Der Bergpfarrer – Jubiläumsbox 7 – E-Book: 35 - 40

Der Bergpfarrer
– Jubiläumsbox 7–

E-Book: 35 - 40

Toni Waidacher

Impressum:

Epub-Version © 2016 KELTER MEDIA GmbH & Co. KG, Sonninstraße 24 - 28, 20097 Hamburg. Geschäftsführer: Patrick Melchert

Originalausgabe: © KELTER MEDIA GmbH & Co.KG, Hamburg.

Internet: http://www.keltermedia.de

E-mail: info@kelter.de

Dargestellte Personen auf den Titelbildern stehen mit dem Roman in keinem Zusammenhang.

ISBN: 978-3-74093-234-3

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Hochzeit auf dem Ponyhof?

Plötzlich hat Nina wieder Träume…

Roman von Toni Waidacher

Nina wuchtete den schweren Karton auf die Ladefläche des Kombis. Himmel, war das Zeug schwer! Mißmutig sah die dunkelhaarige Frau auf den riesigen Einkaufswagen, auf dem sich noch weitere Kartons, Eimer und Pakete stapelten. Alles Dinge, die auf dem Ferienhof benötigt wurden. Zwar kamen die meisten Sachen für das kleine Hotel aus der Umgebung – Butter und Käse natürlich, und Konfitüren wurden selber gekocht. Aber für den reibungslosen Ablauf in solch einem Unternehmen wurde vieles gebraucht, das es eben nur im Großhandel gab.

Na los, von allein wird’s net in den Kofferraum fliegen, dachte die hübsche Mitinhaberin des Ponyhofes und machte sich an die Arbeit. Normalerweise erledigte Stephan Rössner den Einkauf. Er war der Mann von Sandra, die den heruntergekommenen Hof von einer Großtante geerbt hatte. Nina erinnerte sich noch mit Grausen an den Tag, an dem sie und die beiden Freundinnen in St. Johann angekommen waren.

Alle drei, Sandra, Nina und Anja, studierten gemeinsam und lebten in einer Wohngemeinschaft zusammen. Ein richtiges Studentenleben, zwischen Vorlesungen und Kneipenjobs, Einkaufsbummel und Faulenzerei. Bis eines Tages der Brief eines Rechtsanwalts und Notars ins Haus flatterte. Sandra Haller, wie sie damals noch hieß, hatte geerbt.

Keine von den drei jungen Frauen konnte ahnen, worauf sie sich einließen, als sie sich aufmachten, den Ponyhof zu be-sichtigen, aber für Nina und Anja war es Ehrensache, daß sie die Freundin nicht allein ließen. Vorerst wurde das Studium an den Nagel gehängt und die Ärmel hochgekrempelt. Und gemeinsam schafften sie das Unmögliche. Der marode Hof wurde davor gerettet, unter den Hammer zu kommen, und zwei alte Leute, Resi Angermeier und Hubert Bachmann, konnten dort bleiben, wo sie ihr halbes Leben verbracht hatten.

Damals hatte Sandra auch Stephan Rössner kennengelernt, ihren späteren Mann. Auch ihm war es zu einem großen Teil zu verdanken, daß der Ponyhof sich inzwischen zu einem soliden Unternehmen gemausert hatte, das so langsam wieder aus den roten Zahlen herauskam. Leider lag Stephan mit einem entzündeten Fußgelenk im Bett und konnte die Fahrt zum Großmarkt nicht machen.

Nina schob den Einkaufswagen zurück und setzte sich in das Auto. Vorsichtig fuhr sie aus der Parklücke. Wie immer herrschte auf dem Parkplatz des Großmarkt ein fürchterliches Gedränge, und manche Autofahrer zeichneten sich in ihrer Fahrweise durch eine Rücksichtslosigkeit aus, die zum Himmel schrie. Abgebrochene Außenspiegel und Beulen an den Kotflügeln waren keine Seltenheit. Die Verursacher besaßen dann auch noch die Frechheit, sich einfach zu entfernen, ohne den Geschädigten zu benachrichtigen.

Endlich hatte sie es geschafft. Aufatmend fuhr Nina auf die Straße, fädelte sich beim Kreisel in den Verkehr ein und bog in die Richtung nach St. Johann ab. Als sie auf die Umgehungsstraße fuhr, schaltete sie das Radio ein und summte fröhlich das Lied mit, das gerade gespielt wurde. Schnell kam sie zum Abzweig und wechselte auf die kurvige Bergstraße, die sie nach Hause brachte. Das war geschafft! Jetzt bloß schnell zurück. Wahrscheinlich warteten die anderen schon mit dem Mittagessen auf sie.

In Gedanken ging die aparte junge Frau durch, was heute noch zu erledigen war. Am Nachmittag hatte sich eine Gruppe Kinder angemeldet. Die übernahm Anja Burger. Wahrscheinlich machte sie mit den Kleinen einen Ritt durch den Ainringer Wald. Hinterher gab’s Streuselkuchen und Kakao. Also würde Resi noch backen müssen. Sandra und Stephan wollten nach dem Mittag ins Dorf hinunter fahren. Dr. Wiesinger mußte sich noch einmal das Fußgelenk ansehen. Außerdem wurden am Nachmittag weitere Gäste erwartet, erinnerte sich Nina. Ein Ehepaar und ein einzelner Gast. Um die kümmere ich mich, dachte Nina und setzte unwillkürlich den Fuß auf das Bremspedal, als sie einen Wagen am Straßenrand stehen sah. Davor winkte ein junger Mann. Das Auto war durch die Warnblinkanlage gesichert. Ganz offensichtlich eine Panne.

*

Andreas Kramer schaute ärgerlich dem Auto hinterher. Der Fahrer hatte nicht einmal zu ihm hingeschaut, sondern war einfach weitergefahren. Der junge Angestellte einer großen Münchener Versicherungsgesellschaft schüttelte den Kopf. Seit einer Stunde stand er mit seinem Auto, dessen Motor streikte, am Straßenrand. Unzählige andere Wagen waren vorbeigefahren, niemand hatte angehalten. Was wäre, wenn es sich um einen schlimmen Unfall gehandelt hätte? Vermutlich würd’ ich bis zum Sanktnimmerleinstag hier liegen, ohne daß sich jemand drum schert, dachte er, als er doch ein Auto sah, das langsamer fuhr. Der Fahrer hatte den Blinker gesetzt und hielt vor Andreas’ Wagen an. Der junge Mann staunte nicht schlecht, als er ein unverschämt gutaussehendes Madel aussteigen sah.

»Grüß Gott«, sagte es. »Haben S’ eine Panne?«

Andreas nickte und deutete auf seinen BMW.

»Keine Ahnung, was er hat«, meinte er. »Plötzlich hat er einen Geist aufgegeben. Vielen Dank erstmal, daß Sie angehalten haben. Ich steh’ schon seit einer Stunde hier.«

»Wo wollen S’ denn hin? Nach Sankt Johann?«

»Nicht direkt«, antwortete der junge Mann. »In der Nähe. Ich muß zum Ponyhotel.«

Nina lachte überrascht auf.

»Ach, sind Sie etwa der Herr Kramer?«

Andreas staunte.

»Ja. Aber woher…?«

»Woher ich das weiß?«

Sie lachte immer noch und

reichte ihm die Hand.

»Nina Kreuzer. Ich bin eine der Inhaberinnen«, erklärte sie.

»Na, wenn das kein Zufall

ist.«

»Tja, dann laden wir am besten Ihr Gepäck um, und Sie fahren mit mir«, schlug die junge Frau vor.

»Das Angebot kann ich net ausschlagen«, stimmte Andreas Kramer zu.

Nina beobachtete ihn, während er den Kofferraum öffnete und eine schwarze Reisetasche herausnahm. Der schaut ja wirklich gut aus, schoß es ihr durch den Kopf. Einer, bei dem man schwach werden könnt’…

»So, mehr hab’ ich net«, sagte er und stellte die Tasche auf den Rücksitz. »Haben S’ einen Großeinkauf gemacht?«

»Ja, einmal die Woche muß es sein«, antwortete sie.

Der junge Mann nahm ein Warndreieck und stellte es in einiger Entfernung auf. Dann

setzte er sich neben sie und schnallte sich an.

»So, jetzt kann nix mehr passieren«, sagte er. »Den Wagen laß ich später abschleppen. Ist’s noch weit bis zu Ihrem Hof?«

»Eine Viertelstunde höchstens«, meinte Nina und fuhr auf die Straße zurück.

Während der Fahrt unterhielten sie sich. Andreas erzählte von seiner Arbeit.

»Ich hab’ net viel Gelegenheit für sportliche Unternehmungen«, berichtete er. »Aber als Ausgleich zu der Bürotätigkeit brauch’ ich das ab und zu. Jetzt hab’ ich mir ein paar Tag’ freigenommen. Ich hoff’, daß ich ein bissel was unternehmen kann – ausreiten, wandern und so…«

»Dazu werden S’ reichlich Gelegenheit haben«, erwiderte die junge Frau. »Wie sind S’ eigentlich auf den Ponyhof gekommen?«

»Ach, ein reiner Zufall. Ich hab’ vor einiger Zeit ein Ehepaar besucht, Eva und Georg Weidler. Eine Versicherungssache. Beim Gespräch kamen wir auf das Thema Urlaub. Die beiden haben vor einigen Wochen bei Ihnen gewohnt. Offenbar hat es ihnen gut gefallen. Sie schwärmten richtiggehend.«

»Ja, ich erinnere mich«, nickte Nina. »Nette Leute.«

Sie hatten St. Johann erreicht.

»Ein Bummel durch das Dorf lohnt sich allemal«, erklärte sie ihrem Gast.

»Ich seh’ schon die schönen Malereien an den Häusern.«

»Und erst einmal die Kirche! Die müssen S’ sich unbedingt anschau’n.«

Andreas beobachtete sie von der Seite her. Noch nie hatte er solch eine charmante Chauffeuse. Schade, daß er nur so kurz blieb. Für einen Urlaubsflirt war dieses Madel viel zu schade.

Schnell ließen sie das Dorf hinter sich. Bis zum Hof vergingen keine fünf Minuten mehr, dann lenkte Nina den Wagen durch die Einfahrt.

»So, willkommen auf dem Ponyhof«, sagte sie und ließ das Fahrzeug vor dem Haupthaus ausrollen.

*

Die junge Frau stieg aus dem Bus und schaute sich neugierig um. Sie trug einen schlichten hellbraunen Mantel, die kurzen blonden Haare waren sorgfältig frisiert. Ihr Blick fiel auf die Kirche. Da mußte auch gleich das Pfarramt sein. Kathrin Gramser atmete tief durch, dann überquerte sie die Straße und ging den Kirchweg hinauf. Ihr Herz klopfte ein wenig schneller, als sie vor der Tür des Pfarrhauses stand. Eigentlich war ja schon alles klar – die Stelle als neue Gemeindeschwester war ihr schon beinahe sicher. Pfarrer Trenker hatte sie lediglich für heute zum Mittag eingeladen, damit sie sich persönlich noch ein wenig besser kennenlernten. Schließlich würde sie mit dem Geistlichen und Dr. Wiesinger öfter zusammenarbeiten. Trotzdem konnte die Sechsundzwanzigjährige ihre Aufregung kaum verbergen, und ihre Hand zitterte, als sie den Klingelknopf drückte.

Es dauerte nicht lange, und eine ältere Frau öffnete, vermutlich die Haushälterin des Geistlichen.

»Grüß Gott«, sagte Kathrin. »Mein Name ist Gramser.«

Sophie Tappert lächelte

freundlich.

»Grüß Gott. Kommen S’ nur herein. Pfarrer Trenker erwartet Sie schon.«

Sie führte die Besucherin in Sebastians Arbeitszimmer. Der Bergpfarrer saß hinter seinem Schreibtisch. Als die Besucherin eintrat, stand er auf.

»Liebe Frau Gramser, herzlich willkommen in Sankt Johann«, begrüßte Sebastian die Frau. »Schön, daß Sie da sind. Wir sind froh, daß wir Sie für die Aufgabe gewinnen konnten.«

Kathrin Gramser freute sich über diese herzliche Begrüßung. Zuerst war sie ein wenig erstaunt gewesen. Wie ein Geistlicher sah Pfarrer Trenker nämlich überhaupt nicht aus. Eher schon wie ein prominenter Sportler oder Filmstar.

Sebastian hatte das Erstaunen in den Augen der jungen Frau bemerkt. Er wußte genau, was sie jetzt dachte. Allerdings hatte er sich längst abgewöhnt, weiter darüber nachzudenken, warum ihn die Leute immer mit irgend einer Berühmtheit verwechselten.

Er bot der Besucherin einen Platz an. Die Bewerbungsunterlagen sprachen für sich. Sebastian und Toni Wiesinger waren sicher, mit der neuen Gemeindeschwester einen Glücksgriff getan zu haben. Und auch Markus Bruckner, der Bürgermeister von St. Johann, hatte keine Einwände gegen die Einstellung gehabt.

»Nach dem Essen führ’ ich Sie herum und zeig’ Ihnen das Wichtigste«, erklärte Sebastian. »Die Wohnung, die Sie beziehen werden, ist renoviert, und am Nachmittag haben wir einen Termin beim Bürgermeister. Doktor Wiesinger wird auch dabei sein. Wie gesagt, wir freuen uns schon alle sehr auf Ihre Mitarbeit. Bleibt’s dabei, daß Sie in der nächsten Woche anfangen?«

»Vielen Dank, Hochwürden. Ja. Das meiste ist gepackt und der Umzugswagen bestellt«, antwortete Kathrin. »Am Wochenende wird alles aufgeladen und hergefahren.«

»Wenn S’ Hilfe brauchen, dann sagen S’ nur Bescheid«, bot der Seelsorger an.

Sie versicherte, daß sie genug Helfer habe, die auch beim Einräumen da sein würden. Schließlich meldete sich Sophie Tappert und bat zu Tisch. Kurze Zeit später kam auch Max. Sebastian machte die neue Gemeindeschwester mit seinem Bruder bekannt, und gemeinsam setzten sie sich an den gedeckten Tisch. Kathrin war hingerissen von den Kochkünsten der Haushälterin.

»Auch wenn’s unverschämt klingt – ich hoff’, daß ich öfter zum Essen eingeladen werd’«, meinte sie lachend.

»Darauf dürfen S’ wirklich hoffen«, stimmte Sebastian ein. »Uns’re Frau Tappert freut sich immer, wenn sie für viele Leute kochen kann.«

Die Unterhaltung bei Tisch wurde immer lockerer. Die junge Frau machte auf die anderen einen guten Eindruck, und schnell einigten sich Max und Kathrin darauf, sich mit den Vornamen anzureden.

»Lassen S’ bloß das ›Schwester‹ weg«, bat sie. »Schwester Kathrin – das klingt so nach Krankenhaus. Ich möcht’, daß die Menschen, die ich betreu’, sich mir gegenüber so ungezwungen verhalten wie nur möglich. Schließlich will ich keine Respektsperson für sie sein, sondern eine Hilfe. Dabei ist’s egal, ob sie körperlich krank sind, oder nur einmal seelischen Zuspruch brauchen.«

Dem Seelsorger gefiel diese Einstellung, zeigte sie doch, daß die neue Aufgabe für Kathrin Gramser mehr war als nur eine Arbeit, an die man nach acht Stunden nicht mehr dachte. Sebastian freute sich auf die Zusammenarbeit.

*

»Hallo, ich bin wieder da«, rief Nina Kreuzer.

Sie hatte den Kofferraum geöffnet und wartete darauf, daß jemand aus dem Haus käme, um beim Ausladen des Einkaufs zu helfen. Sie trat überrascht beiseite, als Andreas Kramer zupackte und einen der schweren Kartons heraushob.

»Um Himmels willen, lassen S’ das doch«, rief die dunkelhaarige Frau entsetzt. »Das geht doch net, daß…«

»Daß Ihre Gäste mit anpakken?« fragte Andreas lachend. »Warum net? Es ist doch net schlimm, behilflich zu sein. Und schließlich hab’ ich Ihnen zu verdanken, daß ich jetzt net am Straßenrand steh’.«

Endlich wurde die Haustür geöffnet und Anja und Hubert erschienen. Erstaunt schauten sie auf den jungen Mann, der den Wagen entlud.

»Wer ist das denn?« fragte Anja.

Das blonde, leicht füllige Madel sah Nina an. Die hob verzweifelt die Schulter.

»Das ist Herr Kramer – unser Gast…«

»Grüß Gott«, nickte die Blonde dem Mann zu und nahm ihm einen Eimer Öl aus den Händen. »Dank’ schön. Es geht schon.«

Zusammen mit dem alten Knecht leerte sie den Wagen aus. Nina zeigte Andreas unterdessen sein Zimmer. Die Unterkünfte für die Gäste waren in dem alten Gesindehaus eingerichtet worden. Es waren kleine, schlicht eingerichtete Zimmer, die allerdings nur halb so teuer waren, wie in vergleichbaren Hotels.

»Ich hoff’, Sie sind damit zufrieden«, sagte Nina und blickte den Mann erwartungsvoll an.

»Sehr schön«, nickte der.

»Wir haben net sehr viele Zimmer. Eben nur, was wir hier herrichten konnten«, fuhr sie fort. »Dafür kostet’s net viel. Das Frühstück bekommen S’ drüben im Haupthaus auf der Diele, und wenn S’ möchten, dann können S’ mittags auch was zu essen bekommen. Allerdings gibt’s da keine große Auswahl. Eben das, was die Resi, das ist uns’re Magd, auf den Tisch bringt. Aber das schmeckt ausgezeichnet.«

»Dann möcht’ ich das Angebot gern in Anspruch nehmen«, antwortete Andreas. »Hausmannskost sagt mir sowieso eher zu, als immer das feine Essen in den Lokalen.«

Zufrieden schaute er auf die Einrichtung. Sogar Telefon gab

es.

»Lohnt sich eigentlich gar net mehr«, meinte Nina. »Die meisten Leute haben heutzutage ein Handy.«

»Ich auch«, schmunzelte er. »Allerdings hab’ ich meines zu Hause gelassen. Ich will im Urlaub net gestört werden. Ist ja fürchterlich, wenn man überall erreichbar ist.«

Er schaute sie nachdenklich an.

»Natürlich hätt’ ich mir einen Abschleppwagen rufen können, wenn ich’s dabei gehabt hätt’. Aber dann wär’ ich ja net in den Genuß einer Spazierfahrt mit Ihnen gekommen.«

Nina spürte, wie sie bei diesen Worten rot anlief.

»Ich… ich muß dann wieder rüber«, sagte sie und drehte sich um, damit er ihre Verlegenheit nicht bemerkte. »Einen schönen Aufenthalt auf dem Ponyhof wünsch’ ich.«

»Danke«, rief Andreas hinterher. »Den werd’ ich haben.«

*

Jetzt beruhig dich bloß wieder! sagte Nina zu sich, während sie über den Hof lief. Na, der hat dich ja ganz schön durcheinander gebracht. Die junge Frau mußte schmunzeln. Eigentlich sagte man ihr nach, daß sie die Männer verrückt machte. Sie wußte um die Wirkung auf das andere Geschlecht und setzte sie auch ein, wenn es sein mußte. Nur einmal – da wäre sie beinahe schwach geworden und zwar bei Max Trenker. Der junge Dorfpolizist hatte sich ebenfalls in sie verliebt, aber wenn Nina auch mehr für ihn empfunden hatte als für andere Männer, so war ihr doch bewußt gewesen, daß sie es sich zum damaligen Zeitpunkt gar nicht leisten konnte, sich

von einem Mann auch noch den Kopf verdrehen zu lassen. Schließlich waren die drei Madeln gerade im Begriff, aus dem heruntergekommenen Ponyhof ein schmuckes Ferienhotel zu machen.

Inzwischen verband sie mit Max eine herzliche Freundschaft, und seit der Polizist sein Herz an Claudia Bachinger verloren hatte, war auch diese Gefahr endlich gebannt.

Doch Andreas Kramer war auf dem besten Wege, Ninas gute Vorsätze ins Wanken zu bringen.

Blödsinn! schalt sie sich schließlich. Er ist nur ein Gast und wird in ein paar Tagen wieder abreisen. Dann werd’ ich nie wieder was von ihm hören.

Sandra Rössner deckte den Tisch auf der Diele.

»Kannst’ gleich ein Gedeck mehr auflegen«, sagte Nina. »Der Herr Kramer möchte auch mittags hier essen.«

»Prima«, freute sich die Freundin. »Wir können jeden Nebenverdienst gebrauchen, auch wenn er noch so klein ist. Um so eher haben wir das Darlehen abbezahlt. Ich sag’ gleich der Resi Bescheid.«

Stephan kam die Treppe heruntergehumpelt. Er hielt sich am Geländer fest und stützte sich auf einen Krückstock.

»Na, du Armer. Was macht der Fuß?« erkundigte sich Nina.

»Ach, so langsam geht’s schon wieder«, erwiderte Sandras Mann. »Ich hoff’, daß der Doktor heut’ den Verband abmacht. Wenn ich vorsichtig auftret’, merk’ ich schon fast nix mehr.«

Sie setzten sich an den großen Tisch. Hubert und Anja hatten den Einkauf hereingeschleppt und ins Lager gebracht. Jetzt kamen sie dazu.

»Erzähl’ doch mal«, forderte Anja die Freundin auf. »Wo hast’ denn den Herrn Kramer aufgelesen?«

»Ach, ist der schon da?« fragte Stephan.

Nina nickte und berichtete, unter welchen Umständen sie die Bekanntschaft des Gastes gemacht hatte.

»Na, das ist ja wirklich ein Zufall«, lachte Stephan.

Anja Burger schaute Nina forschend an. Die Dunkelhaarige dukte sich beinahe unter dem Blick. War Anja etwa was aufgefallen?

Nina bemühte sich, nicht in die Richtung zu sehen, als die Haustür geöffnet wurde und Andreas Kramer eintrat. Allerdings bemerkte sie auch, daß Anja sie nicht aus den Augen ließ.

»Servus zusammen«, grüßte der Gast und stellte sich den anderen vor.

Sandra und Resi waren aus der Küche gekommen und brachten das Essen mit.

»Hm, wenn’s so schmeckt, wie’s ausschaut, dann hat sich allein schon deswegen der Urlaub gelohnt«, schwärmte der junge Mann.

War es Zufall, daß er Nina gegenübersaß? Sie wußte es nicht zu sagen, aber sie spürte zwischendurch immer wieder seinen Blick auf sich ruhen.

»Also, Frau Resi, ich hab’ selten so ein gutes Schwammerlgulasch gegessen«, lobte Andreas das Essen. »Und diese Semmelknödel sind so locker, daß man achtgeben muß, daß sie einem net vom Teller fliegen.«

Stephan und die drei Madeln freuten sich, einen solchen sympathischen und unkomplizierten Gast am Tisch zu haben. Schnell war man beim du angekommen, schließlich war Andreas im selben Alter wie die anderen, und ihm wäre es nicht recht gewesen, wenn er von ihnen als Gast hofiert worden wäre. Er fühlte sich gleich in ihrer Mitte wohl, und sie merkten das auch.

Nach dem Essen, das von einem leckeren Pudding mit Fruchtsoße gekrönt wurde, standen Sandra und Stephan auf.

»Wir müssen leider los«, erklärte der Verletzte. »Aber Doktor Wiesinger hat heut’ nachmittag keine Sprechstunde, und ich bin froh, daß er mich trotzdem noch behandelt. Braucht noch jemand etwas aus Sankt Johann?«

Die anderen schüttelten die Köpfe, lediglich Andreas schaute fragend in die Runde.

»Gibt’s da eine Werkstatt?« erkundigte er sich. »Ich muß meinen Wagen ja noch abschleppen lassen.«

»Ich such’ dir gleich die Telefonnummer ’raus«, rief Anja, die mit den Tellern auf dem Weg in die Küche war.

Nina nahm die beiden großen Schüsseln und ging hinterher. Anja hatte das Geschirr auf die Spüle gestellt. Grinsend drehte sie sich um.

»Holla, da hat’s aber jemanden ganz schön erwischt«, lachte ihre Freundin sie an.

Nina zuckte zusammen. Hat Anja doch was gemerkt? Hab’ ich mich etwa irgendwie auffällig benommen?

»Also, wie der dich immer angeschaut hat, der Andreas – der hat sich ja total in dich verguckt.«

Nina war erleichtert, daß nicht sie es war, die sich verraten hatte.

»Meinst’ wirklich?« tat sie ahnungslos.

»Na, wenn ich’s sag!«

Anja schlug das Telefonbuch auf.

»Hier«, sagte sie und deutete mit dem Finger auf den Eintrag. »Willst’ es ihm selber zeigen?«

Nina gab ihr einen Stubser.

»Jetzt hör’ aber auf«, meinte sie. »Ich kenn’ den Andreas erst seit einer Stunde. Was redest’ denn da für einen Unsinn?«

»Unsinn?« echote die Freundin. »Das nennt man Liebe auf den ersten Blick.«

»Wer ist verliebt?« vernahmen die beiden Resis Stimme.

Die Magd stand in der Küchentür und schaute sie neugierig an.

»Ach, niemand!« erwiderte Nina bestimmt und nahm Anja das Telefonbuch aus der Hand.

Während Resi ihr fragend nachschaute, konnte Anja sich das Lachen nicht verkneifen. Die alte Magd schüttelte verwundert den Kopf.

»Man könnt’ meinen, der Frühling sei angebrochen«, sagte sie. »Dabei ist doch schon Juli.«

*

»Hast’ also auch so einen guten Eindruck von der Kathrin Gramser gehabt«, stellte Sebastian Trenker beim Abendessen fest.

Max nickte.

»Ein sauberes Madel«, meinte er zwischen zwei Bissen. »Und so unkompliziert. Wenn ich am Wochenend’ Zeit hab’, werd ich ihr beim Einzug helfen.«

Der Geistliche lehnte sich entspannt zurück. So langsam kam alles in Fluß. Die Suche nach einer Gemeindeschwester hatte ziemlich viel Zeit in Anspruch genommen. Zuerst sah es aus, als würde sich überhaupt niemand auf die Anzeigen hin bewerben. Dann hatte es doch noch geklappt. Wieder einmal hatte es sich ausgezahlt, Geduld zu haben. Jetzt fand sich bestimmt auch bald jemand, der für die Stelle des Geschäftsführers auf Hubertusbrunn in Frage kam.

»Gehst’ heut’ abend mit zum Stammtisch?« fragte Sebastian seinen Bruder.

Der Polizeibeamte schüttelte den Kopf.

»Heut’ net. Die Claudia kommt noch rüber. Wir wollen es uns drüben gemütlich machen.«

Der Seelsorger schmunzelte. Seit Max und die Journalistin ein Paar waren, schien sein Bruder sich um hundertachtzig Grad gedreht zu haben. Sogar den wöchentlichen Stammtisch ließ er sausen. Aber das war Sebastian durchaus recht. Immerhin war es Claudia Bachinger gelungen, den Herzensbrecher zu zähmen.

»Dann grüß’ sie recht schön von mir«, meinte er.

Nachdem Max gegangen war, setzte sich der Geistliche ins Arbeitszimmer und arbeitete ein paar Akten durch. Wenn es weiter so gut voranging, konnte er getrost mal wieder eine Bergtour ins Auge fassen.

Beim Stammtisch war die neue Gemeindeschwester natürlich Tagesgespräch. Ein paar hatten sie am Nachmittag in Begleitung des Pfarrers gesehen, als Sebastian Kathrin herumführte und ihr alles zeigte.

»Wo kommt sie denn eigentlich her?« fragte Ignaz

Herrnbacher, der Kaufmann.

»Gebürtig ist die Frau Gramser aus Passau««, berichtete Sebastian. »Zuletzt hat sie als Schwester in einem Damenstift in der Nähe von Rottach gearbeitet.«

»Also, auf mich hat sie einen qualifizierten Eindruck gemacht«, ließ sich Markus Bruckner vernehmen. »Und sozial scheint sie auch eingestellt zu sein, sonst hätt’ sie net diesen Beruf ergriffen.«

»Ihre Zeugnisse sprechen ebenfalls für sich«, meinte Toni Wiesinger, der gerade hinzugekommen war.

Das Gespräch wendete sich anderen Dingen zu, und da gab es genug Themen. Seien es die Brüsseler Bürokraten, die genau festlegten, wie lang eine Salatgurke in Europa sein durfte, oder die Einführung der neuen Währung, mit der viele immer noch nicht zurechtkamen. Auch die Benzinpreise waren ein beliebtes Diskussionsthema, wenn am Stammtisch Politik gemacht wurde.

Erst gegen elf brachen die ersten auf. Unter ihnen auch Pfarrer Trenker. Als er am Polizeirevier vorüberkam, sah er gerade noch Claudia Bachinger, die sich von Max verabschiedete. Die Journalistin arbeitete in Garmisch bei der Zeitung. Sebastian wünschte ihr eine gute Fahrt und ging zur Kirche hinauf.

Es war die letzte Stunde des Tages. Der Geistliche verbrachte sie oft in seiner Kirche, für eine kurze, besinnliche Andacht. Heute war er froh darüber, daß es kein Problem gab, das er mit seinem Herrgott besprechen mußte. Alles schien in bester Ordnung, und über St. Johann lag Ruhe und Frieden.

Nach einem stillen Gebet verließ Sebastian das Gotteshaus und legte sich zufrieden zur Ruhe.

*

»Guten Morgen zusammen. Haben S’ gut geschlafen?«

Sandra Rössner begrüßte die Hotelgäste, die sich zum Frühstück auf der Diele eingefunden hatten. Das war neben Andreas Kramer noch das Ehepaar Gürtler. Beide waren Ende

fünfzig und wohnten schon

zum zweiten Mal auf dem Ponyhof.

»Bei Ihnen schlafen wir immer wie in Abrahams Schoß«, gab Franz Gürtler, ein frühpensionierter Grundschullehrer, lächelnd zurück.

»Und das schönste nach dem Aufwachen ist das Frühstück«, fügte seine Frau hinzu.

»Da kann ich net widersprechen«, ließ Andreas sich vernehmen.

Die drei saßen an dem großen Tisch und hatten sich, während sie es sich schmecken ließen, ausgiebig unterhalten. Dabei hatte Andreas immer wieder auf die Küchentür geschaut in der Hoffnung, daß Nina sich blicken ließ. Doch diesen Gefallen hatte die Dunkelhaarige ihm bisher nicht getan. Allerdings ahnte er auch nicht, daß sie bereits seit zwei Stunden damit beschäftigt war, zusammen mit Hubert, die Ställe zu säubern und frisches Streu in die Boxen der Ponys zu füllen.

»Und was wollen S’ heut’ unternehmen?« erkundigte sich Sandra.

Das Ehepaar wollte eine Wanderung machen.

»Wenn S’ weiter weg wollen, dann machen wir Ihnen gern ein Lunchpaket fertig«, bot die junge Hotelchefin an.

»Ja, das wissen wir«, nickte Frau Gürtler. »Aber heut’ geht’s nur bis zum Kogler. Das ist ja net so weit. In den nächsten Tagen kommen wir aber gern auf Ihr Angebot zurück. Mein Mann möcht’ nämlich mal wieder auf die Jenneralm hinauf. Aber wir wissen noch net genau, wann. Das ist ganz vom Wetter abhängig.«

»Da kann ich Sie beruhigen«, sagte Anja Burger, die gerade hereingekommen war und den letzten Satz mitbekommen hatte. »Mindestens bis zur nächsten Woche haben wir strahlenden Sonnenschein. Sagt jedenfalls der Wetterdienst – ich übernehm’ natürlich keine Gewähr für diese Vorhersage.«

Das unkomplizierte Madel

setzte sich mit an den Tisch und schenkte sich eine Tasse Kaffee ein. Sie schaute Andreas an.

»Hat’s gestern noch geklappt mit dem Auto?« erkundigte sie sich.

Der junge Mann nickte.

»Ja, es ging ganz schnell. Jemand aus der Werkstatt kam her und hat den Schlüssel geholt, und dann haben sie den Wagen abgeschleppt. Bereits heut’ nachmittag soll er fertig sein.«

Sandra erkundigte sich, ob die Gäste noch irgendwelche Wünsche hätten, aber das war nicht der Fall.

»Und was hast’ dir heut’ vorgenommen?« wandte sie sich an Andreas.

Der Versicherungsangestellte zuckte die Schultern.

»Ich weiß eigentlich net so genau«, erwiderte er. »Vielleicht erst einmal ein bissel die Gegend erkunden.«

»Magst’ denn ein Pony ausleihen?«

Andreas schaute skeptisch.

»Ich weiß net, ob die mich überhaupt aushalten.«

»Keine Angst«, beruhigte ihn Sandra. »Die können schon ein ziemliches Gewicht tragen. Außerdem scheinst’ mir gar net soviel zu wiegen.«

»Er könnte doch Tulsa nehmen«, mischte sich Anja ein.

»Tulsa? Wer ist das denn?« wollte er wissen.

»Das ist ein Isländerpony«, erklärte Anja. »Die sind etwas größer als unsere Shetlands.«

»Hm, das ist vielleicht keine schlechte Idee«, nickte er zustimmend. »Das probiere ich aus.«

»Dann kannst’ gleich zum Stall hinübergehen«, sagte Sandra. »Nina ist da und wird dir alles zeigen.«

Anja schmunzelte, als Andreas gleich aufsprang – hatte sie sich also doch nicht geirrt.

»Bis später dann«, rief er und lief hinaus.

Das Ehepaar war aufgestanden und ging ebenfalls. Sandra und Anja räumten den Tisch ab.

»Na, ich will net mehr Burger heißen, wenn sich da net was anbahnt«, meinte die Mitinhaberin des Ponyhofes.

Sandra schaute sie verdutzt an.

»Wo bahnt sich was an?«

»Na, zwischen Nina und Andreas. Hast’ denn keine Augen im Kopf? Die fressen sich ja regelrecht mit Blicken auf. Und eben ist er ganz schnell zum Stall gelaufen, als du gesagt hast, daß Nina dort ist.«

»Tatsächlich? Nein, das ist mir überhaupt net aufgefallen«, gab die andere zu. »Naja, wenn man selbst verliebt ist, dann hat man dafür keinen Blick mehr.«

Anja sah die Freundin lächelnd an.

»Wenn man dich so reden hört, dann könnt’ man denken, ihr seid immer noch in den Flitterwochen, du und Stephan. Ganz neidisch könnt’ man werden.«

Sandra Rössner hatte das schmutzige Geschirr abgestellt. Sie drehte sich um und nahm Anja in den Arm.

»Manchmal denk’ ich wirklich, daß alles erst ein paar Tag’ her ist, und dem Stephan geht’s genauso. Wir lieben uns wie damals,

als wir uns kennengelernt haben.«

Sie drückte die Freundin.

»Für dich finden wir auch noch einen«, versprach sie augenzwinkernd.

»Das dürfte allerdings net

leicht sein«, meinte Anja unbekümmert. »Ich bin nämlich wählerisch.«

*

»Guten Morgen«, grüßte Andreas strahlend, als er den Stall betrat.

Nina und Hubert hatten gerade ihre Arbeit beendet und die Forken und Schukarren an ihren Platz gestellt. Der alte Knecht nickte dem Gast zu und ging zum Bauernhaus. Nina verbarg ihre Aufregung und begrüßte Andreas.

»Hast’ gut geschlafen?«

»Prima«, versicherte er. »Die Sandra sagt, du würdest mir zeigen, wo Tulsa steht.«

»Aha, du sollst also uns’ren ›Isi‹ reiten. Hast’ denn Erfahrung mit Pferden?«

Andreas sah sie spitzbübisch an.

»Wenn ich jetzt nein sag’, bekomm’ ich dann Unterricht von dir?« wollte er wissen.

Die Dunkelhaarige schüttelte den Kopf.

»Nein«, erwiderte sie. »Dann bekommst’ kein Pony und mußt zu Fuß gehen.«

Sie hatte es ebenfalls lächelnd gesagt.

»Keine Angst«, bemerkte er. »Ich reit’ seit meinem sechsten Lebensjahr. Allerdings saß ich noch nie auf einem Islandpony. Muß ich da etwas Besond’res beachten?«

Sie waren inzwischen zu der Box gegangen, in der Tulsa stand.

»Nein, eigentlich net«, antwortete Nina. »Im Grunde ist es auch net anders als auf einem anderen Pferd.«

Tulsa war ein bildschöner, gefleckter Hengst. Er schnaubte freudig, als Andreas ihn aus seiner Box holte. Nina zeigte, wo Sättel und Zaumzeug zu finden waren. Sie half beim Satteln und schaute dann nachdenklich auf die Schuhe, die der Versicherungsangestellte trug.

»Also damit geht’s net«, meinte sie. »Wenn da was passiert, bekommen wir Ärger mit der Firma, in der du arbeitest, und die Prämien für den Unfallschutz springen in die Höhe. In den Schuhen darfst net reiten.«

Andreas blickte an sich herunter.

»Stimmt«, nickte er. »Daran hab’ ich überhaupt net gedacht. Reitstiefel hab’ ich aber net. Was machen wir denn da?«

Die junge Frau überlegte einen Moment und erkundigte sich nach seiner Schuhgröße.

»Zweiundvierzig.«

»Hm, das müßte gehen. Der Stephan hat dieselbe Größe, aber im Moment kann er net reiten, wegen dem Fuß.«

Sie holte ein Stiefelpaar aus der Kammer, und Andreas probierte sie an.

»Paßt wie angegossen«, meinte er.

Nina nickte zufrieden.

»Jetzt noch den Helm, dann kann’s losgehen.«

Sie reichte ihm die Reiterkappe, deren Innenteil verstärkt war. Andreas setzte sie auf und band sie unter dem Kinn fest. Dann nahm er Tulsa am Zügel und führte ihn auf den Hof. Dort saß er auf.

»Viel Spaß«, wünschte Nina.

»Dank’ schön«, antwortete er. »Aber bestimmt wär’s noch schöner, wenn du mitkönntest.«

Die Mitinhaberin des Ponyhotels lächelte.

»Vielleicht ein andermal.«

Andreas’ Augen leuchteten auf.

»Versprochen?«

Nina nickte ergeben.

»Versprochen.«

Sie schaute ihm nach, wie er vom Hof ritt, und ihr Herz schlug bis zum Hals hinauf. Gestern hatte sie sich den ganzen Tag über bemüht, ihm aus dem Weg zu gehen, und in der Nacht war sie mehrmals aus unruhigem Schlaf aufgewacht und hatte ständig an Andreas denken müssen. Als er ihr jetzt so unvermittelt im Stall gegenüberstand, da hatte sie gar nicht wohin gewußt mit ihren Gefühlen. Und offenbar wurden sie erwidert. Wie anders sollte sie sich die Freude erklären, die Andreas eben zeigte, als sie einwilligte, ihn auf einen Ausritt zu begleiten?

Hatte Anja womöglich recht? War es Liebe auf den ersten Blick? Bei ihr und bei ihm?

Wie schon zuvor dachte sie daran, daß es lange kein Mann geschafft hatte, sie so zu beeindrucken, wie Andreas Kramer es tat. Ihr schwindelte, als sie sich vorstellte, in seinen Armen zu liegen und seine Küsse zu spüren.

*

Kathrin Gramser stand in der Tür ihres kleinen Wohnzimmers und blickte auf die Umzugskartons, die sich an der Wand stapelten, an der bis gestern noch der große Tisch mit den sechs Stühlen gestanden hatte. Der war jetzt auseinandergebaut und verkauft worden, mitsamt den Stühlen. In der neuen Wohnung, die sie in St. Johann bezog, war dafür leider kein Platz mehr.

Schade, dachte sie. Den Tisch werd’ ich vermissen, und vor allem die Freunde, die daran gesessen hatten. Nun würde sie sich einen neuen Freundeskreis aufbauen müssen. St. Johann war zu weit von Rottach entfernt, als daß man mal eben zu Besuch kommen konnte. Dabei waren es immer schöne Abende gewesen. Sie hatten zusammen gekocht und gegessen, und bei Kaffee und Wein geistvolle Gespräche geführt. Doch das war nun vorbei. Regelmäßige Anrufe, und vielleicht alle paar Wochen mal ein Besuch, mehr würde von ihrem bisherigen Leben nicht übrig bleiben.

Auf eine Art bedauerte Kathrin diese Entwicklung, andererseits bedeutete sie aber auch eine Befreiung für die junge Frau, löste sie sich doch endlich aus dem Schatten ihrer Schwester. Barbara, die Eiskalte, Barbara, die berechnend war! Barbara, die Frau, die ihr den Mann forgenommen hatte!

Kathrin verließ die Wohnstube und ging ins Schlafzimmer. Hier sah es auch nicht viel besser aus als nebenan. Auch hier stapelten sich Kartons und Kisten, und die junge Frau hatte sich immer wieder darüber gewundert, wie viele Sachen sie besaß, die eingepackt werden mußten. Dabei hatte sie den bevorstehenden Umzug schon als Chance genutzt, sich von vielen Dingen zu trennen, die sie nicht mehr gebrauchen konnte.

Allerdings hatte sie sich die kleine Ecke, in der das Bett stand, freigehalten, um wenigstens einen winzigen gemütlichen Ort zu haben, an den sie sich zurückziehen konnte, solange sie noch hier war. Bis übermorgen würde sie noch so hausen müssen, dann kam der Umzugswagen, und sie ließ die Welt hier hinter sich.

Das Telefon klingelte und unterbrach ihre Gedanken. Kathrin schaute auf die Uhr, es war bereits nach zehn. Wer rief so spät noch an? Sollte etwa…?

Als sie die Stimme ihrer Schwester hörte, wußte sie, daß sie mit ihrer Ahnung richtig gelegen hatte.

»Hallo, ich bin’s, Babsi«, rief die Anruferin fröhlich. »Hast’ etwa schon geschlafen?«

»Nein, hab’ ich nicht«, antwortete Kathrin matt.

Dabei wäre sie gerne längst ins Bett gegangen. Sie hatte einen anstrengenden Tag hinter sich, mit Frühschicht und anschließendem Marsch auf die verschiedenen Ämter. Alles Wege, die mit ihrem bevorstehenden Wechsel nach St. Johann in Zusammenhang standen.

»Sag’ mal, was hör’ ich da? Du willst Rottach verlassen? Warum hast’ mir denn nix davon erzählt?«

Die Stimme der Schwester klang empört. Kathrin schüttelte den Kopf. Wie hätte sie ihr das wohl sagen können, wenn sie sich nur alle Jubeljahre begegneten?

Allerdings behielt sie ihre Gedanken für sich.

»Ich hatte noch keine Gelegenheit«, erwiderte sie statt dessen.

»Also, ich bitte dich! Du kündigst deine Arbeit und ziehst ganz von hier fort. Das ergibt sich doch net in ein paar Tagen«, hielt Babsi ihr vor. »Das mußt doch schon lang’ wissen. Wenn ich net zufällig den Elmar getroffen hätt’, dann wüßt’ ich wahrscheinlich am Nikolaus noch nix davon.«

Elmar war ein gemeinsamer Bekannter, der Kathrin auch beim Packen geholfen hatte.

Vielleicht hätt’ ich ihn bitten sollen, niemandem etwas zu sagen, überlegte die Krankenschwester.

»Nun weißt du’s ja«, meinte sie schließlich. »Aber das ist doch bestimmt net der Grund für deinen Anruf, oder?«

Barbara Gramser räusperte sich. Aha, dachte Kathrin, hab’ ich also recht.«

»Ich… ich wollt’ dich bitten, ob du mir noch einmal mit ein bissel Geld aushelfen kannst«, kam dann auch die Frage, mit der sie schon gerechnet hatte.

»Ich versteh’ dich net, Barbara«, antwortete sie. »Wir haben net einmal den fünfzehnten, und du bist schon wieder blank. Herrgott noch mal, ich kann doch net das Geld für dich auch noch mitverdienen.«

»Komm, sei net bös’«, hörte sie die honigsüße Stimme ihrer Schwester. »Du bekommst es auch zurück. Ich versprech’s.«

Kathrin atmete tief durch. Versprechungen dieser Art kannte sie nur zu gut. Wie oft schon hatte Barbara versprochen, sich zu ändern, sich eine anständige Arbeit zu suchen. Ganz zu schweigen davon, daß sie das viele Geld zurückzahlen wollte, das Kathrin ihr immer wieder auslieh, wenn man wieder die Miete fällig war oder der Gerichtsvollzieher vor Barbaras Wohnungstür stand.

»Also schön«, seufzte die junge Frau. »Wieviel brauchst’ denn diesmal?«

»Naja, so fünfhundert Euro.«

Kathrin schluckte.

»Na gut«, sagte sie, auch wenn damit ihre Ersparnisse erheblich reduziert wurden. »Ich bring’s dir morgen vorbei.«

»Ach, du bist ein Schatz. Ich wußte doch, daß ich mich auf dich verlassen kann. Bist’ so lieb und steckst es in den Briefkasten? Weißt’, ich bin nämlich gerad’ in München und komm erst morgen abend wieder zurück.«

Die Krankenschwester schüttelte den Kopf. Das sah Barbara ähnlich – kein Geld, aber sich in München amüsieren.

»Ja, mach’ ich«, antwortete sie. »Und jetzt muß ich ins Bett, morgen ist mein letzter Arbeitstag und am Samstag zieh’ ich um.«

»Versteh’ schon«, sagte ihre Schwester. »Wie heißt das Nest noch, in dem du dann wohnst?«

»Sankt Johann.«

»Ach ja. Gut, dann schreib’ doch mal«, rief Barbara und legte auf.

Das werd’ ich ganz bestimmt net machen, dachte Kathrin, während sie ins Bad ging. Die fünfhundert Euro würde sie ohnehin nicht wiedersehen, und ansonsten hatte sie kein Interesse daran, weiter Kontakt zu Barbara zu halten. Denn dazu hatte sie ihr zu weh getan.

*

»Das ist der Höllenbruch«, erklärte Nina Kreuzer ihrem Begleiter und deutete auf das Waldstück vor ihnen. »Da geht’s den Berg hinauf zur Hohen Riest. Das alles gehört zum Ainringer Wald.«

Andreas Kramer richtete sich im Sattel auf und folgte ihrem Fingerzeig. Die beiden Ponys standen auf einer Almwiese, und die Reiter blickten vom Bergwald zum Tal hinüber.

»Dann sind das der Himmelsspitz und die Wintermaid«, stellte der junge Mann fest.

Er meinte den Zwillingsgipfel, der sich auf der anderen Seite präsentierte.

»Bravo«, lobte Nina. »Das hast’ dir gut gemerkt. Wollen wir ein bissel absteigen?«

»Eine prima Idee«, nickte Andreas und sprang auch schon aus dem Sattel.

Er hatte wieder das Isländerpony geritten, während das Madel auf einem Shetland saß. Sie banden die Zügel an die Sättel und ließen die Tiere frei laufen.

»Das ist einfach himmlisch

hier«, meinte der Versicherungsangestellte und hockte sich ins Gras.

Nina setzte sich neben ihn.

»Ja, das stimmt. Wir hatten damals keine Ahnung, was uns

hier erwartet«, sagte sie. »Aber wir haben uns’re Entscheidung dazubleiben nie bereut.«

Am Abend zuvor hatte Andreas die Geschichte gehört, unter welchen Umständen die drei Madeln zum Ponyhof gekommen waren.

»Das kann ich versteh’n«, nickte er.

Er blickte die junge Frau an. Nina hatte ihre dunklen Haare mit einem Stirnband gebändigt. Sie trug eine helle Hemdbluse zur blauen Jeans, und wenn sie so strahlend lachte wie jetzt, dann sah sie einfach zum Anbeißen aus.

Andreas merkte, wie er vor Aufregung feuchte Hände bekam.

»Nina, ich…«

Sie sah ihn fragend an.

»Ja?«

Der junge Mann schluckte den dicken Brocken herunter, der plötzlich in seiner Kehle saß, und räusperte sich.

»Ich weiß net, wie ich beginnen soll«, sagte er. »Aber mir ist noch nie ein Madel begegnet, das mich so fasziniert hat wie du.«

Er giff nach ihrer Hand, und sie entzog sich ihm nicht.

»Gleich, als du aus dem Wagen ausgestiegen bist, da hab’ ich gewußt, daß du die Frau meines Lebens bist. Es war Liebe auf den ersten Blick, glaube ich.«

Ninas Herz schlug bis zum Hals hinauf, als sie ihn so reden hörte. Wann hatte jemals ein Mann so zu ihr gesprochen?«

Ihre Finger hatten sich ineinander verfangen. Andreas beugte sich zu ihr und küßte die roten Lippen, die sie ihm darbot. Zaghaft zuerst, dann immer fordernder, und Nina gab sich diesen Küssen ganz hin.