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Johann Schlögl

Urlaub einmal anders

Eine Kriminalgeschichte





BookRix GmbH & Co. KG
80331 München

Urlaub

    Drei Wochen Urlaub, drei Wochen die Seele baumeln lassen und nicht unter Druck zu stehen, schönes Wetter, was wollte sie mehr.Carlas erster Urlaubstag begann damit, dass sie sich am Morgen beim Bäcker zwei frische Semmeln und die Tageszeitung kaufte. Sie unterhielt sich kurz mit der Verkäuferin, ehe sie sich wieder verabschiedete und mit dem Fahrrad zurück fuhr zu dem Haus, in dem sie wohnte. In dem Haus wohnten noch einige andere Parteien, zu denen sie allerdings wenig Kontakt hatte. Man grüßte sich zwar, wenn man einander begegnete, mehr war aber auch nicht. Die Leute waren alle berufstätig und gingen und kamen zu unterschiedlichen Zeiten. Sie stellte das Fahrrad in die kleine Hütte extra für Fahrräder, sperrte ab und ging in ihre Wohnung. Nach dem Frühstück und der Lektüre der Tageszeitung überlegte sie, was sie unternehmen könnte. Sie beschloss, eine Wanderung in den Wald zu machen, der den kleinen Ort von einer Seite umrandete. Das Wetter war schön, trotzdem zog sie eine lange Hose an und festes Schuhwerk. Kurze Zeit später wanderte sie auf dem ausgefahrenen Weg, der die Wiese durchquerte, in Richtung Wald. Auf dem Rücken trug sie einen Rucksack, in dem sich eine Wasserflasche und belegte Brote befanden. Der Weg führte sie direkt in den Wald und nach einer Weile beschloss sie, den Weg zu verlassen und querfeldein zu gehen. Der Wald bestand hauptsächlich aus Fichten und manche von ihnen waren vor längerer Zeit abgesägt und abtransportiert worden. Die abgeschnittenen Äste hatte man liegen gelassen. Wahrscheinlich war hier ein Harvester am Werk, überlegte sie, als sie die Furchen sah, die das Gerät hinterlassen hatte. Der Wald als Wirtschaftszweig der Bauern, überlegte sie weiter, wenn anderes unwirtschaftlich geworden ist, verkauft man Holz. Aus einiger Entfernung vernahm sie das Plätschern von Wasser und sie folgte dem Geräusch. Tatsächlich erreichte sie nach wenigen Minuten einen kleinen Bach, der sich durch abgestorbene Äste und Steinen einen Weg gebahnt hatte. Carla folgte dem Bach ein Stück talwärts und hielt nach einem guten Sitzplatz Ausschau. Dann fand sie einen größeren Stein, der ihr angemessen erschien. Sie setzte sich und hörte dem Plätschern zu. Sie betrachtete das Wasser, das trotz der vielen alten Äste und des weggeschwemmten Bodens durchsichtig klar war. Plötzlich hörte sie ein Knacksen in ihrem Rücken. Sie drehte sich um, konnte aber niemand entdecken. Ein Tier konnte es nicht gewesen sein, dachte sie, vielleicht jemand, der Pilze sammelt. Der Zeitpunkt war ideal dafür. Das hatte sie von Korbinian gelernt, ihrem Kollegen im Polizeidienst. Als Neuling war sie ihm zugeteilt worden, weil er mindestens zehn Jahre älter als sie war. Korbinian war in der Gegend aufgewachsen und kannte die Gepflogenheiten der einheimischen Bevölkerung. Carla war eine Zugereiste, die aber mittlerweile als Polizistin viele Kontakte mit den Leuten knüpfen konnte. Ursprünglich wollte sie zu ihrer Mutter fahren, doch diese befand sich auf einem Hexenkongress. Deshalb hatte Carla beschlossen, den dreiwöchigen Urlaub zuhause zu verbringen. Zuhause, das war ihre Zweizimmerwohnung in einem kleinen Dorf unweit ihrer Dienststelle, zu der sie immer mit dem Auto fuhr. Außerhalb des Dorfes gab es Acker- und Weideflächen, die zweimal im Jahr gemäht wurden. Außerhalb des Dorfes,auf den Anhöhen, gab es noch vereinzelte Häuser, eingerahmt von wilden Hecken und Bäumen. Noch weiter oben begrenzte der Wald, der sich wellenförmig dahinzog, die Weideflächen. Am Horizont bildete der Wald eine ebenso unregelmäßige wellige Mauer. Bei gutem Wetter konnte man das Dunkelgrün der Fichten gut erkennen, bei schlechtem Wetter jedoch erschien das Dunkelgrün im bedrohlichen Schwarz, aus dem nach dem Regen die Nebelschwaden hochstiegen.

    Sie folgte dem Bachlauf talwärts und kam schließlich zu einer Stelle, die ihr künstlich aufgestaut erschien. Es war eine Krümmung des Laufes, der sich ohnehin tiefer in den Boden eingegraben hatte und zusätzlich mit der Anhäufung von Steinen am raschen Abfluss gehindert wurde. Sie hörte wieder dieses Geräusch, als wäre jemand auf einen Ast getreten, der darunter zerbrach. Wieder sah sie sich um, diesmal etwas länger, aber wieder blieb die Ursache des Geräusches unsichtbar. Das konnte kein Zufall sein. Carla ging nun schneller, leichte Unsicherheit belastete sie. Erleichtert erreichte sie schließlich das Ende des Waldes und sie ging rasch zu dem Haus, in dem sie wohnte. Sie merkte, dass ihre Kleider durchgeschwitzt waren und ehe sie diese auszog, sperrte sie die Wohnungstüre zu und schloss alle Fenster. Danach duschte sie und hinterher zappte sie sich durch das Fernsehprogramm. Später zog sie sich Freizeitkleidung an und machte sich Kaffee. Während sie diesen trank, überlegte sie, ob diese Geräusche im Wald nur Zufall waren oder ihr tatsächlich jemand gefolgt war. Sie besaß während ihres Urlaubs keine Waffe, um sich gegen einen Einbrecher wehren zu können. Gegen mögliche Angreifer konnte sie sich allerdings schon wehren. Am Abend schaute sie sich amerikanische Krimiserien an, bevor sie schließlich zu Bett ging.

Rosemarie

  Am nächsten Morgen fuhr sie wieder mit dem Fahrrad zum Bäcker, um sich Semmeln und die Tageszeitung zu holen. Als sie den Bäckerladen betrat, stand vor der Bedientheke ein jungen Mädchen mit langen blondgelockten Haaren. Das Mädchen drehte sich zu Carla um und begrüßte sie : "Hallo Carla, guten Morgen.“ Carla grüßte höflich zurück und als das Mädchen den Laden verließ, wandte sich Carla an die Frau hinter der Theke: "Wer war dieses Mädchen?“ Die Frau antwortete: “Das war Rosemarie, sie wohnt mit ihrer Mutter in der Auenstraße. Das Mädchen hat´s nicht leicht, die Mutter hält sie ziemlich kurz, keine Freunde oder Freundin, kein Handy. Fast wie eingesperrt.“ Carla bezahlte die Zeitung und die Semmeln und verließ den Laden. Das Mädchen hatte einen aufgeweckten Eindruck gemacht. Carla sperrte ihr Fahrrad auf, als plötzlich das Mädchen neben ihr stand: “Darf ich ein Stück mit dir gehen,“ fragte es schüchtern und als Carla bejahte, wich die Schüchternheit von ihr. Carla schob das Rad und Rosemarie ging neben ihr. "Hast du jetzt Ferien oder was machst du“ fragte Carla und Rosemarie antwortete: “Ich hab jetzt Ferien und meine Mutter will frische Semmeln haben, wenn sie von der Arbeit kommt.“ "Was macht deine Mutter?“ "Sie arbeitet in der Fabrik immer nur die Nachtschicht und kommt so in einer Stunde. Dann frühstückt sie und hinterher schläft sie den ganzen Tag.“  "Und was machst du den ganzen Tag?“  "Aufräumen, putzen, waschen, den ganzen Haushalt und wenn ich frei habe, gehe ich manchmal spazieren.“  "Auch in den Wald?“  "Nur manchmal.“  "Die Frau im Laden sagte, du hast keine Freunde und keine Freundin.“  "Die alte Tratschtante, genau so schlimm, wie ihre Vorgängerin, die meisten würden das sowieso nicht verstehen, ich lebe´ mein eigenes Leben, verstehst du, ich muss jetzt da rüber“ sagte Rosemarie und bog in die Querstraße ein. Carla winkte ihr zu und setzte sich auf´s Rad, fuhr die letzten Meter zu ihrer Wohnung. In ihrer Wohnung bereitete sie sich Frühstück und währenddessen dachte sie über das Mädchen nach. Rosemarie war ein eigenartiges Geschöpf, sicherlich von ihrer Mutter so geformt und total in deren Leben eingebunden. Ein Außenstehender konnte das tatsächlich nicht verstehen. Beim Frühstück beschloss Carla, sich darüber Aufzeichnungen zu machen, beginnend von ihrem ersten Urlaubstag an. Am Nachmittag zog sie ihren Bikini an du legte sich in ihren Liegestuhl auf den Balkon. Nach einiger Zeit merkte sie, wie sie eindöste und stand schnell auf um sich in der Küche Kaffee zu machen. Dösen wäre zu gefährlich, wie schnell konnte sie sich dabei einen Sonnenbrand holen. Sie schloss die Balkontür und trank ihren Kaffee. Danach legte sie sich auf ihr Bett. Hier konnte sie auch einschlafen und brauchte keine Angst vor Sonnenbrand haben.

Carla schlief tatsächlich ein und wurde durch ein energisches Klingeln an der Eingangstür geweckt. Rasch zog sie sich ein T-Shirt über und machte auf. Rosemarie stand vor der Tür und fragte schüchtern, ob sie hereinkommen dürfe. Carla ließ das Mädchen in ihre Wohnung, bot ihr einen Platz an und fragte, ob es etwas zu trinken wolle. Rosemarie verneinte und Carla trank den Rest an Kaffee, der mittlerweile kalt geworden war. "Ich wollte dich auch noch etwas fragen“ sagte Carla zu Rosemarie, die sie erstaunt ansah, “ich möchte wissen, ob du gestern im Wald warst?“ Rosemarie sagte leise Ja und Carla fuhr fort: “Bist du mir vielleicht nachgegangen?“ Rosemarie antwortete wieder leise mit Ja und Carla fragte sie nach dem Warum. Rosemarie wurde verlegen: “Du darfst mich aber nicht auslachen.“  "Das mach ich nicht,“ antwortete Carla und rückte mit ihrem Stuhl näher zu Rosemarie, die nach den richtigen Worten suchte. Schließlich sagte sie leise wie zuvor: “Ich habe mich in dich verliebt, schon damals, als du hierhergekommen bist.“ Carla spürte ihre Unsicherheit, ging vor ihr in die Hocke und nahm ihre Hand: “Wie alt warst du da?“ "Fünfzehn;“ sagte Rosemarie und Carla rechnete schnell nach und fragte danach: “Dann bist du jetzt achtzehn, oder?“ Rosemarie nickte mit dem Kopf und Carla, die immer noch ihre Hand hielt, sagte dann zu ihr: “Du bist ein außergewöhnliches, starkes Mädchen und deine Liebe ist nichts Verbotenes oder so.“  "Du magst mich, oder?“  "Klar mag ich dich, du bist wirklich etwas Besonderes“ Carla erhob sich wieder und Rosemarie stand ebenfalls auf und ehe Carla etwas tun konnte, schmiegte sich Rosemarie an sie und Carla legte ihre Arme um Rosemaries Schultern. Nach einer Weile löste sich Rosemarie von ihr: “Ich muss wieder nach Hause, bevor Mama wach wird, sonst schimpft sie wieder, wenn ich nicht da bin“ Carla begleitete sie an die Tür und Rosemarie ging hinaus. Carla blieb verwirrt zurück und wunderte sich, welche Gefühle dieses ihr eigentlich unbekannte Mädchen in ihr ausgelöst hat. Was sollte sie jetzt tun. Sie beschloss, zur Beruhigung ein Bier zu trinken und holte eine 0,33er Flasche aus dem Kühlschrank. Während sie langsam das Bier trank, überlegte sie, ob Rosemarie wirklich wusste, was Liebe bedeutete, dann dachte sie an ihre Jugend und sie kam schließlich zu dem Schluss, dass Liebe von alleine kommt und sich wie ein Gewitter zusammenbraut und plötzlich ist es da. Aber wie viel konnte ein Mädchen wie Rosemarie, das kaum etwas mit anderen Menschen zu tun hatte, etwas von der körperlichen Liebe wissen. Und wie sollte sie nun damit umgehen, dass ein Mädchen, gerade einmal achtzehn Jahre alt, in sie verliebt war. Carla beschloss für sich, erst einmal abzuwarten, wie sich die Dinge entwickeln würden. Sie beendete den Tag wieder mit amerikanischen Krimiserien, deren Inhalt man spätestens bei der darauf folgenden wieder vergessen hatte.

 

Annäherung

Am nächsten Morgen erwachte sie früh und nach dem Prozedere der Morgentoilette setzte sie Kaffee auf und radelte anschließend zum Bäckerladen. Rosemarie war noch nicht da gewesen, deswegen konnte sie auch schnell wieder zurück radeln. Eines war sicher, Rosemarie war plötzlich in ihrem Leben aufgetaucht und nahm einen Teil ihrer Gedanken in Anspruch. Nach dem Frühstück und der ausgiebigen Zeitungslektüre beschloss sie, wieder einen ausgiebigen Spaziergang durch den Wald zu machen. Nur wollte sie dieses Mal eine andere Richtung einschlagen, von der sie annahm, dass ihr Rosemarie dorthin nicht folgen würde. Sie marschierte los in den Wald hinein und an einer Weggabelung ging sie nach rechts. Beim ersten Mal war sie nach links gegangen. Sie begegnete einem Pilzsucher, der sie verwundert ansah und ihr auch noch eine Weile hinterher schaute. Was wollte eine junge Frau mit einem Rucksack auf dem Rücken alleine im Wald. Unbeirrt marschierte sie weiter, verließ den Weg und ärgerte sich dann darüber, dass im Wald immer herumliegende, abgesägte Äste das Vorwärtskommen erschwerten. Manchmal musste sie auch großen, von Moos überzogenen Steinen ausweichen. Carla ging trotzdem weiter bergauf und kam schließlich wieder auf einen Weg, an dessen Rand sie eine Pause einlegte. Korbinian hätte eine Zigarette geraucht, dachte sie und betrachtete den Weg. Er verlief mehr horizontal und sie folgte ihm eine Weile. Dann bemerkte, dass der Weg trotzdem bergauf führte und sie überlegte, wie sie wieder talwärts gelangen konnte. Sie musste wieder den Weg verlassen und durch den Wald nach unten gehen. Wie hatte Korbinian gesagt, wenn du bergauf gehst, musst du auch wieder bergab gehen, um heim zu kommen. Wieder ärgerte sie sich über die wild verstreuten Äste, über große Steine und sumpfige Stellen, um die sie einen Umweg machen musste. Am meisten ärgerte sie sich über sie selbst wegen der dummen Idee, den Weg zu verlassen und in die Wildnis hinein zu marschieren. Nach einem endlos scheinenden Marsch erreichte sie schließlich einen ausgewaschenen, steinigen Weg, der talwärts führte. Er sah zwar wegen der blanken Steine nicht sehr verlockend aus, aber sie sah keine andere Möglichkeit. Ihre Füße schmerzten und sie schalt sich eine dumme Nuss, so etwas zu machen. Irgendwann sah sie Helligkeit durch die Bäume und mobilisierte ihre letzten Kräfte, um dorthin zu gelangen. Sie erreichte das Ende des Waldes und stand vor einer Wiese, aber nirgends waren Dächer zu sehen. Wo war sie hingeraten? Sollte sie noch weiter nach unten gehen oder mehr schräg nach links. Sie tat das letztere, dann sah sie die ersten Dächer. Erleichtert marschierte sie weiter, Schweiß lief von ihrer Stirn. Wenig später hatte sie die ersten Häuser erreicht, aber noch wusste sie nicht, wo sie war. Sie sah ein Straßenschild, Auenstraße stand darauf, dann fiel ihr ein, dass Rosemarie hier irgendwo wohnte. Sie ging weiter und erreichte schließlich das Haus, in dem sie wohnte. Erschöpft öffnete die Wohnungstür und warf den Rucksack weg. Sie sah auf die Uhr, es war drei Uhr Nachmittag. Sie entledigte sich der verschwitzten Kleider und ging unter die Dusche. Danach machte sie frischen Kaffee und aß zwei Nusshörnchen dazu. Hinterher zog sie ihren Bikini an und legte sich eine Weile auf den Balkon. Inständig hoffte sie, nicht gestört zu werden, aber irgendwann hörte sie einen Klingelton, der sie aus ihrer Schläfrigkeit riss.

        Rosemarie kam ihr ziemlich mager vor, es konnte natürlich auch an zu wenig Essen liegen, damit der Körper sich nicht entwickeln konnte, damit die Jungen kein Interesse an ihr fanden. Orientierte sie sich deswegen zu Mädchen hin. In der Schule konnte sie keine intime Beziehung zu einem Mädchen aufnehmen, das hätte schlimmstes Mobbing und andere Komplikationen nach sich gezogen. Außerdem waren die Mädchen auf dem Land ohnehin eher dazu bereit, möglichst früh einen festen Freund zu haben. Ein Mädchen oder ein Junge, der nicht in dieses Klischee passte, musste seine Neigung unterdrücken, solange es möglich war. Carla dachte an ihre Clique aus der Jugendzeit. „Lesbe“ oder „Schwuchtel“ waren die abwertensten Beschimpfungen für Mädchen oder Jungen.