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Über das Buch

Mit sechzehn noch ungeküsst? Das möchte Holly unbedingt ändern. Im Sommercamp mit ihren Freunden hofft sie daher, endlich ihren Schwarm Josh zu küssen. Doch dann kommt alles anders als geplant. Ihre Tante in Cornwall bricht sich ein Bein und Holly soll den Sommer über in ihrem Antiquitätenladen aushelfen. Da entdeckt Holly im Laden ihrer Tante eine alte magische Taschenuhr, mit der sie die Zeit zurückdrehen kann. Kann Holly den Treppensturz ihrer Tante ungeschehen machen, um so doch noch zu ihrem Kuss mit Josh zu kommen?

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

1

cover

»It’s just another manic Monday.« Holly Thompson wirbelte ihren Putzlappen über den Behandlungstisch. Während sie das Metall blitzblank schrubbte, sang sie aus vollem Hals mit. »I wish it was Sunday!« Ihr Vater würde später mit Argusaugen überprüfen, ob noch irgendwo Blut oder andere Flecken zu finden waren, deshalb ging sie gründlich zu Werke.

Holly mochte die Musik der Bangles, deshalb hatte sie das Radio auf volle Lautstärke gestellt. Ihr Vater machte noch einen Hausbesuch auf dem nahen Reiterhof. Er war zu einer Stute mit Koliken gerufen worden und würde wohl noch eine Weile weg sein. Und ihr Bruder war beim Rudertraining. Holly hatte das Haus also für sich allein.

Ihre Familie lebte in der Nähe des Wanstead-Parks im Osten von London. Das Viertel war rund zehn Meilen vom Stadtzentrum entfernt und damit alles andere als zentrumsnah, aber für ihren Vater zählte die sichere Lage. Hier lief man nicht Gefahr, nach Einbruch der Dunkelheit überfallen und ausgeraubt oder gar verletzt zu werden.

Hollys Vater war Tierarzt. Seine Praxis war im Anbau des Hauses untergebracht und verfügte neben den Sprech- und Behandlungszimmern auch über einen OP sowie einen Raum, in dem kranke Tiere bei Bedarf aufgenommen und gesund gepflegt werden konnten. Holly half nach der Schule in der Praxis mit. Nicht nur, um ihr Taschengeld aufzubessern, sondern auch, weil sie Tiere liebte und später unbedingt Tierärztin werden wollte. Früher hatte ihre Mutter in der Praxis mitgearbeitet. Ihre Eltern waren ein gutes Team gewesen, aber dann hatte ihre Mutter immer mehr an Gewicht und Kraft verloren. Als sie schließlich zum Arzt gegangen war, hatte der Tumor in ihrem Unterleib bereits gestreut und sich in ihrer Lunge eingenistet. Die Behandlungen hatten ihr nicht mehr helfen können. Im Verlauf weniger Monate war sie immer schwächer geworden. Als würde die Krankheit sie von innen heraus auflösen. Vor zwei Jahren war sie schließlich gestorben – so still, als würde sie nur einschlafen, aber sie war nicht mehr aufgewacht. Holly vermisste sie schmerzlich. Inzwischen gelang es ihr, sich auch wieder an die schönen Zeiten mit ihrer Mom zu erinnern und nicht nur an ihr Leiden. Sie entsann sich ihres Lächelns. Und wie sehr ihre Mom Musik geliebt hatte. Sie hätte jetzt sicherlich mit Holly zusammen gesungen.

Das Lied der Bangles war zu Ende und ging in einen Song von den Beatles über. Holly machte das Radio aus. Sie schrubbte weiter, bis der Behandlungstisch vor Sauberkeit glänzte. Dann bereitete sie die Schale mit dem Desinfektionsmittel vor und legte die Instrumente hinein, die ihr Vater zuletzt verwendet hatte: einen Nadelhalter, einen Wundhaken sowie eine Wurzelzange.

Vor den Fenstern der Praxis wurde es bereits dunkel. Es nieselte, und ein wolkenverhangener Himmel wölbte sich über der Stadt. Die Touristen würden jetzt sicherlich auf das typische Londoner Wetter schimpfen, aber Holly warf einen flüchtigen Blick hinaus und zuckte mit den Achseln. Sie würde es sich später mit einer neuen Folge von »Orphan Black« in ihrem Zimmer gemütlich machen und störte sich nicht an dem Wetter.

Holly wischte den Fußboden und sah sich zufrieden um. Geschafft! Das Behandlungszimmer glänzte vor Sauberkeit! Dafür knurrte ihr Magen und erinnerte sie daran, dass sie seit dem Mittagessen keinen Bissen zu sich genommen hatte.

Sie schloss die Praxis ab und ging in die Küche. Hier stürmten ihr Triggles und Prosper entgegen. Triggles war ein Kater, den Holly verletzt am Straßenrand gefunden und mit heimgenommen hatte. Er hatte nur noch drei Beine, konnte aber jedem Hund davonrennen, wenn es darauf ankam. Prosper war ein etwas angegrauter Terrier, der seine Ruhe liebte. Er strich Holly um die Beine und wedelte, bis sie sich zu ihm hinunterbückte und ihn streichelte.

Sie schmierte sich ein Erdnussbuttersandwich und nahm es mit in ihr Zimmer. Kauend setzte sie sich mit überkreuzten Beinen auf ihr Bett und sah zu, wie sich Prosper schnaufend auf dem Teppich zusammenrollte und den Kopf auf die Vorderpfoten bettete. Auf ihrem Schreibtisch lag der Ordner mit ihren Aufzeichnungen aus dem Englischkurs. Holly streifte ihn mit einem Blick und seufzte leise. Sie musste bis morgen noch ein Sonett von Shakespeare auswählen und interpretieren. Und das so kurz vor den Ferien! Was sollte das eigentlich? Ihr Lehrer würde die Arbeit bestimmt nicht mehr benoten.

Holly blies die Wangen auf und ließ die Luft wieder entweichen. Da half nun alles nichts. Sie würde in den sauren Apfel beißen und die Hausaufgaben erledigen müssen. Es sei denn … In diesem Augenblick hörte sie ein Geräusch und spitzte die Ohren. Ein Kratzen war es. Es kam aus der unteren Etage. War Triggles wieder auf Mäusejagd? Oder kam ihr Vater nach Hause? Jetzt schon?

»Dad?« Holly richtete sich auf und lauschte. »Bist du das?«

Unten blieb alles still. Hatte sie sich getäuscht? Nein! Da war das Geräusch wieder! Irgendetwas schabte an einem der Fenster entlang. Das war ganz sicher nicht ihr Kater. Schon eher ein Streich von Ben. Ihrem Bruder war es durchaus zuzutrauen, dass er versuchte, ihr Angst einzujagen. Oder versuchte ein Einbrecher, ins Haus zu gelangen? Obwohl das Licht brannte und jemand daheim war?

Hollys Herz klopfte plötzlich bis zum Hals. In der »Times« standen hin und wieder erschreckende Storys von Überfällen. Allerdings wurden die eher in der Innenstadt begangen und nicht hier draußen in ihrem abgelegenen Vorort.

Was also ging da unten vor sich?

Kurzentschlossen sprang Holly vom Bett. Ihr Handy in der einen Hand und das Buch mit Shakespeares gesammelten Werken in der anderen huschte sie die Treppe hinunter und schaute sich dabei nach allen Seiten um. Wo versuchte der Einbrecher ins Haus zu gelangen?

Auf der untersten Stufe lag Triggles und rührte sich nicht, sodass Holly ihn um ein Haar übersehen und auf seinen Schwanz getreten wäre. »Ein schöner Wachkater bist du!«, schimpfte sie. »Hörst du das denn nicht?«

Triggles gähnte herzhaft.

Das Schaben wurde lauter.

Hollys Magen verwandelte sich in einen Knoten. Sie schlich um die Ecke und spähte durch das Flurfenster nach draußen. Da! Eine Bewegung! Im Garten! Dort verbarg sich jemand! Erschrocken machte sie einen Satz rückwärts. Ihr Herz raste. Sekundenlang wagte sie nicht, sich zu rühren. Schließlich fasste sie sich ein Herz und spähte noch einmal hinaus. Endlich erkannte sie den abendlichen Besucher und riss die Haustür auf. »Joshua? Mensch! Hast du mich erschreckt! Warum schleichst du denn hier ums Haus?«

Joshua Forbes grinste über das ganze Gesicht. Er war in ihrem Alter und besuchte dieselben Kurse wie sie. Mit seinen verstrubbelten blonden Haaren und den leuchtend blauen Augen war er der Schwarm fast all ihrer Klassenkameradinnen. Joshua hatte dieses Funkeln in den Augen, das einem Mädchen alles versprach. Und auch Holly war alles andere als immun gegen seinen Charme. In seiner Nähe schien ihr Magen Salsa zu tanzen und sie war unbeholfen und plump.

»Sag bloß, du hast dich gefürchtet, Holly?«, fragte er lachend.

»Davon kannst du ausgehen. Ich dachte, du wärst ein Einbrecher.«

»Und den hättest du mit«, er spähte auf den Einband ihres Buches, »mit Shakespeare ausgeknockt?«

»Das war der Plan.« Holly konnte nicht anders, als in sein Lachen mit einzustimmen. Sie trat von der Tür zurück und deutete einladend ins Haus. »Willst du reinkommen?«

»Klar, wenn ich nicht störe. Ich habe vergessen, mir die Hausaufgaben für Latein zu notieren. Kannst du mir aushelfen?«

»Wir haben für Latein gar nichts auf.«

»Tatsächlich?« Joshuas Grinsen wurde noch eine Spur breiter. »Dann hast du mich wohl erwischt. Ich wollte dich sehen, weißt du?«

Hollys Herz begann in ihrer Brust zu flattern. Seit einigen Wochen flirtete Joshua mit ihr. Mehr war zwischen ihnen noch nicht passiert, aber wenn es nach ihr ging, würde sich das in diesem Sommer ändern. Sie hatte Joshua gern. Verflixt gern sogar. Ob er Hunger hatte? Vielleicht konnte sie ihm etwas zu Essen anbieten?

Bevor sie jedoch dazu kam, stürmten Triggles und Prosper in den Flur. Der Kater jagte dem Terrier hinterher und fauchte, während dieser bellte.

»Oh, Mann, die beiden hassen sich wirklich«, stellte Joshua fest.

»Das sieht nur so aus. Wenn ich nachts aufstehe, um etwas zu trinken, erwische ich sie, wie sie Rücken an Rücken in Prospers Korb schlafen. Total einträchtig. Ihr Streit ist nur Show.«

»Im Ernst? Verrückt!« Joshua sah den beiden nach, die einmal quer durch die Diele stürmten und dann davonjagten, als würde ihnen der Schwanz brennen. Sein Lächeln ließ Hollys Magen flattern. Ihr Kopf war mit einem Mal wie leergefegt. Was hatte sie gleich noch sagen wollen?

Joshua schien ihre Verlegenheit zu bemerken, denn er machte einen Schritt auf sie zu und stand plötzlich so dicht vor ihr, dass sie die Wärme spüren konnte, die durch sein T-Shirt drang. Seine Augen ruhten unverwandt auf ihrem Gesicht. »Du bist unheimlich süß, Holly, weißt du das?«

»Ich, also …« Ihre Stimme war weg. Sie räusperte sich, während ihre Wangen zu brennen anfingen. Warum fiel ihr keine Erwiderung ein? Ein Kompliment? Ein Scherz? Komm schon, Holly, ermahnte sie sich selbst, denk nach! Du musst etwas sagen. Irgendetwas. Doch ihr Kopf war komplett leer.

»Holly«, raunte Joshua und schlang die Arme um sie. Er senkte den Kopf, und sein Mund kam ihrem immer näher. Er zog sie noch ein wenig enger an sich, dann berührte er ihre Lippen – und fuhr in der nächsten Sekunde zurück, als hätte er einen elektrischen Schlag bekommen. Seine Hand fuhr an seinen Mund, und er riss die Augen weit auf. »Hast du Erdnüsse gegessen? Sag schon! Hast du?«

»Ich … ja, es war Erdnussbutter«, stammelte sie. »Warum?«

»Weil ich allergisch dagegen bin.« Er zog am Kragen seines Shirts, als wäre es ihm plötzlich zu eng. Sein Atem kam schwer und stoßweise.

Holly wurde es himmelangst. »Du bist allergisch, aber das ist nicht schlimm, oder?«, hakte sie unsicher nach. »Schließlich hast nicht du die Nüsse gegessen, sondern ich. Das macht sicherlich nichts.«

»Doch. Du verstehst das nicht. Selbst der kleinste Kontakt mit dem Zeug kann mich umbringen. Du hattest es noch auf den Lippen und ich hatte Kontakt und …« Joshua stockte. Sein Gesicht färbte sich dunkelrot, dann bläulich. Seine Augenlider schwollen an, als hätte er sich geprügelt. Rings um seinen Mund bildeten sich rötliche Quaddeln. Er wankte, als würde er jeden Augenblick umkippen.

Holly sah ihn erschrocken an. »Was kann ich tun? Joshua? Sag mir, wie ich dir helfen kann!«

Er öffnete den Mund, brachte aber nur ein Röcheln hervor. Wankend klammerte er sich an die Kante des Telefonschranks und krümmte sich keuchend. Plötzlich sackte er in die Knie und schlug mit dem Kopf auf dem Dielenboden auf.

»Joshua?« Holly schlug sich eine Hand vor den Mund. »O mein Gott! Was ist mit dir? Joshua!«

2

cover

Ich habe es vergeigt, liebes Tagebuch. Und wie! Heute Abend wollte Joshua mich küssen und wäre beinahe gestorben. Ich musste den Rettungsdienst rufen. Der Sanitäter hat etwas von einem anaphylaktischen Schock gemurmelt und Joshua eine Infusion gelegt. Dann haben sie ihn auf dem schnellsten Weg ins Krankenhaus gebracht. Ich wollte mitfahren, aber das durfte ich nicht. Ich musste auf Dad warten, damit er mich zur Klinik fahren konnte. Dort haben wir erfahren, dass es Joshua schon besser geht. Er muss allerdings über Nacht im Krankenhaus bleiben, falls es Komplikationen gibt. Noch mal kommt er mir bestimmt nicht näher. Ich bin jetzt sechzehn und wurde noch nie richtig geküsst. Noch nie! In der dritten Klasse hat Danny es versucht, aber er war schüchtern und hat nur meine Nasenspitze erwischt. Und seitdem? Nix. Nada. Habe ich irgendetwas an mir, das die Jungs vergrault? Auf jeden Fall könnte man sagen, dass ich ein mieses Karma habe, was das Küssen angeht. Ich wünschte, ich könnte Mom um Rat fragen. Mit Dad kann ich nicht über solche Sachen reden. Er wird ja schon total verlegen, wenn ich Slipeinlagen auf den Einkaufszettel schreibe …

Vor Hollys Fenster donnerte es. Erschrocken schaute sie von ihrem Tagebuch auf. Sie hatte gar nicht bemerkt, dass ein Gewitter aufgezogen war. Unwillkürlich kuschelte sie sich noch ein wenig tiefer unter das Plaid auf ihrem Bett. Bunte Kissen stützten ihren Rücken. Die Nachttischlampe brannte und tauchte ihr Zimmer in gemütliches Licht. Im Terrarium neben der Tür aalte sich ihre Landschildkröte unter der Wärmelampe und reckte ihren Kopf weit aus ihrem Panzer. Hollys Zimmer lag unter dem Dach. Jeder Winkel verriet, dass sie Tiere liebte. Die schrägen Wände waren mit selbst aufgenommenen Tierfotografien geschmückt, und im Bücherregal neben ihrem Schreibtisch stapelten sich Artikel über ungewöhnliche Tierfreundschaften, die Holly aus Zeitschriften ausgeschnitten hatte.

Holly kaute auf dem Ende ihres Kugelschreibers herum. Sie war erleichtert, dass es Joshua besserging, aber der Schreck saß ihr immer noch in allen Knochen. Wie leicht hätte das schiefgehen können!

Ihr Mobiltelefon lag auf dem Nachttisch. Das Display leuchtete auf, und die Melodie von »Supergirl« erklang. Die Anruferin war Nica. Sie waren schon seit dem Kindergarten befreundet. Nica lebte mit ihren Eltern in der Nachbarschaft. Ihrem Vater gehörte ein Plattenlabel, deshalb hatte er häufig mit berühmten Musikern zu tun. Während Holly ein ums andere Mal aus dem Häuschen war, wenn sie erfuhr, wer bei Nicas Eltern zu Besuch gewesen war, ließen Namen wie Bono oder Avicii ihre Freundin völlig kalt.

Holly hatte das Telefon kaum am Ohr, als ihre Freundin am anderen Ende der Verbindung kreischte: »O mein Gott! O mein Gott!«

»Was ist denn los? Bist du plötzlich gläubig geworden?«

»Besser! Viel besser!« Nica kicherte. »Stell dir vor, Luke und ich waren heute Abend im Kino, aber wir haben kaum etwas von dem Film mitbekommen, weil er mich geküsst hat! Kannst du dir das vorstellen? Wir sind jetzt offiziell zusammen.«

»Wow.«

»Ja, ist das nicht klasse? Er ist so süß. Er hat mir gestanden, dass er mich schon lange um ein Date bitten wollte, sich aber nicht getraut hat. Ich bin glücklich, Holly. So richtig glücklich. Ich könnte die ganze Welt umarmen.«

»Fang am besten mit Luke an.«

»Das mache ich. Morgen wollen wir zusammen shoppen gehen. Luke braucht ein Geburtstagsgeschenk für seine Schwester und ich soll ihm ein paar Tipps geben, worüber sie sich freuen würde. Ich kann es kaum fassen. Es ist endlich passiert!«

»Ich freue mich für dich.«

»Danke! Und wie steht es zwischen Joshua und dir? Habt ihr euch endlich verabredet? Den Blicken nach zu urteilen, die er dir in der Schule zugeworfen hat, kann das nicht mehr lange dauern. Oder ist er auch zu schüchtern?«

»Frag lieber nicht!«, seufzte Holly.

»Wieso denn? Was ist los? Hat er etwa eine andere?«

»Wenn es nur das wäre …«

»Nur das?!« Nica schnappte nach Luft. »Ist er etwa frech geworden?«

»Kein bisschen. Er war heute Abend bei mir. Wir haben herumgealbert, und dann wollte er mich küssen.«

»Mensch, Holly, das ist ja fantastisch! Dein erster Kuss!«

»Von wegen. Es war furchtbar. Ich hatte kurz vorher Erdnussbutter gegessen, und Joshua ist dagegen allergisch.«

»O nein!«

»O doch. Wir hatten uns kaum berührt, als er plötzlich blau anlief und keine Luft mehr bekam. Ich musste die Rettung anrufen. Er wurde ins Krankenhaus gebracht. Inzwischen ist er über den Berg, aber ich schätze, er redet nie wieder ein Wort mit mir.«

»Puh.« Nica stieß hörbar den Atem aus. »Das war ja wirklich der Horror, aber jetzt übertreibst du.«

»Übertreiben? Hast du mir nicht zugehört? Ich habe ihn fast umgebracht!«

»Du bist das Mädchen mit dem Todeskuss.« Nica kicherte.

»Das ist nicht witzig«, schnaufte Holly.

»Nein, du hast Recht, aber das wird schon wieder. Joshua wird sich von so einem Zwischenfall nicht abschrecken lassen. Er mag dich, das sieht sogar ein Blinder.«

»Nein, das war’s für uns. Ich glaube, ich werde nie einen Freund haben. Irgendetwas geht immer schief.«

»Unsinn. Wie sagt meine Oma immer? Was lange währt, wird gut! Warte es ab. Es dauert vielleicht seine Zeit, aber irgendwann triffst du auch deinen Prinzen.«

»Ich bin verzweifelt. Inzwischen müsste es gar kein Prinz sein. Zum Üben würde mir durchaus auch ein Frosch genügen.« Holly zupfte unglücklich an ihrem Zopf. »Mit sechzehn noch ungeküsst! Kannst du dir das vorstellen? Ich bin so eine Niete.«

»Mach dich nicht klein.«

»Das muss ich gar nicht. Vielleicht liegt es an meinem Äußeren.« Holly warf vom Bett aus einen Blick in den Spiegel an ihrem Kleiderschrank. Sie hatte die roten Locken ihrer Mutter geerbt, die sich nur bändigen ließen, indem sie sie zu einem dicken Zopf flocht. Ihre Nase wurde von Sommersprossen gesprenkelt, die kein Make-up wegzaubern konnte. Holly mochte nur ihre grünen Augen, die geheimnisvoll funkelten und ebenfalls ein irisches Erbteil ihrer Mutter waren. »Ich sehe aus wie die Schwester von Ron Weasley«, klagte sie.

»Das stimmt doch nicht. Du bist total hübsch. Du versteckst dich nur unter weiten Pullis und langen Hosen. Wenn du den Jungs wirklich auffallen willst, solltest du dich nicht immer so kleiden wie meine Tante Charlotte.«

»Autsch.« Holly verzog unwillkürlich das Gesicht, als hätte sie sich gerade den großen Zeh angestoßen. »Bin ich auch so rund?«

»Eben nicht. Das warst du früher, aber seit dieser Nierengeschichte vor einem Jahr bist du gertenschlank. Das ist nur noch nicht in deinem Kopf angekommen. Du solltest deinen Kleiderschrank echt mal ausmisten und dir neue Klamotten kaufen. Ein paar hautenge Teile, Röcke und so.«

»Das ist aber nicht mein Stil.«

»Damit würdest du die Blicke der Jungs auf dich ziehen. Es würde auch helfen, wenn du nicht plötzlich die Sprache verlieren würdest, sobald ein Junge mit dir redet.«

»Die besten Antworten fallen mir eben immer erst hinterher ein. Aber selbst wenn ich reden könnte wie der olle Cicero persönlich, würde das auch nichts ändern. Ich bin einfach eine Niete. Ich könnte es mir auf die Stirn tätowieren lassen. Mein Zeugnis ist gut, aber wenn es Küssen ein Unterrichtsfach wäre, hätte ich todsicher ein Ungenügend.«

»Kommt drauf an, wer es unterrichten würde. Stell dir vor, es wäre Herr Braga.«

»Mit seiner Knoblauchfahne? O nein!« Holly musste lachen, und ihre Freundin stimmte mit ein.