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Der Bergpfarrer
– 249 –

Thomas ist wieder da!

Erinnerungen werden wach …

Toni Waidacher

Impressum:

Epub-Version © 2020 KELTER MEDIA GmbH & Co. KG, Sonninstraße 24 - 28, 20097 Hamburg. Geschäftsführer: Patrick Melchert

Originalausgabe: © KELTER MEDIA GmbH & Co.KG, Hamburg.

Internet: https://ebooks.kelter.de/

E-mail: info@keltermedia.de

Dargestellte Personen auf den Titelbildern stehen mit dem Roman in keinem Zusammenhang.

ISBN: 978-3-74096-070-4

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»Na, wenn’s bei eurer Hochzeit auch so ein Wetter wird, dann ist’s ja ein perfekter Tag!«

Anna Lechner strahlte, als sie diese Worte zu ihrer Tochter sagte.

Franziska schmunzelte.

»Ja, Mama«, erwiderte sie, »aber vergiss net, dass es bis dahin noch fast drei Wochen sind. Da kann noch viel gescheh’n, mit dem Wetter.«

Mutter und Tochter standen in der Küche des Berningerhofes. Anna Lechner wusch das Geschirr vom Mittagessen ab, Franzi trocknete ab und stellte es in den Schrank.

Annas Augen glänzten vor Glück, grad als sei sie es, die vom Berningerbauern zum Altar geführt würde. Aber es wunderte nicht, wenn man wusste, dass mit der Hochzeit ihrer Tochter mit dem reichen Bauern Anna Lechners größter Wunsch wahr wurde.

Ihre Franzi sah einer glücklichen und gesicherten Zukunft entgegen!

Dabei war es gar nicht so sicher gewesen, dass Markus Berninger der Tochter seiner Magd einen Heiratsantrag machen würde. Jedenfalls hatte der zehn Jahre ältere Mann sich bisher zurückgehalten – auch wenn Anna die Blicke, mit denen der Bauer Franzi bedachte, nicht entgangen waren. Doch vor einem Vierteljahr waren sie sich einig geworden. Markus hatte ganz offiziell um die Hand ihrer Tochter angehalten, und Franzi hatte endlich ja gesagt.

»Ich schau’ mal nach der Wäsche«, erklärt die Vierundzwanzigjährige. »Sie müsst’ ja trocken sein.«

Anna ließ das Wasser ablaufen und säuberte das Spülbecken. Fröhlich summte sie eine Melodie, die ihr gerade in den Sinn kam.

Sechsundvierzig Jahre war sie jetzt alt, seit sechs Jahren verwitwet, und genauso lange arbeiteten sie und Franzi auf dem Berningerhof. Der Bauer galt als einer der Reichsten im Wachnertal, und außer Mutter und Tochter war noch ein Knecht angestellt. In der Erntezeit holte Markus Berninger sich dann noch weitere Hilfskräfte auf den Hof. Rinder und Schweine standen in den Ställen und auf den Weiden. Ein großes Stück Bergwald gehörte zum Besitz des Berningers und mehrere Hektar bestes Ackerland, das bewirtschaftet wurde.

Ja, Franzi würde ein sorgenfreies Leben führen können, anders als ihre Mutter, die nach dem frühen Tod des Mannes und Ernährers zusehen musste, wie sie sich und die Tochter durchbrachte. Wie ein Geschenk des Himmels war es ihr vorgekommen, dass Markus sie und Franzi aufgenommen hatte.

Und nun stand die Hochzeit ins Haus. Ganz St. Johann würde daran teilnehmen. Tag und Nacht grübelte Anna Lechner darüber, was alles vorbereitet werden musste. Einladungen wurden geschrieben und verschickt, lange Listen, damit man auch ja nichts und niemanden vergaß. In Gedanken räumte Anna schon die große Scheune leer, um sie als Festsaal herzurichten, und unzählige Menüs wurden geplant und wieder verworfen.

Ach, ihr Herz klopfte vor Aufregung, wenn sie nur daran dachte! Schad’, dass Florian das nicht mehr erleben durfte!

Während ihre Mutter in Träumen schwelgte, war Franziska Lechner dabei, die Wäsche von der Leine zu nehmen. Markus war mit Urban, dem alten Knecht, der schon beim Altbauern gearbeitet hatte, in den Bergwald hinaufgefahren, um Holz zu schlagen. Sie würden wohl erst zum Abendessen zurück sein.

Das junge Madel faltete den Kopfkissenbezug zusammen und legte ihn auf den Wäscheberg im Korb. Seufzend setzte Franzi sich auf einen Gartenstuhl und schaute gedankenverloren zu den Bergen hinüber.

So ganz konnte sie die Begeisterung ihrer Mutter nicht teilen. Gewiss, es war der richtige Schritt gewesen, Markus’ Antrag anzunehmen. Aber es war ein Schritt, der von der Vernunft diktiert worden war. Vierundzwanzig Jahre war sie nun alt. Andere Frauen in diesem Alter waren längst verheiratet, hatten schon Kinder. Und wenn sie Glück hatten, dann hatten sie auch den Mann bekommen, den sie liebten.

Sie hingegen konnte froh und dankbar sein, dass Markus sie zur Frau wollte. Zwar hatten sie und die Mutter ihr Auskommen, aber reich waren sie gewiss nicht. Und die Zukunft lag eher im Dunkeln. Reich zu heiraten, diese Aussicht hatte sie bisher nicht gehabt. Vermutlich hätte sie ihr ganzes Leben als Magd arbeiten müssen, wenn Markus Berninger sie nicht gefragt hätte.

Nein, er sah nicht schlecht aus. Und der Altersunterschied fiel nicht so sehr ins Gewicht. Markus glich das durch seine jugendliche Art wieder aus, die viele über sein wirkliches Alter hinwegtäuschte. Er war stets gut gelaunt, großzügig und Franzi gegenüber liebevoll.

Aber er war nicht der, den sie eigentlich gewollt hatte …

Es drückte ganz schwer auf Franzis Herz, als sie an ihn dachte. Seit vier Jahren hatte sie nichts mehr von ihm gehört, dabei hatten sie sich doch ewige Treue geschworen.

Und sie hatte versprochen auf ihn zu warten – ein Versprechen, das sie mit dem Tag ihrer Vermählung mit Markus Berninger brechen würde!

Wo Thomas wohl jetzt sein mochte?

Die Gefängnisstrafe hatte er vor zwei Jahren schon abgesessen. Doch anstatt zurückzukehren, war er irgendwohin verschwunden.

Traurig dachte Franzi, wie sehr es ihr wehgetan hatte, als die Briefe, die sie ihm geschrieben hatte, unbeantwortet blieben. An dem Tag, an dem Thomas entlassen werden sollte, wäre sie am liebsten nach München gefahren, um ihn vor dem Gefängnis zu erwarten. Doch die Mutter hatte das verhindert.

»Es ist doch ganz eindeutig, dass er nix mit dir zu tun haben will«, hatte ihre Mutter gesagt. »Warum wohl sonst hat er net auf deine Briefe geantwortet? Und überhaupt – einen Vorbestraften kannst’ net heiraten!«

Franzis Einwand, Thomas wäre unschuldig, tat ihre Mutter als Unsinn ab. Und irgendwie war da ja auch ein Zweifel geblieben, die Indizien sprachen jedenfalls dafür, dass Thomas Buchner der Wilderer war, der damals das Wachnertal unsicher gemacht hatte.

»Madel, wo bleibst’ denn?«

Anna Lechner kam um die Ecke. Als sie ihre Tochter so verträumt dasitzen sah, lächelte sie.

»Komm«, sagte sie, »wir müssen uns beeilen. Die Maria wartet doch!«

Maria Kerner war die Schneiderin in St. Johann, die Franzis Hochzeitsdirndl geschneidert hatte. Heute sollte die letzte Anprobe sein.

*

»Buchner«, sagte der junge Mann an der Rezeption des Hotels, »ich habe ein Zimmer reserviert.«

Kathrin Neubauer lächelte verbindlich, nachdem sie einen Blick auf die Reservierungsliste geworfen hatte.

»Ja, Herr Buchner, hier steht’s. Herzlich willkommen im Hotel ›Zum Löwen‹.«

Sie händigte ihm einen Schlüssel aus.

»Zimmer einhundertzwei, im ersten Stock.«

Thomas Buchner nahm den Schlüssel entgegen und winkte ab, als die Hotelangestellte nach dem Hausburschen rief.

»Lassen S’ nur«, sagte er. »Es ist ja bloß der eine Koffer.«

Er nahm ihn auf und ging mit federnden Schritten die Treppe hinauf. Kathrin blickte dem neuen Gast nachdenklich hinterher.

Ziemlich gut aussehender Bursche, und irgendwie kam er ihr bekannt vor …

Woher nur? War er ein Gast, der früher schon einmal hier gewohnt hatte?

Sie zuckte die Schultern. Es wohnten so viele Menschen im ›Löwen‹, da konnte man sich beim besten Willen nicht an jeden einzelnen erinnern.

Thomas Buchner schloss das Zimmer auf und trat ein. Es war groß und hell, mit bequemen Sitzmöbeln ausgestattet, hatte ein großes Fenster und war überhaupt kein Vergleich mit der Zelle, die er bis vor zwei Jahren vierundzwanzig Monate lang bewohnt hatte.

Er schaute in das Bad und nickte zufrieden. Dann packte er den Koffer aus und öffnete das Fenster. Sein Blick fiel auf den Parkplatz des Hotels und auf das Auto, mit dem er gekommen war.

Ein Luxussportwagen, den zu fahren er sich vor einigen Jahren noch nicht hatte vorstellen können!

Thomas schloss das Fenster wieder. Im Bad nahm er eine ausgiebige Dusche und zog frische Sachen an. Ein dunkelblaues Polohemd, graue Stoffhose, hellbraune Slipper. Das karierte Sakko war leicht. Eigentlich hätte er darauf verzichten können, aber es unterstrich sein elegantes Auftreten, und darauf legte er großen Wert. Zufrieden betrachtete er sich in dem großen Spiegel des Kleiderschranks.

Was er sah, war ein Mann von Welt. Schlank, eins achtzig groß, mit einem markanten Gesicht und blauen Augen. Das blonde Haar war modisch geschnitten, und die ganze Erscheinung hatte nichts mehr mit dem Mann gemein, der er vor ein paar Jahren noch gewesen war.

Eine Hand in der Hosentasche, ging er nach unten und schlenderte lässig durch die Hotelhalle. Kathrin Neubauer sah ihn lächelnd an, er lächelte zurück.

Kaum zu glauben!

Früher war er gerade mal bis auf den Saal des Hotels gekommen, um an dem samstäglichen Tanzabend teilzunehmen. Jetzt bewohnte er hier ein teures Einzelzimmer und spazierte durch die Lobby, als hätte er sein Lebtag nichts Anderes getan.

Thomas trat nach draußen und schaute sich um. St. Johann hatte sich nicht verändert. Selbst die vielen Urlauber gab es immer noch.

Er wandte sich nach rechts und ging weiter zum Kaffeegarten. Thomas suchte sich einen freien Tisch und bestellte Kaffee. Dann saß er da, ließ seinen Blick schweifen und dachte über vieles nach.

Er hatte lange gezögert, zurückzukehren. Aber in seinem Leben hatte sich so viel ereignet, dass er selbst davon am meisten überrascht worden war. Erst jetzt hielt er den Zeitpunkt für gekommen, nach St. Johann zu fahren. Es gab zwei Dinge, die er unbedingt hier erledigen musste.

Erstens musste er den Mann finden, der Schuld daran war, dass er zwei Jahre unschuldig eingesperrt war, und diese Unschuld auch beweisen.

Zweitens wollte er endlich sein Schweigen brechen und Franzi wiedersehen.

Wie oft hatte er in all den Jahren an sie gedacht, sich vor Liebe und Sehnsucht nach ihr verzehrt!

Und doch hatte er nie den Mut gehabt, sich bei ihr zu melden, ihr zu sagen, dass er sie immer noch liebte und eines Tages heiraten würde. Stattdessen hatte er nur von ihr geträumt. Jetzt war er hier, um endlich diesen Traum wahr werden zu lassen.

Thomas Buchner legte ein paar Geldstücke auf den Tisch und verließ das Gartenlokal. Bevor er mit Franzi Kontakt aufnahm, wollte er erst einmal mit dem Mann sprechen, der als Einziger an seine Unschuld geglaubt und vor Gericht für ihn ausgesagt hatte.

Pfarrer Trenker, der Bergpfarrer, der gute Hirte von St. Johann!

Thomas ging den Kiesweg hinauf und drückte die schwere Klinke der Kirchentür herunter. Er betrat den Vorraum und schaute durch die Glasscheibe. Eine Gruppe Touristen wurde gerade durch das Gotteshaus geführt. Der einsame Besucher beschloss, einen Moment abzuwarten und blickte auf die Tafel, die neben den Fenstern angebracht war. Dort wurden immer die kirchlichen Meldungen ausgehängt.

Ein Kind war auf den Namen Tobias Hochleitner getauft worden, ein Franz Herbringer verstorben und das Seelenamt für ihn gelesen worden, ebenso für eine Burgl Steiner.

Thomas las die Liste, und plötzlich blieb sein Blick gebannt auf zwei Namen stehen. Ungläubig riss er die Augen auf, sein Mund war ganz trocken geworden, und der Puls beschleunigte sich.

Und Franziska Lechner und Markus Berninger hatten das Aufgebot zur Hochzeit bestellt!

Noch einmal las er die Namen und konnte es immer noch nicht glauben. Und doch stimmte es, in nicht einmal drei Wochen würde sein früherer Arbeitgeber Franzi zum Traualtar führen …

Thomas hastete zur Tür und lief hinaus. Draußen fuhr er sich mit dem Finger durch den Hemdkragen und rang nach Luft.

Franzi heiratete! Er konnte es einfach nicht glauben – sie hatte doch versprochen, auf ihn zu warten!

Und jetzt?

Mit einem Mal schien ihm alles so sinnlos. Seine Rückkehr nach St. Johann, seine Hoffnung auf ein Wiedersehen voller Glück, eine baldige Hochzeit.

Sie heiratete einen anderen!

*

»Ach, Kind, was bist du schön!«

Anna Lechner musste an sich halten, um nicht in Tränen auszubrechen, als sie ihre Tochter sah. Franzi sah aber auch wirklich umwerfend aus. Sie hatte ohnehin eine Figur, die Männer zum Träumen brachte. Alles war genau an den Stellen, wo es hingehörte. Das Trachtenkleid, das Maria Kerner geschneidert hatte, saß wie angegossen. Es war aus einem cremefarbenen Stoff, mit altrosa Spitzen und passender Schürze. Das Oberteil war ausgeschnitten und ebenfalls mit altrosafarbener Spitze eingefasst. Marie hatte ein Tuch in derselben Farbe genäht, das sie Franzi um die Schultern legte.