Die Welt in der wir leben

Verlust der Handschrift in digitalen Welten: Schüler haben immer mehr Schwierigkeiten, mit der Hand zu schreiben: die für die Entwicklung der Handschrift notwendigen motorischen Voraussetzungen schwinden. „Das führt dazu, dass Schüler auch in den weiterführenden Schulen kaum mehr als 30 Minuten beschwerdefrei schreiben können, weil sie offenbar zu wenig Übung mit einer verbundenen Handschrift haben“. Insgesamt wird dem Schreiben und der sprachlichen Bildung immer weniger Bedeutung beigemessen. Mehrstündige Deutschklausuren von Abiturienten werden zu einer geradezu körperlichen Qual. Der von Schülern am Ende der vierten Klasse abverlangte Grundwortschatz wurde auf siebenhundert Wörter (im wahrsten Sinne des Wortes) beschränkt. Einsatz von Lückentexten und vorformulierte Antworten sollen es stattdessen richten. Digitale Medien fördern eine „angestrengte Erleichterungspädagogik“. Fatal ist es nur, dass es zwischen Lernleistung und Handschrift einen engen Zusammenhang zu geben scheint: „wer gut und versiert schreibt, prägt sich Geschriebenes besser und konzentrierter ein“. Denn motorisches und visuelles Gedächtnis funktionieren Hand in Hand. Durch das Zusammenwirken zweier Gedächtnisbereiche stärkt die Handschrift den Lerneffekt. Handschriftliches kann man nicht per Mausklick löschen: besser also vorher überlegen, bevor man schreibt.

 

Da man per Handschrift mit dem Inhalt intensiver verbunden ist, wird dadurch auch das strukturierte Denken gefördert. Rechtschreibung und Grammatik sind bei Schülern mit verbundener Handschrift besser entwickelt. Durch den Verlust an verbundener Handschrift und Ersatz durch Druckbuchstaben ist also langfristig wenig (nichts) gewonnen. Was sollte daran schon gerecht sein, wenn durch  das Senken von Anforderungen auf das Erlernen von Handschrift verzichtet wird und alle weniger Lerneffekte haben oder ihr strukturiertes Denken weniger gefördert wird? Umso stärker werden sich „Eliten“ etablieren, die sich aufgrund genau dieser Fähigkeiten Wettbewerbsvorteile (was knapp ist, wird auch teuer) verschaffen werden. Ein Verlust der Handschrift wäre damit letztlich auch ein Verlust an Chancengleichheit.


Herrschaftswissen der Datenkrake – Mosaikhandwerk von automatisierten Algorithmen: wer weiß was über wen? Wer überwacht wen und wie? Kluge Leute äußern die Befürchtung, das Internet befördere die moderne Gesellschaft wieder zur kleinstädtischen Gemeinschaft zurück. Deren Bürger keine Geheimnisse voreinander hätten und jeder alles von jedem weiß. Das wäre schlimm. Doch weitaus schlimmer ist, wenn wenige alles von allen wissen oder zu wissen glauben: Machtmissbrauch und Manipulation wären Tür und Tor geöffnet. Gewiss wäre es ein Schock, wüsste man genau, wie viel Wissen über einen angehäuft wurde. Oder noch schlimmer, wie viel Fehldeutungen im Gewand von Informationen über einen vielleicht kursieren mögen. In der sogenannten „intelligence community“ oder übersetzt „Wissensgesellschaft“ scheint beispielsweise der Datenaustausch zwischen Behörden und Privatfirmen gewissermaßen als Drehtüreffekt zu funktionieren. Ein weites Feld ist auch das Laster massenhafter Preisgabe privater Informationen. Bequemlichkeit, Neigung zum Vertrauten und scheinbar Billigen sind wohlfeile Ausreden für massenhaft digitale Fußspuren mit Billigung des „Mosaikhandwerks automatischer Steckbriefproduzenten“ (Vgl. FAZ-Feuilleton). Ebenso schlimm die Alternativen: „Der Preis für die Rettung des Selbstherrschaftswissens wäre die Bereitschaft, das Leben eines Eremiten zu führen“.


Google, Facebook, Internet & Co. haben mittlerweile solche Ausmaße angenommen und Menschen mit Beschlag belegt, dass gestresste Manager, ITler, Konsumflüchtlinge u.a. mittlerweile beginnen, sich nach Freiräumen und Auszeiten hiervon zu sehnen und diesen Tram sogenannten „Digital Detox Camps“ leben wollen. Ohne What´s App, E-Mails, ohne Tastaturgeklapper, Nachrichten-Plings. Der überwiegende Teil aller Smartphonebesitzer meint, ohne ihr Handy nicht mehr leben zu können, schaltet ihr Handy alle zwölf Minuten und damit etwa 80mal am Tag an. Jede noch so kleine Pause wird vom Griff zum Handy begleitet. Im Hintergrund immer die unbestimmte Angst, vielleicht etwas zu verpassen oder den Anschluss zu verlieren. Bis hin zur unausgesprochenen Frage, ob sich die Welt noch mit mir als Person dreht ? Die permanente gedankliche Beschäftigung mit Medien der digitalen Welt führt leicht zu Entzugssymptomen, wenn diese plötzlich nicht mehr zur Verfügung stehen sollte, Schon ein kleines Funkloch wäre eine mittlere Katastrophe. Mentale Fitness wird sich auf Dauer nur erhalten lassen, wenn sich die digitale Flut eindämmen lässt, d.h. die digitale zur realen Welt in Balance gehalten wird.

Big Data und transparenter Heuhaufen - wo bleibt das "wahre Ich"?

Wissensmanagement und digitaler Zwilling – Bürger als überwachter Konsument – Digitales Leben – Gesellschaft und Kommunikation – Big Data-Spiel ohne Kenntnis der Regeln – „Wahres Ich“ und digitales Abbild – Wissen, was Daten tun. Die Kommerzialisierung des Internet hat ganze Bereiche des Lebens digitalisiert: in einer überwachten Welt werden Bürger zu allererst als Konsumenten wahrgenommen. So manchem haben die Snowden-Enthüllungen erstmals die Augen geöffnet: der Internetspezialist J. Lanier spricht von der „Komplettüberwachung einer ganzen Gesellschaft, ihrer Kommunikation, ihrer Gemütsverfassung, ihrer Gesichter, ihres Konsums“. Nur wenige können sich hiervon völlig lösen und freimachen: denn der Nichtgebrauch digitaler Technologien birgt die Gefahr, sich vom gesellschaftlichen Leben ganz oder teilweise abzunabeln und auszuschließen. Der unübersehbare Warnhinweis: Big Data könnte ein Spiel mit der menschlichen Existenz sein. Ein Spiel, dessen Regeln man nicht kennt und die im Dunkeln wirken. Ein Horror-Szenario: ein Facebook-Login ersetzt den Pass, ein Facebook-Profil hat mehr Wirklichkeit als sein Gegenpart aus Fleisch und Blut.


Die Grenzen zwischen dem „wahren“ Ich eines Menschen und seinem digitalen Zwilling im Netz verschwimmen zusehends und fließen ineinander. Lanier warnt davor, dass „auch die Institutionen, von denen wir abhängen – vom Arzt über den Richter zum Bankbeamten -, zwischen den beiden Zwillingen nicht mehr unterscheiden können und im Zweifelsfall dem berechenbaren den Vorzug geben“. Wie immer man dazu stehen mag: die Gefahr, dass Daten mit menschlichem Leben identisch werden können, ist real und nicht von der Hand zu weisen: Die logische Konsequenz hieraus ist, mit diesen Phänomenen offen und offensiv umzugehen. Grundvoraussetzung hierfür wäre eine Offenlegung aller jener geheim gehaltenen Algorithmen, die sich aus persönlichen Daten bedienen. Um frei entscheiden zu können, müssen Menschen wissen, was Daten tun.


Personen als Mittel zum Zweck „entpersonalisiert“: Verfügungsacht und eigene Daten – Markt- und Vermögenswert gesammelter Daten – Teilhabe an Vorteilen der Kommunikationsgesellschaft – Vermarktung des ehemals Privaten – Preis und Nutzen von Netz und Diensten – Bezahlen müssen alle. Eine Folge der digitalen Revolution: Strukturwandel der Privatheit. Jede Person als vernunftbegabtes Subjekt muss selbst darüber bestimmen dürfen (und können ), was wie mit allen jenen unzähligen Informationen geschieht, die heutzutage mehr oder weniger automatisch (in jedem Fall umfassend) für viele Zwecke gesammelt und (wie ?) ausgewertet werden. Tausendfach proklamiert doch konkret kaum wirklich beachtet. Allein im öffentlichen Bereich unterliegt jedermann einer unüberschaubaren Zahl von Ermächtigungsgrundlagen. Seit technische Entwicklungen einer Verarbeitung personenbezogener Daten nach Menge, Inhalt, Zweck, Zeit und Ort keine Grenzen mehr setzen, werden Personen im nichtöffentlichen Bereich elektronisch entschlüsselt, virtualisiert, lokalisiert, vernetzt, dokumentiert und solche Daten zur reinen Verfügungsmasse für neue Geschäftsmodelle.