Sind Recruiting-Algorithmen die besseren Personalentscheider?

Das Personalwesen muss sich vergleichbar und messbar machen. So gibt es auch für Personalentscheider eine softwarebasierte Entscheidungsunterstützung. Damit soll u.a. sichergestellt werden, dass für eine Stellenbesetzung nicht relevante Aspekte nicht in die Entscheidung einfließen. Denn bei ansonsten üblichen Auswahlprozessen seien „Verzerrungen“ nicht auszuschließen (Menschen entscheiden nach ihren persönlichen Eindrücken und Einstellungen: z.B. Alter, Geschlecht, Herkunft Studienort). Dagegen könne eine Software Lebensläufe neutral durchforsten und dann auf dieser Basis Handlungsempfehlungen erstellen. Vorschläge der Maschinen seien daher objektiv(er).

 

Trotzdem wird man auch in Zukunft ohne Erfahrungswissen (und Bauchgefühl) der Entscheidungsträger nicht auskommen und wohl auch nicht darauf verzichten wollen (eine Software kann unterstützen aber nicht ersetzen). Vor diesem Hintergrund wird allerdings der Entscheidungsdruck auf den Verantwortlichen steigen (wenn er eine Entscheidung gegen die Empfehlung der Maschine fällt). Denn die optimale Personalauswahl ist von entscheidender Bedeutung. Gutes Personal ist Gold wert, schlechtes Personal vernichtet Kapital. „Dem Auswahlverfahren und der Frage, wie man die richtigen Beschäftigten am besten finden kann, kommt deshalb eine große Bedeutung zu. Wo bislang aber noch Menschen über Menschen urteilen, fließt ganz natürlich immer noch Subjektivität in die Entscheidung ein“.

Virtuelle Profile - es sind die nichtfinanziellen Performancetreiber

Identität und Internet – das „Unbewertbare“  bewerten – unbegrenzte Biegsamkeit und Augenblicksanpassung. Der General Manager, der nicht zuletzt aus ganz persönlichen Gründen das Projekt Wissen schneller voranzutreiben gedenkt, hat einige Führungskräfte seiner Firma zu einer zwanglosen Besprechung in sein Büro geladen. Man hat es sich in der Besprechungsecke auf bequemen Sesseln gemütlich gemacht.

 

Das Haar der Sekretärin war von einem nüchternen Blond und in Schulterlänge abgeschnitten. Ihre Figur wirkte fest unter dem eleganten Kostüm. Ihre blauen Augen funkelten und taxierten alles und jeden aus vorsichtigem Abstand. Sie strahlte eine ruhige, unerschütterliche Selbstbeherrschung aus. Eher wie eine Führungspersönlichkeit (was sie eigentlich ja auch war) als wie eine Sekretärin. Vermutlich wusste sie von den internen Vorgängen in der Firma weit mehr als ihr Chef selbst.

 

Der Personalchef, der über seine internen Horchposten bereits von den Absichten des Chefs hatte läuten hören, kann seinerseits dessen wohl zu erwartenden Vorstoß in der Sache von Projekt Wissen nur gutheißen. Denn er sieht erhebliche Synergiepotenziale und Schnittmengen mit dem bei ihm bereits in Arbeit befindlichen Instrument einer Personalbilanz. Zu den anderen sagt er: „Mit dem Instrument meiner Personalbilanz kann ich nicht nur das „Was-ist“, sondern auch das „Was-sein-könnte“ (Potenziale, Perspektiven) besser durchleuchten. Bei der vielfältigen, in meiner Abteilung häufig anstehenden  Problematik einer Beurteilung von Personen spielen „weiche“, oft als nicht bewertbar eingestufte Einflussfaktoren eine immer wichtigere Rolle. Personalauswahl oder Managerbewertung wären nur einige aus einer ganzen Reihe möglicher Beispiele. Über meine Personalbilanz können „Intangibles“ einer transparent nachvollziehbaren und einheitlich durchgängigen Bewertungssystematik zugeführt werden“.

 

Der General Manager hat interessiert zugehört und bittet ihn, fortzufahren. Der Personalchef erläutert nach einer kurzen Pause, um mehr Aufmerksamkeit auf seine Person zu ziehen: “In einem spezifischen Cluster können alle Einflussfaktoren gebündelt werden, die untrennbar mit der Person als solcher verbunden sind. Das heßt, persönliche Eigenschaften die mit einer Person kommen und gehen. Diese Faktoren sind weder direkt noch indirekt übertragbar und sind in aller Regel auch nur von der Person selbst anwendbar und nutzbar. Auch die Person selbst als Träger dieser Eigenschaften kann diese vielleicht nicht einmal selbst zu jedem Zeitpunkt und unbegrenzt abrufen. Mit dem viele (oder bereits alle ?) Bereiche des Lebens durchdringenden Medium des Internet wird jede Person gleichzeitig auch zum Verwalter ihres eigenen Lebenslaufs und zum Gestalter eines identitätsbezogenen Möglichkeitsraumes. Für die Entwicklung der Identität einer Person im Internet gibt es weder starre Handlungsmuster noch vorgegebene Strukturen. Ohne Rollenfestlegung lassen sich die Möglichkeiten des Mediums durch weitgehende Flexibilität der agierenden Personen am besten nutzen“.

 

Inzwischen versucht der Manager einmal nicht daran zu denken, dass er in einer knappen Stunde schon wieder den nächsten Termin hat und gesteht seinem Tennispartner, dass es sich ausgebrannt fühle: „Bei mir darf im Augenblick beruflich nichts schiefgehen, meine Karriere steht am Wendepunkt, das heißt in meinem Job, sie steht auf des Messers Schneide. Wenn mein Handy nicht alle paar Minuten klingelt, werde ich bereits unruhig und denke, irgendetwas Wichtiges könnte an mir vorbeilaufen. Dinge entwickeln sich ohne mein Zutun. Die Belastungen summieren sich langsam, und man geht noch gut mit ihnen um und glaubt, dass man alles im Griff hat. Trotzdem beschleicht mich immer öfter das unbestimmte Gefühl, dass dem vielleicht doch nicht so ist. Denn wenn der Körper erst einmal schlagartig signalisiert, dass er nicht mehr kann, ist doch das Kind meist schon in den Brunnen gefallen. Und immer dieser innere Zwang, zu jeder Zeit die maximale Leistung erbringen und gut funktionieren zu müssen. Der Tennispartner mustert ihn mit sorgenvoller, anteilnehmender Miene: „Wann hast Du überhaupt zum letzten Mal richtig Urlaub gemacht? Ohne Handy, Laptop und diesen ganzen technischen Schnickschnack. Ohne ständige Präsenz und Erreichbarkeit?“ Der Manager denkt kurz nach: “Eigentlich so richtig nie. Seit man ständig erreichbar ist und sein muss. Wenn ich mit meiner Frau in die Ferien gefahren bin, habe ich mein Büro auf mobil geschaltet und quasi immer mitgenommen, d.h. auch im Urlaub immer nahtlos weiter gearbeitet.“ Der Tennispartner: “So etwas habe ich mir schon gedacht. Die Digitalwirtschaft hat uns zwar eine Menge Annehmlichkeiten beschert, aber das alles hat auch dazu geführt, dass wir praktisch keinen Ort mehr finden, an dem wir uns ungestört zurückziehen können, an dem wir alles auch einmal loslassen, an dem wir uns einmal nur auf uns selbst und den Augenblick besinnen können. Pausenlos checken wir bis in die späten Abendstunden E-Mails, und am frühen Morgen machen wir ohne jegliche Anlaufzeit sofort in der gleichen Weise weiter. Wir tauchen nicht mehr weg, kommen nicht mehr zur Ruhe. Vielleicht sollte man versuchen, für eine gewisse Zeit einfach hinter undurchdringlichen Klostermauern zu verschwinden, quasi in der Mitte von Nirgendwo“.

 

Der IT-Manager ist ein Verfechter des Grundsatzes vom proaktiven Denken und Handeln und schaltet sich in die im Büro bereits laufende Gesprächsrunde ein: “Es gibt also eine Reihe gewichtiger Gründe für eine ausführliche Beschäftigung mit möglichst allen personenbezogenen Einfluss- und Identitätsfaktoren, deren detaillierter Beschreibung und Gewichtung. Einer dieser Gründe ist darin zu sehen, dass sich heutzutage niemand mehr sicher sein kann, seine einmal erreichte Stellung  auch für alle Zukunft  weiter zu behalten. Besonders wir als mitten im Arbeitsleben stehende Menschen sehen uns doch heute mit Entwicklungen konfrontiert, deren Auswirkungen wir vor nicht allzu ferner Zeit so noch kaum kannten. Hierauf nur zu reagieren und sich dabei das Heft des Handelns allmählich aus der Hand nehmen zu lassen, dürfte für die Zukunft kein Erfolgsmodell sein. Es gilt, vielmehr selbst proaktiv zu denken“.