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Inhalt

Vorwort

1 Es kann nur eine geben

2 Die Zahl, die den Unterschied macht

3 Die erste Ganzheit

4 Die Zahl der Orientierung

5 Die Zahl der Natur

6 Die Form der Natur

7 Die Zahl, die es nicht gibt

8 Kompromisslose Schönheit

9 Eine langweilige Zahl?

0 Das Symbol für Nichts

10 Die Zahl der Rationalität

11 Die Zahl, die im Verborgenen wirkt

12 Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile

13 Eine wilde Zahl

14 B + A + C + H

17 Die Gauß-Zahl

21 Kaninchen und Sonnenblumen

23 Die paradoxe Geburtstagszahl

42 Die Antwort auf alle Fragen

60 Die beste Zahl

153 Die Zahl der Fische

666 Die Zahl des Tieres

1001 Die Cliffhanger-Zahl

1679 Eine Zahl für Extraterrestrische

1729 Die Ramanujan-Zahl

65 537 Die Zahl im Koffer

5 607 249 Die Opalka-Zahl

267 − 1 Ohne Worte

−1 Eine absurde Zahl

2/3 Gebrochene Zahlen

3,125 Einfach, aber genial

0,000… Ein Hauch von Nichts

image Die irrationale Zahl par excellence

image Die Verdoppelung des Würfels

φ Der Goldene Schnitt

π Die geheimnisvolle Transzendente

e Die Zahl des Wachstums

i Ist das Imaginäre vorstellbar?

Größer als alles

Bildnachweis

Vorwort

Zahlen wurden schon vor 30.000 Jahren erfunden, vermutlich aus praktischen Gründen. Damals wurden Strichlisten angelegt, mit denen offenbar etwas gezählt wurde. Die Verwendung von Zahlen markiert den Übergang von qualitativen, subjektiv gefärbten Einschätzungen zu quantitativen und damit objektiven Feststellungen. Man kann die Frage nach mehr oder weniger oder nach gleich viel durch Zahlen objektiv und damit «gerecht», ohne Beeinflussung durch Rang, Macht oder Ansehen eines der Kontrahenten, entscheiden.

Neben ihrer Verwendung zur Lösung praktischer Probleme spielten Zahlen von Anfang an auch eine wichtige Rolle für das Verständnis der Welt. In allen Kulturen wurde die kosmologische Frage gestellt: «Warum und wie und nach welchen Regeln bewegen sich Sonne, Mond und Sterne?» Diese Frage wurde in vielen Mythen aufgegriffen, aber auch wissenschaftlich behandelt, indem Beobachtungen durch Zahlen in Tabellen festgehalten und daraus Vorhersagen generiert wurden. Die wissenschaftliche Astronomie begann, als man versuchte, die Beobachtungen festzuhalten. Hier leisteten die Mathematiker in Mesopotamien ab dem 3. Jahrtausend v. Chr. Bahnbrechendes.

Bei den Pythagoreern im 6. Jahrhundert v. Chr. gewannen die Zahlen eine neue Bedeutung. Damals war die zentrale wissenschaftliche Frage die Frage nach dem Urgrund des Seins, nach dem, was die Welt möglich macht und am Leben hält. Darauf wurden sehr unterschiedliche Antworten gegeben, für Pythagoras (um 570–nach 510 v. Chr.) war die Antwort klar: Die Zahl ist die entscheidende Grundlage. Das bedeutete nicht nur, dass man in den Phänomenen der Welt Zahlen entdecken und die Welt mit Zahlen beschreiben kann, sondern vor allem, dass Zahlen dem Getriebe der Welt zugrunde liegen, dass die Welt durch Zahlen strukturiert ist und ohne Zahlen prinzipiell nicht funktionieren könnte.

Zahlen haben, so können wir das bisher Gesagte zusammenfassen, insgesamt eine große Bedeutung. Sie sind ein Schlüssel zur Welt.

Was für die Zahlen insgesamt gilt, könnte auch für einzelne Zahlen Gültigkeit haben. Jedenfalls liegt diese Annahme nahe. Deshalb fragen wir in diesem Buch: Haben einzelne Zahlen spezifische Bedeutungen? Allgemeiner gefragt: Hat jede Zahl eine Bedeutung, hat sie sozusagen einen individuellen Charakter? Ist jede Zahl ein Schlüssel zu einem Teil der Welt?

Auf diese Frage gibt es zwei extreme Antworten.

Die erste Antwort lautet: Bei den Zahlen ist eine wie die andere. Keine zeichnet sich vor den anderen aus. Alle Zahlen sind gleich interessant und deshalb als Individuen uninteressant. Zahlen machen nur als Masse Sinn.

Vor den geistigen Augen der Vertreter dieser These erscheinen die Zahlen als Punkte auf der Zahlengeraden, die wie auf einer unendlich langen Perlenkette aufgereiht sind. Aus dieser Sicht sind Fragen wie «Bei welcher Zahl beginnen wir mit dem Zählen?» oder «In welche Richtung zählen wir?» vollkommen irrelevant, weil sich die Zahlen zum Verwechseln ähnlich sehen. Die Namen für Zahlen sind dann nur oberflächliche Bezeichnungen, die nichts mit dem Wesen der Zahl zu tun haben.

Die zweite Antwort ist der ersten diametral entgegengesetzt und besagt: Jede Zahl ist etwas Besonderes, keine ist wie die andere, und jede hat einen spezifischen Charakter.

Mathematiker untermauern diese Sicht manchmal, indem sie behaupten, dass alle Zahlen interessant seien, und stützen diese Behauptung sogar mit einem «Beweis»: Angenommen, es gäbe uninteressante Zahlen. Dann gäbe es auch eine kleinste uninteressante Zahl – das ist aber zweifellos eine höchst interessante Eigenschaft.

Ich neige der zweiten These zu, wenn auch in abgeschwächter Form: Vermutlich ist nicht jede Zahl interessant, aber viele haben einen ausgeprägten Charakter, und unter den kleinen Zahlen sind es besonders viele. Dass verschiedene Zahlen unterschiedliche Charaktere haben, leuchtet eigentlich unmittelbar ein. Denken Sie an die Zahlen 6, 7 und 8. Sie werden nicht nur sagen: Diese Zahlen folgen aufeinander wie Hausnummern, sondern zu jeder dieser Zahlen wird Ihnen etwas einfallen, was auf die anderen beiden nicht zutrifft.

Was macht eine Zahl interessant? Natürlich ihre mathematischen Eigenschaften, aber auch die Geschichten, die über sie erzählt werden, sozusagen die Rezeptionsgeschichte der Zahl. In diesem Buch sollen beide Aspekte zu Wort kommen und danach gefragt werden, ob und wie sie zusammenhängen. Zum Beispiel kann man fragen, ob die mathematischen Eigenschaften einer Zahl auch eine Erklärung für ihre kulturgeschichtliche Bedeutung oder ihren alltäglichen Gebrauch sein können.

Bei mathematischen Eigenschaften einer Zahl denken wir an Fragen wie: Kann sie durch viele Zahlen geteilt werden oder ist sie eine Primzahl? Ist sie eine Quadratzahl? In welcher Beziehung steht sie zu anderen Zahlen? Ist sie eine irrationale Zahl?

Bei außermathematischen Eigenschaften von Zahlen fallen uns zum Beispiel folgende Aspekte ein: Märchenzahlen, Zahlen in den Religionen, die Zahlen der Natur, aber auch Geschichten, die uns nicht nur von der Mathematik, sondern von Mathematikern erzählen.

***

Jeder Zahl, die in diesem Buch zu Wort kommt, ist ein eigener Abschnitt gewidmet. Sie können etwas erfahren über kleine Zahlen (wie 1, 2, 3 und 0), über große Zahlen (wie die größte Zahl, auf die jemals ein Mensch gezählt hat) und auch über Zahlen wie image oder die Kreiszahl π.

Jede dieser Zahlen erhält ungefähr gleich viel Platz – obwohl man über manche Zahl dicke Bücher schreiben könnte (und das auch getan hat). Sie können die Abschnitte in beliebiger Reihenfolge lesen; fangen Sie einfach bei Ihrer Lieblingszahl an oder bei einer Zahl, bei der Sie sich fragen, was man über sie überhaupt erzählen kann.

Sie brauchen zur Lektüre dieses Buches keinerlei mathematische Vorkenntnisse – aber Sie werden ganz nebenbei, und ohne dass es wehtut, immer wieder etwas aus der Mathematik erfahren. Wenn es zu der jeweiligen Zahl passt, werden Themen angerissen wie Binärzahlen, Dreieckszahlen und vollkommene Zahlen oder Kugelpackungen, Pascalsches Dreieck und platonische Körper oder Irrationalität, Unendlichkeit und ungelöste Probleme.

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Bei den meisten Abschnitten folgt «unterm Strich» noch ein Postskriptum mit zusätzlichen Informationen. Manchmal zur Mathematik der entsprechenden Zahl, manchmal auch zu etwas anderem.

Mein Dank gilt vielen Menschen, die mich in den vergangenen Jahren angeregt haben, über einzelne Zahlen oder auch über die Zahlen insgesamt nachzudenken, zu sprechen und zu schreiben. Diese Impulse und Erfahrungen waren ein wertvoller Input für dieses Buch: Manche Anregungen habe ich übernommen, manche erweitert, einige habe ich korrigiert und einige weggelassen, manche waren das ersehnte Puzzleteil, und manche entpuppten sich als wahres Juwel.

Ich hoffe, dass die Texte insgesamt erhellende Einblicke in die Welt der Zahlen öffnen und, zumindest exemplarisch, ihre Funktion zum Verständnis unserer realen und mentalen Welt zeigen.

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Es kann nur eine geben

Die Eins wurde lange Zeit nicht als Zahl angesehen, sondern sie galt als eine «Einheit», aus der sich alle Zahlen ergeben. Das ist zum Beispiel der Standpunkt Euklids, der zu Beginn des Buches VII seiner Elemente (ca. 300 v. Chr.) zunächst versucht, den Begriff «Einheit» zu definieren: «Einheit ist das, wonach jedes Ding eines genannt wird.» Dann fährt er viel inhaltsreicher fort: «Zahl ist die aus Einheiten zusammengesetzte Menge.»

In vielen Kulturen steht die Eins in der Tat für etwas Einzigartiges, das durch Zählen nicht erfassbar ist: In Ägypten gehört die Eins zum Schöpfergott Ptah, in Mesopotamien wurde sie mit dem Gott Anu identifiziert. In monotheistischen Religionen steht die Eins für die Einzigkeit Gottes. Der jüdisch-christliche Gott verlangt im ersten Gebot: «Ich bin der Herr, dein Gott, du sollst keine anderen Götter neben mir haben.» Und im Koran heißt es über Allah: «Er ist Gott, außer dem es keinen Gott gibt.»

Tatsächlich ist die Eins etwas Grundlegendes. Zum Beispiel beginnt das Zählen mit der Eins. Sie ist die erste Zahl und, könnte man fast sagen, die einzige, jedenfalls die wichtigste, denn aus ihr setzen sich – ganz im Sinne Euklids – alle anderen Zahlen zusammen. Die Eins sieht jede Zahl nur als eine Zusammenstellung von ihresgleichen: 5 ist 1 + 1 + 1 + 1 + 1; daher besteht die Zahl 5 aus fünf Einsen. Entsprechend setzt sich die Zahl 12 aus zwölf Einsen zusammen, und eine Billion ist die Summe von einer Billion Einsen.

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Und zumindest das macht die Eins einzigartig. Keine andere Zahl hat die Eigenschaft, dass man durch fortgesetzte Addition der Zahl alle natürlichen Zahlen erreichen kann: Durch sukzessive Addition von 2 erhält man nur die geraden Zahlen, durch mehrfache Addition von 3 nur die durch 3 teilbaren Zahlen und so weiter. Nur mit der Eins erhält man alle Zahlen. Aus Sicht der Eins besteht keinerlei Notwendigkeit für andere Zahlen.

Die Darstellung einer natürlichen Zahl als Summe von Einsen ist nur der mathematische Ausdruck des Aneinanderfügens von Strichen zu einer Strichliste, die als erste Zahlendarstellungen überliefert sind. Schon vor 30.000 Jahren haben die Menschen Zahlen dargestellt, indem sie Kerben in Knochen eingeritzt haben. Berühmt ist der «Wolfsknochen», der in der Mammutjägersiedlung Dolní Věstonice in Tschechien gefunden wurde (siehe oben). Auf ihm kann man die Zahlen 25 und 30 durch sehr regelmäßige Striche erkennen. Warum diese Zahlen so aufwändig geschrieben wurden und was damit gezählt wurde, wissen wir allerdings nicht.

Heute ist die Eins selbstverständlich als Zahl anerkannt. Es ist die Zahl, mit der das Zählen beginnt. Sie bildet den Anfang der Zahlen, in gewissem Sinne ist sie die erste Zahl. Erster zu sein ist etwas ganz Besonderes.

Wenn etwas zum ersten Mal stattfindet, bekommt dieses Ereignis sozusagen den Stempel «Eins»; dieser kann ihm nie mehr aberkannt werden. Das war so, als Wilhelm Conrad Röntgen am 8. November 1895 abends im Physikalischen Institut der Universität Würzburg «eine neue Art von Strahlen» entdeckte, die später so genannten Röntgenstrahlen. Ein anderes erstes Mal geschah am 29. Mai 1953, als der Neuseeländer Edmund Hillary und sein Sherpa Tenzing Norgay als Erste den Gipfel des Mount Everest, des höchsten Bergs der Welt, erreichten. Und auch der erste Schritt eines Menschen auf dem Mond, den Neil Armstrong am 21. Juli 1969 um 02:56:15 UTC tat, war ein Nummer-1-Ereignis.

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Die Eins hat ein sensationelles Alleinstellungsmerkmal. Das erkennt man, wenn man viele Zahlen betrachtet, zum Beispiel die Längen der Flüsse Europas oder die ersten 1000 Primzahlen oder die Zahlen auf der Titelseite einer Zeitung. Man kann jeweils fragen: Wie viele dieser Zahlen beginnen mit der Ziffer 1? Wie viele mit der Ziffer 2? Und wie viele mit der Ziffer 9? Die meisten Menschen sind vermutlich davon überzeugt, dass das im Durchschnitt gleich viele sein müssten, also jeweils etwa 11 Prozent.

Aber das ist nicht richtig: Über 30 Prozent aller Zahlen beginnen mit 1, noch 17 Prozent mit 2 und kümmerliche 4,6 Prozent mit der Ziffer 9. Dieses «Benfordsche Paradoxon» ist nach dem Physiker Frank Benford (1883–1948) benannt, der dieses Phänomen 1938 als Zweiter beschrieben hat. Der eigentliche Entdecker war 1861 der Mathematiker Simon Newcomb (1835–1909).

Benford hatte das Phänomen an Logarithmentafeln entdeckt; diese waren vorne, wo die Zahlen aufgeführt sind, die mit einer 1 beginnen, viel stärker abgegriffen als die Seiten im hinteren Teil der Bücher. Heute wird vermutlich bei jeder Computertastatur die Taste mit der 1 häufiger ausfallen als die anderen Zifferntasten, weil sie viel öfter benutzt wird.

Am Beispiel der Einwohnerzahlen der größten Städte Deutschlands wird das Phänomen deutlich. Es gibt viel mehr Städte, deren Einwohnerzahlen kleine Anfangsziffern haben als große:

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Die Erklärung ist einsichtig. Es gibt viele Städte mit 100.000 bis 199 999 Einwohnern (in Deutschland 41), schon weniger mit 200.000 bis 299 999 Einwohnern (in Deutschland 17) und noch weniger, deren Einwohnerzahl zwischen 300.000 und 399 999 liegt, nämlich gerade mal 6.

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Die Zahl, die den Unterschied macht

Es ist nicht gut, dass die Eins allein sei. Daher folgt auf die Eins die Zwei.

Aber Achtung: Die Zwei kommt zur Eins wie Eva zu Adam. Eva war nicht einfach nur ein weiterer Mensch, sondern sie war ganz anders als Adam. Mit Eva änderte sich alles.

Die Zwei ist keine zweite Eins, sie vergrößert die Eins nicht nur, sie ist nicht nur eins mehr, sondern sie ist etwas ganz anderes. Mit der Zwei ändert sich alles.

Wann und wie die Menschen zum ersten Mal auf zwei gezählt haben, kann man nur vermuten. Vielleicht hat es damit begonnen, dass die Menschen beim Gehen gesungen und dabei die abwechselnde Benutzung des linken und rechten Beins durch zwei verschiedene Töne untermalt haben. Oder damit, dass sie ihre Kinder in den Schlaf gewiegt und die Hin- und Herbewegung durch Laute unterstützt haben.

Dieses unbewusste Wahrnehmen zweier verschiedener Zustände muss irgendwann bewusst geworden sein. Man machte sich rechts und links klar, man unterschied oben und unten, man nahm vorwärts und rückwärts als zwei verschiedene Richtungen wahr – und die Zwei war geboren.

Zunächst war die Zwei keine Zahl, ja nicht einmal der Anfang des Zählens, sondern eine spezielle Form des Plurals: der «Zweier-Plural», den man «Dual» nennt. Mit diesem werden zwei Objekte bezeichnet, aber nicht irgendwelche, sondern solche, die in einer Beziehung stehen. Im Deutschen schwingt diese alte Form noch in dem Wort «beide» mit. Man soll beide Seiten berücksichtigen, man steht mit beiden Beinen im Leben.

Irgendwann entwickelte sich aus diesen Grunderfahrungen die Zahl 2. Einer der ersten Schritte bestand vielleicht darin, dass den Menschen bewusst wurde, dass die Welt etwas von ihnen Getrenntes, etwas anderes ist.

Zwei sagen können heißt nämlich, zwischen mir und der Welt unterscheiden zu können. Das bedeutet, die Welt als etwas von mir Verschiedenes, etwas anderes, ja als etwas Fremdes in den Blick zu nehmen. Mag die Welt klein oder groß, vertraut oder unheimlich, angenehm oder anstrengend sein – sie ist jedenfalls etwas anderes als ich. Es gibt neben mir noch etwas anderes. Das Zweite.

Kurz: Zwei ist die Zahl des klaren Unterschieds.

Auf zwei zählen können heißt, bei jedem Gegenstand, jedem Phänomen zu fragen: Gibt es das nur einmal oder noch einmal? Wir entdecken an uns zwei Augen, zwei Hände, zwei Füße. Wir sehen Zwillinge, die sich gleichen wie ein Ei dem anderen, wir erkennen unser Ebenbild im Spiegel, und wir erfreuen uns an Verliebten, die durch ihre Umarmung ihre Unzertrennlichkeit zeigen.

Die Zusammengehörigkeit der beiden Hälften wird durch Symmetrie vermittelt. Eine Hälfte spiegelt sich, und aus Bild und Urbild entsteht eine neue Einheit. Durch die Symmetrie werden die beiden Hälften unterschieden und gleichzeitig zusammengebunden. In der Tat schafft Symmetrie den engsten Zusammenhang zwischen zwei Objekten.

Wir benutzen die Symmetrie in Bildern, um Gleichheit, Ähnlichkeit oder eine besonders enge Beziehung zu dokumentieren oder zu wünschen. Menschen, die völlig unterschiedlich sind oder zu sein scheinen, werden durch ein symmetrisches Arrangement in eine enge Beziehung gebracht, die sie auf ewig verbindet. Denken Sie an die ikonischen Bilder von Max und Moritz, Dick und Doof, oder stellen Sie sich Hochzeitsbilder vor, auf denen das Brautpaar in einträchtiger Symmetrie vereint ist.

Kurz: Zwei ist die Zahl der Symmetrie.

Zwei denken können heißt, bei jedem Phänomen zu fragen: Gibt es auch das Gegenteil davon? Uns fallen viele solche Gegensatzpaare ein: Tag und Nacht, Himmel und Erde, Nord und Süd, Ost und West, plus und minus, gut und böse, arm und reich, heiß und kalt, Mann und Frau, Leben und Tod, …

Wir lieben es, zu unterscheiden und einzuteilen. Damit verschaffen wir uns einen ersten Überblick, wir erhalten Orientierung und Einsicht, wir gewinnen Sicherheit. Unterscheiden tut uns gut. Wer unterscheidet, hat mehr vom Leben.

Kurz: Zwei ist die Zahl der polaren Gegensätze.

Eine fundamentale Unterscheidung in der Welt der Zahlen haben schon die Pythagoreer im 6. Jahrhundert v. Chr. erkannt, nämlich die Aufteilung in gerade und ungerade Zahlen. Eine Zahl ist gerade, wenn man sie ohne Rest durch 2 teilen kann, andernfalls wird sie «ungerade» genannt. Natürlich ist 2 der Prototyp aller geraden Zahlen. Die Zahl 2 ist auch eine Primzahl. Die kleinste Primzahl und die einzige, die gerade ist.

Für die Pythagoreer waren nicht nur die Eigenschaften gerade und ungerade wichtig, sondern sie haben Beziehungen zwischen diesen Eigenschaften erkannt (und bewiesen!), wie etwa «gerade plus gerade ist gerade» oder «ungerade plus ungerade ist gerade».

Übrigens war für die Pythagoreer 2 die weibliche Zahl und 3 (für die Pythagoreer die erste ungerade Zahl) die männliche Zahl.

Zwei ist die Grundlage des Binärsystems, auf dem das Rechnen in unseren Computern basiert. In diesem System gibt es nur zwei Ziffern: 0 und 1. Die Zahlen werden mit diesen Ziffern geschrieben: Die Ziffer ganz rechts gibt an, ob eine Eins vorhanden ist oder nicht. Die zweite Ziffer von rechts sagt, ob eine Zwei vorhanden ist oder nicht; die dritte Ziffer von rechts zeigt die Vierer an, die nächste die Achter und so weiter. Zum Beispiel können wir die Binärzahl 1011 wie folgt entziffern, indem wir sie von rechts nach links lesen: Das ist die Zahl, die sich aus einer Eins, einer Zwei, keiner Vier und einer Acht zusammensetzt, also gleich 1 + 2 + 8 = 11 ist.

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Dass man kleine Gruppen besser beherrschen kann als große, ist eine uralte Erkenntnis. Die Formulierung «Teile und herrsche» (divide et impera) ist viel jünger, sie geht möglicherweise auf Machiavelli zurück.

Man mag die Anwendung dieses Prinzips in der Politik kritisch bewerten, in der Mathematik und Informatik hat sich das Verfahren glänzend bewährt.

Wie viele Ja-Nein-Fragen braucht man, um eine bestimmte Karte aus einem Skatblatt (mit 32 Karten) zu identifizieren? Antwort 5. Die erste Frage könnte sein: schwarz oder rot? Unabhängig davon, wie die Antwort lautet, hat man damit die Anzahl der möglichen Karten auf die Hälfte reduziert. Wenn die Antwort «schwarz» war, kann man als Nächstes fragen: Kreuz oder Pik, und wieder reduziert man auf die Hälfte und so weiter. Mit fünf Fragen kann man 2 · 2 · 2 · 2 · 2 = 25 = 32 Möglichkeiten unterscheiden. Das klingt noch banal. Aber: Wie viele Ja-Nein-Fragen braucht man, um jeden der über 7,7 Milliarden Menschen auf der Erde zu identifizieren? Antwort: 33. Denn 233 = 8 589 934 592, also ungefähr 8,6 Milliarden.

Auch auf die Frage nach tatsächlichen Ja-Nein-Fragen haben die Mathematiker eine ganz einfache Antwort. Wenn wir die Erdenbewohner durchnummerieren, hat jeder eine Nummer, die höchstens 8 Milliarden beträgt. Wenn wir diese Nummer binär darstellen, erhalten wir eine Folge aus 33 Nullen und Einsen. Also könnten wir Stelle für Stelle abfragen: Ist das erste Bit eine 1? Ist das zweite Bit eine 1? Und so weiter.

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Die erste Ganzheit

Drei ist eine in sich stimmige Zahl, und zwar die erste. Während die Eins nicht über den eigenen Horizont hinausschaut und die Zwei ein explosives Gemisch ist, ruht die Drei in sich selbst.

Für die Pythagoreer im 6. Jahrhundert v. Chr. war die Drei die «Zahl des Ganzen», da Ende, Mitte und Anfang die Zahl des Ganzen ausmachen. Unabhängig von dieser eigenwilligen Definition macht die pythagoreische Aussage klar, dass mit der Drei etwas Neues beginnt.

Drei ist nicht nur die Zahl, die nach der Zwei kommt, sondern mit der Drei erscheint eine neue Qualität von Zahlen. Die Drei ist die erste Zahl, die einen Zusammenhalt, einen Abschluss, eine Krönung, kurz ein Ganzes auf einer höheren Ebene darstellt. Und wer «nicht bis drei zählen kann», befindet sich definitiv unterhalb dieser Stufe.

Von den drei Ecken eines Dreiecks ist keine herausgehoben, es gibt keine Konkurrenz, sondern sie bilden zusammen eine ausgeglichene Einheit.

In der Musik erleben wir fast ununterbrochen den Zauber des Dreiklangs. Zwei Töne sind sich entweder fast langweilig ähnlich oder stehen in schmerzlicher Dissonanz. Aber die drei Töne eines Dreiklangs stützen sich gegenseitig, so dass eine perfekte Harmonie entsteht.

Ob wir an die drei Hexen in Shakespeares Macbeth denken, an die drei Knaben in Mozarts Zauberflöte oder an die drei Rheintöchter in Wagners Ring des Nibelungen – in jedem Fall schafft die Dreiheit eine Einheit. Eine Figur allein müsste einen individuellen Charakter haben, zwei Figuren wären fast automatisch auf Komplementarität angelegt, aber drei bilden eine ausgewogene Gruppe.

Dass die Drei diese starke Abschlussfunktion hat, erkennen wir an vielerlei Aspekten.

In den Märchen hören wir von drei Brüdern, drei Wünschen, drei Prüfungen. Dabei ist regelmäßig der jüngste Bruder derjenige, der am Ende die Königstochter heiratet, der dritte Wunsch der, auf den es ankommt, und die dritte Prüfung die schwierigste.

Viele Redewendungen nehmen die Zahl Drei auf: Mit «Aller guten Dinge sind drei» macht man sich Mut. Wenn man etwas glücklich hinter sich gebracht hat, macht man «drei Kreuze». Unüberhörbar werden durch den Zuschlag bei Auktionen «Zum Ersten, zum Zweiten und zum Dritten!» neue (Besitz-)Verhältnisse geschaffen.

In der Sprache erlangt die Drei eine besondere Bedeutung. Offensichtlich ist das bei den Steigerungen: schön, schöner, am schönsten. Gut, besser, am besten. Die höchste Steigerungsform, die dritte Stufe, der Superlativ («am besten»), beschreibt das Nicht-mehr-Überbietbare. Die Überzeugungskraft der Steigerung, insbesondere der dritten Stufe, wird gerne auch in der Werbung benutzt: Gut, besser, Paulaner. Quadratisch, praktisch, gut.

Die grundlegende rhetorische Dreierregel hat schon Mephisto in Goethes Faust formuliert: «Du musst es drei Mal sagen!» In der Tat bekommt eine Sache, wenn sie drei Mal gesagt wird, eine besondere Überzeugungskraft. Wenn ich sage: «Sie kann etwas und sie macht etwas», dann ist daran sachlich nichts auszusetzen. Aber wie viel überzeugender klingt: «Sie kann etwas, sie weiß etwas und sie macht etwas»? Dieser Dreiertrick hat eine Überzeugungskraft, die weit über die inhaltliche Aussage hinausgeht.

Wohl auch deswegen besteht das Kürzel vieler Unternehmen oder Parteien aus drei Buchstaben: von ARD und BRD über CDU und SAP bis SPD und ZDF.

Kein anderer hat den Dreiertrick so zum Prinzip erhoben wie der Philosoph Georg Friedrich Hegel (1770–1831). Für ihn ist der schon aus der Antike bekannte Dreischritt «These, Antithese, Synthese» nicht nur das Grundgesetz des Denkens, sondern das der Entwicklung der Wirklichkeit: Der These wird die Antithese entgegengesetzt. Die Synthese ist für Hegel aber alles andere als ein vermittelnder Kompromiss, vielmehr sind in der Synthese sowohl die These als auch die Antithese in dreifacher Weise «aufgehoben», nämlich (a) negiert, (b) aufbewahrt und (c) auf eine neue Ebene gehoben.

In allen Religionen spielt die Dreiheit eine wichtige Rolle. In der griechischen Mythologie teilen sich die Götter Zeus, Poseidon und Hades die Herrschaft über Menschen und Götter. In der ägyptischen Mythologie gibt es die Gottheiten Isis, Osiris und Horus. Der Hinduismus kennt die Götter Brahma, Vishnu und Shiva.

Im Christentum zeigt sich die Kraft der Drei zur Einheitsbildung in besonderer Weise. Gott Vater, Sohn und Heiliger Geist bilden nicht etwa ein Triumvirat aus Wesen, die die Welt lenken. Sondern die drei «sind eins», und jeder gewinnt erst in der Beziehung zu den anderen seine wahre Identität.

Aber die Drei ist nicht nur ein überzeugender Abschluss, sondern mindestens ebenso sehr ein stimulierender Anfang. Wir können kaum «1, 2, 3» sagen, ohne die drei Pünktchen zu denken, die das Immer-weiter-Zählen andeuten. In der Tat: Wer auf drei zählen kann, kann zählen. Wer jemals die Unbegrenztheit der Zahlen zu denken versucht oder davon geträumt hat, der schnuppert schon bei der Drei die Unendlichkeit.

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In der Schule des Pythagoras wurden zum ersten Mal Eigenschaften natürlicher Zahlen betrachtet. So haben die Pythagoreer zum Beispiel Quadratzahlen eingeführt. Das sind die Zahlen von Steinchen, mit denen man ein Quadrat auslegen kann. Entsprechend ist eine Dreieckszahl eine Zahl von Steinchen oder Punkten, die man in Dreiecksform auslegen kann. Hier sind die ersten Dreieckszahlen:

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Die ersten Dreieckszahlen lauten also 1, 3, 6, 10, 15. Wenn man eine Dreieckszahl zeilenweise von oben nach unten liest, erkennt man, dass sie eine Summe der Form 1 + 2 + 3 + … ist. Zum Beispiel ist die 5. Dreieckszahl gleich 1 + 2 + 3 + 4 + 5; allgemein ist die n-te Dreieckszahl gleich der Summe der ersten n natürlichen Zahlen, also gleich 1 + 2 + 3 + … + n.

Die sechste Dreieckszahl erhält man, indem man unter das Dreieck, das die fünfte Dreieckszahl darstellt, noch eine Zeile mit sechs Steinchen legt. Das heißt, die sechste Dreieckszahl ist 15 + 6 = 21. Entsprechend ist die siebente gleich 21 + 7 = 28.

Allgemein erhält man die n-te Dreieckszahl, indem man zu dem Dreieck, das die vorhergehende Dreieckszahl darstellt, eine neue Zeile mit n Steinen hinzufügt.

Dreieckszahlen treten noch in ganz anderem Zusammenhang in Erscheinung. Wenn auf einer Party zehn Menschen sind und jeder mit jedem genau einmal anstößt, wie oft «klingelt» es dann? Die Zahl kann man einfach dadurch bestimmen, dass man sich vorstellt, dass die Gäste nacheinander eintreffen. Zunächst ist nur der Gastgeber da (eine Person). Dann kommt der erste Gast und stößt mit dem Gastgeber an. Anschließend kommt der nächste Gast und stößt mit den beiden Ersten an usw. Der zehnte Gast muss mit allen neun schon Anwesenden anstoßen. Also «klingelt» es genau 1 + 2 + 3 + … + 9 Mal. Das ist die 9-te Dreieckszahl. Allgemein kann man die Frage «Wie oft klingelt es, wenn n Personen paarweise anstoßen?» so beantworten: «Das ist die (n − 1)-te Dreieckszahl!»

Übrigens gibt es auch eine Formel, mit der man die Dreieckszahlen leicht ausrechnen kann: Die n-te Dreieckszahl ist gleich n(n + 1)/2. Zum Beispiel muss man, um die 100-te Dreieckszahl zu bestimmen, nicht die Zahlen 1, 2, 3, …, 100 addieren, sondern nur einmal multiplizieren und durch 2 teilen: 100 · 101/2 = 5050.

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Die Zahl der Orientierung

Als am 7. Dezember 1915 in Sankt Petersburg eine Ausstellung mit futuristischen Gemälden eröffnet wurde, zeichnete sich ein Bild durch extreme Radikalität aus: Das schwarze Quadrat von Kasimir Malewitsch. Auf diesem Bild, das zu einer Ikone der Moderne werden sollte, sieht man in der Tat ein schwarzes Quadrat auf weißem Grund. Und sonst nichts. Dieses Quadrat zeigt nichts, es verbirgt nichts, es bedeutet nichts.