Der Bergpfarrer 118 – Wer andere auf die Probe stellt

Der Bergpfarrer –118–

Wer andere auf die Probe stellt

… ein Liebestest stiftet Unruhe

Roman von Toni Waidacher

Das junge Madel schmiegte sich an den Burschen. Die Augen schauten beinahe flehentlich.

»Ich mag überhaupt net, daß du ohne mich in den Urlaub fährst«, sagte Bettina Burgner und zog einen Schmollmund.

Jörg Stockinger schmunzelte und gab ihr einen Kuß.

»Also, erstens ist’s ja nur für ein paar Tage«, meinte er. »Und zweitens fahre ich ja net alleine, sondern mit Carsten.«

»Gerade das ist es ja«, erwiderte Tina und reckte trotzig ihr hübsches Gesicht. »Für den hast du Zeit, und ich? Ich kenn’ ihn überhaupt net, weiß gar net, was das für einer ist.«

»Ach, Mensch, jetzt mach’s mir doch net so schwer«, bat der Student. »Carsten ist mein bester Freund, so wie du diese Christel hast. Die hab’ ich bisher auch noch net zu Gesicht bekommen. Net einmal ein Foto hast du mir gezeigt.«

»Weil sie alle zu Haus’ sind, bei meinen Eltern.«

»Na siehst du, und ich besitze überhaupt keine Fotos, auf denen Carsten zu sehen ist. Net einmal eines, auf dem wir zusammen drauf wären.«

Tina seufzte. Seit einem halben Jahr waren sie und Jörg befreundet. Sie studierten zusammen an der Uni in Regensburg, und jetzt stand die erste große Trennung bevor. Erst gestern abend hatte der Freund ihr gesagt, daß er in den Semesterferien verreisen würde – ohne sie.

Jörg zog sie ganz eng an sich.

»Schau«, versuchte er, sie zu trösten, »es sind net einmal zwei Wochen, dann bin ich wieder da, und wir verbringen den Rest der Semesterferien zusammen. Versprochen!«

Bettina zuckte die Schultern. Was blieb ihr auch anderes übrig?

Schuld war sie selber. Noch vor ein paar Tagen hatte sie nämlich gesagt, daß sie in den Ferien nach Hause fahren wolle. Daraufhin hatte Jörg sich gleich mit seinem Freund verabredet.

»Na schön«, seufzte sie. »Aber, daß du mir keine Dummheiten machst und mir treu bleibst!«

Ihr Freund schmunzelte.

»Du weißt doch, daß ich nur dich liebe«, antwortete er. »Außerdem ist St. Johann so ein braver Ort. Da gibt’s net einmal eine Disko. Aber Carsten und ich wollen ohnehin nur in den Bergen wandern, so wie wir es früher immer getan haben.«

Der Student schaute auf die Uhr.

»Du, ich muß los«, sagte er hastig. »Der alte Wennemann sieht’s net gern’, wenn sich jemand verspätet. Wie lang’ hast du noch?«

»Eine Vorlesung in Chemie«, antwortete das hübsche Madel.

»Prima, dann treffen wir uns nachher beim Italiener?«

Tina nickte.

»Auf jeden Fall. Morgen fährst du ja schon...«

Es klang sehr traurig.

Jörg küßte sie liebevoll.

»Dafür machen wir’s uns heut’ abend gemütlich«, versprach er.

Es wurde wirklich ein schöner Abend, trotzdem fiel ihnen der Abschied am nächsten Tag schwer. Während Jörg mit beladenem Auto in Richtung Alpen fuhr, saß Tina hinter dem Lenkrad ihres kleinen Wagens, um zu ihren Eltern zu fahren, die in einem kleinen Ort in der Nähe von Regensburg wohnten.

Eigentlich keine lange Fahrt, doch die Studentin brauchte über zwei Stunden, weil sie immer wieder anhielt und sich die Tränen aus dem Gesicht wischte.

Sie war traurig und eifersüchtig zugleich. Jörg schaute aber auch unverschämt gut aus. Jede Frau konnte er haben, und Tina hatte es zuerst gar nicht glauben können, daß wirklich sie es war, in die er sich verliebt hatte. Wenn sie sich jetzt vorstellte, daß ihn andere Frauen anhimmelten, wurde sie schier wahnsinnig.

»Hältst du mir auch ja die Treue?«

Diese Frage hatte sie ihm gestellt, bevor er losgefahren war. Lachend hatte Jörg sie angesehen und genickt.

»Aber natürlich, Spatzl. Ich liebe nur dich!«

Trotz seiner Beteuerung hatte sie Zweifel. Sie konnte sich zwar nicht erklären, woher sie kamen, aber sie waren eben da.

Am liebsten hätte sie den Wagen gewendet und wäre ihm hinterhergefahren!

Aber das ging natürlich nicht.

Was sollte er denn von ihr denken, wenn sie ihn kontrollierte?

Kontrolle, durchzuckte es sie, wie lautete noch das Sprichwort?

Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser.

Und plötzlich kam ihr eine verwegene Idee...

*

Hermine Wollschläger schaute die junge Frau mißtrauisch an, die eben an der Tür des Pfarrhauses geklingelt hatte.

»Ja, bitte?«

Katharina Sonnenleitner lächelte die hagere Haushälterin an.

»Grüß Gott«, sagte sie und nannte ihren Namen. »Könnt’ ich wohl den Herrn Pfarrer sprechen?«

»Worum geht’s denn?« wollte Hermine wissen.

Seit sie einmal auf eine Diebin hereingefallen war, die sich unter Vorspiegelung falscher Tatsachen, als Nonne verkleidet, in das Pfarrhaus eingeschlichen und Geld gestohlen hatte, das für eine Freizeitfahrt junger Gemeindemitglieder gedacht war, hatte die Haushälterin ein gesundes Mißtrauen entwickelt. Jeder Fremde, der an der Tür schellte, wurde erst einmal gründlich in Augenschein genommen; so schnell kam ihr keiner mehr ins Pfarrhaus herein.

Die junge Frau machte indes einen ganz ordentlichen Eindruck, wenn ihr Rock für Hermines Geschmack auch ein bissel zu kurz geraten war. Das Gesicht war jedenfalls offen und ehrlich, und hübsch dazu. Irgendwie erinnerte es die Haushälterin an jemanden, den sie kannte. Nur im Moment wußte sie nicht, wer das war.

»Ich bin auf der Suche nach jemandem«, antwortete Kathrin, »und ich hab’ gedacht, Hochwürden könnt’ mir dabei behilflich sein.«

Auch wenn sie keinen begründeten Verdacht hatte, um die Besucherin abzuweisen, so wollte Hermine Wollschläger sie doch nicht so ohne weiteres hereinlassen. Kathrin Sonnenleitner wäre wohl unverrichteter Dinge wieder abgezogen, als die Haushälterin erwiderte, Hochwürden sei beschäftigt und habe keine Zeit, wenn Blasius Eggensteiner nicht just in diesem Moment aus seinem Arbeitszimmer gekommen wäre und die Frau an der Tür gesehen hätte.

»Was ist denn?« wandte sich der Geistliche von St. Anna an Hermine. »Besuch?«

Kathrin lächelte.

»Grüß Gott, Hochwürden«, sagte sie. »Entschuldigen S’ bitte die Störung. Ich hätt’ da eine Frage...«

Dabei ahnte sie gar nicht, was für ein Glück sie hatte.

Blasius Eggensteiner war an diesem Mittag schon bei einem Krankenbesuch gewesen. Die Mutter eines Bauern lag seit einer Woche mit einem Hexenschuß im Bett, und der Seelsorger sah es als seine Pflicht an, sie zu besuchen und sich nach dem Fortschritt der Gesundung zu erkundigen.

Indes tat er das nicht ganz uneigennützig und natürlich hatte er für den Besuch die Mittagszeit gewählt, weil er wußte, daß die Familie der Altbäuerin es sich nicht nehmen lassen würde, ihn zum Essen einzuladen...

Satt und zufrieden war er ins Pfarrhaus zurückgekehrt, hatte den mißtrauischen Blick seiner Haushälterin ignoriert, mit dem sie ihn betrachtete, als er nur einen Teller mit dünner Suppe aß. Und diese Zufriedenheit hielt an.

»Bitte schön, treten S’ näher«, sagte er mit einer Freundlichkeit, die für Hermine Wollschläger völlig ungewohnt war.

Er führte die Besucherin in sein Arbeitszimmer und bat sie, Platz zu nehmen. Dann setzte er sich ihr gegenüber und schaute Kathrin Sonnenleitner erwartungsvoll an.

»Womit kann ich Ihnen denn helfen?« fragte der Geistliche und blickte sie noch genauer an.

Plötzlich stutzte er. Irgend etwas an ihr kam ihm bekannt vor. Er hatte dieses Gesicht schon einmal gesehen.

Aber wo?

Pfarrer Eggensteiner hatte keine Ahnung, daß es seiner Haushälterin vor einer Minute genauso ergangen war...

»Ich bin auf der Suche nach meinem Vater«, antwortete Kathrin auf die Frage des Geistlichen.

Der sah sie ein wenig irritiert an.

»Ich muß wohl etwas weiter ausholen«, lächelte sie. »Sie müssen wissen, daß ich bis vor ein paar Wochen noch gar nichts von ihm wußte.«

»Sie kennen Ihren Vater gar nicht?«

»Nein!« Sie schüttelte den Kopf. »Es ist so, ich komme aus Freiburg, im Breisgau, wo ich bis vor kurzem mit meiner Mutter gelebt habe. Sie ist...«

Kathrin schluckte.

»Sie ist gestorben«, fuhr sie leise fort. »Auf dem Sterbebett hat sie mir noch einen Namen gesagt, den ich aber gar nicht richtig verstehen konnte. Es hörte sich an wie, Renker, Wenker oder so ähnlich. Sie müssen wissen, daß Mama ganz schwach war und kaum noch sprechen konnte.«

Eine Träne rann ihr über das hübsche Gesicht, als sie sich daran erinnerte.

»Es tut mir sehr leid, daß Sie Ihre Mutter verloren haben«, sagte der Geistliche mitfühlend. »Aber wieso kommen Sie darauf, daß Ihr Vater hier in Engelsbach lebt? Im übrigen kenne ich niemanden mit dem Namen Renker oder Wenker.«

»Wissen Sie, Hochwürden, meine Mutter hat Zeit ihres Lebens nie über meinen Vater gesprochen. Ich lebte immer in dem Glauben, er sei schon vor meiner Geburt verstorben. Aber jetzt scheint sich das als Irrtum herauszustellen, genauso, wie die Annahme, meine Mutter stamme aus dem Allgäu, wie ich immer geglaubt habe. Nach ihrem Tod fand ich Papiere, die belegen, daß sie in Engelsbach geboren ist.«

Blasius Eggensteiner rieb sich nachdenklich über sein rundes Kinn.

»Also, soweit habe ich ja alles verstanden«, sagte er schließlich. »Was ich aber net weiß, wieso heißen Sie Sonnenleitner. Waren Ihre Eltern net verheiratet?«

Die junge Frau schüttelte den Kopf.

»Sonnenleitner ist der Geburtsname meiner Mutter.«

Der Geistliche räusperte sich.

»Nun ja, äh, das soll ja vorkommen«, meinte er und beschloß für sich, nicht weiter darüber nachzudenken, welche Unmoral wohl damit verbunden war. »Wissen Sie denn, wie Ihr Vater mit Vornamen heißt?«

»Leider net. Wie gesagt, meine Mutter war sehr schwach. Ich hatte Mühe, überhaupt etwas zu verstehen und bin gar net sicher, ob der Name richtig ist, den ich glaube, verstanden zu haben.«

»Renker, Wenker«, murmelte Blasius nachdenklich. »Selbst so ein ähnlicher Name ist mir hier noch net untergekommen. Aber wir können ja mal im Kirchenbuch nachschauen. Wenn er hier geboren und getauft worden ist, dann muß er da drin auch zu finden sein. Lassen S’ uns in die Kirche hinübergehen.«

Leider brachte die Suche kein Ergebnis. Nicht einmal ein Name, der im entferntesten so ähnlich klang, stand in dem schweren Buch, in dem seit über hundert Jahren alle wichtigen Ereignisse des Dorfes festgehalten waren.

Wohl aber fanden sie den Namen Sonnenleitner. Mehrmals sogar, und Edith war Katharinas Mutter. Doch wirklich weiterhelfen konnte ihnen diese Entdeckung auch nicht.

»Was wollen S’ denn jetzt anfangen?« fragte Blasius Eggensteiner, als sie wieder draußen vor der Kirche standen.

Die junge Frau zuckte die Schultern.

»Vielleicht versuch’ ich’s auf dem Sonnenleitnerhof«, erklärte sie. »Möglicherweise gibt es dort ja Verwandtschaft von mir, die mir weiterhelfen kann.«

»Eine gute Idee«, nickte der Geistliche. »Ich wünsche Ihnen jedenfalls viel Glück. Schauen S’ doch mal wieder herein, wenn S’ noch in der Gegend sind.«

Kathrin nickte.

»Mache ich, Hochwürden«, erwiderte sie. »Ich bleib’ noch eine Weile, hab’ mir ja extra Urlaub genommen. Ich wohne im Ochsen.«

»Fein«, sagte Blasius. »Dann hoff’ ich, daß Sie etwas über Ihren Vater in Erfahrung bringen.«

Er blickte ihr nach, wie sie die Straße hinunterging und in ein kleines Auto stieg. Dabei dachte er immer wieder darüber nach, an wen diese junge Frau ihn bloß erinnerte...

*

»Was soll ich? Also, jetzt spinnst du aber komplett!«

Christel Reininger saß im Zimmer ihrer Freundin auf deren Bett, hatte die Beine hochgezogen und schüttelte energisch den Kopf.

»Bitte, Chrisi, du mußt mir diesen Gefallen tun!« beschwor Tina sie.

»Wie stellst du dir das vor?«

Christel wußte nicht, ob sie belustigt oder empört sein sollte.

»Mensch, wenn das rauskommt, wie steh’ ich denn da?«

»Wieso soll das rauskommen?« argumentierte die Freundin dagegen. »Von mir erfährt Jörg bestimmt nix. Aber dann hätt’ ich wenigstens Gewißheit.«

Christel nahm ihren Becher mit Tee von dem kleinen Tisch, der vor dem Bett stand, und trank einen Schluck. Sie war gerade mal eine Stunde hier und wurde gleich mit so einem absurden Vorschlag überfallen.

»Ich weiß, was ich von dir verlange«, sagte Tina. »Aber du kennst doch den Spruch: Prüfe, wer sich ewig bindet...«

»Also, mit deinem Vertrauen ist es ja net weit her«, meinte Christel. »Wie soll das denn erst werden, wenn ihr verheiratet seid?«

Die Freundin senkte den Kopf.

»Ich will ihm ja vertrauen«, antwortete sie. »Aber wenn ich mir vorstelle, daß Jörg jetzt ganz alleine...«

»Na, alleine ist er ja wohl net«, unterbrach Christel sie. »Immerhin ist sein Freund dabei.«

»Das ist es ja gerad’. Ich kenn’ den Typen doch überhaupt net. Wer weiß, was das für einer ist? Vielleicht ein ganz schlimmer Bursche, der die Madeln nur so aufreißt.«