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IMPRESSUM

ISBN: 978-3750443464

NICCOLÓ MACHIAVELLI: DER FÜRST

Originalausgabe 01/2019 (Print); 09/2016 (eBook); © AuraBooks®

Entstanden 1513 unter dem Titel ›De Principatibus‹.

Erstdruck unter dem Titel ›Il Principe‹, Rom 1532

Nach August Wilhelm Rehbergs Übersetzung,

überarbeitet von A. Fischer, textkompetenz.net

Endlektorat und Umschlaggestaltung: textkompetenz.net

Herausgeber: AuraBooks | eClassica@aurabooks.de

Gesetzt aus der Baskerville

Herstellung und Verlag, BoD – Books on Demand GmbH, Norderstedt

Dieses Buch gibt es auch als eBook,

z.B. im amazon Kindle Bookshop

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Inhalt

Die Bedeutung von Niccoló
Machiavellis ›Fürst‹ für die Politik

Auf seinem Totenbett wurde Niccoló Machiavelli bedrängt, den Teufel und
all dessen Werke zu verfluchen. »Dies ist nicht die Zeit, um sich Feinde zu
machen« erwiderte er, lehnte sich in sein Kissen zurück und verschied.
(Zitiert nach Theo Sommer, der hinzufügt, dass es sich um eine nicht
verbürgte Anekdote handelt.)

AUS TRADITION trägt dieses Buch den etwas irreleitenden deutschen Titel ›Der Fürst‹. ›Il Principe‹, so der Originaltitel, spricht jedoch nicht explizit über den Monarchen, der qua Adelsstand und Titel an der Spitze des Staates steht – nein, es bezieht sich auf den Herrscher und Anführer ganz allgemein, egal welche Staatsform er vertritt, egal welcher politischen Couleur er angehört. Gerade dies, diese allgemein gültige Führungstheorie, die Machiavelli sachlich und analytisch aufstellt, machte das Buch zu einem Weltbestseller. Und zu einer begehrten Lektüre für Menschen in Führungspositionen, in der Politik, aber auch in anderen Bereichen, in denen Macht eine zentrale Rolle spielt: Früher war das zum Beispiel die Kirche, heute sind es die Wirtschaft, Politik und die Finanzindustrie.

Das Ganze ist nicht unmoralisch, nein, es ist moralfrei. Moral ist keine Kategorie, die in Machiavellis Überlegungen wirksam wird. Als ungemein erfahrener Politiker und Diplomat seiner Zeit war er lediglich ein präziser Analytiker der Funktionsmechanismen, die er vorfand. Er sagte nicht, dass sie die besten seien, er sagte nicht, dass sie anzustreben seien, er erklärte nur, dass und wie sie wirkten.

Seine Herangehensweise an das Thema war eine empirischwissenschaftliche. Und damit war er der erste – das Buch ist immerhin bereits im Jahre 1513 verfasst – der politische Verhältnisse methodisch analysierte. Heute würde man sagen: wissenschaftlich. Damit war er seiner Zeit weit voraus. Einige Biographen vermuten, dass die über Jahre enge Zusammenarbeit mit Leonardo da Vinci, der zeitweise am gleichen Hofe tätig war, Machiavelli in seinem Denken geschult habe.

Eines der meist gelesenen Kapitel des Buches ist wohl das Siebzehnte, in dem Machiavelli fragt, ob es für den Herrscher wohl besser sei, geliebt oder gefürchtet zu werden. Er antwortet: »Beides ist gut; da es aber schwer ist, beides miteinander zu verbinden, so ist es viel sicherer, gefürchtet zu werden, als geliebt«. Mit Furcht ist man also auf der sicheren Seite, so Machiavelli. Denn: »Die Menschen machen sich weniger daraus, den zu beleidigen, der sich beliebt macht, als den, der gefürchtet ist; denn die Zuneigung der Menschen beruht auf einem Bande der Dankbarkeit, das wegen der schlechten Beschaffenheit der menschlichen Natur abreißt, sobald der Eigennutz damit in Streit gerät: Die Furcht vor Züchtigung aber lässt niemals nach.«

Und weiter: »Doch muss der Fürst sich auf solche Art fürchten machen, dass er nicht verhasst werde; denn es kann recht gut miteinander bestehen, gefürchtet zu sein und nicht gehasst. Hierzu ist vornehmlich erforderlich, dass er sich der Eingriffe in das Vermögen seiner Bürger und Untertanen, und ihrer Weiber enthalte. Ist es aber notwendig, einem das Leben zu nehmen, so geschehe es so, dass die gerechte Ursache zu erkennen ist.«

Eine Handlungsanweisung für alle Diktatoren der Welt, und spontan kommt einem der gestürzte libysche Staatschef Muammar al-Gaddafi in den Sinn. 42 Jahre lang, so lange wie kein anderer afrikanischer Herrscher, hat er es geschafft, mit der machiavellischen Methode sein Volk still und ruhig zu halten. Bis ihm irgendwann die Balance zwischen Furcht und Hass entglitt: Am Ende war er nicht mehr respektiert, vielleicht noch gefürchtet, aber auf jeden Fall verhasst – und endete wie ein auf der Flucht erschlagener Verbrecher, nicht wie ein Staatsmann. Doch andererseits ist es erschreckend, wie lange sein Regime funktionieren konnte – und dass es dabei sogar von den westlichen Demokratien unterstützt und gestärkt wurde.

Machiavelli, der Ratgeber der Diktatoren, was war er eigentlich für ein Mensch? Ein Lehrer des Bösen, ein Bote des Teufels, ein gefühlskalter Krieger? Alles andere als das. Er war im Grunde seines Herzens ein Republikaner, einer, der an das Recht des Volkes, sein Schicksal selbst zu bestimmen, glaubte.

Der Italiener Pasquale Villari, einer der ersten Machiavelli-Biographen, lieferte diese äußerliche Personenbeschreibung: »Er war von mittlerer Größe, mager, mit sehr lebhaften Augen, einem etwas kleinen Kopf, einer leicht gebogenen Nase, einem stets zusammengepressten Mund: Alles machte den Eindruck eines sehr gewandten Beobachters und eines Denkers, doch nicht eines Achtung gebietenden und auf andere einwirkenden Mannes. Er konnte sich nicht leicht von seinem Sarkasmus frei machen, der stets um seine Lippen spielte, aus seinen Augen sprühte und ihm den Anschein eines berechnenden und nüchternen Kopfes gab.«

Ein Fürst, ein Herrscher, das war für Machiavelli nur das kleinere, notwendige Übel, das er in Kauf nehmen musste. Denn sein Land befand sich in einer Zeit chaotischer Auflösung. Italien wurde überschwemmt von französischen und spanischen Eroberern, in den Städten herrschten Aufruhr und Umsturz, wechselnde Regierungen und Mächte waren an der Tagesordnung. Auch der florentinische Staatssekretär Machiavelli geriet in den Strudel, wurde des Verrats angeklagt, verhaftet, gefoltert, schließlich aufs Land verbannt.

Warum schrieb Machiavelli, dessen anderes großes Werk ›Discorsi‹ für Anstand, Moral und Rücksichtnahme plädiert, ›Il Principe‹ als kalkulierte Handlungsanweisung für einen Autokraten? Zwei Motive lassen sich ausfindig machen: Machiavelli sehnte sich nach politischer Ordnung, und die herzustellen, traute er nur einem starken Herrscher zu. Das war sein politisches Motiv. Daneben hatte er ein persönliches: Durch seine Schrift wollte der in Ungnade Gefallene bei den regierenden Medici seine Reputation wiederherstellen, sich wieder für ein Staatsamt qualifizieren.

Daher die überschwängliche Zueignung des Buches an den »Großmächtigen Lorenzo, Sohn des Piero von Medici«, die vor Beginn des eigentlichen Textes steht (in unserer Ausgabe ans Ende des Buches versetzt). Doch die Medici reagierten nicht wie erhofft. Erst als nach dem Aufstand gegen die Führerclique der Medici am 16. Mai 1527 die Republik wieder ausgerufen wurde, konnte sich Machiavelli erneut um eine Sekretariatsstelle bewerben – wurde aber auf der Sitzung des Großen Rates am 10. Juni 1527 mit 555 gegen 12 Stimmen abgelehnt. Dieser Schlag traf ihn auch körperlich: Nur knapp zwei Wochen später, am 21. Juni 1527, starb er.

Die aktuelle Politik und Machiavelli: Schlimm ist, dass man damals wie heute die Herrschenden unsäglich schwer wieder von der ihnen verliehenen Macht trennen kann. Denn die inzestuösen Strukturen, die die Parteien geschaffen haben, lassen einem bei der Wahlen, der einzigen legitimen rechtsverbindlichen Einflussnahme des Bürgers, meist nur die Entscheidung zwischen Pest und Cholera. Und in der Zeit zwischen den Wahlen sind die Bürger sowieso entmündigt. Sie werden nicht gefragt, egal, wie gewichtig die Entscheidungen sind. Deshalb fehlt eigentlich als Gegengewicht eine ähnlich und brauchbare Handlungsanweisung für die Bürger: ›Wie der Souverän, das Volk, einen versagenden Herrscher aus dem Amt befördern kann‹. Leider hat uns Machiavelli so ein Buch nicht hinterlassen.

Fassen wir zusammen: Machiavellis Theorie für den Herrscher ist gut, sie funktioniert, aber es fehlt etwas: Es ist die, nun ja, nennen wir es Moral. Die Verantwortung des Herrschers, ein eigenes Versagen, ein eigenes Scheitern anzuerkennen. Einen Weg des Rückzugs. Doch das wäre radikal, dann hätte man ein völlig anderes Denken, ein völlig anderes System, wie Politik auch funktionieren kann. Und wie sie insbesondere heute, in Zeiten der Transparenz, der theoretisch möglichen hundertprozentigen Mitbestimmung der Bürger in allen Dingen, der sekundenschnellen Aufklärung von Verdunkelungen via Internet, sein könnte und sollte: Macht nicht um des Machterhalts, sondern Macht im Auftrag, im Sinne und zum Nutzen der Bürger, die man heute nicht mehr Untertanen nennt, die aber oft noch immer so behandelt werden.

Nun kann man überlegen, ob die Tatsache, dass Machiavellis Theoreme, heute, 500 Jahre später, in der Politik immer noch funktionieren, ein Beleg dafür ist, wie genial, allgemeingültig und weitsichtig sein Buch war. Oder ob es ein Armutszeugnis dafür ist, dass sich die Politik in ihren archaischen und primitiven Mechanismen seit 500 Jahren kaum weiterentwickelt hat. Wahrscheinlich beides. © Armin Fischer, AuraBooks, 2019

ERSTES KAPITEL:

Verschiedene Arten der Herrschaft,
und Wege, zu ihr zu gelangen

ALLE STAATEN UND GEWALTEN, welche Herrschaft über die Menschen gehabt haben und noch haben, sind Republiken oder Fürstentümer. Diese sind entweder ererbt, indem sie von dem Geschlecht des Herrschers schon lange regiert worden sind oder sie sind neu errichtet. Die neuen sind entweder von Grund aus neu, so wie die Herrschaft des Franz Sforza zu Mailand oder sie sind nur als Teile dem erblichen Staate dessen, der das Land erwirbt, hinzugefügt, wie z. B. das Königreich Neapel dem Könige von Spanien gehört. Die neu erworbenen Staaten sind entweder schon früher an die Herrschaft gewöhnt gewesen oder die Freiheit ist in ihnen hergebracht. Sie werden erworben: Durch fremde Gewalt oder durch eigene Kräfte, durch Glück oder durch Tapferkeit.

ZWEITES KAPITEL:

Von den erblichen Fürstentümern

VON REPUBLIKEN will ich nicht reden, weil dies von mir bereits in einem anderen Werke ausführlich geschehen ist. Ich wende mich zur Alleinherrschaft und werde nach der oben angegebenen Ordnung erörtern, wie solche erworben und behauptet werden kann. Ich sage also, dass in den erblichen Fürstentümern, die an die Dynastie ihrer Herren gewöhnt sind, viel weniger Schwierigkeiten entstehen, sie zu erhalten und zu behaupten, als bei neuen, weil es nur darauf ankommt, die Verhältnisse, so wie sie unter den Vorfahren waren, nicht zu verändern, und bei allen Problemfällen in die Erfahrung zu sehen.

Ein solcher Herrscher wird sich also stets auf dem Throne halten, es sei denn, dass ganz ungewöhnliche und außerordentliche äußere Gewalt ihn desselben beraube. Und wird er der Herrschaft beraubt, so vermag er sie wieder zu erlangen, sobald dem, der sie ergriffen hat, etwas Widriges begegnet. Wir haben in Italien ein Beispiel an dem Herzog von Ferrara, der den Venezianern im Jahre 1484 und darauf dem Papst Julius dem Zweiten durch nichts anderes Widerstand geleistet hat, als durch seine in langer Zeit fest begründete Herrschaft. Denn der angeborene Herrscher hat weniger Veranlassung und ist selten in der Notwendigkeit, zu unterdrücken. Er ist daher mehr beliebt, und es ist natürlich, dass die Seinigen ihm wohlwollen, wenn er sich nicht durch außerordentliche Repression verhasst macht. In der Länge der Zeit einer fortgesetzten Herrschaft wird die Veranlassung und die Erinnerung der Neuerungen vergessen, wohingegen eine Neuerung immer durch sich selbst die Veranlassung zu anderen nachfolgenden zurücklässt.

DRITTES KAPITEL:

Von den gemischten Reichsgebieten

ABER DIE NEUEN REICHE sind ganz anderen Schwierigkeiten unterworfen. Und zwar erstens, wenn nicht das ganze Reich neu ist, sondern nur ein Teil davon, und es also ein vermischtes Reich genannt werden könnte, so entstehen gewaltsame Veränderungen aus natürlicher Schwierigkeit, welche allen neuen Reichsgebieten gemein ist, und daher rühren, dass die Menschen gern ihren Herrn verändern, in Hoffnung, dass es besser werden könne, und darum zu den Waffen greifen. Darin aber irren sie, indem sie bald erfahren, dass es schlimmer wird. Und das liegt wieder in der Natur der Dinge: Weil der neue Herr seine Untertanen mit Soldaten und auf manche andere Art zu unterdrücken genötigt ist, bloß weil die Herrschaft jung ist.

Du wirst also alle diejenigen zu Feinden haben, die du durch die Eroberung selbst beleidigt hast, ohne diejenigen, durch deren Hilfe du Herr geworden bist, zu Freunden zu behalten, weil du sie nicht nach ihren Wünschen befriedigen kannst, und auch keine kräftigen Hilfsmittel anwenden darfst, wegen der Dankbarkeit, die du ihnen schuldig bist. Denn auch der Mächtigste bedarf der Begünstigung von Einheimischen, um in das Land einzudringen. Aus dieser Ursache hat Ludwig der Zwölfte von Frankreich Mailand so geschwind erobert – und so geschwind wieder verloren.

Das erste Mal war die eigene Kraft des vertriebenen Herzogs Ludwig Sforza hinreichend, weil das Volk, das jenen eingeführt hatte und sich in seiner Hoffnung getäuscht fand, den Widerwillen gegen die neue Herrschaft nicht ertragen mochte. Es ist wahr, dass so zum zweiten Male eroberte Länder nicht wieder so leicht verloren gehen, weil der Führer angesichts der Rebellion Veranlassung nimmt, sich durch strenge Maßregeln zu sichern, Verbrecher zu strafen, Verdacht aufzuklären und an den schwachen Stellen Vorkehrungen zu treffen. Wenn es, um Mailand den Franzosen zu entreißen, das erste Mal hinreichend war, dass ein Herzog Ludwig an der Grenze Rumor anfing, so musste sich zum zweiten Male die ganze Welt dagegen vereinigen, um die französischen Heer zu vernichten oder zu vertreiben. Die Ursachen sind oben angegeben. Dennoch verlor Frankreich das mailändische Gebiet zum zweiten Mal. Die allgemeinen Veranlassungen der ersten Begebenheit sind erzählt; es bleibt also noch übrig, die Ursachen der zweiten zu betrachten und die Mittel anzugeben, wie man sich in solcher Lage besser behaupten kann, als es der König von Frankreich getan hat.

Ich sage nun, dass solche Provinzen, welche erobert und mit den alten Staaten des Eroberers verbunden werden, entweder zu demselben Lande gehören und dieselbe Sprache reden, oder nicht. In dem ersten Falle ist es sehr leicht, sie festzuhalten, vorzüglich, wenn sie nicht an Unabhängigkeit gewöhnt gewesen sind. Um sie mit Sicherheit zu beherrschen, ist es hinreichend, die Familie ihrer vorigen Beherrscher auszurotten; denn weil die Einwohner ihre alten Gewohnheiten und Verhältnisse beibehalten, auch übrigens gleiche Sitten mit ihren neuen Mituntertanen haben, so leben sie ruhig; wie man es in der Bretagne, Gascogne, Normandie gesehen hat, welche schon lange mit Frankreich verbunden sind. Wenngleich zwischen diesen Provinzen und dem übrigen Frankreich in der Sprache geringer Unterschied ist, so kommen doch die Sitten überein, und daher vertragen sie sich leicht miteinander. Wer solche Provinzen erobert hat und sie behalten will, muss auf zwei Dinge Rücksicht nehmen.