Gemeinschaft der Lehrenden und Lernenden

Universität: Freiheit und Leerlauf - kleinteiliges Leistungs- und Bewertungssystem –Seminare und fachfremde Vorlesungen. Die Universität ist ein kommunikatives Kreislaufsystem: akademisches Milieu mit verschiedensten Netzwerken. Zu den wichtigen Prinzipien des Lernens an Universitäten zählen vor allem Flexibilität und Unabhängigkeit der Studenten. Diese lernen mehr, wenn sie Selbständigkeit und Initiative beweisen müssen. Als sich deutsche Hochschulen in den sechziger Jahren zu Massenuniversitäten (vor allem in den Geisteswissenschaften) entwickelten, bewirkten Freiheiten aber auch viel Leerlauf. Weder war dieses damalige System gut, das dem Gros der Studenten zu wenig Struktur geboten hat, noch scheint das gegenwärtige System gut, das mit seinem kleinteiligen Leistungs- und Bewertungssystem zu viele Merkmale amerikanischer Universitäten in sich vereint.

 

Neben den Seminaren wird in Deutschland (mehr als in vielen anderen Ländern) immer noch das Format der großen Vorlesungen geschätzt. Vor allem die damit verbundenen Möglichkeiten (Gepflogenheiten), auch fachfremde Vorlesungen besuchen zu oder einen großen akademischen Lehrer hören zu können (und zwar ganz ohne Rücksicht auf den Erwerb irgendwelcher Scheine). Dieses erlaubt vielen Studenten, sich ergänzend über den Stand der Forschung in anderen Fächern zu orientieren. Wenn Studenten nach dem Grundstudium noch ein zweites Hauptfach oder zwei Nebenfächer belegen, gibt ihnen dies einen viel weiteren geistigen Horizont. „Wie sehr die Hochschulbildung in Deutschland geschätzt wird, geht indirekt aus der großen Anzahl von Hochschulabsolventen im politischen Leben hervor. Während neun der neunzehn Politiker, die die Geschicke Deutschlands nach dem Krieg, sei es als Kanzler oder als Bundespräsident, gelenkt haben, promoviert waren, hatte Amerika in seiner ganzen Geschichte nur einen Präsidenten mit einem den deutschen Maßstäben entsprechenden Doktorhut: Woodrow Wilson“.

Ganzheitliches Denken für das Verstehen von Zusammenhängen

Erfolgsorientierter Student anstatt Studium generale: Freiräume für individuelle Sonderwege – Vertiefung der Spezialisierung – Verbreiterung des Wissensfundaments. Für viele Jugendliche geht es darum, auf dem Weg des geringsten Widerstandes, bepackt mit gespeichertem Wissen im Alter von 17 Jahren ein Hochschulstudium zu beginnen. Auch dieses Studium ist dann wieder nur ein Lernbetrieb: diesmal halt eben für spezielles Fachwissen. Geistige Eigenständigkeit, Kritikfähigkeit, Selbstreflexion, ganzheitliches Denken und das Zusammenfassen von Zusammenhängen können auf einem solchen Weg kaum eingeübt werden. Das Verstehen bleibt allzu leicht auf der Strecke oder wird als eher nachrangig abgetan. Studentische Eskapaden sind in umfassend fordernden Lernprogrammen nicht mehr vorgesehen oder gar akzeptabel. Die letzten noch vielleicht verbleibenden Zeitlücken werden mit vollen Studienplänen und umfangreichen Praktika geschlossen. Sollte trotzdem noch ein Schnipsel an freier Kapazität verbleiben, soll diese in der Regel nicht für eine Verbreiterung des Wissensfundaments, sondern für eine weitere Vertiefung der Spezialisierung verwendet werden.

 

Es geht um den Erhalt von Freiräumen, um Entschleunigung und Flexibilität der Bildung. Nur so können Wege vom Wissen zum Verstehen beschritten werden. Die Kompetenz des Verstehens wird umso wichtiger, da es um die Beherrschbarkeit exponentiell vermehrter Informationsmenge geht. Die sich immer höher auftürmenden Informationsfluten müssen auch gedanklich verarbeitet, d.h. verstanden werden. Verstehen ist die Voraussetzung für vernünftige Orientierung und sachlich fundierte Entscheidungen. Durch die unaufhaltsame Vermehrung verfügbaren Wissens und immer komplexere Kombinationen riesiger Datenmengen wird Verstehen nicht erleichtert, sondern eher erschwert. Die maximierte Ansammlung von Daten ist kein Maß für das richtige „Wissen-Müssen“ und es ist Vorsicht geboten, damit die Zunahme an Informationsmenge statt mehr Wissen nicht auch Nichtwissen hervorbringt.


Finden und Produktion von Wissen sind zwei Paar Schuhe

Automatisiertes Expertenwissen – Freiraum durch Entlastung: so wie damals die Dampfmaschine das Ausüben von Arbeitskraft verstärkt hat, so erweitert heute der Computer die Möglichkeiten, Wissen aufzufinden. Das Starten einer digitalen Suchmaschine zur Erschließung von Wissen im Internet geht schneller und leichter als die Befragung eines Experten. Die Welt wird quasi am Bildschirm lesbar, das Wirkliche zum Bestand gemacht. Die Automatisierung von Expertenwissen bringt in einer informationsüberfluteten Gesellschaft Vorteile.

 

Aber so wenig, wie Menschen vollständig von Dampfmaschinen abgelöst wurden, so wenig wird man auch trotz Internet auf Experten verzichten können. Aber weil jeder Wissen googeln kann, bleibt nicht alles so wie es ist. Auch Experten, Journalisten, Ärzte, Lehrer u.a. stehen mitten im Wandel der Digitalisierung. Die Autorität von Experten basiert jetzt weniger auf dem Umstand, mehr zu wissen. Als vielmehr darauf, den strukturellen Überblick zu besitzen, um neues Wissen  angemessen und sachgerecht bewerten und einordnen zu können. Denn Suchmaschinen automatisieren das Finden von Wissen, nicht aber seine Produktion.