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© eBook: Boyens Buchverlag GmbH & Co. KG, Heide 2013

www.buecher-von-boyens.de

Ein schönes Land

Wer nach Dithmarschen kommt, findet dies Land meist schöner vor, als er es sich vorgestellt hat. Die Weite imponiert: Grüne Flächen werden unterbrochen von Feldern, Bauernhöfe ragen daraus hervor, umgeben von alten Bäumen heben sie sich wie Inseln von der Ebene ab. Schnurgerade Gräben ziehen sich bis zum Horizont hin, bis zum Meer.

Das aber ist nur die eine Seite Dithmarschens. Es gibt hier auch stille Wälder, Moore und hügelige Landschaften. Über allem steht der weite Himmel, mal blau in den verschiedenen Farbtönen, mal mit Wolkenbildern übersät. Morgens und abends spielt die Sonne beim Himmelsbild mit roten und gelben Farbtönen eine Rolle. Zur Landschaft kommt hier also auch eine abwechslungsreiche „Himmelsschaft“.

Die meisten Menschen in Dithmarschen sind dynamisch. Sie sind sich der Tradition und der freiheitlichen Gesinnung ihrer Vorväter wohl bewusst.

Eine wichtige Rolle spielt das Wasser, kein Wunder: ist Dithmarschen doch davon umgeben. Im Westen rollen die Wellen der Nordsee an. Im Osten begrenzt der Nord-Ostee-Kanal das Land. Im Norden und Süden tun das die Eider und die Elbe. Das so umschlossene Land ist nicht sehr groß, aber Raum genug gibt es hier doch. Mit Hilfe des Rades, des Pferdes, Autos oder zu Fuß lässt sich Dithmarschen in aller Ruhe erkunden. Dabei lernt der Besucher interessante Städte, Dörfer und Eigenarten des Landes kennen in Plaudereien, Anekdoten und Geschichten, wie sie in diesem Buch erzählt werden.

Das Meer – Dithmarschens Nachbar

Das Meer war ein mitbestimmender Faktor für die Geschichte Dithmarschens. Ihm wurde von den Menschen Land entrissen. Aber es holte sich gelegentlich auch welches zurück. Aus der Kampfhaltung der Menschen entsprang die Devise: „Wer nicht will deichen, muss weichen, plattdeutsch: „Keen ni will dieken, mutt wieken.“

Das Meer rannte zuweilen mit großer Macht gegen die Küste an. Da konnte es bei den Bewohnern des Landes keine Halbheiten geben. Ob arm oder reich, jeder musste zum Spaten greifen, wenn es darum ging, die Küste zu verteidigen. Jemand, der dazu nicht mehr in der Lage war, steckte den Spaten in das bisher von ihm betreute Deichstück. Er war seiner Pflichten dann ledig, verlor aber auch sein Land. Das fiel dem zu, der den Spaten herauszog.

Als den Adligen bei dieser Konstellation des Deichrechts keine Sonderrechte gewährt wurden, ihnen vielmehr sehr deutlich erklärt wurde, dass auch sie ihren Beitrag zur Deichverteidigung zu leisten hätten, verließen die „Edlen“ das Land. Es gab also keinen Adel mehr in Dithmarschen. Als Beispiel seien hier die Reventlows genannt, die später in der Geschichte Holsteins und auch Dänemarks eine Rolle spielten. Sie verließen Dithmarschen schon 1273.

Als Dithmarschen 1559 seine Selbstständigkeit verloren hatte, versuchten einige Adlige hier wieder Fuß zu fassen. Im Süden lief das eine Weile. Im Norden stellte der dortige Landesherr, der Herzog von Gottorf, ausdrücklich klar, auch Adlige müssten sich am Deichschutz beteiligen. Wer aber konnte schon einschätzen, wie die Natur sich verhielt.

Dithmarscher: Echte Kerle

Wer waren sie, diese Dithmarscher Bauern? Es ist wirklich interessant, ihren Spuren einmal nachzugehen. Es ist aber auch nicht ganz einfach, die Quellen für eine Darstellung zu finden. Bauern konnten meist nicht schreiben im Mittelalter und auch danach nicht. Sie schrieben also keine Briefe und Tagebücher. Da ist man schon angewiesen auf Aufzeichnungen von Pastoren wie Neocorus, der seine Zeit und die davor vortrefflich beobachtet und zu Papier gebracht hat. Aber er war es nicht allein. Zu berücksichtigen ist dabei auch immer, wohin der Schreiber gehörte oder tendierte. Das Leben war Kampf damals, und durch die neutrale Brille wurde selten etwas gesehen.

Eines steht fest, die Bauern Dithmarschens haben hart gearbeitet. Sie haben das Land erst zu dem gemacht, was es ist. Landleben im Mittelalter war kein idyllisches Dasein. Und doch hatten viele Landleute aus Dithmarschen es in jener Zeit zu Reichtümern gebracht. Wagemut hatten sie, mit Energie, aber auch mit Egoismus und Rücksichtslosigkeit verbunden. In den Schoß gefallen war ihnen nichts. Das waren Kerle, die Tod und Teufel nicht fürchteten. Sie reisten mit ihren Gespannen oder Schiffen in die damals bekannte Welt. Sie waren mit ihren Erzeugnissen auf den Märkten vertreten. Sie mussten sich gegen Raubgesindel an den Wegen verteidigen und mit Schläue gegenüber dem Zoll auftreten. Sie wehrten sich gegen das Stapelrecht, das die Städte sich zulegten. Sie beanspruchten das Strandrecht für sich.

Wie gesagt, urige Typen waren sie, die alten Dithmarscher. Ihren Mitmenschen gegenüber waren sie oft nicht gerade zimperlich. Waren sie überzeugt, dass dem Herrn im Himmel diese oder jene Handlung nicht gefallen hatte, gingen sie pilgern. Damit, so meinten sie, könnte auf ihrem „Konto“ wieder alles „klar Schiff“ gemacht werden. Die Pilgerfahrt war nach ihrer Meinung ein probates Mittel, sich von den Süden zu erlösen.

Lagen nur kleine Vergehen gegen die göttliche Ordnung vor, genügte eine Wallfahrt im eigenen Land, so nach Burg oder Windbergen. Wog die Schuld schwerer, durfte es auch Wilsnack im Brandenburger Land sein. Auf dem Weg dorthin wurde der Dithmarscher Seeräuber Cord Widderich allerdings 1417 gefangen und gehängt. Einen Wallfahrer zu töten, galt nach Dithmarscher Landrecht als ein schweres Delikt, das entsprechend bestraft wurde.

Aber auch von langen Anfahrtswegen nach den Wallfahrtsorten wird berichtet. Peter Swyn, einer der 48 Regenten des Landes und als „Vater des Vaterlandes“ bezeichnet, kürzte den Weg nach Santiago in Spanien zum Grab des Heiligen Jacobus durch eine Schiffsreise ins Baskenland ab. Nur das letzte Ende der Reise soll er zu Fuß zurückgelegt haben. Swyn hatte sich wegen einer Verfehlung, die ihn belastete, bereits 1516 bei einer Wallfahrt nach Burg durch Kauf eines Ablassbriefes Dispenz verschafft. Sie erschien ihm aber 1522 nicht mehr als ausreichend. Also brach er nach Santiago de Compostella auf.

Eine skurrile Geschichte gibt es von der Wallfahrt Olde Peter Nannes nach Jerusalem. Er soll in Geldnöte geraten sein, aus denen ihm ein Bettler heraushalf. Eine Pilgerfahrt zum Heiligen Grab in Jerusalem berechtigte übrigens dazu, den Titel eines Jerusalemritters zu tragen.

Windbergen wurde Wallfahrtsort, als ein Bauer dort beim Pflügen ein Kruzifix fand und damit eigenartige Erlebnisse hatte.

Auch davon wird in diesem Buch berichtet, in dem es nicht darum geht, die komplette Geschichte des Landes Dithmarschen aufzuzeigen, sondern typische Ereignisse in lockerer Form zu präsentieren.

Hier geht es also nicht um ein komplettes Geschichtsbild der Zeit von 800 nach Christi Geburt bis zum Zweiten Weltkrieg. Hier wurde eine Auswahl an Geschichten aus der Geschichte zusammengestellt.

Unruhige Zeiten

Die Bekehrung zum Christentum und die Versuche der Franken und Slawen, das Land zu erobern, brachten in den Jahren von 700 bis 1000 nach Christi Geburt Unruhe nach Dithmarschen. Religion und Brauchtum erfuhren Veränderungen. Fürsten und Grafen versuchten das Land für sich zu erobern und das Leben der Bevölkerung in ihrem Sinne zu verändern. Ein Blick auf die nächsten Zeilen mag das verdeutlichen:

794      nach Christi Geburt: Die Franken dringen unter Karl dem Großen bis an die Elbe vor.
804      Feldzug der Sachsen in Nordalbingien. Dithmarschen wird erobert, ein Teil der Bevölkerung weggeführt.
811      Vorstoß der Franken bis an die Eider. Frieden mit den Dänen. Die nach Süden geführten Sachsen werden zurückgebracht.
821      Franken unter Ludwig dem Frommen führen Feldzug nördlich der Elbe durch.
996      Edikt des Bremer Erzbischofs. Verbot der Verbrennung von Toten. Erdbestattung bei den Christen eingeführt.
1032      Wenden unter Herzog Gottschalk fallen in Dithmarschen ein. Belagerung der Bökelnburg. Kann nicht eingenommen werden.

Elbmündung Anno 845
Am Weg nach Hamburg

Gegen Abend kam ein Gewitter auf. Blauschwarze Wolken zogen im Westen hoch. Sie schienen die Erde zu erdrücken. Das Wasser der Elbe nahm ein leichtes Zittern auf der vorher stillen Oberfläche an. Der Wind nahm zu. Schließlich warfen die Wellen weißen Schaum ans Ufer. Grollender Donner folgte den Blitzen, die ein Inferno auslösten. Hagelschauer prasselten herab. Regen rauschte nieder, als wolle er die Landschaft erbarmungslos ertränken.

So plötzlich, wie das Gewitter aufgetaucht war, verschwand es auch wieder. Rohde, ein Mann, der in einer der sechs Hütten am Elbufer wohnte, kam unter einem Busch hervor, unter den er sich verkrochen hatte. Er war völlig durchnässt, beschloss aber trotzdem, nach seinen Fischreusen zu sehen, die er im Fluss ausgelegt hatte. Plötzlich hörte er Stimmen. Er schaute vorsichtig und erschrak. Er sah zwei blonde Männer, die Helme und lange Schwerter trugen. Das mussten Wikinger sein, Nordmänner, die Orte an der Küste ausraubten. Sie tauchten meist plötzlich an der Küste auf, verbreiteten Mord und Raub und verschwanden dann schnell wieder. Rohde beobachtete weiter. Am Schilfrand saß ein Schiff fest mit blutroten, zerfetzten Segeln. Offenbar hatte der Gewittersturm es ans Ufer geworfen. Als Rohde sah, dass ein Drachenkopf den Bug des Schiffes zierte und überall an der Elbe dicker schwarzer Qualm aufstieg, wo es Ansiedlungen gab, wusste er, was hier geschah: Die Wikinger waren da. Was er später erfuhr, war, dass sie auf dem Weg zu einer Aktion gegen den Ort waren, der heute Hamburg heißt. Daran sollen 600 solcher Drachenboote beteiligt gewesen sein. Dithmarschen blieb diesmal verschont. Die Bewohner der kleinen Siedlung an der Elbmündung waren von Rohde gewarnt worden und hatten sich still verhalten. Als sie am nächsten Morgen nachschauten, war das Drachenboot verschwunden.

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Um 800: Stolze Burgen findet der Besucher in Dithmarschen nicht, auch keine Ruinen davon. Der Adel wurde hier im Mittelalter nicht geduldet. Einige Wälle gibt es im Land, Reste von Fluchtburgen für die Bevölkerung. Außer den Erdwällen wiesen sie Holzbauten auf. Ein Beispiel dafür ist die Stellerburg bei Weddingstedt, von der lange im Heider Museum für Vor- und Frühgeschichte ein Modell gezeigt wurde. Im Bild das Tor.

Um 820: Wodans Racheblitz verdarb Bischof Ebo das Konzept

Um 820 nach Christi Geburt galt das Land nördlich der Elbe, soweit es von Sachsen bewohnt war, als von Heiden „gesäubert“. Karl der Große und sein Nachfolger hatten hart durchgegriffen. Der „Götzendienst“ galt als abgeschafft. Dennoch gab es in diesem Gebiet wohl noch Leute genug, die heimlich zu den Göttern der Germanen beteten, die noch nicht stark genug im neuen Glauben waren. Weshalb erschien hier sonst der Bischof von Reims Ebo 822 in Nordelbien?

Von „Cella Wellena“, einem Kloster in der Nähe von Itzehoe, das er selbst gegründet hatte, zog Ebo durch das Land von der Stör bis zu Nordseeküste. In Meldorf soll er bei Bojen Claus Quartier genommen haben. Zunächst habe der Bischof sich ziemlich still verhalten, heißt es. Dann aber wetterte er in seinen Predigten wider den heimlichen Götzendienst. Er soll viel Beifall gefunden haben.

Ebo hatte die Gabe, Menschen zu überzeugen. Durch ein besonderes Ereignis aber wurde alles, was er bis dahin erreicht hatte, wieder in Frage gestellt. Zwei Neubekehrte machten sich von Meldorf aus auf den Heimweg nach Süden. Als sie in Windbergen in der Nähe des alten Wodan-Heiligtums eine Straße entlangwanderten, zog plötzlich eine dunkle Wolke heran, aus der ein Blitz zuckte. Die beiden „Neuchristen“ wurden erschlagen.

„Das war Wodans Rache“, flüsterten die Leute sich zu, die von dem Vorfall hörten. So kam es, dass mancher am neuen Glauben zweifelte. Viele sollen wieder heimlich die alten Götter angerufen haben. Bischof Ebo verließ bald Dithmarschen und zog nach Norden, um den Dänen das Christentum zu vermitteln.

Chroniken schweigen

Von 1100 nach Christi Geburt bis 1300 ist in den Chroniken nur wenig zu lesen über Dithmarschen. Einem Grafen wurde eine blutige Rechnung präsentiert. Die Hansestädte versuchten durch Verhandlung mit den Dithmarschern, die Seefahrt an der Nordseeküste besser abzusichern. Wenn Nachbarn wie die Friesen im Norden versuchten, über die Grenze zu kommen und zu plündern, mussten sie mit Rache rechnen.

1144      Burg, Bökelnburg von den Bauern gestürmt.
1281      Verhandlungen der Hansestädte mit den Dithmarschern über mehr Schutz für Seefahrer bei Schiffbruch an der Küste.
1309      Friesen wagten einen Beutezug in Dithmarschen. Dithmarscher rächten sich fürchterlich.

Um 1000: Schlechtes Klima für Grafen

So um das Jahr 1000 nach Christi Geburt hatten die alten Dithmarscher mit Grafen, die ihnen vom Kaiser oder sonst wem vor die Nase gesetzt wurden, nicht viel im Sinn. Irgendwie müssen derartige Würdenträger ihnen unangenehm gewesen sein. Sie wollten meist Steuern und Abgaben einziehen und verlangten ihren Anteil an der Ernte, an den Forsten und am Fischfang. Meist regierten sie das Land von außen her, von Stade aus zum Beispiel. Das hatte natürlich auch seine Vorteile: Ein Graf weit weg war immer noch besser als einer direkt vor der Nase.

Für die Grafen sah das natürlich anders aus. Sie hatten ihre eigene Perspektive. Sie hätten gerne gefügige Untertanen gehabt. So dachten auch Dedo und Etheler der Blonde. Sie wollten so um die Hälfte des 11. Jahrhunderts die Dithmarscher zähmen und richtig regieren. Fehlanzeige! Beide fielen durch das Schwert, als sie in das Land nördlich der Elbe eingedrungen waren. Besonders traf es die Witwe der beiden, Ida, die erst Dedo und nach dessen Tod Etheler zum Mann hatte. Danach traute sich dann wohl zunächst keiner mehr in das Gebiet der Dithmarscher, jedenfalls keiner, der dort Graf sein wollte.

Als dann Rudolf II. von Stade Lust dazu verspürte, gab es 1144 die durch eine Sage überlieferte Pleite in der Bökelnburg. Rudolf kam wohl hinein ins Land, aber nicht wieder hinaus.

Nun haben Sagen ja wohl immer einen Kern an Wahrheit. Bei Rudolf war es wohl so, dass er harte Forderungen gestellt hatte. So konnte man als Graf natürlich nicht mit den Bauern umgehen. Sie gerieten in Wut und mit wütenden Dithmarschern war nicht gut Kirschen essen, das sollten auch später noch einige Herren erfahren. Die Bauern ließen sich und ihre Waffen in Säcke verpacken, statt Korn. Auf der Bökelnburg angekommen, schlitzten die Sackinsassen ihre enge Umhüllung auf und fielen über die Besatzung her. Alle kamen dabei um, auch der Graf, der sich versteckt hatte. Angeblich soll auch eine Gräfin Walburga den Tod gefunden haben. Und hier taucht nun eine Frage auf, eine pikante noch dazu. Wieso starb hier eine Gräfin Walburga? Die Rudolf angetraute Ehegattin hieß laut Stammbaum Elisabeth. Das bringt doch so einen Grafen gleich in Verdacht. Wenn Elisabeth, die echte Gemahlin, in Stade saß, wer war denn dann Walburga? Ach, lassen wir das. Aufzuklären ist da doch wohl nichts mehr.

1160: Bischof trieb den „Teufel“ aus

Im Gefolge des Erzbischofs Hartwig I. von Bremen, der von 1148 bis 1168 im Amt und zugleich Landesherr von Dithmarschen war, kam Bischof Evermod nach Meldorf und hielt im Dom einen Gottesdienst. Dazu war auch ein Mann erschienen, der zu den vornehmsten des Landes gehörte. Er suchte Befreiung von einer Blutschuld, die er auf sich geladen hatte.

Als Evermod einen Verwandten des Getöteten bat, dem Täter zu verzeihen und auf die Blutrache zu verzichten, blieb der Angesprochene hart. Evermod war in seiner Predigt besonders auf den Passus „Und vergib uns unsere Schuld“ eingegangen: Umsonst.

Der Bischof stieg vom Altar nieder und warf sich dem Trotzigen zu Füßen, um seinen Worten Nachdruck zu verleihen. Auch diesmal blieb der Angesprochene hart. Er schwor sogar, bei Gott und allen Heiligen, dem „Mörder“ niemals zu verzeihen.

Darauf erhob sich der Bischof und gab ihm eine kräftige „Maulschelle“. Das wirkte. Das war offenbar die Sprache, die ein Dithmarscher verstand. Der Mann verpflichtete sich nun doch, dem Totschläger zu verzeihen.

Im Volk verbreitete sich die Nachricht von den Vorgängen im Dom schnell. Dabei war die Lesart dann aber so: dem Mann sei mit dem Schlag ins Gesicht der Teufel ausgetrieben worden, von dem er schon lange besessen gewesen sei.

1187: Auf alle Fälle Petrus

Das Verhältnis zum Bremer Erzbischof gab immer wieder Anlass zu Diskussionen in Dithmarschen. Als Erzbischof Hartwig im Jahr 1187 finanziell ziemlich in Bedrängnis geriet, forderte er Geld von den Dithmarschern. Die allerdings weigerten sich zu zahlen. Hartwig drohte mit Krieg und bat seine holsteinischen Verbündeten, ins Land der Bauern einzufallen. Das geschah. Nach einigen Kampfhandlungen gaben die Dithmarscher schließlich nach und unterschrieben, dass sie zu einem bestimmten Termin die geforderte Summe zahlen würden.

Kaum waren die Hilfsvölker des Erzbischofs abgezogen, tauchten Boten auf mit leeren Säcken, in die das Geld der Dithmarscher geschaufelt und nach Bremen transportiert werden sollte. Inzwischen hatte man in Dithmarschen erfahren, dass die Holsteiner nicht noch einmal für den Erzbischof in den Krieg ziehen würden. Da hatte wohl etwas mit der Löhnung nicht geklappt. Die wollte der Erzbischof erst aushändigen, wenn zuvor die Dithmarscher gezahlt hatten.

Die Dithmarscher erklärten nun, sie würden sich einen neuen Schutzherrn suchen. In Aussicht genommen hatten sie den Bischof Nikolaus von Schleswig. Der sei ein reicher Mann und fordere wenig Abgaben, hieß es. Zudem könnten sie dem Heiligen Petrus weiter dienen, denn auch der Schleswiger Dom sei, genau wie der in Bremen, diesem Patron gewidmet und geweiht.

Die Verbindung zu Bremen ging tatsächlich zu Bruch. Sie wurde aber nach der Schlacht von Bornhöved wiederhergestellt. Der Bremer wurde wieder Herr des Landes, jedoch nur so, wie die Dithmarscher es verstanden und wollten.

Ab 1200: Pilger gingen auf Bußfahrt

Pilgerfahrten wurden im Mittelalter als ein besonderer Ausdruck von Frömmigkeit gewertet. Sie waren eine persönliche Form, für sich selbst etwas zu erreichen, sei es die Heilung von Krankheiten oder die Vergebung von Sünden. An den Orten, zu denen gepilgert wurde, wurden Gnadenbilder angebetet, meist sollte es dort Wundererscheinungen gegeben haben.

Die Pilgerfahrten wurden durch persönliche Entscheidungen oder Erlebnisse ausgelöst, wie zum Beispiel Gelübde. Es gab aber auch obrigkeitliche Entscheidungen, die zu Pilgerfahrten verpflichteten.

Der Pilger zeichnete sich durch besondere Tracht aus und trug meist ein Pilgerzeichen. Das hatte seinen Grund, der Träger genoss besonderen Schutz. Pilgerzeichen, die von erfolgreicher Buße zeugten und am Wallfahrtsort erworben wurden, waren zugleich Grabbeigaben, die zuweilen heute noch gefunden werden. Besonders bei Ausgrabungen in Städten werden solche „Andenken“, die es in den verschiedensten Formen gab, entdeckt.

Auch andere Funde deuten auf Pilgerfahrten hin, z.B. Ampullen, in denen einst heiliges Öl aufbewahrt wurde. Viele Pilger brachten solche „Gnadenmittel“ in die Heimat mit.

Der älteste Dithmarscher Wallfahrtsort ist wohl Burg. Der Sage nach hat hier Dompropst Hartwig von Bremen eine Sühnekapelle erbauen lassen zum Andenken an den 1144 in der Bökelnburg erschlagenen Graf Rudolf II. Die Vorgänge damals lassen sich kaum noch rekonstruieren. So wie die Sage sie schildert, waren sie sicher nicht. Die Kirche in Burg soll eine Reliquie besessen haben, der zu damaliger Zeit große Bedeutung zukam. Es soll sich um den Schädel des Apostels Petrus gehandelt haben. Wie viele Schädel von diesem wichtigen Kirchenmann zu jener Zeit in aller Welt angebetet wurden, ist wohl kaum zu ermitteln. Das aber tat denjenigen keinen Abbruch, die nach Burg pilgerten. Sie erhofften sich die Vergebung ihrer Sünden oder die Heilung von ihren Leiden.

Kleinere Sünder gaben sich wohl mit einer Wallfahrt nach Burg oder Windbergen zufrieden. Was unter kleineren Sünden zu verstehen ist, mag dahinstehen.

1300: „Schipp opp Strand“

„Unsere Einkünfte gehen zurück“, klagten die Dithmarscher, besonders die vom Süden im 12. und 13. Jahrhundert, wenn nicht mehr soviel Schiffe strandeten. „Herr, segne unseren Strand“, soll damals ein Standardgebet gewesen sein. Wenn dann danach der Ruf erklang: „Schipp opp Strand“, dann wussten die Dithmarscher: „Unsere Gebete wurden erhört.“

Dithmarschens Küste war damals anders als heute. Sie hatte viele Landvorsprünge, wies zahlreiche Untiefen auf, aber wenig markante Punkte. Da war es leicht möglich, dass Seefahrer sich verirrten, am Strand mit dem Schiff aufliefen, das dann geplündert wurde.

Die Dithmarscher empfanden das als legal, die Hamburger als Strandräuberei. Um das Übel anzupacken, konnte ein Krieg als das rechte Mittel scheinen. Der Hamburger Senat aber fand ein anderes Mittel. Er schickte eine Abordnung nach Meldorf, dem damaligen Hauptort Dithmarschens. Der Schutz ihrer Schiffe an Dithmarschens Küsten wurde ihnen dort am 7. Mai 1281 zugesichert. Sollte es trotzdem Überfälle geben an den Küsten Dithmarschens, an Elbe und Eider, verpflichteten die Kirchspiele sich, dem Kläger in Seenotsachen Genugtuung zu verschaffen. Sie wollten für Gerechtigkeit und Schadensersatz sorgen. War das Kirchspiel dazu allein nicht in der Lage, sollte das Land mit Waffengewalt die Einhaltung des Vertrages mit Hamburg sichern.

Nun kehrte natürlich nicht schlagartig Ruhe am Strand ein. Die Bekanntmachung einer solchen Vereinbarung war langläufig. Bis ins 15. Jahrhundert hinein gab es immer wieder Klagen über Strandraub. Sicher wurde allerdings der Ruf „Schipp opp Strand“ nicht mehr so laut geschrieen, vielleicht nur noch flüsternd von Mann zu Mann weitergegeben.

1309: Friesen raubten sieben Frauen

Friesen und Dithmarscher lebten nicht immer gerade freundschaftlich zusammen. Wenn die Dithmarscher irgendwo außerhalb des Landes mit Kriegszügen beschäftigt waren, sahen die Friesen „ihre Stunde“ gekommen. Das war denn auch 1309 der Fall. Sie setzten über die Eider nach Süden in das von Männern verlassene Dithmarschen, räuberten herum und nahmen, als sie wieder abzogen, so im „Vorbeigehen“ noch sieben Frauen mit.

Frauen waren für die Dithmarscher wichtig. Woher sollte die nächste kampfstarke Generation Männer kommen, wenn es an Frauen fehlte?

Die sieben Männer, deren Frauen unfreiwillig mit über die Eider mussten, verlangten energisch nach einer Aktion. Vielleicht darf man daraus schließen, dass die von den Friesen in der Tönninger Kirche „aufbewahrten“ Dithmarscherinnen wohl doch nicht ohne Liebreiz waren. Also setzten diesmal die Dithmarscher über die Eider, in umgekehrter Richtung natürlich. Jeder, der ihnen entgegentrat, wurde erschlagen, jedes Haus in Brand gesteckt. Eine Spur von Blut und Asche zog sich nach Tönning hin. Es gelang, die sieben Frauen zu befreien.

Fünf friesische Männer mussten als Geiseln den Weg nach Dithmarschen antreten. Auch sie wurden in eine Kirche gesperrt, in die von Weddingstedt.

1317: Dithmarscher Abmarsch

„Nein, Herr Bürgermeister, die Kerle werden immer dreister.“ Der Kieler Stadtvogt schien recht aufgeregt. Mit hochrotem Gesicht stand er vor dem Stadtoberhaupt. „Vogt, das reimt sich ja sogar“, schmunzelte sein Vorgesetzter. „Aber sie haben recht. Nur, was ist da zu tun. Graf Johann und auch wir waren den Dithmarschern doch dankbar, dass sie uns aus der Patsche halfen und den Grafen Gerd am 29. August 1317 eine Schlappe beibrachten, damit dieser das Rauben und Morden einstellte. Wir wollen doch nicht unhöflich sein und die Männer einfach hinauswerfen. Ich glaube, das wäre uns auch nicht gut bekommen.“

„Herr, sie fressen und saufen in einer Art, mit der wir uns nicht messen können. Und mit Frauen sind sie auch nicht gerade wählerisch. Was muss das für ein Land sein an der Nordsee, in dem solche Menschen wohnen“, gab der Vogt, der sich schon etwas beruhigt hatte, zu bedenken.

Der Bürgermeister spielte mit der goldenen Kette, die er um den Hals trug. „Wie wäre es mit einer List?“ fügte er dann hinzu. „Eine List, ich verstehe nicht“, gab der Vogt zu und strich sich den Bart. „Eine List?“ wiederholte er noch einmal. Der Bürgermeister meldete sich wieder zu Wort: „Gut geht es ihnen doch offenbar. Wie wäre es, wenn wir ihnen etwas noch Besseres anböten.“ „Noch Besseres“, murmelte der Vogt, der nun offenbar überhaupt nichts mehr verstand.

„Hören Sie“ begann der Bürgermeister wieder. Und was er dann von sich gab, das sollte die Männer vom Nordseestrand zunächst in helle Freude versetzen, später aber in kalte Wut.

Die Aufforderung, die dann in der Stadt die Runde machte, jagte auch den müdesten und trunkensten Dithmarscher vom Lager hoch. „Wir feiern ein Fest auf dem Kuhberg vor der Stadt“, hieß es. Na, wenn das nichts war. Alles sei schon vorbereitet, wurde den Dithmarschern gesagt, und selbstverständlich sei ihnen, als den Gästen, beim Umzug aus der Stadt hinaus der Vortritt sicher. Sie sollten voranmarschieren. So wurde denn auch verfahren. Die Dithmarscher traten unter Waffen, ohne die ging es bei ihnen nicht. Auch die Kieler versammelten sich, und los ging es. Aber als alle Dithmarscher das Tor passiert hatten, wurde es hinter ihnen geschlossen. Auf der Mauer erschienen Bewaffnete, die den Verblüfften zuriefen: „Dithmarscher, geht heim!“

Das taten die dann auch, allerdings nicht mehr im Festrausch, sondern erheblich verärgert und mit viel Wut im Bauch. Es soll aber auch Tränen gegeben haben innerhalb der Kieler Stadtmauern. Auf einige Mädchen in der Stadt „Thom Kile“ hatten die Dithmarscher doch wohl Eindruck gemacht und nicht nur das.

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„Ein Schiff wird kommen“, das jedenfalls hofften die Bewohner des Dithmarscher Süderstrandes im 11. und 12.