Guter Sex
GUTER SEX
Ein Ratgeber, der Lust macht
Beobachter-Edition
3. Auflage, 2014
© 2012 Axel Springer Schweiz AG
Alle Rechte vorbehalten
www.beobachter.ch
Herausgeber: Der Schweizerische Beobachter, Zürich
Lektorat: Christine Klingler Lüthi, Wädenswil
Infografik: Daniel Röttele, Zürich, Marina Bräm, Zürich
Bildredaktion: Mena Ferrari, Zürich
Fotos: Edvard March/Corbis;
Marin/Photoalto/Gettyimages;
Glenn Glasser/Gallerystock;
Regine Mahaux/Gettyimages;
Umschlaggestaltung und Reihenkonzept: buchundgrafik.ch
Umschlagfoto: Frank P. Wartenberg/Picture Press
Satz: polyesther.ch
e-Book: mbassador GmbH, Luzern
ISBN 978-3-85569-823-3
eISBN 978-3-85569-887-5
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Inhalt
Vorwort
Die wichtigste Nebensache der Welt
Sex, Statistiken und Hollywood
Der Stellenwert von Sex
Sex und Wissenschaft – ein schwieriges Paar
Die grosse Sexlüge
Kann man Sex lernen?
Experimentieren ist wichtig
Guter Sex: Was ist das?
Auf Entdeckungsreise – allein oder zu zweit
Von Frau zu Frau und von Mann zu Mann
Lust und Sex sind keine Selbstläufer
Körperkunde für Neugierige
Die anatomische Landkarte des Sex
Die Hotspots im Fokus
So gelingt die Entdeckungsreise
Ganz so verschieden sind wir gar nicht
Die männliche Anatomie
Die Frage der Grösse
Querschnitt durch die männliche Anatomie
Das passiert unter Erregung
Besonderheiten, Pflege, Komplikationen
Die weibliche Anatomie
Vulva, Vagina – was denn nun?
Querschnitt durch die weibliche Anatomie
Das passiert unter Erregung
Besonderheiten, Pflege, Komplikationen
Der Beckenboden – der Orgasmusmuskel
Das Fundament der Erregung
So stärken Sie Ihren Beckenboden
Verhütung
Das optimale Verhütungsmittel finden
Die Pille: Fluch oder Segen?
Männlichkeit und Weiblichkeit
Wie der Körper die Sexualität beeinflusst
Vom Eindringen und Einlassen
Kleiner Unterschied – grosse Konsequenz
Geschlechterrollen beim Sex – das Tabu im Tabu
Die Bodenhaftung nicht verlieren
Männliche Lust, weibliche Lust
Was ihn erregt – was ihr Lust macht
Übungen: Männlichkeit, Weiblichkeit
Das ganze Leben ist ein Vorspiel
Wenn unterschiedliches Stressmanagement den Sex vermiest
Mehr Spass im Bett
Bevor es zur Sache geht
Die Leichtigkeit nicht vergessen
Wieso Experimentieren im Bett wichtig ist
Wie Sie die Tipps in diesem Kapitel anwenden
Wie weiss ich, was meinem Partner, meiner Partnerin gefällt?
Und wenn ich etwas nicht ausprobieren möchte?
Flinke Finger: Masturbation und Intimmassage
Selbstbefriedigung: Ein wichtiger Teil der Sexualität
Masturbation und Intimmassage beim Mann
Masturbation und Intimmassage bei der Frau
Voreinander masturbieren
Eindringliche Erlebnisse: Geschlechtsverkehr
Wie findet man die beste Stellung?
Stellungen: Die wichtigsten Fragen und Antworten
Lippenbekenntnisse: Oralverkehr
Abtauchen zum Zentrum der Lust
Oralverkehr beim Mann (Fellatio)
Oralsex bei der Frau (Cunnilingus)
Spass in der Tabuzone: Analverkehr
Spielregeln und Vorsichtsmassnahmen
Tipps für lustvollen Analsex
Kleine Helfer: Sex-Toys
Aus dem Haushalt
... oder aus dem Sexshop
Über Sex reden
Die grosse Stille
Der Preis des Schweigens
Liebe, Hellseherei und sich ändernde Gelüste
Gründe für die grosse Scham
Übung: Gemeinsam ein Vokabular aufbauen
So redet man am besten über Sex
Lieber nicht: Sprachliche Tabus
Den richtigen Zeitpunkt finden
Grundsatzdiskussionen lieber nicht beim Sex
Das erotische Gespräch
So klappt es mit dem Dirty Talk
Ein gutes Körpergefühl: Das A & O beim Sex
Sex mit allen Sinnen geniessen
Sex und Körperlichkeit
Sex-Appeal fängt im Kopf an
Fehler sind schnell gefunden
Zufrieden mit sich selber: ein lebenslanger Prozess
Eine gesunde Einstellung zum Körper finden
Liebe dich selbst, dann lieben dich andere
Warum ein bisschen Fitness hilfreich ist
Die Sexualität in Schwung halten
Übungen für mehr Selbstsicherheit
Übungen für ein besseres Körpergefühl
Baustelle Körper: Styling und Body Tuning
Körperhaare und deren Entfernung
Enthaarung: Wie sag ichs meinem Partner?
Tattoos und Piercings
Chirurgische Eingriffe
Lust: Macher, Killer, Flauten, Höhepunkte
Der Wind in den Segeln der Sexualität
Sexuelle Lust
Sexkino im Kopf
Soll man eine Fantasie mit dem Partner teilen?
Pornos und spezielle Vorlieben
Wie Pornografie die Sexualität beeinflusst
Hilfe! Mein Partner konsumiert Pornografie
Wenn Pornokonsum zum Problem wird
Fetisch und Vorlieben
Wenn der Lust die Puste ausgeht
Fehlende Lust
Langzeitpaare haben meist besseren Sex
Wenig Sex: Ein Grund zur Sorge?
Die Lust (wieder) entfachen
Sich von der Idee des perfekten Sex lösen
Wünsche ergründen und konkret äussern
Einfach mehr Sex haben
Lust auf andere
Monogamie – bringts das?
Tabuthema Seitensprung
Wunschtraum offene Beziehung
Auf dem Gipfel der Lust
Was ist überhaupt ein Orgasmus?
Wenn das Kommen nicht kommen will
Tipps für leichteres Kommen
Vortäuschen verboten. Immer?
Schlusswort
Anhang
Übersicht Verhütungsmethoden
Übersicht sexuell übertragbare Krankheiten
Links
Literatur
DVDs
Stichwortverzeichnis
Vorwort
Liebe Leserin, lieber Leser
Sex ist etwas Wunderbares. Er macht Spass, verbindet, erschöpft, erfüllt, befriedigt. Der Haken ist: All dies ermöglicht Sex nur, wenn er gut ist. Nun ist guter Sex leider keine Selbstverständlichkeit. Aber man kann ihn lernen. Und hier setzt dieses Buch an. Beim Thema Sex sind wir meist auf uns allein gestellt. Junge Männer und Frauen lernen die Basics bei der Aufklärung, aber dort geht es oft weniger darum, Lust zu erleben, als negative Konsequenzen der Sexualität (Schwangerschaft, übertragbare Krankheiten) zu minimieren. Entsprechend ist Sex für viele ein Tabu geblieben, etwas Verbotenes, vielleicht sogar «Grusiges».
In diesem Buch erfahren Sie, wie Sie Ihre Sexualität sinnlich, lustvoll und hoffentlich auch lustig gestalten. Denn nichts wirkt entspannender als eine gute Prise Humor – auch beim Sex. Hier finden Sie praktische Tipps, wie Sie die Sache wortwörtlich in die Hand nehmen, aber auch Denkanstösse und Übungen, die Ihren Bettalltag bereichern. Dieser Ratgeber will nicht nur offen, sondern auch ehrlich sein, weil Sex eben nicht jedes einzelne Mal grossartig ist. Nicht jedes Spiel ist eine Finalissima, nicht jede Begegnung eine Explosion der Gefühle. Und das ist auch gut so.
Vielleicht fragen Sie sich: Zwei Frauen schreiben einen Sexualratgeber für Männer und Frauen – kann das funktionieren? Wir finden: Absolut. In diesem Buch stecken nicht nur wissenschaftliche Informationen und Erfahrungen aus dem therapeutischen Alltag. Es sind viele Gespräche mit Männern in die Texte eingeflossen, und eine Gruppe von männlichen Testlesern hat dafür gesorgt, dass die männliche Sicht der Dinge nicht zu kurz kommt.
Nehmen Sie aus der Fülle an Informationen, Anregungen und Übungen mit, was für Sie stimmt. Und seien Sie sich bewusst, dass Sexualität nicht erst an der Bettkante anfängt. Denn Lust wächst in einem lustvollen Leben – und dessen Gestaltung haben Sie in der Hand.
Caroline Fux, Ines Schweizer
im August 2014
Sex, Statistiken und Hollywood
Echter, ungeschminkter Sex ist eines der letzten grossen Tabus. Und er interessiert die meisten Menschen brennend. Denn auch wenn das Thema in unserem Alltag überpräsent ist, kommen wir meist nur an eine retouchierte, inszenierte Version von richtigem Sex heran.
Sex ist eine aufregende Sache – im wahrsten Sinne des Wortes. Geht es um Sex, gehen die Emotionen hoch und die Meinungen auseinander. Lust, Neugier, Scham und hundert andere Gefühle und Gedanken sind mit dem Thema verbunden. Sex betrifft uns alle – irgendwie sind wir schliesslich entstanden –, und die allermeisten Menschen haben das Bedürfnis, ihre Lust in irgendeiner Form von Sexualität auszuleben.
Wie diese Sexualität schliesslich aussieht, ist ganz verschieden. Allein die Ideen und Vorstellungen davon, was Sex überhaupt ist, gehen auseinander. Für die einen ist Sex Geschlechtsverkehr, also die Vereinigung von Mann und Frau. Er umfasst den Akt, bei dem der Mann mit seinem erigierten Penis in die Scheide der Frau eindringt. Andere haben eine breitere Vorstellung davon, was Sex und vor allem auch Sexualität ist.
Eine etwas nüchterne, in ihrer Offenheit aber auch sehr schöne Definition sieht Sexualität als «die Gesamtheit aller Lebensäusserungen, die im Zusammenhang mit der Lust- und Fortpflanzungsfunktion auftreten und erlebt werden». Gemäss dieser Definition ist Sex nicht nur überall, er fängt auch schon sehr viel früher an, als die meisten Leute denken. Das Spendieren eines Drinks in einer Bar oder der intensive Blick in der Warteschlange vor der Kasse könnten nämlich schon ein bisschen Sex sein.
HINWEIS Welche Idee Sie auch immer von Sex haben – dieses Buch soll Sie dabei unterstützen, Ihre eigene, ganz individuelle Sexualität aus einem neuen Blickwinkel zu betrachten. Ausserdem soll es Ihnen zahlreiche Tipps und Anregungen für Ihren Bettalltag vermitteln: handfeste (im wörtlichen und übertragenen Sinne), aber auch solche zu der Art und Weise, wie Sie über Sex denken.
Der Stellenwert von Sex
Wie wichtig ist Sex? Eine einfache Frage, deren Beantwortung jedoch knifflig ist. Denn Sex kann für ein und dieselbe Person im einen Moment alles entscheidend und schon im nächsten völlig unwichtig sein. Biologisch betrachtet ist die Antwort simpel: Sex ist essenziell, denn ohne ihn gäbe es uns alle nicht.
HINWEIS Weil er für das Fortbestehen eine zentrale Rolle spielt, gehört es zu den Grundbedürfnissen des Menschen, Sex zu haben. Das ist aber nicht alles. Guter Sex ist ganz einfach auch schön.
Den meisten Menschen dürfte es nicht ums nackte Überleben der Spezies gehen, wenn sie mit jemandem schlafen. Im Gegenteil. Eine stattliche Anzahl von Liebenden nimmt so einiges auf sich, damit Sex folgenlos bleibt, mindestens was die Familienplanung angeht (mehr zum Thema siehe Kapitel «Verhütung», Seite 60).
Triebe, Triebe
Warum also Sex? Warum der Aufwand, den einige Leute auf sich nehmen, um ihn zu haben? Warum der Stellenwert, den ihm unsere Gesellschaft gibt?
Sex ist – mindestens wenn er so passiert, wie man es sich wünscht – ganz einfach schön. Die Hormone, die während und nach dem Sex ausgeschüttet werden, sorgen für ein tiefes Glückserleben und ein Gefühl der Verbundenheit. Sex kann ein Zeichen von Liebe sein, berauschend, eine Quelle der Zufriedenheit, versöhnend, Stress abbauend, bestätigend. Er gipfelt, wenn möglich, im Orgasmus, in einem Erlebnis, das ein Mensch so nur im Rahmen der Sexualität erleben kann, sei es nun zu zweit oder alleine.
HINWEIS Nicht selten ist Sex der entscheidende Unterschied, der Partnerschaft von blosser Freundschaft trennt.
Aber: Nicht immer und nicht für alle ist Sex etwas Bedeutungsvolles, Weltbewegendes. Und auch das geht in Ordnung, wenn die Sexualpartner ehrlich sind, sich auf derselben Ebene begegnen und sich vom Sex dasselbe erhoffen. Sex – guter Sex – darf auch mal unglamourös und einfach nur auf die schnelle Befriedigung ausgerichtet sein. Trotzdem ist er oft etwas Exklusives, das die meisten Menschen nur mit einem sehr überschaubaren Kreis von Personen teilen – oft nur mit einer einzigen.
Sex und Wissenschaft – ein schwieriges Paar
In der Wissenschaft ist Sex ein relativ junges Gebiet. Zwar haben sich die Menschen seit jeher brennend für dieses Thema interessiert, und Forscher haben immer wieder Anläufe genommen, Licht ins Dunkel der Schlafzimmer zu bringen. Der Amerikaner Alfred Kinsey war in den 1940er-Jahren der Erste, der anfing, eine grosse Zahl von Männern und Frauen gezielt zu ihrer Sexualität zu befragen. Kinsey konnte mit seiner Arbeit einige Mythen aufklären, und er hat den Weg für die weitere Forschung geebnet. Ein interessantes Faktum am Rande: Alfred Kinsey war eigentlich Insektenforscher – den Beruf des Sexualwissenschaftlers gab es ja auch noch gar nicht.
Trotzdem kämpft die Wissenschaft noch heute mit grossen Schwierigkeiten, wenn es um Sex geht. Das Problem: Bei kaum einem Forschungsgegenstand wird wohl derart viel gelogen wie bei Auskünften rund um die Sexualität – sogar dann, wenn in Fragebögen absolute Anonymität garantiert wird.
INFO Weltweit widmen sich nur wenige seriöse Wissenschaftler der Erforschung der Sexualität.
Dieses Flunkern und «Frisieren» der Realität ist nicht nur ärgerlich für die Wissenschaft – wir schaden uns als Gesellschaft auch selber damit, weil eine Normalität gebildet oder zementiert wird, die eigentlich gar keine ist. Deshalb ist es umso wichtiger, dass Sie sich im Wirrwarr der Über- und Untertreibungen Ihre eigene Meinung bilden und für sich selber herausfinden, was gut und richtig ist. Das kann manchmal anstrengend sein, aber mit diesem Buch als Begleiter wird Ihnen diese Entdeckungsreise leichter fallen.
Wissenschaftlich kaum greifbar
Eine Schwierigkeit bei der Erforschung der Sexualität besteht darin, dass der Forschungsgegenstand «Sex» sehr komplex ist. Er befasst sich mit Dingen, die sich nicht ohne Weiteres normieren lassen. Emotionen spielen eine grosse Rolle – sogar dann, wenn sich die Involvierten vornehmen, Gefühle bei einer Bettgeschichte nicht zuzulassen. Vielleicht sogar besonders dann. Hinzu kommt, dass Wissenschaftler anders als in anderen Bereichen Menschen nicht einfach so beim Sex beobachten können. Zumindest nicht, ohne durch ihre Präsenz oder Aufzeichnungen das Geschehen massivst zu beeinflussen und die Ergebnisse dadurch zu verfälschen und zu entwerten.
HINWEIS Das heisst für die Wissenschaft, aber auch für jeden Einzelnen: Es ist fast unmöglich, «echten» Sex zu erleben und zu studieren – abgesehen vom eigenen.
Mangelware Information
Folglich ist es für Männer und Frauen schwierig, ehrliche, detaillierte und vor allem auch hilfreiche Informationen zum Thema Sex zu bekommen. Die meisten sind sich bewusst, dass Pornografie sexuelle Fantasien und keine echte Sexualität darstellt, aber eine andere Gelegenheit, Sex zu sehen, hat man nun mal kaum. Und nicht jeder kann und will ein offenes Gespräch mit Freunden und Bekannten suchen.
Dabei starten die meisten Menschen ihre sexuelle Karriere bereits mit einem Informationshandicap. Die Eltern können oder wollen vielleicht nicht detailliert Auskunft geben – und die Kinder wollen es aus dieser Ecke auch gar nicht hören. Sexuelle Aufklärung in der Schule wiederum ist ein flammend diskutiertes Politikum. Und Anlaufstellen, die Informationen darüber bieten, wie man als durchschnittliches, interessiertes Paar seine Lust leben und vielleicht auch steigern kann, sind extrem selten. Hier will dieser Ratgeber eine Lücke schliessen. In ihm stecken nicht nur viele pfannenfertige Tipps, die man sofort – oder dann halt später am Abend im Bett – ausprobieren kann. Er soll Paaren wie Singles auch das Rüstzeug geben, zu zweit oder allein die eigene Sexualität zu entdecken, zu pflegen und zu entwickeln.
Die grosse Sexlüge
Sex sells – das wissen Werber, Journalisten, Künstler und überhaupt alle, die etwas an den Mann oder an die Frau bringen wollen. Unser Alltag ist derart überflutet mit sexuellen Reizen, dass wir sie oft gar nicht mehr als solche wahrnehmen.
Allerdings ist der Grossteil des Sex, der uns im Alltag begegnet, ein völliges Kunstprodukt. Und damit sind nicht pornografische Überzeichnungen gemeint, sondern Sex in der Werbung, in der TV-Serie, im Spielfilm oder auch in der Literatur. Gezeigt wird nämlich nicht, was wirklich in den Schlafzimmern abgeht, sondern nur ein gestylter und aufpolierter Aspekt der ganzen Geschichte.
HINWEIS Die Präsenz von «künstlichem» Sex in den Medien beeinflusst unsere echte Sexualität empfindlich.
Leider nehmen wir uns diesen allgegenwärtigen Sex nach Drehbuch bewusst oder unbewusst zum Vorbild, inklusive der bis zur Perfektion retouchierten Models. Unsere Ansprüche an den eigenen Körper und an die eigene Sexualität steigen in unrealistische Höhen. So haben immer mehr Leute einerseits ein immer konkreteres Bild, wie Sex ablaufen, aussehen und sich anfühlen sollte; sie vergessen andererseits aber, dass die Vorlagen, von denen sie sich diese Ideen abschauen, komplett unecht sind.
HINWEIS Wer seine eigene Sexualität mit einem unechten, überzogenen Vorbild vergleicht, sieht plötzlich Probleme, wo gar keine sind.
So beisst sich die Realität an der schönen Fiktion die Zähne aus. Dabei geht es nicht einmal nur um Pornografie, die als extrem künstliche Darstellung von Sex unsere Massstäbe verbiegt (mehr zum Thema Pornografie siehe Seite 163). Er muss wohl erst noch gedreht werden: der Hollywoodfilm, in dem die wunderschöne Hauptdarstellerin dem kühnen Helden nach der Rettung der Welt mitteilt: «Sorry, Baby, jetzt nicht. Ich habe gerade meine Tage.» Auch in der Werbung, in TV-Serien oder in der Literatur kommt echter Sex, wie er in den Schlafzimmern der Welt gelebt wird, nicht vor.
Zugegeben: Völlige Authentizität ist kaum je ideal. Aber die aufpolierte Sexualität in den Medien entfernt uns doch immer ein Stückchen weiter von der körperlichen Realität. Und die kommt uns plötzlich fade oder im schlimmsten Fall sogar unappetitlich vor. Deshalb ist es wichtig, zu prüfen, was man sich – vielleicht unbewusst – zum Vorbild nimmt oder zur Norm macht.
Mehr Sichtbarkeit, mehr Wissen?
Dass Sex präsenter ist und offener diskutiert wird, hat auch sein Gutes. Einerseits wissen die meisten Menschen heute tatsächlich mehr über Sex als vor 30 oder 40 Jahren. Und Männer und Frauen getrauen sich eher, sich für eine lustvolle und befriedigende eigene Sexualität starkzumachen. Andererseits ist es erschreckend, wie gross und fundamental die Wissenslücken in der Gesellschaft heute noch sind – und zwar in allen Altersschichten. Was als «Wissen» erlebt wird, ist oft ein buntes Sammelsurium aus nicht wirklich verlässlichen oder veralteten Quellen.
Kann man Sex lernen?
Guter Sex ist ein Geschenk, aber kein Zufall. Ans Ziel führen Kreativität und Offenheit. Wer lustvoll und mutig in seine Sexualität investiert, wird auf jeden Fall belohnt.
Ein Sexualratgeber ist ein bisschen wie ein Reiseführer: Die Lektüre bereitet die Reisewilligen zwar auf den bevorstehenden Trip vor, was sie dann aber vor Ort antreffen, ist für jede Person wieder völlig anders. Einige Tipps mögen Gold wert sein, andere Informationen passen weniger zum eigenen Abenteuer. So kann das Highlight des einen der Ablöscher des anderen sein, und was für den einen ein absolutes Muss auf der Route ist, wird vom andern lieber grossräumig umfahren.
Sicher ist: Das Lesen des Reiseführers kann nie die eigentliche Reise ersetzen. Es soll aber Lust machen, loszuziehen und möglichst viele Dinge zu entdecken.
Experimentieren ist wichtig
Guten Sex kann man lernen, aber es gibt kein allgemeingültiges Rezept dafür. Das beste Menü bringt schliesslich auch nicht derjenige auf den Tisch, der die meisten Kochbücher gelesen hat, sondern die Person, die mit einer guten Wissensbasis experimentiert, übt, den Geschmack ihrer Gäste berücksichtigt und mit Leidenschaft zur Sache geht. Und diejenige, die sich nicht entmutigen lässt und ein Gericht nicht gleich von der Speisekarte streicht, nur weil es einmal nicht ganz so gut geschmeckt hat.
Guter Sex: Was ist das?
Sex kann eine grossartige Sache sein. Nur ist leider längst nicht jeder einzelne Akt und Austausch prickelnd, erfüllend oder gar weltbewegend. Die meisten Menschen, die sexuell aktiv sind und bereits eine gewisse Erfahrung haben, dürften sich einig sein: Es gibt hervorragenden und es gibt miserablen Sex – und eine ganze Menge Begegnungen, die irgendwo dazwischen liegen. Und das ist auch gut so. Es wäre schlicht unrealistisch, zu erwarten, dass einem jedes einzelne sexuelle Erlebnis die Socken von den Füssen haut (welche man in dieser Situation vielleicht ja so oder so nicht mehr trägt).
HINWEIS Mit gutem Sex ist es wie mit gutem Essen: Wer 100 Leute nach dem perfekten Menü fragt, wird 102 Antworten bekommen. Eins aber ist klar: Überhöhte Erwartungen sabotieren ein erfüllendes Sexualleben.
Guter, erfüllender Sex ist etwas höchst Individuelles. Er ist bestimmt durch die Wünsche, Vorlieben, Fähigkeiten, Körper und vor allem auch Stimmungen der involvierten Partner. Guter Sex braucht «Chemie», also Passung zwischen den Beteiligten, und er ist immer ein Zusammenspiel von all dem, was die Involvierten körperlich und seelisch mitbringen. Was Person A in Ekstase versetzt, klingt für Person B langweilig oder vielleicht sogar abschreckend. Was Person C immer gern mit Person D gemacht hat, möchte sie mit Person E möglicherweise auf keinen Fall erleben.
INFO Guter Sex ist für jeden etwas anderes. Es gibt kein allgemeingültiges Mass, das für alle Menschen anwendbar wäre.
Die Merkmale, die guten Sex ausmachen, sind nicht nur von Person zu Person verschieden. Sie können sich auch für jeden Einzelnen ändern. Manchmal über Jahre, manchmal innert Minuten. Während gestern noch ein Quickie unter der Dusche das höchste der Gefühle war, ist heute die Vorstellung, sich im Bad näherzukommen, nicht mehr gleich reizvoll wie die Vision eines ausgedehnten Liebesspiels im gemütlichen Bett. Keine der beiden Arten von Sex ist deshalb besser oder schlechter.
Auf Entdeckungsreise – allein oder zu zweit
Dieses Buch ist genauso für Paare geschrieben wie auch für jeden Einzelnen und jede Einzelne. Denn der Weg zu einem erfüllten Sexualleben fängt stets mit einer Entdeckungsreise zu den eigenen Wünschen und Vorlieben an. Auch wenn Sex meistens zu zweit stattfindet, ist ein entspanntes Verhältnis zum eigenen Körper und zum Kino im eigenen Kopf eine unverzichtbare Basis. Nur wer sich selber kennt, kennt auch die eigenen Wünsche und Vorlieben und kann diese an den Partner weitergeben.
HINWEIS Auch ein noch so liebevoller, kreativer und versierter Partner kann nicht für Ausgleich sorgen, wenn man mit sich selber nicht im Reinen ist.
Beziehungsformen und Sexualität
Wenn es um die Sexualität und das Zusammenleben geht, gibt es ganz verschiedene Partnerschaftsformen und -konstellationen. Die Sexualität eines Singles hat ein anderes Gesicht als diejenige eines Paares, das seit mehreren Jahrzehnten verheiratet ist. Junge Eltern beschäftigen wohl andere Themen als Paare ohne Kinder. Und damit sind erst wenige Beispiele von vielen, vielen Beziehungssituationen genannt, in denen Sexualität eine Rolle spielt.
Von den Informationen in diesem Buch sollen möglichst viele Leute profitieren können – egal, in welcher Beziehungsform sie sich befinden. Dabei muss jeder und jede bei der Lektüre für sich selber entscheiden: Stimmt das für mich? Passt das zu mir und meiner Vorstellung von Sexualität?
Von Frau zu Frau und von Mann zu Mann
Die Zeiten sind zum Glück vorbei, in denen Sex nur zwischen einem Mann und einer Frau passieren durfte – und das auch nur im Rahmen der Ehe und mit dem klaren Ziel der Zeugung von Kindern. Auch wenn es vielen Leuten noch schwerfällt, ihre Vorbehalte gegenüber der Homosexualität endgültig zu begraben, so ist Liebe und Sexualität zwischen Mann und Mann oder eben zwischen Frau und Frau doch nichts Undenkbares oder gar Strafbares mehr wie vor nicht allzu langer Zeit.
Dieses Buch richtet sich an alle Menschen, für die Sexualität etwas Wunderbares, Lustvolles und Wichtiges ist. In welcher Konstellation diese Sexualität gelebt wird, soll zweitrangig sein. Die Ideen und Tipps in diesem Buch sollen die Sexualität beflügeln, und zwar unabhängig davon, zwischen wem sie passiert – Hauptsache, sie macht Spass.
Lust und Sex sind keine Selbstläufer
Paare, die bereits eine Weile zusammen sind und sich frischen Wind für ihr Sexualleben wünschen, werden nicht darum herumkommen, auch ihre Beziehung unter die Lupe zu nehmen. Sie werden miteinander reden, entdecken und ausprobieren müssen, damit sie gemeinsam ihren individuellen Weg zu besserem Sex finden. Eine hohe Partnerschaftszufriedenheit hängt erwiesenermassen mit einer hohen Zufriedenheit im Sexuellen zusammen. Oder einfach gesagt: Glückliche Paare haben meistens auch guten Sex. Was zuerst da war, das Glück im Bett oder das Glück in der Beziehung, lässt sich aber nicht ohne Weiteres festlegen. (Mehr Tipps zur Beziehungspflege im Beobachter-Ratgeber «Was Paare stark macht» von Guy Bodenmann und Caroline Fux Brändli, siehe Anhang.)
Tatsache ist: Sexualität hört nicht an der Bettkante auf oder fängt erst dann an, wenn der erste Reissverschluss geöffnet wird. So manche Frau hat schon halb im Scherz gesagt, das schönste Vorspiel sei für sie gewesen, als ihr Mann den Müll nach unten gebracht habe. Was als Witz gemeint ist, mag durchaus einen wahren Kern haben: Vielleicht war es genau diese Entlastung, diese Geste der Aufmerksamkeit, die Platz geschafft hat für die Lust, die in einem vollen Terminplan gern zu kurz kommt.
Der Wunsch nach einem lustvollen Sexualleben kann nur dann in Erfüllung gehen, wenn Sie auch etwas dafür tun. Wer besseren Sex will, kann nicht einfach auf dem Bett liegen und warten, bis die gute Sexfee ihren magischen Luststaub über einem ausstreut. Sex braucht Raum und Priorität im Alltag, und manchmal ist eine gehörige Portion Organisationstalent nötig, um günstige Bedingungen für eine lustvolle Begegnung zu schaffen. Wer aber Wille, Neugier und auch ein bisschen Mut mitbringt, kann seine Sexualität in jedem Fall bereichern.
Die anatomische Landkarte des Sex
Wenn ein Sexualratgeber ein Reiseführer ist, dann ist dieses Kapitel die Landkarte des Reiseziels. Natürlich können Sie auch ohne losziehen, aber wer nicht alles dem Zufall überlassen will, sollte vorgängig das Terrain studieren.
Mit dem Betrachten von anatomischen Bildern ist es wie mit dem Studieren von Landkarten: Die einen finden sich nur schlecht zurecht, sehen in solchen «Trockenübungen» wenig Sinn und vermissen den Bezug zur Realität. Andere machen sich begeistert auf die gedankliche Entdeckungsreise, sehen vermeintlich Bekanntes mit neuen Augen und finden immer wieder Spannendes und Überraschendes.
Geht es um die Sexualität, lohnt es sich, mindestens probeweise bei der zweiten Gruppe mitzumachen. Und auch wenn man den Biologieunterricht in der Schule nie mochte und sich beim Kartenlesen regelmässig verirrt – komplett auslassen sollte man das Studium der körperlichen Topografie nicht.
HINWEIS Ein Blick auf die Landkarte des Körpers ist eine lohnenswerte Investition auf der Reise zu gutem Sex.
Geschichten von Schwellkörpern, Drüsen und Muskeln, Bilder vom Innern des Körpers mögen nicht auf jeden gleich sexy wirken – im konkreten und im übertragenen Sinne. Aber wenn man erst mal auf den Geschmack gekommen ist, bietet dieser eher theoretische Bereich der Sexualität viel Spannendes und auch Verblüffendes. Wussten Sie beispielsweise, dass die Klitoris weit mehr ist als das unscheinbare Knöpfchen am Fusse des Venushügels? Dass sie bis zu zehn Zentimeter gross sein und unter Erregung auf das vierfache Volumen anschwellen kann?
Die Wissenschaft entdeckt immer wieder faszinierende Dinge. Viele Menschen wissen weit weniger über ihren eigenen Körper und jenen des Partners, als ihnen bewusst ist – und als für guten Sex wichtig wäre.
TIPP Man muss für tollen Sex nicht jedes hinterste anatomische Detail kennen. Aber es gibt spannende Dinge zu entdecken, die ganz neue Welten eröffnen.
In diesem Kapitel kommen Dinge zur Sprache, die das Verständnis für den eigenen Körper und den des Partners fördern. Sie sollen Ideen zum Experimentieren liefern und die Techniken und Begriffe verständlich machen, die später im Buch vorgestellt werden (siehe Kapitel «Mehr Spass im Bett», Seite 79). Dieses Anatomiekapitel ist also auch eine Art Glossar: Es erklärt, wovon in den späteren Abschnitten des Buches die Rede ist.
Die Hotspots im Fokus
So wie eine Landkarte immer nur ein vereinfachtes Abbild eines realen geografischen Abschnittes wiedergeben kann, so sind die Grafiken in diesem Kapitel ein vereinfachtes Abbild des menschlichen Körpers. Die hier aufgeführten Informationen sind nur ein Ausschnitt dessen, was die Anatomen wissen. Der Fokus liegt auf Dingen, die für den sexuellen Bettalltag wichtig, potenziell aber auch einfach beflügelnd sind.
INFO Kartografisch beschränkt sich dieses Kapitel auf den Genitalbereich von Mann und Frau, obwohl Sexualität natürlich nicht ausschliesslich dort, sondern im ganzen Körper passiert.
So gelingt die Entdeckungsreise
Wenn Sie dieses Kapitel gelesen haben, ist das Entdecken des Körpers und seiner Anatomie nicht vorbei. Im Gegenteil. Es ist erst die Vorbereitung und der Startpunkt. So wie man über das blosse Studium einer Karte ein Land nicht erfassen kann, muss man auch im Bereich der Anatomie die Realität studieren, um wirklich ein Bild von der Sache zu bekommen. Die menschliche Anatomie ist etwas sehr Individuelles, und die Grafiken hier im Buch sind immer nur eine Art Bauplan, der den meisten Menschen gerecht werden will. In Fleisch und Blut sieht die Sache dann vielleicht nicht nur ganz anders aus, es gibt auch verblüffende Unterschiede zwischen den einzelnen Personen.
Das heisst, dass man den eigenen Körper und den Körper des Partners in Ruhe und sorgfältig studieren soll. Dass man ihn betrachtet, erfühlt, riecht und, wo die Lust einlädt, vielleicht auch schmeckt. Dass man ein offenes Auge hat für Veränderungen und diese Entdeckungsreise mit viel Neugier und vor allem Liebe macht.
Gentlemen first
In den folgenden Abschnitten wird die Anatomie des Mannes zuerst besprochen. Die Männer bekommen deshalb den Vortritt, weil vieles sichtbarer ist (zum Beispiel der von aussen sichtbare Penis gegenüber der im Körperinnern versteckten Scheide) und weil die Frau anatomisch von vielen als komplexer erlebt wird.
Ganz so verschieden sind wir gar nicht
Männer mögen vielleicht vom Mars sein und Frauen von der Venus – gebaut wurden wir aber definitiv in der gleichen Werkstatt. Die Anatomie von Mann und Frau im Genitalbereich hat mehr Gemeinsamkeiten, als vielen Leuten bewusst ist. Betrachtet man nämlich die Entwicklung der Geschlechtsorgane bei einem weiblichen und bei einem männlichen Fetus, sieht man, dass sich Penis und Vulva viel ähnlicher sind, als man auf den ersten Blick meinen könnte.
Im Bauch der Mutter startet jeder winzige Mensch mit einer identischen Zellstruktur, die den etwas lieblosen Namen «Genitalhöcker» trägt. Bis ungefähr zur neunten Schwangerschaftswoche sehen die Genitalien bei Junge und Mädchen also gleich aus. Erst dann beginnen sie, sich unterschiedlich zu entwickeln.
Beim männlichen Fetus entwickelt sich der Genitalhöcker zum Penis, beim weiblichen wird er zu Scheide und Vulva. In der Grafik links ist farblich markiert, welche Gewebestrukturen welche Entwicklungen durchmachen. Etwa in der 16. Woche ist die Differenzierung der Genitalien dann bereits abgeschlossen.
Was der Mediziner «Glans» nennt, kennen die meisten Leute besser als Eichel. Diese Gewebestruktur wird beim Mann zur prominenten Peniseichel, bei der Frau zur versteckt liegenden, viel kleineren Klitoriseichel. Auch das Gewebe von Penisschaft und Klitorisschaft ist ursprünglich das gleiche, ebenso bilden sich Penisvorhaut und Klitorisvorhaut aus dem gleichen Ursprungsmaterial. Während sich die sogenannte Urogenitalfalte beim Mann zu einem farblich oft unterscheidbaren feinen Streifen auf der Unterseite der Hoden und des Penis schliesst (Hodensack- bzw. Penisnaht) – werfen Sie ruhig einen Blick darauf, wenn Sie das nächste Mal Zugang zu einem Penis haben –, bilden sich bei der Frau daraus die inneren Schamlippen.
Anatomisch eng verwandt sind auch die äusseren Schamlippen und der Hodensack. Und tatsächlich: Weiss man erst, dass diese beiden Zonen ursprünglich aus demselben Gewebe entstanden sind, erkennt man oft plötzlich die Ähnlichkeit, die sie in der Optik und bei der Berührung haben.
Auch wenn die Genitalien von Mann und Frau später nur wenige Gemeinsamkeiten zeigen, erkennt man bei Erwachsenen mit diesem Hintergrundwissen im Kopf durchaus noch die gemeinsame Basis.
Die männliche Anatomie
Praktisch, zugänglich und oft sogar kameradschaftlich geliebt – Männer haben meist einen guten Zugang zu ihren Sexualorganen. Und auch für Frauen lohnt sich ein genauer Blick auf diese Zone.
Männer haben einen grossen Vorteil: Weil ihr Penis ausserhalb des Körpers liegt, haben sie einen leichteren Zugang zu ihrem Geschlecht – und zwar sowohl sprichwörtlich als auch im übertragenen Sinne. Während Frauen Hilfsmittel brauchen, um ihren Genitalbereich zu entdecken, sind Männer mit einem Griff am Ziel.
Diese Zugänglichkeit ist sowohl ein Fluch als auch ein Segen. Einerseits ermöglicht sie den meisten Männern, schon früh ein selbstverständliches und fast schon freundschaftliches Verhältnis zu ihrem Geschlechtsteil aufzubauen, bei dem auch Stolz eine gewisse Rolle spielt. Andererseits hat die Zugänglichkeit auch ihre Tücken: Ist ein Mann erregt, sieht man ihm das mehr oder weniger direkt an, was zu peinlichen Situationen führen kann. Weil mit der Penetration ein Kernelement der Sexualität zwischen Mann und Frau von der Erektion des Penis abhängt, ist auch psychologischer Druck ein Thema.
Die Frage der Grösse
Die vielleicht brennendste oder mindestens am meisten diskutierte anatomische Frage in Bezug auf die männliche Sexualität ist jene nach der Grösse des Penis. Spielt sie eine Rolle? Und wenn ja, wie wichtig ist sie wirklich?
INFO Die meisten Frauen sagen: Ja, die Grösse des Penis spielt beim Sex eine Rolle. Aber keine derart wichtige, wie so mancher glaubt.
Mit der Penisgrösse des Mannes verhält es sich wie mit der Motorkraft eines Wagens. Es kann mehr Spass machen, ein Auto mit vielen PS zu fahren, und eine gewisse Mindestkraft ist für die Teilnahme am Verkehr unbestritten erforderlich. Aber wie gross die Leidenschaft und die Freude sind, die man unterwegs erlebt, hat längst nicht nur damit zu tun, was kräftemässig unter der Motorhaube steckt. Dass die Grössenfrage überhaupt die Wichtigkeit bekommen konnte, die sie für viele immer noch hat, lässt sich durch die Sichtbarkeit des Penis erklären. Länge, Dicke, Form – all diese Parameter sind leicht erkennbar und somit auch vergleichbar. Ähnliche Fragen zur Vagina müssen sich Frauen kaum stellen, wenn auch vermehrt ein Druck entsteht, dass weibliche Geschlechtsteile gewissen Idealen entsprechen sollen (siehe Seite 155).
INFO Die Formen und Grössen von Penissen sind extrem unterschiedlich.
Das Verhältnis von Länge und Dicke, der Winkel, in dem er auf den Hoden aufliegt, die Art und Weise, wie sich die Vorhaut um die Eichel schliesst oder eben nicht – diese und andere Merkmale sind höchst individuell.