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Der Bergpfarrer
– Box 2 –

E-Book 6-10

Toni Waidacher

Impressum:

Epub-Version © 2019 KELTER MEDIA GmbH & Co. KG, Sonninstraße 24 - 28, 20097 Hamburg. Geschäftsführer: Patrick Melchert

Originalausgabe: © KELTER MEDIA GmbH & Co.KG, Hamburg.

Internet: https://ebooks.kelter.de/

E-mail: info@keltermedia.de

Dargestellte Personen auf den Titelbildern stehen mit dem Roman in keinem Zusammenhang.

ISBN: 978-3-74091-871-2

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Dein Bild in meinem Herzen

…aber auf Liebe darf ich nicht hoffen

Roman von Toni Waidacher

Mit einer wütenden Bewegung führte Robert Demant den Pinsel über das Bild. Es gab ein knirschendes Gräusch, als der Druck seiner Hand die Leinwand zerriß. Noch wütender schlug er mit der Faust darauf und verschmierte die Farben, so daß das Motiv, das zuvor ein Stilleben dargestellt hatte, nun aussah, als wäre es das Experiment eines modernen Künstlers. Dabei stieß er einen gequälten Schrei aus.

Der Maler ließ Pinsel und Palette fallen, und stützte seinen Arm an ein Regal, das an der Wand des Ateliers stand. Dort wurden Töpfe und Tuben mit Farben, Pinsel und Lösungsmittel aufbewahrt. Außerdem stand eine halbvolle Ginflasche darin. Robert nahm die Flasche und schaute sie nachdenklich an. Nein, ging es ihm durch den Kopf, sich zu betrinken war keine Lösung.

Sein Blick schweifte durch das Atelier. Es war der größte Raum in der Wohnung, die Robert vor mehr als zehn Jahren im Münchener Stadtteil Schwabing gemietet hatte. Sie befand sich im obersten Stock des Hauses. Für den Arbeitsraum hatte der Kunstmaler ein riesiges Fenster in das Dach einbauen lassen, um genügend Licht hereinzulassen. Überall standen Bilder, Leinwände, Rahmen und Staffeleien herum. Es roch nach Farbe und Terpentin, und es war seiner Zugehfrau strengstens verboten, das Atelier, außer zum Fensterputzen, zu betreten. Robert war der einzige, der sich in diesem Chaos auskannte.

Nun sah er sich um und dachte darüber nach, was mit ihm geschehen war.

Robert Demant galt seit Jahren als der führende malende Künstler. Nur zu gut erinnerte er sich an die Zeit davor. Mit Aufträgen von Banken und Versicherungen, die irgendwelche Bilder für ihre »Paläste« kauften, hielt er sich über Wasser. Aber, das war nicht das, was er eigentlich malen wollte. Seine Bilder sollten etwas mitteilen, eine Botschaft haben, den Menschen etwas Schönes bieten. Er entwickelte sich vom Expressionisten zum Naturalisten, bildete seine Umwelt naturgetreu in ihrer ganzen Schönheit ab. Offenbar traf er damit den Nerv der Zeit, seine Bilder verkauften sich schneller, als er malen konnte, und Robert war ein begehrter Gast auf allen möglichen Festen und Empfängen.

So ging es eine lange Zeit, doch seit Monaten schon spürte der Maler, daß »die Luft raus war«. Er mußte sich regelrecht dazu zwingen, Pinsel und Palette in die Hände zu nehmen, und mit Sorge beobachtete sein Galerist, wie der Künstler offensichtlich in eine Schaffenskrise geriet. Hinzu kam, daß eine große Ausstellung mit Werken von Robert Demant keinen besonderen Anklang fand. Das Publikum hatte sich anderen Stilrichtungen zugewandt, und die Kritiker fanden nur Worte der Häme für den Maler.

Er habe sich nicht weiter entwickelt, hieß es, seine Bilder wirkten auf den Betrachter wie das Spätwerk eines Hobbymalers, und überhaupt sei der Stil, den Robert Demant male, nicht mehr länger gefragt.

All dies führte dazu, daß der Maler sich mehr zurückzog, Einladungen ablehnte und, außer zu seinem Galeristen und der Putzfrau, jeden Kontakt vermied.

Robert wischte sich die Hände an einem alten Lappen ab, dessen ursprüngliche Farbe unter all den Farbtupfen nicht mehr zu erkennen war. Dann verließ er das Atelier und ging hinüber ins Wohnzimmer. Auch hier hingen und standen überall Bilder, Zeichnungen und Skizzen. Robert setzte sich in einen großen, alten Ohrensessel, den er vor Jahren, als er noch nicht so bekannt gewesen war, vom Sperrmüll gerettet hatte. Seither war es sein Lieblingssessel, in den sich außer ihm niemand setzen durfte. Obwohl der Maler inzwischen in der finanziellen Lage gewesen wäre, sich zehn solcher Sessel zu kaufen, mochte er sich doch nicht von dem guten, alten Stück trennen. Es erinnerte ihn immer wieder an die Zeit, als er vor der Frage stand, ob er das wenige Geld, das er hatte, für Farben oder Brot ausgeben sollte. Meistens hatte er sich für die Farben entschieden, denn Robert Demant war ein von seiner Kunst Besessener gewesen, der eher auf Essen verzichten konnte, als auf seine künstlerische Arbeit.

Mein Gott, wie lange war das schon her! Es kam ihm vor, als wäre es in einem anderen Leben gewesen.

Robert erinnerte sich an das letzte Gespräch mit Walter Murrer, dem Mann, dem er so viel zu verdanken hatte. Walters Galerie befand sich nahe dem Stachus in bester Lage. Seine Kunden kamen aus dem Adel und der Hochfinanz. Darunter waren etliche, die es als ihre Pflicht ansahen, junge Künstler als deren Mäzen zu unterstützen. Hatte Walter Murrer einmal einen Maler unter seine Fittiche genommen, so hatte dieser gute Chancen, eines Tages von seiner Kunst leben zu können. Das war auch bei Robert der Fall gewesen. Walter, der immer an ihn geglaubt hatte, vermittelte die Bekanntschaft eines reichen Geschäftsmannes, der den jungen Maler förderte. Damit begann sein Aufstieg.

»Du mußt fort aus München«, hatte Walter bei ihrem letzten Treffen gesagt. »Wann war dein letzter Urlaub? Vor beinahe drei Jahren. Also, setz’ dich in deinen Wagen und fahre irgendwohin. Spanne endlich einmal aus, tanke neue Kraft und komm mit neuen Ideen zurück!«

Warum nicht, dachte Robert. Es wäre wirklich einmal an der Zeit, alles hinter sich zu lassen. Etwas anderes zu sehen, andere Menschen kennenzulernen.

Am besten setzte er die Idee sofort in die Tat um, wenn er noch damit wartete – vielleicht überlegte er es sich dann doch wieder…

*

Sophie Tappert summte leise vor sich hin, während sie mit dem Staubsauger durch das Pfarrbüro fuhrwerkte. Wie alles, was sie tat, verrichtete Sophie auch diese Tätigkeit mit äußerster Sorgfalt. Dabei achtete sie darauf, ja nicht den Stapel Papiere durcheinander zu bringen, den Hochwürden auf seinem Schreibtisch liegen hatte. In der Küche simmerte unterdessen eine kräftige Fleischbrühe auf dem Herd. Frau Tappert warf einen Blick auf die Uhr. Gleich zwölf. Es würde nicht mehr lange dauern, und dann kam Max Trenker zum Essen. Eigentlich müßte er schon in der Tür stehen.

Der Bruder des Geistlichen, und Gendarm in St. Johann, war ein gern gesehener Gast im Pfarrhaus, der die Kochkünste der Haushälterin über alles zu schätzen wußte. Er ließ kaum eine Gelegenheit aus, an den Mahlzeiten teilzunehmen.

Nachdem auch das letzte Staubkörnchen im Sauger verschwunden war, schaltete Sophie Tappert das Gerät ab. Im gleichen Augenblick steckte Sebastian Trenker den Kopf durch die Tür.

»Ist mein Bruder noch net da?« fragte er.

Die Haushälterin hob die Schulter.

»Ich weiß auch net, wo er bleibt. Er müßt’ doch schon da sein.«

»Wie weit sind S’ denn mit dem Essen?« erkundigte Sebastian sich.

»Es ist alles soweit fertig. Bloß anrichten müßt’ ich noch.«

»Gut, dann warten wir halt noch fünf Minuten.«

Maximillian Trenker verspätete sich schließlich um eine geschlagene Viertelstunde. Als er endlich in der Pfarrküche am Tisch saß, machte er einen erschöpften Eindruck. Sophie Tappert hatte vorsorglich die Suppe auf kleiner Flamme gelassen, und füllte die Terrine neu.

»Was hat’s denn gegeben?« wollte Sebastian Trenker wissen.

Sein Bruder sah ihn an und rollte dabei mit den Augen.

»Ich komm’ g’rad vom Moosingerhof. Dem Anton haben’s in der Nacht sein nagelneues Auto gestohlen.«

»Was?« entfuhr es dem Pfarrer. »Schon wieder ein Autodiebstahl in unserer Gegend!«

»Der dritte in vierzehn Tagen, und alles Neuwagen. Der vom Moosinger war erst seit zwei Tagen zugelassen. Da steckt eine ganze Bande dahinter, die die Autos ins Ausland verschiebt. Die Kollegen von der Kripo sind sich da ziemlich sicher.«

»Vielleicht sollten S’ Ihren Wagen net immer hinterm Kirchplatz stehen lassen«, mischte sich Sophie Tappert in das Gespräch. »Eines Tages ist der auch noch verschwunden.«

Pfarrer Trenker besaß tatsächlich ein noch recht neues Auto. Nachdem er jahrelang einem uralten Käfer die Treue gehalten hatte, entschloß er sich doch, schweren Herzens, das alte gegen ein neues, schadstoffarmes Fahrzeug einzutauschen. Hier hatte der Umweltgedanke über die Liebe zu seinem Käfer gesiegt. Ohnehin benutzte Sebastian den Wagen sowieso nur, wenn es unumgänglich war. Meistens bewegte er sich auf Schusters Rappen und wanderte in seinen geliebten Bergen.

»Das glaub’ ich net«, erwiderte Max auf Sophie Tapperts ängstliche Einlassung. »Die Diebe stehlen nur Autos der Luxusklasse. Der vom Moosinger hat mehr als sechzigtausend Mark gekostet.«

»Was, soviel?«

Die Haushälterin war erschüttert. Wie konnte jemand so viel Geld für ein Auto ausgeben?

»Na ja, der hat’s ja auch«, sinnierte sie und deckte den Tisch ab.

Freilich stimmte es. Anton Moosinger war einer der reichsten Bauern in der Gegend um St. Johann. Der Hof war seit Generationen im Familienbesitz, und neben etlichen Hektar Land, gehörten zwei Almwiesen und ein riesiges Waldgebiet dazu. Drei Söhne arbeiteten mit dem Vater zusammen auf dem Hof. Außerdem eine ganze Anzahl Knechte und Mägde, die teilweise schon seit Jahrzehnten zum Moosingerhof gehörten.

»Deswegen darf man ihm aber noch lange net das Auto stehlen«, schüttelte Sebastian Trenker den Kopf. »Wem gehören denn die anderen Fahrzeuge?«

»Der eine war der Wagen vom Dr. Hendrich, dem Kunsthändler aus Garmisch, der andere gehört einem Gast vom Reisinger.«

Dr. Hendrich war ein in Garmisch Partenkirchen ansässiger Kunsthändler, der in der Nähe von St. Johann ein Ferienhaus besaß, in dem er oft und gerne ein paar Tage verbrachte, wenn die Geschäfte es zuließen. Pfarrer Trenker erinnerte sich an einige nette Abende, die er in dem Haus verbracht hatte. Genau wie er auch, so schätzte Dr. Hendrich ebenfalls ein gutes Glas Wein und ein geistvolles Gespräch.

Der Gast vom Hotel »Zum Löwen«, stammte aus dem Rheinland. Er hatte ein paar erholsame Ferienwochen in den Bergen verbringen wollen, die doch so unschön endeten. Wohl oder übel war er gezwungen, mit einem Leihwagen wieder nach Hause zu fahren.

»Natürlich sprangen sofort die Versicherungen ein«, fuhr Max fort. »Aber das entschädigt natürlich net für den ganzen Ärger, den man durch den dreisten Diebstahl hat.«

*

Robert Demant war froh, seinen Urlaub sofort angetreten zu haben. Schon als er in München in den Zug stieg, spürte er ein Gefühl der Entspannung und Erleichterung in seiner Brust.

Viele Sachen hatte er nicht mitgenommen. Lediglich eine Reisetasche befand sich in der Gepäckablage über dem Sitz und ein kleines Köfferchen, in dem Robert ein paar Malutensilien mitnahm. Vielleicht gab es das eine oder andere Motiv, das lohnte, festgehalten zu werden.

Die Fahrt verlief ohne besondere Ereignisse. Von München aus ging es in Richtung Alpen. Der Maler hatte sich auf einen bestimmten Ort festlegen können, und erst die charmante Mitarbeiterin in einem Reisebüro hatte ihm den Hinweis auf ein kleines Dorf in den Bergen gegeben. St. Johann hieß es und war touristisch noch nicht so »heimgesucht« wie andere Orte.

Robert war von der Beschreibung und von dem, was er in einem Prospekt las, angetan und zögerte nicht länger. Jetzt saß er in einem Regionalzug, der scheinbar unendlich langsam durch die kleinen Ortschaften fuhr und an jeder Milchkanne hielt.

Der Maler störte sich nicht daran. Im Gegenteil, er kostete jede Minute der Bahnfahrt aus, schaute dabei aus dem Fenster oder blätterte in den Zeitschriften, die er vor der Abfahrt gekauft hatte.

Schließlich schaute er auf die Uhr. Es war früher Nachmittag. Die übernächste Station war die letzte. Weiter fuhr der Zug nicht. Von dort aus ging ein Bus zu seinem Urlaubsziel. Robert war schon gespannt. Außerdem hatte er noch kein Quartier gebucht. Das hätte die junge Frau im Reisebüro zwar gerne für ihn übernommen, doch der Maler wollte sich erst einmal selbst in St. Johann umsehen. Ob er dann ein Zimmer in einem Hotel nahm, oder in einer kleinen Pension, hing von seiner jeweiligen Laune ab.

Der Zug hielt zum vorletzten Male, und nach kurzer Zeit wurde die Tür des Abteils geöffnet, in dem Robert Demant saß. Bisher hatte er ganz alleine gesessen, nun trat ein junges Madel ein. Es hatte nur eine kleine Tasche als Gepäck. Der Zug ruckelte wieder an.

»Grüß’ Gott«, erwiderte der Mann auf den Gruß der Eintretenden.

Dabei schweifte sein Blick über ihre Gestalt und was er sah, gefiel dem Maler. Ein schlankes, hochgewachsenes Madel mit braunen Augen, das schulterlange Haar hatte die Farbe von Kastanien und in dem aparten Gesicht dominierte ein schwungvolles Lippenpaar.

Die junge Frau setzte sich ihm gegenüber. Sie schien ein wenig außer Atem zu sein.

»Glück gehabt«, sagte sie und holte tief Luft. »Beinah’ hätt’ ich ihn verpaßt.«

Sie lachte herzerfrischend, und Robert konnte nicht anders, als mit einzustimmen.

»Wissen S’, ich war zu Besuch bei einer alten Schulfreundin, und wir hatten uns soviel zu erzählen, daß wir glatt die Zeit vergessen haben.«

»Und einen späteren Zug hätten S’ net nehmen können?« fragte der Maler, dem die offene und freundliche Art der jungen Frau gefiel.

Das Madel schüttelte seinen Kopf.

»Von der Kreisstadt muß ich mit dem Bus weiter, und der fährt um Viertel vor fünf. Das ist der letzte. Wenn ich den verschwitze, kann ich zu Fuß nach St. Johann laufen.«

Robert horchte auf.

»Nach St. Johann wollen S’?«

»Ja«, nickte sie. »Sie etwa auch?«

»Ich mache Urlaub dort«, antwortete er und stellte sich dann vor. »Ich heiße übrigens Robert Demant.«

»Katharina Lehmbacher.«

»Wohnen Sie dort?«

»Inzwischen ja. Ursprünglich stamm’ ich aus Engelsbach. Aber seit einem halben Jahr wohne ich in St. Johann. Ich arbeite als Saaltochter im Hotel ›Zum Löwen‹. Werden S’ denn bei uns wohnen?«

Robert zuckte die Schulter.

»Ich weiß noch net. Mal schau’n, wie’s mir überhaupt dort gefällt.«

Katharina hob den Kopf.

»Toll wird’s Ihnen gefallen. Das kann ich jetzt schon sagen«, erwiderte sie im Brustton der Überzeugung.

Der Maler schmunzelte.

»Sie scheinen ja wirklich überzeugt zu sein.«

»Also, ich hab’ bis jetzt nur nette Menschen dort kennengelernt«, antwortete die junge Frau. »Außerdem ist es ein ruhiges und beschauliches Dorf.«

»Sie machen mich wirklich neugierig.«

Der Zug lief in den Bahnhof der Kreisstadt ein. Die beiden Reisenden machten sich für den Ausstieg bereit.

»Kommen S’, der Bus fährt von dort drüben«, sagte Katharina, als sie auf dem Bahnsteig standen.

Die Rückbank war noch frei und bot genügend Platz für Menschen und Gepäck. Sie setzten sich, während der Fahrt wurde Katharina Lehmbacher nicht müde, die Vorzüge von St. Johann und seiner Bewohner aufzuführen. Außerdem schwärmte sie von dem Hotel, in dem sie arbeitete, daß Robert gar nicht anders konnte, als zu erklären, daß er dort absteigen werde.

Freilich hatte es noch einen anderen Grund – der Maler spürte, daß das Madel eine Saite in ihm zum Klingen gebracht hatte. Er fühlte sich zu ihm hingezogen. Diese herzerfrischende offene Art – wie lange hatte er sie bei einem Menschen nicht mehr gefunden! Robert wollte unbedingt dort sein, wo er Katharina in seiner Nähe wußte.

Wenn es nach ihm gegangen wäre, dann hätte die Fahrt noch Stunden dauern können, doch der Bus hielt nach knapp dreißig Minuten an der Haltestelle gegenüber vom Hotel.

»Wissen S’ denn, ob noch ein Zimmer frei ist?« wollte Robert wissen.

Plötzlich hatte er Angst bekommen, das Hotel könne ausgebucht sein.

»Ganz bestimmt«, beruhigte sie ihn. »Die Saison hat ja noch net begonnen.«

*

Wie das junge Madel es gesagt hatte, war es überhaupt kein Problem, ein Zimmer zu bekommen.

»Wie lang’ möchten S’ denn bleiben?« erkundigte sich Sepp Reisinger.

Robert überlegte. Darüber hatte er sich noch gar keine Gedanken gemacht. Eine Woche? Oder zwei?

»Wissen S’ was, nehmen S’ erst mal eine Woch’«, schlug der Wirt vor. »Wenn S’ dann noch bleiben wollen, verlängern S’ eben.«

Damit war der Maler einverstanden. Er bezog ein geräumiges Einzelzimmer, das mehr als komfortabel eingerichtet war. Vom Fenster hatte er einen herrlichen Blick auf die Almwiesen und Berge. Zwei imposante Gipfel dominierten das Bild, deren schneebedeckte Spitzen hoch in den blauen Himmel ragten.

Robert packte seine Reisetasche aus und erfrischte sich im Bad. Dann ging er hinunter ins Restaurant. Er hatte zuletzt am Mittag ein belegtes Brot gegessen und bekam langsam Hunger. Er war froh darüber, wieder Appetit zu haben. In den letzten Wochen hatte er sich regelrecht dazu zwingen müssen, etwas zu essen. Es war eben zuviel gewesen, was da auf ihn einstürmte, doch er glaubte fest daran, daß dieser Urlaub ihm half, die Krise zu überwinden.

Hatte er geglaubt, Katharina Lehmbacher schon heute abend wiederzusehen, so wurde er enttäuscht. Natürlich, fiel es ihm ein, nachdem er vergeblich nach ihr Ausschau gehalten hatte, es war ja ihr freier Tag, da würde sie nicht am Abend im Hotel sein.

Das junge Madel hatte sich lächelnd von ihm verabschiedet, nachdem sie aus dem Bus gestiegen waren.

»Auf Wiedersehen, Herr Demant, ich hoffe, Sie werden sich im Löwen wohl fühlen.«

»Ganz bestimmt«, hatte er geantwortet.

Inzwischen wußte er, daß er gut daran getan hatte, Katharinas Ratschlag, hier im Hotel abzusteigen, zu befolgen. Sepp Reisinger und seine Frau, die Robert ebenfalls kennengelernt hatte, waren freundliche Wirtsleute, und das Personal herzlich und zuvorkommend. Der Maler wählte ein leichtes Fischgericht zum Abendessen und bestellte ein Glas Weißwein dazu. Trotz des regen Abendbetriebs, der im Lokal herrschte, war von Hektik nichts zu spüren. Wie immer hatten Sepp und seine Angestellten alles im Griff, Essen und Getränke wurden prompt serviert.

Früher, als er vor der Frage stand, das wenige Geld, das er besaß für Farben oder Verpflegung auszugeben, hatte Robert nie großen Wert auf das Essen gelegt. Die Nahrungsaufnahme war für ihn ein notwendiges Übel gewesen, zur Aufrechterhaltung der körperlichen Funktionen. Das änderte sich erst mit dem Erfolg, den der Maler mit seinen Bildern hatte. Er lernte den Wert eines guten Essens zu schätzen und nahm sich Zeit, die Mahlzeiten ausgiebig zu genießen. Von dem gebratenen Zander, der auf einem Gemüsebett serviert wurde, war er geradezu begeistert und er bestellte einen weiteren Schoppen von dem leichten Weißwein.

Später saß er am offenen Fenster seines Zimmers und sah in die anbrechende Nacht hinaus. Die beiden Gipfel, es waren der Himmelsspitz und die Wintermaid, wie er inzwischen aus dem Hausprospekt erfahren hatte, konnte er nun nicht mehr erkennen. Allerdings hätte er dafür auch gar kein Auge gehabt, denn vor ihm in der Dunkelheit stand ein anderes Bild – das jener jungen Frau, die er am Nachmittag kennengelernt hatte.

Robert Demant konnte es sich so genau in Erinnerung rufen, als stände sie direkt vor ihm. Jede Einzelheit ihres Gesichts sah er – die braunen Augen, das kecke, kleine Näschen und die geschwungenen Lippen. Und er spürte eine tiefe Sehnsucht, diese Lippen zu küssen…

Diese Gefühle, bei denen er sich jetzt ertappte, waren tiefer, als er es jemals für eine Frau empfunden hatte.

Sein Beruf hatte es mit sich gebracht, daß Robert viele Frauen kennenlernte. Für ein paar von ihnen hatte der gutaussehende Mittdreißiger durchaus Interesse gezeigt, doch zu mehr als ein paar lockeren Verbindungen war es nie gekommen. Der Maler liebte seine Freiheit über alles und fürchtete, in seinem Schaffen eingeengt zu werden, sobald er sich zu sehr an einen anderen Menschen fesseln lassen würde.

Doch jetzt merkte er, daß dieser Freiheitsdrang gar nicht mehr so stark vorhanden war. Beinahe ungläubig gestand er sich ein, daß Katharina Lehmbacher ihm mehr bedeutete, als er bis jetzt geahnt hatte.

*

Wolfgang Lehmbacher blätterte in der Tageszeitung. Als er auf den Anzeigenteil stieß, schlug er die Seite interessiert auf. In Gedanken zählte er die paar Mark durch, die er noch in seiner Geldbörse hatte. Viel war es wirklich nicht, aber für das Bier und die Würste, die er bestellt hatte, würde es noch reichen.

Hoffnungsvoll las er die Anzeigen mit den Stellenangeboten durch. Er mußte unbedingt Arbeit finden. Das Geld war das letzte, und zu Kathie konnte er nicht schon wieder gehen. Er schuldete ihr ohnehin noch vierhundert Mark vom letzten Monat.

In der verräucherten Kneipe in Waldeck saßen nur wenige Gäste. Der Wirt lehnte müde hinter dem Tresen, während seine Frau in der Küche die bestellten Würstchen heiß machte. Wolfgang Lehmbacher ging jede Annonce durch. Alle möglichen Arbeiten wurden angeboten, doch für einen jungen Mann mit abgebrochenem BWL-Studium war nichts darunter. Der Wirt brachte die Würstchen, die lieblos neben einer trockenen Scheibe Brot und einem sparsamen Klecks Senf auf dem Teller lagen.

Wolfgang verzichtete auf das Besteck und aß gleich aus der Hand. Dabei las er weiter.

Da – diese Anzeige! Das konnte etwas sein.

»Junger Mann mit Führerschein Kl. 3, gesucht«, stand dort zu lesen. Es wurde viel Geld für eine leichte Tätigkeit geboten. Darunter stand eine Telefonnummer, hier aus Waldeck.

Wolfgang aß schnell auf und bezahlte. Dann fragte er nach einem Telefon. Zwar besaß er ein Handy, aber da er seit zwei Monaten die Rechnung nicht bezahlt hatte, war der Anschluß gesperrt worden. Der Wirt reichte ihm das Telefon, ein uralter schwarzer Apparat, der noch eine Wählscheibe besaß.

»Macht fünfzig Pfennig, die Einheit«, sagte er.

Wolfgang nickte und wählte die angegebene Nummer.

Nachdem es einige Male geläutet hatte, meldete sich eine männliche Stimme am anderen Ende der Leitung.

»Grüß’ Gott. Entschuldigen S’ die späte Störung«, sagte der junge Mann. »Ich hab’ da g’rad’ Ihre Anzeige gelesen und wollt’ mal fragen, ob die Stelle noch frei ist?«

»Freilich«, antwortete der Mann. »Wenn S’ wollen, können S’ noch heut’ abend anfangen.«

»Um was für eine Tätigkeit handelt es sich denn?«

»Das besprechen wir am besten, wenn S’ hier sind.«

Er nannte die Adresse.

»Wissen S’, wo das ist?«

Wolfgang bestätigte, sich auszukennen und hängte ein.

Er konnte sein Glück kaum fassen. Noch vor ein paar Minuten hatte er nicht gewußt, ob er so bald wieder warme Würstchen essen würde, und nun hatte er plötzlich eine neue Arbeitsstelle.

Wieviel sie wohl bezahlten? Hielten die Leute, was sie da in der Anzeige versprachen, oder war es nur Lockangebot? Nun, in ein paar Minuten würde er mehr wissen.

*

Die Adresse war eine noble Villa am Rande von Waldeck. Sie war von einer mannshohen Mauer umgeben, und neben der Toreinfahrt war eine Klingel mit Gegensprechanlage angebracht. Wolfgang drückte den Knopf und nannte seinen Namen, als dieselbe Stimme, wie eben am Telefon, fragte, wer da sei. Ein Summen zeigte an, daß er die Tür aufdrücken konnte.

Über einen sorgsam geharkten Kiesweg gelangte der Besucher zum Haus mit noblem gelbem Putz. Der Weg wurde alle paar Meter mit Laternen beleuchtet, irgendwo plätscherte ein Brunnen. Wolfgang hielt unwillkürlich die Luft an. Arm waren die Leute, die hier wohnten, gewiß nicht. Der Garten ließ erahnen, daß da ein richtiger Gärtner seine Arbeit verrichtete. Rechts von der Villa befanden sich zwei weitere Gebäude, die aber weitgehend im Dunkeln lagen.

Noch bevor er die Haustür erreichte, wurde sie geöffnet und eine Frau stand im Lichtschein, der nach außen drang.

»Guten Abend, Herr Lehmbacher, mein Name ist Krammler. Mein Mann erwartet Sie in seinem Arbeitszimmer.«

Wolfgang nahm die dargebotene Hand. Frau Krammler war kaum älter als seine Schwester Kathie. Sie wirkte elegant. Mit einem Lächeln führte sie den Besucher durch die Eingangshalle zum Arbeitszimmer ihres Mannes.

Justus Krammler war weitaus älter, als seine Frau. Er saß behäbig hinter seinem Schreibtisch und sah kaum von dem Stapel Papiere auf, den er in den Händen hielt. In seinem Mundwinkel qualmte eine Zigarre. Mit einem Kopfnicken winkte er Wolfgang heran.

»Setzen S’ sich«, sagte er und schob eine Zigarrenschachtel herüber. »Bedienen S’ sich.«

»Vielen Dank«, lehnte Wolfgang ab. »Ich bin Nichtraucher.«

»Sehr vernünftig«, meinte der Dicke in seinem Sessel. »Ich kann’s leider net lassen, obwohl mein Arzt immer wieder den Zeigefinger hebt.«

Er warf den Papierstapel beiseite.

»Lassen wir das«, meinte er und sah endlich seinen Besucher direkt an. »Sie sind ja net hergekommen, um meine Krankengeschichte zu hören. Sie wollen einen Job, net wahr?«

»So ist es«, nickte Wolfgang, und überlegte, warum ihm der Mann so unsympathisch war. »Um was für eine Arbeit handelt es sich denn nun?«

Krammler lehnte sich in seinen Sessel zurück und stieß eine graue Rauchwolke aus.

»Folgendes, ich handle mit Autos. Meine Kunden kommen aus dem Ausland. Mal aus Österreich, mal aus Italien, aber überwiegend aus dem östlichen Ausland. Tschechien, Slowenien und Bulgarien. Meine Kunden kaufen auf Empfehlung, das heißt, ich werde ihnen von anderen – zufriedenen – Kunden empfohlen, oder sie ordern ihre neuen Wagen übers Internet. Deshalb suche ich zuverlässige Fahrer, die diese Autos dann überführen.«

Wolfgang hatte schweigend zugehört. Das klang einleuchtend.

»Und wieviel kann man dabei verdienen?« fragte er.

Krammler nahm einen neuen Zug aus der Zigarre und grinste breit.

»Ich zahle für jedes überführte Fahrzeug dreitausend Mark«, antwortete er und grinste noch mehr, als er Wolfgangs überraschtes Gesicht sah. »Plus Spesen für Essen und Trinken, die Rückfahrt mit der Bahn, oder auch für eine Übernachtung, falls sie notwenig sein sollte.«

Dann forderte er den Besucher auf, von sich selber zu erzählen. Wolfgang tat es ohne Arg, Krammler hörte zu und machte sich zwischendurch ein paar Notizen.

»Warum ich soviel zahle? Das will ich Ihnen gern’ erklären«, sagte er schließlich. »Die Autos sind neu und wertvoll, ausschließlich Wagen der Luxusklasse. Ich brauche Fahrer, auf die ich mich verlassen kann, und die ich gut bezahle, damit sie net auf dumme Gedanken kommen und mit den Autos durchbrennen. Das soll’s alles schon gegeben haben. Darum leg’ ich bei jedem fünften Wagen, den ein Mann überführt, einen Tausender d’rauf, als Prämie sozusagen.«

Er reichte Wolfgang die Hand und sah ihn fragend an.

»Also, wie schaut’s aus? Wollen S’ den Job übernehmen. Sie könnten gleich losfahren. Ich hab’ da einen Mercedes in der Garage, der heut’ noch nach Wien müßt’. Wie Sie gesagt haben, sind S’ ja frei und unabhängig. Ich geb Ihnen einen Vorschuß von tausend Mark und dreihundert für die Spesen.«

Wolfgang ließ sich nicht lange bitten und schlug ein.

Eben noch Würstel mit trockenem Brot, jetzt würde er soviel Geld bekommen. Das war doch die Chance seines Lebens! Er müßte ein Dummkopf sein, sie auszuschlagen!

Justus Krammler stand auf und ging zu einem Bild an der Wand. Dahinter war ein Safe versteckt. Der Mann öffnete ihn und entnahm ein paar Banknoten, die er Wolfgang Lehmbacher auf den Tisch zählte. Er ließ sich den Betrag quittieren. Dann führte er ihn zu den Garagen. Es waren die dunklen Gebäude, die Wolfgang vorher nicht hatte erkennen können. Die beiden Gebäude waren miteinander fest verbunden und schienen mehr Werkstatt zu sein, als nur Unterstellplatz für Fahrzeuge. Es gab Werkzeuge, wie in einer Reparaturfirma, sogar eine komplette Hebebühne. In einer Ecke stand der Wagen, den Wolfgang überführen sollte. Ein dunkelblauer Mercedes der E-Klasse. Krammler übergab die Wagenpapiere und Schlüssel, sowie ein Blatt Papier mit der Routenbeschreibung und der Adresse in

Wien, wo der Wagen abgeliefert werden sollte.

Krammler und seine Frau standen vor der Villa, als Wolfgang losfuhr. Sie winkten, als verabschiedeten sie einen guten Freund.

»Meinst’, daß er der richtige ist?« fragte Manuela Krammler.

»Wir werden sehen«, erwiderte ihr Mann. »Wien ist ja die leichte Tour. Kaum noch Zöllner an den Grenzen.«

»Er weiß aber schon, was mit den Autos ist, oder?«

»Um Himmels willen, nein. Natürlich net. Das erfährt er erst nach der dritten Fahrt. Bis dahin hat er schon so angebissen, daß er net mehr auf das viele Geld verzichten will.«

Sie lachten beide, als das Tor elektrisch geschlossen wurde, und sie in das Haus hineingingen.

*

Katharina Lehmbacher bewohnte eine kleine Einliegerwohnung in einem Einfamilienhaus, das nur wenige Straßen vom Hotel entfernt war. Die Vermieter waren ein älteres Ehepaar, das sich durch die Mieteinnahme die Rente ein wenig aufbesserte. Kathie und die beiden alten Leute hatten ein herzliches Verhältnis. Die junge Frau war froh gewesen, so schnell eine bezahlbare Wohnung gefunden zu haben, nachdem sie die Stelle im Hotel »Zum Löwen« angetreten hatte. Mit Schaudern erinnerte sie sich an die erste Woche, die sie in der winzigen Dachkammer des Hotels hatte verbringen müssen. Sepp Reisinger vermittelte zwischen ihr und dem Ehepaar Strohlinger, so daß sie schnell wieder aus diesem Notbehelf ausziehen konnte.

Kathie saß in der kleinen Küche und ließ sich ihr Frühstück schmecken. Da die neue Arbeitswoche mit Spätdienst begann, konnte sie sich reichlich Zeit lassen, ausgiebig zu frühstücken und in der Morgenzeitung zu blättern, die Frau Strohlinger ihr immer vor die Tür legte, nachdem die beiden Alten sie gelesen hatten.

Anschließend machte sie sich daran, den Einkaufszettel zu vervollständigen. Schon bei der Zubereitung ihres Frühstücks hatte sie festgestellt, daß schon wieder vieles fehlte. Sie notierte, was ihr gerade einfiel und dachte darüber nach, was das wieder alles kosten würde. Du lieber Himmel, warum rann einem das Geld nur immer wieder so schnell durch die Finger! Es war einfach unglaublich, je mehr man sich abmühte, es zu sparen, um so knapper wurde es.

Allerdings war es auch kein Wunder wenn man, wie sie, eigentlich zwei Personen durchfütterte. Oft genug kam es nämlich vor, daß Wolfgang sich selbst bei ihr zum Essen einlud. Und als wäre es damit nicht genug, bettelte er immer wieder um Bargeld. Natürlich wußte Kathie, daß es nicht richtig war, doch sie brachte es einfach nicht übers Herz, seine Bitte um Geld, abzulehnen. Auch wenn sie genau wußte, daß es länger, als die versprochene Woche dauerte, bis Wolfgang es ihr zurückzahlte.

Das junge Madel seufzte auf. Was sollte sie denn machen? Auch wenn er ein Leichtfuß war – er war immerhin ihr Bruder. Nach dem Tode der Eltern fühlte sie sich einfach für ihn verantwortlich, obwohl Wolfgang zwei Jahre älter war, als sie selbst.

Dennoch, das mit dem Geld würde ein Ende haben! Wolfgang mußte sich endlich eine Arbeit suchen. Schließlich war es nicht ihre Schuld, daß er sein Studium einfach abgebrochen hatte.

Seufzend stand sie auf und zog ihre Jacke an. Mit dem Einkaufskorb in der Hand verließ sie die Wohnung.

*

Beim Herrnbacher herrschte großer Andrang. Er war der einzige Kaufmann in St. Johann, und entsprechend groß war die Kundschaft. Besondes schlimm war es vor den Wochenenden. Der Laden war nicht besonders groß, und die Regale standen eng beieinander. Einkaufswagen gab es nicht, die Kunden konnten ihre Waren nur in Plastikkörben zur Kasse tragen, an der entweder Ignaz Herrnbacher, oder seine Frau Gertrud, saß.

Ignaz war um die sechzig, mit weißen Haaren, einem kleinen Bäuchlein und immer zu einem Scherz oder einem Schwatz aufgelegt. Seine Kunden kannten ihn nicht anders, als immer gut gelaunt.

Katharina Lehmbacher hatte sich geduldig in die Schlange vor der Kasse eingereiht. Nur das Notwendigste lag in ihrem Einkaufskorb. Während sie darauf wartete, an die Reihe zu kommen, schweifte ihr Blick umher. Plötzlich stutzte sie – da draußen, vor der Eingangstür – war das nicht der Mitreisende von gestern abend? Natürlich, sie erkannte

ihn sofort wieder. Robert Demant ging vor dem Laden auf

und ab, als wartete er auf jemanden.

Aber, wer konnte dieser jemand sein? Er war doch ganz alleine gewesen, als sie sich im Zug begegneten.

Als Kathie schließlich bezahlt hatte und das Geschäft verließ, stand der Mann immer noch da. Mit einem strahlenden Lächeln kam er auf sie zu.

»Grüß’ Gott«, sagte er. »Ich hab’ Sie vorhin in den Laden gehen sehen und wollt’ Sie doch gern’ begrüßen. Ihr Rat mit dem Hotel war goldrichtig.«

»Gefällt es Ihnen?«

»Aber ja. Das Zimmer ist herrlich und erst das Essen!«

»Net wahr, unsere Chefin ist eine richtige Meisterköchin.«

»Das kann man wohl sagen.«

Robert sah sich um.

»Sagen S’, hätten S’ Lust, einen Kaffee mit mir zu trinken?« Das Madel schaute nachdenklich.

»Hm, ich weiß net – der Herr Reisinger sieht’s net gern, wenn jemand vom Personal mit einem Gast…«

»Ach, Unsinn«, schnitt Robert ihr das Wort ab. »Erstens sind S’ net im Dienst, und zweitens kannten wir uns schon, bevor ich in das Hotel gezogen bin.«

»Da haben S’ auch wieder recht«, lachte Kathie.

»Also, ich kenn mich noch net so gut aus. Wo gibt’s denn hier ein Café?«

Es lag nur wenige Schritte weiter die Straße hinunter. Jetzt, am Vormittag, waren nur wenige Gäste da. Die beiden fanden schnell einen freien Tisch. Robert bestellte Kaffee und schaute Kathie an.

»Ich hab’ Sie heut morgen beim Frühstück vermißt«, gestand er.

Das Madel schmunzelte.

»In dieser Woch’ hab’ ich Spätschicht. Ich fang erst am späten Nachmittag meinen Dienst an.«

»Das ist ja wunderbar«, meinte Robert. »Da können S’ ja am Vormittag die Fremdenführerin für mich spielen.«

Er schaute sie mit treuen Augen an.

»Natürlich nur, wenn S’ keine anderen Verpflichtungen haben. Ich will auf keinen Fall Ärger mit Ihrem Mann oder Verlobten bekommen.«

Kathie lachte.

»Da kann ich Sie beruhigen, es gibt weder den einen, noch den anderen.«

Robert atmete insgeheim auf. Das ist doch herrlich, dachte er, genau das, was ich hören wollte!

»Also, abgemacht?« fragte er.

Sie nickte.

»Gut, wenn die Zeit es zuläßt, zeige ich Ihnen gerne ein wenig von der Gegend hier. Was interessiert Sie denn am meisten?«

»Zeigen Sie mir einfach alles.«

»Na, ich werd’ mir etwas überlegen«, nickte sie. »Jetzt muß ich aber los. Vielen Dank für den Kaffee.«

Er begleitete sie vor die Tür.

»Wenn S’ Lust haben, dann schauen S’ sich die Kirch’ an«, schlug Kathie zum Abschied vor. »Sie ist wirklich sehenswert.«

»Mach’ ich«, versprach Robert Demant. »Aber viel mehr freue ich mich auf unseren Ausflug!«

*

Sebastian Trenker kam gerade aus der Sakristei, als der Besucher die Kirche betrat. Staunend sah er sich um und kam näher, als er den Geistlichen an dessen Kragen erkannte.

»Grüß’ Gott, Herr Pfarrer«, nickte er. »Ich hoff’, ich störe net?«

»Nein, nein, seien Sie herzlich willkommen«, widersprach Sebastian. »Ich freue mich immer, wenn jemand unser Gotteshaus besucht. Ich bin Pfarrer Trenker. Sie machen Urlaub in unserem schönen St. Johann?«

»Angenehm, Robert Demant«, deutete der Besucher eine Verbeugung an. »Ja, ich will ein paar Tage ausspannen.«

Sebastians Miene erhellte sich, als er den Namen hörte.

»Robert Demant, sagen Sie? Etwa der Maler?«

»Sie kennen mich?«

Robert war überrascht.

»Ich habe ein paar Ihrer Bilder gesehen und war sehr beeindruckt«, nickte der Geistliche.

»Vielen Dank. Aber sagen Sie, wie kommen meine Bilder nach St. Johann?«

»Sagt Ihnen der Name Werner Hendrich etwas?«

»Natürlich. Dr. Hendrich ist ein bekannter Galerist und Kunsthändler.«

»Er besitzt hier bei uns ein Ferienhaus, in dem drei Ihrer Bilder hängen.«

»Ach, darum. Ich wußte gar net, daß er welche besitzt.«

»Kommen Sie, ich zeig’ Ihnen erstmal die Kirche«, bot Sebastian an. »Deswegen sind S’ ja hereingekommen.«

Der Pfarrer führte den Maler herum und erläuterte ihm diese und jene Besonderheit. Es gab viel zu sehen und zu bestaunen. Besonders imposant waren die Mengen an Blattgold, die in früheren Zeiten bei der Gestaltung des Kirchenschiffes Verwendung gefunden hatten. Figuren und Bilder waren damit verziert.

»Das könnt’ man heutzutage gar net mehr bezahlen.«

Dem konnte Robert nur zustimmen. »Aber wunderschön ist’s«, nickte er.

Es wurde ein ausgiebiger Exkurs in die Geschichte der Kirche zum Heiligen Johannes, bei dem der Geistliche nicht müde wurde, dem Besucher alles zu zeigen und zu erklären.

»Ich hoff’, Sie fühlen sich bei uns wohl«, wünschte Sebastian, als sie sich später vor der Kirche verabschiedeten.

»Das glaube ich schon«, meinte der Maler nachdenklich. »Ich merke jedenfalls, wie dieser kleine Ort mir immer mehr gefällt.«

*

Daß der bekannte Kunstmaler als Feriengast in St. Johann weilte, war natürlich auch Gesprächsthema beim Mittagessen, an dem, wie immer, auch Maximilian Trenker teilnahm. Allerdings hatte der Polizeibeamte im Augenblick wenig Sinn für die schöne Kunst der Malerei. Die Autodiebstähle nahmen zu, und die Diebe wurden dabei immer dreister. Eigentlich war Max rund um die Uhr im Einsatz, weil er auch nachts noch Streife fuhr. Zwar wechselte er sich dabei mit Kollegen aus der Kreisstadt ab, dennoch waren die paar Stunden Schlaf einfach zu wenig.

»Kommen S’, essen S’ nur tüchtig. Das bringt Sie wieder auf die Beine«, sagte Sophie Tappert und füllte Max den Teller voll.

Es gab knusprige Fleischpflanzerl mit frischem Kohlrabigemüse und Kartoffelpürreé, aber obwohl es zu Max’ ausgesprochenen Lieblingsgerichten zählte, aß er heute doch deutlich weniger, als an den anderen Tagen.

»Drei Wagen in der letzten Nacht«, stöhnte er und schob den Teller beiseite. »Und immer gerade da, wo ich vorher Streife gefahren bin. Man könnt’ meinen, die Kerle wüßten, wo sie freie Bahn haben.«

»Also, nach dem Essen legst’ dich erst einmal eine Stunde hin«, schlug sein Bruder vor. »Danach geht’s dir wieder besser.«

»Na, hoffentlich«, gab Max zurück. »Lang’ halt ich das net mehr aus!«

Die Haushälterin trug den Nachtisch auf, Schokoladenpudding mit Vanillesauce.

»Bewahren S’ mir ’was davon auf«, bat der junge Polizist und erhob sich. »Ich geh’ wirklich erstmal ein Stündlein schlafen.«

Besorgt sah Sophie Tappert ihm hinterher. Auch Sebastian machte sich seine Gedanken. So niedergeschlagen hatte er den Bruder selten erlebt. Der Fall mußte ganz schön an Max’ Nerven zerren.

»Und Sie sollten doch Ihren neuen Wagen irgendwo unterstellen«, beharrte die Haushälterin. »Wer weiß, ob er sonst net doch eines Tages gestohlen wird.«

»Ich kann mich ja mal nach einer Garage umsehen«, stimmte Sebastian schließlich, um des lieben Friedens willen, zu.

Sophie Tappert würde doch nicht eher Ruhe geben. Es war schon schade, daß es keine Garage beim Pfarrhaus gab, aber damals, als es gebaut wurde, gab es noch gar keine Autos, und später hatte niemand daran gedacht, daß ein Geistlicher vielleicht einmal ein Auto benötigen könnte.

*

Als Kathie wieder nach Hause kam, erlebte sie eine Überraschung. Vor der Wohnung wartete ihr Bruder. Sie hielt unwillkürlich die Luft an, als sie ihn sah.

Wolfgang trug einen neuen Anzug, dazu ein weißes Hemd und Krawatte. Kathie glaubte ihren Augen nicht zu trauen, so hatte sie ihn seit seiner Abiturfeier nicht mehr gesehen! Stolz wie ein Pfau drehte er sich und zeigte sich ihr von allen Seiten.

»Ja, sag’ mal, hast’ in der Lotterie gewonnen?« fragte sie, als sie in der kleinen Küche saßen.

»Viel besser, Schwesterherz«, antwortete er übermütig und zog ein Geldbündel aus der Jackentasche.

»Du lieber Himmel – woher hast du das viele Geld?«

Sie sah ihn mißtrauisch an. Sollte der Bursche etwa auf Abwege geraten sein…?

»Schau net so! Ich hab’s net gestohlen, sondern ehrlich verdient.«

»Verdient? Ja, bei was denn?«

»Ich hab’ endlich eine Arbeit«, sagte er, während er die vierhundert Mark abzählte, die er seiner Schwester schuldete.

»Und jetzt bin ich dabei, meine Schulden zu bezahlen, und über mein Handy kannst’ mich auch wieder erreichen.«

Kathie setzte sich ihm gegenüber. Sie konnte es noch immer nicht glauben.

»Eine Arbeit, wirklich? Das ist ja wunderbar. Erzähl’ doch mal, was ist es denn für eine Tätigkeit? Wart’, ich koch’ uns schnell eine Kleinigkeit zum Mittag. Beim Essen kannst mir dann ja alles erzählen. Ich bin schon so gepannt.«

Sie war aufgesprungen, um an den Kühlschrank zu gehen, doch ihr Bruder wehrte ab.

»Laß nur«, sagte er. »Ich bin nur gekommen, um dir dein Geld zu bringen. Ich hab’ noch einen Termin, heut’ nachmittag – einen geschäftlichen Termin.«

Noch ehe sie etwas sagen konnte, war er aufgestanden und aus der Küche.

»Ich meld’ mich«, rief er ihr noch zu, dann klappte auch schon die Haustür.