Richard Wagner: Parsifal

 

 

Richard Wagner

Parsifal

Textbuch – Libretto

 

 

 

Richard Wagner: Parsifal. Textbuch – Libretto

 

Neuausgabe mit einer Biographie des Autors.

Herausgegeben von Karl-Maria Guth, Berlin 2017.

 

Umschlaggestaltung unter Verwendung des Bildes:

Hermann Hendrich, Parsifal, 19. Jahrhundert

 

ISBN 978-3-86199-924-9

 

Dieses Buch ist auch in gedruckter Form erhältlich:

ISBN 978-3-86199-720-7 (Broschiert)

ISBN 978-3-86199-721-4 (Gebunden)

 

Die Sammlung Hofenberg erscheint im Verlag der Contumax GmbH & Co. KG, Berlin.

 

Entstanden 1877–1882. Erstdruck der Dichtung: Mainz (B. Schott's Söhne) 1877. Uraufführung am 26.07.1882, Festspielhaus, Bayreuth.

 

Der Text dieser Ausgabe folgt:

Richard Wagner: Die Musikdramen. Mit einem Vorwort von Joachim Kaiser, Hamburg: Hoffmann und Campe, 1971.

 

Die Paginierung obiger Ausgabe wird in dieser Neuausgabe wortgenau mitgeführt und macht dieses E-Book auch in wissenschaftlichem Zusammenhang zitierfähig. Das Textende der Vorlagenseite wird hier durch die Seitennummer in eckigen Klammern mit grauer Schrift markiert.

 

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind über http://www.dnb.de abrufbar.

 

Personen

 

Amfortas

 

Titurel

 

Gurnemanz

 

Parsifal

 

Klingsor

 

Kundry

 

Gralsritter und Knappen

 

Klingsors Zaubermädchen

 

Ort der Handlung: auf dem Gebiete und in der Burg der Gralshüter »Monsalvat«; Gegend im Charakter der nördlichen Gebirge des gothischen Spanien. Sodann: Klingsors Zauberschloß, am Südabhange derselben Gebirge, dem arabischen Spanien zugewandt anzunehmen.[822]

 

Erster Aufzug

Im Gebiet des Grales. – Wald, schattig und ernst, doch nicht düster. Eine Lichtung in der Mitte. Links aufsteigend wird der Weg zur Gralsburg angenommen. Der Mitte des Hintergrundes zu senkt sich der Boden zu einem tiefer gelegenen Waldsee hinab. – Tagesanbruch. – Gurnemanz (rüstig greisenhaft) und zwei Knappen (von zartem Jünglingsalter) sind schlafend unter einem Baume gelagert. – Von der linken Seite, wie von der Gralsburg her, ertönt der feierliche Morgenweckruf der Posaunen.

 

GURNEMANZ erwachend und die Knaben rüttelnd.

He! Ho! Waldhüter ihr, –

Schlafhüter mitsammen, –

so wacht doch mindest am Morgen.

 

Die beiden Knappen springen auf.

 

Hört ihr den Ruf? Nun danket Gott,

daß ihr berufen, ihn zu hören!

 

Er senkt sich mit den Knappen auf die Knie und verrichtet mit ihnen gemeinschaftlich stumm das Morgengebet; sobald die Posaunen schweigen, erheben sie sich langsam.

 

Jetzt auf, ihr Knaben! Seht nach dem Bad.

Zeit ist's, des Königs dort zu harren.

 

Er blickt nach links in die Szene.

 

Dem Siechbett, das ihn trägt, voraus

seh ich die Boten schon uns nahn.

 

Zwei Ritter treten, von der Burg her, auf.

 

Heil euch! – Wie geht's Amfortas heut?

Wohl früh verlangt er nach dem Bade:

das Heilkraut, das Gawan

mit List und Kühnheit ihm gewann,

ich wähne, daß das Lind'rung schuf?

ZWEITER RITTER.

Das wähnest du, der doch Alles weiß?

Ihm kehrten sehrender nur

die Schmerzen bald zurück: –

schlaflos von starken Bresten,

befahl er eifrig uns das Bad.

GURNEMANZ das Haupt traurig senkend.

Toren wir, auf Lind'rung da zu hoffen,

wo einzig Heilung lindert! –

Nach allen Kräutern, allen Tränken forscht[823]

und jagt weit durch die Welt –:

ihm hilft nur Eines, –

nur der Eine!

ZWEITER RITTER.

So nenn uns den!

GURNEMANZ ausweichend.

Sorgt für das Bad!

 

Die beiden Knappen haben sich dem Hintergrunde zugewendet und blicken nach rechts.

 

ZWEITER KNAPPE.

Seht dort die wilde Reiterin!

ERSTER KNAPPE.

Hei!

Wie fliegen der Teufelsmähre die Mähnen!

ZWEITER RITTER.

Ha! Kundry dort?

ERSTER RITTER.

Die bringt wohl wicht'ge Kunde?

ZWEITER KNAPPE.

Die Mähre taumelt.

ERSTER KNAPPE.

Flog sie durch die Luft?

ZWEITER KNAPPE.

Jetzt kriecht sie am Boden hin.

ERSTER KNAPPE.

Mit den Mähnen fegt sie das Moos.

 

Alle blicken lebhaft nach der rechten Seite.

 

ZWEITER RITTER.

Da schwingt sich die Wilde herab!

 

Kundry stürzt hastig, fast taumelnd, herein. Wilde Kleidung, hoch geschürzt; Gürtel von Schlangenhäuten lang herabhängend: schwarzes, in losen Zöpfen flatterndes Haar; tief braunrötliche Gesichtsfarbe; stechende schwarze Augen, zuweilen wild aufblitzend, öfters wie todesstarr und unbeweglich. – Sie eilt auf Gurnemanz zu und dringt ihm ein kleines Kristallgefäß auf.

 

KUNDRY.

Hier? Nimm du! – Balsam ...

GURNEMANZ.

Woher brachtest du dies?

KUNDRY.

Von weiter her, als du denken kannst:

hilft der Balsam nicht,

Arabia birgt dann

nichts mehr zu seinem Heil. –

Frag nicht weiter! – Ich bin müde.

 

Sie wirft sich an den Boden.

 

Ein Zug von Knappen und Rittern, die Sänfte tragend und geleitend, in welcher Amfortas ausgestreckt liegt, gelangt – von links her – auf die Bühne. – Gurnemanz hat sich, von Kundry ab, sogleich den Ankommenden zugewendet.

 

GURNEMANZ.

Er naht – sie bringen ihn getragen. –

O weh! Wie trag ich's im Gemüte,

in seiner Mannheit stolzer Blüte

des siegreichsten Geschlechtes Herrn

als seines Siechtums Knecht zu sehn!

 

Zu den Knappen.[824]

 

Behutsam! Hört, der König stöhnt.

 

Die Knappen halten an und stellen das Siechbett nieder Amfortas der sich ein wenig erhoben.

 

Recht so! Habt Dank! – Ein wenig Rast.

Nach wilder Schmerzensnacht –

nun Waldes Morgenpracht!

Im heil'gen See

wohl labt mich auch die Welle:

es staunt das Weh,

die Schmerzensnacht wird helle.

Gawan!

ZWEITER RITTER.

Herr! Gawan weilte nicht;

da seines Heilkrauts Kraft,

wie schwer er's auch errungen,

doch deine Hoffnung trog,

hat er auf neue Sucht sich fortgeschwungen.

AMFORTAS.

Ohn Urlaub! – Möge das er sühnen,

daß schlecht er Grals-Gebote hält!

O wehe ihm, dem trotzig Kühnen,

wenn er in Klingsors Schlingen fällt! –

So breche Keiner mir den Frieden!

Ich harre des, der mir beschieden:

»durch Mitleid wissend« –

war's nicht so? –

GURNEMANZ.

Uns sagtest du es so.

AMFORTAS.

– »der reine Tor –«

Mich dünkt ihn zu erkennen:

dürft ich den Tod ihn nennen!

GURNEMANZ indem er Amfortas das Fläschchen Kundrys überreicht.

Doch zuvor – versuch es noch mit diesem!

AMFORTAS.

Woher dies heimliche Gefäß?

GURNEMANZ.

Dir ward es aus Arabia hergeführt.

AMFORTAS.

Und wer gewann es?

GURNEMANZ.

Dort liegt's, das wilde Weib.

Auf, Kundry! Komm!

 

Kundry weigert sich und bleibt am Boden.

 

AMFORTAS.

Du – Kundry?

Muß ich dir nochmals danken,

du rastlos scheue Magd?

Wohlan,

den Balsam nun versuch ich noch:

es sei aus Dank für deine Treue.

KUNDRY unruhig und heftig am Boden sich bewegend.[825]

Nicht Dank! – Ha ha! – was wird er helfen!

Nicht Dank! Fort, fort – in's Bad!

 

Amfortas gibt das Zeichen zum Aufbruch; der Zug entfernt sich nach dem tieferen Hintergrunde zu. – Gurnemanz, schwermütig nachblickend, und Kundry, fortwährend auf dem Boden gelagert, sind zurückgeblieben. – Knappen gehen ab und zu.

 

DRITTER KNAPPE.

He! Du da!

Was liegst du dort wie ein wildes Tier?

KUNDRY.

Sind die Tiere hier nicht heilig?

DRITTER KNAPPE.

Ja –! Doch ob heilig du,

das wissen wir grad noch nicht.

VIERTER KNAPPE.

Mit ihrem Zaubersaft – wähn ich –

wird sie den Meister vollends verderben.

GURNEMANZ.

Hm! Schuf sie euch Schaden je? –

Wann Alles ratlos steht,

wie kämpfenden Brüdern in fernste Länder

Kunde sei zu entsenden,

und kaum ihr nur wißt wohin, –

wer, ehe ihr euch nur besinnt,

stürmt und fliegt dahin und zurück,

der Botschaft pflegend mit Treu und Glück?

Ihr nährt sie nicht, – sie naht euch nie,

nichts hat sie mit euch gemein:

doch, wann's in Gefahr der Hilfe gilt,