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Die junge Gräfin
– Staffel 2 –

E-Book 11-20

Michaela Dornberg

Impressum:

Epub-Version © 2020 KELTER MEDIA GmbH & Co. KG, Sonninstraße 24 - 28, 20097 Hamburg. Geschäftsführer: Patrick Melchert

Originalausgabe: © KELTER MEDIA GmbH & Co.KG, Hamburg.

Internet: https://ebooks.kelter.de/

E-mail: info@keltermedia.de

Dargestellte Personen auf den Titelbildern stehen mit dem Roman in keinem Zusammenhang.

ISBN: 978-3-74096-025-4

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Keine Romanze ohne Tränen

… doch eine Schlossherrin mit großen Sorgen

Alexandra von Waldenburg hatte keine Gelegenheit mehr über den unbekannten Besucher nachzudenken, weil ihre Freundin wie ein Schwarm Heuschrecken bei ihr einfiel und sofort anfing zu reden wie ein Buch.

Dass sie sich dabei wiederholte, dass sie diese Geschichte bereits am Telefon erzählt hatte, war Liliane nicht bewusst.

Als Liliane endlich einmal eine Pause machte um Luft zu holen, sagte Alexandra rasch: »Lil, mit der ganzen Rederei kommst du keinen Schritt weiter. Du wiederholst dich. Und irgendwann hat man keine Lust, dir weiter zuzuhören oder man nimmt das, was du sagst, nicht mehr ernst. Ich hab mal gelesen, dass man, wenn man über etwas immer wieder reden oder nachdenken muss, es keinen Platz mehr im Leben hat. Man muss es verändern. Und diesen Rat kann ich dir zum wiederholten Male geben, verändere etwas … Entweder du verlässt Dr. Dammer oder du arrangierst dich mit seiner Einstellung zum Leben, in dem seine Patienten einen wichtigen Platz einnehmen, aber auch seine Eltern.«

Liliane griff so heftig nach ihrem Glas, dass etwas überschwappte.

»Oh, Verzeihung«, murmelte sie und wischte alles rasch weg. Dann trank sie etwas, diesmal allerdings gesittet, stellte behutsam das Glas wieder ab.

Alexandra musste lachen.

»Jetzt übertreibst du aber, meine liebe Lil, und ein solches Verhalten passt nicht zu dir …, dieser Tisch steht auf Schloss Waldenburg seit Jahrhunderten. Ich denk mal, dass du nicht die Erste bist, die auf ihm etwas verschüttet hat, also, benimm dich wieder normal. Es ist überhaupt nichts passiert.«

Liliane seufzte. »Stimmt, den Schaden hier habe ich sofort beseitigen können. In meinem Privatleben reiße ich ein Loch auf, stopfe es wieder zu, um es erneut aufzureißen, ganz wie ein Finanz­jongleur, nur geht es dabei nicht um Geld, sondern um Gefühle …, meine Gefühle.«

»Und um die von Lars«, fügte Alexandra hinzu. »Glaubst du, dem gefällt die Achterbahn der Gefühle mit diesem ewigen einmal Ja und einmal Nein und dann ein zögerliches Vielleicht? Lil, was willst du?«

Wieder ein Seufzer.

»Was alle wollen …, glücklich und in Frieden leben und das Gefühl haben, dass ich die Nummer Eins bin.«

Liliane war ja so verbohrt!

Was erwartete sie eigentlich?

Alexandra hatte ihre allerbeste Freundin wirklich gern, aber manchmal verstand sie sie nicht.

»Lil, das bist du. Wenn du es nicht wärst, dann hätte der Doc dir keinen Heiratsantrag gemacht. Es ist doch nicht so, dass in Kaimburg Frauennotstand herrscht und er auf die Erstbeste zurückgreifen musste, weil das Angebot so gering ist. Mensch, Lil, wach auf. Er hätte an jedem Finger seiner Hände zehn Frauen haben können, aber er wollte keine von denen, er wollte dich. Ist das nicht Liebesbeweis genug?«

»Ja, ja, stimmt schon, aber er zeigt mir nicht so oft, dass und wie sehr er mich liebt. Wir sind noch nicht einmal verheiratet, und alles ist mehr oder weniger Routine.«

»Das zeigt, liebe Lil, dass ihr ein gut eingespieltes Team seid, wenn die Werbewochen erst mal vorbei sind, dann kehrt der Alltag ein, in jede Beziehung. Und der Alltag ist es doch auch, was wir leben. Niemand schwebt ewig auf Wolke Sieben in die Glückseligkeit … Ehrlich mal, Lil, was du da von dir gibst, das ist einfach nur pubertär, und deine Erwartungshaltungen sind es auch. Wenn du so weitermachst, dann musst du dir keine Gedanken mehr machen, ob du ihn verlässt oder bei ihm bleibst …, dann hat der Doc von dir die Nase voll und macht Schluss. Hast du darüber schon mal nachgedacht?«

Liliane starrte ihre Freundin entgeistert an. Ihr war eindeutig anzusehen, dass sie derartige Rückschlüsse noch niemals gezogen hatte. Sie hatte immer nur sich gesehen, gejammert, ohne sich darüber klar zu sein, was sie eigentlich wollte.

»Das …, das wäre ganz grauenvoll«, stammelte sie schließlich voller Entsetzen.

»Na bitte, Lil, da haben wir es doch. Du liebst Lars, oder sagst du das jetzt, weil du es aus lauter Eitelkeit nicht ertragen könntest, die Verlassene zu sein? Kann ich verstehen, und da kann ich aus eigener Erfahrung mitreden …, zu gehen ist einfacher als sitzengelassen zu werden. Das schmerzt mehr. Aber darum geht es jetzt nicht. Es geht einzig und allein darum, was du willst. Und wiederhole dich jetzt bitte nicht und sag mir zum tausendsten Mal, dass du die Nummer eins bei ihm sein willst, denn dann muss ich dir zum tausendsten Mal sagen, dass du das bist.«

Liliane griff nach ihrem Glas, führte es zum Mund, trank ein wenig von dem köstlichen Rotwein, der wie dunkler Purpur durch das kostbare Kristall schimmerte.

»Ich kann ganz schön nervig sein, stimmt’s? Ach, meine liebe Alex, du bist ganz schön geschlagen mit einer solchen Freundin, bei der es immer nur heißt rein in die Kartoffeln, raus aus den Kartoffeln. Weißt du, vielleicht zicke ich auch nur so herum, weil ich bereits eine gescheiterte Ehe hinter mir habe und ein solches Fiasko nicht noch einmal erleben möchte. Gebranntes Kind scheut das Feuer.«

»Liebe Lil, jetzt vergleichst du Äpfel mit Birnen. Du kannst doch nicht Lars Dammer mit deinem Ex vergleichen.«

Liliane holte tief Luft, um etwas darauf zu sagen, doch Alexandra ließ es dazu überhaupt nicht kommen.

»Lil, wenn du jetzt wieder sagen willst, dass es mit diesem Robby auch schöne Momente gab, Momente voller Leidenschaft, freudiger Überraschung und Atemlosigkeit, dann lass es. Das habe ich auch schon hinreichend gehört. Und wenn du diese kurzen Glücksmomente mit dem ansonsten nicht so prickelnden Leben an seiner Seite vergleichst, dann, liebe Lil, waren sie teuer bezahlt. Und denke an das Ende, als du aus Amerika wieder nach Deutschland zurückkamst. Ich sage es nicht gern, aber da warst du ein emotionales Wrack, und deine körperliche Verfassung war auch nicht die Beste. Schon alles vergessen? Siehst du, wie sehr dein Vergleich hinkt?«

Lil griff wieder nach ihrem Glas, nicht unbedingt, weil sie jetzt etwas trinken musste, sondern eher aus Verlegenheit. Ihre Freundin hatte recht, und es war Zeit, sich das einzugestehen. Sie musste aufhören, Robby immer wie ein Ass aus dem Ärmel zu holen. Die Ehe war, bis auf ein paar glanzvolle Höhepunkte, schrecklich gewesen. Sonst wäre sie auch nicht gescheitert. Sie wollte ja auch gar nicht Robby mit Lars vergleichen, sie wünschte sich halt nur die wilde Leidenschaft, die es am Anfang ihrer Ehe gegeben hatte. Mit Lars war, zumindest war das ihr Empfinden, alles ein wenig wohltemperiert.

»Alex, du hast recht. Ich begreife allmählich, dass ich mir einen eigenen Partner kreieren will. Die Verlässlichkeit, Güte und treusorgende Liebe von Lars und die Leidenschaft, die Verrücktheit, Spontanität von Robby …, ich glaube, da habe ich mich in etwas verrannt.«

»Ja, Lil, das würde ich auch so sehen, also frage dich nun in aller Ernsthaftigkeit, was wichtig für dich ist …, wenn du meine Meinung hören willst, Lars ist für dich der Richtige. Er ist der ruhige Pol in deinem Leben, bei ihm kannst du dich anlehnen, du weißt, dass er dich auf Händen trägt. Du fühlst es, er beweist es dir immerfort. Warum reicht dir das nicht? Warum brauchst du zur Bestätigung immerfort Worte? Weißt du, Lil, manches kann man totreden, und selbst die heißesten Liebesschwüre klingen irgendwann schal, wenn man sie immer wieder vorgebetet bekommt. Weißt du, vielleicht wäre es für euch gar nicht verkehrt, mal zu einer Paarberatung zu gehen.«

Liliane verdrehte entsetzt die Augen.

»Nicht im Leben, ich gehe doch nicht zu einem Seelenklempner, und Lars kriege ich schon gar nicht dahin.«

»Hast du mit ihm schon mal darüber geredet?«

Liliane schüttelte ihren Kopf so heftig, dass ihre Haare nur so flogen, wie bei einem Strandspaziergang bei stürmischen Wetter.

»Um Himmelswillen, nein, das wäre das Ende.«

»Oder der Anfang«, entgegnete Alexandra. »Wenn etwas so verfahren ist wie eure unendliche Geschichte, dann kann professionelle Hilfe auf keinen Fall schaden.«

Liliane blickte ihre Freundin an.

»Würdest du zu so einem Seelendoktor gehen?«, wollte sie wissen.

Alexandra nickte.

»Ja, unbedingt, wenn es für meine Beziehung wichtig wäre, nur das ist jetzt rein hypothetisch … Wie du nun weißt, habe ich, und ich muss sagen … leider, keinen Partner.«

Liliane schlug sich mit der rechten Hand vor den Mund, starrte ihre Freundin geradezu entsetzt an.

»Entschuldige, Alex, bitte entschuldige tausendmal. Ich mülle dich andauernd mit meinem Müll zu ohne dich zu fragen, ob es bei dir etwas Neues gibt … In deinem Leben ist doch im Augenblick alles wirklich aus dem Lot …, der ständige Ärger mit deinem Bruder Ingo, das unverständliche Verhalten von Mike, und über den unbekannten Joe will ich schon gar nicht mehr reden. Aber den hast du mittlerweile vermutlich aus deinem Leben gestrichen, nachdem alle Bemühungen ihn zu finden, vergeblich waren.«

Liliane war ehrlich bekümmert. Aber so war sie, sie konnte stundenlang über ihre Probleme reden, aber wenn sie sich besann, dass es doch auch noch etwas anderes gab, das andere Leute vielleicht auch mal über das reden wollten, was sie bewegte, dann konnte sie sich auch mit voller Wucht in dieses Thema krallen und sich darin verbeißen.

Alexandra winkte ab.

»Lil, mach dir deswegen jetzt keinen Stress. Es stimmt, an Joe zwinge ich mich nicht mehr zu denken. Dieses kurze Erlebnis, nein, es war ja nicht mehr als eine flüchtige Begegnung, versuche ich zu vergessen. Mittlerweile scheint er für mich nicht mehr als nur ein Phantom zu sein, das in mein Leben eingetaucht ist, mein Herz und meine Seele berührte, um dann sofort wieder zu verschwinden, sich zu verflüchtigen … Ja, und Ingo …, da gibt es andauernd neuen Ärger. Ich zwinge mich, mich davon nicht herunterziehen zu lassen und beschäftige mich damit nur so weit ich muss. Er hat bei den Waldenburgs schon einen solchen Schaden angerichtet, und da meine ich nicht nur den finanziellen, der ist zu verschmerzen. Nein, er trampelt permanent auf unseren Seelen herum, ganz besonders auf der von Mama. Und das ist unerträglich. Ich glaube, Papa ist jetzt so weit, ihn durch seine Anwälte verklagen zu lassen, um ihm endlich Einhalt zu gebieten. Und das ist gut so, der Meinung bin ich mittlerweile auch. Weil er weiß, wie sehr wir auf den guten Ruf bedacht sind, glaubt Ingo, Narrenfreiheit zu haben. Das muss ein Ende haben.«

»Finde ich auch«, bestätigte Liliane. »Ihr habt ja wirklich alles versucht, den Frieden wieder herzustellen. Ihr habt ihm geschrieben, vor seiner Tür gestanden. Und obschon er daheim war, hat er nicht geöffnet. Und da gehört schon was zu, seine Mutter vor der Tür stehen zu lassen.«

»Ach, Lil, das war doch nicht das Schlimmste. Viel grausamer, besonders für Mama, war, dass seine Anwälte uns geschrieben haben, dass wir ihn nicht mehr belästigen sollen und dass bei Zuwiderhandlung eine Prozesslawine anrollt.«

»Alex, er wird seine Quittung, seine Strafe bekommen. So ein Verhalten bleibt einfach nicht ungestraft.«

Alexandra winkte ab.

»Lil, dein Wort in Gottes Ohr …, bislang war davon nichts zu spüren, da hatten wir nämlich die A…karte. Komm, lass uns davon aufhören. Es gibt gewiss andere Themen, die erfreulicher sind, über die wir reden können.«

Alexandra wollte ausweichen, den Rest der Frage nicht beantworten, aber das ließ Liliane nicht zu.

»Können wir gleich, Alex«, sagte sie, »aber vorher möchte ich gern noch erfahren, ob dein Pilot sich gemeldet hat.«

Alexandra wurde rot, sie wusste selbst nicht warum. Lil und sie hatten doch keine Geheimnisse voreinander.

»Mike?«, murmelte sie.

Liliane konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen.

»Ja, ich denk schon, oder gibt es da noch einen anderen Piloten, von dem ich nichts weiß?«

»Ich …, nein, natürlich nicht …, es gibt …, gab«, korrigierte sie sich sofort, »nur Mike Biesenbach.«

»Und, hat er sich gemeldet?«, wiederholte Liliane ihre Frage.

»Nein, hat er nicht, und deswegen müssen wir auch nicht mehr darüber reden …, das ist Vergangenheit.«

Damit war Liliane nicht einverstanden.

»Halt, mit dieser Antwort gebe ich mich keinesfalls zufrieden. Alex, für mich hast du jedes Mal tausend gute Ratschläge parat. Warum willst du keine von mir annehmen? Und wenn schon keine Ratschläge. Manchmal erleichtert es einen auch, einfach nur zu reden … Ich verspreche dir, keine dummen Einwände zu machen, sondern dir einfach nur zuzuhören.«

Alexandra zuckte hilflos die Achseln. »Du, Lil, ich weiß wirklich nicht, was es da noch zu reden gibt. Zwischen Mike und mir war alles ganz wundervoll, wir standen, so glaubte ich zumindest, am Anfang einer Beziehung mit all dem Zauber, der darin liegt. Alles war gut, bis ich ihn nach Waldenburg brachte und ihn über meine wahre Herkunft aufklärte … Ich hätte es nicht tun sollen, ihm etwas vormachen, vielleicht so lange, bis sich das zwischen uns ein wenig gefestigt hätte. Lange Rede, kurzer Sinn …, eine Gräfin und ein Schloss waren too much für ihn. Das hat er mir auch klar und deutlich gesagt, weißt du, solche Sprüche wie in anderen Welten leben, sich nicht irgendwann vorwerfen lassen, nicht in meine Kreise zu gehören … Ach, was zähle ich das jetzt auf. Es führt zu nichts. Wenn ich eine Verkäuferin bei einem Discounter wäre, hätte ich bessere Chancen bei ihm. Aber vielleicht gibt es ja auch eine ganz andere, einfachere Erklärung. Mike liebt mich nicht … Er hat vermutlich mit mir nur ein bisschen herumtändeln wollen, bekam aber dann kalte Füße, als ihm klar wurde, dass ich nicht so ein unbedarftes Mäuschen bin, mit dem man, solange es Spaß macht, herumspielen kann.«

Liliane antwortete nicht sofort, sondern lehnte sich in ihren Sessel zurück, fixierte ihre Freundin, die ziemlich unglücklich dreinblickte. Ein sicheres Indiz, dass ihr die Trennung von diesem feschen Piloten Mike durchaus nicht egal war.

»Weißt du, Alex, wenn einem etwas Unbegreiflich ist, nicht nachvollziehbar, dann sucht man Erklärungen um zu verstehen. Was du dir da ausgedacht hast ist …, verzeih mir die Worte …, Pille-Palle, anders ausgedrückt Schwachsinn. Ich kenne diesen Mike ja nicht, aber alles, was du über ihn erzählt hast, hörte sich gut, hörte sich sogar sehr gut an. Versetz dich doch bloß mal in seine Situation. Er lernt dich kennen, du bist für ihn eine absolut normale Bürgerliche, er verliebt sich in dich, du erwiderst seine Gefühle. Ihr verabredet euch in einem Café. Er glaubt, du wolltest ihm nicht deine Wohnung zeigen, weil sie vielleicht nur einfach ist, seine, sagtest du, ist schon beeindruckend und sehr geschmackvoll. Er gesteht dir seine Gefühle, sagt, dass nur du als Person für ihn zählst, er dich über Äußerlichkeiten nicht definiert …, und was machst du? Du setzt ihn in deinen teuren Geländewagen, von dem er glaubt, er sei auch nur geliehen, um ihn zu beeindrucken. Und dann fährst du mit ihm nach Waldenburg, parkst vor dem beeindruckenden Schloss, führst ihn in das noch beeindruckendere Innere, und dort knallst du ihm vor den Kopf, dass du eine Gräfin bist und das alles ringsum dir gehört … Alex, wie hättest du dich verhalten, wenn es andersherum gewesen wäre? Hättest du in die Hände geklatscht und begeistert ausgerufen, aber klar, ganz wunderbar, ich wollte schon immer einen Grafen und Schlossbesitzer kennenlernen und ihn zu meinem Liebhaber nehmen, mit ihm mein weiteres Leben teilen?«

Alexandra antwortete nicht sofort, dann bemerkte sie leise: »Du, Lil, das kann ich dir nicht sagen. Ich kenne die andere Seite, die bürgerliche, ja nicht. Aber wenn ich dich sehe, du gehst doch ganz entspannt mit uns um und auf den Festen ebenfalls mit Grafen, Baronen, Freiherrn und noch mehr.«

»Das tue ich, weil wir zwei schon zusammen im Sandkasten gespielt haben. Du warst wie ich, und selbst wenn du eine goldene Krone auf deinen Locken gehabt hättest, dann hätte ich dem nichts beigemessen, vielleicht die Krone haben wollen, um sie mir aufzusetzen.«

»Mike ist ein selbstbewusster gestandener Mann, verflixt noch mal, als Chefpilot befördert er Tausende und Abertausende von Passagieren, der kann doch keine Angst vor einer kleinen Gräfin haben.«

Wollte Alexandra es nicht begreifen?

»Wer spricht denn von Angst, Alex. Er hat zunächst einmal die Notbremse gezogen, weil er vernünftig ist, weil er dich und sich nicht in eine Situation bringen möchte, die irgendwann für beide Teile unangenehm wird. Er kennt dich nicht gut genug um zu wissen, ob du dich für etwas Besseres hältst, weil du aus einem uralten Adelsgeschlecht stammst. Und er weiß nicht, ob er sich in deinen Kreisen bewegen will. Das ist alles vernünftig, und für mich ist es ein Zeichen von Liebe … Aus Liebe zu verzichten, sich zurückzuziehen, das hat Größe.«

Es hörte sich gut an, was Liliane da gesagt hatte, aber Alexandra konnte und wollte es nicht glauben.

Außerdem wollte sie keinen edelmütigen Helden, sondern einen zärtlichen, verständnisvollen Mann, in dessen Arme sie sich flüchten konnte, einen, der sie liebte, aufbaute, wenn sie Kummer hatte. Und es war ihr dabei vollkommen gleichgültig, ob es sich dabei um einen Adeligen handelte, einen Bürgerlichen. Und er musste auch nicht studiert haben, einen Doktor- oder Professorentitel haben. Das alles waren Äußerlichkeiten, an denen man sich nicht wärmen konnte.

»Ach, Lil, komm, lass uns jetzt wirklich davon aufhören, das mit Mike ist auch schon wieder vorbei, ehe es begonnen hat. Ich weiß nicht, was ich an mir habe, dass ich keinen Partner finde. Ich werde wohl noch einige Frösche küssen müssen, ehe endlich der Prinz für mich kommt, in welcher Form auch immer …, wenn er denn kommt. Vielleicht sollte ich mich eher auf ein Leben als ewige Jungfer einstellen und mich meiner Arbeit widmen, das ist doch auch etwas.«

Irritiert schaute Liliane ihre Freundin an. Wie war Alexandra denn drauf?

»Verfall jetzt bloß nicht in Selbstmitleid. Es ist ja nun wirklich nicht so, dass du unbeachtet durchs Leben gehst. Es gibt genug Männer, die an dir sehr interessiert sind, allen voran unser guter Olaf Chris­tensen, um nur einen von ihnen beim Namen zu nennen.«

»Bitte, lass uns aufhören, ich will über dieses Thema nicht mehr reden. Es kommt, wie es kommen muss. Nimm meine Worte nicht so ernst, ich bin heute halt ein wenig jammervoll … Weißt du, was die kleine Michelle von sich gegeben hat?«

Alexandra wechselte das Thema und erzählte Liliane eine lustige Begebenheit, die sie von ihrem Vater erfahren hatte.

Bald lachten beide.

Geschichten aus Kindermund waren erheiternder als so mancher Witz.

*

Von Mikes Seite … Schweigen, von Ingo, man konnte sagen, zum Glück, gab es auch nichts Neues. Aber was Alexandra schon sehr irritierte war, dass ihr Vater sich nicht darüber äußerte, was er zu tun gedachte. Er hatte doch angekündigt, diesmal Ingo nicht wieder ungeschoren davonkommen zu lassen, nachdem dieser versucht hatte, ein riesiges Waldstück illegal abholzen zu lassen.

Auch wenn es ein wenig übertrieben war, irgendwie kam Alexandra sich vor, als säße sie auf einem Pulverfass.

Vielleicht würde sie ja gleich etwas erfahren, wenn die Glastüren aufgingen und Marion herauskam. Sie freute sich so sehr auf ihre Ex-Schwägerin, und das nicht, weil sie Neuigkeiten über ihren Ex-Mann mitbringen würde, sondern weil sie Marion mochte. Sie war für sie wie eine Freundin, und daran würde sich niemals etwas ändern.

Alexandra war viel zu früh da, und deswegen schlenderte sie ein wenig auf und ab.

Als sich eine andere Tür öffnete, Menschen herausströmten, schaute sie automatisch hin, und sie glaubte, ihr Herz müsse stehen bleiben.

Mike kam lachend mit seiner Crew heraus. An seiner Seite eine sehr gut aussehende Stewardess, mit der er sich angeregt unterhielt, lachte. Er war so sehr in das Gespräch vertieft, dass er sie nicht bemerkte, obschon sie eigentlich nicht zu übersehen war.

Einem Impuls folgend, wollte sie auf ihn zulaufen, ihn begrüßen. Doch dann hielt sie inne.

Sie war sich nicht sicher, ob ihn das freuen würde, und, wer weiß, vielleicht hatte er sich ja auch bereits getröstet. Er und diese Stewardess schienen sehr vertraut miteinander zu sein, offenkundig war, dass sie sich ausgezeichnet verstanden.

Pilot und Stewardess …

Bediente Mike jetzt auch dieses Klischee?

Wie gut er aussah, und jetzt …

Sie glaubte ihren Augen nicht zu trauen!

Jetzt legte Mike doch wahrhaftig seinen Arm um die Schultern der Stewardess, zog sie an sich? Und ihr, ihr schien es zu gefallen. Sie nickte und himmelte ihn an.

Nun hatte sie den Beweis dafür, warum Mike sich bei ihr nicht mehr gemeldet hatte. Er hatte sie schlichtweg vergessen, sie war für ihn nicht mehr gewesen als eine Episode, oder sollte man richtiger sagen …, ein kleines Intermezzo? Mehr war es doch gar nicht gewesen.

Es zerriss Alexandra fast, und sie vergaß alles um sich herum, auch, dass sie eigentlich aus einem ganz anderen Grund auf den Flughafen gekommen war.

Sie stand noch immer da und starrte ins Leere, obschon Mike und seine Begleiter längst schon verschwunden waren.

Er hatte nur Augen für diese Frau gehabt. War das normal?

Wenn man durch diese Türen kam, dann blickte man sich doch automatisch um, schaute in die wartende Menge.

Oder war das bei Flugpersonal anders? Interessierte man sich dann nicht mehr für seine Umgebung, sondern war nur froh, wieder auf sicherem Boden gelandet zu sein und gleich nach Hause gehen zu dürfen.

Oder aber …

Oder aber man hatte nur Augen für das Objekt seiner Begierde.

Und das schien bei Mike ja der Fall zu sein.

Hatte er eigentlich mal mit ihr so unbeschwert, so glücklich gelacht?

Sie merkte, dass sie sich da in etwas hineinsteigerte, was mit der Realität überhaupt nichts zu tun hatte, dass sie hier so etwas veranstaltete wie eine Märchenstunde.

Mike und eine andere Frau, noch dazu eine Stewardess!

Er war wie alle anderen Männer, kaum war etwas vorbei, jagten sie einer Anderen nach.

Er hätte sie doch bemerken müssen?

Aber wie denn, er hatte ja nicht ein einziges Mal in ihre Richtung geblickt.

Vielleicht hätte sie ja doch auf ihn zugehen und ihn begrüßen sollen.

Und dann?

Wenn er sie unverbindlich und herablassend behandelt hätte, das hätte sie auch nicht ertragen können.

Wie auch immer.

Wenn er es geschafft hatte, sie war mit Mike noch lange nicht fertig, und sie begehrte ihn mehr als je zuvor. Oder es war ihr vorher nicht so bewusst gewesen. Oder sie wollte ihn jetzt haben, da sie ihn mit einer Konkurrentin gesehen hatte.

Konkurrentin, was sollte das denn?

Das war ja wohl ein falscher Begriff, Konkurrenten gab es nur, wenn man noch im Rennen war. Aus dem war sie doch raus, ausgeschieden …

Weswegen eigentlich?

Nur, weil sie eine Gräfin und Schlossbesitzerin war? Oder war sie für Mike auch so etwas wie eine Spaßbremse gewesen? Diese Unbeschwertheit, die sie eben erlebt hatte, war zwischen ihnen nicht gewesen. Zumindest konnte sie sich nicht daran erinnern. Und wenn nun …

Ihre Gedanken brachen ab, sie zuckte erschrocken zusammen, als jemand ihre Schulter berührte.

Alexandra wirbelte herum und blickte in Marions lachendes Gesicht.

»Bist du einem Geist begegnet und hast mich deswegen vergessen?«, wollte Marion wissen. »Ich hab erst eine Weile gewartet, dich dann entdeckt und mindestens dreimal gerufen, aber ich glaube, du hättest nicht einmal einen Schuss gehört, so sehr warst du in deine Gedanken versunken …, keine angenehmen Gedanken, oder?«

Wie peinlich!

Sie hatte Marion wirklich vergessen, und das alles nur wegen Mike, der eine solche Aufmerksamkeit überhaupt nicht verdiente.

Sollte er sich zum Teufel scheren! Sollte er mit allen weiblichen Kolleginnen Affären anfangen. Es ging sie nichts an, und ab sofort wollte sie ihn aus ihrem Leben streichen.

Sie wandte sich Marion zu, nahm sie in die Arme.

»Herzlich willkommen, Marion. Wie schön, dass du da bist. Du siehst­ fantastisch aus.«

Sie ging auf Marions Worte nicht ein, denn sie konnte ihre Schwägerin wirklich nicht mit dem zumüllen, was sich da ereignet und wohin sich prompt ihre Gedanken verirrt hatten.

Marion sah wirklich phantastisch aus. Ihre Haare waren noch immer raspelkurz und umrahmten ihr schönes Gesicht, das jetzt, sonnengebräunt, noch schöner aussah.

Alexandra würde ihren Bruder niemals verstehen, warum er diese Frau gegen die getunten, austauschbaren Models, eingetauscht hatte. Mit ihr an seiner Seite wäre er niemals so ausgeflippt, und sie wäre ihm ein Halt gewesen, ein Ruhepol. All diese getunten Schönheiten wollten doch nicht wirklich ihn, sondern sich an der Seite eines echten Grafen in all den bunten Gazetten ablichten lassen.

»Danke für das Kompliment, Alexandra, das ich sehr gern zurückgeben würde …, aber du gefällst mir gar nicht. Du bist blass und siehst ein wenig verhärmt aus. Lass dir das mit Ingo doch nicht so nahe an die Substanz gehen. Er hat es nicht verdient.«

Welch ein Glück, dass Marion es auf Ingo schob. Sie konnte ja nicht ahnen, dass sie soeben einem bösen Geist begegnet war in Form eines feschen Flugkapitäns!

Dachte sie schon wieder an Mike?

Sie hatte doch beschlossen, ihn endgültig aus ihrem Leben und somit auch aus ihrem Sinn zu streichen.

Alexandra versuchte ein Lachen, was ihr erstaunlicherweise sogar gelang.

»Jetzt bist du ja hier«, rief sie. »Hast du mit Papa deine Vorgehensweise besprochen? Ich nehme doch an, dass Mama nicht weiß, aus welchem Grund du nach Deutschland gereist bist.«

Marion seufzte.

»Wir haben es ihr nicht gesagt, aber ich glaube, sie ahnt es. Deine Mutter ist ja nicht dumm. Aber solange sie es nicht anspricht, sagen wir auch nichts.«

»Das ist gut. Bestimmt hat sie Angst vor der Wahrheit und verschließt sich ihr. Weißt du, Marion, ich begreife nicht, dass Ingo auch Mama gegenüber so rücksichtslos und so gemein ist. Sie standen sich immer so nah.«

»Ingo ist ein Egomane, der sieht immer zuerst einmal sich, bei ihm, mit ihm, geht es immer so lange gut, solange ein Anderer der Gebende ist. Ingo kann sehr gut nehmen und dabei all seinen Charme entwickeln. Was Geben bedeutet, dieses Wort hat er leider nicht in seinem Vokabular.«

Alexandra hatte niemals darüber nachgedacht, aber jetzt, da Marion, Ingos Ex-Frau, die es schließlich wissen musste, ausgesprochen hatte, fiel es ihr wie Schuppen von den Augen.

Es war richtig!

Ingo war ein charmanter Blut­sauger, und es war immer so gewesen, dass alle nach seiner Pfeife getanzt hatten, weil sie keine Lust hatten, seinen Zorn zu spüren zu bekommen.

Sie kamen in der Tiefgarage an, und dort sah sie Mike ein zweites Mal.

Er half dieser Stewardess galant in sein Auto, stieg, eine launige Bemerkung machend – sie musste launig sein, denn er lachte – ein.

Alexandra blieb stehen, hielt auch Marion zurück.

»Warte mal«, sagte sie, und ihre Stimme klang vor innerer Erregung ganz heiser.

Marion warf Alexandra einen irritierten Blick zu, blieb aber brav stehen.

Menschen kamen und gingen.

Autos fuhren an ihnen vorbei.

Sie standen immer noch wie angewurzelt da.

Irgendwann wurde es Marion zu viel.

Sie tippte Alexandra an.

»He, Alexandra, ich will dich ja nicht nerven, aber sollen wir hier übernachten? Wir bilden übrigens ein Verkehrshindernis. Die Leute müssen mit ihren Koffertransportwagen einen Bogen um uns machen, weil wir mitten im Weg stehen.«

Alexandra zuckte zusammen.

»Wie? Was hast du gesagt?«

Was war mit ihrer Schwägerin los?

Marion warf ihr einen besorgten Blick zu, so kannte sie Alexandra nicht. Erst hatte sie sie vergessen, und nun dieser Zwischenfall.

»Wir stehen hier im Weg herum wie festgewachsen, weil du auf einmal nicht weitergehen wolltest. Alexandra, was ist los? Es kann doch nicht nur wegen Ingo sein? Den sehe ich hier nämlich nicht. Hast du noch eine andere Leiche im Keller?«

Sie musste sich zusammenreißen, zumal Mike schon längst weggefahren war. Warum konnte sie nicht souveräner sein? Sie meis­terte doch sonst auch ihr Leben, trug die Verantwortung für ein, ja, man konnte es, wenn man alle Beteiligungen zusammenrechnete, großes Unternehmen.

Nur wegen eines Mannes verhielt sie sich wie ein verhuschter Teenager?

»Entschuldige, Marion, ich hab da jemanden gesehen, dem ich nicht unbedingt begegnen wollte.«

Sie setzte sich wieder in Bewegung, zog Marion mit sich, und bald schon hatte sie ihr Auto erreicht. Es stand in unmittelbarer Nähe des Wagens von Mike. Eigentlich muss­te er es bemerkt haben.

Aber warum?

Maß sie sich schon wieder mehr Bedeutung bei? Es war ein Geländewagen wie es viele gab. Sie konnte nicht erwarten, dass Mike sich auf jeden Wagen dieses Typs fokussieren würde, nur weil sie mal in einem solchen gesessen hatte.

Alexandra machte den Kofferraum auf, stellte Marions Reisetasche hinein, und als beide im Wagen saßen, fuhr sie los.

Als sie aus der Tiefgarage fuhr, sah sie rechts am Straßenrand wieder Mikes Auto.

Es stiegen noch zwei Leute in Uniform zu, vielleicht sein Copilot und eine andere Stewardess aus der Crew? Vermutlich.

Sollte sie es nun als ein gutes oder als ein schlechtes Zeichen werten.

Zeichen? Wofür?

Mit Mike, das war aus, das war ein never-come-back-Programm. Also konnte er mitnehmen wen er wollte, und wenn es des Teufels Großmutter war.

Bildete sie es sich nur ein, oder kreuzten sich tatsächlich ihre Blicke?

»Was möchtest du, Marion?«, erkundigte sie sich betont fröhlich. »Radio hören oder dich mit mir unterhalten?«

Sie blickte in den Rückspiegel, und da sah sie, dass Mike ausgestiegen war und ihrem Auto nachblickte. Er hatte sie also bemerkt!

»Ich würde gern mit dir reden«, sagte Marion, »aber wenn du lieber Musik hören willst, dann habe ich auch nichts dagegen.«

»Aber Marion, ich bitte dich. Natürlich will ich reden, ich möchte alles erfahren, über Mama, Papa, die kleine Michelle, und da soll es ja auch noch einen heißen Verehrer geben … Mama deutete so etwas an.«

Marion wurde rot.

»Ja, den gibt es tatsächlich. Roberto ist ein reizender Mensch, der sich auch sehr um Michi bemüht. Sie mag ihn auch. Und mir, ehrlich gesagt, tut seine Bewunderung gut. Ich glaube, da unterscheiden wir Frauen uns nicht voneinander.«

Alexandra warf ihrer Schwägerin einen kurzen Blick zu, ehe sie sich wieder der Straße zuwandte. In der Nähe von Flughäfen gab es immer ein hohes Verkehrsaufkommen, und da musste man höllisch aufpassen.

»Bewunderung …, mehr nicht?«, wollte sie wissen.

Marion antwortete nicht sofort, dann aber sagte sie: »Nun, ich glaube, von Robertos Seite ist es mehr, aber ich …, weißt du, Alexandra, ich bin noch nicht so weit, einem Mann wieder zu vertrauen. Dazu hat Ingo mich zu sehr gedemütigt, mich zu sehr verletzt. Ich möchte ganz einfach meinen Weg noch ein Stück weiter allein gehen, möchte meine Wunden lecken und mich dann fragen, was ich wirklich will. Irgendwann möchte ich schon wieder einen Partner haben. Es ist schön, mit jemandem zusammen zu sein. Am Anfang war es mit Ingo ja auch das reinste Paradies. Aber ich glaube, im Paradies zu leben ist nicht gut. Man weiß doch, dass irgendwann die böse Schlange kommt und einen daraus vertreibt. Ich möchte irgendwann einen Mann haben, dem ich auf Augenhöhe begegnen kann, eine Partnerschaft mit dem nötigen Respekt, Verständnis und natürlich, das ist die erste Voraussetzung, Liebe … Ich mag Roberto sehr, aber ich liebe ihn nicht. Wenn er Zeit hat zu warten, wer weiß? Vielleicht wächst die Liebe, wird aus mögen mehr? Ich schließe aber auch nicht aus, mich in jemanden so sehr zu verknallen, dass ich all meine guten, vernünftigen Vorsätze über Bord werfe und mich mit meinem ganzen Sein in seine Arme werfe … Weißt du, Alexandra, man kann sich einen Lebensplan machen, aber für die Liebe funktioniert so etwas nicht.«

Wie recht Marion doch hatte!

Alles, was sie sich ausgedacht, zusammengereimt hatte, war verflogen wie vom Wind getriebene Wolken. Auf jeden Fall war es schön, dass Marion, wenn auch nur für ein paar Tage, nach Waldenburg gekommen war. Dann war sie wenigstens nicht mehr so allein in diesem großen Schloss …

*

Als sie auf Schloss Waldenburg eintrafen, kam ihnen sofort die junge Fanny entgegengelaufen, mit einem Block in der Hand.

»Frau von Waldenburg, da war ein Anruf für Sie. Ich habe mir aber den Namen aufgeschrieben. Der Mann heißt Viehoff oder Frieloff, er hat ziemlich schnell gesprochen.«

»Hat er gesagt, was er von mir will?«

Fanny schüttelte den Kopf.

»Nein, aber er will sich in den nächsten Tagen wieder melden.«

»Fanny, das haben Sie gut gemacht, danke schön.«

Sie glaubte, den Namen schon mal gehört zu haben, wusste aber im Augenblick nicht, in welchem Zusammenhang. Und da der Mann ja gesagt hatte, dass er sich wieder melden würde, war es nicht wichtig, sich weiter den Kopf darüber zu zerbrechen.

»Darf ich Ihre Tasche abnehmen?«, wandte Fanny sich an Marion.

»Und nach oben bringen?«

»Das ist ganz lieb, aber überhaupt nicht nötig. Das mache ich gleich selbst …, sie ist nicht schwer.«

Typisch Marion. Auch als sie noch Gräfin von Waldenburg gewesen war, hatte sie ein Problem damit gehabt, sich bedienen zu lassen. Jetzt, wo sie ihren Mädchennamen Bouvier wieder angenommen hatte, kam es wohl überhaupt nicht mehr infrage.

Fanny warf Alexandra einen hilfesuchenden Blick zu. Sie wollte doch nichts falsch machen.

»Ist schon in Ordnung so, Fanny. Sie können wieder an Ihre Arbeit gehen.«

Fanny atmete erleichtert auf und trollte sich, und Marion wandte sich an Alexandra und sagte: »Es ist immer wieder wundervoll, nach Waldenburg zu kommen. Während meiner Zeit mit Ingo habe ich ja viele Schlösser von Innen kennengelernt, aber keines ist so stimmig, hat ein so herrliches Ambiente wie Waldenburg. Ich kann dich schon verstehen, dass dein Herz so sehr an deiner Heimat hängt. Hier drinnen hat man vor allem auch ein Gefühl von Geborgenheit und Sicherheit, auch wenn das vielleicht trügerisch sein kann. Es ist unbegreiflich, dass Ingo das alles so leichten Herzens aufgeben und verkaufen wollte. Stell dir nur einmal vor, euer Vater wäre ihm nicht beizeiten auf die Schliche gekommen.«

»Ist er zum Glück, Marion. Deswegen möchte ich mir das Andere gar nicht ausmalen. Es hätte meine Eltern umgebracht, und ich …, nein, auch darüber will ich nicht nachdenken. Aber wir dürfen nicht mehr zurückblicken, sondern müssen nach vorne schauen, und Frieden kehrt wohl erst wieder ein, wenn Ingo aufhört, so herumzuchaoten …«, sie lächelte Marion an. »Du bist unsere letzte Rettung, unser Anker. Auf dich wird er ja vielleicht hören.«

Marion schüttelte den Kopf.

»Das glaube ich nicht, aber es ist auch nicht meine Mission, Ingo mit dem Rest der Familie zu versöhnen. Eigentlich möchte dein Vater, möchten deine Eltern, dass ich Ingo so schonend wie möglich beibringe, wer sein leiblicher Vater ist. Sie möchten seinen Rechtsanwälten nicht den Namen nennen und ihn dann selbst herausfinden lassen, dass sein Vater zwar aus einer exzellenten Familie stammt, aus der er sich allerdings selbst herauskatapultiert hat und nun von der Sozialhilfe lebt, dass sein Vater ein Zocker war, vielleicht auch noch ist, und dass er Gefängnisse wegen Betrügereien schon von Innen gesehen hat.«

Alexandra seufzte bekümmert.

Sie kannte alle Details, hatte alles nicht nur einmal gehört, und dennoch machte es sie immer wieder betroffen. Nicht wegen Ingos Vater, den außer ihrer Mutter ja niemand kannte. Nein, es tat ihr wegen Ingo weh, der einen solchen Standesdünkel hatte und mit einem solchen Mann, der absolut kein Vorzeige-Vater war, nichts anfangen konnte.

Er hätte alles auf sich beruhen lassen können, Benno von Waldenburg wäre ihm weiterhin ein guter, großzügiger Vater gewesen.

Aber nein …

Ingo hatte da etwas Selbstzerstörerisches an sich! Er hatte, um seine angebliche Rechte, der Nachfolger Bennos zu werden, einklagen wollen und statt, mit der Familie zu reden, sofort Anwälte eingeschaltet.

Er hatte es durch seine Renitenz herausgefordert, nicht durch die Familie zu erfahren, dass er kein echter Waldenburg war, sondern durch die Anwälte.

Und nun?

Wie würde er sich da verhalten? Einem Gespräch mit seiner Ex-Frau zustimmen, oder würde die Familie wieder keine andere Wahl haben, als es den Anwälten mitzuteilen und den Dingen ihren Lauf zu lassen.

»Ach, Marion, ich hoffe so sehr, dass es dir gelingen wird, ihn zu einem Gespräch zu bewegen, dass Ingo nicht wieder mit dem Kopf durch die Wand will und sich dadurch nur selber schadet.«

»Ich hoffe es auch, Alexandra, und eigentlich rechne ich mir gute Chancen aus, gegen mich hat er eigentlich nichts, und er kann auf mich auch nicht sauer sein, weil ich ihm nicht zur Last falle. Schließlich habe ich bei unserer Scheidung auf alles verzichtet, und auch wegen Michelle bin ich nicht an ihn herangetreten … Nein, ich glaube schon, dass er mit mir reden wird.«

»Und wann willst du das tun?«, wollte Alexandra wissen.

Marion lachte.

»Am liebsten sofort, du weißt doch, dass ich von der schnellen Truppe bin und Unangenehmes nicht gern hinausschiebe. Aber dann sollten wir uns einen anderen Platz suchen. Hier mitten in der beeindruckenden Halle von Waldenburg …, ich weiß nicht, ob das der richtige Ort für wichtige Gespräche ist.«

Alexandra lief rot an. Was war bloß los mit ihr? An Mike hatte sie überhaupt nicht mehr gedacht, und dennoch erwies sie sich als grottenschlechte Gastgeberin.

»Entschuldige, Marion. Willst du erst hinauf in dein Zimmer gehen, und dich ein wenig frisch machen, vielleicht auch ausruhen?«

Marion schüttelte den Kopf.

»Nein, um Himmels willen, ich habe doch keine Weltreise hinter mir, sondern einen nicht allzu langen und dazu sehr angenehm verlaufenden Flug. Lass es uns hinter uns bringen.«

»Okay, dann gehen wir am besten in die Bibliothek, dort sind wir ungestört, und ich weiß noch, wie gern du dich da immer aufgehalten hast.«

Damit war Marion einverstanden, gemeinsam gingen sie in die Bibliothek, die das Herz eines jeden Menschen höherschlagen lassen musste, der gern las.

Sie setzten sich.

Alexandra brachte ihrer Schwägerin das Telefon.

»Willst du vorher noch etwas trinken?«, erkundigte sie sich fürsorglich.

Marion schüttelte den Kopf.

»Nein, danke, alles ist bestens. Ich freue mich gleich auf das Mittag­essen.«

»Da darfst du nicht zu enttäuscht sein, Klara ist bei ihrer Familie im Urlaub.«

Lachend winkte Marion ab.

»Ist zwar schade, aber kein Beinbruch. Ich bin nicht so anspruchsvoll wie deine Eltern. Hauptsache ich bekomme irgendwann etwas zu essen. Ich bin überzeugt davon, dass auch Klaras Vertretung etwas Ordentliches auf den Tisch bringt. Also, lass mich jetzt mit Ingo telefonieren. Und damit ich dir hinterher nicht alles noch mal erzählen muss, stelle ich das Gespräch auch auf laut, dann kriegst du gleich alles mit.«

Damit war Alexandra einverstanden. Sie merkte, wie ihr Herzschlag sich beschleunigte und bewunderte Marion dafür, dass sie so ruhig war und es ihr scheinbar überhaupt nichts auszumachen schien, gleich mit ihrem Ex zu reden. Das bedeutete auf jeden Fall, dass sie emotional mit ihm fertig war, sonst hätte sie nicht so gelassen sein können.

Marion nickte ihrer Schwägerin aufmunternd zu, dann wählte sie Ingos Nummer, die sie noch immer auswendig kannte, kein Wunder auch. Es war schließlich auch mal ihre eigene Telefonnummer gewesen.

Der Klingelton war ewig lange zu hören, und Marion wollte gerade wieder auflegen als Ingo sich meldete.

Seine Stimme klang wie eh und je, ein wenig arrogant und beinahe gelangweilt, aber er meldete sich immerhin noch mit von Waldenburg.

Marion begrüßte ihren Ex-Mann, und dabei klang ihre Stimme beinahe fröhlich.

»Marion?«

Aus seiner Stimme war herauszuhören, dass er sich insgeheim fragte, was sie von ihm wollte. Ob sie gar Forderungen hatte, wenigs­tens Geld für die gemeinsame Tochter Michelle haben wollte.

Marion kannte Ingo nur zu gut, um all das ebenfalls herauszuhören, und so sagte sie rasch: »Keine Angst, Ingo, ich will kein Geld von dir, aber ich würde dich gern treffen, weil ich mit dir reden möchte …, über etwas, was dich betrifft.«

Er lachte. »Oh, wie nett von dir. Aber ja, wir können uns treffen. Sag mir einfach wann und wo. Und ich hoffe doch, dass du mir nur Gu­tes erzählen willst.«

Das konnte sie nun nicht versprechen, also wand sie sich da heraus und beantwortete das Letzte nicht.

Sie atmete erleichtert auf, weil es bisher besser gelaufen war als gedacht, lächelte Alexandra triumphierend zu.

»Ingo, ich richte mich ganz nach dir. Soll ich zu dir kommen? Treffen wir uns in einem Café? Den Termin kannst du auch bestimmen. Ich bin da sehr flexibel, aber je eher umso lieber. Du weißt doch, dass ich nichts gern aufschiebe.«

Wieder lachte er.