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12.


Der Durst trieb mich aus meinem Versteck. Ich ging zurück zu dem toten Pferd und nahm die Feldflasche des Corporals an mich. Nachdem ich meinen Durst gestillt hatte, suchte und fand ich in den Satteltaschen auch noch die eiserne Ration. Ich riss das Fettpapier auf und schlang das harte Brot und die getrockneten Früchte in mich hinein.

Leer lag die Ebene im bleichen Mondlicht vor mir. Mir drohte keine Gefahr. Alles, was am Tag vorher passiert war, wäre mir wie ein böser Traum erschienen, hätten nicht hier und da noch die Leichen von Männern und die toten Leiber der Pferde im Gras gelegen.

Der Schrei eines Aasvogels klang manchmal durch die Dunkelheit. In der Ferne heulten Coyoten.

Ich ging zur Senke hinüber. Ein Schwarm Krähen stob auf, als ich sie erreichte. Der Leichengestank war hier noch immer intensiv. Der Wind konnte ihn nicht vertreiben. Wenn am nächsten Tag die Sonne auf die Senke scheinen würde, würde es noch schlimmer werden.

Ich hielt mir die Nase zu, fand noch ein totes Pferd mit einer Feldflasche am Sattel, hängte sie mir an den Gürtel und steckte auch die eiserne Ration ein.

Später, als ich wieder auf die Ebene hinausgelaufen war, stieß ich auf einen toten Soldaten. Er hielt einen Navy-Colt in seiner erstarrten Faust. Ich hatte Mühe, die Finger zu öffnen und die Waffe an mich zu nehmen. Fünf Kammern der Trommel waren noch geladen. Ich steckte ihn in den Gürtel und nahm auch ein Messer mit. Kurz darauf fand ich auch einen Sharps-Karabiner im Gras sowie eine Ledertasche mit Patronen. Ich war nicht schlecht ausgerüstet, als ich auf San Vincente zuschritt.

Ich lebte. Ich hatte wieder einmal Glück gehabt. Man konnte es auch Zufall oder Schicksal nennen. Aber ich lebte, das allein zählte. Doch ich fühlte mich nicht wohl. Eine undefinierbare Unruhe erfüllte mich. Noch wusste ich nicht, warum.

Als ich das erste Haus des Ortes erreichte, blieb ich stehen. Die Wand, an die ich mich lehnte, war von Kugeln förmlich zerhackt worden. Die Fenster waren zerbrochen. Ich lauschte eine Weile in die Dunkelheit, bevor ich weiterging.

Nirgends sah ich einen Apachen. Als ich die Kapelle passierte, hörte ich endlich Stimmen. Aber es waren keine kehligen Apachenlaute, die an meine Ohren drangen. Zwei Männer unterhielten sich. Sie sprachen spanisch.

Ich presste mich an die Wand der Kapelle und hielt den Atem an. Ich verstand nichts, nur eines wurde mir klar: Die Apachen waren nicht mehr da. Sie hatten offenbar die Kampfkraft der Rurales richtig eingeschätzt und hatten die Gelegenheit benutzt, abzuziehen, während sich die Rurales und Derrels Soldaten ineinander verbissen hatten.

Es war die einzige Möglichkeit gewesen, einem schweren Kampf auszuweichen und Mangas Coloradas, wenn er noch lebte, was ich annahm, ungefährdet abtransportieren zu können.

Sie hatten richtig gehandelt. Es war wichtig gewesen, Mangas Coloradas zu retten. Bei einer möglichen Niederlage gegen die Rurales hätte es keine Möglichkeit gegeben, den Häuptling ungefährdet aus der Stadt zu bringen.

Ich überlegte nicht lange und schlich aus dem Ort. Am Stadtrand steckte eine Lanze im Boden. Ich zog sie heraus und schulterte sie. Am Himmel tauchte der Mond hinter einer dunklen Wolke unter. Die Sicht wurde schlecht. Ich setzte mich in Marsch.


*


Ich umrundete San Vincente und fand die Spuren der Krieger ohne Schwierigkeiten. Es war so, wie ich vermutet hatte. Die Fährte von zwei Pferden, die eine Schleppbahre zogen, war leicht zu erkennen. Mangas Coloradas lebte noch, und er wurde in Sicherheit gebracht.

Ich schaute nach Westen, wo die breite Spur sich in der Nacht verlor. Der Vorsprung der Krieger konnte nicht groß sein. Ich musste versuchen, sie einzuholen. Wegen des Travois mit Mangas Coloradas konnten sie sich nicht schnell bewegen.

Der Weg würde hart werden. Ich besaß kein Pferd. Aber ich war sicher, dass ich mich durchbeißen würde. Ich kannte das Land nicht und wusste nicht, was für Gefahren vor mir lagen. Doch was es auch sein würde, nichts konnte mich aufhalten.

Ich war allein wie so oft in meinem Leben. Ich war ein Apache und hatte viele Feinde. Aber ich hatte auch Mut und war es gewöhnt, zu kämpfen.

Ich folgte der Fährte und lief westwärts. Mein Weg führte ins Ungewisse ...


RONCO


In dieser Reihe bisher erschienen

2701 Dietmar Kuegler Ich werde gejagt

2702 Dietmar Kuegler Der weiße Apache

2703 Dietmar Kuegler Tausend Gräber

2704 Dietmar Kuegler Apachenkrieg

2705 Dietmar Kuegler Das große Sterben

2706 Dietmar Kuegler Todesserenade


Dietmar Kuegler



Das große Sterben




Diese Reihe erscheint in der gedruckten Variante als limitierte und exklusive Sammler-Edition!
Erhältlich nur beim BLITZ-Verlag in einer automatischen Belieferung
ohne ­Versandkosten und einem Serien-Subskriptionsrabatt.
Infos unter: 
www.BLITZ-Verlag.de

© 2019 BLITZ-Verlag, Hurster Straße 2a, 51570 Windeck
Redaktion: Jörg Kaegelmann
Titelbild: Rudolf Sieber-Lonati
Umschlaggestaltung: Mario Heyer
Logo: Mark Freier
Satz: Harald Gehlen
Alle Rechte vorbehalten
ISBN 978-3-95719-154-0

Dieser Roman ist als Taschenbuch in unserem Shop erhältlich!



Das große Sterben


27. November 1878

Texas. Sechzig Meilen westlich vom Golf von Mexiko, vierzig Meilen südlich der Sierra Loma Blanco, über mir der wolkenlose Himmel und um uns nichts als die menschenleere Weite.

In der Nacht hat es ein wenig geschneit. Eine Seltenheit so nahe der Golfküste. Bei Sonnenaufgang verwandelten sich die weißen Flecken, die hier und da das Land bedeckten, rasch in Eiswasserpfützen, die bis zum Mittag verdunstet waren.

Das Land ist gut. Hier könnte ich leben. Es ist das richtige Land, um eine Farm aufzubauen, Maisfelder anzulegen und Rinder zu züchten. Das Klima ist mild. Die Maisstauden würden hier sechs Fuß hoch werden und mehr. Der Boden ist fett und schwer, das Gras hoch und saftig. Ein Paradies für Rinder.

Ich könnte ein Haus bauen, aus sauber geschälten Palo-Verde-Stämmen, einen Stall, eine Scheune, Korrals. Ich könnte einen Brunnen ausheben und ...

Träume!

Ich raste neben einem Wasserloch. Es ist mir schon schlechter gegangen. Ich muss zufrieden sein. Meine letzte Schusswunde im Bein ist verheilt. Manchmal juckt die Narbe noch ein bisschen. Das wird sich bald geben. Mit der Zeit gibt sich alles. Auch die Träume.

Davor habe ich Angst. Ohne Träume gibt es keine Hoffnung. Und ohne Hoffnung ist das Leben sinnlos. Ich weiß es, muss es wissen. Aber noch kann ich hoffen.

Ich werde keine Farm bauen, keine Maisfelder anlegen, keine Rinder züchten und keinen Brunnen ausheben. Ich werde weiterreiten, weiterhoffen, dass die ewige Flucht, auf der ich mich seit Jahren befinde, irgendwann zu Ende ist, dass die Verfolger auf meiner Fährte irgendwann müde werden.

Sie sind schon wieder unterwegs, während ich hier schreibe. Ich fühle es. Ich habe einen Instinkt dafür. Doch im Moment habe ich Ruhe. Darum kann ich weiter an meiner Geschichte schreiben.

Je mehr ich kämpfen muss, umso sicherer bin ich, dass es wichtig ist, alles aufzuschreiben, was hinter mir liegt und zu meinem heutigen Leben geführt hat. Sollte mich irgendwann eine Kugel treffen, bevor ich mich rehabilitieren konnte, sollen wenigstens diese Aufzeichnungen bleiben. Ich hoffe nur, dass mir genug Zeit bleibt, alles aufzuzeichnen.



1.


Sommer 1858.

Die Büffelherde zog von Osten nach Westen. Eine Staubwolke verdeckte den Himmel.

Wir ritten eine Hügelkette hinauf. Auf einem der hohen, grasbedeckten Erdbuckel hielten wir an. Ich beugte mich im Sattel vor. Neben mir zügelte Little Friend sein geschecktes Pony. Warmer Wind umspielte unsere nackten Oberkörper.

Little Friend hielt eine sieben Fuß lange Lanze in der rechten Faust. Der Schaft war mit Rohhaut und roten Stofffetzen umwickelt. Die Spitze bestand aus einer Messerklinge. Darunter hingen ein buntes Federbüschel und eine Schnur mit Glasperlen. Er zeigte mit der Lanze in Richtung der Herde.

Sie rückte näher. Die Luft um uns war plötzlich voller Staub, der uns einhüllte und in die Poren drang. Die Prärie zwischen den Hügeln verschwand unter braunen, massigen Leibern, die sich schwerfällig heranschoben und auf der Ebene ausbreiteten wie ein zähflüssiger, wogender, brodelnder Brei.

Sie walzten das kniehohe Gras nieder. Der Horizont verdunkelte sich. So weit das Auge reichte, waren nur noch die graubraunen Rücken mit dem verfilzten, moosbesetzten Fell zu sehen, die riesigen, kantigen Schädel mit dem zottigen Pelz, in dem Dornengestrüpp hing, und die kurzen gebogenen Hornpaare.

Ich hatte so etwas noch nie gesehen. Als Little Friend mir ein Zeichen gab, trieb ich meinen Braunen an.

Wir ritten von der Hügelkuppe auf die Flanke der Herde zu. Ein intensiver, strenger Geruch waberte uns entgegen. Der Staub in der Luft wurde dichter. Unter den Hufen unserer Pferde vibrierte der Boden. Wir spürten es bis in die Sättel.

Little Friends stämmiges Pony wusste Bescheid. Es ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. Mein hagerer, hochbeiniger Brauner scheute etwas. Er warf den knochigen Kopf hoch und schnaubte nervös. Ich beugte mich vor und sprach beruhigend auf ihn ein. Ich strich ihm durch die Mähne. Er schien einen Moment zu zögern. Dann fasste er wieder Tritt und gehorchte meinem Schenkeldruck.

Ich folgte Little Friend. Er war mein Blutsbruder, ein reinblütiger Chiricahua-Apache.

Ich war ein Indianer wie er. Aber mein Haar war blond, meine Haut hell. Dreizehn Jahre war ich alt, doch ich fühlte mich wie zwanzig und älter. Die Jahre, die hinter mir lagen, zählten doppelt.

Ich war Vollwaise, einziger Überlebender eines Trecks, den Indianer vernichtet hatten. Missionspadres hatten mich aufgezogen. Ein verräterischer Armeescout hatte mich entführt und an die Apachen verkauft. Das war lange her. Inzwischen war ich selbst zum Apachen geworden, war alt genug, um an ihrer Seite zu kämpfen, und hatte meinen Medizinbeutel auf der Brust hängen, den ich unter großen Schwierigkeiten erworben hatte. Trotz meiner weißen Haut gab es keinen Zweifel, wohin ich gehörte.

Wir erreichten die Herde. Die Bisons beachteten uns nicht. Sie zogen mit tief gesenkten Schädeln in gleichförmigem Trott weiter, keine fünf Yards entfernt von uns.

Mir wurde fast schwindlig, als ich meinen Blick über das braune Leibermeer gleiten ließ.

Zwanzigtausend Tiere, dreißigtausend, vielleicht sogar mehr. So viele wie Sterne. Unzählbar.

Wir ritten seitlich der Hügelkette entlang. Vor uns wurden plötzlich zwei junge Büffelkälber aus der Masse abgedrängt. Sie waren aus dem Tritt gekommen und verloren den Anschluss. Sie versuchten, wieder in die Herde einzudringen. Es gelang ihnen nicht. Unruhig blökten sie und trotteten schwerfällig in eine Bodenfalte. Hier blieben sie stehen.

Little Friend drehte sich im Sattel um.

„Die beiden dort?“, sagte er.

Ich nickte.

Wir ritten in die Bodenfalte. Ich nahm den Spencer-­Karabiner hoch, der an meinem Sattel hing.

Die Kälber sahen uns. Sie wirkten nervös. Sie hatten die Schädel gesenkt und stampften unruhig mit den Hufen auf den Boden.

Wir gingen sie gemeinsam an. Little Friend hielt jetzt einen Bogen in den Fäusten und legte einen Pfeil auf die Sehne. Er schoss als Erster. Bei dem Kalb, das getroffen wurde, handelte es sich um einen etwa zweijährigen Stier. Der Pfeil bohrte sich tief in die linke Schulter seines Vorderlaufs. Er warf den Schädel hoch und schrie. Little Friend schoss noch einmal. Der zweite Pfeil grub sich schräg von vorn in die Brust des Tieres. Blut spritzte. Dann feuerte ich.

Die Kugel aus dem Spencer zerriss die Brust des Jungstieres. Er kippte auf die Seite und starb.

Das andere Kalb stieß ängstliche Schreie aus. Es rührte sich nicht vom Fleck. Wir ritten darauf zu.

In diesem Moment ertönte ein dumpfes Brüllen hinter uns. Wir wandten uns um.

Am Rande der Bodenfalte stand ein riesiger Bisonbulle. Er hatte seinen kantigen, massigen Schädel gehoben und stieß einen schrillen Kampfschrei aus. Seine Nüstern waren gebläht. Die kleinen Augen, die von zottigem Pelz umgeben waren, glühten rot unterlaufen. Mit den Vorderhufen wühlte er den Boden auf. Langsam stampfte er auf uns zu.

Wir zogen unsere Pferde herum. Mein Brauner tänzelte nervös. Er widersetzte sich dem Druck des Zügels und wich zurück. Auch Little Friends Pony wurde unruhig.

Little Friend zog einen Pfeil aus dem Köcher, während er den Bullen nicht aus den Augen ließ. Nur wenige Yards vor uns entfernt verhielt er und funkelte uns an.

Ich hatte noch nie ein so riesiges Tier gesehen. Es maß bis zum Widerrist gewiss sechs Fuß Höhe. Der braune Pelz, der Schädel und Nacken bedeckte, war dicht und lang wie eine Löwenmähne. Verfilzt von Gestrüpp, Lehm und Grasflechten hing er um den gewaltigen Schädel, um das geöffnete Maul, aus dem urweltliche, dumpfe Laute drangen.

Little Friend schoss einen Pfeil ab. Der Bulle warf den Schädel hoch. Der Pfeil traf seine Stirn und glitt ab. Unwillig schüttelte sich das Tier. Dann griff es an.

Little Friends Pony tänzelte zur Seite. Ich saß wie gelähmt im Sattel und konnte nichts tun. Little Friend verlor fast das Gleichgewicht auf dem Rücken seines Ponys, das angsterfüllt wieherte. Er ließ den Bogen fallen, riss die Lanze hoch und zerrte sein Pony herum. Der Bulle verfehlte es mit seinem Rammstoß, hielt jedoch sofort im vollen Lauf an und drehte mit ungeahnter Behändigkeit um.

Little Friend senkte die Lanzenspitze und empfing den Bullen bei seinem zweiten Angriff.

Die Spitze grub sich in den fleischigen Rücken, stieß auf einen Knochen und schien den Bullen überhaupt nicht ernstlich zu verletzen.

Little Friend wurde aus dem Sattel gehoben. Er hielt noch immer den Lanzenschaft fest. Der Bulle brüllte, meine Hände zitterten. Und dann brach die Lanze in der Mitte durch.

Little Friend stürzte hart zu Boden. Im selben Moment rissen die Hörner des Bisons dem Pony den Leib auf.

Das Tier wurde in die Luft geworfen, als sei es federleicht. Es rollte über den wuchtigen Nacken des Büffels ab und fiel mit zuckenden Läufen zu Boden.

Blut bedeckte den Kopf des Bisons, das Fell, den Rücken, aus dem noch immer das Ende der abgebrochenen Lanze ragte, was ihn jedoch nicht sonderlich zu behindern schien.

Er schnaubte wild und senkte den Schädel. Dann stampfte er auf Little Friend los, der gerade versuchte, sich vom Boden zu erheben.

Die Lähmung fiel von mir ab. Ich krampfte meine Fäuste um den Schaft des Gewehres, presste den Kolben fest an die rechte Schulter und drückte ab.

Das Geschoss drang dem Bullen von der rechten Seite in den Hals. Augenblicklich blieb er stehen, kaum zwei Yards von Little Friend entfernt. Schwerfällig drehte er sich um. Aus seinem Maul troff blutiger Schaum. Er schnaufte geräuschvoll und schien mich sekundenlang zu mustern.

Für seine Massigkeit war er verdammt beweglich. Aus dem Stand stürmte er los.

Mein Brauner spielte fast verrückt, als das Ungetüm auf ihn zuraste und den Schädel mit den rot gefärbten Hörnern senkte. Er bäumte sich auf und warf mich beinahe ab. Ich klammerte mich in der Mähne fest. Der Braune sprang mit einem gewaltigen Satz zur Seite und ließ den Büffel ins Leere stoßen. Dann hatte ich ihn unter Kontrolle. Ich riss die Zügel hart zurück, sodass er vor Schmerzen grell aufschrie. Einen Sekundenbruchteil später sah ich den Bison.

Er donnerte heran wie eine Dampflokomotive. Seine ganze Schnauze war blutig. Blut rann nun auch aus den Nüstern.

Bevor der Braune erneut scheuen konnte, feuerte ich mit dem Spencer-Karabiner. Ich repetierte durch, drückte ab, repetierte, schoss abermals und dann noch einmal.

Ich hielt den Karabiner schräg nach unten. Die leeren Patronenhülsen flogen nach hinten aus dem Lauf und trafen mich ins Gesicht. Sie waren heiß und sengten meine Haut. Ich spürte es nicht.

Der riesige Büffel schien gegen eine Mauer zu rennen. Er blieb abrupt stehen. Ein klagender, dröhnender Laut entrang sich seiner mächtigen Brust. Niemals zuvor hatte ich einen solchen Schrei gehört. Dann ging er langsam mit den Vorderläufen in die Knie. Sein Schädel sackte herab. Er kippte auf die Seite und streckte die Läufe.

Ich senkte den Spencer-Karabiner und stieß einen Fluch aus. In der Sprache der Apachen natürlich.


*


Das Ende der Büffelherde kam in Sicht. Die Staubwolke im Osten lichtete sich. Die Tiere bewegten sich am Schluss der Herde nicht mehr dicht an dicht wie die vorausziehende Masse.

Das zweite Büffelkalb floh aus der Bodensenke. Es fand am Schluss des Zuges wieder Anschluss. Wir ließen es laufen.

Die Herde verschwand hinter einigen Erhebungen im Westen. Das Gras in der Ebene war niedergetrampelt, der Boden aufgewühlt und schwarz, bedeckt von stinkenden Fladen.

Wir häuteten die toten Tiere ab.

Von dem alten Bullen nahmen wir nur Haut, Gehörn und Hufe. Das Fleisch ließen wir liegen. Es war zäh und hart, ungenießbar. In einem nahen Gehölz schnitten wir zwei schlanke, junge Fichten, entasteten sie und fertigten aus ihnen einen Schleppschlitten. Darauf packten wir das Fleisch des jungen Stieres, den wir sorgfältig zerlegt hatten.

Als wir die Bodenfalte verließen, wurde es Abend.

Die Sonne stand weit im Westen. Sie glühte wie eine Fackel.

„Ich werde laufen müssen“, sagte Little Friend.

„Du wirst hinter mir aufsteigen“, sagte ich.

„Dein Pferd muss das Travois ziehen“, erwiderte er. „Das ist schwer genug. Und es muss dich tragen.“

„Wir werden langsam reiten“, sagte ich. „Müssen wir das Fleisch unbedingt mitnehmen?“

„Ja.“ Er warf sich den Bogen über die Schulter. „Wir brauchen das Fleisch. Wenn wir es eingraben, scharren es die Coyoten aus. Das ist ein schlechter Platz. Entweder, wir nehmen es gleich mit, oder es ist verloren. Es später zu holen, das geht nicht.“

„Steig auf“, sagte ich.

„Ich komme durch.“ Er lächelte jetzt. „Bring das Fleisch zu den anderen.“

Ich schaute ihn an und begriff, dass es sinnlos war, weiterzureden. Ich nickte ihm zu und trieb den Braunen an. Langsam, zögernd zunächst, lenkte ich den Braunen über die Ebene, die von den Büffeln zerstampft worden war. Einmal drehte ich mich um. Da sah ich Little Friend über die Hügel laufen. Er lief mit weit ausgreifenden Schritten und schien mich nicht zu sehen. Ich trieb den Braunen zu rascherem Tempo an. Er musste sich erst an die Last des Travois gewöhnen, fand sich jedoch ziemlich schnell damit zurecht.

Ich ritt ins Hügelland. Die oberen Enden der Travois-­Stangen stießen immer wieder an meine Oberschenkel, so weit ich auch auf dem Rücken des Braunen nach vorn rutschte. Nach und nach gewöhnte ich mich auch daran.

Es wurde rasch dunkler. Lange Schatten bedeckten das Land. Noch immer hingen der Staub und der strenge Geruch der riesigen Büffelherde in der Luft. Ein schwacher Wind wehte von Westen und trieb ihn vor sich her. Er war erfüllt von Wildheit und Kraft. Er passte zu dem Land.

Ich ritt viele Meilen. Als ich müde wurde, hielt ich den Braunen an und stieg ab. Ich schnallte den Schleppschlitten ab und lockerte den Sattelgurt, bevor ich neben einem Weidengesträuch zu Boden sank und sofort einschlief.



2.


Ich schlug die Augen auf. Es musste lange nach Mitternacht sein. Ich hatte kaum drei Stunden geschlafen. Dennoch war ich sofort hellwach. Wind strich durch das hohe Gras und raschelte in den Zweigen des Weidengesträuchs.

Der Braune stand abseits. Er hatte den Kopf gesenkt und schien nicht wahrzunehmen, dass ich den Oberkörper aufrichtete.

Ich lauschte in die Dunkelheit. Der Mond stand als schmale Sichel am Himmel. Ein milchiges Licht lag auf den Hügelrücken südlich von mir.

Es war ganz still in diesem Moment. Aber irgendetwas hatte mich geweckt. Es konnte nichts Gutes gewesen sein.

Ich richtete mich auf. Mein Oberkörper war nackt, und ich fror ein wenig. Ich trug nur meine Mokassins, eine einfache Leinenhose und einen Lendenschurz.

Für einen Augenblick schwoll der Wind plötzlich an. Da hörte ich Schüsse.

Ich versuchte festzustellen, aus welcher Richtung die Detonationen kamen. Sie waren leise und klangen hell, Gewehre.

Ich dachte an Little Friend. In diesem Moment verfluchte ich mich, dass ich nachgegeben hatte und ohne Little Friend weitergeritten war. Ich bückte mich und hob den Patronengurt für mein Gewehr auf. Ich streifte ihn quer über den Oberkörper, nahm den Spencer-Karabiner und lief zu dem Braunen hinüber. Ich zog die Sattelgurte an und stieg auf.

„Lauf“, sagte ich. „Lauf, so schnell du kannst.“

Ich schlug ihm die Absätze in die Weichen und beugte mich weit nach vorn. Da sprengte er schon dahin.

Immer wieder krachten Schüsse weit vor mir in der Finsternis. Sie übertönten den hämmernden Hufschlag des Braunen.

Mein Herz schlug wie rasend. Unwillkürlich umkrampfte ich mit der Rechten fester den Schaft des Spencer. Mit der Linken klammerte ich mich an der Mähne des Braunen fest. Ich achtete nicht auf das Land um mich her, wusste nicht, wie lange ich unterwegs war, lauschte nur auf die Schüsse. Solange ich sie hörte, bestand noch Hoffnung. Wenn nicht mehr geschossen wurde, war es sinnlos, weiterzureiten. Dann war alles vorbei und Little Friend ...

Ich dachte nicht weiter. Ich trieb den Braunen an. Dabei gab er schon sein Bestes. Er griff weit aus. Er flog geradezu durch die Nacht.

Irgendwann tauchten schwarze Hügelrücken vor mir auf. Ich trieb den Braunen eine Anhöhe hinauf und hielt neben einem Palo-Verde-Baum an.

In einiger Entfernung bewegten sich Schatten durch die Finsternis. Orangefarbene Blitze zuckten auf einen Punkt irgendwo im Hügelland zu. Mehr konnte ich nicht erkennen. Aber das war schon genug.

Irgendwie hatte ich während der ganzen Nacht gehofft, dass die Schüsse nichts mit Little Friend zu tun haben würden. Dabei war mir klar gewesen, dass sie nichts anderes bedeuten konnten, als dass der Blutsbruder in Schwierigkeiten geraten war.

Ein Indianer zu Fuß und allein in diesen Tagen im süd­lichen Texas, wo das ganze Land in Aufruhr war, weil wir, die Apachen, einen Krieg führten, ein solcher Indianer war so gut wie ein Raubtier, das jeder abknallen durfte.

Ich versuchte, zu erkennen, wo Little Friend sich genau befand. Aber das war nicht einfach. Unmöglich geradezu war es, festzustellen, wie viele Gegner sich um ihn geschart hatten.

Ihre Standorte waren leicht zu orten. Ab und zu schossen sie. Anscheinend nur, um zu zeigen, dass sie da waren und Zeit hatten. Die Mündungsfeuer verrieten ihre Verstecke.

Sie bildeten einen Halbkreis. Es konnten nicht viele sein, genug aber, um einen einzelnen Mann zu erledigen.

Ich repetierte meinen Spencer-Karabiner und trieb den Braunen wieder an. Sein Atem ging geräuschvoll. Seine Flanken zitterten etwas von dem wilden Ritt. Aber er war noch lange nicht erschöpft. Im Schritt ritt ich am Fuße der Hügel entlang.

Ich schlug einen Bogen, um in den Rücken der Männer zu gelangen, die Little Friend irgendwo in einer Deckung festnagelten und ihn offenbar zermürben wollten, um ihn bei Tagesanbruch endgültig erledigen zu können. Ich wollte ihnen dieses Spiel versalzen, und zwar gründlich.

Ich nahm mir Zeit. Little Friend war offenbar noch recht munter und in der Lage, sich seiner Haut zu wehren. Sonst wären seine Belagerer gewiss längst bis zu seiner Deckung vorgedrungen.

Irgendwann befand ich mich hinter einem kleinen Camp, von dem aus am meisten geschossen wurde. Hier schienen mehrere Männer zu liegen.

Ich glitt aus dem Sattel und ließ den Braunen mit hängenden Zügeln stehen. In diesem Augenblick verschwand die Mondsichel hinter einer schwarzen Wolke. Es wurde stockfinster. Ich sah kaum noch die Hand vor Augen, wusste aber, wohin ich zu gehen hatte. Ich musste nicht viel sehen. Wichtig war, dass ich selbst nicht gesehen wurde.

Fast geräuschlos glitt ich durch das kniehohe Gras. Es war jetzt schwül, und mir rannen schmale Schweißbäche über Gesicht und Oberkörper.

Einen Moment lang war ich selbst überrascht über die Kaltblütigkeit, mit der ich vorging. Bei den Apachen galt ich als Krieger. Genau genommen aber war ich noch ein Kind. Andere in meinem Alter drückten die Schulbank oder arbeiteten auf den Feldern ihres Vaters. Wenn sie eine Waffe auch nur angefasst hätten, wäre ihnen der Hosenboden versohlt worden.

Für mich dagegen war der Umgang mit Waffen zur Selbstverständlichkeit geworden. Ich hatte getötet und war oft genug in Todesgefahr gewesen. Mich konnte so leicht nichts mehr aus der Ruhe bringen.

Jetzt stand mir wieder ein Kampf bevor. Wahrscheinlich würde ich töten müssen. In diesem Moment bereitete mir das keine Kopfschmerzen. Es gehörte zu meinem neuen Leben. Töten oder getötet werden – andere Alternativen gab es nicht.

Ich dachte nicht lange darüber nach. Es war keine Zeit dazu. Geduckt bewegte ich mich vorwärts. Plötzlich krachten unweit von mir wieder zwei Schüsse. Ich ging unwillkürlich in die Knie und wartete. Wind strich mir entgegen und trug den scharfen Pulvergeruch zu mir herüber. Im Mündungsschein der Schüsse hatte ich das unrasierte, raue Gesicht eines Mannes erkannt. Er trug eine flache McClellan-Mütze mit einem schmalen Schild.

Ich hatte es also mit Soldaten zu tun – keine erhebenden Aussichten.

Vorsichtig kroch ich weiter, bis ich Stimmen hörte.

Es waren zwei, die sich vor mir befanden, soweit ich in der Finsternis schlau daraus wurde. Sie fühlten sich verdammt sicher und sprachen über Little Friend wie über einen Frühstücksbraten, den sie sich schießen wollten. Mir gefiel das nicht sonderlich. Ich freute mich schon darauf, ihnen eine mächtige Überraschung zu bereiten.

„Morgen früh holen wir uns die Rothaut“, sagte der eine. „Morgen früh ist der Kerl fertig. Die ganze Nacht keinen Schlaf, das hält der nicht durch.“

„Die sind zäh“, sagte eine zweite Stimme. „Der wird uns noch ganz schön zu schaffen machen.“

„Wir holen ihn uns“, wiederholte der erste. „Es wird ganz einfach werden.“

Ihr werdet euch verdammt wundern, dachte ich bei mir. Dann kroch ich weiter durch das hohe Gras, robbte auf allen vieren voran, den Karabiner quer vor der Brust in den Armbeugen haltend.

Hinter einem Mesquitestrauch blieb ich liegen.

Vor mir schossen sie wieder. Fast gleichzeitig fielen Schüsse von zwei anderen Stellen. Ich musste mich sehr in Acht nehmen, um nicht zwischen mehrere Feuer zu geraten. Ich dachte wieder kurz an Little Friend und versuchte mir vorzustellen, in welcher Verfassung er sich befand. In diesem Moment trat der Mond wieder hinter der dunklen Wolke hervor.

Ich durfte keine Sekunde mehr zögern. Ich sah die beiden Soldaten vor mir in einer flachen Erdfalte liegen.

Als ich den Karabiner an die Schulter hob, war ich innerlich ganz ruhig.


*


Mein Schuss riss einen blonden Corporal hoch, dem das strohfarbene Haar unter der Schildmütze hervorragte und die Ohren bedeckte. Die Kugel schlug schräg von hinten in seine rechte Schulter. Der mächtige Aufschlag wirbelte ihn herum. Er sagte kein Wort, als er hochtaumelte. Im blassen Mondlicht sah ich, dass seine Augen entsetzt geweitet waren und sich Schmerz und nackte Furcht darin spiegelten.

Ich schoss zum zweiten Mal und traf den Sharps-­Karabiner, den er in den Fäusten hielt. Die Kugel zerriss den Kolben des Gewehrs. Ein fingerlanger, dicker Splitter wurde aus dem Holz gefetzt und bohrte sich tief in das Gelenk der rechten Hand. Blut spritzte aus der Wunde. Der Corporal schrie auf und ließ das Gewehr fallen.

Der zweite Soldat neben ihm feuerte mit seinem Sharps-Karabiner in die umstehenden Sträucher. Es gelang ihm sogar, ein paar Zweige und Blätter ­abzuschießen. Mich traf er nicht, denn ich lag längst nicht mehr am selben Platz. Ich war weitergerutscht und feuerte abermals.

Der Corporal sackte nach vorn. Meine Kugel war in seinen linken Unterschenkel geschlagen. Er schrie jetzt gellend und unaufhörlich. Der zweite Soldat sprang auf, zerrte den Corporal hoch und versuchte, mit ihm in die Dunkelheit zu entkommen. Vermutlich glaubten die beiden, von einer ganzen Apachenstreitmacht umzingelt zu sein. Mir war das nur recht. Genau das hatte ich beabsichtigt.

Ich schickte den beiden noch einen Schuss nach. Der zweite Soldat wurde in den linken Arm getroffen und nach vorn gestoßen. Er taumelte.

Ich aber richtete mich auf und suchte das Weite.

Genau im richtigen Augenblick. Die anderen Soldaten, die verstreut in der Ebene lagen, schienen endlich zu merken, dass jemand in ihrem Spiel mitmischte, der nicht dazugehörte. Ein Kugelhagel ging auf die Stelle nieder, wo ich gelegen hatte. Da hatte ich längst die beiden Pferde erreicht, die der Corporal und der zweite Soldat zurückgelassen hatten. Ich schwang mich in den Sattel des einen und preschte davon. Die Dunkelheit schützte mich. Sekunden später erreichte ich meinen Braunen. Ich sprang aus dem Sattel, nahm die Pferde beide am Zügel und führte sie durch die Nacht zu einer Erhebung östlich der lang gestreckten Hügelkette.

Die Soldaten waren völlig durcheinander. Sie feuerten wild in der Finsternis herum. Ich sah die Mündungsblitze zucken und hoffte insgeheim, sie würden sich in ihrer Nervosität gegenseitig erschießen. Aber diesen Gefallen taten sie mir nicht.

Plötzlich brach das Schießen ab. Ich hatte nun einen guten Überblick über das Schussfeld. Ich konnte auch Little Friends Deckung erkennen.

Er musste auf einem Hügel, keine dreihundert Yards westlich von meinem Standort, liegen. Dort hatte irgendwann einmal ein Blitz zwei oder drei Pecan-Bäume gefällt. Die riesigen Stämme waren fast entwurzelt worden und bildeten nun natürliche Schutzwälle, hinter denen man sich so sicher fühlen konnte wie in Abrahams Schoss.

Ich sah plötzlich Gestalten durch die Ebene huschen. Die Soldaten schienen ihre Pferde zusammenzusuchen. Es konnten nicht viele sein. Fünf, schätzte ich, oder sechs. Es war kein Risiko, ihnen ordentlich einzuheizen.

Ich feuerte ohne zu zögern. Einmal traf ich. Ich sah, dass ein Mann einen Sprung nach vorn machte, wie ein Sack zu Boden fiel und sich nicht mehr rührte. Er war tot. Ich wusste es, obwohl ich in der Dunkelheit nur wenig hatte erkennen können. Ich hatte schon viele Männer tödlich getroffen fallen sehen und kannte mich aus.

Ein dumpfes Gefühl breitete sich in meiner Magengegend aus, wie immer, wenn ich gezwungen worden war, zu töten. Doch das verging bald, denn ich hatte eine Menge damit zu tun, meine Haut zu retten. Die Soldaten hatten jetzt meinen Standort entdeckt und sparten nicht mit Blei. Sie schienen auch gemerkt zu haben, dass sie es nicht mit einer Übermacht von Apachen zu tun hatten. Trotzdem war ich in der besseren Lage.

Ich jagte mit den Pferden um die flache Seite seitlich der Hügelkette herum. Dann riss ich die Zügel des Braunen zur Seite und sprengte mit ihm und dem Armeepferd am Zügel geradewegs auf die Deckung von Little Friend zu.

Karabinerschüsse peitschten durch die Nacht. Die Kugeln verfehlten mich alle, bis auf eine, die mich am Rücken streifte und einen höllisch brennenden Striemen hinterließ, aus dem dünne Blutfäden zu meinem Gürtel hinunterrannen.

Da galoppierte ich bereits die Anhöhe hinauf, auf der die vom Blitz gefällten Bäume lagen, und stieß den grellen Kriegsschrei der Apachen aus, um nicht aus Versehen von Little Friend erschossen zu werden.

Wenig später stand ich vor ihm. Die Schüsse hinter mir waren verstummt.

Er lag flach am Boden, hatte den Kopf gegen die rissige Rinde des einen umgestürzten Stammes gelehnt und kämpfte mit der Müdigkeit. Am linken Arm hatte er eine klaffende Wunde, die ihn aber nicht sonderlich zu behindern schien. Griffbereit neben ihm lagen der Bogen und die Pfeile. Viele waren es nicht mehr.

Ich sagte kein Wort, bückte mich und verband ihm die Wunde. Er sprach lange Zeit nicht. Als ich fertig war und über den dicken Baumstamm, an dem sein Kopf lehnte, in die Nacht spähte, sagte er: „Die Weißaugen waren auf einmal da. Es ist eine kleine Patrouille. Nur sieben Mann.“

„Sechs“, sagte ich. Ich öffnete die Magazinklappe des Spencer-Karabiners am Kolbenboden und schob neue Patronen hinein.

„Sechs?“

„Einer ist tot“, sagte ich. „Und einer ist ziemlich schwer verletzt.“

„Zwei“, sagte er. Jetzt lächelte er schwach. „Einen habe ich getroffen.“

„Ich hätte nicht ohne dich reiten sollen“, sagte ich.

„Reiner Zufall.“ Er winkte ab. „Wenn ich besser aufgepasst hätte, hätte ich der Patrouille ausweichen können.“ Er hob den Kopf und blickte mich durchdringend an. „Was hast du mit dem Fleisch gemacht?“

„Dem Fleisch?“ Ich schüttelte den Kopf.

„Sag bloß, du hast es verloren?“

„Ich habe es den Wölfen gegeben“, sagte ich. „Und den Geiern.“

Da grinste er. Ich auch.

Dass er in einer solchen Situation an einen Zentner Büffelfleisch denken konnte ...


*


Die Sonne ging auf. Nebelfetzen trieben durch die flache Senke. Es war kühl, die Luft klamm und das Gras nass vom Tau.

Ich stützte mich auf den morschen Stamm eines Pecan-Baumes. Holzspäne lagen davor im Gras, Kugeln hatten seine Rinde zerfetzt.

Fröstelnd zog ich die Schultern hoch. Im Moment war es noch trüb und die Sicht schlecht. Ich konnte nicht sehen, ob die Soldaten noch unter uns in der Senke lagen. Während der Nacht hatten sie nicht mehr geschossen. Doch deshalb zu glauben, dass sie sich zurückgezogen hätten, wäre Leichtsinn gewesen.

Ich nahm den Spencer-Karabiner hoch und stieg auf den Baumstamm. Im Osten lugte die Sonne über die Berge. Sie schimmerte wie eine in Eis getauchte Orangenscheibe.

Little Friend schlief noch. Er hatte Blut verloren, und obwohl seine Wunde nicht gefährlich war, hatte sie ihn geschwächt.

Die beiden Pferde standen in der nördlichen Ecke unserer kleinen natürlichen Festung. Sie hatten die Köpfe gesenkt und zupften an den Spitzen der Gräser.

Ich ging zu Little Friend hinüber. Er schlug die Augen auf. Sein kantiges, für einen Apachen untypisch geschnittenes Gesicht wirkte etwas eingefallen und grau und wurde von einigen scharfen Falten durchkerbt. „Schmerzen?“

„Nein.“ Er richtete sich schwerfällig auf. Seine Bewegungen wirkten eckig und steif. Er hatte Schmerzen. Aber er würde es nie zugeben. „Was ist mit den Blauröcken?“

„Abwarten“, sagte ich. „Man sieht noch nicht viel.“

Da krachte ein Schuss. Die Kugel schlug direkt vor mir in den Baumstamm und schleuderte mir eine Handvoll Späne gegen den rechten Oberschenkel. Einen Atemzug später lag ich am Boden und spähte vorsichtig über den Stamm. Langsam schob ich den Lauf meines Spencer-­Karabiners darüber. Die Nebelfetzen trieben aus der Senke davon. Die Sicht war plötzlich klar. Die Sonne stand im Osten hoch über den Bergen. Unter uns lagen die Soldaten hinter einer dichten Buschinsel. Sie hatten in der Nacht ihre auseinandergezogenen Stellungen aufgegeben, um nicht noch einmal Gefahr zu laufen, einzeln von hinten angegriffen zu werden.

Jetzt feuerte sie, um zu zeigen, dass sie noch da waren und auch nicht aufgeben würden.

Unsere Chancen waren nicht schlecht, solange die Soldaten keine Verstärkung erhielten. Aus den Augenwinkeln bemerkte ich, dass Little Friend neben mir seinen Bogen aufnahm und einen Pfeil auf die Sehne legte. Da sah ich zwischen den dichten Sträuchern unter uns einen Arm in einer blauen Uniformjacke auftauchen.

Ich feuerte sofort, ohne zu treffen. Aber der Soldat schien durch den Schuss erschreckt worden zu sein. Er verlor den Halt, als er zur Seite springen wollte, und fiel aus seiner Deckung. Im selben Moment schwirrte ein Pfeil von Little Friends Bogen. Aus der rechten Schulter des Soldaten ragte plötzlich ein bunt gefiederter Schaft. Dann wurde er zurück in die Deckung gezerrt, und wir hörten nur noch sein lautes Gebrüll.

Wenig später zwang uns ein Kugelhagel in Deckung. Sekunden darauf vibrierte der Boden unter hämmernden Hufen.

Jetzt wurde es ernst, denn sie gingen aufs Ganze. Sie griffen uns direkt an, während vermutlich ein Schütze Feuerschutz gab.

Ich kroch zum anderen Ende des Baumstammes, hinter dem wir lagen, und repetierte meinen Karabiner durch. Als ich die Schatten von Reitern auftauchen sah, richtete ich mich auf und begann zu feuern.



3.


Sie preschten bereits den Hügel herauf. Es waren drei, und alle drei verwundet. Der Corporal, den ich in der Nacht erwischt hatte, war nicht dabei. Vielleicht war er gestorben. Ihre Wunden schienen nicht sehr schwer zu sein. Sie feuerten aus allen Rohren.

Als ich auftauchte, riss einer der drei entsetzt sein Pferd zurück. Er blickte direkt in die Mündung meines Karabiners. Als ich feuerte, bäumte sich sein Pferd steil auf. Die Kugel traf das Tier schräg von unten in den Kopf. Es fiel wie vom Blitz getroffen nieder. Der Soldat zog blitzschnell die Stiefel aus den Steigbügeln, rollte über die Schulter ab, als er zu Boden stürzte, und rannte davon. Ein weiterer floh zu Pferde.