hause denken. Er war gekommen, um die Verfehlungen zu vergessen und sich ein neues Leben aufzubauen. Er würde sich keine Reue erlauben.

Er entdeckte eine Astgabel und setzte mit ungeübten Händen die Säge an. Dies sollte von nun an sein neues Zuhause sein und, wie er hoffte, der Beginn seines zukünftigen Imperiums.

Kapitel 5

Amanda beugte sich unter den Traktor, drehte an der Ablassschraube und beobachtete, wie das schlammige schwarze Öl heraussickerte. Es war bestimmt schon seit Jahren nicht mehr gewechselt worden! Kopfschüttelnd dachte sie, dass ihr Vater, obwohl er es auch selbst machen konnte, für solche Wartungsarbeiten den Mechaniker kommen ließ. Der offensichtlich seine Arbeit nicht getan hatte. Amanda klemmte sich den Schraubenschlüssel unter den Arm und wischte die ölverschmierten Hände an einem Lappen ab, während sie weiter über ihren Vater nachdachte.

Sie würde jede Wette eingehen, dass er gerade im Haus war und aus seinen Arbeitsklamotten in frische Kleidung wechselte. Sie wusste nicht, was er heute vorhatte, aber er verbrachte immer mehr Zeit außerhalb der Farm. Und wenn er zu Hause war, machte er einen geistesabwesenden Eindruck oder schloss sich in seinem Büro ein.

Während das restliche Öl heraustropfte, dachte Amanda, wie sehr ihr Vater sich in seiner Trauer verlor. Aber wenn sie imstande war weiterzumachen, dann war er es auch.

Kurz darauf hörte sie Schritte im Kies. Sie wandte den Kopf und sah Brian hinter der Scheune hervorkommen.

»Mandy, bist du hier?«, rief er.

»Ja«, sagte sie und richtete sich auf. »Was ist?«, fragte sie, als sie sah, dass seine Miene plötzlich wie versteinert wirkte.

»Was tust du da?«, erwiderte er und deutete mit einem Nicken auf den ölverschmierten Lappen in ihrer Hand.

»Ich wechsele das Öl. Sieht so aus, als wäre das jahrelang nicht gemacht worden.«

»Der Mechaniker kümmert sich um den Traktor.«

»Ich weiß. Aber da wir einen Filter und ausreichend Öl haben, dachte ich, wir sparen uns das Geld. Außerdem ist heute nicht viel zu tun hier.«

»Tja, das wird sich ändern. Du musst sofort raus auf die Karru-Koppel und das Vieh reintreiben. Ich habe Natty und seine Scherer für morgen zum Crutchen bestellt«, sagte er in barschem Ton und wandte sich zum Gehen. »Ich werde erst spät zurück sein. Bin bei den Forschern auf der Saatgutstation.«

Amanda merkte erst, dass sie die Luft anhielt, als sie hörte, wie sein Wagen gestartet wurde. Wütend schleuderte sie den Schraubenschlüssel in den Kies. Für wen hielt der sich, dass er sie herumkommandierte wie einen Hilfsarbeiter?

Amanda öffnete das Koppeltor und schwang es weit auf, damit die Herde bequem passieren konnte. Während sie sich auf dem Motorrad den Schafen näherte, musterte sie die Tiere und schnaubte dann verächtlich. An den Hinterteilen hingen faustdicke Zotteln, und sie konnte kahle Stellen im Fell entdecken, wo die Schafe sich die Wolle herausgerupft hatten. Diese verdammten Läuse. Sie musste es ihrem Vater sagen, wenn er heute Abend zurückkam. Vielleicht konnte sie ihn davon überzeugen, ein spezielles Lausmittel für Suffolkschafe zu kaufen. Wenigstens versuchte er, dem Parasitenbefall vorzubeugen, indem er die Hinterteile ausscheren ließ, aber die Scherer würden sicher ihren Unmut zeigen, wenn sie diese Schafe sahen.

Die Jungtiere, die sich dicht bei ihren Müttern hielten, stammten offensichtlich aus verschiedenen Lammungen. Manche schienen vier Monate alt, andere neugeboren; keines hatte eine Ohrmarke. In der Zucht wurde die Herde idealerweise innerhalb von sechs bis acht Wochen gedeckt, damit die Lämmer markiert und rechtzeitig abgesetzt werden konnten und kein heilloses Durcheinander entstand. Morgen während der Schur wollte Amanda sich um die Kennzeichnung der Lämmer kümmern.

Plötzlich übermannte sie ein klaustrophobisches Gefühl, sodass sie auf dem Motorrad anhalten musste. Wollte sie wirklich so weitermachen? Ihr Vater war ein guter Farmer, und dieses Chaos vor ihren Augen sah ihm gar nicht ähnlich. Es schien fast, als hätte er aufgegeben. Aber Amanda konnte nicht verstehen, warum. Schließlich gab es genug für ihn zu tun, selbst wenn ihre Mutter tot war. Warum ließ er in seiner Trauer Kyleena so verkommen?

Amanda hatte sich viele Gedanken gemacht über das Erbe, das ihre Mutter ihr hinterlassen hatte. Da ihr nun die Hälfte der Farm gehörte, gab ihr das ein wesentlich größeres Mitspracherecht bei wichtigen Entscheidungen, als sie jemals für möglich gehalten hätte. Vielleicht war das der Weg, ihrem Vater mehr Raum zu geben und ihm wieder auf die Beine zu helfen. Wenn sie ihn dazu bringen konnte, ihren Modernisierungsplänen zuzustimmen oder ihr wenigstens einigermaßen freie Hand zu lassen, und wenn er keine schwere Arbeit mehr verrichten musste, hätte er vielleicht wieder Interesse an der Farm. Und sie würde vielleicht doch bleiben. Mit aufkeimender Hoffnung fuhr sie weiter.

Als die Schafe später gemächlich in das Hofgehege trabten, bemerkte Amanda den Pick-up ihres Vaters in der Toreinfahrt. Sie hatte gedacht, er wäre schon längst weg. Sie beobachtete, wie sich eine weiße Limousine auf der Zufahrt näherte und neben dem Pick-up hielt. Brian stieg aus und begrüßte einen älteren Mann in Anzug und Krawatte, der ebenfalls ausgestiegen war. Sie wechselten ein paar Worte, dann öffnete der Mann die hintere Tür seines Wagens und nahm eine Aktentasche heraus. Er breitete irgendwelche Unterlagen auf der Motorhaube aus und gab Brian etwas, das wie ein Stift aussah. Dieser unterschrieb offenbar, gab die Dokumente dem Mann zurück und schüttelte ihm wieder die Hand. Dann stieg er in seinen Pick-up und fuhr weiter zur Straße. Währenddessen stieg der Fremde wieder in seine Limousine und fuhr auf den Hof, auf die Scheune zu. Amanda ließ den Motor aufheulen, um die letzten Schafe in das Gehege zu treiben. Sie sicherte das Tor mit einer Kette und ging dem fremden Fahrzeug entgegen, sodass dem Mann nichts anderes übrig blieb, als anzuhalten und mit ihr zu reden.

»Hallo. Kann ich Ihnen helfen?«, fragte sie, als die Limousine zum Stehen kam und das Fenster heruntergelassen wurde.

»Danke, nein. Ich hatte nur kurz etwas mit Brian zu besprechen und muss gleich wieder weiter. Die Einfahrt ist zu eng, darum bin ich auf den Hof gefahren, um zu wenden«, antwortete er mit einem Lächeln und streckte die Hand aus dem Fenster. »Ich bin Malcolm Mackay, Finanzmanager bei der Western Bank.«

»Amanda Greenfield«, sagte Amanda und gab ihm die Hand.

»Ach, dann sind Sie Brians Tochter? Ich kann nicht glauben, dass wir uns nie zuvor begegnet sind, obwohl ich Ihre Eltern schon so lange kenne. Allerdings waren Sie eine Zeit lang fort. Ich muss sagen, ich habe viele Lobeshymnen von Ihrem Vater über Sie gehört.«

»Ach ja?«