ANN HILBORN

Selbstjustiz

Roman

Apex Crime, Band 23

Apex-Verlag

Inhaltsverzeichnis

Das Buch 

 

SELBSTJUSTIZ 

Lisa 

Stan 

Lisa 

Stan 

Lisa 

Stan 

Mary 

Garrity 

Stan 

Renee 

Stan 

Renee 

Garrity 

Stan 

Renee 

Stan 

Janice 

Stan 

Carole 

Die Gruppe 

Garrity 

Robbie 

Stan 

Garrity 

Die Gruppe 

Mary 

Garrity 

Die Gruppe 

Lisa 

Janice 

Renee 

Carole 

Loretta 

Carole 

Ronnie 

Das Buch

Seine Opfer sind auffallend attraktive Frauen. Fünf von ihnen... überleben die Qualen und Demütigungen – für immer gezeichnet. Sie leben in ständiger Angst, denn er hat gedroht zurückzukommen.

Da beschließt sein letztes Vergewaltigungs-Opfer, die junge Rechtsanwältin Carole Windenham, dem Terror ein Ende zu machen. Gemeinsam mit anderen Überlebenden will sie dem Mörder und Vergewaltiger eine Falle stellen...

 

Selbstjustiz ist ein kompromissloser Psycho- und Rache-Thriller, der schonungslos die dünne Trennlinie zwischen Täter und Opfer zerschneidet. 

Der Roman erscheint als durchgesehene Neuausgabe in der Reihe APEX CRIME.

SELBSTJUSTIZ

 

 

  Lisa

 

 

Am 4. Mai gingen Lisa Morrow und David Reynolds Addison III zu einer Studentenparty. Wie üblich fand sie in einem Haus statt, das die Eltern des Gastgebers für diesen Abend dem jungen Volk überließen. Eine ganz zwanglose Sache - Tanzen, Trinken und der übliche mitternächtliche Sprung in den Swimmingpool. Unter fröhlichem Gejohle wurden die Gäste nacheinander in ihrem Party-Dress ins Wasser geschubst. Später, nachdem die Beleuchtung diskret abgeschaltet worden war, badete man nackt. Die meisten Pärchen, darunter auch Lisa und Trey, amüsierten sich im Wasser bei erotischen Spielchen. Dabei beschränkte sich jedes Paar auf seinen kleinen privaten Sektor im Becken und kümmerte sich nicht um das Treiben der anderen, von denen man nur hin und wieder ein Stück nackte Haut zu sehen bekam.

Kurz nach eins war Lisa abgetrocknet und nüchtern, während Trey ordentlich einen sitzen hatte.

»Komm, Trey«, drängte sie und versuchte, ihn von dem Sofa vor dem Kamin hochzuzerren. »Hallo, hilft mir jemand, diesen Riesenkerl in den Wagen zu schaffen?«, rief sie. »Mir scheint, dem geht's gar nicht gut.«

»Klar«, boten sich die Freunde an. Zwei junge Männer packten Trey an Armen und Beinen und schleppten ihn kurzerhand zum Auto.

»Lisa, soll jemand mitkommen und ihn ins Haus schaffen?«, fragte der eine.

»Nein. Ich lasse die Scheiben runtergekurbelt. Die Luft wird ihn ernüchtern, bis wir angekommen sind. Und wenn nicht, dann lasse ich ihn im Auto liegen und rufe einen von euch an, damit er mich abholt«, sagte sie lachend.

Die Freunde waren einverstanden, boten aber mit gutmütiger Anzüglichkeit an, sofort mitzukommen. Rückblickend sollte Lisa sich oft wünschen, sie wäre auf das Angebot eingegangen und hätte jemanden mitgenommen.

 

 

 

 

  Stan

 

 

Stanley Zalenski hackte wie wild auf das vor ihm auf dem Block liegende Stück Fleisch ein. Die Kundin, die eben hinausging, hatte ihn wütend gemacht. Dieses Weibsstück, dachte er. Die hatte doch glatt behauptet, er hätte sie bei dem verdammten Schweinebraten übers Ohr hauen wollen. Man machte einmal einen Fehler, und diese verdammten Mösen fielen über einen her. Wären doch alle gleich. Er warf einen Blick zu der großen runden Uhr an der Wand hinter ihm, weil er es kaum mehr aushalten konnte. Der Tag war die reinste Hölle gewesen, wie die meisten Freitage. Er wollte nachher zu Griffin's Bar und dort ein paar heben, ehe er nach Hause ging. Damit war der Tag wenigstens nicht ganz im Eimer. Er würde sich von einem blöden Frauenzimmer nicht den ganzen Tag verderben lassen. Endlich mal weg von diesen keifenden Weibern. Wenn er erst mit seinen Kumpanen zusammen war, würde alles halb so schlimm sein.

Später in der Bar ließ er sich näher darüber aus. »Männer reden über die Arbeit, über Sport und Weiber. Dazu Bier ohne Heulen und Jammern über Geld, Kinder und Fleischpreise. Kommt ein Mann in den Laden, dann kauft er das beste Stück, legt sein Geld hin und geht wieder. Eine Freu ist wählerisch und nörgelt und will dann das Sonderangebot, und beim nächsten Mal beklagt sie sich, dass das Fleisch zäh war. Jedes Mal wird das billigste Stück genommen, und dann wundem sie sich, wenn es nicht wie ein Zwanzig-Dollar Steak schmeckt. Weiber sind einfach saublöd. Alles machen sie falsch.« Und er bestellte noch ein Bier.

Kurz nach elf verließ er die Bar in Topstimmung, wie er sich auszudrücken pflegte. Loretta schlief schon, als er nach Hause kam. Na, würde sie eben wieder wach werden müssen. Er zog sich aus und legte sich neben sie.

»Loretta, wach auf«, flüsterte er und schüttelte sie.

Sie öffnete die Augen, ohne ganz wach zu werden. »Was ist passiert?«

»Nichts ist passiert. Ich will was von deiner Muschi.«

»Ach so.« Sie setzte sich auf, streifte ihr Nachthemd ab und streckte sich wieder aus. Hoffentlich würde diesmal alles gutgehen.

Er legte sich auf sie und vollführte reibende Bewegungen. Er küsste sie nicht. Sie spürte, dass sich nichts tat und dass er nicht erregt war. Da begann sie ihm nervös über den Rücken und die Pobacken zu streicheln. Sie wand sich und stöhnte, um den Eindruck zu erwecken, seine Nähe allein ließe sie in Verzückung geraten. Doch es tat sich nichts. Da fasste sie zwischen seine Beine, ohne mit ihrem Gestöhne und ihren Bewegungen aufzuhören.

Ihre Bemühungen wurden immer verzweifelter. »Bitte, ich will es mit dem Mund versuchen.« Er wollte nicht, und seine Ablehnung machte ihr Angst. Sie drängte ihn. »Bitte, ich will es.«

Er rollte sich auf den Rücken, und sie kroch ans Fußende des Bettes. Sie gab sich alle Mühe, doch es nützte nichts. Gar nichts.

Schließlich stieß er sie beiseite und setzte sich auf.

Sie bekam es mit der Angst zu tun. »Bitte, Stan, lass es mich noch weiter versuchen.«

Er knipste die Nachttischlampe an. »Du hast mit einem anderen gebumst.« Im trüben Licht wirkte seine Miene gefährlich finster.

»Nein«, flüsterte sie von ihm abrückend. »Nein, Das schwöre ich.«

»Warum willst du dann jetzt nicht?«

»Aber ich will ja. Ich will wirklich.«

Er versetzte ihr zwei Schläge mit der flachen Hand. »Lüg mich nicht an, du Schlampe!«

»Stan, ich schwöre! Glaub mir bitte!« Wieder ein Schlag mit der flachen Hand. »Bitte schlag mich nicht mehr!« Sie war in eine Zimmerecke zurückgewichen, die Arme abwehrend vor dem Gesicht verschränkt.

»Wer war es? Sag schon!« Wieder schlug er zu.

»Niemand!«, schrie sie. »Du weißt, dass ich mit keinem zusammen war. Du weißt es!«

Zu ihrer Verwunderung ließ er von ihr ab. »Ja, ich weiß es«, sagte er mit einem Achselzucken. »Betrachte dich doch mal im Spiegel. Wer würde eine wie dich auch nur anfassen?« Er zerrte sie aus ihrer Ecke heraus und stieß sie vor den Spiegel. »Sieh dich mal an. Wie ein Stück Dreck siehst du aus. Man sieht nicht mal, wo deine Titten aufhören und der Bauch anfängt. Und dein Gesicht - Allmächtiger! Kein Wunder, dass ich ihn nicht hochkriege.«

Er stand mit ihr vor dem Spiegel, ein höchstens mittelgroßer Mann, stämmig, Brustkorb und Arme auffallend muskulös. Die starke rötliche Körperbehaarung war um einen Ton dunkler als sein Kopfhaar. »Sieh mich an«, sagte er. »Ich achte auf meinen Körper.« Er fasste nach einer ihrer Brüste, hob sie an und ließ sie fallen. »Aber du. Du bist wirklich der letzte Heuler. Weiß gar nicht, warum ich bei dir bleibe.« Damit kehrte er ihr den Rücken zu und schlüpfte in Hose und Hemd. »Und blöd bist du auch, weißt du das? Ich geh jetzt los und suche mir eine richtige Frau, eine, die einen Mann auf Touren bringt.« Während er sich fertig anzog, hörte er nicht auf, sie mit Beleidigungen zu überschütten. Dann ging er.

Sie blieb vor dem Spiegel stehen, betrachtete ihren Körper und zog dann ihr Nachthemd wieder an. Sie knipste das Licht aus und kroch zurück ins Bett, erleichtert, dass er das Interesse an dem von ihr befürchteten brutalen Prügeln verloren hatte.

 

Er steuerte eine Bar in einer großen Wohnanlage in der Richmond Avenue an, ein Lokal, das als beliebtester und schickster Treffpunkt für Singles galt. Es war bekannt, dass man dort problemlos willige Mädchen kennenlernen konnte. Er genehmigte sich ein paar Drinks und ließ die Dinge auf sich zukommen. Schließlich fing er ein Gespräch mit einem der weiblichen Gäste an. Er lud sie auf einen Drink ein und zog seine Masche ab. Er hatte sich einen Kampfnamen zugelegt, Raymond McFarland, der ihm sehr eindrucksvoll in den Ohren klang, und dazu einen Beruf der ebenso außergewöhnlich war. Er erzählte ihr, dass er für die Houston Oilers, ein Footballteam, arbeitete und der Verantwortliche für die Trainingsausrüstung und ähnliches wäre. Dabei ging er nicht in Details. Er hatte das Gefühl, dass seine Geschichte glaubwürdig war. Nur wenige Frauen kannten sich bei Football aus. Die meisten kannten höchstens die Namen der bekannteren Spieler.

»Du bist eine richtige Schönheit«, redete er ihr ein. Er hatte den Arm um sie gelegt und streichelte ihren Nacken und ihre Schulter. »Wie steht's, soll ich dich nach Hause begleiten?«

Sie war zwar nicht hübsch, aber sehr anziehend. Er konnte sehen, dass sie, fünfzehn Jahre jünger und fünfundzwanzig Pfund leichter, tatsächlich eine Schönheit gewesen sein musste. Die Zeit geht mit manchen Menschen hart um. Sie arbeitete in einer Bank, war geschieden und von seiner Verbindung zur Welt der Sportprofis sichtlich beeindruckt. Ja, sie fuhr auf ihn ab.

»Ach, ich wohne gleich hier in diesem Wohnblock«, sagte sie sehr lieb. »Aber du könntest mich bis zur Haustür bringen.«

Noch ein paar Drinks, und sie verließen das Lokal. Sie führte ihn durch eine komplizierte Abfolge von Höfen. Dabei blieben sie einige Male stehen und küssten einander. Er wusste, dass sie scharf auf ihn war, und er spürte, dass sie sich jedes Mal eng an ihn drückte. Vor der Haustür, als sie ihn wieder küsste, glaubte er schon, ihm stünde eine tolle Nummer bevor, doch sagte sie zu seiner großen Verwunderung gute Nacht, anstatt ihn hinauf zu sich einzuladen.

»Ach komm, Süße, lass mich rein. Ich will noch bei dir bleiben.«

»Nein, Ray. Meine Kinder sind da. Du gefällst mir wirklich, und ich möchte dich Wiedersehen, aber... na ja, du weißt, wie es ist.«

Er zog sie stürmisch an sich wie zu einem letzten Kuss und griff ihr brutal an die Brüste. »Ja, ich weiß, wie es ist, du Schwanzfopperin, du!« stieß er hervor, ehe sie sich wehren konnte. Dann stieß er sie ebenso brutal von sich. »Ihr gottverfluchten Fotzen seid alle gleich!« Damit verschwand er in der Dunkelheit.

»Diese verdammten Weiber glauben, sie können mit einem machen, was sie wollen«, murmelte er vor sich hin. »Erst dies Weibsstück im Laden, dann Loretta, dann die da.« Ich hab zwar einen sitzen, dachte er, aber ich merke genau, wenn eine Frau auf mich steht. Am liebsten wäre er zurückgegangen und hätte der Schlampe die Seele aus dem Leib geprügelt oder sie einfach niedergeschlagen und sie gebumst. Ja, er wollte jemanden bumsen, oder schlagen. Ziemlich einerlei.

Da sah er die Blonde auf dem Parkplatz, die sich abmühte, einen Kerl aus dem Wagen zu heben. Nicht schlecht das Früchtchen.

Sieht echt besser aus als die Schlampe aus der Bar. Er hielt sich möglichst im Schatten, als er sich näher schlich. Dabei nahm ein zunächst undeutlicher Plan in seinem Kopf Gestalt an. Sah gut aus das Mädchen, und er wollte vermeiden, dass sie eine deutliche Beschreibung von ihm machen konnte...

 

 

 

 

  Lisa

 

 

Lisa Morrow war mittelgroß und von zierlichem Körperbau. Ihre Züge waren fein, die Gelenke schmal. Die feinknochigen Hände liefen in zartgliedrigen Fingern aus. Dass sie nicht fragil und mädchenhaft wirkte, lag an ihren sportlichen Interessen, sie bewegte sich viel an der frischen Luft, und das Ergebnis dieser Lebensweise war ungemein anziehend. Sie war langbeinig und ständig sonnengebräunt, da sie das ganze Jahr über auf dem Besitz ihrer Eltern eifrig schwamm und Tennis spielte. Das dunkelblonde Haar trug sie glatt und ganz lang, fast bis zur Taille mit einem Mittelscheitel. Eine Frisur, die Anfang der siebziger Jahre beliebt gewesen war und Lisa so gut stand, dass sie nicht altmodisch wirkte. Sie war so schlank, dass nicht viel zur Magerkeit gefehlt hätte, doch wirkte sie dabei überaus elegant, sogar in der sportlich saloppen Kleidung, die sie einer betont damenhaften Aufmachung vorzog. Und sie hatte das, was ihre Mutter ein gutes Gesicht nannte. Sie war hübsch. Doch was ihre Mutter eigentlich damit meinte, waren die Möglichkeiten, die in diesem Gesicht steckten. Die aparten Backenknochen, die schönen Augen, die feingeschnittene Nase und das Kinn - kurz, ein Gesicht, das mit der Reife gewinnen und in den mittleren Jahren so reizvoll sein würde wie in der Jugend.

Sie war neunzehn und verbrachte ihr erstes Jahr an der Universität von Houston, obwohl es für ein Mädchen aus so wohlhabender Familie ungewöhnlich war, in der Heimatstadt zu studieren. Die meisten aus ihrer Clique hatten sich für private Colleges oder für die Universität von Texas entschieden. Lisa schloss einen Aufenthalt in Frankreich oder England nach Studienabschluss nicht aus, gab sich aber für den Moment mit ihrem jetzigen Studienort zufrieden. Daran war größtenteils Trey Addison schuld, der ihr an der Uni ein Jahr voraus war. Er war aus dem Norden nach Texas gekommen und stammte aus einer sehr reichen Familie, aus ähnlichen Verhältnissen also wie Lisa.

Er war ein intelligenter, gutaussehender junger Mann, der Lisa auf den ersten Blick beeindruckte und bezauberte. Sie war ein paarmal mit ihm ausgegangen und war bald nach Studienbeginn seine feste Freundin geworden. Er hatte eine Wohnung, in der sie sich liebten, wenn ihnen danach zumute war. Und das war sehr oft der Fall. Lisa zweifelte nicht daran, dass sie den vollkommenen Mann gefunden hatte. Alles sprach für diese Verbindung. Sie sahen gut aus, waren beliebt, reich und verliebt, und sie genossen das Leben. Konnte man sich mehr wünschen?

Nie hätte Lisa geglaubt, dass eine einzige Nacht ihr ganzes Leben verändern konnte.

 

Vor Treys Wohnung fragte sie sich mit einem Blick auf die reglose Gestalt auf dem Beifahrersitz, wie sie ihn so weit wach bekommen konnte, um ihn die Treppe hinauf und ins Bett zu schaffen. Minutenlanges Rütteln hatte nichts genützt. Das Auftauchen des Mitbewohners hatte sie zunächst erschreckt, doch fasste sie es als glücklichen Zufall auf, als er ihr Hilfe anbot.

»Ja, das wäre großartig«, sagte sie. »Ich weiß gar nicht, was ich sonst machen würde. Trey ist groß und schwer. Zwei Mann haben ihn mit Mühe ins Auto geschleppt.«

»Ich schaffe das schon, wenn Sie auf sperren.« Er bückte sich in den Wagen und hob Trey offenbar mühelos hoch. Mit seinen einsachtzig hing Trey über der Schulter des fremden Mannes und verdeckte ihn fast.

Lisa ging im Treppenhaus voraus und sperrte auf. Sie trat ein, machte Licht und ging voraus ins Schlafzimmer, um die Überdecke zurückzuschlagen. »Sie können ihn hereinbringen«, rief sie, als sie hörte, wie die Wohnungstür einschnappte.

Sie ging zurück ins Wohnzimmer und stellte fest, dass das Licht nicht mehr brannte, so dass sie wie eine Silhouette in der Tür zwischen dem hellen Schlafzimmer und dem dunkeln Wohnraum stand. Da stimmt etwas nicht, dachte sie von plötzlicher Panik erfasst und wollte zurück ins Schlafzimmer, wo sie sich einsperren und das Telefon benutzen konnte. Doch das Messer lag an ihrer Kehle, noch ehe sie einen Schritt zurück gemacht hatte.

»Wollen Sie Geld?«, fragte sie angstbebend.

»Nein, kein Geld, Kleines«, sagte die Stimme.« Hast du sonst noch was, das du mir geben möchtest?«

Sie sagte kein Wort.

Das Messer ritzte sie leicht. Sie spürte, wie ihr das Blut über den Nacken tropfte.

»Vielleicht möchtest du darüber nachdenken.«

Mein Gott, er könnte mich töten. »Ich werde alles tun, was Sie wollen.«

Wieder das Messer. »Das reicht nicht.«

»Bitte.« Sie begann zu weinen. »Ich werde alles tun. Was wollen Sie?«

»Sag mal, was du gern hättest, das ich tue.«

»Sie sollen mich loslassen und verschwinden«, wimmerte sie.

Das Messer schnitt sie. »Falsche Antwort.«

Sie spürte das Blut an mehreren Stellen den Nacken entlanglaufen. Ich werde verbluten, dachte sie. Sie zwang sich zur Ruhe.

Wieder fügte er ihr einen Schnitt zu, und sie fing hysterisch zu schreien an.

Da hielt er ihr die Hand über Mund und Nase, so dass sie keine Luft mehr bekam. Dabei raunte er in ihr Ohr. Sie wehrte sich vergeblich und wusste, dass sie sterben würde.

 

Lisa kam in der Dunkelheit zu sich. War er fort? Wie lange war es her? Warum hatte er sie am Leben gelassen? Sie wollte sich aufrichten und zur Lampe tasten, als sie wieder das Messer spürte.

»Nicht«, stöhnte sie auf. »Bitte, nicht.«

»Tu das über die Augen und sei still, sonst bringe ich dich um.«

»Bitte, ich blute noch immer«, meinte sie, während sie die Binde über die Augen legte.

Er lachte. »Ach was, wirst schon nicht ausbluten. Ich weiß, was ich tue, wenn ich schneide. Zieh dich aus. Und wenn ich dich etwas frage, dann antworte richtig, oder es gibt wieder Schnitte.«

»Was ist mit Trey Iso?«

»Deinem Freund geht's tadellos. Ich hab' ihm eins über die Rübe verpasst und ihn verschnürt. Morgen wird er ein bisschen Kopfweh haben.«

»Sie könnten meinen Vater anrufen«, schlug sie in ihrer Verzweiflung vor. »Er wird ihnen viel Geld geben, wenn sie mir nichts tun.«

»Kann schon sein. Wo hat dein Freund seine Kamera?«

»Ich weiß nicht.« Sie spürte, wie das Messer quer über ihren nackten Unterleib schnitt.

»Falsche Antwort.« Er richtete die Messerspitze auf ihre Brust.

»Oben im Schrank.«

»Jetzt kapierst du.« Sie hörte ihn vom Schrank her sprechen. »Ja. Das Ding ist tadellos. Fass mal nach dem Sessel vor dir.«

Sie wusste, dass er das kleine Sofa in der Ecke meinte.

»Leg dich drauf, damit wir anfangen können. Es wird dir Spaß machen.«

Resigniert legte Lisa sich hin. Arme und Kopf ruhten auf dem Sitz. Vielleicht wird es bald vorbei sein, dachte sie. Vielleicht gelingt es mir, an etwas anderes zu denken und so zu tun, als geschähe es gar nicht. Aber es sollte anders kommen. Es sollte sehr lange dauern, und er wollte eine aktive Partnerin.

Lisa hatte noch nie Schläge bekommen. Noch nie war ihr körperlich etwas zugefügt worden. Sie wusste gar nicht, wie man sich der Gewalt gegenüber verhält, gegenüber jemandem, der einem Schmerz zufügte, weil es ihm Spaß macht. Die erste halbe Stunde hatte sie ihn angefleht, er solle ihr nicht mehr wehtun. Nach einer Stunde lag sie vor ihm auf den Knien und versprach im, alles zu tun, was er wollte. Eine halbe Stunde körperlichen und seelischen Missbrauchs hatte ihr eine ganze Menge über den menschlichen Willen beigebracht: Sie wusste jetzt, dass sie alles tun würde, um ihr Leben zu retten und den Schmerzen zu entfliehen - alles, gleichgültig, wie entwürdigend es sein mochte.

 

Als der Mann fort war, rief sie ihren Vater an. Inzwischen waren einige Stunden vergangen. Sie war über und über mit Blut besudelt. Trey war noch immer bewusstlos. Sie fürchtete, dass der Mann ihn womöglich getötet hatte.

»Daddy«, hauchte sie ins Telefon. »Daddy, ich brauche Hilfe.«

Er brachte zumindest so viel aus ihr heraus, dass er sich ein ungefähres Bild des Vorgefallenen machen konnte. Es verging keine Viertelstunde und die Polizei war an Ort und Stelle.

Er hatte das sichere Gefühl, dass sie Polizeischutz brauchte. Ihr Vater und der Krankenwagen trafen fünf Minuten nach der Polizei ein.

Die Streifenbeamten fertigten das erste Protokoll an, in dem eigentlich nur angeführt wurde, dass ein Verbrechen stattgefunden hatte, wenngleich es in diesem Fall ohnehin zweifelsfrei feststand. Sie machten den Vorschlag, dass ihr Vater sie mit dem Krankenwagen in eines der Hospitäler bringen sollte, das Vergewaltigungsopfer aufnahm.

»Was soll das heißen, es nimmt Vergewaltigungsopfer auf? Unser eigener Arzt mit seinem Krankenhauspersonal kann doch die Sache übernehmen. Das wäre außerdem ganz in der Nähe.«

»Ja, Sir. Aber es gibt viele Krankenhäuser, die diese Fälle nicht aufnehmen. Dort erklärt man Ihnen einfach, dass man darauf nicht eingerichtet ist. Erwähnen Sie bloß nicht, dass wir das gesagt haben, aber die Spurensicherung und Beweisaufnahme ist dem Personal in diesen Fällen zu lästig.«

Ihr Vater sah zu Lisa hinüber, die nun in eine Decke gehüllt, auf eine Trage gelegt wurde. Einen zusätzlichen Schock würde sie nicht überstehen. »Wir werden nicht durch die ganze Stadt zu einem Krankenhaus fahren, nur damit dort die Beweisaufnahme stattfindet. Sollte man ihn erwischen, dann werde ich Mittel und Wege finden, dass er bekommt, was ihm gebührt... mit oder ohne Beweise.« Ein Händedruck wurde gewechselt. »Ich möchte mich für Ihr rasches Eintreffen und Ihre taktvolle Vorgangs weise bedanken. Sie können sicher sein, dass ich das Ihrem Vorgesetzten gegenüber gebührend erwähnen werde.«

Er stieg in den Krankenwagen, in dem Lisa und Trey befördert wurden. Dabei fragte er sich, ob er dieses grässliche Verbrechen nicht hätte verhindern können, während er sich gleichzeitig entschied, seinen ganzen Einfluss geltend zu machen, damit der Polizeibericht aus den Akten entfernt und vernichtet würde. Lisa sollte mit der ganzen Sache nicht mehr konfrontiert werden. Sobald er sich vergewissert hatte, dass sie in guten Händen war und es ihr wieder halbwegs ging, würde er sich um alles andere kümmern.

 

 

 

 

  Stan

 

 

Stan Zalenski war in Hochstimmung. Es war so verdammt einfach gewesen. Sie hatte geheult, halbtot vor Angst. Und das Messer. Eine fabelhafte Idee, das Messer, direkt aus der Küche von dieser Niete. Und ein verdammt gutes Messer. Scharf wie 'ne Rasierklinge. Das dumme Gör hatte doch tatsächlich geglaubt, er wolle sie töten. Teufel, die wollte alles tun, was er nur wollte. Er hätte sich dabei mehr Aktivität gewünscht. Und dann die Bilder! Die würden großartig sein. Gute Kamera. Viel besser als seine eigene. Damit konnte er wirklich gute Aufnahmen schießen. Er durfte nicht vergessen, seine Dunkelkammer abzuschließen, damit Loretta und die Kinder nicht mehr hineinkommen konnten.

Er rief sich alle Einzelheiten ins Gedächtnis, so dass er wieder eine Erektion bekam. Und das Z. Einfach genial. Als kleine Erinnerung, ein Abschiedsgeschenk sozusagen. Er wusste im Nachhinein nicht mehr, ob er es vorher geplant oder ganz spontan getan hatte.

»Ich verschwinde jetzt«, hatte er ihr gesagt, »aber zuerst gebe ich dir etwas, damit du dich an mich erinnerst.«

»Sie werden mich doch nicht töten...«

»Nee. Du warst ein braves Mädchen, und es hat dir Spaß gemacht, das weiß ich. Es wird jetzt ein bisschen wehtun, aber du darfst dich nicht rühren verstanden?«

Sie nickte.

Und dann fügte er ihr die Schnitte zu, neben der linken Brustwarze und nur so tief, dass eine Narbe bleiben würde. Er stand da und sah zu, wie das Blut von der Brust über ihren Leib lief. Sie saß mit geschlossenen Augen da, die Lippen zusammengepresst. »In zwanzig Minuten kannst du dich rühren, aber nicht eher. Kapiert?«

»Ja.« Sie weinte.

Und dann war er gegangen, und jetzt war er soweit. Die Erinnerung an seine Tat hatte ihn wieder kommen lassen, und er musste lachen. Würde die gute alte Loretta heute doch noch auf ihre Kosten kommen? Zwar war sie nicht so knusprig wie die Kleine eben, aber vielleicht würde ihm für Loretta etwas anderes einfallen, wenn er erst daheim war. Er langte nach unten und fasste sich zwischen die Beine. Richtig gut war das, dachte er, so gut wie noch nie zuvor.

 

 

 

 

  Lisa

 

 

Körperlich erholte Lisa sich in kurzer Zeit. Seelisch aber war es viel schwieriger. Sie versuchte, ihr gewohntes Leben wiederaufzunehmen, doch hatte sich ihr Leben in jenen drei Stunden verändert. Es würde sehr lange dauern, bis sie der Welt wieder mit Vertrauen begegnen konnte. Trey, der ihr eigentlich eine gewisse Sicherheit hätte bieten müssen, reihte sich in die Erinnerungen an dieses schreckliche Erlebnis ein. Sie konnte nicht umhin, ihm einen gewissen Anteil an Schuld zuzuschreiben. Wenn er nicht betrunken gewesen wäre... Dazu kam, dass Trey kein Verständnis für sie aufbringen konnte oder wollte, als wäre der Vorfall in erster Linie ihre Schuld. Ihre Versuche, die alte Beziehung wiederaufzunehmen, war ein Fehlschlag. Die Einwände, Schuldgefühle, Anschuldigungen und Unterstellungen konnten nicht verdrängt werden, und es war nicht mehr wie früher.

»Ich begreife gar nicht, dass du dir nicht die Seele aus dem Leib geschrien hast«, sagte er. »Dann wäre dieser Irre wahrscheinlich wie der Blitz davon.«

»Danke, Trey. Ich weiß dein Mitgefühl zu schätzen.«

»Aber Lisa, du weißt, wie ich das meine. Ich habe bloß nie an die Ruhe bewahren und mitmachen-Theorie geglaubt.«

»Mitmachen?«, rief sie. »Das glaubst du also? Ausgerechnet du... Und du hast gesehen, was er mir angetan hat... die Schnitte und das Blut... bloß brauchtest du keine Todesangst um mich oder dich auszustehen, weil du stockbesoffen auf dem Boden gelegen hast!«

»Hör zu, Lisa, mir ist deswegen elend genug zumute. Glaubst du denn nicht, dass ich die Schuld bei mir suche? Glaubst du, ich wüsste nicht, dass die Sache nie passiert wäre, wenn ich nicht getrunken hätte? Du darfst aber nicht vergessen, dass ich nicht bloß betrunken war. Ich war auch bewusstlos. Er hat mich niedergeschlagen.«

Lisa weinte, und sie versöhnten sich, immer wieder, aber letztendlich schafften sie es nicht mehr und mussten sich mit dem Unabänderlichen abfinden. Aber da hatten sich ihre guten Gefühle bereits in Wut, Bitterkeit und Hass verwandelt.

Auf dem Unigelände kam es zum endgültigen Bruch. Sie hatten eben einen Streit über dieses Thema hinter sich, und Trey war ungewöhnlich verschlossen.

»Du bist so ganz anders. Du behandelst mich wie eine fremde Person, wie jemanden, der dir gleichgültig ist.«

»Lisa, das ist nicht wahr, und das weißt du auch. Wir können nicht die ganze Zeit über Zusammensein. Und manchmal hat man wirklich den Kopf voll mit anderen Dingen. Ich musste für ein paar Abschlussprüfungen büffeln, vergiss das nicht, und dann war da diese schriftliche Arbeit in Handelsrecht, ein ordentlicher Brocken.«

»Du willst nicht mehr über uns sprechen. Du sprichst über alles Mögliche, bloß nicht über uns.«

»Ach, Unsinn.«

»Nein, es stimmt. In den letzten drei Wochen hast du mir nicht eine der Nettigkeiten gesagt, die du früher so oft gesagt hast. Nicht mal, dass ich dir gefalle.«

»Du vergisst, dass ich dir täglich gesagt habe, wie ich dich liebe«, verteidigte er sich.

»Ja, hast du.« Sie sah zu den anderen Paaren hinüber. »Und ich glaube dir, dass du es ehrlich meinst, obwohl es jetzt anders ist. Es klingt sogar ganz anders als früher.«

»Lisa, mir wäre lieber, du würdest nicht krampfhaft nach Streit suchen«, klagte er. »Ich habe schon genug andere Sorgen.«

»Also gut, tut mir leid. Vielleicht bin ich nur überempfindlich.« Sie streckte sich und wollte ihm einen Kuss geben, doch er drehte sich weg.

»Doch nicht hier, um Himmels willen.«

»Warum nicht? Das hat dir doch früher nichts ausgemacht.«

»Aber jetzt macht es mir etwas aus.«

»Alles macht dir etwas aus, Trey. Die Wahrheit ist, dass vor allem ich dich störe. Ich begreife bloß nicht, warum du es nicht zugibst.«

»Also gut, verdammt, ich gebe es zu!« stieß er hervor. »Ich wollte es nicht sagen, aber du forderst es geradezu heraus. Wie lange soll ich es noch ohne Sex aushalten? Ich habe schließlich auch gewisse Bedürfnisse. Seit damals hat sich zwischen uns nichts getan, und was noch schlimmer ist, ich komme mir ganz schön dämlich vor, weil alle hier wissen, dass dieser Typ dich gebumst hat. Sie sehen, wie ich dich küsse und anfasse, und dabei fällt ihnen als erstes ein, wie du und dieser Kerl... Und ich muss auch immer daran denken. Dafür kann ich nicht. Ich habe mich bemüht, es zu verdrängen, aber...«

»Sie alle wissen Bescheid?« unterbrach sie ihn.

»Ja, sie wissen es. So was lässt sich nicht geheim halten.«

»Oh, Gott! Hast du es ihnen gesagt?«, flüsterte sie ungläubig.

»Lisa, das war nicht nötig. Es hat sich einfach herumgesprochen. «

»Trey, sie können es nur von einem erfahren haben. Der Täter hat es nicht weitergesagt. Ich auch nicht. Meine Eltern nicht. Bleibst nur du. Wann hast du damit angefangen? Noch am gleichen Tag, oder hast du deine Klappe ein paar Tage halten können?«

»Lisa, lass das. Du bist doch deswegen kein gefallenes Mädchen. Du warst ja keine Jungfrau. Alle wussten, dass wir zusammen ins Bett gehen.«

»Vermutlich hast du darüber auch Einzelheiten verbreitet«, bemerkte sie ironisch. »Danke, Trey.«

»Lisa, führ dich nicht so hochdramatisch auf! Niemand kann etwas dafür, dass du vergewaltigt wurdest, und ich bin immerhin bei dir geblieben, trotz der Redereien. Als Dank streitest du dich mit mir herum! Ich kenne viele, die dich wie eine heiße Kartoffel fallengelassen hätten.«

»In Ordnung, Trey, ich habe verstanden. Du fühlst dich in deiner männlichen Ehre getroffen. Von jetzt ab brauchst du dir um deinen guten Ruf keine Sorgen mehr zu machen!«

Lisa verließ die Universität an jenem Tag mit dem Schwur, sich dort nie wieder blicken zu lassen. Sie trat zur letzten Prüfung des Jahres nicht mehr an. Das spielte für sie keine Rolle mehr. Sie ging an jenem Tag nach Hause mit der Absicht, sich in Zukunft auf ihr Elternhaus zu beschränken - fern von neugierigen Blicken, Fragen, Anklagen. Während jenes Streites auf dem Campus hatte ihr Leben eine dramatische Wendung genommen. Mit der Vergewaltigung hätte sie fertig werden können. Sie hatte sie überlebt. Aber sie wurde nicht damit fertig, dass man über sie sprach, und sie wurde mit Treys Verrat nicht fertig.

Sie zog sich völlig von ihrer alten Freundesclique zurück und gab auch ihre früheren Hobbys auf. Sie ging kaum mehr aus (und vor allem nie allein), und sie begann sich vor Fremden zu ängstigen. Sicher fühlte sie sich nur zu Hause, umgeben von den hohen Mauern mit den hohen Eisentoren.

Mit der Zeit igelte sie sich ganz ein, hielt sich fern von den Schrecken der Außenwelt, die für sie den Vergewaltiger beinhalteten, sich aber nicht auf ihn beschränkten.

»Lisa, du musst dagegen ankämpfen, dich überwinden«, sagte ihr Vater. »Du darfst dich nicht so abkapseln.«

»Daddy, ich kann nicht anders. Ich würde es nicht überleben, wenn es mir noch einmal zustieße.«

Er bot ihr an, einen Leibwächter zu engagieren. Sie lehnte ab.

»Ich hätte trotzdem Angst«, war alles, was sie sagte.

Tag für Tag sehnte sie sich nach Trey und betete jeden Abend inbrünstig darum, dass er anriefe, doch er meldete sich nicht. Schließlich vergaß sie ihren Stolz so weit, dass sie seine Nummer wählte. Seine Stimme allein bewirkte schon, dass ihr das Herz sank.

»Hi, Lisa«, sagte er beiläufig, »was gibt's denn so?«

»Nichts.«

»Und dir geht's gut?«

»Du fehlst mir. Ich wollte dich bloß mal hören.«

»Mir geht es tadellos. Du fehlst mir auch.«

Das machte ihr Mut. »Warum hast du dann nicht angerufen?«

»Weiß nicht. Nach allem was passierte, kam es mir nicht richtig vor. Ich wollte anrufen, aber ich brachte es nicht fertig. Es hätte ausgesehen, als wäre alles in Ordnung, obwohl es das nicht ist. Verstehst du?«

»Und ich hoffte... ach, was weiß ich. Ich hoffte, dass noch nicht alles vorbei wäre. Aber ich habe mich wohl geirrt, stimmt's?«

»Ja.« Er zögerte. »Ich wünschte wirklich, es wäre anders. Wahrscheinlich glaubst du mir nicht, wenn ich so etwas sage, aber ich wünschte wirklich, meine Gefühle wären anders.«

»Nein, Trey. Das Traurige an der Sache ist, dass ich dir glaube. Ich kann mir nicht mal Erleichterung verschaffen, indem ich dich hasse. Jedes Mal wenn ich dich für ein Ekel halten möchte, muss ich daran denken, dass dein Mitgefühl aufrichtig ist.«

Er wechselte das Thema. »Kommst du wieder zu den Vorlesungen?«

»Nein. Daddy möchte, dass ich nach Europa gehe«, log sie. »Wahrscheinlich werde ich mich für ein Jahr wirklich dazu entschließen. Ich lasse es dich wissen, wenn ich wieder da bin.«

»Ja, tu das. Vielleicht klappt es dann wieder mit uns beiden.«

»Vielleicht.«

Sie legte auf und vergrub sich in ihrer Verzweiflung. Sie ging nicht mehr ans Telefon und gab dem Mädchen Anweisung, sie zu verleugnen, mit Ausnahme Trey gegenüber, obwohl sie wusste, dass er nicht mehr anrufen würde. Wie kann ich ihn so sehr lieben, wenn er sich nichts mehr aus mir macht? fragte sie sich. Und warum quält es mich Tag für Tag, ohne dass es besser wird? Soll es mein ganzes Leben lang so weitergehen? Wenn ja, dann wäre es besser, wenn es gleich aus ist.

Sie weinte nicht und sprach auch nicht darüber. Sie litt an einem inneren Schmerz. Als erstes versuchte sie es mit Schwimmen. Sie zog Runde um Runde im Pool, bis Rücken und Glieder schmerzten. Dann lag sie erschöpft auf der Liege, und die nagende Angst, die sie Tag und Nacht begleitete, war für eine Weile vergessen. Doch die Erinnerungen kamen wieder und plagten sie, und das mulmige Gefühl in der Magengegend setzte wieder ein.

Sie versuchte es mit Tennis und verbrachte viele Stunden auf dem Platz - mit einer automatischen Ballmaschine. Sie legte ihre Wut und ihre Ängste in den Schläger und schlug damit die Bälle übers Netz. Wenn sie total erschöpft war, musste sie sich etwas anderes einfallen lassen, das ihr den Schmerz vergessen half.

Doch er ließ sich nicht für immer verdrängen. Am Rande ihrer Erschöpfung lauerte er nur darauf, wieder von ihr Besitz zu ergreifen.

Etwas sagte ihr, dass es nur eine Zuflucht, nur ein Versteck gab. Immer häufiger dachte sie an Selbstmord.

Ihre Eltern sahen, wie niedergeschlagen und deprimiert sie war, und versuchten, mit ihr ins Gespräch zu kommen. Sie wollte nicht aus sich heraus. Ihr Vater schlug eine Europareise vor. Ihre Mutter schleppte Armladungen neuer Kleider an. Sogar die Köchin bemühte sich und kochte nur ihre Lieblingsspeisen. Das alles vermochte nicht ihre Abwehr zu durchdringen. In seiner Verzweiflung zog ihr Vater einen Psychiater zu Rate.

Diesem gelang es, die Ursachen ihrer Ängste herauszufinden. Es sah aus, als gäbe sie sich selbst die Schuld an ihrem Erlebnis, als glaubte sie, sie hätte den Überfall verdient und ihren Angreifer ermutigt. Die Tatsache, dass man ausgerechnet sie vergewaltigt und gequält hatte, schien in gewisser Weise ihre eigene Schuld zu sein. Es war nicht die Angst vor einem neuen Überfall, die sie zu Hause gefangen hielt, wie sie glaubte. Es waren vielmehr die Selbstvorwürfe. Sie fühlte sich schuldig, weil sie vergewaltigt worden war.

»Wie kann sie nur die Schuld bei sich suchen!«, tobte ihr Vater. »Sie wurde schließlich vergewaltigt!«

»Manchmal fühlen sich Vergewaltigungsopfer eher wie Verbrecher und nicht wie Opfer«, erklärte der Psychiater. »Nie würde die Gesellschaft erwarten, dass das Opfer eines Raubüberfalles sich zur Wehr setzt. Wenn man sich einem Vergewaltiger aber nicht aktiv zur Wehr setzt, schlüpft man in die Rolle des Komplizen. Ganz einfach. Lisa hält sich für schuldig, weil sie nachgab.«

»Was lässt sich dagegen tun?«

»Wir werden dagegen ankämpfen. Und wir werden Lisa Zeit geben, sich wieder zu akzeptieren. Es ist ein Kampf, den sie mit sich selbst auszufechten hat. Sie können nicht mehr dazu tun, als sie zu lieben und ihr zu verstehen zugeben, dass sie diese Liebe wert ist.«

Für Lisa reichte diese Therapie nicht aus. Das unmittelbare Problem war gelöst. Sie war aus ihren selbstzerstörerischen Depressionen herausgerissen, aber erst Monate später, als sie von einer gewissen Carole Windenham angerufen wurde, begannen sich die endgültigen Lösungen abzuzeichnen...

 

 

 

 

  Stan

 

 

In den folgenden Wochen dachte Stan Zalenski ständig an jene Freitagnacht - täglich, die ganze Zeit über. Er hatte das Mädchen in der Gewalt gehabt. Sie hätte alles getan, was er verlangte. Er konnte noch immer nicht fassen, dass er es getan hatte. Und dabei hatte er die ganze Zeit über gewusst, dass sie es gern tat. Wie eine richtige Frau. Würde nicht schaden, wenn mehr Männer denen mal richtig zeigten, wo der Hammer hängt. Wenn man sie daran erinnerte, wer in der Welt das Sagen hatte. Jede Frau, die in den Fleischsupermarkt kam, erinnerte ihn an die hübsche kleine Lisa. Verdammt, die hätte er gern wieder zu fassen gekriegt! Oder eine andere wie sie...

Und dann nahm der Gedanke Gestalt an. Er wollte sich die Kundinnen genauer ansehen und sich ausmalen, wie es wäre, wenn er sie - alle - in der Gewalt hätte. Dabei stand fest, dass er sich nicht für eine Hässliche entscheiden würde. Die hatte er zu Hause. Er spähte die Theke entlang zu der vollbusigen kleinen Blonden hin, die eben von einem anderen Metzger bedient wurde. Ja, die war genau richtig!

Er ging an die Kasse und sah nach, welcher Name auf dem Scheck stand. Mary und Craig Greely. Er notierte sich auf einem Stück Packpapier Adresse und Telefonnummer.,