Der Bergpfarrer 109 – Liebe auf den zweiten Blick

Der Bergpfarrer –109–

Liebe auf den zweiten Blick

Ist es dafür schon zu spät?

Roman von Toni Waidacher

Morgennebel hingen noch über dem Gut, als der einsame Reiter über die Wiesen galoppierte. Thomas von Bernhoff saß sicher im Sattel. Schon als kleiner Junge hatte er Reitunterricht erhalten, inzwischen war der nun sechsundzwanzigjährige Freiherr ein Profi, der auf mehreren, internationalen Turnieren etliche Preise abgeräumt hatte.

Doch an diese Erfolge dachte der große, schlanke Mann mit dem markanten Gesicht nicht, als er an diesem Morgen über das väterliche Land ritt. Seine Gedanken waren mit ganz anderen Dingen beschäftigt, vor allem mit der finanziellen Situation des Guts und seiner Familie.

Seit dreihundert Jahren waren die von Bernhoff Herren über Wälder, Wiesen und Äcker. Der Besitz lag eine knappe Autostunde von Passau entfernt und war mit seinen Ländereien und dem Sägewerk ein recht großer Arbeitgeber. Doch seit Jahren lief das Geschäft schlecht. Mit der Landwirtschaft war nicht mehr das große Geld zu verdienen, genauso wenig wie mit dem Holz, das in den gutseigenen Wäldern geschlagen wurde. Vor allem die billige Konkurrenz aus den östlichen Nachbarländer hatte für massive Einbrüche gesorgt, und der einzige Lichtschimmer am Horizont war die Pferdezucht, die auf Gut Bernhoff erfolgreich betrieben wurde.

Indes zeichnete sich auch hier eine düstere Prognose ab. Die Stallungen waren veraltet, neue Zuchthengste müßten angeschafft werden und das Personal aufgestockt, wenn man rentabel wirtschaften wollte. Doch dazu fehlte das nötige Geld. Thomas und sein Vater, Friedrich von Bernhoff, suchten verzweifelt nach einem Ausweg aus diesem Dilemma, und schließlich ersann der alte Baron einen Plan: Thomas sollte die Tochter Richard Beckmanns heiraten. Es war schon lange kein Geheimnis mehr, daß die schöne Claudia den jungen Freiherrn als potentiellen Ehemann ins Auge gefaßt hatte, war Thomas doch einer der attraktivsten Männer weit und breit.

Und genau mit dieser geplanten Hochzeit waren seine Gedanken jetzt beschäftigt. Thomas zügelte den Hengst und sprang aus dem Sattel. Er band das Pferd an einen Strauch und setzte sich auf einen abgesägten Baumstumpf.

Nachdem er die Reitkappe abgenommen und sich über die Stirn gestrichen hatte, blickte der Freiherr über das weite Land, das vor ihm lag.

Familienbesitz seit Generationen, und jetzt drohte, ihn nach und nach verkaufen zu müssen, wenn nicht ein Wunder geschah.

Und dieses Wunder war eben Claudia, die Tochter des reichen Privatbankiers, der die finanziellen Dinge der Familie von Bernhoff regelte, wie es früher sein Vater und davor der Großvater getan hatte. Aus der geschäftlichen Verbindung war im Laufe der Jahre ein freundschaftliches Verhältnis geworden. Beide Familien kannten sich und wußten sich zu schätzen. Man traf sich privat und begegnete sich auf Einladungen und offiziellen Empfängen. Thomas und Claudia waren von Kindesbeinen an befreundet, und die junge Frau war ebenfalls auf dem Rücken eines Pferdes groß geworden. Sie mochten sich und empfanden viel Sympathie füreinander. Aber das war auch schon alles – jedenfalls, was Thomas betraf.

Natürlich hatte es eine Zeit gegeben, als Jugendlicher und Heranwachsender, in der er geglaubt hatte, Claudia zu lieben. Doch das war nicht mehr als eine Schwärmerei gewesen, wie er sehr bald ernüchtert feststellte.

Nun drohte die finanzielle Lage der Familie, ihn in das Ehejoch zu zwingen, dazu noch mit einer Frau, die er nicht liebte. Zwischen ihm und seinem Vater waren klare Worte gesprochen worden. Friedrich von Bernhoff erwartete von seinem Sohn, daß dieser alles tat, um das Gut vor dem Untergang zu retten. Richard Beckmann hatte mehrmals durchblicken lassen, daß er sich bei der Mitgift für seine Tochter nicht knauserig zeigen würde, zudem erklärte er sich bereit, die Kreditlinie deren von Bernhoff deutlich zu erhöhen, sollte es zu einer Vermählung der beiden Kinder kommen.

Thomas sah sich in die Enge getrieben. Auf der einen Seite sein Drang nach Freiheit, er fand sich zum Heiraten noch viel zu jung, andererseits die Räson, die sein Vater von ihm verlangte.

Schweren Herzen hatte er schließlich zugestimmt, und sich mit dem Gedanken getröstet, daß Claudia ja wirklich eine attraktive Frau sei. In diesem Punkt hätte es ihn schlimmer treffen können, und was die Liebe betraf, so hoffte Thomas von Bernhoff, sie würde sich mit der Zeit einstellen.

Indes hatte er sich eine Galgenfrist erbeten. Als Student hatte er mehrmals die Ferien mit einem guten Freund in den Bergen verbracht. Wandern und Klettern, am frühen Morgen ausreiten, das waren die herrlichen Dinge, die sie unternommen hatten. Und genau das wollte er noch einmal tun, einen Urlaub alleine verbringen, bevor das Band der Ehe ihn für immer fesselte.

Überraschender Weise hatte sich sein Vater mit diesem Wunsch einverstanden erklärt.

»Hauptsache, es kostet nicht so viel!« hatte der Baron gesagt.

»Keine Sorge«, erwiderte sein Sohn, »ich kenn’ da eine kleine Pension, in der man günstig wohnen kann, und die Wirtin ist eine Seele von Mensch, die sich aufopfernd um ihre Gäste kümmert.«

Gleich nachdem er die Erlaubnis erhalten hatte, war Thomas zum Telefon gegangen und hatte die Nummer gewählt, die er immer noch in seinen Unterlagen aufbewahrte. Und es klappte, ein Zimmer war frei, und man freute sich auf seine Ankunft.

Der junge Baron setzte den Helm wieder auf, band den Hengst los und schwang sich in den Sattel.

Noch heute sollte es losgehen. Er freute sich unbändig darauf, St. Johann wiederzusehen, Ria Stubler und den patenten Pfarrer Trenker.

*

Katja war fröhlicher Stimmung, als sie die kurvige Bergstraße hinauffuhr. Es war herrliches Wetter, kaum Verkehr und aus dem Autoradio erklang schöne Musik, die die Fahrerin mitsummte.

Am frühen Morgen war sie in Konstanz aufgebrochen, wo sie in einer Anwaltskanzlei arbeitete. Drei Wochen Urlaub hatte sie, davon wollte Katja zwei in den Bergen verbringen.

Die junge Frau hatte das Seitenfenster geöffnet, und ihr dunkelbraunes, schulterlanges Haar wehte im Fahrtwind. Bis St. Johann war es höchsten noch eine halbe Stunde.

Katja dachte an nichts Böses, als plötzlich hinter ihr ein Auto hupte, und der Fahrer Signale mit den Scheinwerfern machte.

Die Anwaltsgehilfin schaute in den Rückspiegel und sah einen schwarzen Sportwagen.

»Was soll denn das?« murmelte sie ärgerlich. »Hat der irgendein Problem?«

Wahrscheinlich fahre ich ihm zu langsam, überlegte sie. Soll er doch überholen, die Straße ist doch frei!

Das tat der Fahrer auch. Mit rasanter Geschwindigkeit fuhr er links an ihr vorbei, Katja konnte deutlich sehen, daß er dabei unwillig den Kopf schüttelte.

An sich war das Überholmanöver nicht sonderlich riskant, doch Katja war instinktiv auf die Bremse getreten und würgte dabei den Motor ab. Vergeblich versuchte sie, ihn wieder zu starten.

Nicht auch das noch! Sie hatte den Wagen doch vor Antritt ihrer Urlaubsreise in der Werkstatt durchsehen lassen!

Der Mann in dem Sportwagen schien beobachtet zu haben, daß sie Schwierigkeiten hatte. Katja sah die Bremslichter aufleuchten, dann fuhr das Auto langsam zurück. Ein schlanker, sportlicher, junger Mann stieg aus und kam zu ihr herübergeschlendert.

Was will der denn jetzt, dachte sie wütend. Wahrscheinlich sich daran ergötzen, daß ich das blöde Auto nicht wieder in die Gänge kriege.

Erneut drehte sie den Zündschlüssel, doch es gab nur ein blubberndes Geräusch – und es roch fürchterlich nach Benzin.

Der rasante Sportwagenfahrer bückte sich und schaute sie durch das geöffnete Seitenfenster an. Dabei wehte der Duft eines sicher nicht billigen After shaves herein.

»Na, junge Dame, gibt’s Probleme?« fragte er, und Katja war über den angenehmen Ton seiner Stimmer erstaunt.

Allerdings besserte das auch nicht ihre Laune, schließlich hatte der Kerl ja schuld!

»Das sehen Sie doch«, gab sie patzig zurück und bemühte sich, ihn nicht anzusehen.

»Entschuldigung«, sagte der Mann verblüfft und hob abwehrend die Hände. »Ich wollt’ ja bloß helfen. Aber wenn Sie alleine zurechtkommen – bitte sehr. Doch vielleicht darf ich Ihnen einen Rat geben: Es riecht sehr stark nach Benzin, Sie sollten besser aufhören, andauernd das Gaspedal zu treten. Davon wird es nämlich nicht besser, der Wagen ist abgesoffen. Aber jetzt will ich Sie nicht weiter stören. Einen schönen Tag noch.«

Damit drehte er sich um und ging zu seinem Auto. Wenig später war von dem Sportwagen nichts mehr zu sehen.

»Eingebildeter Pinsel«, rief Katja ihm ärgerlich hinterher – obgleich er sie längst nicht mehr hören konnte.

Was jetzt?

Zum Glück war man heutzutage nicht mehr allein und verlassen, wenn man ein Handy dabei hatte. Vorbei waren die Zeiten, in denen man auf einsamen Landstraßen stand, und es weit und breit keine Telefonzelle gab. Katja kramte in ihrer Handtasche und holte ihr Mobiltelefon heraus. Sie wählte die eingespeicherte Nummer der Pannenhilfe, die sie mit einer Werkstatt in ihrer Nähe verband.

Zu ihrer Verblüffung hörte Katja den Mann am anderen Ende sagen: »Ein roter Golf, zwischen Waldeck und St. Johann? Dahin ist schon ein Monteur unterwegs. Wir wurden gerade verständigt.«

»Sie wurden verständigt?« fragte sie ungläubig. »Aber von wem denn?«

»Seinen Namen hat er net gesagt, aber es war ein Mann«, lautete die Antwort.

Sie bedankte sich und beendete nachdenklich die Verbindung.

Die Frage, wer der Anrufer sein konnte, war schnell beantwortet. Da kam ja nur dieser arrogante Schnösel in Frage. Wahrscheinlich hatte ihn das schlechte Gewissen gepackt.

Trotzdem war ihr der Kerl dadurch nicht sympathischer, und Katja hoffte, daß es bei dieser einzigen Begegnung bleiben würde.

Ungeduldig wartete sie auf die angekündigte Hilfe, doch als der Mann dann da war, gab es eine niederschmetternde Nachricht für sie. Ihr Auto mußte abgeschleppt, in der Werkstatt auseinandergenommen und die Teile gereinigt werden. Noch einmal stieg Wut über diesen »Rennfahrer« in ihr auf. Aber Katja hatte keine andere Wahl, als dem Vorschlag, ihr Auto abzuschleppen, zuzustimmen. Immerhin brachte man sie anschließend zu ihrem eigentlichen Ziel.

Als sie eine geschlagene Stunde später aus dem Auto des Monteurs wieder ausstieg, sah die Anwaltsgehilfin, daß die Hoffnung, diesen Kerl, dem sie das alles zu verdanken hatte, nicht wiederzusehen, trog – vor der Pension Stubler stand der Sportwagen, und Katja wäre am liebsten auf der Stelle wieder nach Hause gefahren!

*

Natürlich blieb sie.

Zum einen hatte Katja nun mal das Zimmer in der Pension gebucht, zum anderen wollte sie sich von so einem Schnösel nicht den wohlverdienten Urlaub verderben lassen.

Wäre ja noch schöner, wenn sie seinetwegen die Segel strich. Der sollte sie noch kennenlernen!

Der Mann von der KFZ-Werkstatt half ihr, die Reisetasche zu tragen. An der Tür verabschiedete er sich, nicht ohne zu versichern, daß die Anwaltsgehilfin ihr Auto am nächsten Tag wieder zur Verfügung haben werde. Katja bedankte sich und drückte den Klingelknopf. Es dauerte einen kurzen Moment, dann erschien eine älter Frau, die sie freundlich anlächelte.

»Grüß Gott, Sie sind gewiß die Frau Lindhoff, net wahr?«

Sie reichte ihr die Hand.

»Ich bin die Ria Stubler«, fuhr die Wirtin fort, »herzlich willkommen. Hatten S’ eine gute Fahrt?«

»Bis auf die letzten Kilometer lief alles ganz glatt«, erwiderte Katja, »dann hat der Wagen gestreikt.«

Sie ließ unerwähnt, daß sie diesem arroganten Autofahrer die Schuld gab, dessen »Rennwagen« vor der Pension stand.

Ria hielt sich erschrocken die Hand vor den Mund.

»Um Himmels willen, hoffentlich nix Schlimmes?«

»Nein, nein«, schüttelte die junge Frau beruhigend den Kopf. »Das läßt sich schnell reparieren. Morgen ist er schon wieder fertig.«

»Na, dann kommen S’ erstmal herein«, sagte Ria und nahm ihr die Tasche ab.

Den Schlüssel hielt sie schon in der Hand und führte den Gast die Treppe hinauf. Katja war von dem Zimmer begeistert. Es war hell und freundlich eingerichtet, besaß eine kleines Bad, und Telefon und Fernsehgerät waren selbstverständlich.

Die Pensionswirtin erklärte, zu welchen Zeiten es Frühstück gäbe, und wünschte einen schönen Aufenthalt.

Katja ging ins Bad und erfrischte sich, dann trat sie auf den Balkon hinaus und atmete die klare Bergluft ein.

Wunderschön war der Ausblick, den sie von hier oben hatte, und sie konnte es immer noch nicht glauben, daß sie für vierzehn Tage in diesem Paradies wohnen würde.

Ihre Freude erhielt allerdings einen Dämpfer, als sie sich umdrehte, nachdem sie hinter sich ein Geräusch gehört hatte.

Aus der Balkontür des Nachbarzimmers trat der Mann, der sie durch seinen Fahrstil dazu gebracht hatte, den Motor ihres Autos abzuwürgen!

Doch dann erstarrte sie. Nicht weil sie überrascht war, ihn hier zu sehen, sondern weil sie ihn erkannt hatte.