George Gordon Lord Byron: Manfred

 

 

George Gordon Lord Byron

Manfred

Ein dramatisches Gedicht

 

 

 

George Gordon Lord Byron: Manfred. Ein dramatisches Gedicht

 

Übersetzt von Otto Gildemeister

 

Neuausgabe mit einer Biographie des Autors.

Herausgegeben von Karl-Maria Guth, Berlin 2017.

 

Umschlaggestaltung unter Verwendung des Bildes:

John Martin, Manfred und die Berghexe, erste Hälfte des 19. Jahrhunderts

 

ISBN 978-3-7437-1210-2

 

Dieses Buch ist auch in gedruckter Form erhältlich:

ISBN 978-3-7437-1182-2 (Broschiert)

ISBN 978-3-7437-1183-9 (Gebunden)

 

Die Sammlung Hofenberg erscheint im Verlag der Contumax GmbH & Co. KG, Berlin.

 

Erstdruck: Mit »The Prisoner of Chillon«: London (John Murray) Dezember 1816.

Hier nach der Übers. v. Otto Gildemeister, Berlin: Verlag von G. Reimer, 1877.

 

Der Text dieser Ausgabe folgt:

Lord Byrons Werke. 6 Bände in dreien, übers. v. Otto Gildemeister, Berlin: Verlag von G. Reimer, 1877.

 

Dieses Buch folgt in Rechtschreibung und Zeichensetzung obiger Textgrundlage.

 

Die Paginierung obiger Ausgabe wird in dieser Neuausgabe wortgenau mitgeführt und macht dieses E-Book auch in wissenschaftlichem Zusammenhang zitierfähig. Das Textende der Vorlagenseite wird hier durch die Seitennummer in eckigen Klammern mit grauer Schrift markiert.

 

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

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Es giebt mehr Ding' im Himmel und auf Erden,

Als eure Schulweisheit sich träumt, Horatio.

 

 

 

Personen

 

Manfred.

 

Der Gemsjäger.

 

Der Abt zu St. Moritz.

 

Manuel.

 

Hermann.

 

Die Alpenfrau.

 

Ariman.

 

Nemesis.

 

Die Schicksale.

 

Geister.

 

Die Scene ist in den Oberalpen, theils in Manfreds Schlosse, theils im Gebirge.[2]

 

Erster Akt

Erste Szene

Eine gothische Gallerie. Mitternacht. Manfred allein.

 

MANFRED.

Die Lamp' ist aufzufüllen, doch selbst dann

Brennt sie so lang nicht, wie ich wachen muß:

Mein Schlummer – wenn ich schlummre – ist kein Schlaf,

Fortsetzung nur rastlosen Denkens, dem

Ich dann nicht widerstehen kann; mein Herz

Bleibt wachsam, und mein Auge schließt sich nur,

Inwärts zu schaun; und dennoch leb' und trag' ich

Noch Antlitz und Gestalt lebend'ger Menschen.

Doch Gram soll ja des Weisen Lehrer sein:

Leiden ist Wissen: wer am meisten weiß,

Beklagt am tiefsten die unsel'ge Wahrheit:

Der Baum des Wissens ist kein Baum des Lebens.

Philosophie und Forschung und die Quellen

Der Wunder und die Weisheit dieser Welt

Hab' ich versucht und fühl' in meinem Geist

Die Macht ihm diese unterthan zu machen, –

Sie helfen nichts. Ich that den Menschen Gutes,

Und Gutes widerfuhr mir selbst von Menschen, –

Es half mir nichts. Ich hatte meine Feinde,

Doch keiner siegte, mancher fiel vor mir, –

Es half nichts. Gutes oder Schlimmes, Leben,

Kraft, Triebe, alles, was ich seh' in Andern,[3]

Es war für mich wie Regen für den Sand –

Seit jener ewig namenlosen Stunde!

Ich habe keine Furcht und fühl' als Fluch,

Daß ich das Grauen der Natur nicht kenne,

Noch wilden Puls der Wünsch' und Hoffnungen,

Noch glimmende Liebe für ein irdisch Gut. –

Jetzt an mein Werk! – Geheimnißvolle Mächte!

Geister des unbegrenzten Weltenalls,

Die ich gesucht in Finsterniß und Licht, –

Ihr, die ihr lebt in feinrem Element,

Die Erd' umfangend, – ihr, für die der Kamm

Unnahbarer Gebirge Wohnung ist

Und Schlünd' in Erd' und Meer vertraute Stätten, –

Euch ruf' ich an bei dem geschriebnen Zauber,

Der mir Gewalt giebt über euch: Erscheint!

 

Pause.

 

Sie kommen nicht. – Wohl, bei der Stimme deß,

Der euer Größter ist, bei diesem Zeichen,

Vor dem ihr zittert, bei dem Anrecht deß,

Der ohne Tod ist, – auf, erscheint! erscheint!

 

Pause.

 

Ha, steht es so? – Geister der Erd' und Luft!

Nicht so entschlüpft ihr mir. Bei einer Macht,

Tiefer als alle, die ich noch beschwor,

Bei einem unentrinnbar'n Talisman,

Deß Heimat ein vermaledeiter Stern ist,

Das Flammenwrack vom Schiffbruch einer Welt,

Ein irrend Höllenreich im ew'gen Raum, –

Bei jenem starken Fluch, der auf mir liegt,

Bei dem Gedanken in mir, um mich her,

Zwing' ich euch meinem Willen. – Auf, erscheint!

 

Ein Stern erscheint an dem dunkleren Ende der Gallerie; er bleibt unbewegt, und eine singende Stimme ertönt.

 

ERSTER GEIST.

Sterblicher! auf deinen Ruf

Kam ich aus dem Wolkensaale,

Den der Abendhauch erschuf,[4]

Goldenrot vom Sonnenstrahle,

Aus Azur und aus Karmin

Mir gewölbt zum Baldachin.

Nicht vor deinem Drohn erbebt' ich,

Doch dem Bann gehorsam schwebt' ich

Auf dem Sternenstrahl hieher;

Sterblicher! – sag' dein Begehr!

STIMME DES ZWEITEN GEISTES.

Montblanc ist der König der Berge;

Er trug um die Stirne von je,

Auf dem Thron von Granit und im Wolkentalar,

Diademe von leuchtendem Schnee.

Um die Hüften geschnallt trägt er den Wald;

Er hält die Lawin' in der Hand, –

Doch mitten im Fall, den donnernden Ball,

Hält ihn mein Wille gebannt.

Der kalte Gletscher rastlos reist

Vorwärts von Tag zu Tag;

Ich bin es, der ihn wandern heißt

Und der ihn hemmen mag.

Ich bin der Geist, der ihn umschwebt;

Die Alpe beugt sich mir;

Der Schooß des Bergs vor mir erbebt, –

Und was soll ich bei dir?

STIMME DES DRITTEN GEISTES.

In der blauen Wassertiefe,

Wo die Woge nie sich hebt,

Wo die Winde ewig fremd sind,

Wo die Meeresschlange lebt,

Wo die Seejungfrau ihr Schilfhaar

Schmückt mit bunter Muschelpracht,

Scholl das Echo deiner Zauber,

Wie hier oben Donner kracht.

Durch mein still Korallenschloß hin

Klang der Hall des Talismans;

Wohl, – enthülle deine Wünsche

Vor dem Geist des Oceans![5]

VIERTER GEIST.

Wo das Erdbeben schlummert

Auf feurigem Pfühl,

Wo die Pechseen brodeln

Qualmig und schwül;

Wo die Wurzel der Anden

Tief abwärts sich streckt,

Wie droben ihr Gipfel

Gen Himmel sich reckt; –

Da verließ ich die Heimat,

Als du mich bedroht;

Dein Zauber bezwang mich;

Dein Wunsch ist Gebot.

FÜNFTER GEIST.

Mein Roß ist der Wind, und mit flüchtiger Faust

Jag' ich die Wolken im Kreis;

Der Orkan, an dem ich vorübergesaust,

Ist noch von Blitzen heiß.

Zu dir, hieher, über Land und Meer

Bin ich im Sturm gejagt;

Stolz segelte noch das Geschwader, und doch

Versinkt es, bevor es noch tagt.

SECHSTER GEIST.

Da wo ich haus', ist Nacht und Dunkel dicht,

Weswegen quält dein Zauber mich mit Licht?

SIEBENTER GEIST.

Den Stern, der dein Verhängniß bannt,

Regiert' ich, eh' die Erd' entstand;

Und eine Welt war's, frisch und hold,

Wie sie um Sonnen je gerollt;

Frei war sein Lauf und sicher, kaum

Ein schönrer Stern im ganzen Raum.

Die Stunde kam, – und sieh, er ward

Ein Flammenknäul formloser Art,

Ein irrender Komet, ein Ball

Des Fluchs und Schreckens für das All,

Hinrollend durch ureignen Stoß,[6]

Ohn' eine Bahn und sphärenlos,

Ein glänzend Scheusal jener Welt,

Ein Ungethüm am Himmelszelt.

Und du, regiert von diesem Stern,

Wurm! dem ich dienen muß als Herrn,

Gezwungen durch erborgte Macht,