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12.


Wir waren seit einer Woche unterwegs, fünfzehn Mexikaner, General Gomez, eine Kanone auf einem einspännigen Karren und ich. Ich war gefesselt und hatte mich scheinbar in mein Schicksal gefügt.

Ich ritt unter Bewachung dem Trupp voraus. In Wahrheit dachte ich gar nicht daran, meine Brüder, deren Aufenthaltsort ich selbst nicht genau wusste, zu verraten. Ich hatte nur eingesehen, dass ich auf Gomezʼ Forderungen zunächst eingehen musste, um überhaupt zu überleben.

Alles andere musste sich ergeben.

Aber in den letzten Tagen, die wir unterwegs waren, hatte sich nichts ergeben. Ich wurde streng bewacht und hatte keine Chance, etwas zu tun, um mich aus der miesen Situation, in der ich mich befand, zu befreien.

Wir befanden uns in den Ausläufern der Sierra ­Espuelas. Ich war früher noch nie hier gewesen, aber ich wusste, dass wir uns bereits in Indianerland befanden, denn Little Friend hatte mir davon erzählt, dass sich hierher häufig die Apachen zurückzogen. Bis jetzt deutete nichts darauf hin, dass es wirklich so war. Wir hatten keine Indianerspuren gefunden. Die Berge erhoben sich schroff und abweisend vor uns, scheinbar ohne jegliches Leben.

Für mich wurde die Situation kritisch. Wenn sich meine Brüder in der Nähe befanden, musste ich alles unternehmen, um jeden Schaden von ihnen abzuwenden, dazu aber sah ich keine Möglichkeit. Gab es aber keine Apachen in diesem Gebiet, hatte ich auch nichts zu lachen. General Gomez war ein Mann, der über Leichen ging, dem menschliche Gefühle fremd waren. Er war besessen von Machtgier und der Sucht nach Reichtum. Er würde mich zu Tode quälen lassen, wenn er sich von mir getäuscht fühlen würde. Wie ich es auch drehte und wendete, es sah nicht gut aus für mich.

Am Abend des achten Tages befanden wir uns auf einem Plateau, als Gomez befahl, ein Lager aufzuschlagen. Er hatte am Tage bereits Späher ausgeschickt, doch die waren ohne Ergebnisse zurückgekehrt. Jetzt kam er zu mir und blieb vor mir stehen. Ich war an einen Felsblock gefesselt und vermochte mich kaum zu rühren.

„Führst du uns an der Nase herum?“

Ich dachte an den toten Pueblo Garcia und hasste den General, sodass ich ihn kaum ansehen konnte.

„Wir sind im Apachenland“, sagte ich.

„Du hast Zeit bis morgen“, sagte Gomez. „Wenn wir bis morgen Abend keine Spuren von Indianern gefunden haben, lasse ich dich von einem Felsen stürzen.“

„Wir sind auf dem richtigen Weg“, sagte ich.

„Bis morgen“, sagte Gomez. Er starrte mich wütend an. „Denk daran, bis morgen hast du noch eine Frist.“

Dann drehte er sich um und ging davon.


*


Ich hatte Zeit bis zum nächsten Tag, Gomez nicht. Die Apachen, die er so eifrig gesucht hatte, tauchten in der Nacht ganz von allein auf. Sie wuchsen aus Felsspalten, stiegen von den Hängen. Ich fühlte ein erregendes Kribbeln in mir, als ich sie schattengleich durch die Nacht huschen sah.

Die Wachen schlugen zu spät Alarm, viel zu spät. Die Apachen waren bereits im Lager und töteten die, die auf Skalpjagd gegangen waren.

Eine finstere Gestalt tauchte auch vor mir auf. Im Mondlicht blinkte matt die Klinge eines Tomahawks. Ich rief ihr in der Sprache der Apachen ein paar Sätze zu. Da ließ der Krieger den Tomahawk sinken, hockte sich dicht vor mir auf den Boden und brachte sein Gesicht dicht vor das meine.

Schnelltöter und ich schauten uns in die Augen. Die Verwunderung in seinen Blicken war mindestens ebenso groß wie die Freude in meinen.

Als er meine Fesseln durchschnitt, brachte er kein Wort heraus. Ich drückte ihm die Hand und fühlte es heiß in mir aufsteigen. Es kostete mich Mühe, meine Gefühle nicht zu zeigen.

Um uns herum wurde gekämpft. Die Mexikaner rangen um ihr Leben. Ich sah die große Gestalt des General Gomez über das Plateau hetzen. Er suchte sein Pferd. Irgendein Krieger holte ihn ein und stellte ihn. Gomez wehrte sich nicht, er flüchtete in eine andere Richtung, lief an der Plateaukante entlang, verlor das Gleich­gewicht und stürzte in die Tiefe. Sein Schrei übertönte im ersten Moment den Kampfeslärm und verhallte dann in der Nacht.

Wenig später war alles vorbei. Die Mexikaner waren tot. Sie würden keinem Apachen den Skalp nehmen, um ihn zu verkaufen. Und dann standen alle um mich herum, staunten mich an, bedrängten mich mit Fragen, lachten und wollten mir die Hand schütteln. Sie zeigten auf meinen Kopf, wo mein Haar erst wieder lang wachsen musste, nachdem die Sklavenaufseher es mir auf der Corlona-­Hazienda geschoren hatten, und auf meine Brust, wo der Medizinbeutel fehlte.

In diesem Moment erschien mir der Verlust noch bitterer als zuvor. Ich vermochte kaum zu antworten, verstand nicht einmal alles, was auf mich einstürzte. Dann trat auf einmal Ruhe ein. Little Friend stand plötzlich vor mir, mein Blutsbruder.

Wir schauten uns lange an, schweigend, prüfend, und schließlich lagen wir uns in den Armen.

Eine halbe Stunde später, nachdem Waffen, Munition und Proviant der Mexikaner eingesammelt worden waren, befanden wir uns auf dem Weg ins Lager. Little Friend und ich gingen nebeneinander auf dem schmalen Felspfad, denn wir hatten viel miteinander zu sprechen.

Er sagte lange nichts, hörte schweigend zu, während ich erzählte, was mir widerfahren war, seit ich den Anschluss an den Stamm in der Nähe von San Vincente verloren hatte, und antwortete erst, als ich fragte: „Was ist mit Mangas Coloradas?“

„Er lebt“, sagte Little Friend. „Gestern ist er zum ersten Mal wieder auf ein Pferd gestiegen, und nicht lange, dann wird er wieder mit uns auf die Jagd gehen und in den Kampf ziehen. Er ist ein großer Häuptling und ein starker Mann.“ Er schaute mich ernst an. „Vielleicht wirst du einmal wie er, mein Bruder.“

Chichasey – mein Bruder.

Es durchflutete mich heiß, als ich dieses Wort hörte. Ich war wieder zu Hause, es gab keinen Zweifel mehr. Ich war wieder bei den Chiricahuas, bei meinen Brüdern.

Und dann tauchte das Lager vor uns auf, versteckt auf einem Hochplateau gelegen. Feuer brannten, dumpfer Trommelschlag empfing uns. Es war alles so wie immer. Mir war in diesem Moment, als sei ich nie fortgewesen. Was hinter mir lag, war mit einem Schlag vergessen.

Ich ging mit Little Friend zu den Pferden hinüber und sah als Erstes den Braunen, der ein freudiges Wiehern ausstieß, als er mich entdeckte und beinahe umstieß, als er seinen hageren, hässlichen Kopf gegen mich drängte. Ich sah die Wickiups, sah die braunen Gesichter, die mir so vertraut waren, hörte die Stimme Nochalos, des Medizinmannes, der vor der Beute, die die Krieger den Mexikanern abgenommen hatten, tanzte und ein Dankgebet sang, und konnte es kaum fassen.

Aber es war kein Traum: Ich, der weiße Apache, war heimgekehrt ...


RONCO


In dieser Reihe bisher erschienen

2701 Dietmar Kuegler Ich werde gejagt

2702 Dietmar Kuegler Der weiße Apache

2703 Dietmar Kuegler Tausend Gräber

2704 Dietmar Kuegler Apachenkrieg

2705 Dietmar Kuegler Das große Sterben

2706 Dietmar Kuegler Todesserenade


Dietmar Kuegler



Todesserenade




Diese Reihe erscheint in der gedruckten Variante als limitierte und exklusive Sammler-Edition!
Erhältlich nur beim BLITZ-Verlag in einer automatischen Belieferung
ohne ­Versandkosten und einem Serien-Subskriptionsrabatt.
Infos unter: 
www.BLITZ-Verlag.de

© 2019 BLITZ-Verlag, Hurster Straße 2a, 51570 Windeck
Redaktion: Jörg Kaegelmann
Titelbild: Rudolf Sieber-Lonati
Umschlaggestaltung: Mario Heyer
Logo: Mark Freier
Satz: Harald Gehlen
Alle Rechte vorbehalten
ISBN 978-3-95719-155-7

Dieser Roman ist als Taschenbuch in unserem Shop erhältlich!



Todesserenade


10. Dezember 1878

Ich reite nordwärts. Was hinter mir liegt, will ich schnell vergessen. Ich hatte geglaubt, mein Ziel fast erreicht zu haben. Eigentlich hätte ich wissen müssen, dass man sich nie zu früh freuen soll. Ich hatte es ja oft genug am eigenen Leibe erfahren.

Vor ein paar Tagen noch war ich so verflucht sicher. Zu sicher. Einige Tage lang schien Corpus Christi am Golf von Mexiko der Endpunkt meiner langen Flucht zu sein. Es war ein Irrtum. Mein Weg ist nicht zu Ende. Ich kann froh sein, noch zu leben.

Vieles an meiner jetzigen Situation erinnert mich wieder an meine Kindheit und Jugend, an das Jahr 1858, als mich nur mein blondes Haar und meine hellere Haut von einem waschechten Apachen unterschieden.

Damals, im Hochsommer dieses Jahres, hatte ich den Anschluss an meinen Stamm verloren. Die Krieger waren mit dem schwer verletzten Mangas Colorados weitergezogen, der in dem mexikanischen Kaff San Vincente von einem Arzt operiert worden war.

Ich war allein. Ich hatte nur eine Fährte von vielen unbeschlagenen Pferdehufen vor mir im Staub. Doch der beständig wehende Wind zerstörte bald auch diese Spur.



1.


Ich lehnte den Sharps-Karabiner an einen hüfthohen Felsbrocken. Er glitt daran ab und fiel klirrend zu Boden. Ich achtete nicht darauf, zog den Korken aus meiner Feld­flasche, setzte sie an den Mund und trank einen Schluck von dem abgestandenen, lauwarmen Wasser. Nachdem ich die Flasche wieder verkorkt hatte, hielt ich sie an mein rechtes Ohr und schüttelte sie. Sie war fast leer.

Ich schaute mich um. Das Land war von der Sonne verbrannt, karg bewachsen, steinig und unwirtlich. Es sah nicht so aus, als würde ich bald auf Wasser stoßen und die Flasche neu auffüllen können.

Schweiß rann mir über Stirn und Wangen. Wind wehte von Süden wie ein Gluthauch der Hölle und trug den Staub in feinen Schleiern über das Land.

Seit zwei Tagen war ich unterwegs. Die Fährte vor mir, die die Apachen hinterlassen hatten, wurde schwächer und schwächer. Der ständig wehende Wind zerstörte die Abdrücke der unbeschlagenen Hufe im sandigen Boden. Die Spur führte schnurgerade nach Westen und schien weit vor mir in der Unendlichkeit zu versickern.

Die Sonne stand hoch, die Luft flimmerte und es war unerträglich heiß.

Ich hängte die Feldflasche an den Gürtel zurück und verschob den schweren Navy-Colt, der schräg in meinem Gürtel steckte und bei jeder Bewegung schmerzhaft gegen meine linke Hüfte drückte. Es war eine fleckige Waffe, die den Glanz der bläulichen Brünierung längst verloren hatte. Der Rahmen trug den Armeestempel. Im Griff steckten ein paar schmale Messingstifte, die ein S und ein H bildeten, vermutlich die Initialen des Soldaten, dem der Revolver einmal gehört hatte.

Ich bückte mich und hob den Sharps-Karabiner auf. Lustlos setzte ich mich wieder in Bewegung. Stiche durchzuckten meine Fußgelenke. Meine Mokassins waren nicht für lange Fußmärsche gearbeitet, und ich war das lange Laufen nicht mehr gewöhnt. Meine Fußsohlen schmerzten bei jedem Schritt. Ich biss die Zähne zusammen.

Obwohl ich gerade etwas getrunken hatte, war meine Kehle schon wieder trocken. Feinkörniger Sand knirschte zwischen meinen Zähnen.

Als ich den Hufschlag hörte, war ich keine zwanzig Schritte gegangen. Ich drehte mich um. In wenigen Hundert Yards Entfernung hing eine Staubwolke in der Luft, die rasch näher rückte.

Instinktiv begann ich zu laufen. Ich spürte auf einmal keine Schmerzen mehr in den Füßen. Ich lief leicht­füßig, als hätte ich stundenlang gerastet. Weit und breit gab es weder Baum noch Strauch und keine Deckung für mich.

Unvermittelt tauchte ein Arroyo vor mir auf. Ich rannte darauf zu. Als ich die Böschung erreichte, stolperte ich und schlug lang hin. Das Gewehr entfiel meinen Händen und rutschte klirrend über das scharfkantige vulkanische Geröll in das ausgetrocknete Flussbett. Ich selbst fand keinen Halt und stürzte hinterher. Meine Kalikohose zerriss, ich schrammte mir das rechte Knie auf. Mit dem Kopf prallte ich gegen einen Felsbrocken. Dann lag ich auf dem Grund des Arroyos, in den die Sonnenglut Falten und Risse gefressen hatte. In meinen Schläfen hämmerte das Blut. Mühsam raffte ich mich auf. Ich taumelte etwas. Der Hufschlag war lauter geworden.

Ich griff nach dem Sharps-Karabiner. Aus dem Schaft war ein handlanger Holzspan gebrochen. Ich fluchte leise und kroch die Böschung hoch, bis ich auf die Ebene hinausschauen konnte.

Da entdeckte ich die Reiter. Sie waren schon ziemlich nah und trugen grüne Uniformen. Es waren Rurales.

Eine kleine Patrouille nur, vier Mann. Zu viele für mich.

Sie hielten am Rand des Arroyos an, kaum fünfzig Yards von mir entfernt. Ich presste mich hart gegen die Böschung und wagte kaum zu atmen.

Der Wind trieb den Klang ihrer Stimmen und einzelne Wortfetzen herüber. Ein Pferd schnaubte.

Ich hätte gern ein Pferd gehabt, jetzt, in diesem Moment. Mit einem Pferd wäre alles leichter gewesen.

Ich dachte an meinen Braunen, diesen knochigen, hässlichen Armeehengst, der für mich das beste Pferd war, das es auf dieser Welt gab. Irgendeiner der Krieger würde ihn jetzt reiten. Vielleicht Little Friend, vielleicht Schnelltöter oder ein anderer. Es ist schon verrückt, an was man in solchen Situationen denkt.

Vor meinem Gesicht war plötzlich eine Spinne. Schwarz, mit dünnen hellen Streifen auf dem fingerkuppen­großen Körper. Sie turnte über das Gestein. Unwillkürlich zuckte ich mit dem Kopf zurück. Die Spinne streifte mich sacht und verschwand zwischen ein paar Steinen.

Hufschlag war wieder zu hören. Ich lauschte, bis er leiser wurde, und wandte den Kopf.

Die Rurales ritten westwärts. Sie hatten mich nicht bemerkt.

Erleichtert richtete ich mich auf. Ich strich mir mit der Rechten eine Haarsträhne aus der verschwitzten Stirn und wartete noch gut eine Viertelstunde im Arroyo, bevor ich ihn verließ und weiterlief. Von den Rurales war nichts mehr zu sehen.


*


Der kleine Rancho lag in der Dämmerung vor mir. Aus dem Kamin kräuselte sich Rauch. Die rot schimmernde Sonne spiegelte sich in den Fensterscheiben.

Im Corral neben dem Haus stand ein Pferd, ein brauner Wallach – genau das, was ich brauchte.

Ich schätzte meine Chancen ab. Sie waren nicht schlecht. Der Rancho lag in einer flachen Senke, in der Bäume und Buschwerk wuchsen. Die Abendsonne warf lange ­Schatten.

Ich beobachtete das Anwesen eine Weile. Dann huschte ich in die Senke hinunter. Es gab keine Schwierigkeiten. Nach kaum zehn Minuten lehnte ich an der Rückwand des Stalles. Ich lauschte auf den Hof. Dort war noch immer alles still. Ich fasste den Sharps-Karabiner mit beiden Fäusten und umrundete das einfache Holzgebäude.

Ein Eimer klapperte plötzlich, und ich erstarrte. Eine Tür wurde aufgestoßen, dann hörte ich eine Männerstimme und Schritte.

Schweiß rann mir in dichten Bahnen über das Gesicht. Dennoch fror ich. Ein paar Mücken tanzten über meinem Kopf, angelockt vom Geruch meines Schweißes. Ich rührte mich nicht.

Wieder klapperte ein Eimer. Quietschend bewegte sich die Winde am Brunnen.

Ich schob mich vorsichtig weiter vor. Sand knirschte unter Stiefelsohlen. Im selben Moment tauchte an der Stallecke ein Schatten auf.

Ein junger Mexikaner stand mir gegenüber. Er war noch keine zwanzig. Auf seiner Oberlippe wuchs dünner Flaum. Er trug ein löchriges Leinenhemd, das offen über seine viel zu kurze Hose hing. In den Händen hielt er einen Korb und mir war klar, dass er von einem nahen Holzhaufen Scheite hatte holen wollen.

Seine Augen weiteten sich, als er mich sah. Ich ließ ihm keine Chance. Ich sprang aus dem Stand auf ihn zu. Erst jetzt bemerkte ich die Steifheit meiner Glieder. Sie hatten vom langen Laufen ihre Geschmeidigkeit verloren. Trotzdem war ich schneller als der Mexikaner.

Er ließ seinen Korb fallen und vollführte eine Abwehrbewegung mit beiden Händen. Da stand ich schon vor ihm, riss die Sharps hoch und stieß ihm den Kolben mit aller Kraft in den Leib. Er riss den Mund weit auf. Ein scharfes Keuchen drang über seine Lippen. Die Augen quollen ihm fast aus den Höhlen. Ohne ein Wort beugte er sich nach vorn und presste beide Hände gegen den Magen.

Ich zögerte nicht und schlug ihm den Kolben in den Nacken.

Er fiel vor mir in den Staub, schlug mit dem Gesicht am Boden auf und war unfähig, den Sturz abzufangen. Stöhnend wälzte er sich auf die Seite, die Beine fest gegen den Leib gezogen. Sein Gesicht war zu einer Grimasse maßlosen Schmerzes verzerrt.

Ich lief an ihm vorbei zu dem Corral. Es waren nur wenige Schritte. Aber mir schien es so, als sei der Weg mehrere Meilen lang.

Ich kletterte die Corralstangen hoch und sprang in die Koppel.

Das Pferd hob den Kopf. Es schaute mich misstrauisch an und scheute. Ich roch nach ranzigem Fett, das ich mir als Sonnenschutz auf die Arme und den bloßen Oberkörper gerieben hatte. Der Wallach schien sich daran zu stören. Ich konnte keine Rücksicht darauf nehmen.

Er stieg jäh und wirbelte mit den Vorderhufen durch die Luft. Ich sprang hoch und packte das leichte Kopfgeschirr, das er trug. Er schleifte mich mit, als er sich unvermittelt herumwarf, aber ich ließ nicht los. Ich drückte ihm den Kopf nach unten und schwang mich auf den Rücken des Wallachs.


*


Der Junge fing plötzlich an zu schreien. Es war ein dumpfes, gequältes Brüllen, das sich aus seiner Kehle rang. Er lag noch immer am Boden, wälzte sich vor Schmerzen im Staub und versuchte, auf die Beine zu gelangen.

Ich trieb den Wallach an und ritt auf das Tor des Corrals zu. Am Fenster des kleinen Hauses erschien ein Mann. Ich sah das olivbraune Gesicht eines älteren Mexikaners verschwommen hinter den Scheiben, die das Licht der Abendsonne reflektierten.

Ich beugte mich auf dem Pferderücken nach vorn und riss die Verriegelung des Corralgatters auf. Dann trieb ich den Wallach auf den Hof.

Er war noch immer widerspenstig und versuchte, sich aufzubäumen Ich hämmerte ihm die Faust zwischen die Ohren. Da wurde er zahm. Zur selben Zeit sah ich den Mexikaner im Haus mit einem Gewehr am Fenster auftauchen.

Ich feuerte mit der Sharps. Der Rückschlag presste mir den Kolben hart an die Hüfte. Die Fensterscheibe zersplitterte unter der Kugel in tausend Stücke. Der ­Mexikaner dahinter verschwand. Im nächsten Moment sprang mich der Junge von der Seite an.

Sein Gesicht war schweißüberströmt und noch immer gezeichnet von heftigen Schmerzen. In seinen Augen glühte Hass. Er krallte beide Fäuste um mein rechtes Bein. Ich schlug mit der Sharps zu. Die eiserne Kolbenplatte traf den jungen Mexikaner auf den Schädel. Er grunzte wie ein sattes Schwein, als er rücklings zu Boden fiel. Dann ritt ich davon.

Weit gelangte ich nicht. Zwei Schüsse peitschten hinter mir. Eine Kugel strich sengend heiß an meinem Kopf vorbei. Die zweite streifte das Pferd an der Flanke. Es warf sich jäh herum und bäumte sich mit schrillem Wiehern auf. Ich hatte nicht damit gerechnet und wurde zu Boden geschleudert. Der Aufprall war hart. Brennend durchzuckte mich der Schmerz. Halb betäubt kam ich auf die Beine und sah durch einen rötlichen Nebel einen Mann vom Rancho heranlaufen.

Ich zog den Navy-Colt aus dem Gürtel, spannte den Hammer und feuerte.

Der Mexikaner drehte um und lief zurück. Ich schaute mich nach dem Pferd um. Der Wallach stand in etwa hundert Yards Entfernung und zupfte an den Spitzen des bräunlichen Grases, das am Rand der Senke wucherte. Es hatte wenig Sinn, hinter dem Tier herzulaufen. Ich hob meine Sharps auf, die ich beim Sturz verloren hatte, und lief zum Westrand der Senke.

Hinter mir krachte wieder ein Schuss. Die Kugel riss dicht neben mir eine hässliche Furche in den steinigen Boden und wirbelte eine Staubfontäne in die Luft.

Ich blieb nicht stehen, erreichte den Rand der Senke und lief auf die Ebene hinaus. Eine halbe Meile vor mir lag ein Waldgürtel. Die verglühende Sonne berührte bereits die Spitzen der Bäume. Ich rannte so schnell wie noch nie in meinem Leben und wunderte mich selbst darüber. Noch vor ein paar Minuten hatte ich mir eingebildet, die schmerzenden Füße nicht mehr heben zu können.

Wieder krachte ein Schuss. Die Kugel lag schlecht. Ich drehte mich gar nicht erst um. Dann klang Hufschlag auf.

Ich hatte gerade die Hälfte der Wegstrecke bis zum Wald zurückgelegt. Ohne anzuhalten, wandte ich den Kopf. Im Süden sprengten vier Reiter aus den Hügeln. Sie trugen große Hüte auf dem Kopf und grüne Uniformblusen. Es waren die Rurales, die ich gegen Mittag nach Westen hatte reiten sehen. Offenbar waren sie nicht weit geritten, vielleicht hatten sie mich sogar gesehen, wie ich im Arroyo gelegen hatte, waren weitergeritten und hatten im Hügelland gewartet, um herauszufinden, ob ich allein war oder ob sich weitere Krieger in der Nähe befanden.

Ich lief, bis ich kaum noch atmen konnte und Seitenstiche hatte. Die Sonne war bereits zur Hälfte hinter dem Wald versunken, als ich den Waldrand erreichte und ins Unterholz eindrang. Ich warf mich zu Boden, presste das heiße Gesicht ins kühle Moos und rang nach Atem. Meine Lunge schien zu platzen. Schwarze Punkte flimmerten vor meinen Augen. Mühsam richtete ich den Oberkörper auf. Ich langte nach der Feldflasche am Gürtel, riss den Korken mit fliegenden Fingern heraus und trank, bis sie leer war. Dann griff ich nach dem Gewehr. Ich öffnete die schwarze Ledertasche mit den Papierpatronen, klappte den Fallblock des Sharps-Karabiners hinunter und schob eine Patrone in den Lauf.

Auf der Ebene sprengten die Mexikaner durch die Dämmerung heran. Sie schienen zu glauben, leichtes Spiel mit mir zu haben. Diese Illusion würde ich ihnen nehmen.