Denise Reichow
Heitlinger Hof 7b
30419 Hannover

www.gedankenreich-verlag.de

Things to do

Text © Jacqueline Steinke, 2019

Cover & Umschlaggestaltung: Kristina Licht

Lektorat: Marie Weißdorn

Korrektorat: Klaudia Szabo

Satz & Layout: Nadine Reichow
eBook: Grittany Design
Innengrafiken: Shutterstock - wacomka

(eBook) ISBN 978-3-947147-67-0

© GedankenReich Verlag, 2019

Alle Rechte vorbehalten.

Dies ist eine fiktive Geschichte.

Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind zufällig und nicht beabsichtigt.

Mittlerweile war knapp eine Woche vergangen, seitdem Fynn in unserer WG auf seine Freunde gewartet hatte. Ich war mir weiterhin nicht sicher, wie ich seinen Blick von damals deuten sollte. Er schien wütend gewesen zu sein und irgendwie hatte ich das Gefühl, dass diese Wut mir gegolten hatte. Eventuell bildete ich mir das aber auch nur ein. Immerhin hatte er auf Ryan und Tommy gewartet, weil diese nicht ans Handy gegangen waren.

Nachdem ich gestern die halbe Nacht an meinem Skript gearbeitet hatte, da ich mein Buch endlich fertig schreiben wollte, war ich froh, dass ich den Samstag hätte ausschlafen können. Hätte wohlbemerkt, denn um halb acht wurde meine Zimmertür donnernd aufgeschlagen und ich schreckte aus dem Schlaf. Ich spähte blinzelnd zur Tür und entdeckte die schemenhafte Figur eines Mannes. Sofort raste mein Herz. Ein Einbrecher?

„Aufstehen. Wir haben heute einiges vor“, flötete Fynn mir fröhlich zu.

Doch kein Einbrecher. Ich war nicht sicher, ob ich mich darüber freuen sollte, ließ den Kopf in die Kissen sinken und zog die Decke enger um mich. „Geh weg“, nuschelte ich.

Fynn lachte, kam zum Bett und entriss mir die Decke.

„Sag mal, spinnst du?“, fauchte ich ihn an.

„Sieh zu, dass du dich fertig machst. Ryan und ich warten im Wohnzimmer auf dich.“ Er nahm meine Decke einfach mit, als er den Raum wieder verließ.

Ich stöhnte genervt auf. Da ich nicht begeistert von dem plötzlichen und alles andere als sanften Überfall war, weigerte ich mich, mich umzuziehen, und trottete in meinem Schlafhemd in die Küche. Dort wurde ich mitfühlend von Tabbi empfangen.

„Ich habe sie nicht reingelassen. Das ist Luzies Schuld“, verteidigte sie sich sofort.

„Kaffee?“, stöhnte ich. Ich war zu müde, um mir über unsere ungebetenen Gäste Gedanken zu machen.

Tabbi reichte mir eine Tasse und ich nippte vorsichtig an der heißen Flüssigkeit.

„Warum sind die hier?“, wandte ich mich an meine Mitbewohnerin und zeigte auf die zwei Männer, die es sich auf unserem Sofa bequem gemacht hatten und gar nicht zu uns sahen.

„Die wollten dich abholen.“

Ich sah auf die Küchenuhr und stöhnte. „Es ist erst halb acht und dazu noch Samstag. Ich sollte mich wieder ins Bett legen“, beklagte ich mich. Ich betrachtete die Jungs, die sich über irgendetwas unterhielten. Fynn hatte sich eine Woche nicht gemeldet und ich hatte die Hoffnung gehabt, dass er diese Liste vergessen hatte, aber da hatte ich mich wohl getäuscht. Trotzdem hätte er sich melden und mir Bescheid geben können, dass er vorbeikommen würde und scheinbar irgendetwas vorhatte. Weil ich keine Lust hatte, nach seiner Pfeife zu tanzen, beschloss ich, zurück in mein Zimmer zu gehen und mich einfach wieder hinzulegen.

„Ich hoffe, du bist auf dem Weg ins Bad“, rief mir Fynn hinterher, als ich den Flur betrat.

Ich zeigte ihm den Mittelfinger, gähnte und antwortete mit einem schlichten „Bett.“

„Wage es ja nicht, Manta. Ich werde dich aus deinem Zimmer zerren und dich unter die Dusche stellen, wenn es sein muss!“

Da ich seiner Drohung keinen Glauben schenkte, verschwand ich in meinem Zimmer. Ein blöder Fehler, denn bevor ich mich auf meine Matratze fallen lassen konnte, packten mich zwei starke Arme und trugen mich auf die andere Seite des Flurs, ins Badezimmer.

Ich versuchte mich aus der unfreiwilligen Umarmung zu lösen, allerdings ohne Erfolg. Fynn war viel stärker als ich und ich war noch zu müde, um mich wirklich zu wehren. Erst als meine Kleidung von eiskaltem Wasser durchtränkt wurde, realisierte ich meine Situation. Fynn hatte sich mit mir im Arm einfach in unsere Dusche gestellt und hielt mich unter den Wasserstrahl, der wie tausend kleine Nadelstiche hemmungslos auf mich niederprasselte.

Erschrocken riss ich die Augen auf, schrie und wand mich. Ich verschluckte Wasser und hustete es wieder aus. Fynn lachte und ließ mich erst los, als ich klitschnass und zitternd in seinen Armen lag. Ich presste meinen Körper an seinen, auf der Suche nach einer kleinen Wärmequelle. Sofort verspannte er sich. Er umfasste meine Schultern, hielt mich eine Armlänge von sich entfernt und sah mir tief in die Augen. Es wirkte, als würde ein Sturm in dem klaren Blau toben. Ich war so fasziniert davon, dass ich gar nicht bemerkte, wie Fynns Gesicht immer näher kam. Plötzlich stand mein ganzer Körper unter Strom und das nicht von der Kälte. Meine Schultern kribbelten angenehm unter seiner Berührung.

Das klirrende Geräusch von zerbrechendem Geschirr riss uns beide aus der Starre. Er ließ mich abrupt los und schüttelte kaum merklich den Kopf, bevor er aus der Duschkabine stürmte. An der Tür blieb er kurz stehen und sah mich noch einmal eindringlich an.

„Mach dich fertig“, sagte er mit belegter Stimme, dann verschwand er und knallte die Tür hinter sich zu.

Was zur Hölle war das?

Nachdem mein rasendes Herz und meine zittrigen Knie sich etwas beruhigt hatten, duschte ich ausgelassen und vor allem warm. Ich streifte mir gerade eine dunkle Jeans über die Hüften, als die Tür zu meinem Zimmer aufgestoßen wurde. Mein Oberkörper war nur von einem blauen BH bedeckt. Ich wollte gerade panisch nach einem Handtuch greifen, als ich Tabbi im Türrahmen erblickte.

„Sorry“, sagte sie lächelnd. „Ich wollte dich nicht erschrecken.“

Erleichtert ließ ich die angehaltene Luft entweichen. „Schon gut. Komm ruhig rein.“

Sie schloss die Tür hinter sich. „Wenn die Jungs hier sind, sollten wir eventuell lieber abschließen.“

„Gute Idee“, pflichtete ich ihr bei und hielt ihr fragend zwei Oberteile entgegen.

„Ich würde das weiße Shirt nehmen und einen braunen Cardigan darüber tragen. Der würde zu deinen Boots passen.“

„Gut.“ Ich schnappte mir meine Kulturtasche und pinselte mein Gesicht an, wobei ich vor allem versuchte, meine Augenringe zu verbergen. „Sag mal, wo steckt Luzie eigentlich?“

„Nachdem sie mich geweckt hat, ist sie sofort geflüchtet. Sie wusste, dass du ihr den Kopf abreißen würdest.“

„Sie weiß aber schon, dass sie hier wohnt und mir nicht entkommt, oder?“

Tabbi lachte. „Ich denke, so weit hat sie nicht gedacht.“

Als ich eine halbe Stunde später den Föhn abschaltete, klopfte es an der Tür.

„Seid ihr jetzt mal bald fertig? Ihr könnt euch das Auftakeln sparen. Ihr seht so oder so scheiße aus“, vernahmen wir Fynns Stimme durch das Holz.

„Wow, der weiß, wie man einem die Laune verdirbt.“ Tabbi funkelte die Tür wütend an.

„Sag mir bitte, dass du mitkommst“, flehte ich meine Mitbewohnerin an.

„Das war der Plan. Ich lass dich doch nicht mit diesem Idioten allein.“ Sie zwinkerte mir aufmunternd zu.

Ich nahm sie in die Arme und drückte sie ganz fest. „Ich liebe dich.“

„Kommt ihr jetzt!“

Stöhnend trennten wir uns voneinander. Tabbi sperrte die Tür auf und ein ungeduldiger Fynn starrte uns aus zusammengekniffenen Augen heraus an.

„Na endlich.“

Er drehte sich um und marschierte zurück ins Wohnzimmer. Ryan stand bereits, als wir in den Raum traten. Als er mich sah, strahlte er mich an. „Du siehst hübsch aus, Sam“, sagte er freundlich und nahm mich in die Arme.

„Danke.“ Ich löste mich aus seiner Umarmung. Sofort fiel sein Blick auf Tabbi, die verlegen auf ihre Schuhe starrte. Wer konnte es ihr verübeln? Ryan war ein sehr hübscher Mann und wenn er einen so anstrahlte, machte ihn das fast unwiderstehlich.

„Hi. Du bist Tabbi, richtig?“, wandte er sich an meine Mitbewohnerin.

„Ja“, antwortete sie schüchtern.

„Ich bin Ryan. Sorry, beim letzten Mal konnte ich mich gar nicht richtig vorstellen und eben hatte ich eher das Gefühl, dass du mit der Kaffeemaschine allein sein wolltest.“

Tabbis Wangen wurden rot und ich musste mir ein Kichern verkneifen. Sie war selten so befangen. Eigentlich war sie sehr sachlich und hatte immer einen Spruch auf Lager, aber bei Ryan schien ihr Gehirn auszusetzen.

„Können wir?“, warf Fynn genervt in den Raum.

Ryan lachte. „Kumpel, mach dich mal locker.“ Er stellte sich zwischen mich und Tabbi und legte jeder von uns einen Arm um die Schulter. Fynn starrte Ryan finster an, dieser zuckte nur erheitert mit den Schultern. Misstrauisch betrachtete ich den Schlagabtausch, den sich die Jungs mit ihren Blicken lieferten, bis Fynn ohne ein weiteres Wort im Hausflur verschwand. Ryan schüttelte belustigt den Kopf und schob uns hinter seinem Kumpel her.

Tabbi und ich setzten uns auf die Rückbank des Golfs und tauschten einen misstrauischen Blick. „Wo wollen wir eigentlich hin?“, fragte Tabbi vorsichtig.

„Überraschung“, antwortete Fynn knapp und fädelte sich in den Verkehr ein.

„Keine Panik. Der Ausflug wird lustig.“ Ryan zwinkerte ihr zu und sofort wurde Tabbi wieder rot.

***

Nach einer Stunde auf der Autobahn nahm Fynn die Abfahrt und lenkte den Wagen zielstrebig durch den Verkehr. Ein paar Minuten später stellte er das Auto auf einem Parkplatz ab.

„Wir sind da“, verkündete er und wir stiegen aus. Wo wir genau waren, wusste ich nicht.

Fynn zündete sich eine Zigarette an, während ich die Umgebung genauer begutachtete. Gegenüber vom Parkplatz war ein Park. Die Bäume hatten sich noch nicht ganz von dem letzten Winter erholt, aber die Beete strahlten von den vielen Blumen, die zum Frühlingsbeginn ihr Leben wiederfanden. Es war angenehm warm und ich beschloss, meinen Cardigan im Auto zu lassen. Ryan ging voran und wir folgten ihm durch die Parkanlage.

„Was genau haben wir denn nun vor, Jungs?“, fragte ich neugierig.

„Das seht ihr schon gleich“, rief uns Fynn zu, ohne eine weitere Erklärung und ohne uns eines Blickes zu würdigen. Ryan war da freundlicher. Er drehte sich um und lief rückwärts neben Fynn her.

„Lasst euch überraschen.“

Zum wiederholten Mal ging ich im Kopf die Liste durch, aber von „Verlauf dich irgendwo im Nirgendwo“ stand nichts darauf.

Wir gingen eine ellenlange, von Bäumen und Blumen bewachsene Allee entlang. Die Vögel sangen, das Lachen von spielenden Kindern war zu hören und viele Pärchen hatten sich für einen Spaziergang in den Park verirrt.

Fynn drückte seine Zigarette aus und warf den Rest in einen Mülleimer am Wegrand. Er deutete auf ein großes Gebäude am Ende des Weges und grinste mich an.

„Da wollen wir hin“, sagte er und wandte sich wieder dem Weg zu.

„Ist das ein Museum?“, fragte Tabbi aufgeregt. Sie war ein absoluter Fan von Geschichte, egal ob aus unserem eigenen Land oder einem anderen Kontinent. Ich fand Museen auch interessant, bevorzugte jedoch immer eher die Kunstgalerien. Aber dort eine meiner Freundinnen reinzubekommen, war praktisch unmöglich.

„Was machen wir in einem Archäologischen Museum?“, fragte ich und schloss zu den Jungs auf. Ich ahnte Böses und mir wurde ein wenig flau im Magen, da ich mich dunkel dran erinnerte, irgendetwas im Zusammenhang mit einem Museum auf der Liste gelesen zu haben.

„Punkt drei“, antwortete Fynn knapp und lief voraus.

Am Schalter holten Fynn und Ryan für uns die Eintrittskarten. Der Eingangsbereich war riesig. Zwei große Steintreppen führten rechts und links in die obere Etage. In dem Bogen, den die beiden Treppen bildeten, stand eine weiße Skulptur einer Frau, die einen Krug leerte. Davor befand sich eine dunkelbraune Bank. Ich betrachtete alles ganz genau, während Tabbi aufgeregt neben mir auf und ab hüpfte.

„Ist das nicht toll hier?“ Sie strahlte so fröhlich, dass ich lächeln musste.

„Bleib cool. Es ist nur ein Museum“, sagte ich lässig, musste Tabbi aber recht geben. Das war mehr als toll. Ich war das letzte Mal in meiner Kindheit in einem Museum gewesen und meine Erinnerungen daran waren ziemlich verblasst. Bei den meisten wusste ich nicht mehr, ob sie wirklich von mir selbst stammten oder ich mir alles nur im Zusammenhang mit irgendwelchen Bildern bei Google oder durch Filme wie Nachts im Museum zusammenspann. Aber ich wusste noch genau, wie es sich angefühlt hatte. Ruhig, friedlich und trotzdem voller Leben. Ich war so aufgeregt, etwas über unsere Abstammung und diese Welt zu erfahren. Ich fragte mich, wann ich aufgehört hatte, so zu fühlen.

„So, Ladys. Hier sind eure Tickets“, unterbrach Ryan meine Gedanken.

„Danke“, quietschte Tabbi, woraufhin sich einige Besucher zu uns umdrehten.

Ryan lachte. Fynn schüttelte den Kopf.

„Können wir?“, fragte er ungeduldig und nahm die ersten Stufen der Steintreppe. Wir folgten ihm. Ein Gang führte in einen Raum, in dem die Entstehung der Erde aufgebaut war. Mehrere kleine Filme und dazugehörige Bilder zeigten die einzelnen Schritte, von denen man annahm, dass sie so geschehen sein mussten. Niemand konnte wissen, wie die Erde tatsächlich entstanden war. Es gab Theorien und die wurden durch bestimmte Beweise gestützt.

Während ich fasziniert auf die bewegten Bilder starrte, wirkte Fynn gelangweilt. Er positionierte sich am Ende des Raumes und lehnte neben der Tür zum nächsten Raum an der Wand.

„Schau mal, Sam.“ Aufgeregt zog Tabbi mich hinter sich her und zeigte mir eine Nachbildung des Sonnensystems. Ryan lachte über ihren Enthusiasmus, was sie nicht im Geringsten störte.

Wir ließen den Raum hinter uns und landeten bei der Entstehungsgeschichte der Menschheit. Eine Abbildung zeigte die Entwicklung vom Affen zum Homo Sapiens. Wir gingen weiter und kamen an mehreren Vitrinen mit für die Steinzeit typischen Werkzeugen vorbei. Neben einer Figur eines Höhlenmenschen blieb Fynn stehen und grinste mich an. Sofort hatte ich ein ungutes Gefühl.

„Warum grinst du so?“, fragte ich alarmiert.

„Es wird Zeit für ein paar Fotos. Findest du nicht auch, Ryan?“

Oh Gott, bitte nicht jetzt schon. Misstrauisch blickte ich zu Ryan, der bereits sein Handy in der Hand hielt.

„Ja, ich denke, das geht für den Anfang“, stimmte er zu und ging ein paar Schritte zurück, um die Figur komplett auf das Bild zu bekommen.

„Du machst Fotos?“, fragte ich und tat so, als wüsste ich nicht längst, worauf sie hinauswollten.

„Ja, aber nicht von den Ausstellungsstücken. Zumindest nicht nur“, antwortete Ryan lächelnd.

„Da fehlt noch eine Person auf dem Bild“, wandte sich Fynn an mich. Dabei lächelte er so amüsiert, dass sich kleine Grübchen in seine Wangen bohrten. „Punkt drei: Ahme in einem Museum die Ausstellungsstücke nach. Fotos gehören natürlich dazu.“

„Auf gar keinen Fall“, schoss es sofort aus mir heraus. Das würde bedeuten, mich vor allen anderen Besuchern lächerlich zu machen und ich war nicht bereit dazu. Ich würde vermutlich auch nie bereit dazu sein. Ich wollte nicht ausgelacht werden. Nicht noch mal.

„Komm schon, Manta. Es steht auf der Liste und es ist nun wirklich kein großes Ding“, redete Fynn auf mich ein. Er verdrehte die Augen und sah hilfesuchend zu Ryan. Der zuckte allerdings nur mit den Achseln.

„Ich mach das nicht“, stellte ich mit zitternder Stimme fest.

„Doch, Manta. Das wirst du, denn nur deswegen sind wir hergefahren“, fuhr Fynn mich an. Ich zuckte erschrocken über seinen harten Tonfall zusammen.

„Fynn!“, sagte Ryan warnend.

Er sah mich einen Moment eindringlich an, bevor er resigniert den Kopf schüttelte. „Okay, ich mache es dir vor.“ Ohne weitere Umschweife stellte Fynn sich neben die Figur und ahmte ihre Pose nach. Die Knie leicht eingeknickt, hielt er einen imaginären Schläger in der Hand und verzog sein Gesicht so, dass er tatsächlich leichte Ähnlichkeit mit dem Ausstellungsstück aufwies. Es sah lustig aus und ich schmunzelte, aber als ich die Blicke der anderen Besucher auf uns spürte, war mir sofort unwohl. Fynn störte sich nicht daran. Er machte seine Posen und begann sogar zu stöhnen und zu grunzen, was ihm verärgertes Kopfschütteln einiger älterer Ehepaare einbrachte.

„Komm her, Manta. Du bist dran.“ Er winkte mich zu sich, doch ich wich zurück. Tabbi legte mir beruhigend eine Hand auf die Schulter. Ich schüttelte kaum merklich den Kopf.

„Vielleicht sollten wir erst einmal weitergehen“, schlug Tabbi vor. Ich wusste, dass sie es gut meinte, aber dieser Trip hatte sich innerhalb von zwei Minuten in einen Albtraum verwandelt und weiterzugehen, bedeutete nur, noch mehr solcher Situationen ausgesetzt zu werden. Meine Hände wurden feucht und ich rieb sie aneinander, um die Nervosität unter Kontrolle zu bekommen.

Tabbi stellte sich vor mich und griff nach meinen Händen. „Wir sind nicht mehr in der Schule, Sam. Alles ist gut. Ich bin hier.“

„Alles okay bei euch?“, fragte Ryan, doch wir beachteten ihn nicht.

„Okay?“ Tabbi beobachtete mich ganz genau, wartete, bis meine Atmung sich einigermaßen beruhigt hatte, und wandte sich dann wieder an die Jungs: „Wir sollten erst mal weitergehen.“ Damit zog sie mich an den anderen vorbei in den nächsten Raum. Mir entging der besorgte Blickkontakt zwischen den Jungs nicht, trotzdem folgten sie uns, ohne meine plötzliche Panikattacke zu hinterfragen.

Die nächsten Gänge wurden nur mehr zum Spießrutenlauf. Fynn stellte sich neben jede Figur und ahmte deren Positionen nach. Immer wieder wurde er schief angesehen, aber als ein paar Mädchen in meinem Alter anfingen zu lachen, war für mich alles vorbei. Ohne groß darüber nachzudenken, rannte ich auf die Toilette und hörte Tabbis Schuhe über den Boden donnern, als sie mir hinterhereilte.

„Sam, warte!“, rief sie mir nach.

Ich stieß die Tür auf und stemmte mich gegen eines der Waschbecken. Tränen brannten in meinen Augen, meine Wangen waren heiß und vermutlich knallrot. Ich wollte nicht in den Spiegel sehen. Ich wusste, wie ich aussah. In dieser Verfassung hatte ich mich zu oft gesehen.

„Sam.“ Tabbi legte mir eine Hand auf meine Schulter und drückte sie kurz. „Was ist los?“

„Das weißt du“, antwortete ich und unterdrückte ein Schluchzen.

Sie zog ein Papiertuch aus dem Spender neben dem Waschbecken, reichte es mir und sah mich besorgt an. „Du darfst das nicht mehr dein Leben bestimmen lassen, Sam.“

„Du hast leicht reden“, sagte ich schnippisch und griff nach dem Tuch.

„Sam, ich weiß nie, was ich sagen soll. Ich möchte dich wirklich trösten, aber du blockierst dich selbst“, sagte sie sanft. Als ich nichts erwiderte, seufzte sie gequält. „Die Jungs machen sich Sorgen um dich.“

„Ja, klar.“

„Ich meine es ernst. Sie stehen vor der Tür und warten auf uns.“ Sie machte eine kurze Pause, hob mein Gesicht mit ihren schmalen Fingern an und sah mir direkt in die Augen. „Weißt du noch, was ich dir damals gesagt habe? Nachdem ich dich in der Sporthalle gefunden habe, meine ich.“

Ich nickte. Sie hatte mir gut zugesprochen und mir gesagt, dass es nur ein kleiner Moment sei, der genauso schnell verwand, wie er gekommen war. Damals lag Tabbi allerdings falsch. Es war nicht nur ein Moment, es waren Monate und die hatten mich ziemlich kaputt gemacht.

„Wenn wir da wieder rausgehen wollen, müssen wir dein Make-up in Ordnung bringen. Sonst stellen die Jungs nur noch mehr Fragen“, flüsterte sie mir sanft zu. Sie holte ihre Wimperntusche aus der Tasche und entfernte mit einem Tuch die verlaufene Farbe aus meinem Gesicht, bevor ich mich erneut zurechtmachte.

„Du weißt, dass sie so oder so Fragen stellen werden, oder?“

Ich nickte erneut. „Ja, ich weiß. Und ich wäre dir dankbar, wenn du sie davon abhältst“, flehte ich sie an.

„Natürlich.“

Auf dem Flur wurden wir bereits von Fynn und Ryan erwartet. Ryan wirkte besorgt und Fynn blickte düster drein.

„Entschuldigung“, sagte ich leise.

„Alles okay?“, wollte Ryan wissen.

Ich nickte, merkte aber, dass er mir das nicht abkaufte. Fynn stand immer noch mit dem Rücken an die Wand gelehnt und starrte mich an. Er sah angespannt aus.

„Was ist los?“, presste er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.

„Nichts.“ Ich winkte ab und nickte zurück zum Vorführungsraum.

Tabbi verstand und ging mit Ryan vor. Leider gab das Fynn die Gelegenheit, mich am Handgelenk zu packen und zurückzuziehen.

„Spinnst du? Lass mich los!“, keifte ich ihn an.

„Erst wenn du mir sagst, warum du geweint hast.“

Ich senkte den Blick. „Wer sagt, dass ich geweint habe?“

„Ich habe deine Tränen schon gesehen, bevor du verschwunden bist, also lüg mich nicht an.“ Fynn hatte deutlich Mühe, ruhig zu bleiben. Trotzdem lockerte er seinen Griff leicht. Ich blickte auf und sah in seinen Augen das erste Mal ehrliche Besorgnis funkeln.

„Ich möchte nicht darüber sprechen, Fynn“, sagte ich matt. Mir fehlte einfach die Kraft für eine Argumentation.

Fynn musterte mich eindringlich. Ich konnte seinen Blick nicht deuten, bis er schließlich nickte. „Okay“, gab er nach, fuhr sich durch die Haare und sah Ryan und Tabbi hinterher. „Komm, lass uns diese Aufgabe endlich abhaken. Wir müssen noch Fotos machen.“

Sofort versteifte ich mich, was ihm natürlich nicht entging.

„Ich pass auf dich auf, Sam“, versprach er sanft. Das war das erste Mal, dass er mich bei meinem eigentlichen Namen nannte, und die Art, wie er diese drei Buchstaben aussprach, jagte mir einen kleinen Schauer über den Rücken und gab mir irgendwie … Sicherheit.

Ich ließ mich von ihm weiterziehen. Wir schlossen zu Ryan und Tabbi auf, die mich beide besorgt musterten.

„Wir können gehen, wenn es dir hier nicht gefällt“, wandte sich Ryan besorgt an mich.

„Nein, geht schon“, brachte ich schwach heraus. Fynn hatte recht. Ich musste diese Aufgabe hinter mich bringen.

Als wir in einen Raum kamen, in dem gerade kein anderer war, schnappte sich Fynn meine Hand und zog mich neben eines der Ausstellungsstücke. Es war ein aufrecht stehender Mann, der einen Speer in der Hand hielt und damit auf ein imaginäres Tier zielte.

„Los, das kannst du auch“, meinte Fynn und kam neben mich. Ich sah mich um, doch außer unserer Gruppe war noch immer niemand da.

Ich gab Tabbi seufzend meine Tasche und starrte die Figur an.

„Ich helfe dir.“ Fynn drückte meine Schultern nach vorne, hob meinen rechten Arm und kümmerte sich dann um meine Beinstellung. Ich war zu sehr von dem Kribbeln abgelenkt, das seine Finger auf mir hinterließen, als dass ich mich um etwas anderes hätte kümmern können. Ich wagte einen Blick auf den vor mir knienden Fynn, der mir ein aufmunterndes Lächeln schenkte.

„Das sieht gut aus“, feuerte Tabbi mich an.

„Du machst das toll“, stimmte auch Ryan mit ein.

Fynn erhob sich und ging ein paar Schritte zur Seite, um sein Werk zu begutachten. Er nickte Ryan zu und in dem Moment, als ich den Kopf zu ihm drehte, blitzte sein Handy auf.

Sofort verließ ich meine Pose und stellte mich neben Ryan. „Jetzt habe ich bestimmt blöd geguckt“, nörgelte ich.

Ryan zeigte mir das Foto. Ich hatte mit einer hässlichen Grimasse meinerseits gerechnet, aber ich lächelte auf dem Bild und das brachte mich zum Grinsen, denn es sah gleichermaßen bescheuert und lustig aus.

„Schon viel besser“, murmelte Fynn hinter mir. Ich spürte, wie ich rot wurde, und sah schnell zu Boden.

Der restliche Tag verlief daraufhin besser. In den anderen Räumen stießen wir zwar immer mal auf Besucher, aber nach einer gewissen Zeit war mir egal, was sie von mir hielten. Das war zum Großteil Fynns Verdienst. Jeder, der eine blöde Bemerkung zu meinen seltsam aussehenden Posen machte, bekam sofort einen Spruch von ihm gedrückt, woraufhin sich die Leute schnell von uns abwandten. Er hielt sein Versprechen und das nahm mir meine Angst. Teilweise posten wir sogar zusammen.

„Warum magst du Museen?“, wollte Fynn wissen, als wir etwas später eine kleine Pause von unserem Fotoshooting einlegten. Tabbi und Ryan mussten zur Toilette und wir warteten auf sie.

„Weil sie Geschichte lebendig machen“, antwortete ich sofort.

„Das machen Bücher auch.“

„Das stimmt, aber ein Museum ist trotzdem etwas anderes. Wenn ich hier bin, habe ich das Gefühl, die Geschichten würden zum Leben erweckt werden. Es ist gleichermaßen beängstigend und beeindruckend, wie wir uns entwickelt haben. Es ist interessant zu wissen, was vor uns war.“ Ich machte eine Pause und sah mich noch einmal genau um. Je mehr ich darüber nachdachte, desto deutlicher wurde mir bewusst, dass ich es vermisst hatte, in ein Museum zu gehen. Ich konnte zwar in Büchern über alle möglichen Dinge lesen, aber sie vor Augen zu sehen, war einfach etwas anderes. „Außerdem versprüht dieser Ort einen Zauber. Er hat etwas Magisches und …“ Ich verstummte, als ich Fynns Gesichtsausdruck sah. Irgendwie schien er fasziniert von meinen Worten und sein Blick klebte an meinen Lippen, als wollte er kein einziges Wort verpassen. Ich schluckte. „Ist auch egal“, beendete ich meine Erklärung.

„Ich verstehe, was du meinst“, sagte er nach einer Weile.

Irritiert sah ich ihn an, doch bevor ich fragen konnte, was er damit meinte, kamen Ryan und Tabbi zurück.

„Wollen wir weiter?“ Tabbi sah mich erwartungsvoll an.

„Ja, lasst uns den Rest angucken.“

Und das taten wir. Fynn hatte sich am Ende unseres Ausfluges von mir distanziert. Er hatte nicht mehr darauf bestanden, weitere Fotos zu machen, und hielt sich auch mit seinen Kommentaren zurück.

Auf dem Rückweg im Auto sprachen Fynn und ich nicht. Tabbi fasste unseren Ausflug noch einmal zusammen, bevor sie einschlief. Auch Ryan schien seiner Müdigkeit nachgegeben zu haben. Fynn machte die Musik ein wenig leiser, um die beiden nicht zu stören, und erwischte mich dabei, wie ich leise mitsang. Ich spürte seinen Blick auf mir und bemerkte aus den Augenwinkeln sein Schmunzeln, doch als ich mich ihm zuwandte, war das alles verschwunden und er starrte auf die Straße.

Es war erst eine Woche her, dass ich Sam nach unserem Ausflug zu Hause abgesetzt hatte. Aus irgendeinem Grund schien sie traurig gewesen zu sein und ich konnte mir beim besten Willen nicht vorstellen, was zu ihrem plötzlichen Stimmungsumschwung geführt hatte. Gut, das war gelogen. Ich wusste genau, dass ich schuld daran war. Sie war verunsichert, weil ich mich von ihr distanziert hatte, nachdem wir uns so gut verstanden hatten. Aber genau das war das Problem. Ich wollte mich nicht mit ihr verstehen. Ich wollte sie nicht mögen. Und trotzdem tat ich es und das machte mir Angst.

„Was steht eigentlich als nächstes auf eurer Liste?“, fragte Tommy, der gerade in der Küche beschäftigt war.

„Keine Ahnung. Wir haben noch ein paar Punkte vor uns“, antwortete ich abwesend.

Tommy kam zu mir ins Wohnzimmer. „Was ist los mit dir?“

„Nichts. Was soll schon sein?“

„Das frage ich dich. Laut Ryan habt du und Sam euch toll verstanden und dann auf einmal nicht mehr miteinander geredet“, schimpfte Tommy.

„Wir hatten uns nichts zu sagen“, entgegnete ich resigniert.

„Warum habe ich das Gefühl, dass das nicht wahr ist? Ich glaube, du hast ihr eine Menge zu sagen, aber traust dich nicht“, mutmaßte mein Mitbewohner.

„Blödsinn.“

„Hat es was mit deiner Ex zu tun?“

„Halt sie da raus!“, fuhr ich ihn an. Ich sprang vom Sofa auf und stürmte zu meinem Zimmer. Das hielt Tommy nicht auf. Er rannte mir hinterher.

„Du kannst dich nicht ewig an deine Vergangenheit klammern, Fynn. Sam ist ein nettes Mädchen. Warum gibst du ihr keine Chance?“

„Tue ich doch. Ich helfe ihr bei der verdammten Liste. Reicht das nicht? Was erwartest du denn noch von mir?“

„Dass du ehrlich zu dir bist, Fynn. Ich weiß, dass die Zeit mit Lena hart war. Es war schlimm, als ihr euch getrennt habt, aber du kannst dich nicht ewig hinter diesem Schmerz verstecken.“

„Und warum nicht?“, fuhr ich ihn aufgebracht an. Meine Atmung hatte sich beschleunigt, meine Hände waren zu Fäusten geballt. Er sollte einfach aufhören zu reden!

„Aus irgendeinem Grund bearbeitest du mit Sam diese Liste und das liegt nicht daran, dass Ryan dir sonst was angedroht hat“, sagte Tommy langsam. „Du machst das wegen Sam, richtig?“

„Ja, okay?“, rief ich aufgebracht, bevor ich auch nur über diese Worte nachdenken konnte. „Ich will ihr helfen. Bist du jetzt zufrieden?“

Ich starrte Tommy in Grund und Boden, während ich selbst nur langsam begriff, was ich da gerade gesagt hatte. Verdammt, es war die Wahrheit. Am Anfang war ich wegen Ryan zu ihr gefahren, doch inzwischen wollte und würde ich ihr helfen. Aber … mehr nicht.

„Fynn, sie ist nicht deine Ex“, sagte Tommy ebenso sanft wie einfühlsam.

„Sie ist eine Bekannte und sobald diese Liste abgearbeitet ist, trennen sich unsere Wege wieder“, stellte ich verbissen klar.

„Und das glaubst du wirklich?“

„Ich glaube es nicht, ich weiß es! Und jetzt geh, bitte.“

Ich spürte, dass Tommy weitersprechen wollte, doch ich knallte ihm die Tür vor der Nase zu.

Was Lena mir damals angetan hatte, war die Hölle gewesen und ich hatte mir geschworen, nie wieder jemanden so nah an mich heranzulassen. Aber Sam war gefährlich nah daran, meine Mauern einzureißen. Das musste ich verhindern.