CoverSeubert.jpg

Impressum

Patrimonium-Logo-GS.psd

 

Copyright © 2015

Patrimonium-Verlag

In der Verlagsgruppe Mainz

Alle Rechte vorbehalten

Printed in Germany

 

Erschienen in der Edition »Patrimonium Philosophicum« –

Rubrik »Philosophie für jedermann«

 

Patrimonium-Verlagsbüro Abtei Mariawald

52396 Heimbach/Eifel

www.patrimonium-verlag.de

 

Gestaltung, Druck und Herstellung:

Druck & Verlagshaus Mainz GmbH

Süsterfeldstraße 83

52072 Aachen

 

Abbildungsnachweis

Umschlag: by »nickanizer« via stock.xchng,

www.freeimages.com/index.phtml

 

 

ISBN: 978-3-86417-068-3

 

 

 

 

 

 

 

Heinrich Beck, dem Philosophen der Dialogik und Ontodynamik, in tiefer Verbundenheit gewidmet.

 

 

 

Einleitung

 

 

 

Die Frage: »Was ist der Mensch?« scheint auf den ersten Blick einfach, selbstverständlich, fast trivial. Tiefer gefragt verbirgt sich darin ein Geheimnis. Denn obwohl jeder, der so fragt, Mensch ist, ist er nie damit am Ende, sein eigenes Menschsein und das Menschsein seiner Mitmenschen zu begreifen. Die Wissenschaft, die sich dieser Frage annimmt, die Anthropologie, ist von verschiedenen disziplinären Ausformungen geprägt. Sie kann medizinisch, biologisch, neurologisch, ethnographisch angelegt sein. Gelegentlich wird auch im vorliegenden Buch auf solche Disziplinen Bezug genommen. Doch das Eine und Ganze des menschlichen Wesens bedenken nur zwei eng zusammengehörende Disziplinen: nämlich Philosophie und Theologie. Gerade die Schnittstelle zwischen beiden, wo die endliche Conditio humana auf ihren ewigen Grund transparent wird, verspricht Aufschluss über das, was der Mensch in Wahrheit und Wirklichkeit ist und sein kann. Deshalb soll in diesem Buch, obwohl es in erster Linie philosophisch fragt, dieser Übergang von besonderer Bedeutung sein.

Dabei wird im Folgenden nicht eine abstrakte Idealisierung des Menschen angestrebt. Leitend soll vielmehr ein Realismus sein, der dessen leib-seelische Totalität zu skizzieren versucht – und dies vor dem Hintergrund eines Begriffs von Erfahrung, der gleichermaßen die metaphysische Innerlichkeit und eben nicht nur das raum-zeitlich Gegebene meint.

Die Frage nach dem Menschen versteht sich keineswegs von selbst. Darauf hat bereits die antike Philosophie eindrücklich hingewiesen. Bemerkenswert ist das Schweigen der Platonischen Dialoge, wenn es um die Bestimmung des Menschen geht. Platon gibt keine Definition des Menschen, so wie sie später von Aristoteles als ›Zoon logon echon‹ und ›Zoon politikon‹ formuliert wird. Er weiß, dass der Mensch sich selbst und seinesgleichen ein Rätsel ist. Es ist bekanntlich das Rätsel der Sphinx, das Ödipus erriet. Doch derselbe Ödipus war der Rätselhaftigkeit seiner eigenen Existenz nicht gewachsen. Er hatte wohl an etwas gerührt, das man besser im Verborgenen lässt, er hatte einen Schleier gehoben, der besser zugezogen bleibt. Indes ist Platons ganze Philosophie, im Netz ihrer Dialoge, eine einzige Frage nach dem Menschsein und nach dem, was ihm seinen letzten Horizont gibt. Ähnlich hat dies Jahrhunderte später Immanuel Kant gesehen, wenn er auf die drei architektonischen Fragen der Philosophie: »Was können wir wissen?« – »Was sollen wir tun?« – »Was dürfen wir hoffen?« – die vierte und abschließende nach der Bestimmung des Menschen folgen lässt.1 Bei Kant kommt entschieden ins Spiel, dass der Mensch sich gegeben und zugleich aufgegeben ist. Er ist physisch ›homo phainomenon‹ in Raum und Zeit. Doch als intelligibles Wesen ist er zugleich dazu bestimmt, ›sittliches Wesen‹ – ›homo noumenon‹ zu werden. Mit der Zweiheit verbindet sich auch eine Reflexivität, die immer wieder als Mangel wahrgenommen wird. Rilke hat, vor allem in seinen ›Duineser Elegien‹, in tiefer Weise evoziert, dass das Tier in einer Weise bei sich ist und in sich bleibt, die der Mensch verloren hat. Er lebt in Abstand, Reflexion und Wort. Nur die Kinder und die Liebenden, Erlösungsgestalten des Menschseins, kommen jener tierhaften Stimmigkeit nahe.2

Im Schöpfungsbericht der Bibel wird der Mensch als Ebenbild Gottes benannt. Dies ist für die Deutung des Menschseins in Judentum und Christentum bestimmend. Ebenbild ist noch mehr als ein Abbild. Es ist die – in die Endlichkeit versetzte – Gott gleichgestaltete göttliche Natur. Der Schöpfer (elohim) erkennt sich selbst als Bild und Gleichnis im Menschen. Deshalb kann und soll sich der Mensch – jeder Mensch – als Ebenbild Gottes verstehen.

Indem er sich im Sündenfall von Gott trennt, verfehlt der Mensch diese Gottebenbildlichkeit. Sie wird aber keineswegs ganz zerstört. Sie bleibt als Anlage vielmehr erhalten, bei aller Tendenz (propensio, nisus) zur Sünde. So wie schon Platon von einer inneren Sehnsucht des Menschen zur Rückkehr in seine himmlische Urheimat sprach und im ›Phaidon‹ die gefiederte Seele evozierte,3 ist dieser unverletzliche ›Character indelebilis‹ auch im christlichen Verständnis Anzeichen einer metaphysischen Unruhe, die den Menschen niemals loslässt. Sie zeigt sich in großen christlichen Zeugnissen: in Paulus‘ Sehnsucht nach dem Heil und Leben in Christus, in Augustinus‘ bewegenden ›Confessiones‹ mit der Kernaussage, dass das eigene Herz unruhig sei, bis es in Gott zur Ruhe komme, sowie bei großen christlichen Denkern von Blaise Pascal bis Romano Guardini. Auch die Erlösungs- und Transzendenzsehnsucht anderer Weltreligionen kennt ein solches Heilsverlangen. Nicht zuletzt schreibt sie sich in die Aufschrift auf alten Schweizer Häusern ein: »Ich weiß nicht, woher ich komme, ich weiß nicht, wohin ich gehe. Mich wundert, dass ich fröhlich bin«. Karl Jaspers sah darin eine »Chiffer der Transzendenz«.4 Romano Guardini sah die »Schwermut« als eine Gravitation des Menschen auf den göttlichen Grund.5 Sein Ort ist nach christlicher Offenbarung und Lehre die Menschwerdung Gottes im wahren Gott und wahren Menschen Jesus Christus selbst. In ihr und nur in ihr ist das ursprüngliche Antlitz des Menschen in seiner Würde wiederhergestellt. Damit gibt christlicher Glaube eine dezidiert menschliche und zugleich göttliche Antwort auf Fragen, die sonst im Zustand der Unruhe und des Ungenügens bleiben müssten. Die Gottebenbildlichkeit gewinnt, wie vor allem das Johannesevangelium zeigt, nun eine vertiefte, soteriologische Bedeutung: Die wahre Gotteskindschaft ist jedem Menschen eröffnet. Jesus Christus zieht, im Sinne des Hohen Priesterlichen Gebetes (Joh 17, 1-8)6, »sie alle« zu sich (Joh 8, 28). Er nimmt die Seinen in sein ursprüngliches Verhältnis zum Vater hinein. Dies setzt voraus, dass »niemand zum Vater kommt« denn durch ihn (Joh 14, 6). Die Heilsgeschichte macht deutlich, dass dies durch den wirklichen Tod des Menschensohnes geschehen muss. Damit nimmt er dem Tod die Macht und durchbricht den Stachel des Todes und den Sieg der Hölle (1 Kor 15, 55). Dies ist die befreiend erlösende Botschaft des Ostermorgens von der wahrhaften Auferstehung. An der Überwindung des Todes kann jeder Mensch teilhaben, der Jesus Christus und seiner Kirche folgt. Im Lauf der Philosophiegeschichte ist diese Überwindung zumeist nur der Seele oder dem Geist des Menschen vorbehalten gewesen. Die Botschaft von der leiblichen Auferstehung des Menschen nach dem Tode, seiner Umkleidung mit einem neuen Leib, zeigt freilich, dass ein Dualismus von Leib und Geist nicht das letzte Wort haben kann.7 Auf seine Weise hat dies schon Aristoteles in seiner Seelenschrift gewusst. Die Seele versteht er als die Form des Leibes.8 Beide sind also voneinander untrennbar. In gewisser Weise ist also auch die menschliche Leiblichkeit in die Ewigkeit Christi aufgenommen.

 

Das Buch wird in seinem Ersten Teil die wesentlichen Bestimmungen der Conditio humana freilegen. Im Zweiten Teil wird es auf Tendenzen aufmerksam machen, die das genuin Menschliche bedrohen und in Frage stellen. Mit einem Plädoyer für die transzendente, zugleich aber endliche Menschlichkeit wird es schließen.

 

 

 

 

1 Immanuel Kant: Kritik der reinen Vernunft, Akademieausgabe Band III (Berlin 1900) 522–530.

2 Dazu Romano Guardini: Rainer Maria Rilkes Deutung des Daseins (Paderborn 1996) 120 –200.

3 Platon: Phaidon 76 b 3–80 a.

4 Karl Jaspers: Einführung in die Philosophie (München 1971) 26–32; 50–58.

5 Romano Guardini: Vom Sinn der Schwermut (Zürich 1949).

6 Ich führe Schriftstellen in der nach der Lutherbibel, revidierter Text 1984, an.

7 Joseph Ratzinger (Benedikt XVI): Jesus von Nazareth Band II. Vom Einzug in Jerusalem bis zur Auferstehung (Freiburg/Br. München 2011).

8 Aristoteles: Über die Seele, Buch II. Cp 1, zweisprachig mit Kommentar herausgegeben von H. Seidel (Hamburg 1995) 59–63.