Der Bergpfarrer 116 – Die Macht der Liebe wird uns helfen

Der Bergpfarrer –116–

Die Macht der Liebe wird uns helfen

… aber ganz ohne Verbündete schafft sie’s net

Roman von Toni Waidacher

Auf den Wiesen des Englischen Gartens lagen Hunderte von Sonnenanbetern und genossen das herrliche Sommerwetter, überall sah man fröhliche Gesichter, und die Eisverkäufer machten Riesenumsätze. München zeigte sich von seiner schönste Seite, und die gute Laune die überall herrschte, hatte auch das junge Paar angesteckt, das sich eben in die Arme gefallen war.

»Hallo, Liebster«, sagte Ilona Roßmeier glücklich, nachdem Tim sie zärtlich geküßt hatte.

Der Student legte seinen Arm um die Freundin, und gemächlich schlenderten sie den Weg hinunter. Indes war die Stimmung nicht ganz so ungetrübt, wie es den Anschein hatte. Für »Loni« und Tim stand einiges auf dem Spiel; ging es doch um die Semesterferien, die sie gemeinsam verbringen wollten, was allerdings an einem dummen Umstand scheiterte: Die Familien Roßmeier und Karnbacher waren sich nicht grün!

»Es muß doch einen Weg geben!« meinte die hübsche blonde Ilona mit einem Anflug von Verzweiflung. »Vier Wochen ohne dich – das halt ich net aus!«

Tim nickte bekümmert.

»Geht mir genauso«, antwortete er. »Aber was sollen wir denn machen?«

Sie setzten sich auf eine Bank am Wegesrand.

»Ich habe mir da was überlegt«, sagte die Zwanzigjährige. »Etwas, wie wir net nur zusammen Ferien machen können, sondern auch gleichzeitig uns’re Eltern dazu bringen, das sie wieder miteinander reden.«

Der Freund runzelte die Stirn.

»Na, da bin ich aber gespannt.«

Loni schmunzelte.

»Meine Eltern lieben doch die Berge genauso, wie deine«, erklärte sie. »Wir müssen sie überreden, daß sie ihren Urlaub mal wieder in St. Johann verbringen. Dort hat es ihnen doch immer so gut gefallen.«

Sie sah ihn mit ihren hübschen blauen Augen schelmisch an.

»Und uns doch auch...«

Tim mußte unwillkürlich lächeln.

Ja, mit dem kleinen Dorf in den Bergen waren wirklich schöne Erinnerungen verbunden. In der Hütte, auf dem Kogler, hatten sie sich das erste Mal geküßt. Vor drei Jahren war es geschehen, daß sie ihre Liebe entdeckt hatten.

Gerade Siebzehn war Loni damals geworden, ein Jahr jünger als Tim. Seither hatte sich ihre Beziehung gefestigt und hätte nicht schöner sein können, wenn nicht dieser leidige Streit gewesen wäre, der ihre Eltern so fürchterlich entzweit hatte.

Dabei wußte niemand mehr so recht, wodurch der überhaupt ausgelöst worden war. Die Familien Roßmeier und Karnbacher waren jahrelange befreundet gewesen. Sie waren ja nicht nur Nachbarn, die Tür an Tür wohnten, sie hatten sich auch seinerzeit gegenseitig beim Bau der schmucken Einfamilienhäuschen geholfen und unterstützt.

Nach der Geburt der Kinder, und nachdem die ersten schweren Jahre gemeistert waren, hatte man viel gemeinsam unternommen: Zusammen die Wochenenden verbracht, sich gegenseitig zu Familienfesten eingeladen und war schließlich auch zusammen in die Ferien gefahren. Genau zwanzig Jahre hielt diese Freundschaft, bis sie durch irgendeinen dummen Streit beendet wurde. Kein Wort sprachen die Eltern der jungen Leute mehr miteinander; stur, wie die Alten waren, sah man sich nicht einmal mehr über den Gartenzaun an.

Natürlich mußte die junge Liebe darunter leiden. Es war der letzte gemeinsame Urlaub gewesen, während dessen Loni und Tim feststellten, daß sie keine Kinder mehr waren, sondern mehr für einander empfanden als nur freundschaftliche Gefühle.

Doch die beiden kämpften und bissen sich durch. Sie ließen sich nicht von den Schimpfereien des einen Elternpaares über das andere beeinflussen und hielten zueinander, auch wenn es nicht immer leicht war.

Inzwischen überlegten sie schon lange, wie sie diesen Zustand beenden konnten. Loni und Tim waren es leid, ihre Liebe verstecken zu müssen, so zu tun, als würden sie sich nicht kennen, wenn sie sich beim Kaufmann oder irgendwo anders begegneten und Vater und Mutter dabei waren.

»Aber wie soll das funktionieren?« fragte Tim skeptisch. »Wenn sich unsere Eltern dort über den Weg laufen, dann ist der ganze Urlaub hinüber. Mein Vater bringt es fertig, sofort wieder abzureisen.«

»Bestimmt net«, schüttelte Loni den Kopf. »Wir müssen nur dafür sorgen, daß wir in St. Johann einen Verbündeten haben...«

Der Student sah seine Freundin überrascht an.

»Du meinst...?«

Loni nickte vielsagend.

»Genau«, antwortete sie, »ich meine Pfarrer Trenker.«

Tim fuhr sich über den dunklen Haarschopf.

»Du hast recht«, meinte er. »Das könnte hinhauen. Aber wie wollen wir unsere Eltern überzeugen, nach St. Johann zu fahren.«

»Indem wir ihnen gut zureden«, sagte Loni bestimmt. »Ich werde ihnen jedenfalls klarmachen, daß ich nicht mit ihnen fahre, wenn es nicht nach St. Johann geht.«

»Wie ich deinen Vater kenne, wird er wahrscheinlich klein beigeben«, erwiderte Tim. »Aber meiner...«

»Erinnere ihn doch an den Tanzabend im ›Löwen‹«, schlug die Studentin vor. »Da sagt er bestimmt net nein. Du weißt doch, wie gerne er dort immer hingegangen ist.«

Tim grinste. Deutlich sah er seinen Vater vor sich, im Trachtenanzug. Sogar einen Hut mit Gamsbart hatte er sich einmal gekauft und voller Stolz getragen.

»Also gut, ich werde es versuchen«, stimmte er zu.

»Und ich rufe Pfarrer Trenker an«, erklärte Loni.

Sie schaute auf die Uhr.

»So, jetzt müssen wir aber los«, setzte sie hinzu. »Sonst stellt meine Mutter unangenehme Fragen, warum ich erst jetzt heimkomme.«

Sie liefen zur nächsten Straßenbahnhaltestelle und fuhren die Stationen gemeinsam. Erst kurz vor der Straße, in der sie wohnten, trennten sie sich.

»Bis heut’ abend«, sagte Tim und gab Loni einen liebevollen Kuß. »Und drück die Daumen.«

»Keine Angst«, antwortete sie zuversichtlich. »Das wird schon!«

*

»Hat der Kerl schon wieder seinen Müll vor unserer Einfahrt abgeladen!« schimpfte Jürgen Karnbacher. »So eine Frechheit!«

Tim wandte sich ab und rollte mit den Augen. Er war gerade fünf Minuten vor seinem Vater nach Hause gekommen. Isolde, seine Mutter, hatte das Abendessen schon aufgetragen. Ihr Mann setzte sich an den Tisch, sein Gesicht war zu einer mürrischen Miene verzogen.

»Ich möcht’ nur wissen, was der sich dabei denkt«, fuhr der Hausherr fort, seinem Unmut über die Dreistigkeit des Nachbarn Luft zu machen. »Wenn der so weiter macht, zeige ich ihn an!«

Tim schüttelte den Kopf.

»Mensch, Papa, jetzt hör’ doch mal auf«, sagte er. »Wahrscheinlich hat sich der Manfred überhaupt nix weiter dabei gedacht.«

Manfred Karnbacher blickte seinen Sohn entrüstet ab.

»Ergreifst du jetzt etwa auch noch Partei für den?« fragte er. »Das wird ja immer schöner! Jetzt darf man sich net einmal mehr in seinem eigenen Haus ärgern.«

»Nun laß es wirklich gut sein«, griff seine Frau ein. »Ich möchte in Ruhe zu Abend essen.«

Sie sprach das Tischgebet und wünschte guten Appetit.

»Sagt mal«, versuchte Tim von dem Nachbarschaftsstreit abzulenken, »habt ihr euch eigentlich schon Gedanken gemacht, wo wir unseren Urlaub verbringen wollen? In drei Wochen sind Semesterfe­rien. So allmählich müssen wir was buchen, sonst schau’n wir nachher in die Röhre.«

Isolde Karnbacher blickte verträumt zum Fenster hinaus.

»Ans Meer fahren, das wäre schön«, meinte sie.

Ihrem Mann schien es egal zu sein, wohin die Urlaubsreise gehen sollte.

»Von mir aus«, zuckte er die Schultern.

»Also ich wäre dafür, mal wieder in die Berge zu fahren«, sagte Tim. »Wißt ihr noch, wie schön es in St. Johann immer war?«

Er versuchte, sich seine Aufregung nicht anmerken zu lassen, als er diesen Vorschlag machte.

»Auch schön«, nickte seine Mutter zustimmend. »Was meinst du denn, Manfred?«

»Ist mir auch recht«, nickte ihr Mann. »Hauptsache, ich muß diesen Kerl von nebenan net ertragen.«

»Also jetzt sagt mir doch endlich mal, was eigentlich zwischen euch vorgefallen ist«, verlangte der Student. »Wenn man dich so reden hört, Papa, dann muß man ja denken, daß der Manfred das größte Ekelpaket unter der ganzen Sonne ist.«

Seine Mutter bedeutete ihm mit den Augen rasch, dieses Thema bloß nicht zu vertiefen, doch es war schon zu spät – Jürgen Karnbacher hatte angebissen und erging sich in Schimpftiraden über den Nachbarn, daß dem die Ohren nur so geklungen haben müssen.

»Was ist denn nun mit St. Johann?« brachte Isolde ihren Mann zum Stoppen, als der zwischendurch einmal Luft holen mußte. »Ich finde Tims Idee gut. Am Meer waren wir ja erst vor zwei Jahren. Erinnerst du dich eigentlich an den Tanzabend im ›Löwen‹? Himmel, taten mir jedesmal die Füße weh!«

Sie lachte bei der Erinnerung daran, wie sie und Manfred kaum die Tanzfläche verließen, weil es einfach so schön war.

»Wir könnten ja mal bei der Frau Stubler anrufen, ob sie noch was frei hat«, schlug Tim vor.

»Genau, das mache ich jetzt gleich«, sagte seine Mutter, ohne abzuwarten, ob ihr Mann überhaupt einverstanden war. »Ich muß irgendwo die Telefonnummer notiert haben.«

Sie stand auf und ging zu der Anrichte im Flur, auf der das Telefon stand. Daneben lag ein Büchlein, in dem alle wichtigen Nummern hineingeschrieben wurden.

»Ist gerade besetzt«, sagte Isolde, als sie nach ein paar Minuten zurück kam. »Ich versuch’s später noch mal.«

Tim trank seinen Tee aus.

Würde mich net wundern, wenn Lonis Vater gerade in der Pension Stubler anruft, dachte er amüsiert.

Seine Mutter war an den großen Schrank gegangen und kramte darin herum.

»Was suchst du denn?« fragte ihr Mann.

»Das Album mit den Fotos von unserem letzten Urlaub«, antwortete sie.

»Die will ich mir gar net anschau’n«, brummte Jürgen. »Da ist mir die Stimmung ja gleich verdorben, wenn ich die von nebenan da drauf seh’.«

Er grinste seinen Sohn an.

»Und, was macht das Studium?«

Tim zuckte die Schultern.

»Ist alles im grünen Bereich«, meinte er. »Nächste Woche wird’s noch mal stressig. Der Professor will unbedingt noch ein paar Klausuren vor den Ferien schreiben. Aber den Stoff habe ich drin.«

»Das hör’ ich gern’.« Sein Vater nickte zufrieden.

Jürgen Karnbacher arbeitete als Verwaltungsangestellter bei der Stadt München. Mit zäher Verbissenheit hatte er sich diesen Posten erarbeitet. Für seinen Sohn schwebte ihm eine andere Karriere vor. Tim sollte es einmal besser haben, als er. Nach dem Studium würden ihm alle Türen offen stehen.

»Und«, hakte er augenzwinkernd nach, »wie steht’s mit den Madeln?«

Tim glaubte, sein Herzschlag setze aus, als er diese Frage hörte.

»Dafür ist später noch Zeit«, wich er aus.

»Recht so«, nickte sein Vater. »Ich bin bloß heilfroh, daß du nix mit der Ilona angefangen hast. Das hätt’ mir noch gefehlt!«

Der Student schluckte. Er hoffte, daß die Eltern seine Verlegenheit nicht bemerkten, obgleich er das Gefühl hatte, feuerrot angelaufen zu sein.

»Ich muß noch mal weg«, sagte er rasch und stand auf.

»Wo willst’ denn noch hin?« fragte seine Mutter.

»Zum Hubert«, antwortete Tim, in der Tür stehend. »Wegen der Klausuren in der nächsten Woche.«

Im Flur atmete er tief durch.

Du lieber Himmel, dachte er zweifelnd, ob Lonis Idee wirklich so gut ist?

*

Annegret Roßmeier kehrte zufrieden ins Wohnzimmer zurück.

»Stellt euch vor«, sagte sie, »die Frau Stubler hatte tatsächlich noch was frei.«

Sie setzte sich an den Tisch, auf dem die Alben mit den Urlaubsfotos aus St. Johann lagen.

»Allerdings liegt dein Zimmer im ersten Stock, während Papa und ich im Erdgeschoß schlafen«, fügte sie hinzu.

Ilona schmunzelte.

»Du darfst mir glauben, daß ich keine Angst mehr habe, alleine in einem Zimmer zu schlafen«, meinte sie.

Manfred Roßmeier lehnte sich behaglich in seinem Sessel zurück.

»Ach, wird das herrlich«, rief er aus. »Drei Wochen lange diesen Miesepeter net seh’n zu müssen!«

Seine Tochter biß sich auf die Lippe.

Seit sie das Thema Urlaub angeschnitten hatte, wartete sie auf so einen Kommentar. Daß der kommen mußte, war so sicher, wie das Amen in der Kirche.

»Und was ist, wenn unsere Nachbarn ebenfalls auf die Idee kommen, nach St. Johann zu fahren?« fragte sie keck.

Anders als Tim, war sie nicht ganz so ängstlich...

Ihr Vater machte große Augen.

»Da sei Gott vor!« sagte er. »Der kriegt es glatt fertig, mir den ganzen Urlaub zu verderben. Dann reise ich sofort wieder ab!«

»Also, das kannst’ net machen«, schüttelte seine Frau den Kopf. »Schließlich bezahlen wir doch dafür.«

»Aber net dafür, daß ich diesen Kerl ertragen muß!« hielt Manfred dagegen.

»Ist ja gar net gesagt, daß die Karnbachers überhaupt dorthin wollen«, warf Annegret ein.

Ilona blickte verstohlen auf die Uhr. Sie wollte sich noch einmal mit Tim treffen und mußte sich eine Ausrede einfallen lassen, warum sie um diese Zeit das Haus verlassen wollte.