Sigmund Freud

Der Witz und seine Beziehung zum Unbewussten

Mit einem einleitenden Essay von Manuel Metzig

Inhalt



Einleitendes Essay: Eine kurze Wirkungsgeschichte von „Der Witz und seine Beziehung zum Unterbewussten“

A. Analytischer Teil

B. Synthetischer Teil

C. Theoretischer Teil




Einleitendes Essay: Eine kurze Wirkungsgeschichte von
„Der Witz und seine Beziehung zum Unterbewussten“


Es scheint das Schicksal eines großen Denkers zu sein, seiner Zeit voraus zu sein. Wenn trotz zahlloser Publikationen und öffentlicher Diskussionen das Publikum keinen Gefallen an den hohen Gedanken solcher Denker finden möchte, scheint etwas nicht zu stimmen. Zweifelsohne war Sigmund Freud einer dieser großen Denker, dem es so erging. Es mag uns erstaunen, dass das heutzutage bekannteste Buch Sigmund Freuds, „Die Traumdeutung“, im Erscheinungsjahr 1900 kaum Anklang fand. Innerhalb von sechs Jahren wurde eine nur sehr bescheidene Anzahl von 351 Stück verkauft. Zu einer zweiten Auflage kam es erst 1909. Ein ähnliches Schicksal erlitten die zur Traumtheorie gehörenden Werke „Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie“ und „Der Witz und seine Beziehung zum Unterbewussten“, beide im Jahr 1905 erschienen. Ersteres stieß auf große Beliebtheit, auch in der akademischen Welt, was zur Zeit der Veröffentlichung für Freud keine Selbstverständlichkeit war. Im Gegensatz dazu fand „Der Witz und seine Beziehung zum Unterbewussten“ kaum Beachtung. Zwar betrug die Auflage mit 1.150 Stück fast das Dreifache der Anzahl der „Traumdeutung“, dennoch wurde abseits der von Freud ins Leben gerufenen Wiener Gesellschaft kaum über das Thema diskutiert.Die Veröffentlichung der drei Bücher brachte Sigmund Freud gleichzeitig in Verruf. Man beschwerte sich über die schockierende Verderbtheit der Freud‘schen Theorien. Die Traumdeutung galt als phantastisch, geradezu lächerlich. Vor allem die Behauptung einer kindlichen Sexualität stieß auf herben Widerstand, sowohl in der akademischen als auch nicht-akademischen Welt.Freud selbst sah die Sache gelassen. „Schließlich war es, wie er mit etwas spöttischer Befriedigung sagte, sein Schicksal, „am Schlaf der Welt zu rühren.“ Das Buch „Der Witz und seine Beziehung zum Unterbewussten“ gilt dabei als eines seiner schwersten Werke. Geradezu verwunderlich ist dabei die Tatsache, dass Peter Gay, der heute als einer der renommiertesten Freud-Biografen gilt, in bemerkenswerter Kürze „Der Witz und seine Beziehung zum Unbewussten“ erwähnt – nämlich mit nur einem Satz. Gleiches finden wir bei Max Schnur, der noch zu Lebzeiten Freuds Arzt war und sich später der Biografie widmete. Ernest Jones, der eine der ersten und umfassendsten Biografien verfasste, schrieb über den Witz: „Es wird von allen Büchern Freuds am wenigsten gelesen, vielleicht, weil es am schwersten ist, es richtig zu verstehen.“

Das theoretische Fundament für „Der Witz und seine Beziehung zum Unterbewussten“ bildete Freuds Idee der Psychoanalyse, deren Grundstein er bereits im Jahre 1895 legte. Zusammen mit Josef Breuer veröffentlichte er damals die Studien über Hysterie, die auf den berühmten Fall der Anna O. zurückgehen, bei der es sich um die spätere Frauenrechtlerin Berta Pappenheim handelte. Freud schrieb schon in dieser Zeit seine Träume akribisch auf. Einer schien ihm dabei besonders prägend. Es war wohl in der Nacht vom 23. zum 24. Juli 1895, als Freud einen besonders folgenreichen Traum hatte, der in seiner „Traumdeutung“ unter dem Titel „Irmas Injektion“ auftauchte. Freud begann, diesen Traum Schritt für Schritt und so gründlich wie kaum einen Traum zu analysieren. Es sollte der Grundstein für „Die Traumdeutung“ sein. Die dann im Jahr 1900 veröffentlichte „Traumdeutung“ ist in ihrem Kern eine Selbstanalyse, die Freud an sich selbst vornahm. Die Träume, die er darin analysiert, sind nichts anderes als seine eigenen.
Dass sich Freud später dazu entschloss, ein Buch über Witze zu veröffentlichen, mag nur auf den ersten Blick verwundern. In dieser Schrift versuchte Freud die Theorien der „Traumdeutung“ auf die Techniken des Witzes anzuwenden. Freud selbst sprach von einer „sehr weitgehende Übereinstimmung mit den Vorgängen der ‚Traumarbeit’“. Die Idee zu einer Studie über Witze kam ihm vermutlich während seiner Arbeit als Arzt in seiner Wiener Privatpraxis, die er 1886 eröffnete. „Wenn man einem Unkundigen oder Ungewöhnten eine Traumanalyse mitteilt, in welcher also die sonderbaren, dem Wachdenken anstößigen Wege der Anspielung und Verschiebung dargelegt werden […] so unterliegt der Leser einem ihm unbehaglichen Eindruck, erklärt diese Deutungen für ‚witzig’ […]“Es lässt sich nur vermuten, dass er wohl bereits im Jahr 1897 mit der Sammlung der für das Buch wichtigen Witze begann. So schrieb er an seinen damaligen guten Freund Wilhelm Fließ: „Ich will gestehen, dass ich in letzter Zeit eine Sammlung tiefsinniger jüdischer Geschichten angelegt habe.“Im Laufe der Jahre notierte sich Freud nicht nur Träume, er schrieb auch Witze auf, die zumindest er für besonders komisch hielt.

Großen Einfluss auf „Der Witz und seine Beziehung zum Unterbewussten“ hatte sicherlich Theodor Lipps Schrift „Komik und Humor“ (1898), die auch Erwähnung in diesem Werk findet. Anders als Lipps setzte Freud seine Schwerpunkte jedoch hauptsächlich auf Technik und Tendenz des Witzes. Als Tendenzen unterschied er harmlosen und tendensziösen Witz. Letztere seien meist aggressiver und erotischer Art. Die Verdrängung unerfüllter Wünsche spiele dabei eine große Rolle. Ein Hauptmotiv, das er der „Traumdeutung“ entnommen hatte. Auffällig ist dabei die Technik, mit der Freud die Witze analysierte. Vor allem die Witze mit Wortspiel, derer eine Menge hier vorliegen, besteht die hauptsächliche Technik in der Verdichtung, ebenfalls ein aus der „Traumdeutung“ entlehntes Element. „Umwandlung zur Darstellungsfähigkeit, Verdichtung und Verschiebung sind die drei großen Leistungen, die wir der Traumarbeit zuschreiben dürfen“, so Freud. Die drei Elemente wollte er nicht nur auf die Traumdeutung reduziert wissen, sondern diese auch bei der Technik des Witzes erkennen. Wenn Freud dem Witz dann noch ein Vergnügen unterstellt, dass er mit der Vorlust gleichsetzte, öffnen sich unweigerliche Parallelen zur Traumdeutung. Die Unterscheidung von bewusst – vorbewusst – unbewusst gehört zum zentralen Gedanken bei der Erklärung von Träumen. Am Ende wird es beim Leser verbleiben, wie er das „schwierigste“ Buch Freuds lesen wird. Vielleicht lag und liegt eine der Schwierigkeiten beim Lesen an der hohen Anzahl von Wortspielen. So wurde das Buch damals lediglich in die Sprachen Englisch, Französisch, Russisch und Spanisch übersetzt, weil sich eine adäquate Übersetzung der Wortspiele als schwierig erwies. Desweiteren spielt beim Verständnis eines Witzes auch die Zeit der Entstehung eine bedeutende Rolle. Witze sind zeitgebunden, das wird man bei der heutigen Lektüre unweigerlich erfahren. Dennoch: Auch wenn sich manche Witze der Kenntnis eines heutigen Lesers nur schwer erschließen mögen, so enthält „Der Witz und seine Beziehung zum Unterbewussten“ eine Reihe wirklich guter Witze, die auch dem heutigen Leser einige Lacher abverlangen werden.

[1] Der Witz und seine Beziehung zum Unbewussten.

A. Analytischer Teil

I. Einleitung.

Wer einmal Anlass gehabt hat, sich in der Literatur bei Ästhetikern und Psychologen zu erkundigen, welche Aufklärung über Wesen und Beziehungen des Witzes gegeben werden kann, der wird wohl zugestehen müssen, dass die philosophische Bemühung dem Witz lange nicht in dem Maße zu teil geworden ist, welches er durch seine Rolle in unserem Geistesleben verdient. Man kann nur eine geringe Anzahl von Denkern nennen, die sich eingehender mit den Problemen des Witzes beschäftigt haben. Allerdings finden sich unter den Bearbeitern des Witzes die glänzenden Namen des Dichters Jean Paul (Fr. Richter) und der Philosophen Th. Vischer, Kuno Fischer und Th. Lipps; aber auch bei diesen Autoren steht das Thema des Witzes im Hintergrunde, während das Hauptinteresse der Untersuchung dem umfassenderen und anziehenderen Problem des Komischen zugewendet ist.

Man gewinnt aus der Literatur zunächst den Eindruck, als sei es völlig untunlich, den Witz anders als im Zusammenhange mit dem Komischen zu behandeln.

Nach Th. Lipps (Komik und Humor, 1898)1 ist der Witz „die durchaus subjektive Komik“, d. h. die Komik, „die wir hervorbringen, die an unserem Tun als solchem haftet, zu der wir uns durchwegs als darüberstehendes Subjekt, niemals als Objekt, auch nicht als freiwilliges Objekt verhalten“ (S. 80). Erläuternd hierzu [2] die Bemerkung: Witz heiße überhaupt „jedes bewusste und geschickte Hervorrufen der Komik, sei es der Komik der Anschauung oder der Situation“ (S. 78).

K. Fischer erläutert die Beziehung des Witzes zum Komischen mit Beihilfe der in seiner Darstellung zwischen beide eingeschobenen Karikatur. (Über den Witz, 1889.) Gegenstand der Komik ist das Hässliche in irgend einer seiner Erscheinungsformen: „Wo es verdeckt ist, muss es im Licht der komischen Betrachtung entdeckt, wo es wenig oder kaum bemerkt wird, muss es hervorgeholt und so verdeutlicht werden, dass es klar und offen am Tage liegt.... So entsteht die Karikatur“ (S. 45). — „Unsere ganze geistige Welt, das intellektuelle Reich unserer Gedanken und Vorstellungen, entfaltet sich nicht vor dem Blicke der äußeren Betrachtung, lässt sich nicht unmittelbar bildlich und anschaulich vorstellen und enthält doch auch seine Hemmungen, Gebrechen, Verunstaltungen, eine Fülle des Lächerlichen und der komischen Kontraste. Diese hervorzuheben und der ästhetischen Betrachtung zugänglich zu machen, wird eine Kraft nötig sein, welche im stande ist, nicht bloß Objekte unmittelbar vorzustellen, sondern auf diese Vorstellungen selbst zu reflektieren und sie zu verdeutlichen: eine gedankenerhellende Kraft. Diese Kraft ist allein das Urteil. Das Urteil, welches den komischen Kontrast erzeugt, ist der Witz, er hat im stillen schon in der Karikatur mitgespielt, aber erst im Urteil erreicht er seine eigentümliche Form und das freie Gebiet seiner Entfaltung“ (S. 49).

Wie man sieht, verlegt Lipps den Charakter, welcher den Witz innerhalb des Komischen auszeichnet, in die Betätigung, in das aktive Verhalten des Subjekts, während K. Fischer den Witz durch die Beziehung zu seinem Gegenstand, als welcher das verborgene Hässliche der Gedankenwelt gelten soll, kennzeichnet. Man kann diese Definitionen des Witzes nicht auf ihre Triftigkeit prüfen, ja man kann sie kaum verstehen, wenn man sie nicht in den Zusammenhang einfügt, aus dem gerissen sie hier erscheinen und man stände so vor der Nötigung, sich durch die Darstellungen des Komischen bei den Autoren hindurch zu arbeiten, um von ihnen etwas über den Witz zu erfahren. Indes wird man an anderen Stellen gewahr, dass dieselben Autoren auch wesentliche und allgemein gültige Charaktere des Witzes anzugeben wissen, bei welchen von dessen Beziehung zum Komischen abgesehen ist.

Die Kennzeichnung des Witzes bei K. Fischer, die den Autor selbst am besten zu befriedigen scheint, lautet: Der Witz ist ein spielendes Urteil (S. 51). Zur Erläuterung dieses Aus[3]druckes werden wir auf die Analogie verwiesen: „wie die ästhetische Freiheit in der spielenden Betrachtung der Dinge bestand“ (S. 50). An anderer Stelle (S. 20) wird das ästhetische Verhalten gegen ein Objekt durch die Bedingung charakterisiert, dass wir von diesem Objekt nichts verlangen, insbesondere keine Befriedigung unserer ernsten Bedürfnisse, sondern uns mit dem Genuss der Betrachtung desselben begnügen. Das ästhetische Verhalten ist spielend im Gegensatz zur Arbeit. — „Es könnte sein, dass aus der ästhetischen Freiheit auch eine von der gewöhnlichen Fessel und Richtschnur losgelöste Art des Urteilens entspringt, die ich um ihres Ursprunges willen „das spielende Urteil“ nennen will, und dass in diesem Begriff die erste Bedingung, wenn nicht die ganze Formel enthalten ist, die unsere Aufgabe löst. „Freiheit gibt Witz und Witz gibt Freiheit,“ sagt Jean Paul. „Der Witz ist ein bloßes Spiel mit Ideen“ (S. 24).

Von jeher liebte man es, den Witz als die Fertigkeit zu definieren, Ähnlichkeiten zwischen Unähnlichem, also versteckte Ähnlichkeiten zu finden. Jean Paul hat diesen Gedanken selbst witzig so ausgedrückt: „Der Witz ist der verkleidete Priester, der jedes Paar traut“. Th. Vischer fügt die Fortsetzung an: „Er traut die Paare am liebsten, deren Verbindung die Verwandten nicht dulden wollen“. Vischer wendet aber ein, dass es Witze gebe, bei denen von Vergleichung, also auch von Auffindung von Ähnlichkeit, keine Rede sei. Er definiert also den Witz mit leiser Abweichung von Jean Paul als die Fertigkeit, mit überraschender Schnelle mehrere Vorstellungen, die nach ihrem inneren Gehalt und dem Nexus, dem sie angehören, einander eigentlich fremd sind, zu einer Einheit zu verbinden. K. Fischer hebt dann hervor, dass in einer Menge von witzigen Urteilen nicht Ähnlichkeiten, sondern Unterschiede gefunden werden und Lipps macht darauf aufmerksam, dass sich diese Definitionen auf den Witz beziehen, den der Witzige hat, und nicht, den er macht.

Andere in gewissem Sinne miteinander verknüpfte Gesichtspunkte, die bei der Begriffsbestimmung oder Beschreibung des Witzes herangezogen wurden, sind der „Vorstellungskontrast“, „der Sinn im Unsinn“, „die Verblüffung und Erleuchtung“.

Auf den Vorstellungskontrast legen Definitionen wie die von Kraepe1in den Nachdruck. Der Witz sei „die willkürliche Verbindung oder Verknüpfung zweier miteinander in irgend einer Weise kontrastierender Vorstellungen, zumeist durch das Hilfsmittel der sprachlichen Assoziation“. Es wird einem Kritiker [4] wie Lipps nicht schwer, die völlige Unzulänglichkeit dieser Formel aufzudecken, aber er selbst schließt das Moment des Kontrastes nicht aus, sondern verschiebt es nur an eine andere Stelle. „Der Kontrast bleibt bestehen, aber er ist nicht so oder so gefasster Kontrast der mit den Worten verbundenen Vorstellungen, sondern Kontrast oder Widerspruch der Bedeutung und Bedeutungslosigkeit der Worte“ (S. 87). Beispiele erläutern, wie letzteres verstanden werden soll. „Ein Kontrast entsteht erst dadurch, dass ... wir seinen Worten eine Bedeutung zugestehen, die wir ihnen dann doch wieder nicht zugestehen können“ (S. 90).

In der Weiterentwicklung dieser letzten Bestimmung kommt der Gegensatz von „Sinn und Unsinn“ zur Bedeutung. „Was wir einen Moment für sinnvoll nehmen, steht als völlig sinnlos vor uns. Darin besteht in diesem Falle der komische Prozess“ (S. 85 u. ff.). „Witzig erscheint eine Aussage, wenn wir ihr eine Bedeutung mit psychologischer Notwendigkeit zuschreiben und indem wir sie ihr zuschreiben, sofort auch wiederum absprechen. Dabei kann unter der Bedeutung verschiedenes verstanden sein. Wir leihen einer Aussage einen Sinn und wissen, dass er ihr logischerweise nicht zukommen kann. Wir finden in ihr eine Wahrheit, die wir dann doch wiederum den Gesetzen der Erfahrung oder allgemeinen Gewohnheiten unseres Denkens zufolge nicht darin finden können. Wir gestehen ihr eine über ihren wahren Inhalt hinausgehende logische oder praktische Folge zu, um eben diese Folge zu verneinen, sobald wir die Beschaffenheit der Aussage für sich ins Auge fassen. In jedem Falle besteht der psychologische Prozess, den die witzige Aussage in uns hervorruft und auf dem das Gefühl der Komik beruht, in dem unvermittelten Übergang von jenem Leihen, Fürwahrhalten, Zugestehen, zum Bewusstsein oder Eindruck relativer Nichtigkeit.“

So eindringlich diese Auseinandersetzung klingt, so möchte man hier doch die Frage aufwerfen, ob der Gegensatz des Sinnvollen und Sinnlosen, auf dem das Gefühl der Komik beruht, auch zur Begriffsbestimmung des Witzes, insofern er vom Komischen unterschieden ist, beiträgt.

Auch das Moment der „Verblüffung und Erleuchtung“ führt tief in das Problem der Relation des Witzes zur Komik hinein. Kant sagt vom Komischen überhaupt, es sei eine merkwürdige Eigenschaft desselben, dass es uns nur für einen Moment täuschen könne. Heymans (Zeitschr. f. Psychologie XI, 1896) führt aus, wie die Wirkung eines Witzes durch die Aufeinanderfolge von Verblüffung und Erleuchtung zu stande komme. Er erläutert seine [5] Meinung an einem prächtigen Witz von Heine, der eine seiner Figuren, den armen Lotteriekollekteur Hirsch-Hyacinth, sich rühmen lässt, der große Baron Rothschild habe ihn ganz wie seines Gleichen, ganz famillionär, behandelt. Hier erscheine das Wort, welches der Träger des Witzes ist, zunächst einfach als eine fehlerhafte Wortbildung, als etwas Unverständliches, Unbegreifliches, Rätselhaftes. Dadurch verblüffe es. Die Komik ergebe sich aus der Lösung der Verblüffung, aus dem Verständnis des Wortes. Lipps ergänzt hierzu, dass diesem ersten Stadium der Erleuchtung, das verblüffende Wort bedeute dies und jenes, ein zweites Stadium folgt, in dem man einsehe, dies sinnlose Wort habe uns verblüfft und dann den guten Sinn ergeben. Erst diese zweite Erleuchtung, die Einsicht, dass ein nach gemeinem Sprachgebrauch sinnloses Wort das Ganze verschuldet habe, diese Auflösung in Nichts, erzeuge erst die Komik (S. 95).

Ob die eine oder die andere dieser beiden Auffassungen uns einleuchtender erscheinen möge; durch die Erörterungen über Verblüffung und Erleuchtung werden wir einer bestimmten Einsicht näher gebracht. Wenn nämlich die komische Wirkung des Heineschen famillionär auf der Auflösung des scheinbar sinnlosen Wortes beruht, so ist wohl der „Witz“ in die Bildung dieses Wortes und in den Charakter des so gebildeten Wortes zu versetzen.

Außer allem Zusammenhang mit den zuletzt behandelten Gesichtspunkten wird eine andere Eigentümlichkeit des Witzes als wesentlich für ihn von allen Autoren anerkannt. „Kürze ist der Körper und die Seele des Witzes, ja er selbst,“ sagt Jean Paul (Vorschule der Ästhetik, I, § 45) und modifiziert damit nur eine Rede des alten Schwätzers Polonius in Shakespeares Hamlet (2. Akt, 2. Szene):

„Weil Kürze dann des Witzes Seele ist,

Weitschweifigkeit der Leib und äußre Zierat,

Fass' ich mich kurz.“ (Schlegel'sche Übersetzung)

Bedeutsam ist dann die Schilderung der Kürze des Witzes bei Lipps (S. 90). „Der Witz sagt, was er sagt, nicht immer in wenig, aber immer in zu wenig Worten, d. h. in Worten, die nach strenger Logik oder gemeiner Denk- und Redeweise dazu nicht genügen. Er kann es schließlich geradezu sagen, indem er es verschweigt.“

„Dass der Witz etwas Verborgenes oder Verstecktes hervorholen müsse“ (K. Fischer, S. 51), wurde uns schon bei der Zusammenstellung des Witzes mit der Karikatur gelehrt. Ich hebe diese Bestimmung nochmals hervor, weil auch sie mehr mit [6] dem Wesen des Witzes als mit seiner Zugehörigkeit zur Komik zu tun hat.


Ich weiß wohl, dass die Vorstehenden kümmerlichen Auszüge aus den Arbeiten der Autoren über den Witz dem Werte dieser Arbeiten nicht gerecht werden können. Infolge der Schwierigkeiten, welche einer von Missverständnis freien Wiedergabe so komplizierter und fein nuancierter Gedankengänge entgegenstehen, kann ich den Wissbegierigen die Mühe nicht ersparen, sich die gewünschte Belehrung an den ursprünglichen Quellen zu holen. Aber ich weiß nicht, ob sie von ihr voll befriedigt zurückkehren würden. Die von den Autoren angegebenen und im vorigen zusammengestellten Kriterien und Eigenschaften des Witzes — die, Aktivität, die Beziehung zum Inhalt unseres Denkens, der Charakter des spielenden Urteils, die Paarung des Unähnlichen, der Vorstellungskontrast, der „Sinn im Unsinn“, die Aufeinanderfolge von Verblüffung und Erleuchtung, das Hervorholen des Versteckten und die besondere Art von Kürze des Witzes — erscheinen uns zwar auf den ersten Blick als so sehr zutreffend und so leicht an Beispielen erweisbar, dass wir nicht in die Gefahr geraten können, den Wert solcher Einsichten zu unterschätzen, aber es sind disjecta membra, die wir zu einem organisch Ganzen zusammengefügt sehen möchten. Sie tragen schließlich zur Kenntnis des Witzes nicht mehr bei als etwa eine Reihe von Anekdoten zur Charakteristik einer Persönlichkeit, über welche wir eine Biographie beanspruchen dürfen. Es fehlt uns völlig die Einsicht in den vorauszusetzenden Zusammenhang der einzelnen Bestimmungen, etwa was die Kürze des Witzes mit seinem Charakter als spielendes Urteil zu schaffen haben kann und ferner die Aufklärung, ob der Witz allen diesen Bedingungen genügen muss, um ein richtiger Witz zu sein, oder nur einzelnen darunter und welche dann durch andere vertretbar, welche unerlässlich sind. Auch eine Gruppierung und Einteilung der Witze auf Grund ihrer als wesentlich hervorgehobenen Eigenschaften würden wir wünschen. Die Einteilung, welche wir bei den Autoren finden, stützt sich einerseits auf die technischen Mittel, anderseits auf die Verwendung des Witzes in der Rede (Klangwitz, Wortspiel — karikierender, charakterisierender Witz, witzige Abfertigung).

Wir wären also nicht in Verlegenheit, einer weiteren Bemühung zur Aufklärung des Witzes ihre Ziele zu weisen. Um auf Erfolg rechnen zu können, müssten wir entweder neue Ge[7]sichtspunkte in die Arbeit eintragen oder durch Verstärkung unserer Aufmerksamkeit und Vertiefung unseres Interesses weiter einzudringen versuchen. Wir können uns vorsetzen, es wenigstens an dem letzteren Mittel nicht fehlen zu lassen. Es ist immerhin auffällig, wie wenig Beispiele von als solchen anerkannten Witzen den Autoren für ihre Untersuchungen genügen und wie ein jeder die nämlichen von seinen Vorgängern übernimmt. Wir dürfen uns der Verpflichtung nicht entziehen, dieselben Beispiele zu analysieren, die bereits den klassischen Autoren über den Witz gedient haben, aber wir beabsichtigen, uns außerdem an neues Material zu wenden, um eine breitere Unterlage für unsere Schlussfolgerungen zu gewinnen. Es liegt dann nahe, dass wir solche Beispiele von Witz zu Objekten unserer Untersuchung nehmen, die uns selbst im Leben den größten Eindruck gemacht und uns am ausgiebigsten lachen gemacht haben.

Ob das Thema des Witzes solcher Bemühung wert ist? Ich meine, daran ist nicht zu zweifeln. Wenn ich von persönlichen, während der Entwicklung dieser Studien aufzudeckenden, Motiven absehe, die mich drängen, Einsicht in die Probleme des Witzes zu gewinnen, kann ich mich auf die Tatsache des intimen Zusammenhanges alles seelischen Geschehens berufen, welche einer psychologischen Erkenntnis auch auf einem entlegenen Gebiet einen im vorhinein nicht abschätzbaren Wert für andere Gebiete zusichert. Man darf auch daran mahnen, welch eigentümlichen, geradezu faszinierenden Heiz der Witz in unserer Gesellschaft äußert. Ein neuer Witz wirkt fast wie ein Ereignis von allgemeinstem Interesse; er wird wie die neueste Siegesnachricht von dem einen dem anderen zugetragen. Selbst bedeutende Männer, die es für mitteilenswert halten, wie sie geworden sind, welche Städte und Länder sie gesehen, und mit welchen hervorragenden Menschen sie verkehrt haben, verschmähen es nicht, in ihre Lebensbeschreibung aufzunehmen, diese und jene vortrefflichen Witze hätten sie gehört.2


II. Die Technik des Witzes.


Wir folgen einem Winke des Zufalls und greifen das erste Witzbeispiel auf, das uns im vorigen Abschnitt entgegengetreten ist.

In dem Stück der „Reisebilder“, welches „Die Bäder von Lucca“ betitelt ist, führt H. Heine die köstliche Gestalt des Lotteriekollekteurs und Hühneraugenoperateurs Hirsch-Hyacinth aus Hamburg auf, der sich gegen den Dichter seiner Beziehungen zum reichen Baron Rothschild berühmt und zuletzt sagt: Und so wahr mir Gott alles Gute geben soll, Herr Doktor, ich saß neben Solomon Rothschild und er behandelte mich ganz wie seines Gleichen, ganz famillionär.

An diesem als ausgezeichnet anerkannten und sehr lachkräftigen Beispiel haben Heymans und Lipps die Ableitung der komischen Wirkung des Witzes aus der „Verblüffung und Erleuchtung“ (s. o.) erläutert. Wir aber lassen diese Frage beiseite und stellen uns die andere: Was es denn ist, was die Rede des Hirsch-Hyacinth zu einem Witze macht? Es könnte nur zweierlei sein; entweder ist es der in dem Satz ausgedrückte Gedanke, der den Charakter des Witzigen an sich trägt, oder der Witz haftet an dem Ausdruck, den der Gedanke in dem Satz gefunden hat. Auf welcher Seite sich uns der Witzcharakter zeigt, dort wollen wir ihn weiter verfolgen und versuchen, seiner habhaft zu werden.

Ein Gedanke kann ja im allgemeinen in verschiedenen sprachlichen Formen — in Worten also — zum Ausdruck gebracht werden, die ihn gleich zutreffend wiedergeben mögen. In der Rede des Hirsch-Hyacinth liegt uns nun eine bestimmte Ausdrucksform eines Gedankens vor und, wie uns ahnt, eine besonders eigentümliche, nicht diejenige, welche am leichtesten verständlich ist. Versuchen wir, denselben Gedanken möglichst getreulich in anderen Worten auszudrücken. Lipps hat dies bereits getan und damit die Fassung des Dichters gewissermaßen erläutert. Er sagt (S. 87): „Wir verstehen, dass Heine sagen will, die Aufnahme sei eine familiäre gewesen, nämlich von der bekannten Art, die durch den Beigeschmack des Millionärtums an Annehmlichkeiten nicht zu gewinnen pflegt.“ Wir verändern [9] nichts an diesem Sinn, wenn wir eine andere Fassung annehmen, die sich vielleicht besser in die Rede des Hirsch-Hyacinth einfügt: „Rothschild behandelte mich ganz wie seines Gleichen, ganz fami1iär, d. h. soweit ein Mi1lionär das zu stande bringt.“ „Die Herablassung eines reichen Mannes hat immer etwas Missliches für den, der sie an sich erfährt,“ würden wir noch hinzusetzen.3

Ob wir nun bei dieser oder einer anderen gleichwertigen Textierung des Gedankens verbleiben, wir sehen, dass die Frage, welche wir uns vorgelegt haben, bereits entschieden ist. Der Witzcharakter haftet in diesem Beispiel nicht am Gedanken. Es ist eine richtige und scharfsinnige Bemerkung, die Heine seinem Hirsch-Hyacinth in den Mund legt, eine Bemerkung von unverkennbarer Bitterkeit, wie sie bei dem armen Manne angesichts so großen Reichtums leicht begreiflich ist, aber wir würden uns nicht getrauen, sie witzig zu heißen. Meinte nun jemand, der bei der Übertragung die Erinnerung an die Fassung des Dichters nicht los zu werden vermag, der Gedanke sei doch auch an sich witzig, so können wir ja auf ein sicheres Kriterium des bei der Übertragung verloren gegangenen Witzcharakters verweisen. Die Rede des Hirsch-Hyacinth machte uns laut lachen, die sinngetreue Übertragung derselben nach Lipps oder in unserer Fassung mag uns gefallen, zum Nachdenken anregen, aber zum Lachen bringen kann sie uns nicht.

Wenn aber der Witzcharakter unseres Beispiels nicht dem Gedanken anhaftet, so ist er in der Form, im Wortlaut seines Ausdruckes zu suchen. Wir brauchen nur die Besonderheit dieser Ausdrucksweise zu studieren, um zu erfassen, was man als die Wort- oder Ausdruckstechnik dieses Witzes bezeichnen kann und was in inniger Beziehung zu dem Wesen des Witzes stehen muss, da Charakter und Wirkung des Witzes mit dessen Ersetzung durch anderes verschwinden. Wir befinden uns übrigens in voller Übereinstimmung mit den Autoren, wenn wir soviel Wert auf die sprachliche Form des Witzes legen. So z. B. sagt K. Fischer (S. 72): „Es ist zunächst die bloße Form, die das Urteil zum Witz macht und man wird hier an ein Wort Jean Pauls erinnert, welches eben diese Natur des Witzes in demselben Ausspruche erklärt und beweist: „So sehr sieget die bloße Stellung, es sei der Krieger oder der Sätze.“

[10] Worin besteht nun die „Technik“ dieses Witzes? Was ist mit dem Gedanken etwa in unserer Fassung vorgegangen, bis aus ihm der Witz wurde, über den wir so herzlich lachen? Zweierlei, wie die Vergleichung unserer Fassung mit dem Text des Dichters lehrt. Erstens hat eine erhebliche Verkürzung stattgefunden. Wir mussten, um den im Witz enthaltenen Gedanken voll auszudrücken, an die Worte „R. behandelte mich ganz wie seines Gleichen, ganz familiär,“ einen Nachsatz anfügen, der aufs kürzeste eingeengt lautete: d. h. soweit ein Millionär das zustande bringt und dann fühlten wir erst noch das Bedürfnis nach einem erläuternden Zusatz.4 Beim Dichter heißt es weit kürzer:

R. behandelte mich ganz wie seines Gleichen, ganz famillionär.” Die ganze Einschränkung, die der zweite Satz an den ersten anfügt, welcher die familiäre Behandlung konstatiert, ist im Witze verloren gegangen.

Aber doch nicht ganz ohne einen Ersatz, aus dem man sie rekonstruieren kann. Es hat auch noch eine zweite Abänderung stattgefunden. Das Wort „familiär“ im witzlosen Ausdruck des Gedankens ist im Text des Witzes zu „famillionär“ umgewandelt worden und ohne Zweifel hängt gerade an diesem Wortgebilde der Witzcharakter und der Lacheffekt des Witzes. Das neugebildete Wort deckt sich in seinem Anfang mit dem „familiär“ des ersten, in seinen auslautenden Silben mit dem „Millionär“ des zweiten Satzes, es vertritt gleichsam den einen Bestandteil „Millionär“ aus dem zweiten Satze, infolgedessen den ganzen zweiten Satz und setzt uns auf diese Weise in den Stand, den im Text des Witzes ausgelassenen zweiten Satz zu erraten. Es ist als ein Mischgebilde aus den zwei Komponenten „familiär“ und „Millionär“ zu beschreiben und man wäre versucht, sich seine Entstehung aus diesen beiden Worten graphisch zu veranschaulichen.5

FAMILIÄR

MILIONÄR

FAMILIONÄR

[11] Den Vorgang aber, welcher den Gedanken in den Witz übergeführt hat, kann man sich in folgender Weise darstellen, die zunächst recht phantastisch erscheinen mag, aber nichtsdestoweniger genau das wirklich vorhandene Ergebnis liefert: „R. behandelte mich ganz familiär, d. h. soweit ein Millionär es zu stande bringt.“

Nun denke man sich eine zusammendrängende Kraft auf diese Sätze einwirken und nehme an, dass der Nachsatz aus irgend einem Grunde der weniger resistente sei. Dieser wird dann zum Schwinden gebracht werden, der bedeutsame Bestandteil desselben, das Wort „Millionär“, welches sich gegen die Unterdrückung zu sträuben vermag, wird gleichsam an den ersten Satz angepresst, mit dem ihm so sehr ähnlichen Element dieses Satzes „familiär“ verschmolzen und gerade diese zufällig gegebene Möglichkeit, das Wesentliche des zweiten Satzes zu retten, wird den Untergang der anderen unwichtigeren Bestandteile begünstigen. So entsteht dann der Witz: „R. behandelte mich ganz familionär.“ (mili)(är)

Abgesehen von solcher zusammendrängenden Kraft, die uns ja unbekannt ist, dürfen wir den Hergang der Witzbildung, also die Witztechnik dieses Falles, beschreiben als eine Verdichtung mit Ersatzbildung und zwar besteht in unserem Beispiel die Ersatzbildung in der Herstellung eines Mischwortes. Dieses Mischwort „famillionär“, an sich unverständlich, in dem Zusammenhange, in dem es steht, sofort verstanden und als sinnreich erkannt, ist nun der Träger der zum Lachen zwingenden Wirkung des Witzes, deren Mechanismus uns allerdings durch die Aufdeckung der Witztechnik in keiner Weise näher gebracht wird. Inwiefern kann ein sprachlicher Verdichtungsvorgang mit Ersatzbildung durch ein Mischwort uns Lust schaffen und zum Lachen nötigen? Wir merken, dies ist ein anderes Problem, dessen Behandlung wir aufschieben dürfen, bis wir einen Zugang zu ihm gefunden haben. Vorläufig werden wir bei der Technik des Witzes bleiben.

Unsere Erwartung, dass die Technik des Witzes für die Einsicht in das Wesen desselben nicht gleichgültig sein könne, veranlasst uns zunächst zu forschen, ob es noch andere Witzbeispiele gibt, die wie Heines „famillionär“ gebaut sind. Es gibt deren nun nicht sehr viele, aber immerhin genug, um eine kleine Gruppe, die durch die Mischwortbildung charakterisiert ist, aufzustellen. Heine selbst hat aus dem Worte Millionär einen zweiten Witz gezogen, sich gleichsam selbst kopiert, indem er von einem [12] „Millionarr spricht (Ideen, Kap. XIV), was eine durchsichtige Zusammenziehung von Millionär und Narr ist und ganz ähnlich wie das erste Beispiel einen unterdrückten Nebengedanken zum Ausdruck bringt.

Andere Beispiele, die mir bekannt geworden sind: Die Berliner heißen einen gewissen Brunnen in ihrer Stadt, dessen Errichtung dem Oberbürgermeister Forckenbeck viel Ungnade zugezogen hat, das „Forckenbecken“ und dieser Bezeichnung ist der Witz nicht abzusprechen, wenngleich das Wort „Brunnen“ erst eine Wandlung in das ungebräuchliche „Becken“ erfahren musste, um mit dem Namen in einem Gemeinsamen zusammentreffen. – Der böse Witz Europas hatte einst einen Potentanten aus Leopold in Cleopold umgetauft wegen seiner damaligen Beziehungen zu einer Dame mit dem Vornamen C1éo, eine unzweifelhafte Verdichtungsleistung, die nun mit dem Aufwand eines einzigen Buchstabens eine ärgerliche Anspielung immer frisch erhält. — Eigennamen verfallen überhaupt leicht dieser Bearbeitung der Witztechnik: In Wien gab es zwei Brüder, namens Salinger, von denen einer Börsensensal war. Das gab die Handhabe, den einen Bruder Sensalinger zu nennen, während für den anderen zur Unterscheidung die unliebenswürdige Bezeichnung Scheusalinger in Aufnahme kam. Es war bequem und gewiss witzig; ich weiß nicht, ob es berechtigt war. Der Witz pflegt danach nicht viel zu fragen.

Folgender Verdichtungswitz wurde mir erzählt: Ein junger Mann, der bisher in der Fremde ein heiteres Leben geführt, besucht nach längerer Abwesenheit einen hier wohnenden Freund, der nun mit Überraschung den Ehering an der Hand des Besuchers bemerkt. Was? ruft er aus, Sie sind verheiratet? Ja, lautet die Antwort: Trauring, aber wahr. Der Witz ist vortrefflich; in dem Worte „Trauring“ kommen die beiden Komponenten, das Wort: Ehering in Trauring gewandelt und der Satz: Traurig, aber wahr, zusammen.

Es tut der Wirkung des Witzes hier keinen Eintrag, dass das Mischwort eigentlich nicht ein unverständliches, sonst nicht existenzfähiges Gebilde ist wie „famillionär“, sondern sich vollkommen mit dem einen der beiden verdichteten Elemente deckt.

Zu einem Witz, der wiederum dem „famillionär“ ganz analog ist, habe ich selbst im Gespräche unabsichtlich das Material geliefert. Ich erzählte einer Dame von den großen Verdiensten eines Forschers, den ich für einen mit Unrecht Verkannten halte. „Aber der Mann verdient doch ein Monument,“ meinte sie. „Mög[13]lich, dass er es einmal bekommen wird,“ antwortete ich, „aber momentan ist sein Erfolg sehr gering.“ „Monument“ und „momentan“ sind Gegensätze.“ Die Dame vereinigt nun die Gegensätze: Also wünschen wir ihm einen monumentanen Erfolg.


Einer vortrefflichen Bearbeitung des gleichen Themas in englischer Sprache (A. A. Brill, Freuds Theory of wit, Journal of abnormal Psychologie 1911) verdanke ich einige fremdsprachige Beispiele, die den gleichen Mechanismus der Verdichtung zeigen wie unser „famillionär“.

Der englische Autor de Quincey, erzählt Brill, hat irgendwo die Bemerkung gemacht, dass alte Leute dazu neigen, in „anecdotage“ zu verfallen. Das Wort ist zusammengeschmolzen aus den sich teilweise überdeckenden anecdote und dotage (kindisches Gefasel).

In einer anonymen kurzen Geschichte fand Brill einmal die Weihnachtszeit bezeichnet als „the alcoholidays“. Die gleiche Verschmelzung aus alcohol und holidays (Festtage).

Als Flaubert seinen berühmten Roman Salammbô, der im alten Karthago spielt, veröffentlicht hatte, verspottete ihn Sainte-Beuve als Carthaginoiserie wegen seiner peinlichen Detailmalerei: Carthaginois chinoiserie.

Das vorzüglichste Witzspiel dieser Gruppe hat einen der ersten Männer Österreichs zum Urheber, der nach bedeutsamer wissenschaftlicher und öffentlicher Tätigkeit nun ein oberstes Amt im Staate bekleidet. Ich habe mir die Freiheit genommen, die Witze, die dieser Person zugeschrieben werden und in der Tat alle das gleiche Gepräge tragen, als Material für diese Untersuchungen zu verwenden,6 vor allem darum, weil es schwer gehalten hätte, sich ein besseres zu verschaffen.

[14] Herr N. wird eines Tages auf die Person eines Schriftstellers aufmerksam gemacht, der durch eine Reihe von wirklich langweiligen Aufsätzen bekannt geworden ist, welche er in einer Wiener Tageszeitung veröffentlicht hat. Die Aufsätze behandeln durchweg kleine Episoden ans den Beziehungen des ersten Napoleon zu Österreich. Der Verfasser ist rothaarig. Herr N. fragt, sobald er den Namen gehört hat: Ist das nicht der rote Fadian, der sich durch die Geschichte der Napoleoniden zieht?

Um die Technik dieses Witzes zu finden, müssen wir auf ihn jenes Reduktionsverfahren anwenden, welches den Witz durch Änderung des Ausdruckes aufhebt und dafür den ursprünglichen vollen Sinn wieder einsetzt, wie er sich aus einem guten Witz mit Sicherheit erraten lässt. Der Witz des Herrn N. vom roten Fadian ist aus zwei Komponenten hervorgegangen, aus einem absprechenden Urteil über den Schriftsteller und aus der Reminiszenz an das berühmte Gleichnis, mit welchem Goethe die Auszüge: „Aus Ottiliens Tagebuche“ in den „Wahlverwandtschaften“ einleitet.7 Die unmutige Kritik mag gelautet haben: Das also ist der Mensch, der ewig und immer wieder nur langweilige Feuilletons über Napoleon in Österreich zu schreiben weiß! Diese Äußerung ist nun gar nicht witzig. Auch der schöne Vergleich Goethes ist kein witziger und ganz gewiss nicht geeignet, uns zum Lachen zu bringen. Erst wenn diese beiden in Beziehung zueinandergesetzt werden und dem eigentümlichen Verdichtungs- und Verschmelzungsprozess unterliegen, entsteht ein Witz, und zwar vom ersten Range.8

Die Verknüpfung zwischen dem schimpflichen Urteil über den langweiligen Geschichtschreiber und dem schönen Gleichnis in den Wahlverwandtschaften muss sich aus Gründen, die ich hier noch nicht verständlich machen kann, auf weniger einfache Weise hergestellt haben als in vielen ähnlichen Fällen. Ich werde es [15] versuchen, den vermutlichen wirklichen Hergang durch folgende Konstruktion zu ersetzen. Zunächst mag das Element der beständigen Wiederkehr desselben Themas bei Herrn N. eine leise Reminiszenz an die bekannte Stelle der Wahlverwandtschaften geweckt haben, die ja zumeist fälschlich mit dem Wortlaut „es zieht sich wie ein roter Faden „ zitiert wird. Der „rote Faden“ des Gleichnisses übte nun eine verändernde Wirkung auf den Ausdruck des ersten Satzes aus, infolge des zufälligen Umstandes, dass auch der Geschmähte rot, nämlich rothaarig ist. Es mag nun gelautet haben: Also dieser rote Mensch ist es, der die langweiligen Feuilletons über Napoleon schreibt. Nun griff der Prozess ein, der die Verdichtung beider Stücke zu einem bezweckte. Unter dem Drucke desselben, der in der Gleichheit des Elements „rot“ den ersten Stützpunkt gefunden hatte, assimilierte sich das „langweilig“ dem „Faden“ und verwandelte sich in „fad“, und nun konnten die beiden Komponenten verschmelzen zu dem Wortlaut des Witzes, an welchem diesmal das Zitat fast mehr Anteil hat als das gewiss ursprünglich allein vorhandene schmähende Urteil.


„Also dieser rote Mensch ist es, der das fade Zeug über N. schreibt. Der rote Faden, der sich durch

alles hindurch zieht. Ist das nicht der rote Fadian, der sich durch die Geschichte der N. zieht?


Eine Rechtfertigung, aber auch eine Korrektur dieser Darstellung werde ich in einem späteren Abschnitt geben, wenn ich diesen Witz von anderen als bloß formalen Gesichtspunkten her analysieren darf. Was immer aber an ihr zweifelhaft sein möge, die Tatsache, dass hier eine Verdichtung vorgefallen ist kann nicht in Zweifel gezogen werden. Das Ergebnis der Verdichtung ist einerseits wiederum eine erhebliche Verkürzung, anderseits anstatt einer auffälligen Mischwortbildung vielmehr eine Durchdringung der Bestandteile beider Komponenten. „Roter Fadian“ wäre immerhin als bloßes Schimpfwort existenzfähig; es ist in unserem Falle sicherlich ein Verdichtungsprodukt.

Wenn nun an dieser Stelle zuerst ein Leser unwillig würde über eine Betrachtungsweise, die ihm das Vergnügen am Witz zu zerstören droht, ohne ihm aber die Quelle dieses Vergnügens aufklären zu können, so würde ich ihn zunächst um Geduld bitten. Wir stehen erst bei der Technik des Witzes, deren Untersuchung [16] ja auch Aufschlüsse verspricht, wenn wir sie erst weit genug ausgedehnt haben.

Wir sind durch die Analyse des letzten Beispiels vorbereitet darauf, dass, wenn wir dem Verdichtungsvorgang noch in anderen Beispielen begegnen, der Ersatz des Unterdrückten nicht in einer Mischwortbildung, sondern auch in einer anderen Abänderung des Ausdrucks gegeben sein könne. Worin dieser andersartige Ersatz bestehen mag, wollen wir aus anderen Witzen des Herrn N. lernen.

„Ich bin tête-à-bête mit ihm gefahren.“ Nichts leichter als diesen Witz zu reduzieren. Offenbar kann es dann nur heißen: Ich bin tête-à-tête mit dem X. gefahren, und der X. ist ein dummes Vieh.

Keiner der beiden Sätze ist witzig. Oder in einen Satz zusammengezogen: Ich bin tête-à-tête mit dem dummen Vieh von X. gefahren, was ebensowenig witzig ist. Der Witz stellt sich erst her, wenn das „dumme Vieh“ weggelassen wird und zum Ersatz dafür das eine tête sein t in b verwandelt, mit welcher geringen Modifikation das erst unterdrückte „Vieh“ doch wieder zum Ausdruck gelangt. Man kann die Technik dieser Gruppe von Witzen beschreiben als Verdichtung mit leichter Modifikation und ahnt, dass der Witz um so besser sein wird, je geringfügiger die Ersatzmodifikation ausfällt.

Ganz ähnlich, obwohl nicht unkompliziert, ist die Technik eines anderen Witzes. Herr N. sagt im Wechselgespräch über eine Person, an der manches zu rühmen und vieles auszusetzen ist: Ja, die Eitelkeit ist eine seiner vier Achillesfersen.9 Die leichte Modifikation besteht hier darin, dass anstatt der einen Achillesferse, die man ja auch beim Helden zugestehen muss, deren vier behauptet werden. Vier Fersen, also vier Füße hat aber nur das Vieh. Somit haben die beiden im Witz verdichteten Gedanken gelautet:
„Y. ist bis auf seine Eitelkeit ein hervorragender Mensch; aber ich mag ihn doch nicht, er ist doch eher ein Vieh als ein Mensch.“10

Ähnlich, nur viel einfacher, ist ein anderer Witz, den ich in einem Familienkreise im statu nascendi zu hören bekam. Von [17] zwei Brüdern, Gymnasiasten, ist der eine ein vortrefflicher, der andere ein recht mittelmäßiger Schüler. Nun passiert auch dem Musterknaben einmal ein Unfall in der Schule, den die Mutter zur Sprache bringt, um der Besorgnis Ausdruck zu geben, das Ereignis könne den Anfang einer dauernden Verschlechterung bedeuten. Der bisher durch seinen Bruder verdunkelte Knabe greift diesen Anlass bereitwillig auf. Ja, sagt er, Karl geht auf allen Vieren zurück.

Die Modifikation besteht hier in einem kleinen Zusatz zur Versicherung, dass der andere auch nach seinem Urteil zurückgeht. Diese Modifikation vertritt und ersetzt aber ein leidenschaftliches Plädoyer für die eigene Sache: Oberhaupt müsst ihr nicht glauben, dass er darum soviel gescheiter ist als ich, weil er in der Schule besseren Erfolg hat. Er ist doch nur ein dummes Vieh, d. h. viel dümmer, als ich bin.

Ein schönes Beispiel von Verdichtung mit leichter Modifikation zeigt ein anderer sehr bekannter Witz des Herrn N., der von einer im öffentlichen Leben stehenden Persönlichkeit behauptete, sie habe eine große Zukunft hinter sich. Es war ein jüngerer Mann, auf den dieser Witz zielte, der durch seine Abstammung, Erziehung und seine persönlichen Eigenschaften berufen erschien, dereinst die Führung einer großen Partei zu übernehmen und an ihrer Spitze zur Regierung zu gelangen. Aber die Zeiten änderten sich, die Partei würde regierungsunfähig und nun ließ sich vorhersehen, dass auch der zu ihrem Führer prädestinierte Mann es zu nichts bringen werde. Die kürzeste reduzierte Fassung, durch die man diesen Witz ersetzen könnte, würde lauten: Der Mann hat eine große Zukunft vor sich gehabt, mit der ist es aber jetzt aus. Anstatt des „gehabt“ und des Nachsatzes die kleine Veränderung im Hauptsatze, dass das „vor“ durch ein „hinter“, sein Gegenteil, abgelöst wird.11

Fast der nämlichen Modifikation bediente sich Herr N. im Falle eines Kavaliers, der Ackerbauminister geworden war ohne anderes Anrecht, als dass er selbst Landwirtschaft betrieb. Die öffentliche Meinung hatte Gelegenheit, ihn als den mindest be[18]gabten, der je mit diesem Amt betraut gewesen, zu erkennen. Als er aber das Amt niedergelegt und sich auf seine landwirtschaftlichen Interessen zurückgezogen hatte, sagte Herr N. von ihm:

Er ist, wie Cincinnatus, auf seinen Platz vor dem Pflug zurückgekehrt.

Der Römer, den man auch von der Landwirtschaft weg zum Amt berufen hatte, nahm seinen Platz hinter dem Pflug wieder ein. Vor dem Pflug ging damals wie heute nur — der Ochs.

Eine gelungene Verdichtung mit leiser Modifikation ist es auch, wenn Karl Kraus von einem sogenannten Revolverjournalisten mitteilt, er sei mit dem Orienterpresszug in eines der Balkanländer gefahren. Gewiss treffen in diesem Wort die beiden anderen „Orientexpresszug“ und „Erpressung“ zusammen. Infolge des Zusammenhanges macht sich das Element „Erpressung“ nur als Modifikation des vom Verbum geforderten „Orientexpresszuges“ geltend. Dieser Witz hat für uns, indem er einen Druckfehler vorspiegelt, noch ein anderes Interesse.

Wir könnten die Reihe dieser Beispiele leicht um weitere vermehren, aber ich meine, wir bedürfen keiner neuen Fälle, um die Charaktere der Technik in dieser zweiten Gruppe, Verdichtung mit Modifikation, sicher zu erfassen. Vergleichen wir nun die zweite Gruppe mit der ersten, deren Technik in Verdichtung mit Mischwortbildung bestand, so sehen wir leicht ein, dass die Unterschiede nicht wesentliche und die Übergänge fließend sind. Die Mischwortbildung wie die Modifikation unterordnen sich dem Begriff der Ersatzbildung, und, wenn wir wollen, können wir die Mischwortbildung auch als Modifikation des Grundwortes durch das zweite Element beschreiben.


Wir dürfen aber hier einen ersten Halt machen und uns fragen, mit welchem aus der Literatur bekannten Moment sich unser erstes Ergebnis ganz oder teilweise deckt. Offenbar mit dem der Kürze, die Jean Paul die Seele des Witzes nennt (s. o. S. 5). Die Kürze ist nun nicht an sich witzig, sonst wäre jeder Lakonismus ein Witz. Die Kürze des Witzes muss von besonderer Art sein. Wir erinnern uns, dass Lipps versucht hat, die Besonderheit derWitzkürzung näher zu beschreiben (s. S. 5). Hier hat nun unsere Untersuchung eingesetzt und nachgewiesen, dass die Kürze des Witzes oftmals das Ergebnis eines besonderen Vorganges ist, der im Wortlaut des Witzes eine zweite Spur, die Ersatzbildung, hinterlassen hat. Bei der Anwendung des Reduktionsverfahrens, welches den eigentümlichen [19] Verdichtungsvorgang rückgängig zu machen beabsichtigt, finden wir aber auch, dass der Witz nur an dem wörtlichen Ausdruck hängt, welcher durch den Verdichtungsvorgang hergestellt wird. Natürlich wendet sich jetzt unser volles Interesse diesem sonderbaren und bisher fast nicht gewürdigten Vorgang zu. Wir können auch noch gar nicht verstehen, wie aus ihm all das Wertvolle des Witzes, der Lustgewinn, den der Witz uns bringt, entstehen kann.

Sind ähnliche Vorgänge, wie wir sie hier als Technik des Witzes beschrieben haben, auf irgend einem anderen Gebiete des seelischen Geschehens schon bekannt geworden? Allerdings, auf einem einzigen und scheinbar recht weit abliegenden. Im Jahre 1900 habe ich ein Buch veröffentlicht, welches, wie sein Titel („Die Traumdeutung“)12 besagt, den Versuch macht, das Rätselhafte des Traumes aufzuklären und ihn als Abkömmling normaler seelischer Leistung hinzustellen. Ich finde dort Anlass, den manifesten, oft sonderbaren Trauminhalt in Gegensatz zu bringen zu den latenten, aber völlig korrekten Traumgedanken, von denen er abstammt, und gehe auf die Untersuchung der Vorgänge ein, welche aus den latenten Traumgedanken den Traum machen, sowie der psychischen Kräfte, die bei dieser Umwandlung beteiligt sind. Die Gesamtheit der umwandelnden Vorgänge nenne ich die Traumarbeit und als ein Stück dieser Traumarbeit habe ich einen Verdichtungsvorgang beschrieben, der mit dem der Witztechnik die größte Ähnlichkeit zeigt, wie dieser zur Verkürzung führt und Ersatzbildungen vom gleichen Charakter schafft. Jedem werden aus eigener Erinnerung, an seine Träume die Mischgebilde von Personen und auch von Objekten bekannt sein, die in den Träumen auftreten; ja, der Traum bildet auch solche von Worten, die sich dann in der Analyse zerlegen lassen (z. B. Autodidasker = Autodidakt + Lasker“ („Die Traumdeutung“, S. 206).13