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Celia Williams

The Guardians II - Azazels Versuchung

Gay Romance


Dankeschön! Einen ganz dicken Kuss für meine Mädchen Ursula und Iris, die sich so sorgsam um meine Gramatik und meine Logikfehler gekümmert haben. Ohne euch wäre diese Buch nur halb so gut! Danke. Auch meinem Mann möchte ich danken, der mich immer unterstützt und mir den Rücken frei hält. Danke auch an euch Leser. Dies hier ist für euch und sonst niemanden!


BookRix GmbH & Co. KG
80331 München

Wichtige Hinweise

Sämtliche Personen dieser Geschichte sind frei erfunden und Ähnlichkeiten daher nur zufällig.

 

E-­Books sind nicht übertragbar und dürfen auch nicht kopiert oder weiterverkauft werden.

 

Dieses Buch enthält homoerotische Handlungen und ist für Leser unter 18 Jahren und für homophobe Menschen nicht geeignet. Im wahren Leben gilt ein verantwortungsbewusster Umgang miteinander und Safer‐Sex!

 

 

Diese Buch ist Teil einer Reihe!

Erster Band: The Guardians I - Gabriels letzter Auftrag

In der Wüste

 

„Ich hasse die Wüste!“, dachte sich Azazel und lauschte dem böigen Wind, der in regelmäßigen Schüben Sand über die Dünen trieb. Ein Schmunzeln breitete sich auf dem Gesicht des großen Guardians aus. Ein Wüstendämon, der die Wüste hasste, wo gab‘s den sowas! Naja, als gefallener Engel hatte er einen etwas anderen Bezug zu dieser Ödnis als seine Artgenossen. Es frustrierte Azazel, das Michael, der Anführer der Guardians, ihn hierher geschickt hatte. Seit seinem großen Desaster hatte er nie mehr so versagt und doch spürte er die Folgen bis heute. Trotzdem erhielt er alle Aufträge, die mit Trockenheit, karger Landschaft und Wasserarmut zu tun hatten. Noch hatte er keine Träne mit einer Aufgabenbeschreibung dieses Einsatzes erhalten und wusste daher gar nicht, was da auf ihn zukam.

Im Moment machte er eine Dschihadisten-Ausbildung in einem der vielen versteckten Camps einer der vielen Freiheitsmilizen dieser Region. In ganz Afrika und im Nahen Osten gab es hunderte solcher Zeltstädte, die genau für diesen Zweck genutzt wurden. Seiner erfundenen Vita nach, war er US-Amerikaner mit Wurzeln im Iran, der die Globalisierung und seine eigene Regierung nicht nur ablehnte, sondern beides nahezu abgrundtief hasste.

Daher robbte er jetzt seit zwei Wochen durch Sand, seilte sich an Felswänden ab und lernte den Umgang mit allen möglichen Waffen. Langeweile pur – zumindest für einen Guardian. Ein Schutzengel konnte sowieso jede Art von Waffe handhaben, inklusive seines Flammenschwerts. Diese einzigartige Klinge war Azazels letzte offensichtliche Verbindung zu den Engeln des Himmels. Früher hatte er wunderschöne rabenschwarze Flügel besessen, die ihn überall hin trugen und ihn nie im Stich ließen. Als Strafe für sein kolossales Versagen bei einem seiner Aufträge, hatte man ihm die Schwingen genommen, woran ihn die zwei unebenen und hässlichen Narben auf dem Rücken erinnerten.

Ein Engel ohne Flügel konnte keiner bleiben, unweigerlich veränderte er sich und wurde zu etwas anderem. Manche wurden zu Dämonen, wobei nicht jeder Dämon per se schlecht war. Nicht jeder von ihnen stammte aus der Hölle.

Die anderen wurden zu normalen Menschen, aber zu Menschen ohne Seele. Die Seele war so eine verzwickte Sache. Sie sorgte dafür, dass Menschen immer eine Gesamtheit des Spektrums darstellten. Kein Mensch war nur gut und keiner nur böse. Menschen schimmerten gewissermaßen in den unterschiedlichsten Facetten der Farbskala Grau. Doch gefallene Engel, ob als Mensch oder als Dämon widergeboren, waren sozusagen Schwarz oder Weiß. Menschen wie Albert Schweitzer oder auch Adolf Hitler gehörten zu den Gefallenen. Dämonen mit vollkommen verdorbenem und bösem Wesen landeten schnurstracks in der Hölle, der erste von ihnen trug den Namen Lucifer. Als Engel gehörte er anfangs ebenfalls nicht zu den Schlechten, doch sein Neid auf die Menschheit brachte ihn dazu, alle Werte und Prinzipien Gottes zu verraten, bis dieser ihn verdammte. Lucifer fiel als erster und leider folgten ihm viele nach. Im Nachhinein betrachtet, war es eine eher positive Entwicklung. Ohne Marie Curie wäre nie das Röntgen erfunden worden, ohne Abraham Lincoln lebten Afroamerikaner heute noch in der Unterjochung und ohne Martin Luther King gäbe es auch keine Gleichberechtigung. Trotz solcher Tiefschläge wie Josef Stalin oder Dr. Mengele überwog doch die gute Seite. Doch ihre Unterscheidung fiel nur Luzifer und Michael leicht, nur sie erkannten auf Anhieb, in welche Kategorie der jeweilige gefallene Engel gehörte.

Sofort nach Azazels Fall erschien Michael neben ihm und bot ihm an, zu den Guardians zurück- zukehren. Seine Arbeit sei noch nicht beendet und es stehe noch Großes für ihn bereit. Azazel wollte nur eines von ihm wissen, ob er seine Flügel zurück erlangen konnte. Michaels Antwort bestand aus einem sehr bestimmten Nicken und einer Einschränkung: „Aber es wird nicht leicht.“ Tja, nur sterben war leicht und selbst das fiel einem Engel schwer. Also beschloss Azazel bei den Schutzengeln zu bleiben, auch wenn er nun zu den Dämonen zählte.

Als Wüstendämon konnte er den Sand beeinflussen und seine spezielle Fähigkeit war es, die Zeit anzuhalten, zu verlangsamen oder gar zu beschleunigen. Während er die Maschinenpistole lud dachte er über diesen Umstand nach, hätte er diese Fähigkeit damals besessen, wäre es nie soweit gekommen. Doch damals war er ein reinrassiger Engel und ihm standen nur die entsprechenden Fähigkeiten zur Verfügung. Wieder schüttelte er den Kopf über seine Überlegungen, seine Macht als Dämon war wesentlich geringer, trotzdem gab man ihm mit der Zeitmanipulation eine mächtige Waffe in die Hand. Bisher hatte er sie auch ausschließlich für das Gute und nur im geringen Maß eingesetzt. Tief in ihm rumorte es, er hätte nichts lieber getan, als die restlichen zwei Wochen seiner bevorstehenden Ausbildung im Zeitraffer ablaufen lassen. Doch das ging nicht, vielleicht entgingen ihm dann Details, die später für das Überleben oder den Erfolg seiner Mission benötigt würden. Zudem durfte er diese Fähigkeit ausschließlich für die Umsetzung seines Auftrages und nie für private Zwecke einsetzen. Eine Verkürzung der Ausbildung stellte leider Letzteres dar.

Michael saß gemeinsam mit Raphael auf einem Dünenkamm und beobachtete Azazels Waffentraining. Kopfschüttelnd sah der Anführer zu dem Wüstendämon hinunter. Wenn man bedachte, dass er zu den Wüstendämonen zählte, benahm er sich nicht gerade artspezifisch. Die meisten seiner Gattung fühlten sich in der Hitze der Sahara pudelwohl, nicht so Azazel. Dieser bevorzugte die Kühle der himmlischen Gefilde, auch wenn er heutzutage nur noch Zugang zur Zuflucht hatte, dem Aufenthaltsort der Guardians zwischen ihren Aufträgen. Manchmal reihten sich Azazels Einsätze aneinander wie auf einer Perlenschnur, ihm blieb nur wenig Zeit im Himmel. Seine pragmatische und ruhige Art machte ihn zum optimalen Kandidaten für alle Arten von Einsätzen und er arbeitete immer mit zusammengebissenen Zähnen aufs Ziel zu. Seit seinem großen Versagen war Azazel nicht mehr gescheitert und auch diesmal würde er es nicht tun.

„Eigentlich sollte sich Azazel da unten wohl fühlen, oder?“, erkundigte sich Raphael, ihr Heiler, neugierig. Selten bekam er andere Guardians im Einsatz zu sehen.

Doch mittlerweile waren sie so wenige, da war es sinnvoll jemanden teilhaben zu lassen. Daher beratschlagte sich der Erzengel mit seinem besten Freund. „Sollte man meinen, aber nein, die Restpersönlichkeit des Engels in ihm macht es ihm unmöglich, wirklich eins zu werden mit dem Sand. Er fühlt sich in kühleren Gefilden wohler. Trotzdem ist er der optimale Kandidat hierfür. Er sieht aus wie ein Moslem und kann sich auch entsprechend geben.“

Nachdenklich nickte Raphael: „Bist du sicher, dass dieser Auftrag das Richtige für ihn ist? Er muss durch die Hölle gehen und all seine Grundsätze beugen, um das schaffen zu können. Weiß er schon, was auf ihn zukommt?“

„Nein. Die Träne erhält er erst, wenn er die Ausbildung hinter sich hat. Dann wechselt er zur Al’hadil-Bruderschaft in den Jemen. Aber der erste Teil seines Auftrags wird ein Kinderspiel sein gegen den zweiten. Hier kämpft er nämlich gegen sich selbst. Ich weiß nicht, ob er diese Prüfung bestehen kann“, antwortete Michael bedrückt.

Raphael dachte über die Worte seines Anführers und besten Freundes nach. Wie Recht er doch hatte! Mittlerweile gab es auf Erden nur noch fünf Guardians und für diesen Einsatz kamen nur zwei in Frage: Azazel und Ariel. Doch der Gebieter über die Luft hatte zu rigide Ansichten, ein zu starres Wesen, er würde bei diesem Auftrag scheitern, daher hatte Michael sich für Azazel entschieden. Seufzend hoffte er, keinen Fehler begangen zu haben. Sollte der Wüstendämon versagen, würde er wortwörtlich zur Hölle fahren und verlor die Chance darauf, wieder ins Himmelreich aufzusteigen. Nach all der Zeit hätte es sich Azazel aber redlich verdient. Man musste ihm diese Chance geben.

Sana'a bei Nacht

 

Während Zack aus der kleinen Teestube am Rande von Sana’a trat, richtete er seine digitale Spiegelreflexkamera und schob sie weiter auf den Rücken. Sie gehörte zu ihm, wie die Strapse zu einer Stripperin, und ermöglichte es ihm, seinen Lebensunterhalt zu bestreiten.

Sein Bruder Adrian schüttelte zwar immer den Kopf, wenn er in den USA seine Koffer packte und sich in Richtung Flughafen auf machte, aber ihn zog es immer wieder in die diversen Krisengebiete der Welt, um Fotos für Reportagen zu schießen. Mittlerweile hatte er nicht nur einige Preise eingeheimst, sondern sich auch eine tadellose Reputation geschaffen. Er galt als unparteiisch und objektiv, selbst Rebellenführer sprachen mit ihm, da er niemals viele Worte machte, sondern seine Bilder sprechen ließ. Sein Leben bestand aus einer Aneinanderreihung von Nervenkitzel und Gefahrensituationen und diesem Weg würde er vermutlich folgen, bis er starb oder zu alt wurde, um ihn zu gehen.

Direkt nach seinem Journalismus-Studium fand Zackary eine Stelle als Fotojournalist bei der New York Times und es gefiel ihm dermaßen gut, dass er schon damals beschloss, dabei zu bleiben. Er fotografierte auch zu der Zeit schon freiberuflich für den National Geographic und für seinen regulären Brötchengeber machte er alle Aufnahmen im Bereich Soziales, Kultur und Vermischtes.

Dann fielen die Twin Towers und die Welt lag in Trümmern. Auch für Zack war dieses Ereignis lebensverändernd. Er ging zur Army und rückte nach der Grundausbildung mit der ersten Welle nach Afghanistan ein. Zwei Einsätze machte er mit, bevor er wegen latenter Anzeichen für PTBS den Dienst quittierte. Mit Hilfe eines guten Therapeuten fasste Zack in seinem alten Job schnell wieder Fuß.

Seit dieser Zeit wohnte er bei seinem Bruder Adrian und dessen Familie. Da dieser in Flushing, einem Vorort von New York, ein schönes großes Haus gekauft hatte, beschlossen sie es sich zu teilen. Adrian und seine vierköpfige Familie bewohnten das Erdgeschoss und den ersten Stock und Zack das Dachgeschoss mit der schönen Mansardenwohnung. Von hier aus pendelte er meist mit der U-Bahn nach Manhattan. Ihre Wohngegend in Queens bot sich für Familien an und es gefiel Zack, in der Nähe der Druckerei der Times zu wohnen. Viele seiner Bilder konnte er dort direkt auf den Server hochladen und musste nicht extra in die Innenstadt fahren.

Mit dem Umzug der Times ins neue Gebäude im Jahr 2007 änderte sich auch Zacks Aufgabengebiet. Seine Erfahrung als Soldat rückte in den Vordergrund und er erhielt erstmals den Auftrag eine Fotostrecke in einem Krisengebiet aufzunehmen. Er kehrte nach Afghanistan zurück und portraitierte ein Flüchtlingslager. Als versierter Fotograf kamen bei ihm natürlich auch die Landschaft und der Gesamteindruck nicht zu kurz. Rundum betrachtet lieferte er eine Serie von Momentaufnahmen ab, die absolut wie aus dem Leben gegriffen wirkten und jedem einen guten Eindruck der dort herrschenden Situation vermittelten. Das ständige Artilleriefeuer setzte Zack enorm zu, trotzdem hielt er durch und lieferte gestochen scharfe Aufnahmen von Kabul und dem Umland ab. Die karge, fast schon triste Landschaft am Hindukusch spielte dabei eine große Rolle und machte die Fotos so besonders.

Sein aktueller Auftrag bestand darin, im Jemen ein Flüchtlingslager zu besuchen und wenn möglich Fotos zu schießen. All diese Flüchtlinge warteten auf ihre Ausreise, denn sie wurden noch immer von schiitischen Rebellen gejagt. Sollte er dabei noch etwas Action ablichten können, würde sein Redakteur vor Glück im Dreieck springen. Dabei hoffte Zack, dass er sich nicht bis zum Hals in die Scheiße ritt, denn solche Lager waren das bevorzugte Angriffsziel der hier im Jemen agierenden Al’hadil-Bruderschaft.

Schon öfter hatte er solche Aufträge angenommen und ausgeführt, doch diesmal war er schon mit einem unguten Gefühl in der Magengegend von Flushing aus aufgebrochen. Adrian hatte ihn zum JFK International Airport gefahren und ihm wie immer Vorhaltungen gemacht. Im Grunde hatte sein großer Bruder natürlich Recht, doch Zacks Leben drehte sich ausschließlich um seine Arbeit, sein Privatleben beschränkte sich auf das Zusammensein mit Adrians Familie und den wenigen Schulfreunden und Army-Kumpels, die ihm geblieben waren. Seufzend marschierte Zack die staubige Straße in Richtung seines Hotels hinunter. Sana’a bestach durch ihr abwechslungsreiches Stadtbild. Es gab die historischen Bauwerke aus jeder Epoche der fast zweitausendjährigen Geschichte der arabischen Stadt und gleichzeitig moderne Häuser, gebaut nach Passiv-Haus-Grundsätzen. Das Hotel stammte aus der Mitte des vorherigen Jahrhunderts, war aber nach neustem Standard modernisiert worden. Daher befand sich in dem klimatisierten Zimmer nicht nur eine Mini-Bar und Kabel-TV, sondern auch ein wirklich luxuriöses Badezimmer inklusive Badewanne mit olympischen Maßen. Die Straßenbeleuchtung schaffte es nicht, den kompletten Gehweg zu beleuchten, immer wieder musste er dunkle Passagen und Hofeingänge passieren. Trotz des mulmigen Gefühls kam Zack sicher in der Lobby seines Hotels an. Erleichtert ließ er sich vom Nachtportier seinen Zimmerschlüssel reichen und stieg in den Aufzug. Erschöpft lehnte er sich an die verspiegelte Rückwand des Lifts und genoss die orientalische Musik aus den kleinen verborgenen Lautsprechern. Vollkommen in Gedanken versunken marschierte Zack den Flur entlang und ließ sich selbst in sein Zimmer ein. Mit einem leisen Plopp fiel die Tür hinter ihm zu.

Die Al'hadil-Bruderschaft

 

Azazel befand sich auf dem Endspurt seiner militanten Ausbildung. Natürlich hatte er sich in Leistung und Ausdauer hervorgetan. Kein anderer Milizionär hatte eine solche Trefferquote wie der Dämon, trotzdem wurde er immer wieder nachdenklich und auch besorgt beäugt. Natürlich wusste er, dass sein wasserdichter Hintergrund jeder Überprüfung standhielt, hatte doch Michael höchst persönlich dafür gesorgt. Als Engel standen ihm da alle Wege offen. Neben der elektronischen Spur generierte er auch Erinnerungen in Menschen, die Azazel kennen mussten und machte so sein Leben real. Wieder kam er mit sechs weiteren herausragend guten Rekruten zurück ins Trainingslager. Sein Weg führte ihn in sein Zelt, wo er das schwere Marschgepäck absetzte und sich eine Flasche Wasser griff, um seinen Durst zu stillen. Im Grunde benötigte er die Flüssigkeit nicht, denn als Wüstendämon konnte ihm Trockenheit und somit der Durst nichts anhaben, aber es würde auffallen, wenn er nicht trank. Azazel spannte seinen kompletten Körper an, als jemand hinter ihm die Zeltklappe öffnete und herein trat. Ein taxierender Blick über seine Schulter zeigte ihm, dass einer der stummen Beobachter sein temporäres Heim betreten hatte. Der Mann war nicht ganz so groß wie Azazel und hatte auch nicht dessen Statur. Immerhin war der Wüstendämon mit fast zwei Metern überdurchschnittlich groß und schleppte hundertdreißig Kilo pure Muskelmasse mit sich.

Fragend sah er den älteren Mann an.

„Faruk Al’hadil will dich kennenlernen. Werde ich es bereuen, dich empfohlen zu haben?“, die Stimme des Anwerbers der islamistischen Bruderschaft klang hart und schnarrend. Sein Englisch trug eine arabische Färbung und man konnte deutlich heraus hören, dass er aus dem Jemen stammte.

„Vielleicht. Ich bin kein guter Befehlsempfänger und auch nicht leicht zu manipulieren. Mir kann man keine Bombe umschnallen und mich in ein Einkaufcenter schicken. Also ja, es kann sein, dass du die Empfehlung irgendwann bereust“, antwortete Azazel in ruhigem Ton. Er achtete darauf, nicht gelangweilt zu klingen, denn das würde den Araber automatisch gegen ihn aufbringen.

Doch der schwarzäugige Mann nickte und deutete mit einem Fingerzeig an ihm zu folgen. Draußen stiegen sie in einen wartenden Geländewagen, dieser brauste durch den aufwirbelnden Sahara-Sand und brachte Azazel fort aus der größten Sandwüste der Welt.

Azazels Blick ruhte auf dem Fahrer des Geländewagens, dem älteren Mann, der ihn für die Bruderschaft ausgewählt hatte und durchleuchtete ihn auf Dämonenart. Als Engel sah man die Stärken und Schwächen eines Menschen, erkannte seine Laster und seine Vorlieben und wusste, wie man sie steuern und für die eigenen Zwecke einsetzen konnte. Als Dämon sah man die begangenen Taten, aber hatte keinen Einblick ins Seelenleben. Azazel konnte nicht erkennen, warum jemand etwas tat, welche Absichten dahinter standen und welche Ziele jemand im Leben verfolgte. Trotzdem erkannte er doch bei weitem mehr als ein gewöhnlicher Mensch, der auf seine Menschenkenntnis und Intuition angewiesen war. Der Fahrer hatte eine meterlange Liste von Gräueltaten auf seine Seele geladen und zeigte nur im privaten ein Herz. Im Umgang mit seinem Sohn benahm er sich wie der typische Vater, fürsorglich und liebevoll. Azazel wusste, dass er Semir Al’hadil, die Nr. Zwei der Bruderschaft, neben sich sitzen hatte. Gespannt wartete der Wüstendämon auf das Kommende.

Zack lag bäuchlings in seinem Bett in seinem Hotel in Sana’a und schlief tief und fest, als bewaffnete und vermummte Männer in sein Zimmer eindrangen. Geweckt wurde er durch das kalte Gefühl von zuschnappenden Handschellen. Blitzschnell wurde er hochgerissen und ein Sack über seinen Kopf gestülpt. Für den Foto-Reporter wurde es dunkel. Bevor er schreien konnte, wurde ihm ein Knebel in den Mund geschoben, der schmutzige und kratzige Jutestoff in seinem Mund drückte und löste einen Hustenreiz aus. Grob wurde er nun auf die Beine gezerrt und zur Zimmertür hinaus bugsiert. Trotz des Sackes wusste Zackary, dass sie ihn nicht zum Fahrstuhl führten, es ging in die andere Richtung, zum Personal-Treppenhaus. Vermutlich würden seine Entführer ihn auch nicht mit dem Personal-Lift transportieren, denn da war das Risiko der Entdeckung zu groß. Eingekeilt zwischen zwei Männern stolperte der Amerikaner wie erwartet die Treppe hinunter. Nach zwei Stockwerken erreichten sie den Hinterausgang des Hotels und Zack hoffte, dass seine Entführung wenigstens von irgendeiner Überwachungskamera gefilmt worden war. Er landete mit einem harten und schmerzhaften Aufprall auf der Ladefläche irgendeines Fahrzeugs. Dort fühlte er nur noch ein kurzes Piksen, dann wurde es Nacht um ihn.

Die kleine Propellermaschine landete unweit der Landeshauptstadt des Jemen und Azazel sah sich neugierig um. Im Moment flog Semir Al­’hadil das Flugzeug und der Wüstendämon saß auf dem Co-Pilotensitz. Hinten gab es weitere vier Sitzplätze und eine kleine Ablagefläche dazwischen, wo mit Hilfe von Gurten Waren und Gepäckstücke festgezurrt werden konnten. Kaum stand die Maschine still, riss ein verhüllter Mann die Kabinentür auf und bugsierte einen verschnürten Mann ins Innere. Zwei weitere bewaffnete Dschihadisten stiegen ein. In schnellem Arabisch berichteten die Neuankömmlinge vom reibungslosen Ablauf der Entführung. Azazels Blick glitt über den Gefesselten mit dem Jutesack über dem Kopf. Dieser schien bewusstlos zu sein, atmete aber gleichmäßig, wenn man der Bewegung seiner Rippen glauben durfte. Die helle Haut der Arme und Beine verriet, dass es sich um einen Europäer oder Amerikaner mit eurasischen Wurzeln handeln musste. Wie ein Wildtier nahm Azazel die Witterung auf und filterte alle Informationen aus der Luft. Von dem Liegenden empfing er nur die schale Ausdünstung des Betäubungsmittels, aber bei den zwei Arabern herrschte Euphorie und ein latenter Fremdenhass vor. Die Augen der Vermummten richteten sich automatisch auf Azazel und ihre Iriden blitzten herausfordernd. Im Moment brauste dermaßen viel Adrenalin durch deren Blutkreislauf, sodass sie bei der geringsten Provokation angreifen würden, vielleicht sogar innerhalb des kleinen Flugzeuges. Azazel drehte sich in aller Seelenruhe wieder nach vorne und erkundigte sich auf Englisch: „Fliegen wir noch weiter?“

Als Antwort erhielt er vom Piloten nur ein leichtes Nicken und schon zog dieser den Gashebel wieder nach hinten, was die Maschine anrollen ließ.

Im Gefangenenlager

 

Mitten in der Nacht landete das Flugzeug im Hinterland des Jemen, rundum befand sich nur trockene Wüste und felsiges, schroffes Gelände. Perfekt für ein Rebellencamp, vorausgesetzt, es gab eine einigermaßen passierbare Zufahrt und in ihrem Fall eine Landebahn. Beides hatte die Al’hadil-Bruderschaft bereits hinter einem Hügelkamm verborgen angelegt. Nur aus der Luft, also mithilfe von Drohnen oder Überwachungssatelliten, konnte das Lager gefunden werden. Azazel registrierte die strategischen Erwägungen hinter dieser Platzierung und erkannte auch, dass eine Flucht von hier für ihn kein Problem darstellte, aber für einen Menschen wie ein Marsch durch die Hölle wäre. Hoffentlich bestand nicht gerade darin sein Auftrag. Doch bei seinem Glück würde es vermutlich genau so sein.

Sein Rekrutierer geleitete Azazel zum Anführer der Bruderschaft, seinem älteren Bruder Faruk. Ganz dem höflichen Gebaren eines Stammesführers eines arabischen Berberstammes aus vergangenen Tagen empfing er Azazel in seinem Zelt. Faruk Al’hadil entsprach auch in der Optik ganz dem Erscheinungsbild eines Berbers. Groß, schlank und mit einer wettergegerbten dunklen Haut, kam er ganz in der Optik eines jungen Omar Sharif daher. Neugierig und taxierend musterte der Araber den Neuankömmling. Doch er begrüßte ihn nicht, sondern wartete einfach nur ab.

Azazel kannte diese Taktik. Al’hadil wollte herausfinden, ob er etwas zu verbergen hatte und nervös wurde. Doch der Wüstendämon neigte leicht das Haupt und ging dann in eine bequeme Hab-Acht-Stellung mit verschränkten Händen auf dem Rücken. Dabei achtete er auf alle Geschehnisse um sich herum. Faruk widmete sich wieder seinem Buch und dem süßen arabischen Tee, während sein Bruder es sich in Azazels Rücken auf einem Diwan bequem machte. Azazel hatte Zeit und Ausdauer.

Faruk sah zu seinem Bruder Semir hinüber und tauschte mit diesem einen erstaunten Blick. Der Amerikaner beeindruckte sie. Azim Siddad entsprach in allen Bereichen ihren Erwartungen. Als Semir ihn im Ausbildungscamp entdeckte, holte er sofort Informationen ein und übermittelte sie seinem Bruder. Beiden schwebte eine bestimmte Laufbahn des großen Mannes in ihrer Organisation vor. Mit seiner vollkommen akzentfreien Aussprache des US-Amerikanischen und der gewählten Ausdrucksform konnte sich dieser überall weltweit einschmuggeln und würde als typischer US-Bürger durchgehen. Zumal die Behörden und Geheimdienste nach unauffälligen arabischstämmigen Menschen suchten und nie nach solchen Zwei-Meter-Männern. Welche Terror-Organisation würde schon so jemanden verpflichten, der fiel doch überall auf, verstecken ging nicht. Doch genau diese Taktik wollten die Brüder fahren. Sie wollten einen der ihren ganz offen und gut sichtbar in Stellung bringen, jemand der überall hin kam und Zugang erhielt. Dieser Mann war perfekt für ihre Zwecke.

Zack wurde aus dem Flugzeug gezerrt und über den unebenen Boden geschleift. Irgendwo in der Luft, zwischen hier und da, erwachte er aus seinem künstlich induzierten Schlaf. Er hatte keine Ahnung, wo man ihn hinbrachte, doch er hoffte, dass er zumindest innerhalb der Landesgrenze blieb. Der Jemen war politisch betrachtet kompliziert und trotzdem fiel es den Behörden noch schwerer ihn wiederzufinden, wenn sie ihn außer Landes schafften. Der Knebel drückte ihm immer mehr die Luft ab und die vielen Fusseln in seiner Luftröhre machten ihm das Atmen zusätzlich schwer. Der Schreck, als er gefesselt und geknebelt auf dem Boden eines Flugzeuges erwachte, konnte Zackary mit keiner anderen Erfahrung seines Lebens vergleichen. Am Schlimmsten für ihn war die Tatsache, dass er den Ausgang der meisten Entführungen mit islamistischem Hintergrund kannte. Nur jeder fünfzehnte kam frei. Alle anderen wurden auf die eine oder andere Art getötet. Als Fotoreporter der New York Times, einer der größte Zeitungen der Welt, musste er damit rechnen, dass sein Ableben medienwirksam ausgeschlachtet wurde. Die Frage, die dabei blieb, war folgende: Wann?

Seine Häscher zerrten ihn über den sandigen Untergrund. Die Luftveränderung und die veränderte Akustik verrieten dem Journalisten, dass er in eine Höhle geschleppt wurde. Die feuchte kühle Luft hatte eine etwas höhere Temperatur als die kühle Wüstennacht, war aber immer noch weit entfernt von angenehm. Zack vermutete, dass er hier festgehalten werden würde. Innerlich stählte er sich schon einmal gegen das anhaltende Zittern, denn bei diesen Temperaturen musste man ohne Schutz frieren. Das Klirren und darauf folgende Quietschen bestätigen Zacks schlimmste Befürchtungen, sie würden ihn in einen Käfig sperren. Grobe Hände lösten den Knebel und rissen ihm den Sack vom Kopf. Trotz heftigstem Blinzeln konnte Zackary nicht wirklich etwas erkennen, die Höhle lag im Halbdunkel. Eine Glühbirne, etwa zehn Meter entfernt im Höhlendurchgang, stellte die einzige Lichtquelle dar. Der grobe Stoß in seinen Rücken ließ ihn in den Käfig taumeln. Reflexartig umschlossen seine Finger die Metallstreben, damit sein Kopf nicht mit dem harten Stahl kollidierte. Der Käfig bot nicht einmal für einen großen Hund genug Platz, geschweige denn für einen erwachsenen Mann. Zack hockte sich in die Ecke der Box und fühlte die unangenehme Kälte