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Der Bergpfarrer
– 252 –

Jungbauer gesucht!

Ist es dir wirklich ernst damit?

Toni Waidacher

Impressum:

Epub-Version © 2020 KELTER MEDIA GmbH & Co. KG, Sonninstraße 24 - 28, 20097 Hamburg. Geschäftsführer: Patrick Melchert

Originalausgabe: © KELTER MEDIA GmbH & Co.KG, Hamburg.

Internet: https://ebooks.kelter.de/

E-mail: info@keltermedia.de

Dargestellte Personen auf den Titelbildern stehen mit dem Roman in keinem Zusammenhang.

ISBN: 978-3-74096-276-0

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»Die Hochdruckzone Irina wird dem Süden Deutschlands in den nächsten Tagen endlich das lang ersehnte Sommerwetter bescheren.« Wie aus weiter Ferne drang die Stimme des Nachrichtensprechers an Sophie Tapperts Ohr. Die Pfarrhaushälterin öffnete die Augen und blinzelte gähnend in Richtung Mattscheibe. Wieder einmal war sie vor dem Fernseher eingenickt. Nun hatte sie das Ende des Liebesfilms und den halben Wetterbericht verpasst!

Sophie Tappert seufzte und suchte auf dem Beistelltischchen neben ihrem Sessel nach der Fernbedienung, um das Fernsehgerät abzuschalten.

Unterdessen redete der Sprecher weiter: »Ab Anfang Juli sehen Sie jeden Mittwoch um dieselbe Zeit die Doku-Soap ›Jungbauer gesucht!‹ Die unterhaltsame Sendung will einerseits jungen Menschen, die Interesse und Begeisterung für den Beruf des Landwirts aufbringen, die Chance geben, sich ihren Lebenstraum als Bauer auf dem eigenen Hof zu verwirklichen. Andererseits will sie Bauern, die keinen Nachfolger für ihr Anwesen haben, die Möglichkeit verschaffen, ihr Lebenswerk und das ihrer Vorfahren dennoch in berufene Hände zu legen. Reporter unseres Fernsehsenders begleiten Hofbesitzer und Bewerber bei ihrer gegenseitigen Annäherung mit der Kamera. Der erste Hof ohne Nachfolger, den wir Ihnen vorstellen möchten, gehört Burgl und Franz Pörnbacher aus St. Johann im Wachnertal. Das Anwesen der beiden Bauersleute, das sich ein wenig außerhalb des beliebten bayerischen Ferienorts in wunderschöner, idyllischer Lage befindet, ist seit über zweihundert Jahren in Familienbesitz. Zum ersten Mal in seiner langen Geschichte soll es nun außerhalb der Familie weitergegeben werden. Wir und unsere Mitarbeiter hoffen, dass Herr und Frau Pörnbacher, nachdem sie die Bewerber auf Herz und Nieren geprüft haben, den Nachfolger ihrer Wahl finden. Wir wünschen sowohl den beiden Bauersleuten als auch den Kandidaten schon im Voraus viel Glück und Erfolg.«

Sophie Tappert, die die Fernbedienung inzwischen gefunden hatte, vergaß vollkommen, den Ausschaltknopf zu drücken. Wie gebannt schaute sie auf den Fernsehschirm, über den nun Bilder vom Wohnhaus des Pörnbacher-Hofs flimmerten, von den Stallungen, samt Haushund und dösender Katze, und von den zum Anwesen gehörenden Feldern und Wiesen. Dazwischen zeigte die Kamera immer wieder die Pörnbachers, die sich in ihren schönsten Sonntagsstaat geworfen hatten und freundlich, wenn auch ein wenig gezwungen lächelten.

»Sollte es Sie also reizen, als zukünftiger Bauer auf dem Pörnbacher-Hof zu schalten und zu walten, und sind Sie überzeugt, die dazu notwendigen Bedingungen erfüllen zu können, melden Sie sich bitte bis zum 20. Juni hier bei uns im Sender oder direkt auf dem Pörnbacher-Hof. Die Adressen geben wir im Anschluss an die Sendung bekannt.«

Sophie Tappert schnappte nach Luft. Das durfte doch wohl nicht wahr sein!

»Das zweite Anwesen, das einen Nachfolger sucht, werden wir Ihnen …«

Der Ansager verstummte mitten im Satz, als Sophie Tappert den Fernseher abstellte. Sie schüttelte entgeistert den Kopf.

Die Pörnbachers wollten also aufgeben und ihren Hof in jüngere Hände legen! Sie konnte kaum glauben, was sie soeben gehört hatte.

Die Pörnbachers waren doch erst in den Fünfzigern und, soweit sie wusste, bei guter Gesundheit. Zum anderen erinnerte sich Sophie Tappert nur zu gut, wie Burgl Pörnbacher beim letzten Ausflug des katholischen Frauenbunds gesagt hatte, sie könne sich beim besten Willen nicht vorstellen, sich je von ihrem Hof und von ihrem Beruf als Bäuerin zu trennen.

So hatte Burgl noch vor ein paar Wochen geredet. Und jetzt …

Die Suche nach einem Nachfolger für den Pörnbacher-Hof konnte eigentlich nur Franz Pörnbachers Idee gewesen sein. Den einsamen Entscheidungen ihres Mannes hatte Burgl sich schließlich noch nie widersetzen können. Auch dann nicht, wenn sie im Grunde ihres Herzens nicht Franz’ Meinung gewesen war.

Aber warum in aller Welt hatte sich der eher ein wenig menschenscheue Franz Pörnbacher mit seinem Anliegen ausgerechnet an das Fernsehen gewandt? Hätte er nicht genauso gut oder besser Pfarrer Trenker um Rat und Hilfe bitten können?

Mit einem neuerlichen Kopfschütteln stand Sophie Tappert aus ihrem Sessel auf. Sie nahm sich vor, sich noch eine warme Honigmilch zu machen und dann zu Bett zu gehen. Den Beruhigungstrunk konnte sie gut gebrauchen, denn ihre ursprüngliche Müdigkeit war mittlerweile verflogen.

Burgl und Franz Pörnbacher gingen ihr einfach nicht mehr aus dem Kopf.

Sie hatte aber noch nicht einmal die Küche erreicht, als sie hörte, wie an der Pfarrhaustür der Schlüssel herumgedreht wurde. Rasch warf sie einen Blick auf die Uhr. Es ging mittlerweile schon auf elf, und der gute Pfarrer Trenker kam erst nach Hause!

»Guten Abend, Frau Tappert! Auch noch munter?«, hörte sie im nächsten Moment bereits seine Stimme.

Sophie Tappert wandte sich dem Geistlichen zu.

»Ja«, erwiderte sie spontan.

»Ich war zwar schon müd’, aber dann …, dann ist im Fernsehen gekommen, dass unsere Pörnbachers hier aus St. Johann ihren Hof übergeben wollen. Und deshalb in einer Doku-Soap nach einem Nachfolger suchen. Da bin ich natürlich mit einem Schlag wieder hellwach geworden.«

Sebastian runzelte verwirrt die Stirn.

Sophie Tappert biss sich auf die Zunge.

So unvermittelt hätte sie Pfarrer Trenker doch nicht überfallen brauchen. Das hätte doch auch bis zum Frühstück warten können!

»Es tut mir leid, Herr Pfarrer. Ich wollt’ Ihnen heut’ Abend net noch eine zusätzliche Sorge aufbürden«, sagte Sophie Tappert schnell. »Das mit den Pörnbachers ist mir einfach so herausgerutscht. Soll …, soll ich Ihnen vielleicht noch etwas zum Essen herrichten? Und etwas zum Trinken?«

Sebastian Trenker nickte.

»Gern, Frau Tappert. Etwas in den Magen wäre jetzt net das Schlechteste. Aber wirklich nur eine Kleinigkeit. Und natürlich nur, wenn es Ihnen keine Mühe macht«, antwortete er und fragte nach: »Was …, was haben Sie da von den Pörnbachers gesagt, Frau Tappert? Die beiden sollen im Fernsehen gekommen sein? Oder hab ich mich irgendwie verhört?«

Sophie Tappert schüttelte den Kopf. »Nein, nein. Sie haben sich net verhört, Herr Pfarrer«, antwortete sie. »Es ist schon so, wie ich gesagt hab.«

»Wieso überhaupt im Fernsehen?«, erkundigte er sich, während er Frau Tappert in die Küche begleitete.

»Das hab ich mich beim sonst so eigenbrötlerischen Pörnbacher auch gefragt«, gab sie zurück, während sie zwei dicke Scheiben von ihrem köstlichen, selbst gebackenen Brot abschnitt, auf einen Teller legte und dann den Kühlschrank öffnete.

Pfarrer Trenker runzelte die Stirn.

»Welches Programm hat denn die Filmaufnahmen von den Pörnbachers gesendet?«, hakte er nach.

»Ich hab den Bayernkanal angeschaut wie meistens«, berichtete sie und belegte dabei die eine der Brotscheiben reichlich mit Speck und die andere mit herrlichem Bergkäse von Franz Thureckers Kandereralm. »Auf einmal ist eine Vorschau gekommen. Und der Pörnbacher-Hof samt Hund und Katz.«

Die Pfarrhaushälterin halbierte ein paar Essiggurken, um die Brote zu garnieren, und gab währenddessen sehr gewissenhaft wieder, was ihr von den Worten des Fernsehsprechers in Erinnerung geblieben war.

Der Bergpfarrer machte ein nachdenkliches Gesicht, als er sich an den Tisch setzte, biss dann aber doch herzhaft in sein Käsebrot.

»Es war also nur eine Vorschau, sagen Sie«, fasste er nach einer Weile zusammen. »Und geeignete Bewerber sollen sich erst melden. Das heißt, die Pörnbachers könnten also, sollten sie es sich anders überlegen, bestimmt noch einen Rückzieher machen. Meinen Sie net auch?«

Sophie Tapperts Blick wurde sorgenvoll.

»Ich weiß net so recht«, antwortete sie bedrückt. »Irgendwie hab ich ein ungutes Gefühl.«

Sebastian Trenker seufzte.

»Ein ungutes Gefühl hab ich, ehrlich gesagt, auch«, pflichtete er seiner Haushälterin bei. »Zumal ich mich natürlich frag’, warum der Franz und die Burgl, als ich sie vor ein paar Wochen besucht hab, kein Wort von ihrem Vorhaben gesagt haben. Irgendetwas stimmt da net.«

Sophie Tappert nickte stumm.

»Möchten S’ net noch ein Brot und ein Stück vom kalten Braten, Herr Pfarrer?«, fragte sie, als sie sah, dass Sebastian Trenkers Teller leer war.

Sebastian lehnte dankend ab und stand auf.

»Eigentlich wollt’ ich morgen früh eine Tour auf die Streusachhütte machen. Aber daraus wird wohl nix werden«, sagte er mit einem leisem Bedauern. »Ich glaub, ich mach mich stattdessen lieber auf den Weg zum Pörnbacher-Hof.«

»Ich glaub auch, dass es net schaden könnt’, wenn Sie die Burgl und den Franz auf ihre neue Rolle als Fernsehstars ansprechen und sie vor allzu hohen Erwartungen warnen«, setzte Sophie Tappert hinzu. Es klang besorgt, aber nachdem Sebastian Trenker sich zurückgezogen hatte, und die Pfarrhaushälterin den Teller in die Spülmaschine stellte, fühlte sie sich etwas erleichtert. Sie war nun doch froh, die Angelegenheit mit den Pörnbachers so rasch zur Sprache gebracht zu haben. Der gute Hirte von St. Johann würde sicherlich den richtigen Weg finden, um den beiden zu helfen.

*

»Wie bitte? Was soll ich tun?«, rief Christine Hartmann.

Verwirrt und wütend zugleich starrte die junge Frau ihr Gegenüber an.

»Tickst du eigentlich noch richtig, Lukas? Oder ist bei dir im Kopf irgendeine Schraube locker?«

Lukas Brenner, Mitarbeiter des »Bayernkanals«, musterte seine Kollegin Christine, mit belustigter Überlegenheit.

»Ob du es glaubst oder net, Chris, aber wenn du so richtig in Fahrt bist und Funken sprühst vor Zorn, finde ich dich zum Anbeißen«, gab er grinsend zurück.

Christine Hartmanns dunkelbraune Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen. Die Tatsache, dass ihre Einwände an Lukas abprallten wie Regentropen an gut imprägnierter Schlechtwetterkleidung, brachte sie nur noch mehr in Rage.

»Interessieren würd’s mich schon, wer von unserem Sendeteam auf die Schnapsidee gekommen ist, ausgerechnet mich in dieses vermaledeite St. Johann zu schicken«, wollte sie wissen, wobei ihre Stimme gereizt klang wie die einer fauchenden Wildkatze. »Dir würd’ ich so einen unsinnigen Einfall glatt zutrauen. Dir am aller ehesten.«

Lukas Brenner sagte nichts, sondern trat auf Christine zu, legte ihr seine kräftigen Arme um die schmalen Schultern und versuchte, sie trotz ihres Widerstrebens an sich zu ziehen.

»Ich bin es net gewesen, Chrissie. Großes Ehrenwort. Ich bin nur der Überbringer der Nachricht. Net weniger, aber auch net mehr«, erwiderte er und tat dabei so, als wäre er sehr gekränkt, durch diese Unterstellung. »Von den anderen war es auch keiner. Es war niemand aus unserem Team, wirklich. Dafür leg ich meine Hand ins Feuer. Wenn es dir net gefällt, nach St. Johann zu reisen, musst du dich bei Gregor Albrecht, unserem Programmchef, bedanken. Dass die Wahl gerade auf dich gefallen ist, geht nämlich auf sein Konto.« Lukas Brenner machte eine kleine Pause, räusperte sich und behauptete: »Wobei ich finde, dass du es als Kompliment nehmen solltest, Chris, anstatt dich dermaßen aufzuregen. Freu dich doch, dass unser Boss so große Stücke auf dich hält.«

Christine Hartmann schob Lukas mit einer energischen Bewegung von sich.

»Darüber kann ich mich in diesem Fall net freuen«, erwiderte sie patzig. »Und dabei geht es mir im Grunde gar net sosehr darum, ob ich nach St. Johann fahre oder net. Es geht mir in erster Linie um die Schwindelnummer, die ihr euch ausgedacht habt. Ich würd’ meinen Kopf verwetten, dass ihr das ganz allein wart. Und net unser Programmchef, der euren Plan bestimmt nur abgesegnet hat.« Ärgerlich zupfte sie an einem ihrer Ohrringe. »Als Journalistin vor Ort sein, ist eine Sache. Lügen, was das Zeug hält, ist eine andere. Ich …, ich mag solche Sachen einfach net. Und ich kann so etwas auch net. Wenn ich es könnte, wär’ ich Schauspielerin geworden und net Fernsehjournalistin.«

Lukas Brenner seufzte. Umständlich zündete er sich mit seinem schwarz lackierten Feuerzeug, auf dem eine üppige Blondine in einem freizügigen Dirndl abgebildet war, eine Zigarette an. Er blies den Rauch in Kringeln in die Luft und ließ seine Blicke im Wohnzimmer seiner Penthousewohnung herumschweifen, als suche er nach etwas. Schließlich wandte er sich der Terrassentür zu.