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Impressum


1. Auflage 2017

© Patrimonium-Verlag

In der Verlagsgruppe Mainz

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Erschienen in der Edition »Patrimonium Theologicum«


Patrimonium-Verlag

Abtei Mariawald

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ISBN-13: 978-3-86417-091-1


Der Brunnen in der Wüste


Hell und warm leuchtete die kleine Dorfkirche im flutenden Sonnenlicht wider, das sich zwischen den dunklen Tannen seinen Weg gebahnt hatte und auf diese Weise den schattigen Grund ein wenig auflockerte. Inzwischen waren die beiden Männer an der Kirche angelangt. Die Türe war jedoch verschlossen und sie betrachteten die Grabplatten an der Außenwand des Gotteshauses. Sie fielen auf durch ihr ehrwürdiges Alter sowie ihre kunstvolle Gestaltung. »Schau!«, entfuhr es Oskar; er zeigte mit dem Finger auf eine Inschrift, auf der zu lesen war: »Heiligstes Herz Jesu, erbarme Dich unser. Unbeflecktes Herz Mariae, sei unsere Rettung!« – »So etwas meine ich: Das kann ich einfach nicht akzeptieren!«, fuhr er aufgeregt fort. Thomas wusste, woran sich Oskar gestoßen hatte: Maria als »unsere Rettung« zu bezeichnen – das war mehr, als ein Protestant einfach hinnehmen konnte. Thomas entschied sich jedoch, einstweilen zu schweigen und sie setzten ihren 3 um das Kirchengebäude herum fort, bis sie an eine Bank kamen, auf der sie sich niederließen. »Darf ich dich in einer Sache um deine Meinung fragen?«, ergriff Thomas schließlich das Wort. – »Gerne«, antwortete Oskar bereitwillig, »worum geht es?«



Am Rande der Sahara gab es einst zwei verfeindete Bedu­inenstämme, die sich bis auf den Tod hassten und bekriegten. Der eine Stamm lebte eher westlich, der anderen eher östlich, so dass ich sie zur Unterscheidung Ost- und Westbeduinen nennen will. Nun geschah es, dass sich eines Tages einer der Boten, den die Ostbeduinen ausgesandt hatten, in der Wüste verirrte. Er irrte so lange umher, bis er alle seine Vorräte verzehrt hatte und zu verdursten drohte. Erst nach tage- und nächtelanger Suche traf er endlich wieder auf bekannte Pfade. Doch durch die langwierige Suche war er bereits so von Durst und Hitze mitgenommen, dass er nicht mehr weiterkonnte und sich schließlich einfach in den glühenden Sand fallen ließ; er glaubte, sterben zu müssen. Er hielt sich für verloren und wälzte sich in seinen Qualen verzweifelt im heißen Wüstensand herum. Doch während er sich verbrannt und dem Wahnsinn nahe solchermaßen im Sand wälzte, stieß er auf einen harten Untergrund. Trotz seines Zustandes war er doch neugierig genug, den Sand ein wenig aufzuwühlen und fand zu seiner freudigen Überraschung – einen Brunnen! Der Brunnen war wohl versteckt worden und nur, wer um ihn wusste, kam hier zu Wasser. Damit war er gerettet!

Nachdem er sich zunächst selbst erquickt und langsam ein wenig erholt hatte, füllte er den Schlauch, den er umhängen hatte und machte sich, zwar immer noch erschöpft aber doch erquickt, auf den Weg zu seinem Stamm. Doch als er schließlich glücklich dort angekommen war, glaubte man ihm nicht. Denn niemand konnte sich vorstellen, dass dort, wo der Bote gewesen war, ein Brunnen zu finden sein sollte. Daher wurde er der Lüge beschuldigt und schließlich gar verdächtigt, ein Spion zu sein, der in Wirklichkeit heimlich zum Weststamm gegangen war. Er hatte nämlich Feinde unter den eigenen Leuten, die sich diese Gelegenheit zu Nutze machten, ihn zu verleugnen. Nun wurde es ernst, denn würde er sich als Spion erweisen – das wusste er – würden sie ihn töten! Es gab nur eine einzige Möglichkeit – er musste seine Leute zum Brunnen führen und zeigen, dass dieser wirklich existierte, dann wäre ja bewiesen, dass er die Wahrheit gesagt hatte.

Da er sich keine Sorgen machte und sich seiner Sache sicher wähnte, ging er seinen Leuten denn auch ganz unbeschwert voraus, führte sie zu der Stelle, wo er damals zu verschmachten drohte, grub auf, öffnete die Abdeckung, deutete auf seinen Fund und erklärte triumphierend: »Das ist der Brunnen, der mich gerettet hat!«

Damit war die Sache geklärt, doch einer seiner Feinde war schlau und als sie schon aufbrechen wollten, um zurück-­
zu­kehren, meinte dieser: »Wartet, nicht so schnell! Sollten wir uns so einfach überlisten lassen! Ist nicht schon genug Schaden über uns gekommen? Können wir es uns wirklich erlauben, uns so einfach auf eine Gefahr einzulassen und einem Spion Glauben zu schenken? Fast meine ich, ich bin in einem Stamm von Kindern statt von Männern!« Daraufhin meinte ihr Anführer: »Was redest du da? Was willst du uns damit sagen? Sprich!«

»Unser Bote ist ein Lügner!« – Der Geschmähte fuhr auf: »Wie kannst du es wagen! Willst du deine eigenen Augen der Lüge zeihen? Hast du nicht selbst und wir alle den Brunnen gesehen!«

»Ich zeihe meine Augen ebenso wenig der Lüge, wie meine Ohren«, antwortete der andere, wobei er das Wort Ohren besonders betonte.

»Was willst du damit sagen?«

»Hast du nicht soeben gesagt, dass dich dieser Brunnen gerettet habe?«

»Gewiss habe ich das gesagt und ich bin bereit, einen Eid darauf abzulegen, dass…«

»...dass dieser Brunnen deine Rettung gewesen sei?«

»Ja, sofort, wenn es sein muss!«

Indem er lauernd seine Blicke in der Runde schweifen ließ, meinte der andere: »Ihr habt es alle gehört: Er ist bereit, einen Eid darauf zu schwören, dass dieser Brunnen seine Rettung gewesen ist!« – Wieder an den Boten gewandt: »Schwöre also!«

»Sofort, ich kann es mit bestem Gewissen beschwören!«

»So sprich mir nach: Ich schwöre bei Gott, bei meiner Seele und bei allem, was mir heilig ist…«

»Ich schwöre bei Gott, bei meiner Seele und bei allem, was mir heilig ist…«

»…dass dieser Brunnen meine Rettung gewesen ist.«

»…dass dieser Brunnen meine Rettung gewesen ist.«

Der Feind drehte sich nun triumphierend im Kreis und rief allen Männern, die da waren, zu: »Habt ihr es gehört? Jetzt habt ihr es mit eigenen Ohren vernommen, dass dieser Mensch einen Meineid geschworen hat!«

Doch keiner der Umstehenden hatte verstanden, was er meinte. Schließlich fragte der Anführer: »Was redest du da? Rede deutlicher!«

»Kann ein Brunnen eine Rettung sein! Kann ein Brunnen einen Menschen retten?«

»Gewiss, wenn er am verdursten ist…«

»Nein, niemals kann ein Brunnen einen Menschen retten, der am verdursten ist – nur Wasser kann einen Verdurstenden retten!«

Alle staunten über diese Worte und murmelten: »Stimmt, er hat Recht!«

»Also ist er doch ein Lügner und ist des Todes!«

Der Bote begriff nicht, wie ihm geschah und fing in seiner Verzweiflung an zu schreien: »Ich habe doch das Wasser gemeint! Natürlich kann der Brunnen nicht retten, nur das Wasser, aber das muss man doch nicht erklären, jedes Kind weiß, dass das Wasser gemeint ist!«

»Das sind Ausflüchte! Du hast eben selbst mit einem heiligen Eid geschworen, dass es der Brunnen war, der dich gerettet hat und jetzt gibst du selbst zu, dass es nicht der Brunnen war! Du bist ein Lügner und bist des Todes! – Los, töten wie ihn sofort! Diesen Lügner, der mit uns seinen Spott getrieben und uns auch noch hier herausgeführt hat!«

Der andere schrie noch: »Das könnt ihr nicht tun«, aber es half nichts; sie schlugen auf ihn ein, töteten ihn und berichteten dem Rest des Stammes einfach, es habe sich herausgestellt, er habe gelogen und sei damit wohl ein Spion gewesen.

Für eine gewisse Zeit sprach keiner mehr über diese Geschichte und zunächst wuchs Gras darüber. Doch der oberste Stammesführer hatte den Boten sehr gern gehabt und tat sich schwer, dessen Tod einfach so hinzunehmen. Als er sich nun eines Tages mit einem der Männer, die damals beim Brunnen waren, unterhielt und von ihm in seinem Schmerz wissen wollte, wie der Bote genau zu Tode gekommen war, erfuhr er die ganze Geschichte. Der Stammesführer wurde zornig, schlug den Mann, von dem er die Geschichte erfahren hatte, in seinem Zorne auf der Stelle nieder und ließ jenen anderen, der durch seinen damaligen Einfall für den Tod des Boten verantwortlich war, vor Gericht rufen.



Als er geendet hatte, wandte sich Thomas an Oskar: »Wenn du der Richter wärst, was würdest du tun?«

»Du stellst Fragen! Der Feind des Getöteten müsste auf jeden Fall streng bestraft werden! In deiner Geschichte hat er wohl die Todesstrafe erhalten.«

»Ja, er hat die Todesstrafe erhalten! Die anderen Männer, die dabei waren, wurden jedoch begnadigt.«

»Warum denn das! Die hätten genauso bestraft werden müssen!«

»Der Stammesführer begründete sein Urteil damit, dass nur der Feind selbst aus Bosheit diese Spitzfindigkeit erfunden hat, während sich die anderen in ihrer Dummheit und Einfalt einfach haben blenden lassen.«

»So dumm kann doch wirklich keiner sein! Wie kann man denn solch einen Unsinn ernst nehmen! – Ich bleibe dabei, sie hätten alle bestraft werden müssen!«

»Wirklich?«

»Sag mal, fragst du das jetzt im Ernst? Natürlich! Bei einer solchen Dummheit kann sich doch keiner darauf berufen, geblendet worden zu sein!«

»Nun, dann hast du gerade dein eigenes Urteil gesprochen!«

»Wie? Bist du jetzt verrückt? Warum ich?«

»Verurteilst du nicht jene, die den Brunnen als ihre Rettung bezeichnen?«

»So ein Unsinn! – Was willst du eigentlich?«

»Du würdest also nie jemanden verurteilen, der zum Brunnen ›meine Rettung‹ sagt, obgleich klar ist, dass das Wasser die Rettung ist?«

»Das ist doch dummes Zeug! Natürlich würde ich das nicht!«

»Du würdest also keinen Anstoß daran nehmen, wenn jemand Maria als seine Rettung bezeichnet, obgleich nur Christus zu retten vermag?« – Oskar ließ den Mund offen stehen – und schwieg. Nach einer Weile des Schweigens brummte er unwillig: »Aber das ist doch etwas völlig anderes.«

»Ich denke nicht: Maria hat Christus geboren: Wie also der Brunnen das Wasser gibt, so gibt Maria uns Christus. Wenn es aber keinen stört, dass ich einen Brunnen als Rettung in der Wüste bezeichne, warum stört sich dann der Protestantismus daran, dass ich auch Maria als Rettung bezeichne?«

»Aber das lässt sich doch überhaupt nicht vergleichen.«

»Und warum nicht?«

»Wer sagt denn, dass das jeder so versteht wie du?«

»Die Katholiken verstehen es so.«

»Aber du musst doch zugeben, dass es missverständlich ist.«

»Wenn du damit sagen willst, dass sich die Protestanten zu wenig Mühe machen, die Katholiken zu verstehen, gebe ich dir Recht.«

»Ich meine eher allgemein.«

»Ich behaupte, dass es für jeden Katholiken, der seinen Glauben einigermaßen kennt, ebenso verständlich ist, wie es für einen Beduinen klar ist, in welchem Verhältnis Wasser und Brunnen zueinander stehen.«

»Aber es lesen ja auch noch andere, die nicht katholisch sind.«

»Als die Tafel angebracht wurde, gab es hier in der Gegend noch keine Protestanten, die Probleme erfunden haben, die es eigentlich gar nicht gibt.«

»Du bist ganz schön zynisch…«

»Nein, nur offen«, erwiderte Thomas lächelnd.

»Aber immerhin leben jetzt auch Protestanten hier in der Gegend, die das anders verstehen als du.«

»So wie ich dich verstehe, müssten wir also auch sämtliche Hinweise auf die Dreifaltigkeit aus der Öffentlichkeit entfernen, um zu vermeiden, dass die Moslems uns fälsch­licherweise vorwerfen, dass wir drei Götter anbeten.«

»Nein...«

»Christus hat schon immer Anstoß erregt bei denen, die nicht bereit waren, die Wahrheit mit kindlicher Offenheit anzunehmen.«

»Ja gut, Christus, aber warum Maria?«

»Diese beiden Geheimnisse, Jesus und Maria, hängen eng zusammen – ein Bekenntnis zu Maria ist ein Bekenntnis zu Christus!«

»Das muss du jetzt wirklich erklären.«

»Gerne, warum nicht.«