Kapitel 7

 

Als sie eine gute halbe Stunde beschwingt das Büro betrat, blieb ihrem Kollegen Bernd die Veränderung nicht verborgen.

»Du kannst ja heute mit der Sonne um die Wette strahlen. Wie heißt er denn?« Bernd lehnte sich mit einem breiten Grinsen auf dem Gesicht in seinem Schreibtischstuhl zurück.

»Sei nicht so frech«, wies Hanna ihn lachend zurecht. »Aber«, räumte sie ein, »es war wirklich sehr schön. Und ich hoffe, dass das noch lange so bleibt.«

»Wow, dich hat’s ja richtig erwischt. Na dann herzlichen Glückwunsch. Du kannst einen ja richtig neidisch machen«, Bernd zog in gespieltem Bedauern die Mundwinkel nach unten.

»Komm«, Hanna war hinter ihn getreten und legte ihm die Hände auf die Schultern. »Zum Trost lade ich dich in der Mittagspause zum Essen ein.« Bernd wandte den Kopf zur Seite und sah Hanna von unten voller Erwartung an.

»Nein«, sie schüttelte als Antwort auf seine unausgesprochene Frage entschlossen den Kopf, »wir gehen nicht zu Imbiss-Karl, diesmal lade ich dich richtig ein. Wir gehen in ein Lokal. Du kannst dir ja aussuchen, was du am liebsten möchtest.«

»Vielen Dank, Frau Hauptkommissarin, da fällt mir bestimmt was ein«, Bernd neigte in Rittermanier den Kopf.

»So, jetzt aber los«, Hanna ging zu ihrem Schreibtisch und setzte sich. Was liegt als Erstes an? Ach ja, ich muss bei den Sondheims anrufen, um sie vorzuladen.« Mit einem Seufzer griff sie zum Telefonhörer. Der Alltag hatte sie wieder.

 

*

Der Anhörungstermin wurde auf den nächsten Morgen festgesetzt. Hanna, die abends noch mit Michael telefonierte, verlor nur jetzt, während dieses Gespräches, die Anspannung, die sie, seit sie mit Frau Sondheim gesprochen hatte, in sich spürte. In der Nacht schlief sie schlecht, und als die Familie des Professors am Morgen das Büro im Kommissariat betrat, war ihnen anzusehen, dass es ihnen nicht anders ergangen war. Alle drei wirkten übernächtigt.

»Wir müssen Sie heute auch getrennt befragen«, klärte Hanna die Anwesenden auf. »Aber erst einmal bringe ich Ihnen allen einen Kaffee. Rebecca, vielleicht möchtest du lieber einen Kakao?« Das Mädchen nickte stumm.

»Lass, ich mache das«, warf Bernd ein und machte sich auf den Weg zum Automaten.

Nachdem alle ihren Becher in der Hand hielten, bat Hanna Frau Sondheim als Erste zu sich. Sie bat sie, ihr die Situation noch einmal zu schildern, als sie aus dem Urlaub nach Hause gekommen war, worauf die Angesprochene noch einmal alle bereits bekannten Fakten aufführte.

Sie hätte ihren Urlaub vorzeitig abgebrochen, weil Johannes ihr morgens am Telefon mitgeteilt habe, dass jemand in die Villa eingebrochen hätte. Daraufhin sei sie überstürzt abgereist und bereits am Nachmittag wieder zu Hause gewesen. Sie habe noch eines der kleinen Flugzeuge ergattern können, die regelmäßig von Sylt aufs Festland pendelten. Nach der Landung in Köln sei sie mit dem Taxi nach Hause gefahren. Dort seien die Kollegen vom Einbruchsdezernat noch bei der Arbeit gewesen.

»Wenn ich mich recht erinnere, sind Sie aber mit dem Auto nach Sylt gefahren?«, fragte Hanna.

»Ja, das stimmt«, Frau Sondheim nickte, »aber man steht oft so lange vor dem Hindenburgdamm, bis die Autos auf den Zug verladen werden. Das hätte mir auf der Rückfahrt alles viel zu lange gedauert. Außerdem war ich auch zu nervös, um mich ans Steuer zu setzen.«

»Dann steht Ihr Auto also noch auf der Insel?«

»Genau«, die Angesprochene nickte, »bei meiner Freundin in der Garage.«

»Frau Sondheim, da ist noch etwas anders, was ich Sie fragen muss. Wir haben Ihre frühere Haushälterin, Frau Gruber, befragt. Sie hat ausgesagt, dass es zwischen Ihnen und Ihrem Mann oftmals zu Streitigkeiten gekommen ist. Auch, dass es eine Situation gab, in der Sie am Boden lagen. Können Sie mir dazu etwas sagen?«, Hanna schaute Frau Sondheim gerade in die Augen, worauf die andere ihren Blick senkte.

»Ja, was soll ich Ihnen dazu sagen? Ich deutete Ihnen bereits früher schon an, dass mein Mann manchmal ein bisschen aufbrausend war«, Barbara Sondheim verschränkte abwehrend die Arme vor der Brust. »Aber«, sie lächelte steif, »da muss Frau Gruber doch etwas missverstanden haben. Wissen Sie, ich bin auch tatsächlich ein bisschen ungeschickt, deshalb wundert sich meine Familie überhaupt nicht mehr, wenn ich wieder einmal falle.« Frau Sondheim lachte verlegen. Hanna wollte sie gerade ausführlicher dazu befragen, als es klopfte und Uwe Brand, ein Kollege der Spurensicherung, seinen Kopf zur Tür hereinstreckte.

»Hallo Hanna, kann ich dich einen Moment sprechen?« Er winkte sie mit einer Kopfbewegung nach draußen.

»Entschuldigen Sie mich bitte, Frau Sondheim, ich bin gleich wieder da«. Hanna stand auf und ging hinaus.

Als sie den Raum wenig später mit einer Mappe in der Hand wieder betrat, wirkte ihre Miene streng. Wortlos reichte sie Bernd die Mappe, der sie sofort öffnete und den Inhalt studierte.

Hanna räusperte sich und begann im Zimmer auf und ab zu gehen, dann wandte sie Frau Sondheim den Rücken zu, schaute aus dem Fenster und begann zu sprechen.

»Man hat die Reifenspuren analysiert, die auf dem Waldgelände in der Nähe des Fundortes der Leiche gefunden worden sind«, sagte sie akzentuiert, und meine Kollegen haben jetzt das zugehörige Auto gefunden«. Hanna drehte sich mit einem Ruck herum und starrte Barbara Sondheim an. »Es handelt sich um Ihren Wagen, Frau Sondheim, der sich angeblich noch auf Sylt befindet. Aber er steht nicht dort, sondern in einer Kölner Autowerkstatt, wo er zur Inspektion angemeldet war. Bei der Untersuchung haben die Kollegen im Kofferraum auch Haare gefunden. Es sind Haare Ihres Mannes«. Hanna trat ein paar Schritte nach vorn, beugte sich vor und stützte sich mit den Händen auf ihrem Schreibtisch ab.

»Und die Teppichflusen, die wir unter den Fingernägeln Ihres Mannes gefunden haben, stimmen mit der Auslegeware Ihres Kofferraumes überein.«

Aus Barbara Sondheims Gesicht war jegliche Farbe gewichen und ihre Hände begannen zu zittern. Sie schickte sich an, mit fahrigen Händen ein Taschentuch aus ihrer Handtasche zu nesteln, wobei diese zu Boden fiel. Nachdem sie die Tasche wieder aufgehoben hatte, richtete sich Barbara Sondheim mit einem energischen Ruck auf und trat vor Hannas Schreibtisch.

Einige Sekunden lang sahen die beiden Frauen sich an. Dann sagte Barbara Sondheim mit leiser, aber fester Stimme: »Also gut. Ich war’s. Ich habe meinen Mann getötet.« Sie ließ sich auf ihren Stuhl fallen und hob gestikulierend die Hände. »Wenn Sie wüssten, was wir mitgemacht haben! Ja,« sie lachte verächtlich, »er war einmal meine große Liebe. Gutaussehend, charmant, belesen, gebildet, beliebt. Ich kenne niemanden, der im Kollegenkreis beliebter war als er.«

Sie machte eine Pause und starrte vor sich hin, als ob die Situation noch einmal vor ihrem geistigen Auge Revue passierte. Dann fuhr sie fort: »Ich war wie geblendet, aber bald nach der Hochzeit veränderte Leo sich, reagierte oft unbeherrscht und ungerecht. Als ich bald schon damit begann, mir ernsthafte Gedanken über eine Trennung zu machen, stellte ich fest, dass ich schwanger war. Wissen Sie«, sie schaute Hanna gerade in die Augen, »ich weiß, dass das kein Grund ist, um bei einem Mann zu bleiben. Aber ich bin selbst ohne Vater aufgewachsen, und ich muss sagen, dass ich auch gehofft hatte, Leo würde sich durch das Kind wieder ändern. Am Anfang war das auch so, dann reagierte er zunehmend aufgebracht, wenn Johannes weinte.« Barbara Sondheim starrte aus dem Fenster und fuhr gedankenverloren fort: »Nach der Geburt ging es mir eine ganze Zeit lang nicht besonders gut; ich hatte Unterleibsprobleme, was meinen Mann allerdings nicht davon abhielt, ständig auf seine Rechte als Ehemann zu pochen. Er nahm sich, was er wollte,« ihre Stimme brach, und sie begann zu weinen.

Hanna streckte ihren Arm aus und legte Frau Sondheim die Hand beruhigend auf den Arm.

»Sollen wir eine Pause machen?«, fragte sie mitfühlend. »Moment, ich hole Ihnen ein Glas Wasser.« Sie stand auf, um eine Flasche Mineralwasser und drei Gläser aus dem Büroschrank zu holen. Bernd, der die Szenerie bisher stumm verfolgt hatte, bemerkte, dass sich Hanna ein wenig länger als es notwendig gewesen wäre, am Schrank zu schaffen machte, und dass ihre Schultern sich durch einige tiefe Atemzüge hoben und senkten. Als sie sich wieder umwandte, konnte Bernd ihr die Anspannung ansehen, selbst wenn sie nach außen einen äußerst professionellen Eindruck machte.

»Hast du was dagegen, wenn ich an dieser Stelle weitermache?«, wandte er sich an Hanna, die ihn daraufhin mit einem dankbaren Blick bedachte, mit dem Kopf schüttelte und sich wieder setzte.

»Würden Sie bitte fortfahren, Frau Sondheim«, bat Bernd die Angesprochene, die sich inzwischen wieder gefasst hatte.

»Ja. Irgendwann begann Leo auch damit, mich unter Alkoholeinfluss zu schlagen«, und niemand, dem ich das erzählt hätte, hätte das auch geglaubt. In der Nachbarschaft nicht und an der Uni wären sie sowieso alle für ihn durchs Feuer gegangen«, Barbara Sondheim lachte trocken auf.

»Warum haben Sie ihn nicht verlassen?«, Bernds einfache Frage beantwortete sie mit einem gequälten Blick, bevor sie anhob: »Inzwischen war Rebecca geboren. Zu ihr hatte Leo von Anfang an ein besseres Verhältnis, als zu Johannes. Es ist wirklich so, dass ich immer noch hoffte, alles könne sich zum Guten wenden. Außerdem hatte ich kein Geld.«

»Ihnen hätte doch im Falle einer Scheidung die Hälfte von allem zugestanden«, Bernd schüttelte den Kopf.

»Nein, durch den Ehevertrag war das nicht so. Außerdem besaß mein Mann Verfügungsgewalt über alle unsere Konten. Es gab nur ein Haushaltsgeldkonto, über das ich allein verfügen konnte. Dorthin überwies er mir monatlich lediglich eine kleinere Summe. Wenn ich neue Kleidung für mich oder die Kinder brauchte, bezahlte er die Rechnungen hinterher.«

»Mein Gott, was für eine Abhängigkeit«, Hanna ballte unter dem Schreibtisch ihre Hände zu Fäusten.

»Richtig schlimm wurde es aber erst für mich, als die Kinder größer wurden und begriffen, was bei uns los war. Und ich war nicht in der Lage, sie vor allen seelischen Verletzungen, die mein Mann ihnen zufügte, zu schützen. Das ist etwas, was ich mir niemals verzeihen werde. Ich war immer zu schwach. Die Fahrradtour, von der hier schon einmal die Rede war, war ein typisches Beispiel dafür.«

Barbara Sondheim fuhr sich mit beiden Händen angespannt durch Haar und senkte den Kopf.

»Ich bin froh, dass ich jetzt endlich alles erzählen kann«, sagte sie nach einer kleinen Pause erleichtert und schaute von Hanna zu Bernd. »Mein Mann liebte es, uns zu zeigen, dass wir alle Versager waren«, fuhr sie fort. »Um des lieben Friedens willen fuhren wir an diesem Tag alle zusammen mit den Rädern in den Wald. Der Nachbarschaft sollte wieder einmal die heile Familie vorgespielt werden. Ich hatte die Kinder inständig gebeten, sich nicht zu weigern, damit wir es nicht später alle doppelt durch seine Ausfälle hätten büßen müssen. Na ja, er scheuchte uns kreuz und quer über die Waldwege. Rebecca, der es an diesem Tag gar nicht gut ging, bat ihn inständig um eine Pause, worauf er lediglich mit einer hämischen Bemerkung reagierte und das Tempo noch steigerte. Bis das Kind einfach vom Rad fiel und ohnmächtig wurde.« Frau Sondheim hatte den Kopf gesenkt und schluchzte laut auf.

Hanna nickte. Sie konnte die Gefühle der Frau gut nachvollziehen. Wie ungerecht das Leben manchmal war. Und sie sollte sich jetzt als Vertreterin des Staates als Richterin aufspielen. Nein, sie schüttelte stumm den Kopf, das war in diesem Falle zu viel verlangt.

Bernd, der ahnte, was in Hanna vorging, machte eine beschwichtigende Handbewegung, ›Häng’ dich nicht so rein‹. Hanna verstand die Botschaft und zog wortlos als Antwort die Schultern hoch und ließ sie wieder sinken.

Barbara Sondheim legte den Kopf in den Nacken, atmete tief ein und stieß die Luft mit einem Seufzer wieder aus. Sie streckte ihre Schultern und sah Hanna an, die sie aufmerksam beobachtete.

»Bevor ich nach Sylt gefahren bin, haben wir uns gestritten. Leo hatte getrunken, wie immer, wenn er zu Hause war. Mein ganzes Leben, das durch diesen Mann zu einer einzigen Lüge geworden war, schien mir plötzlich vergeudet zu sein. Da habe ich ihm in einem Handgemenge einfach einen Stoß gegeben, als er vor der steinernen Kellertreppe stand. Er verlor das Gleichgewicht und fiel … Dann habe ich ihn in den Kofferraum meines Wagens gepackt und habe die Leiche in den Wald gebracht.«

»Und das haben Sie ganz allein geschafft?« Hannas Stimme klang skeptisch.

»Ja«, Barbara Sondheim blickte die Kommissarin entschlossen an, »Not macht erfinderisch. Ich habe ihn an den Füßen zuerst die Treppe hochgeschleift. Das Auto habe ich ganz nah an unsere Eingangstreppe gefahren und ihn dann dort die Stufen heruntergleiten lassen. Es war wohl ein Problem, ihn dann in den Kofferraum zu verfrachten. Aber in solchen Situationen hat man ja Riesenkräfte.«, Frau Sondheim lehnte sich zurück. »Das Ausladen war dann später nicht so schwierig. Als ich wieder zu Hause war, habe ich dann das Kellerfenster eingeschlagen, um so den Einbruch vorzutäuschen. Das Blut, das Leo verloren hatte, wischte ich sorgfältig auf. Aber wohl nicht sorgfältig genug«, die Geständige verzog resigniert das Gesicht.

»Frau Sondheim, das alles erscheint mir mehr als fragwürdig. Ich verstehe, dass Sie Ihre Kinder schützen wollen, aber ich halte es für äußerst unwahrscheinlich, dass Sie den schweren Körper Ihres Mannes allein weggeschafft haben.« Hanna schüttelte ungläubig den Kopf. »Aber gut. Lassen wir es erst einmal gut sein. Nehmen Sie doch bitte draußen Platz. Wir werden jetzt ihre Tochter verhören.« Hanna stand auf und öffnete Barbara Sondheim die Tür.

»Rebecca«, sagte sie freundlich zu dem jungen Mädchen, dass vor dem Büro mit seinem Bruder auf einer Bank saß, »kommst du bitte herein? Ich möchte dich als Nächste befragen.«

 

*

»Erzähle mir doch bitte genau, was an diesem Tag, an dem der Einbruch passiert ist, geschah«, bat Hanna das Mädchen, nachdem es Platz genommen hatte. Rebecca legte die Hände verschränkt in den Schoß, konnte sie aber nicht ruhig halten. Ihr Gesicht war ganz blass und Hanna ahnte, dass die junge Frau entschieden um ihre Fassung rang.

»Gleich nachdem wir den Einbruch bemerkt hatten, haben wir Mutter angerufen«, Rebeccas Stimme zitterte.

»Ihr seid also morgens aufgestanden und habt gesehen, dass jemand in der Nacht bei euch eingestiegen war?«, fragte Hanna vorsichtig. Rebecca senkte den Kopf und nickte. Dann begann sie zu weinen.

»Er lag so furchtbar verrenkt da«, brach es plötzlich unter Schluchzen aus ihr heraus, »ich habe oben an der Treppe gestanden und er lag da und bewegte sich nicht mehr.« Rebecca schlug die Hände vor das Gesicht und weinte laut. Hanna stand auf, ging zu ihr und legte ihr von hinten die Arme um die Schultern. »Wein dich aus, mein Kind. Wir haben Zeit.«

Bernd, den es nicht mehr auf seinem Stuhl hielt, stand auf, stellte sich vor das Fenster und sah hinaus.