Kapitel 12

 

Der Grauschimmel rammte die Hufe in den Boden, als Hakonwulf durchparierte. Von der Kante des Abhangs stürzte ein fauchender Windstoß herab, und warmer Wind jaulte und wimmerte vom Meer durch die Schlucht des Fjords.

Das durchlöcherte Segel knatterte, schlug Falten und blähte sich wieder. Vielleicht sechs Reiter und mehr als zwei Dutzend bewaffnete Männer zu Fuß bewegten sich neben dem Schiff her, schleuderten Steine und Speere und schossen Pfeile aus großen Holzbogen. Sieben, acht Männer standen mit Wurfhaken und Seilschlingen zwischen den Schilfhalmen des Vorsprungs und warteten auf das Schiff, das an ihnen vorbeitreiben musste.

Das lange Poltern der Donnerschläge übertönte jeden anderen Laut. Hakonwulf hielt an, band den Zügel des Saumtieres an einen Ast und lehnte die zweite Lanze an den Baum. Er beugte sich vor, gab den Zügel frei und preschte auf die Angreifer zu. Noch sahen und hörten sie ihn nicht; er dachte nur wenige Herzschläge lang an den erbitterten Kampf im Burgdorf Myngrifons, dann verloren sich alle Gedanken und machten einer bösen, kalten Leere Platz, in der es nichts anderes gab als den Kampf.

Den ersten Angreifer, der mit dem Rücken zu ihm rannte, ritt er in vollem Galopp nieder, dessen Nachbarn traf ein Hieb mit der flachen Axt, der ihm das Genick brach und ihn einige Schritte nach rechts schleuderte. Dann war Hakonwulf vor der ersten Gruppe, lenkte das Pferd mitten hindurch und schlug zu beiden Seiten mit Schwert und Axt zu. Das Pferd eines Reiters ging durch, sprang zum Straßenrand und überschlug sich, als es den Abhang hinunterstürzte und den Reiter unter sich begrub. Hakonwulfs Wallach wurde schneller, die Hufe trommelten auf dem feuchten Sand, die Blitze, die weit hinter Hakonwulfs Rücken einschlugen, blendeten die Männer, die ihn entsetzt anstarrten. Die Vorderhufe des Wallachs wirbelten zwei Angreifer zur Seite, einen dritten traf das Schwert, einen vierten rammte Hakonwulf mit der Axt vom Pferderücken. Kreischendes Geschrei ertönte zwischen den Donnerschlägen. Hakonwulf sprengte an einer Reihe Bogenschützen vorbei, auf die Landzunge zu, warf nach einem Schützen, der auf ihn zielte, mit gewaltigem Schwung das Schwert und traf ihn in die Brust, drehte sich halb im Sattel und riss, als er an dem Sterbenden vorbeipreschte, die Waffe aus dem zusammengesackten Körper.

Pfeile heulten um ihn herum. Er ließ das Pferd dreimal auf der Stelle kreiseln und riss einige Angreifer um. Mit der Axt schlug er auf die Köpfe der Angreifer ein, dann trieb er den Schimmel an und schoss aus dem Ring heraus, der sich um ihn gebildet hatte.

Das Gewitter walzte näher. Blitze und Donner folgten einander in rascherer Folge und machten die Kämpfenden halb taub. Vereinzelte Windstöße, kalt, triefend oder brühwarm, hatten sich in Sturmwirbeln vereinigt, und der Sturm wurde stärker. Sein Heulen füllte die kurzen Abstände zwischen dem Donnergrollen, das den Boden beben ließ. Der Sturm hatte auch das Schiff gepackt, riss die Oberfläche des Wassers zu schäumenden Wellen auf und jaulte an Klippen vorbei, über kleine Strände und durch den aufächzenden Uferwald. Einzelne Tropfen regneten aus den Wolken, der Sturm peitschte sie zuerst schräg, einige Atemzüge später waagrecht durch die Luft. Von den Wellen rissen sich Tropfen los, Sandkörner und Steinchen prasselten gegen Körper, Blätter und Stämme und in wirren Wirbeln ins Wasser.

Hakonwulf, tief neben den Hals des Pferdes gebeugt, erreichte zwischen rüttelnden Stämmen und sturmgepeitschten Kronen den Landvorsprung. Die Tropfen waren hart wie Schleudersteine; es regnete zerfetzte Blätter und Nadelbüschel. Neun Männer zählte er vor sich, bewaffnet und Wurfeisen über den Köpfen schwingend. Der Schiffsbug war nicht weiter als einen Pfeilschuss entfernt und kam schnell näher. Hakonwulf schwang die Axt über dem Kopf, erschlug einen Angreifer, rammte mit der anderen Hand das Schwert ins Gesicht eines zweiten und trieb die Axt mit einem seitlichen Hieb in den Rücken eines Mannes, der das Gleichgewicht verlor, sein Wurfseil losließ und mit wild rudernden Armen schreiend in den Fjord stürzte. Zwei weitere vernichtende Hiebe konnte er mit der Doppelaxt ausführen, dann wurde der Ring der Männer um ihn herum zu eng, und er musste flüchten.

Die Übermacht war zu groß. Hakonwulf ließ sich nach rechts halb aus dem Sattel fallen, klammerte sich am Sattelhorn fest und sprengte in rasendem Galopp den Weg zurück, den er gekommen war. Wieder umheulten ihn Dutzende Pfeile, prallten vom Helm und den Maschen des Kettenhemdes ab oder wurden vom Sturm fortgewirbelt. Die Regentropfen waren zahlreicher geworden und schmerzten nicht mehr, wenn sie auftrafen, aber in die Regenflut mischten sich einzelne Hagelkörner. Die Wolken schleuderten sie hinunter, sie prallten misstönend auf den Helm und sprangen wie kleine weiße Tiere auf der Straße. Hakonwulf donnerte an den Männern vorbei und sah aus dem Augenwinkel, dass er mehr als ein halbes Dutzend verwundet oder getötet hatte. Sein Ziel war das Saumpferd. Der Wallach hatte vieles gelernt; er galoppierte im Zickzack die gesamte Länge der Uferstraße entlang und warf sich herum, als die Krümmung zu eng wurde.

Blitze und Donner, das ohrenbetäubende Rauschen des Regens, das trockene Klappern und Knistern des Hagels, die ächzenden, knarrenden und splitternden Laute aus dem Wald vereinigten sich zu einem erschreckenden, tosenden Malmen. Eine Möwe flatterte kreischend über Hakonwulfs Kopf, überschlug sich einige Male und wurde gegen einen Stamm geschmettert. Er erreichte das Lastpferd, das geduldig gewartet hatte, griff nach dem Zügel und wendete den Schimmel, als sein Blick vom Pferdehals auf die Straße und die Büsche fiel. Unter den mächtigen Ästen und den zerfetzten Blättern, deren Reste troffen, waren Hakonwulf und die Tiere vor dem nun wütend einsetzenden Hagel geschützt.

Die Körner bedeckten knöcheltief die Straße; eisige Kälte ging von der perlenden weißen Schicht aus. Bald darauf schwemmte sie ein wahrer Wasserfall fort. Unverändert zogen Blitze und Donnerschläge kreuz und quer über das Land. Hakonwulf wischte den Regen, der vom Helmrand und dem Nasensteg tropfte, mit dem Unterarm weg und versuchte das Schlachtfeld zu erkennen.

Mit wenigen tiefen Atemzügen erholte er sich und wollte wieder losreiten, doch er stockte. Zuerst vor dem Handgelenk, dann in der nassen Mähne des Pferdes verlaufend, auch auf dem Kettenhemd über seinen Schenkeln erschienen große Blutstropfen, die der Regen und Hagel verwusch. Er spürte aber keinen Schmerz, sah und fühlte keine Wunde an seinem Körper, hob den Kopf und erkannte, dass sich um ihn herum die Hagelkörner langsam rot zu färben begannen.

»Blutregen!« Er keuchte auf. Binnen weniger Dutzend Herzschlägen stürzte ein gewaltiger kalter Guss herab und verwandelte alles in dunkles Blut: Ihn, die Pferde, jedes einzelne Blatt, die schmelzenden Eiskugeln auf der Straße: Selbst das Halbdunkel unter den rasenden Wolken färbte sich rot.

Das Geschrei der Angreifer war im Tosen des Sturms, des Gewitters und der abwechselnden Güsse aus dem rußschwarzen Gewölk untergegangen. Hakonwulf betrachtete den triefenden Handschuh, die weißen Wolken aus den Nüstern des Grauschimmels, die blutübergossene Landschaft und, links von sich, die Oberfläche des Fjordes, durch die mit der blutigen Sturmflut eine mächtige Brandungswelle aufwärts toste, vier, fünf oder mehr Ellen hoch, mit roter, zerfledderter Gischt auf dem Wogenkamm. Das Schiff war um die Landzunge verschwunden.

»Bring es hinter dich, Prinz!«, sagte Hakonwulf zu sich. Er zwang das nasse, schwitzende Pferd in einen letzten Galopp. Die Hufe schleuderten rote Hagelkörner nach allen Seiten.

Als er die Hälfte des Wegs zurückgelegt hatte, vorbei an fünf reglosen Körpern, vom Hagel halb bedeckt, schlug ihm Geschrei entgegen.

Die Straße führte vom felsigen Landvorsprung sacht ansteigend aus dem Landeinschnitt hinauf. Mitten auf dieser rot überfluteten Straße sprengte ein Ritter auf ihn zu; von Teilen der Halbrüstung, dem Bug und Kopf des Pferdes und dem Schild hatte der Regen das Blut weggespült. Der Schild zeigte, wenn Hakonwulf richtig sah, in einer grünen Fläche eine Sanddüne und einen weißen Knochenschädel. Die Verzierung und die Schabracke des braunen Hengstes waren grün, der kleine Busch mit zerfledderten Blättern am geschlossenen Helm, und der Wappenrock über dem steigbügellangen Kettenhemd waren ebenfalls grün …

»Der Grüne Ritter!«, schrie Hakonwulf. Er sah, dass vielleicht ein Dutzend Angreifer davonrannten; auch sie vom Scheitel bis zu den Sohlen scheinbar vom Blut getränkt. Ein Reiter stob den Hang hinauf. Links der Straße spaltete ein Blitz einen Baum, die Flammen leckten in die Höhe und wurden vom nächsten Sturmregen gelöscht. Es roch stechend nach Schwefel.

Zwischen dem Grünen Ritter und Hakonwulf schlossen sich einige Angreifer zu einer dichten Gruppe zusammen. Bogenschützen, Axtkämpfer und Männer mit Helmen und Schwertern. Die Pfeile der Bogenschützen, dachte Hakonwulf, waren im Regen unbrauchbar geworden, und er donnerte ebenso wie der Grüne Ritter auf die Kämpfer zu. Fast gleichzeitig erreichten sie den wilden Haufen, spalteten ihn, stachen und ritten einige Männer nieder, fegten deren Schwerter zur Seite, und als Hakonwulf hindurch war, sein Pferd zügelte und langsam wendete, zählte er vier Tote oder Verwundete und grinste, als die übrigen ins hagelzerfetzte Gebüsch hangaufwärts flüchteten.

Langsamer ritt er zum Landvorsprung. Hier lagen drei tote Angreifer, oberhalb eines zerhagelten Schilffeldes.

Im Schritt ritt er zurück. Obwohl er nass bis auf die Haut war, schwitzte er. Er lockerte den Kinnriemen und sah zu, wie sich die Straße leerte. Der Grüne Ritter stellte die Lanze senkrecht, öffnete ebenso die Schnalle des Helmbandes und ritt auf Hakonwulf zu. Der Kampf war vorbei.

Fast zu gleicher Zeit, mit gleichen Bewegungen, nahmen sie die Helme ab und genossen den eisigen Regen, der ihre erhitzten Köpfe kühlte. Als Hakonwulf den Blick hob, zwei Lanzenlängen vom Grünen Ritter entfernt, blickte er in ein vertrautes Gesicht.

»Pattrick!«, schrie er. »Du … hier? Du bist ein Ritter?«

»Ja, Hakonwulf.« Auch Pattricks Stimme war vertraut. »Ich freue mich, dich hier zu treffen, und wohlauf.«

Der rote Regen fiel nun fast senkrecht. Hakonwulf und Pattrick banden die nassen Helmriemen an die Sattelhörner.

Der Grüne Ritter, inzwischen mehr braun vom Blutregen als grün, hielt sein Pferd neben Hakonwulf an und sagte: »Es ist eine lange Geschichte, Prinz. Wir reden morgen darüber.«

»Woher kommst du, Pattrick?«

»Aus Camelot. Mich hat König Ethelred geschickt, um das Schiff sicher zur Flussmündung zu geleiten. Seine Familie, einige Freunde, viele Kinder, seine Geliebte, ein halbes Dutzend Heerführer – sie kamen von der Apfelinsel Ellan Vannin, die Ellan Sheaynth, Friedensinsel, und vor langer Zeit Avallon genannt worden ist.«

»Es waren keine Nordmänner, die das Schiff angegriffen haben«, sagte Hakonwulf. »Und keine Raubritter.«

»Christliche, getaufte Nordmänner leben auf Ellan Sheaynth. Es herrscht Friede zwischen ihnen und dem König. Nein, es waren Schurken, arme Wegelagerer, erbärmliche Söhne kleiner Stammesfürsten.«

Der Regen war nicht mehr rot. Knisternd schmolzen die Hagelkörner. Das Gewitter tobte sich landeinwärts aus, aber die Dunkelheit wich nicht. Pattrick sagte: »Kennst du hier ein trockenes Plätzchen, Prinz?«

»Drei Stunden langsames Reiten.« Hakonwulf stützte sich auf den Sattelknauf. »Ein altes römisches Gemäuer. Von dort bin ich heute Morgen aufgebrochen … ach, es gibt so vieles zu erzählen, Moorjäger.«

»Wahrlich.« Pattrick wendete sein Pferd. »Reiten wir dorthin, lassen wir unser Zeug trocknen. Ich habe zu trinken und zu essen.« Er schlug auf die Satteltasche. »Morgen reiten wir nach Camelot.«

»Auch mir fehlt’s nicht an Brot, Braten und Honigwein.« Tausend Fragen bedrängten Hakonwulf; doch er musste sich noch bescheiden.

Nebeneinander ritten sie zu seinem Saumpferd, banden dessen Zügel an den Sattel und trabten auf dem Pfad nach Westen.

Die Pferde drängten sich im Schutz raschelnder Büsche und unter großen Ästen hinter der Wand des Gebäudes zusammen. Hakonwulf ließ sich von Pattrick aus dem Kettenhemd helfen, holte Wasser und fand einige Armvoll trockenes Heu. Obwohl die Blätter an den Ästen halb zerfetzt waren, standen die Tiere im Trockenen und außerhalb des kalten Sturms. Mit einer feuchten, rot triefenden Decke versuchte Hakonwulf die Pferde trockenzureiben, während Ritter Patrick Feuer machte und gegen den Widerstand des Sturms die Holzläden zuklappte. Er hängte die Mäntel vor die Fenster und schob, als die Flammen am Reisig hochzüngelten, dickeres Holz ins Feuer. Aus der Tür und zwischen den Säulen sog der Sturm hellen Rauch hinaus.

Pattrick öffnete die flachen Lederbeutel und durchsuchte sie nach Essen, fand zwei verschlossene Krüge, hängte den Wasserschlauch in den Regen hinaus und stand auf, als Hakonwulf durchnässt hereinstapfte.

»Hilf mir, Prinz«, sagte er. »Morgen wird die Rüstung verrostet sein. Eine unruhige Nacht erwartet uns.«

»Wir leben.« Hakonwulf zog mit Mühe die Handschuhe aus und öffnete die Schnallen mit klammen Fingern. Das Feuer verbreitete große Hitze, die tropfenden Decken und Mäntel begannen zu dampfen. »Wenn wir nicht schlafen können, werden wir reden und gähnen.«

Sie rückten die Sättel, die zu trocknen und zu stinken begannen, zum Feuer und setzten sich außerhalb der davonwirbelnden Wolke aus Dampf und Rauch ans Feuer. Hakonwulf öffnete einen Krug, trank und reichte Pattrick das Gefäß.

»Warum hast du nicht ein Wort zu mir gesagt, als du den Sumpf verlassen hast? Und weißt du etwas von den Rittern, die ich begleitet habe?«

Pattrick wischte Honigwein von den Lippen. »Sie haben am anderen Ende der Straße gewartet. Sie sahen zu, wie du gekämpft hast. Als ich bei ihnen anhielt, hat Ritter Bronzefist gesagt, dass sie eingegriffen hätten. Aber nur dann, wenn du in Todesgefahr gewesen wärst.«

Hakonwulf starrte ihn an. »Das kann ich nicht glauben. Warum haben sie das getan? Mich einfach zurückgelassen, ohne ein Wort?«

»Sieh es als Prüfung an, Hakonwulf. Ursprünglich war es nicht so geplant von ihnen. Sie wollten dich auf die Probe stellen, doch dann kam der Überfall auf das Schiff dazwischen. Sie überlegten, einzugreifen, doch als sie dich kämpfen sahen, ließen sie davon ab. Ich versprach ihnen, mit dir nachzukommen. Sie sind jetzt auf dem Weg nach Camelot.«

»Und dort werden sie mir dann Rede und Antwort stehen«, sagte Hakonwulf bitter.

»Prinz, dies war eine sehr wichtige Lehre für dich«, sagte Pattrick leise. »Als Ritter musst du jederzeit auf alles gefasst sein. Vor allem darauf, ganz allein für eine Sache einstehen zu müssen. Du wirst jetzt als Mann, nicht als Knabe vor König Ethelred treten. Und der Tag deines Ritterschlags ist nicht mehr fern.«

Hakonwulf schwieg. Die Erregung des Kampfes nahm ab, langsam kamen die Gedanken zurück, die er weggeschoben hatte. Er hatte gegen eine Übermacht gekämpft, die ihn hätte töten können; doch mehr als einige Schrammen, blaue Flecken und Schnitte, hatte er nicht abbekommen.

Im Kreischen des Sturms, im ständigen Klopfen der Regentropfen und dem Krachen der Äste gegen die Läden versuchte er zu verstehen, was genau während dieses Sturms geschehen war, mit ihm und während des Überfalls. Doch schließlich sah er ein, dass er noch nicht soweit war.

Aber es war an der Zeit, dass Pattrick ihm einiges erklärte. »Wer bist du, Freund Pattrick?«

»Vor langer Zeit habe ich meine Ehre und all meinen Besitz verloren«, antwortete Pattrick und starrte in den Gluthaufen unter den Flammen. »Ich ritt fort. Ich wurde sehr krank und vergaß viele Dinge. Auf mancherlei Wegen und Umwegen kam ich ins Moor, und dort vergaß ich zuletzt auch noch die Sprache.«

Hakonwulf dachte an Maireads Erzählung, schwieg dazu jedoch. Er reichte Pattrick den Krug, packte Fladenbrot, Käse und Braten aus und öffnete das Salzbeutelchen. »Dort haben wir zusammen gejagt, und langsam hast du dich wieder erinnert.«

»Ja, das war eine schöne Zeit, Prinz. Wie es der Zufall so will, oder Gottes Fügung, fand mich ein britannischer Ritter, den ich für meinen Feind hielt. Sehr lange hatte er nach mir gesucht. Ich traf ihn«, er lachte kurz, »als er am Rand des Moors war. In Wirklichkeit aber war er mein Freund und half mir, alle Bruchstücke meiner Vergangenheit zusammenzusetzen. Er hat mir ein Pferd, Sattel und Waffen gegeben. Wir haben uns getrennt, und ich ritt nach Camelot.«

»Warum hast du keine Nachricht zurückgelassen?«

»Weil ich nicht schreiben kann, so wie du, Prinz.« Er grinste verlegen. »Ist nicht das erste Mal, dass ich mich ohne Abschied davonmachte. Ist eben meine Art.«

Eine Weile lang aßen sie schweigend. Hakonwulf holte den Wassersack, dessen Inhalt vom Regen gekühlt worden war, und sah nach den Pferden. Die Tiere fühlten sich geborgen und waren zufrieden. Sturm und Regen pfiffen und prasselten unverändert in der Dunkelheit auf das Steinhaus herab. Funkengarben wirbelten um Hakonwulf, als er sich durch den peitschenden Regen zurückkämpfte.

»Meine Freunde, die Ritter«, begann Hakonwulf nach einiger Zeit, »kennen mich seit Jahren. So leicht kann ich ihnen nicht verzeihen.«

»Sei nachsichtig. Sie werden für dich sprechen, wenn dich König Ethelred zum Ritter schlägt.«

»Wie soll er das tun, wenn er mich gar nicht kennt?«

»Vier Ritter, mich eingeschlossen, können deinen Mut, die Tapferkeit und die Entschlossenheit bezeugen. Wie gut und ritterlich du gekämpft hast, haben wir gesehen, ebenso der eine oder andere Ritter auf dem Schiff. Man wird dir in Camelot einen herzlichen Empfang bereiten.«

»Wenn wir nur schon dort wären.« Hakonwulf zerrte gähnend die nassen Stiefel von den Füßen und lehnte sich gegen die Mauer.

»In diesem Regensturm kämen wir nicht weit«, sagte Pattrick. »Versuch zu schlafen. Ich übernehme die erste Wache.«

Hakonwulf grinste. »Ich bin sicher, dass uns in dieser Weltuntergangs-Nacht niemand angreift.«

Pattrick nickte und schob einen dicken Kloben in die aufstiebende Glut. Dann öffnete er den zweiten Krug Honigwein und hob ihn an den Mund. Hakonwulf schloss die Augen und lauschte auf den Sturm und den Regen. Er merkte nicht, dass nach Mittnacht der Regen aufhörte und die Luft, die der Sturm vom Meer auf das Land blies, sich erwärmte.

Am nächsten Mittag während des Aufsattelns hielt Hakonwulf plötzlich inne. Sonnenstrahlen, die durchs schüttere Blätterdach blitzten, erinnerten ihn an etwas. Er ging zurück zu dem Steinhaus, und auf dem verborgenen Weg in den Raum mit dem Steinkopf. Nichts hatte sich verändert, mit grünen Augen blickte der steinerne Kopf durchs Fenster, über das Meer und wohl dorthin, wo Rom lag. Im Unrat des Bodens zeigten sich die Umrisse der zwölf Schwerter längst nicht mehr; an der Stelle, wo sie gelegen waren, gab es nur Staub und Moder. Mit schmerzenden Muskeln verließ er die Stätte.

Riesige Wogen mit weißen Schaumkronen rollten auf dem dunkelgrauen Meer an die Küsten. Der Sturm war vorbei; von Südwest wehte ein kräftiger, aber warmer Wind. Die Hagelkörner waren längst geschmolzen. Die zerfetzten Blätter, Äste, tote Vögel, zersplitterte Bäume und andere Spuren der grauenhaften Nacht trugen einen rostroten Überzug. Die Waldränder abseits der Straße waren bereits trocken, und der Wind blies allmählich die mehlfeinen roten Spuren weg. Große Wolkenschatten glitten über das Land, dazwischen schien die Sonne wärmend auf die Reiter herab.

»Es ist, als wäre nichts geschehen.« Pattrick schüttelte den Kopf. Sie ritten nebeneinander, in Kettenhemden, aber ohne den Schutz der Helme. »Ob uns der Himmel ein erstes Zeichen für den Weltuntergang gegeben hat?«

»Wer kann das wissen?« Die Sonnenhitze sog die letzte Feuchtigkeit aus der Kleidung, die Haut begann zu jucken. Hakonwulf kratzte sich. »Ich nicht, du nicht, nicht einmal die alten klugen Mönche. Aber der Blutregen hat mich bis tief ins Herz hinein erschreckt.«

Am höchsten Punkt der Straße hielt Hakonwulf an, drehte sich um und betrachtete die menschenleere Landschaft, durch die sie am Vortag geritten waren: Die Verwundeten und Toten auf der Straße und dem Landvorsprung waren verschwunden.

»Du hast den Schrecken bald überwunden, Prinz.« Pattrick wechselte die Lanze in die andere Hand. »Deine Gegner werden es nicht so leicht haben. Sie müssen gedacht haben, dass sie ein blutiger Rachedämon angriff.«

Hakonwulf zog den Kopf zwischen die Schultern, aber dann musste er doch grinsen.

Kurz vor Mittag, am dritten Tag des Ritts, hielt Ritter Pattrick sein Pferd auf dem Kamm eines niedrigen Hügels an. Im Geäst einer riesigen Eiche lärmten Vögel; in einer Astgabel gurrten Tauben, deren Gefieder metallisch glänzte. Hoch in der Luft, vor schneeweißen Wolken, kreiste lautlos ein Fischadler. Ein seltsamer Ausdruck lag auf Pattricks Gesicht, als er Hakonwulf winkte.

»Nun, mein Prinz«, rief er. »Was sagst du dazu?«

Hakonwulf wischte mit der Stulpe des Handschuhs den Schweiß von der Stirn. Er zwinkerte, denn ein Tropfen war ins linke Auge gesickert. Vom Fjord und der Flussmündung, die sich im Norden hinter bewaldeten Hügeln verbargen, wehte ein kühlender Lufthauch heran. Er blinzelte erneut, die Sicht war immer noch verschwommen.

»Sieh doch endlich hin!« Der Grüne Ritter wedelte mit der Hand vor Hakonwulfs Gesicht und deutete nach links. Er lachte herzhaft.

Hakonwulf, der endlich klar sah, riss die Augen weit auf. Was er sah, traf ihn wie ein Streicheln und ein Fausthieb gleichzeitig. »Ist-ist das … etwa … Camelot?«, stotterte er.

»Zumindest Carlisle, das Ziel unserer Reise, des langen Weges vom Moor, oder von Thule, bis zum heutigen Tag. Sieh dich satt daran, Prinz Hakonwulf von Thule!«

Hakonwulf schwang sein Bein über die Kruppe des Pferdes. Er hielt sich am Sattelknauf fest und ließ seine Augen über jede Einzelheit des Bildes gleiten.

Die Straße glitt den Hügel abwärts und verschwand zwischen Bäumen. Andere Straßen, hell wie feiner Sand, trafen aufeinander und verzweigten sich wieder. Ein weites Tal, eingegrenzt von grünenden Feldern, großen Wiesen und Weiden, kleinen und großen Waldstücken, erlaubte in der Mitte den Blick auf einen niedrigen, flachen Hügel. Ihn bedeckten weiße und aus Ziegeln geschichtete Mauern, von Türmen unterbrochen, kantige und langgestreckte Häuser, aus Stein und Fachwerk, glatten Flächen und unzähligen Erkern, Kanzeln, Terrassen und Balkonen. Bunte Fahnen flatterten von den Türmen.

Dort also lebten König Ethelred und seine Ritter! Hakonwulf betrachtete die Stadt auf dem Hügel und das ruhige Treiben auf den Straßen und glaubte, eine Trompete oder Fanfare zu hören, die von einem Turm in der Mitte der Stadt geblasen wurde; ein schütterer, langgezogener Ton, der auf seltsame Weise Fröhlichkeit und Aufregung versprach.

»Das ist wahrhaftig das herrliche Camelot meiner Träume!«, stieß Hakonwulf heiser hervor. Er entdeckte immer mehr Einzelheiten: Einen schilfumrandeten Stadtgraben, der an einigen Stellen so groß war wie ein kleiner See, umgaben alte Bäume. Ein wuchtiger Rundturm stand neben zwei eckigen Klötzen aus Steinquadern. Wieder ertönte die Fanfare; zwei hohe Torflügel öffneten sich langsam, die Zugbrücke über den Graben senkte sich; eine Brücke, mindestens siebenmal so groß wie die von Burg Myngrifon.

Obwohl sie noch eineinhalb oder zwei Stunden zu reiten hatten, bis sie vor der Stadt standen, glaubte Hakonwulf jede Winzigkeit so genau zu sehen, als stünde er unmittelbar davor.

Wolken brodelten hinter der Stadt und bildeten einen leuchtenden Hintergrund für alle Farben und Bewegungen. Auf einem Brachfeld kämpften oder übten einige Ritter. Ihre Rüstungen und die wehenden Umhänge der Pferde gaben dem Bild neue, aufregende Farben. Bauern arbeiteten überall auf den Feldern.

Pattrick stieß Hakonwulf leicht an. »Begeistert, Prinz?«

»So habe ich es mir vorgestellt.« Hakonwulf wandte ihm ein strahlendes Gesicht zu. »In vielen Träumen. Es ist, glaube ich, der zweitschönste Anblick in meinem Leben.«

Pattrick grinste. »Und der schönste?«

»In zwei Stunden. Wenn wir dort sind.«

Sie ritten lachend weiter, bis zu den zerzausten Eichen am Kreuzweg, unter dem Schatten eines dicken, knorrigen Stammes mit ausladenden Ästen vorbei. Von hier aus ahnte man gerade noch das Meer, sah aber nichts davon außer bläulich grauem Dunst am fernen Horizont. Die Dörfer und Weiler zwischen den Hügeln wirkten ebenso ordentlich und sauber wie die in Thule, sagte sich Hakonwulf.

Unterwegs träumte Hakonwulf schon vom Ritterschlag: In der Nacht davor würde sein Schwert auf dem Altar der Kirche liegen und vom Priester gesegnet werden. Während ihn, tags darauf, alle Ritter umringten, bekäme er Stiefel und Sporen, ein Kettenhemd, den Schild, die Lanze und den Helm. Der König würde dann mit dem gesegneten Schwert leicht auf seine linke Schulter schlagen, feierliche Worte sprechen, und dann wäre er, Prinz Hakonwulf von Thule, ein Ritter der Tafelrunde!

In Vorfreude seufzend trieb er den Grauschimmel weiter.

»König Ethelred weiß, dass wir kommen«, meinte Pattrick mit eigentümlicher Sicherheit.

Die Stadt lag nun direkt vor ihnen, und da geschah etwas ganz Erstaunliches, das Pattrick Recht gab.

Aus dem weit offenen Stadttor trabten in Zweierreihen gerüstete Ritter hervor, mit hochgestellten Lanzen, an denen Wimpel flatterten, mit funkelnden Rüstungen und leuchtenden Schilden und in bunten Wappenkleidern. Die Pferde trugen wehende Schabracken in den gleichen Farben wie ihre Reiter. Die Ritter an der Spitze des Zuges galoppierten an und näherten sich Pattrick und Hakonwulf.

Zehn Paare Ritter zählte Hakonwulf staunend, fünfzehn, zwanzig, schließlich drei Dutzend.

»Sie empfangen dich«, behauptete Pattrick.

Hakonwulf erschrak und stammelte: »Sie-sie kommen meinetwegen? Wirklich?«

»Siehst du einen anderen, den abzuholen es sich lohnt? Aber tröste dich: Ich denke, es ist ein passendes Zusammentreffen. Sie sind bestimmt auf dem Weg, um die Schäden des Sturms in Augenschein zu nehmen und nach den Wegelagerern zu suchen.« Er schlug Hakonwulf lachend zwischen die Schulterblätter. Sie trabten den letzten Hang hinunter auf die Spitze des Ritterzugs zu.

Hakonwulfs Gedanken taumelten und wirbelten hilflos umher: Sein Traum, aus tausend kleinen Bildern zusammengesetzt, war Wirklichkeit geworden. Nein, hatte die Wirklichkeit übertroffen!

Wolken trieben über das Land. Auch wenn sich die Sonne hinter ihnen versteckte und graue Schatten über Hügel und den breiten Stadtgraben glitten, verlor das großartige Bild nichts von seiner Schönheit.

Die Bedeutung, die Carlisle-Camelot für Hakonwulf hatte, könnten auch schwarze Schatten nicht verringern. Er setzte den Helm auf und ging in leichten Galopp.

Vor ihm teilte sich die Spitze des Zuges. Die Ritter trabten auseinander, zogen die Schwerter und schlugen die Klingen gegen die Schilde. Hakonwulf spürte, wie das Blut aus seinem Gesicht wich; er hielt den Grauschimmel an und sah, dass ein weißhaariger, weißbärtiger Ritter auf ihn zukam, der auf der Stirn einen breiten Goldreif trug und langsam den linken Arm hob. Er straffte den Zügel und sagte: »Willkommen, Prinz Hakonwulf von Thule, in Camelot. Oder in meiner Stadt Carlisle. Du erkennst mich nicht, aber ich habe viel von dir gehört.«

»Und jedes Wort ist wahr!«, rief ein Ritter aus der Begleitung des Weißhaarigen. Hakonwulf erkannte Aarebrands Stimme.

Verwirrt stieg er aus dem Sattel, ging zögernden Schrittes zum König, berührte den linken Steigbügel und kniete in den Sand. »Mein Vater ist von unserer Insel verjagt worden, Herr König«, sagte er und wunderte sich über die Festigkeit seiner Stimme. »Wenn ich zum Ritter geschlagen werde, dann will ich mit vielen mutigen Rittern meinem Vater zu Hilfe eilen, ihn aus dem Moor holen und seine Herrschaft auf Thule zurückgewinnen. Dies ist, weswegen ich gekommen bin. Und ich bin … geehrt, dass Ihr … persönlich …« Er konnte nicht mehr weitersprechen.

»Deine Freunde haben noch viel mehr berichtet.« Der König sprach mit tiefer, hallender Stimme und bedeutete Hakonwulf, wieder aufzusitzen. »Die Herren Belangere, Aareband und Bronzefist werden für dich sprechen, wenn es an der Zeit ist. Reite nun in die Stadt und erhole dich vom schweren Kampf um das Schiff.« Er hob den Arm und wies zum Stadttor. »Heute Abend wirst du, junger Prinz, in der Burg an meiner Tafel sitzen, und wir werden dich als Held ehren. Bis dahin lebe wohl.«

Hakonwulf lenkte den Grauschimmel zur Seite und wartete, bis die Ritterschar an ihm und Pattrick vorbeigerasselt war.

Ritter Belangere löste sich aus dem Pulk und kam an Hakonwulfs Seite. »Ich geleite dich mit Pattrick zur Burg, Prinz.« Seine Augen waren feucht. »Fürwahr, du hast im Blutregen gekämpft wie zwei oder drei von uns. Und jetzt bist du am großen Ziel, von dem du so oft geträumt hast – in der Stadt und bei den Rittern, die im Heiligen Land kämpfen werden.«

Pattrick und Belangere nahmen Hakonwulf in die Mitte und ritten zur Zugbrücke. Der Staub hinter der Ritterschar senkte sich langsam.

Nach einer Weile sagte Pattrick ernst: »Du bist nun im Camelot deiner Träume, Prinz. König Arthur und Zauberer Merlin wirst du nicht treffen. Aber selbst ich habe erkannt, dass Merlins druidischer Geist noch immer in Teilen der Schöpfung weilt. Und der Legendenkönig Arthur hat die Fundamente vieler Mauern und Türme erbaut.«

Belangere sprach weiter: »Es wird vieles zu bereden sein, zu lernen und zu tun. Und zu kämpfen. Bald bist du einer von uns.«

Die Hufe der Pferde dröhnten auf den Bohlen der Zugbrücke. Sie ritten in den Schatten der uralten Tortürme. An allen Mauern entdeckte Hakonwulf breite rote Spuren, aber weder an Belangeres Rüstung noch in seinem Gesicht haftete der getrocknete Staub des Blutregens, auch nicht im Fell der Reittiere. Bald würde dieses Geschehnis Legende sein.

Hakonwulf holte tief Luft und sagte: »Freunde! Ich bin voll von Gefühl, das ich bis heute nicht kannte.« Belangere und Pattrick lächelten auffordernd. »Ich glaube, ich bin zum ersten Mal in meinem Leben richtig glücklich …« Er hob die Schultern. »Aber – verwirrt bin ich auch!«

Belangere erwiderte: »Ich glaub’s dir. Bewahre dieses Glücklichsein, so lange du kannst.« Er hob die Faust im schwarzen Handschuh. »Es werden andere Jahre kommen; bittere Jahre. Voller Armut und Schwären, voll von Kampf und Verrat in Ländern, die wir noch nicht kennen – aber jeder Ritter wird dein Freund sein und dir in einem gottgefälligen und gerechten Kampf helfen.«

Hakonwulf nickte schweigend.

Die breite Straße hinter dem Tor war voller Menschen, die ihnen zuwinkten. Camelot aus seinen Träumen und Carlisle in der Wirklichkeit verschmolzen miteinander zur Gegenwart, in der er reiten, kämpfen und auch weiterhin träumen würde. Die Heilige Stadt überragte dieses gegenwärtige Carlisle, in dem er leben und vielleicht leiden würde.

Was immer die Jahre für ihn bereithielten – er war an seinem Ziel, und er war glücklich.

 

 

HAKONWULF

VON THULE

 

 

Das Buch

In den Jahren, in denen die ganze Welt glaubte, sie würde in Feuer, Seuchen, Tod und ungeheuren Wasserfluten untergehen, in der Zeit vor dem Tausendsten Jahr nach Christi Geburt, war die Insel Thule ein Land großer Geheimnisse und Legenden. Eine Insel aus Feuer und Eis, aber auch voll grüner Weiden und stolzer Burgen, wo Ritter der Minne frönten und sich in Tjosten maßen. Die Sonne ging im Sommer niemals unter, sondern verharrte über dem Meereshorizont, als fürchte sie das salzige Wasser. In den langen Nächten des Nordens wehten und waberten riesige Flammenwälle und Feuertücher als Zeichen des nahen Weltendes vor den Sternen, größer als zwei Drittel des Himmels; rote, gelbe und eisblaue Schleier von furchtbarer Lautlosigkeit.

Prinz Hakonwulf von Thule, Thronerbe der Herrscher des sagenumwobenen Eilands, muss zusammen mit seinen Eltern nach Britannien fliehen, als ein Usurpator mithilfe der gefürchteten Nordmannen einen blutigen Aufstand führt. Prinz Hakonwulf macht sich auf die gefahrvolle Quest nach dem legendären Camelot, um vom britannischen Hochkönig zum Ritter der Tafelrunde geschlagen zu werden. Dabei begegnet er schönen Frauen, mystischen Orten, Bestien und nicht zuletzt Merlin, dem unsterblichen Magier, einstiger Freund und Berater des legendären König Artus.

 

 

Der Autor

Hanns Kneifel (1936-2012), begann seine schriftstellerische Laufbahn mit Science-Fiction, verfasste dann eine Reihe Jugendbücher, Hörspiele und Sachbücher. Er bleibt vor allem als Autor zahlreicher farbenprächtiger historischer Romane in Erinnerung.

 

 

Impressum

 

© Copyright Erben Hanns Kneifel

© Copyright 2017 der eBook-Ausgabe bei Verlag Peter Hopf, Petershagen

Alle Rechte vorbehalten

 

Cover © diter - Fotolia.com

Covergestaltung: Thomas Knip

E-Book-Konvertierung: Die Autoren-Manufaktur

 

ISBN ePub 978-3-86305-246-1

 

www.verlag-peter-hopf.de

 

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Die in diesem Roman geschilderten Ereignisse sind rein fiktiv.

Jede Ähnlichkeit mit tatsächlichen Begebenheiten, mit lebenden oder verstorbenen Personen wäre rein zufällig und unbeabsichtigt.

Der Nachdruck, auch auszugsweise, die Verarbeitung und die Verbreitung des Werkes in jedweder Form, insbesondere zu Zwecken der Vervielfältigung auf fotomechanischem, digitalem oder sonstigem Weg, sowie die Nutzung im Internet dürfen nur mit schriftlicher Genehmigung des Verlages erfolgen.

 

 

Inhalt

 

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

 

 

HANNS KNEIFEL

Hakonwulf von Thule

 

Roman

 

 

Prolog

 

Herr Kaye, der grauhaarige Verwalter des Hochkönigs, füllte die Becher. Bräunlicher Bierschaum floss über die Ränder und zeichnete Ringe auf das weiße Holz der Tischplatte. Bruder Bjardni hob den Holzbecher und sagte leise:

»Habt Dank, Herr Kaye. Ja, ich kenne Thule recht gut. Ich war drei Jahre dort, bis die Nordmannen das Kloster überfielen und niederbrannten.«

»Berichte mir, was du über Thule weißt, Bjardni.«

»Es ist eine wundersame, schöne Insel, fern im endlosen Nordmeer, das voll treibenden Eises ist, und in dem ungeheuerliche Fischbestien wüten«, sagte der alte Mönch und nahm einen kräftigen Zug. »Sie besteht aus Eis, Flammen, Rauch, Dampf und Wäldern, aber jeder, der sie im Inneren kennt, sagt, sie sei ein Paradies …«

»Ein Paradies aus Eis, Feuer und Rauch?«

Bruder Bjardnis Bericht, mit ruhiger Stimme vorgetragen, war von einer gewissen Weitschweifigkeit geprägt, die mit bildhafter Genauigkeit einherging. Es schien Kaye, als habe Bjardni jede wunderliche Einzelheit selbst gesehen und erlebt:

In den Jahren, in denen die ganze Welt glaubte, sie würde in Feuer, Seuchen, Tod und ungeheuren Wasserfluten untergehen, in der Zeit vor dem Tausendsten Jahr nach Christi Geburt, bot auch die Insel Thule dem einsamen Meeresfahrer einen erschreckenden Anblick. Jeder, der sich zu Schiff näherte, sah zuerst gegen Norden hin einen hohen Berg im Ozean, mit Nebelwolken um den Gipfel, der Flammen und Feuersäulen gen Himmel spie, wenn sich die brodelnden Wolken teilten. Wenn der Wind die Schiffe durch einen Wirrwarr von Klippen und Vorinselchen näher trieb, wurden die Nächte so hell, dass die Meeresfahrer selbst nachts die Läuse aus ihren salzstarren Gewändern klauben konnten. Diejenigen, die wahrhaftig die Insel umsegelt und dennoch überlebt hatten, haben berichtet, dass sie im Auge des Seeadlers aussähe wie eine Hand mit rundherum mehr als fünfzehn Fingern oder wie ein vielgliedriges Wesen aus dem unergründlich tiefen Meer, das man manchmal zwischen Tang und Algen von seltsamem Aussehen und glühenden Farben an ihren Stränden fand. Jeden Sommer geschah das gleiche Wunder: Die Sonne ging niemals unter, sondern verharrte über dem Meereshorizont, als fürchte sie das salzige Wasser. In den langen Nächten des Nordens wehten und waberten riesige Flammenwälle und Feuertücher als Zeichen des nahen Weltendes vor den Sternen, größer als zwei Drittel des Himmels; rote, gelbe und eisblaue Schleier von furchtbarer Lautlosigkeit.

Ein Eiland aus Eis, Flammen und Feuer; die Insel Thila oder Thule schien gleichermaßen das schauerliche Beispiel für den erwarteten Weltuntergang und das Land der Rettung zu sein: Hier würden jene, die ein göttliches Zeichen trugen, Armageddon oder die Apokalypse oder das Jüngste Gericht überleben. Die Boote furchtloser irischer Mönche, zerbrechliche, verknotete und vernähte Nachen aus Ruten und Ästen, Leder und Fellen, näherten sich bisweilen der Insel aus Eisfeldern, Felsabstürzen und schroffen Klippen; die Insassen waren sicher, dem Weltuntergang nicht entflohen zu sein, sondern ihm entgegenzusegeln. Die Flut warf sie an Land, die Ebbe enthüllte weite Strände aus dunklem Sand. Nur der Reichtum an Vögeln bewies, dass die Besucher kein totes Land betraten. Gänse, Kormorane, Tauchervögel und Möwen, Schnee-Eulen, Lummen und Enten, Schneehühner und Kolkraben umflatterten die schroffen Küsten aus mörderischen Felsabstürzen und die Bäume der Birkenwälder, die im Windschutz der Felsen rauschten.

Im Nordosten aber, nachdem tausend Ellen hohe Bergflanken überklettert oder die Wege entlang der Bäche in den Tälern überwunden waren, im versteckten Inneren des Landes, breitete sich ein großes Tal aus, eine gewaltige Senke fetten, schwarzen, fruchtbaren Landes, geschützt durch Berge mit eisbedeckten Flanken. Das Sonnenlicht, das die Eismassen widerspiegelten, brannte so stark, dass es den Schnee im Tal schmolz; zwischen den Flammen aus Erdspalten huschten Salamander umher, flink und feurig, die nie zu Knochenasche verbrannten. Auf einer Landzunge, die sich plötzlich in einer großen Bucht zeigte, fanden sich ein Fischerdorf und ein kleiner Hafen, der Einzige Thules, wie es schien. Viele Bewohner waren seither getaufte Christen und lebten mit jenen, die noch die alten Götter anbeteten, in friedlichem Beieinander. Man jagte Rotwild, aber keine Rentiere; obwohl die Insel so weit von allen bewohnten Landen entfernt lag, heulten nachts Wölfe in den Wäldern. Elche und Schlangen suchte man vergebens; einst hatte es schwarze Bären gegeben, von denen die Bauern nur die zerbrochenen Skelette kannten. Die Mönche des verwüsteten Klosters hatten in Thule Pflanzen, Wurzeln und Pilze gefunden, die es in keinem anderen Land gab, auch vermochte niemand die Runen zu lesen oder die Gestalten zu enträtseln, die an vielen Stellen in Felswände, Findlinge und aufrecht stehende Donnerkeile aus Granit gemeißelt waren. Sie schienen aus der Zeit vor der Schöpfung zu stammen. Fische, im eisigen Winter gefangen, warf man auf das Land; sie erstarrten zu Stein und schwammen zuckend davon, wenn der Schnee das erste Mal schmolz. Mitten im Sommer, der kälter war als an anderen Orten der Welt, fuhren Schneestürme über das fruchtbare Land dahin. Eine kleine Burg aus hellem Stein und schwarzen Eichenbalken, Myngrifon, krönte einen bewaldeten Hügel, um dessen Fuß sich ringförmig ein sauberes Großdorf schmiegte, umgeben von Äckern, Weiden und Feldern; ein friedliches Bild bescheidenen Reichtums inmitten einer Landschaft aus Geysiren, Eis und Geröll, unter einem strahlenden, blauen Himmel voller schneeweißer Wolken. Wo an den unregelmäßig ausufernden Grenzen des Tales dichte Wälder an den Bergen hinaufwucherten, endete das kleine Königreich von Thule.

»Einmal haben die Nordmänner den Weg zur Burg Myngrifon gefunden, trotz der gefährlichen Meeresungeheuer«, sagte Bruder Bjardni. »Der König – ich weiß nicht, wer heute über Thule herrscht, Herr –, und seine wenigen Ritter haben die Schiffsleute zurückgeschlagen. Aber da waren die Mönche schon dahingeschlachtet, alles Silber gestohlen, ein Dutzend junge, schöne Frauen geraubt, und das kleine Kloster stand in Flammen. So war es in der Chronik zu lesen.«

Die wenigen Aufzeichnungen sprachen von Meeresungeheuern, so groß wie Inseln, auf deren Rücken Schiffe strandeten, und von Bergen aus weißem Eis, auf die sich der Himmel stützte, von riesigen Schollen, auf denen sich Seehunde und große Bären mit zotteligem, weißem Fell tummelten. Die Menschen Thules, schrieben die Mönche, redeten in einer Sprache, die dem alten Cymru-Walisischen oder dem Piktischen ähnelte, aber da seit dem Vordringen der Sachsen, Angeln und Jüten auf der Insel Britannien viele Ritter samt Waffen, Knappen und Pferden, aber auch etliche Prediger und Mönche nach Thule geflohen waren, verstanden und redeten dort viele Menschen die Sprache der Britannier; manche vermochten sie auch zu schreiben, ebenso wie ein wenig Latein.

»Mir haben die frommen Brüder gesagt, dass Thule so fern von unserer Welt liegt, dass der Untergang der Welt sie nicht verschlingen wird.« Bruder Bjardni leerte den Becher und seufzte. »Der Herr möge sie verschonen – aber warum sollte er dies tun?«

Kaye lächelte verschlossen. »Die Wege des Herrn sind unerforschlich, sagst selbst du.«

Bjarni sah zu, wie ein Falke einen Taubenschwarm über der Biegung des aufgestauten Flusses jagte. Wieder füllte Kaye die Becher. Sein Blick glitt über die Brüstung des Sitzplatzes hinweg, zwischen den Baumkronen hindurch in den Hof der Stadtburg. Knechte und Ritter sattelten die Pferde; gedämpfter Lärm erscholl herauf zum Wehrturm an der Stadtmauer Camelots.

Thule, die Insel aus Feuer und Eis, schien unsagbar weit entfernt, so, als läge sie in einer anderen Zeit.

 

 

Kapitel 1

 

Die letzten Sterne strahlten und blinkten; ihre machtvollen Bilder schienen um das Nachtgestirn zu kreisen, eines nach dem anderen. Mondlicht flackerte silbern auf dem schäumenden Kielwasser und der Heckspur im Schwarz des Nordmeers und verwandelte die Gischt in leuchtende Bänder. Das aus Eichenplanken über einem massiven Kiel gezimmerte Drachenschiff bewegte sich durch das Wasser wie ein Schwimmvogel, von dessen Gefieder das Wasser abperlte. Es hob und senkte sich im Takt der Wellen, setzte krachend und klatschend mit dem scharfen Bug auf, legte vor dem Wind bis zur Bordwand über und erreichte, obwohl durch schwere Ladung tief im Wasser liegend, hohe Schnelligkeit. Am gestrigen Tag, eine Stunde nach Mittag, hatten die sieben Nordmänner die Küste zum ersten Mal sehen können.

»Es fliegt durch die Wellen, unser Schiffchen, bei Thors glühendem Hammer!« Hrollaug Stachelfisch stemmte sich neben den festgezurrten Schilden hoch und kletterte schwankend zum Steuermann. »Könnte aber noch schneller segeln.«

Vor dem Mond, dem drei oder vier Nächte zum Vollen fehlten, zogen durchsichtige Nachtwolken vorbei. Die Bilder der großen Sterne halfen Lyjot Großzahn, den Kurs des Drachenschiffes zu halten. Vier Männer der siebenköpfigen Besatzung schliefen zwischen Bündeln und Ballen und unter dem schrägen Dach aus Seehundfellen, in speckige Decken und feuchte Mäntel gewickelt. Dag Schwarzbart packte das Seitenruder fester.

»Nicht mit dieser schweren Ladung.«

»Außerdem – wozu die Eile?« Dag spuckte nach Steuerbord. »Wir segeln nach Thule. Zu einer Insel, die kaum einer von uns kennt. Es erwartet uns keine Beute.«

Er deutete zum kühn geschwungenen Bug, der den geschnitzten Drachenkopf hoch über der rauschenden Bugwelle trug. Das offene Schiff glitt durch den Kamm der Dünung. Nicht einer der sieben Nordmänner war je diesen Kurs gesegelt; unter welchen Sternen und bei welchem Wind die östliche Küste des reichen, aber schutzlosen Königtums Thule zu erreichen war, wussten sie von Fischern und Händlern.

Dags stämmiger Körper bewegte sich mit dem Ende des Steuerruders; er würde bis zum Sonnenaufgang den Brandungseber steuern. Für ihn und die Männer der Besatzung war diese Fahrt nicht beschwerlicher als ein langer Ausritt zu Pferde.

»Odins Wölfe! Die Leute in Thule sind allesamt selbst am Elend schuld, das unsere Ladung über sie bringen wird. Friedfertige Narren!«

»Der König hat es ihnen befohlen«, knurrte Hrollaug. »Nur er und seine wenigen Ritter dürfen richtige Männerwaffen tragen. Allen anderen sind nur Messer und Dolche erlaubt. Und Äxte, für die Baumfäller.«

»Willst du mich ärgern?« Dag glich die gleitend-harten Stöße des Schiffs mit den Knien aus. »Das kann ich nicht glauben.«

»Jeder weiß das, du Dummkopf!« Ein Windstoß fuhr ins Segel, ließ den Stoff knallen und wirbelte die Reffschnüre durcheinander. »Warum, glaubst du, bringen wir dem Kerl, diesem Oberverschwörer, kostbare Waffen? Ein ganzes Schiff voll Helme, Schilde und guter Beile? Die Verschwörer werden für uns kämpfen, an unserer Stelle! Nachher dann: Sklavinnen! Ein ganzes Pfund Silber für vier weißbäuchige Christenweiber!«

Bjarni Axtklinges Hand hatte sich an einer dicken, nassen Leine festgeklammert. Er suchte an der rissigen Bordwand nach dem Knoten, der den Metschlauch hielt. »Ein junges Weib, das sich wehrt – das fehlt mir jetzt. Auf einen Schluck, Steuermann?«

»Ja. Gegen das Salzwasser.« Dag nahm einen tiefen Schluck und schlug Bjarni auf die Schulter. »Bei Odins Raben! Wenn die Verräter erst einmal gesiegt haben, wenn sie viel Gold und Silber gesammelt haben – dann werden wir sie besuchen. Und diesen Besuch werden sie nie vergessen – er wird sie teuer zu stehen kommen!«

Das Gelächter der beiden weckte einige Gestalten, die bisher in der Finsternis nicht von Gepäckstücken und Ladung zu unterscheiden gewesen waren. Über dem Kiel und zwischen den Bordwänden klirrten in Ledersäcken die Schwerter und Wurfäxte, Eisenhelme und Lanzenspitzen, in ölgetränkte Lappen eingewickelt. Fässer und Langtruhen waren ebenso wie die anderen Bündel mit dickem Tauwerk festgezurrt.

Bjarni setzte sich auf einen Stapel Schilde und lehnte sich an die Bordwand. »Thors Hammer! Meinst du, dass es dann im Sommer einen schönen Kampf gibt, in Thule?«

Dag lachte. »Du fragst, ob wir wieder richtig stürmen, plündern und totschlagen? Und Brände in Strohdächer schleudern? Es wird sein wie in alten Zeiten!«

»Im heißen Kampf, mit Schilden und Wurfäxten, und mit unseren Schreien, die ihnen das Blut stocken lassen.«

Es war eine Sache, dachte Bjarni, an eine fremde Küste zu segeln und eine andere, Verschwörer mit Waffen zu versehen. Aber Ragnar Weißhaar, der Oberste der Nordmänner, hatte viel weiter gedacht. Bjarni betrachtete die muskelstarrende Gestalt des Anführers mit dem langen, schlohweißen Haar und dem geflochtenen Bart, der inmitten der Mannschaft schlief; einer der besten und wildesten Schiffskrieger König Olaf Trygvessons. Bis der König von Thule erst einmal tot oder von seiner Burg Myngrifon vertrieben wäre, zusammen mit seiner Familie und den Getreuen, wartete der Jarl geduldig und würde anschließend den neuen König überfallen, der nach dem Kampf geschwächt sein würde.

»Kein Kampf morgen oder übermorgen.« Dags feuchtes rotes Haar wirbelte im Wind von achtern. Gischtspritzer flogen über die ganze Länge des Schiffes. »Wir sind nur die Bringer der Waffen.«

»Schade.« Bjarni gähnte und nahm noch einen Schluck aus dem Metschlauch. »Brauchst du mich? Oder kann ich weiterschlafen?«

»Schnarch ruhig weiter. Bis zum Sonnenaufgang.«

Weit hinter den steinernen Flanken des weißen Insellandes strahlte gleißender Sonnenschein die Nachtwolken an. In mächtigen Flächen aus Eis und Schnee spiegelte sich Hels Gestirn, die sengende Sommersonne. Ragnar Weißhaar gähnte und schabte mit der flachen Hand weiße Salzkristalle von Stirn und Nacken. »Heute soll das Treffen sein. Drei Tage vor Vollmond.«

»Glaubst du, was uns Dundhas geschworen hat? Traust du ihm?«, fragte Dag. »Einem Kerl, der noch niemals nass geworden ist?«

»Ja. Aber nicht deshalb, weil ich seinem Schwur glaube. Alle Verräter sind meineidig.« Von Steuerbord rauschte eine gischtgekrönte Welle heran und ließ das Schiff schwanken.

»Aber – warum glaubst du ihm, Jarl?«

Ragnar zog die Schultern hoch und wischte Salzwasser aus dem Bart. »Weil er viel mehr gewinnen kann als jeder, und mehr verlieren: Das Leben. Er will die Macht! Wir sind bescheiden, wollen nur Silber und Gold, Sklavinnen und alles, was für uns einen Wert hat. Vielleicht einen guten Hafen für unsere Schiffe. Er tut alles dafür, dass er bald dort hockt, wo heute ein anderer thront.«

Hrollaug lachte knarrend. »Jetzt glaub ich ihm auch.«

»Beim grimmen Odin!« Ragnar schüttelte sich, als ein Brecher von Backbord über das Heck fegte und die schlafenden Männer durchnässte. »Wie gut, dass kein Eis mehr in den Wellen treibt. Wo ist die verdammte Bucht?«

»Vor dem Bug, wo nachts Licht und am Tag schwarzer Rauch ist. Wir segeln an der richtigen Küste.«

Die ersten Sonnenstrahlen zuckten über die Wellen. Die senkrechten Abstürze der Küste schienen im goldenen Licht zu brennen. Eine Stunde lang hielt Dag das Schiff in der gleichen Entfernung von der leeren Kette schroffer Felsen. In weiten Abständen wuchsen, scheinbar aus nacktem Gestein, windverkrüppelte Bäume.

»Rauch«, rief Hrollaug heiser. »Dort! Geradeaus.«

»Dundhas. Sein Feuer.« Der Jarl grinste. »Dort wartet er auf gutes Eisen und scharfe Bronze.«

»Und ich warte auf ein trockenes Plätzchen, das nicht in den Wellen schwankt«, bemerkte Hjalti. »Und auf einen knusprigen Braten.«

»Gegen Mittag sind wir an Land.«