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© eBook: Boyens Buchverlag GmbH & Co. KG, Heide 2013

© Printausgabe: Boyens Buchverlag GmbH & Co. KG,
Heide 2008

Alle Rechte vorbehalten.

Datenkonvertierung: CPI – Clausen & Bosse, Leck

ISBN eBook: 978-3-8042-3025-5

ISBN Printausgabe: 978-3-8042-1265-7

 

www.buecher-von-boyens.de

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I
Einführung: Storm, ein politisch
 „unpolitisches Tier“ 

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Siegel des jungen Rechtsanwalts Hans Theodor Woldsen Storm um 1849 (HTWS)

 (Foto: STA Husum) 

Dass Theodor Storm, der Dichter, ein politischer Mensch gewesen ist, der im öffentlichern Raum gewirkt und sich politisch engagiert hat, das ist lange Zeit wenig beachtet worden und vielen seiner Leser nicht bewusst gewesen. Thomas Mann freilich hat schon 1918 in den „Betrachtungen eines Unpolitischen“ Storm einen „großen Bürger“, einen „Demokraten“ und „Politiker“ genannt, der um „politischer Dinge willen“ „tätig-trotzigen Widerstand“ geleistet hat1.

Tatsächlich hat sich Storm – wie nähere Untersuchungen zeigen – zeit seines Lebens für politische und soziale Fragen engagiert. Zwar hat er selbst sich als einen „wenig politischen Menschen“2 und ein „eigentlich unpolitisches Thier“3 bezeichnet, aber damit wollte er nur darauf aufmerksam machen, dass die Dichtung, nicht die Politik sein ureigenstes Metier sei. Wenn es nottat, hat er sich politisch engagiert, sich dabei mitunter sogar so weit exponiert, dass er sich nicht scheute, öffentlich aufzutreten, z.B. als Sekretär des patriotischen Hülfsvereins, als Korrespondent der Schleswig-Holsteinischen Zeitung oder als Mitverfasser und Unterzeichner offizieller Petitionen. Auch als Dichter hat er oft genug in politische Auseinandersetzungen eingegriffen. Zwar ist Storm nicht auf die Straße gegangen (um zu demonstrieren) und er ist nicht auf die Barrikaden geklettert, um seine politischen Vorstellungen durchzusetzen, aber er hat doch immer wieder mit dem Wort ins politische Geschehen eingegriffen. Insofern war er sein Leben lang ein „homo politicus“, ein politischer Mensch. Seine Liebe allerdings gehörte der Dichtung. Das hat er bildhaft einmal in Versen zum Ausdruck gebracht (I 85):

 

Wir können auch die Trompete blasen

Und schmettern weithin durch das Land;

Doch schreiten wir lieber an Maientagen,

Wenn die Primeln blühn und die Drosseln schlagen,

Still sinnend an des Baches Rand.

 

Mit seiner Dichtung und außerhalb der Dichtung hat Storm immer wieder in den „überall unausbleiblichen Kampf zwischen der alten und neuen Zeit“ (an die Eltern 21.12.1863) eingegriffen und sich gegen die veralteten Strukturen ausgesprochen. Ja, er hat als seinen „heißesten Lebenswunsch“ bezeichnet, in diesem Kampf als „Tyrtäus“4 „der Demokratie“ mitwirken zu können (an Brinkmann 18.1.1864).

Allerdings ging es Storm dabei nie um die Politik an sich, sondern darum, menschlichere, nicht auf Vorrechten, Vorurteilen und Klassenbewusstsein gegründete Verhältnisse zu befördern. Der Soziologe Ferdinand Tönnies, ein junger Freund des Dichters, bestätigte dies5: „Er <Storm> hat eingehend mit mir über Demokratie und über Sozialismus gesprochen, und zwar mit der Sympathie eines Menschenfreundes, der kein Politiker sein wollte.“

Tatsächlich zeigen Storms politisches Engagement und seine Dichtung in allen Lebensabschnitten, dass Storm, um es mit Tönnies’ Worten auszudrücken, ein „Demokrat“ war, aber „mehr im ethischen als im politischen Sinn“6. Ihm ging es – in seiner Dichtung und in seinem politischen Engagement – in erster Linie um den Menschen, um dessen Freiheit und Selbstbestimmung.

II
Storm als Bürger des dänischen Gesamtstaates
 (1817–1853) 

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Theodor Storm (1852). Nach einer Daguerreotypie
Rechtsanwalt

 (Foto: STA Husum) 

Theodor Storm, der 1817 in Husum geborene Sohn des Rechtsanwalts Johann Casimir Storm und dessen Ehefrau Lucie, der Tochter des Husumer Kaufmanns und Senators Simon Woldsen, war von Geburt ein Bürger des dänischen Gesamtstaates. Der Vater hatte – wie der Sohn später1 – seine Bestallung vom dänischen König erhalten und war 1840 von diesem zum „Ritter vom Danebrog“ ernannt worden2.

Der dänische Gesamtstaat war ein Nationalitätenstaat mit einem König an der Spitze. Der Staat umfasste seit 1815 außer dem Königreich Dänemark die Herzogtümer Schleswig, Holstein und Lauenburg sowie als Kolonien die Faröer, Island und Grönland sowie drei kleine Inseln in der Karibik und Handelsniederlassungen an den Küsten des Indischen Ozeans. Dieser von einem Monarchen regierte Staat zeichnete sich durch einen aufgeklärten Absolutismus aus, der nicht despotisch „von oben“ herrschte, sondern friedlichen Ausgleich suchte und Reformen gegenüber nicht abgeneigt war3. So kann man die Zeit zwischen dem Ende der napoleonischen und dem Beginn der schleswig-holsteinischen Kriege, also die Zeit zwischen 1815 (Waterloo) und 1848, als eine „goldene“ Zeit („guldalder“) bezeichnen4. Storm beschreibt diese Zeit in seinen späten autobiographischen Aufzeichnungen, also rückblickend, so (IV, 436):

„… es war in der langen Friedenszeit nach Napoleons Sturz. Die Fürsten und ihre Minister regierten wieder; die in der Not versprochenen Verfassungen wurden nicht gegeben; wie aus blauem Himmel fiel dann und wann den Leuten eine Verordnung oder ein Reskript auf den Kopf; doch wurde es bei uns wohl mäßig damit gehalten. Derweile saßen die klugen Leute am Sonntag nach der Kirche im Weinhaus, kannegießerten eine Weile und gingen dann zum Sonntagsbraten. Es war eine praktisch unpolitische Zeit; die französische Revolution und das Kaiserreich nahmen auf Jahrzehnte die Gedanken der Menschen in Anspruch; aber meistenteils nur als Vergangenheit, wie eine ungeheuere Tragödie.“

In diese Zeit ist der junge Storm hineingeboren, und an diese Zeit dachte er, wenn er sich in Potsdam und Heiligenstadt nach Schleswig-Holstein zurücksehnte. Auch Storms Schulzeit (1826–1835) ist weitgehend eine friedvolle und unpolitische Zeit. Kennzeichnend ist es, dass ein Lehrer seiner Schule die Husumer „Bewohner eines glücklichen Dänischen Staates“ nennen konnte.5 Trotzdem ist aus Storms ersten lyrischen Versuchen am Ende seiner Husumer Schulzeit (um 1835)6 ein Interesse für politische Zusammenhänge zu erkennen. Die Themen Freiheit, Unfreiheit und Tyrannei haben ihn schon früh interessiert. In den Versen „Freiheitsjubel“ kommt in spöttisch lockerer Form zum Ausdruck, ein wie hohes und schwer zu erringendes Gut die Freiheit ist; gleichzeitig wird deutlich, dass die Hoffnung der Freiheitskriege (s.o. : „die in der Not versprochenen Verfassungen“) nicht in Erfüllung gegangen sind (I, 146):

 

Freiheitsjubel

 

Laßt uns die Eiche der Freiheit erklimmen,

Baut ihren Tempel in strahlender Pracht.

Lasset den Funken der Gottheit erglimmen,

Rüstet euch eilig zur donnernden Schlacht!

Triumph und Sieg, unser Wunsch ist erfüllt,

Wir haben die Freiheit – ein Nebelgebild.

 

Freiheit und Tyrannei sind auch die Themen der beiden Brutus-Gedichte, die am Ende von Storms Schulzeit in Lübeck (1837) entstanden sind. In dem Gedicht „Brutus Gespenst“ wird der „schwindende Schatten der Freiheit“ beklagt und in „Brutus bei Sardes“ wird Brutus als „letzte Säule der Freiheit“ bezeichnet, der Rom „vor Tyrannenzwang“ retten will und seine Tat als „Opfer für die Republik“ bezeichnet (I 190/191). Das sind sicherlich Schüler-Gedichte, aber sie zeigen doch das Interesse des jungen Storm für das Politische im weiteren Sinne. Das bestätigt die Prüfungsarbeit, mit der Storm seine Lübecker Schulzeit abschloss. Thema der Arbeit war (aus dem Lateinischen übersetzt): „Weshalb sank unter der Regierung Philipp II. Spaniens Macht und Ansehen?“ Mit Absicht hatte Storm offenbar dieses Thema gewählt: Hier konnte er sich auf die Seite der freiheitsliebenden Niederländer stellen!7

Die Kieler Universität, in die sich Storm im Frühjahr 1837 immatrikulieren ließ, um Jura zu studieren, war nach Kopenhagen die bedeutendste Universität des dänischen Gesamtstaates8. Sie war der Ort, wo deutsche und dänische Sprache und Kultur einander begegneten, ja, Kiel war einer der Orte, von wo die deutsche Romantik von Deutschland nach Dänemark und von wo H. C. Andersens Märchendichtung nach Deutschland gelangte. Von der Universität Kiel aber sind auch andere Impulse ausgegangen, solche, die dann eine neue, konfliktreiche und unruhige Zeit ausgelöst haben. Auf dänischer Seite war es besonders Professor Christian Paulsen, der mit seiner Schrift „Ueber Volksthümlichkeit und Staatsrecht des Herzogthums Schleswig“ (1832) auf die engen sprachlich-kulturellen und staatsrechtlichen Bindungen Schleswigs an Dänemark hingewiesen hat. Professor Christian Flor hat sich besonders für die dänische Hochsprache (neben dem „Sønderjysk“) in Nordschleswig eingesetzt und 1832 die erste dänische Wochenzeitung in den Herzogtümern mit dem Titel „Dannevirke“ ins Leben gerufen. Auf deutscher bzw. schleswig-holsteinischer Seite war es vor allem F. C. Dahlmann, der mit seinem „Wort über Verfassung“ (1815) eine „kräftige Volksvertretung“ forderte und mit seiner „Waterloo-Rede“ (1815) darauf hinwies, dass das Herzogtum Schleswig „durch den verbrüderten Holsteiner“ schon seit langem dem „deutschen Bunde“ angehöre. In diesen Zusammenhang gehört Uwe Jens Lornsens Schrift „Ueber das Verfassungswerk in Schleswig-Holstein“ (1830), in der dieser eine durchgreifende Verwaltungsreform und die verwaltungsmäßige Trennung der beiden Herzogtümer von Dänemark forderte.

Theodor Storm blieb als Student – soviel wir wissen – zunächst weitgehend unberührt von den sich anbahnenden Konflikten. Er war – wenn man das so sagen darf – „Gesamtstaatler“, das heißt: ein „Schleswiger“, für den das kulturelle und politische Zusammenleben von Deutschen und Dänen in Schleswig-Holstein kein Problem war.

Dass auch die Freunde Storm als einen „Gesamtstaatler“ ansahen, wird daraus deutlich, dass sein Lübecker Freund Röse ihn anlässlich seines Übergangs zur Universität scherzhaft „Schuckelmeyer“ genannt hat (IV 445) und damit ein politisches Schimpfwort gebrauchte, mit dem man damals die dänisch orientierten Schleswig-Holsteiner bezeichnete.

Storms damalige Grundhaltung, die davon ausging, dass das kulturelle und politische Zusammenleben von Deutschen und Dänen nicht nur unproblematisch, sondern auch anregend war, bestätigte sich in den Kieler Studienjahren. Storm hörte bei Professor Nikolaus Falck, dem Verfechter des Gesamtstaates, die Vorlesung „Historia juris patrii“ (schleswig-holsteinische Rechtsgeschichte) und entschied sich, bei Professor Christian Paulsen, einem Vertreter des aufkommenden dänischen Patriotismus, eine Vorlesung über „Dänisches Recht“ zu belegen (vgl. Paulsens Tagebucheintragung Weihnachten 18409).

Allerdings war die Zeit nach dem Austritt Norwegens aus dem Gesamtstaat (also nach 1814) dänischerseits gekennzeichnet durch Bemühungen des dänischen Königs um Straffung und Vereinheitlichung des Staatengebildes. Insbesondere versuchte er das Herzogtum Schleswig enger an Dänemark zu binden; ja, er erließ ein „Sprachreskript“, nach dem in den nördlichen Bezirken Schleswigs die deutsche Sprache in Kirche, Schule und Gericht durch die dänische ersetzt werden sollte, was jedoch auf vielfältigen Widerstand stieß.10 Demgegenüber versuchte man auf schleswig-holsteinischer Seite, die enge Gemeinschaft und das Eigenleben der beiden Herzogtümer zu stärken. F. C. Dahlmann verwies auf den Ripener Vertrag von 1460, durch den die Unteilbarkeit der Herzogtümer festgestellt wurde (1816)11 und die Flensburger Stadtväter bemühten sich mit einer Petition an den König um eine gemeinsame Verfassung für beide Herzogtümer12.

Die Ereignisse der Julirevolution von 1830 in Paris gaben den deutschen Einheits- und Freiheitsbewegungen neuen Auftrieb. Die Forderungen der Schleswig-Holsteiner nach einer Verfassung wurden lauter (s.o. : Dahlmann und Lornsen). Da entschloss sich der dänische König am 28. Mai 1831, ein „Allgemeines Gesetz wegen Anordnung von Provinzialständen in den Herzogthümern Schleswig und Holstein“ zu erlassen, um damit der politischen Unruhe im Lande zu begegnen13. In Itzehoe und in Schleswig traten die ersten Provinzialständeversammlungen 1835 erstmals zusammen. Die Schleswig-Holsteiner waren zwar enttäuscht, dass für die beiden Herzogtümer keine gemeinsame Ständeversammlung genehmigt worden war und dass diese nur beratende, keine beschließende Funktion hatte. Als ein Forum, auf dem man sich politisch äußern konnte, wurden die Ständeversammlungen aber dennoch begrüßt.

Storm hat während seiner Kieler Studentenzeit zusammen mit seinen Freunden die politische Entwicklung in Schleswig-Holstein nicht aktiv – z.B. durch Petitionen oder Demonstrationen – unterstützt. Er war innerlich zwar ein überzeugter Schleswig-Holsteiner, hat sich aber lauter und öffentlicher Bekundungen enthalten. In diesem Zusammenhang ist es interessant zu sehen, wie Storm mit seinen Kommilitonen 1840 in seiner Kieler Studentenbude Weihnachten inszenierte14: Eine „prachtvolle 8 Fuß hohe Tanne“ wurde – neben den üblichen goldenen Äpfeln und bunten Lichtern mit „langen, weißseidenen Fahnen geschmückt“, auf denen das Stadtwappen von Husum und „die Wappen von Schleswig und Holstein“ angebracht waren, darunter „der Königsspruch, der die bleibende Vereinigung der beiden Herzogtümer ausspricht: ´wi laven dat Sleswik und Holsten bliven ewig tosamende ungedeelt!’“15

Storm und seine Freunde stellen sich hier auf die Seite der schleswig-holsteinischen Bewegung, aber – wie es scheint – ganz ohne den alsbald üblichen patriotischen Fanatismus: Sie vertrauen auf den „Königsspruch“, dass Schleswig und Holstein zusammengehören.

Auch im Kreis um Theodor und Tycho Mommsen ist die Politik sicher ein wichtiges Thema gewesen, aber an öffentlichen Demonstrationen oder Petitionen für die schleswig-holsteinische Sache haben auch sie – soviel wir wissen – nicht teilgenommen. Trotzdem wird in dem – die Politik bewusst ausklammernden und die Vormärzlyrik ablehnenden16 – „Liederbuch dreier Freunde“ (Kiel: Schwers 1843), das Gedichte von Theodor und Tycho Mommsen und von Storm aus den Jahren 1840 bis 1843 enthält, doch auch Bezug genommen auf die politischen Verhältnisse der Zeit. So z.B. weist Theodor Mommsen gleich im Eingangssonett darauf hin, dass „die Lieder anders noch klingen sollen“ und dass es „noch nicht Zeit“ ist, sich anders „zu geberden“. Und in dem Gedicht „Anno 1841“ ist demselben bewusst, dass der „Adler“ „bald seine Flügel breiten wird“, dass bald „die Zeit von vornen“ beginnt und „Holsteins alte Buchenwälder zittern“ werden. Auch Storm spricht von der neuen Zeit (I 223):

 

Die Jungen

 

Sieh, wie vor den alten Kanzlern und Räten

Die Leute sich bücken, gehorsamst betreten!

Pfui, wie sie den grämlichen Alten hofieren!

Will uns denn Niemand respektieren? –

Das Haupt entblößt! Respekt, ihr Leut’!

Wir sind der Kanzler der werdenden Zeit.

 

In kecker, Heinrich Heine nachahmender Manier wird hier – das ist bemerkenswert – auf spezifische schleswig-holsteinische politische Verhältnisse nicht Bezug genommen. Die „aufrührerische“ antidänische Zeit hat für Storm und seine Freunde offenbar noch nicht begonnen.

Im Oktober 1842 hat Theodor Storm an der Kieler Universität sein juristisches Staatsexamen abgelegt und sich entschlossen, zunächst als Rechtsanwalt in der Kanzlei seines Vaters zu arbeiten. Er hat dabei ganz selbstverständlich den Weg eingeschlagen, der im dänischen Gesamtstaat üblich bzw. vorgeschrieben war. Noch im November desselben Jahres ist Storm nach Schleswig gefahren, um sich von Professor Nikolaus Falck im Dänischen prüfen zu lassen. Dieser stellte ihm das Zeugnis aus, dass er „nicht nur das Dänische mit guter Aussprache liest, sondern auch sowohl poetische als auch prosaische Stücke mit vollkommener Sicherheit richtig und fertig übersetzen“ könne17.

Dieses Zeugnis war – neben dem bestandenen juristischen Examen – eine Voraussetzung für eine erfolgreiche Bewerbung um die Zulassung als Rechtsanwalt. Seine Bewerbung, die er am 2. Dezember 1842 an König Christian VIII. von Dänemark richtete, begann mit den Worten: „Der Candidat der Rechte Theodor Storm aus Husum bittet Eure Königl. Majestät allerunterthänigst, Allerhöchst dieselben wollen allergnädigst geruhen, ihm eine Bestallung als Untergerichtsadvokat der Herzogthümer Schleswig und Holstein zu ertheilen…“18. Storm hat also die Gegebenheiten des dänischen Gesamtstaates voll akzeptiert.

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Zeugnis, das der „Etatsrath ord. Prof. d. Rechte in Kiel“ Dr. Falck dem jungen Rechtsanwalt Theodor Storm am 29. November 1842 ausgestellt hat (LA Schleswig)

So verlief sein Leben als junger Rechtsanwalt – seit April 1843 mit eigener Praxis – im herkömmlichen Rahmen. Ganz selbstverständlich hat er – wenn es erforderlich war – für seine Mandanten Bittschriften an den dänischen König gerichtet (vgl. Brief an Constanze vom 28.8.1846) und mit seinen dänischen Mitbürgern dänisch gesprochen (z.B. Brief an Constanze 21.7.1846). Bereitwillig hat er die 14 ½ Banktaler bezahlt, um über den „Procurator“ in Schleswig den „Königsbrief“ zu erhalten, der ihm und seiner Verlobten Constanze Esmarch eine Haustrauung erlaubte (Brief an Constanze z.B. vom 14.8.1846).

So hat er sich auch 1845, als es darum ging, den dänischen König für den Ausbau des Husumer Hafens zu gewinnen, nicht geweigert, den König mit einem Chor zu begrüßen. Da jede „Ansingung“ und „Lobhudelei“ ihm zuwider war, beschränkte er sich allerdings darauf, ein Nixenlied zu entwerfen, den König mit einem Nixenchor zu begrüßen, ihn – im Zusammenhang mit dem Hafenausbauprojekt – als „Meereskönig“ anzusprechen und den „Gruß der Meereswogen“ zu überbringen (I 242) (vgl. auch die Briefe an Constanze vom 26. und 28. 8.1845).

Äußerlich hat Storm als junger Rechtsanwalt in Husum also ein normales bürgerliches, von politischen Emotionen freies Leben geführt. Dennoch war das gemeinsam mit den Kieler Freunden beschlossene Unternehmen einer „vaterländischen Sagensammlung“ in gewisser Weise politisch. Man wollte die „Erzeugnisse des Volkslebens“ erhalten und ein „Sagenbuch“ wie die anderen „Deutschen Provinzen“ erstellen. Storm hat zusammen mit Theodor Mommsen und Karl Müllenhof einen entsprechenden Aufruf „an alle Freunde deutschen Wesens“ gerichtet19 und sich selbst intensiv für dieses „gemeinnützige und patriotische Unternehmen“ eingesetzt. Die jungen Herausgeber gingen von der Vorstellung aus, dass Schleswig und Holstein kulturell zusammengehören und beförderten mit ihrer Sammlung das Bewusstsein, dass Schleswig-Holstein eine eigenständige deutsche „Provinz“ ist, wie die anderen deutschen Sagengebiete.

Nach 1842 allerdings haben sich die Gegensätze zwischen Deutschen und Dänen in Schleswig-Holstein verschärft. Während der im November 1842 in Schleswig tagenden Ständeversammlung, auf der die Berichte und Verhandlungen bis dahin nur in deutscher Sprache vorgetragen wurden, kam es zu einem Eklat. Als der Schleswiger Abgeordnete Peter Hjort Lorenzen, von dem man wusste, dass er das Deutsche besser beherrschte als das Dänische, plötzlich in dänischer Sprache zu reden begann (und später den gleichberechtigten Gebrauch der beiden Sprachen durchsetzte), ist Storms Vater, der als Protokollant an der Versammlung teilnahm, aus Protest dagegen aufgestanden und hat den Saal verlassen20. Die politische Brisanz der Sprachenfrage, die später für den jungen Storm in seinem Verhältnis zu Dänemark wichtig werden sollte, deutete sich hier an.

In dieser Zeit, also nach 1842, begannen sowohl die dänisch wie die deutsch gesinnten Schleswig-Holsteiner große Feste zu veranstalten, um ihren politischen Zielen Nachdruck zu verleihen. Auf diese Weise wurden – von beiden Seiten! – die politischen Emotionen angeheizt. Auf Skamlinksbanken (einem Hügel in der Nähe von Kolding) versammelten sich 1843 mehrere tausend, im folgenden Jahr sogar 12 000 Menschen, um Orla Lehmanns Programm „Dänemark bis zur Eider“ zu unterstützen.

Angesichts der zunehmenden nationaldänischen Aktivitäten mobilisierte dann auch die schleswig-holsteinische patriotische Bewegung ihre Anhänger. 1843 fand in Jevenstedt das erste größere Volksfest statt. Am 10. 21